Jacques Lacan
Seminar XVIII, Über einen Diskurs, der nicht vom Schein wäre
7. Sitzung, 12. Mai 1971, Lituraterre (I)
Übersetzung
Emakimono, Tinte auf Papier, Meji-Periode, von hier
Dies ist die 3. Fassung der Übersetzung, 20. März 2025.
2. Fassung vom 21. Dezember 2016 hier
1. Fassung vom 21. März 2015 hier,
„Lituraterre (I)“ ist die im Seminar gesprochene Version von „Lituraterre“. Eine Übersetzung der im Druck erschienenen Version, „Lituraterre (II)“, findet man hier.
Jacques Lacan:
Seminar 18 (1971): Über einen Diskurs, der nicht vom Schein wäre
Lituraterre (I)
Sitzung vom 12. Mai 1971
Übersetzt von Rolf Nemitz
Vollständige Übersetzung von Seminar 18 auf der Grundlage von Version Staferla, Version Espaces Lacan und einer Tonaufnahme, Teil 7/10. Die Übersetzung der übrigen Sitzungen dieses Seminars findet man hier.
In Millers Version des Seminars ist dies Kapitel VII, „Leçon sur Lituraterre“ („Vorlesung über Lituraterre“), S. 113–127.
2023 erschien die offizielle Übersetzung des Seminars: J. Lacan: Über einen Diskurs, der nicht des Scheins wäre. Das Seminar XVIII (1971). Texterstellung durch Jacques-Alain Miller, übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien. Darin ist die hier übersetzte Sitzung: „VII. Lehrstunde über Lituraterre“, S. 133–152.
Einen Überblick über die verschiedenen Ausgaben von Seminar 18 gibt es hier.
Zu „Lituraterre“
In Lituraterre (1971) erläutert Lacan, was er unter dem Buchstaben (lettre) versteht und wie er ihn vom Signifikanten abgrenzt.
Lituraterre gibt es in zwei Versionen. Eine erste Version trug Lacan am 12. Mai 1971 in seinem Seminar vor, Seminar 18 von 1971, D’un discours qui ne serait pas du semblant („Über einen Diskurs, der nicht des Schein wäre“). Eine zweite Version erschien im selben Jahr in der Zeitschrift Littérature1. Ich nenne die Transkription der im Seminar vorgelesene Version Lituraterre (I), die von Lacan zum Druck gebrachte Version Lituraterre (II). Im Folgenden wird Lituraterre (I) übersetzt.
Eine Gegenüberstellung der beiden Versionen, von unbekannter Herkunft, findet man auf der Website von Patrick Valas, valas.fr, hier. Die Unterschiede sind geringfügig, dennoch ist fast kein Satz in beiden Versionen gleich. Schwierige Formulierungen erschließen sich bisweilen, wenn man zwischen den beiden Versionen hin und her springt.
Eine Tonaufnahme von Lituraterre (I) kann man auf der Seite von Patrick Valas hier abrufen.
Zur Übersetzung
Die Übersetzung wird hier zweimal gebracht, zunächst einsprachig deutsch, dann zweisprachig, Satz für Satz gegenüberstellend.
Die zweisprachige Fassung enthält in den Anmerkungen zum französischen Text Hinweise auf Transkriptionsprobleme und auf größere Abweichungen in Millers Version; im deutschen Text findet man Links und Bilder, in den Anmerkungen zum deutschen Text Literaturangaben und inhaltliche Erläuterungen.
Die Anmerkungen zum deutschen Text in der zweisprachigen Darstellung enthalten Erläuterungen und Parallelstellen. Die meisten Parallelstellen sind aus Seminar 18; für die Übersetzung dieser Passagen zitiere ich die offizielle Übersetzung (Texterstellung J.-A Miller, Übersetzung H.-D. Gondek). Zu beachten ist also, dass Seminar 18 hier nach zwei verschiedenen Versionen übersetzt wird: Die siebte Sitzung, also Lituraterre I, übersetze ich nach Version Espaces Lacan, für alle anderen Sitzungen zitiere ich Version Miller/Gondek.
Eine große Hilfe bei der ersten Fassung der Übersetzung waren Gerhard Herrgott und Eva Maria Jobst, herzlichen Dank an beide! Nützlich war auch die englische Übersetzung von Seminar 18 durch Cormac Gallagher. Und tausend Dank an Steffen Dietz fürs unverhoffte und gründliche Korrekturlesen der ersten Fassung!
Textgrundlage
Von Lituraterre I gibt es mehrere Transkriptionen. Die Übersetzung folgt der Transkription, die man auf der Internetseite „Espaces Lacan“ findet, die Wort-für-Wort-Transkription einer Tonaufzeichnung. Ich habe diese Transkription mit drei anderen Transkriptionen verglichen: mit Version Chollet, einer Stenotypie, also einer stenografischen Mitschrift, mit Millers Version dieser Sitzung in der offiziellen Ausgabe von Seminar 18, und außerdem mit Lituraterre II, also mit der von Lacan in der Zeitschrift Littérature veröffentlichten Fassung. Die wichtigsten Abweichungen habe ich in den Anmerkungen zum französischen Text vermerkt.
Wortwahl
Der Leser wird gebeten, seinen Wortschatz durch fünf Termini zu erweitern: durch den Fachbegriff „Litoral“, durch das lateinische Wort „litura“, durch den Ausdruck „Letter“ in verzerrter Bedeutung und schließlich durch den Neologismus „literal“.
– „Litoral“: Ein Schlüsselbegriff von Lituraterre ist das französische Wort litoral. Die deutsche Entsprechung ist „Litoral“ (ja, das gibt es) und ein Litoral ist die Zone, wo Land und Wasser aufeinanderstoßen: „Küstenstreifen“, „Uferzone“, „Uferstreifen“, „Strand“ usw.; im Niederdeutschen sagt man „Waterkant“. Das deutsche Adjektiv „litoral“ meint laut Duden: „die Küsten-, Ufer-, Strandzone betreffend“.
– „Litura“: In dem von Lacan erfundenen Wort „Lituraterre“ steckt, wie er selbst sagt, das lateinische Wort litura, „Streichung“, im Sinne der Streichung in einem Text. Das Wort „Lituraterre“ ist nicht nur eine Lautverdrehung von „Littérature“ (Literatur), sondern auch die Verbindung von litura, „Streichung“, mit terre „Erde“.
– „Letter“: Normalerweise versteht man unter einer Letter ein Element einer Satzschrift aus Blei, also einen materiellen Körper, mit dem ein Schriftzeichen erzeugt wird, sei dies ein Buchstabe, eine Ziffer oder ein Satzzeichen. In Lacans Text ist die Lautähnlichkeit von lettre („Buchstabe“) und littérature („Literatur“) wichtig. Um sie ins Deutsche hinüberzuretten, verwende ich im Folgenden gelegentlich „Letter“ im Sinne von „Buchstabe“ und zugleich „Brief“, also in verschobener Bedeutung. Ich folge damit Rodolphe Gasché, der in seiner Übersetzung von Lacans Poe-Aufsatz in den von N. Haas herausgegebenen Schriften I den französischen Ausdruck lettre aus demselben Grunde bisweilen mit „Letter“ übersetzt.
– „literal“: Das französische Wort littéral meint „buchstäblich“ oder „wörtlich“; da Lacan die Nähe zu lettre, „Buchstabe“ betont, ist „buchstäblich“ die naheliegende Übersetzung. Damit verschwindet jedoch die Anspielung auf littérature („Literatur“) sowie auf das englische Wort litter („Abfall“). Ich führe deshalb ein neues Wort ein und übersetze littéral bisweilen mit „literal“. „Literal“ meint also „buchstäblich“, mit Anspielung auf „Literatur“ und auf den Abfall.
Abkürzungen
-- Version Miller: J. Lacan: Le séminaire, livre XVIII. D’un discours qui ne serait pas du semblant. 1971. Texterstellung Jacques-Alain Miller. Le Seuil, Paris 2007
-- Version Miller/Gondek: J. Lacan: Über einen Diskurs, der nicht des Scheins wäre. Das Seminar Buch XVIII (1971). Texterstellung Jacques-Alain Miller, übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien 2023
Zur Notation
-- Zahlen in eckigen Klammern und grauer Schrift, z.B. [10], verweisen auf die Seiten von Version Miller.
-- Wörter mit Sternchen: im Original deutsch.
-- Der Schrägstrich / verbindet Übersetzungsvarianten.
-- Einfügungen in eckigen Klammern sind nicht von Lacan.
Sitzung vom 12. Mai 1971
Tonaufnahme
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Deutsch
Zahlen in eckigen Klammern und grauer Schrift verweisen auf die Seiten von Millers Ausgabe des Seminars.
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[113] (An der Tafel) Lituraterre
Das Wort, das ich gerade angeschrieben habe, ist der Titel für das, was ich Ihnen heute anbieten möchte; da Sie hier zusammengerufen wurden, ist es wohl nötig, dass ich Ihnen etwas zuwerfe.
Offensichtlich haben mich dazu aktuelle Ereignisse angeregt: das ist der Titel, mit dem ich mich bemüht habe, auf eine Anfrage zu antworten, die an mich gerichtet wurde, nämlich eine Zeitschriftennummer über Literatur und Psychoanalyse, die demnächst erscheinen soll, einzuleiten.
Dieses Wort, Lituraterre, das ich erfunden habe, findet seine Rechtfertigung im Ernout und Meillet; es gibt hier ja vielleicht einige, die wissen, was das ist: ein etymologisches Wörterbuch des Lateinischen, das gar nicht so dumm gemacht ist. Schlagen Sie nach unter lino, unter litura, Sie werden’s finden, und dann unter liturarius; es wird deutlich darauf hingewiesen, dass das mit littera, mit „Buchstabe“, nichts zu tun hat. Dass es nichts damit zu tun hat, ist mir egal. Ich unterwerfe mich nicht zwangsläufig der Etymologie, wenn ich mich diesem Wortspiel hingebe, aus dem gelegentlich ein Witz gemacht wird; die Lautvertauschung, die hier evident ist, kam mir über die Lippen und die Umstellung ins Ohr. Nicht ohne Grund setzten Sie, wenn Sie eine Fremdsprache lernen, von dem, was Sie gehört haben, den ersten Konsonanten an die zweite Stelle und den zweiten an die erste.
Dieses Wörterbuch also, in dem man nachschlagen möge, bietet mir Auspizium, da es sich auf denselben départ gründet wie ich, auf denselben Ausgangspunkt, als ich in einer ersten Bewegung – ich meine départ im Sinne von repartie, prompter Antwort – von einer Äquivokation ausging, bei der Joyce – ich spreche hier von James Joyce –, bei der James Joyce von a letter zu a litter hinübergleitet, von einem Buchstaben – ich übersetze – zu einem Abfall. Es gab, vielleicht erinnern Sie sich daran, aber sehr wahrscheinlich haben Sie nie etwas davon gehört, es gab da eine Mäzenin, die ihm Gutes wollte und ihm eine Psychoanalyse anbot, und es war sogar eine bei Jung, die sie ihm anbot. Bei dem Spiel, das wir erwähnen, hätte er nichts gewonnen, denn er ging ganz direkt, mit diesem a letter, a litter, ganz direkt auf das Beste dessen zu, was man von einer Psychoanalyse an ihrem Ende erwarten kann.
Wenn er den lettre zu litière macht, den Buchstaben zu Streu, ist das dann wieder der Heilige Thomas – Sie erinnern sich vielleicht, Sie haben nie davon gehört? –: sicut palea [wie Streu], ist das wieder der Heilige Thomas, der Joyce hier wieder in den Sinn kommt, wie sein Werk es von vorne bis hinten bezeugt?
Oder ist es die Psychoanalyse |[114], die ihre Konvergenz mit dem bekundet, was unsere Zeit als Lockerung des alten Bandes anklagt, durch das in der Kultur die Verschmutzung gezügelt wird? Ich habe das mal ein bisschen weiter ausgeführt, wie durch Zufall kurz vor dem Mai ’68, um an jenem Tag den Verlorenen der Menschenmengen nicht zu fehlen, die ich, wie es aussieht, jetzt in Bewegung versetze, wenn ich irgendwo einen Besuch mache; in Bordeaux war das. Die Zivilisation, daran hatte ich dort als Prämisse erinnert, ist der Abwasserkanal. Natürlich muss man sagen, das war kurz nachdem mein Vorschlag vom Oktober ’67 auf die Weise aufgenommen worden war, die Ihnen bekannt ist, wozu man natürlich sagen muss, dass ich, als ich damit spielte, sicherlich des Mülleimers ein wenig überdrüssig war, mit dem ich mein Schicksal vernietet hatte.
Bekanntlich bin ich jedoch nicht der Einzige, der sich diesem Eingeständnis anschließt. Das avouère – das Eingeständnis –, um es für Sie auf die alte Weise auszusprechen, das avoir, das Haben, mit dem Beckett die Freuden all dieser Abfälle unseres Seins in Ausgleich bringt, dieses avouère rettet die Ehre der Literatur, und es entbindet mich, was mir recht angenehm ist, von dem Privileg, von dem ich glauben könnte, es durch meinen Platz innezuhaben.
Die Frage ist, ob das <stimmt>, was die Lehrbücher von dem, was es gibt, herauszustellen scheinen, ich spreche von den Lehrbüchern für Literatur, nämlich dass die Literatur eine Resteverwertung ist. Geht es bei ihr darum, im Geschriebenen das zu ko-notieren, was ursprünglich zunächst Gesang wäre, gesprochener Mythos, Dramenprozession?
Was die Psychoanalyse angeht, dass sie an Ödipus anschließt, an den Ödipus des Mythos, qualifiziert sie in keiner Weise dazu, mit dem Text des Sophokles zurechtzukommen, das ist nicht dasselbe. Dass Freud sich auf einen Text von Dostojewski bezieht, reicht nicht hin, um zu sagen, die Textkritik, bis dahin Domäne des Universitätsdiskurses, habe durch die Psychoanalyse frischen Wind bekommen.
Wenn mein Unterricht jedoch in einer Veränderung der Konfiguration stattfindet, die sich gegenwärtig, unter Farben von Aktualität, die sich gegenwärtig mit der Parole präsentiert, das Geschriebene zu fördern --; aber die Veränderung, die etwa dadurch bezeugt wird, dass heute endlich Rabelais gelesen wird, zeigt, dass sie vielleicht auf einer Verschiebung im Bereich der Literatur beruht, mit der ich besser zusammengehe.
Als Autor bin ich weniger involviert als man sich vorstellt. Meine Schriften, ein Titel, der ironischer ist, als man glaubt, da es sich alles in allem entweder um Berichte handelt, die sich auf Kongresse beziehen, oder – sagen wir, ich hätte gern, dass man sie so versteht – um offene Briefe (lettres ouvertes), in denen ich sicherlich jedes Mal einen Luftstrom meines Unterrichts zur Sprache bringe. Aber letztlich gibt das den Ton dafür an. |[115] Statt mich jedoch auf das literarische Geschmuse einzulassen, das den Psychoanalytiker kennzeichnet, dem es an Erfindungsgabe mangelt, prangere ich dort den unübersehbaren Versuch an, die Unzulänglichkeit seiner Praxis bei der Begründung des geringsten literarischen Urteils zu demonstrieren.
Es fällt jedoch auf, dass ich die Sammlung meiner Schriften mit einem Artikel eröffnet habe, den ich dadurch abhebe, dass ich ihn aus ihrer Chronologie herausnehme – die Chronologie ist hier die Regel –, und dass es sich dabei um eine Erzählung handelt, die selbst insofern recht speziell ist, wie man sagen muss, als sie in der geordneten Liste dramatischer Situationen – Sie wissen, dass man so etwas erstellt hat – nicht unterzubringen ist. Aber lassen wir das.
Sie, diese Erzählung, wird durch das bestimmt, was durch das Versenden eines Schreibens geschieht, mit wessen Wissen seine Nachsendungen erfolgen und auf welche Bedingungen sich stützt, dass ich über diese Letter sagen kann, dass ich über sie sagen kann, dass eine Letter – ein Brief, ein Buchstabe – immer ihren Bestimmungsort erreicht, und dies nach den Umwegen, der sie in der conte, in der Erzählung, unterworfen wurde; le compte, die Rechnung, wenn ich so sagen kann, wird ohne Rückgriff auf seinen contenu, seinen Inhalt, aufgemacht, auf den Inhalt des Briefs. Das ist bemerkenswert an der Wirkung, die er auf diejenigen ausübt, die sich nacheinander zu seinen Besitzern machen, so begierig sie auf die Macht, die er überträgt, auch sein mögen, sodass man hier, wie ich es tue, behaupten kann, dass dieser Illusionseffekt nur als ein Feminisierungseffekt artikuliert werden kann. Das heißt – bitte entschuldigen Sie, dass ich darauf zurückkomme –, hier ist die Letter klar vom Herrensignifikanten zu unterscheiden – ich spreche über das, was ich tue –, insofern sie ihn hier mit sich führt, sie führt ihn in ihrem Umschlag mit, denn es handelt sich um eine Letter im Sinne des Wortes Brief. Nun behaupte ich aber, dass ich hier von dem Wort lettre keinen metaphorischen Gebrauch mache, da die Erzählung eben darin besteht, dass in ihr, wie in einer Taschenspielerei, die Botschaft zum Verschwinden gebracht wird, wobei es allein das Geschriebene ist, also der Buchstabe im eigentlichen Sinne, was die Wendepunkte herbeiführt.
Falls meine Kritik Anlass gibt, für Literaturkritik gehalten zu werden, hätte sie sich hier also nur auf das bezogen – und das versuche ich –, was Poe selbst als Schriftsteller getan hat, um eine solche Botschaft über den Buchstaben zu gestalten. Klar ist: wenn er es nicht so sagt, nicht so wie ich es sage, ist das nicht unzureichend, es ist umso strenger, als er es eingesteht.
Nichtsdestoweniger, die Elision, die Elision seiner Botschaft könnte nicht durch irgendeinen Zug seiner Psychobiografie aufgeklärt werden, eher würde sie, diese Elision, dadurch verschüttet werden; eine Psychoanalytikerin, die die anderen Texte von Poe, man erinnert sich vielleicht daran, gründlich abgeschrubbt hat, steigt hier mit ihrem Putzlappen aus – sie rührt nicht dran, die Marie. |[116] So viel zum Text von Poe.
Was aber meinen eigenen Text angeht, könnte er nicht durch meine eigene Psychobiografie aufgeschlüsselt werden? Etwa durch den Wunsch, den ich gebildet hätte, eines Tages auf angemessene Weise gelesen zu werden? Damit das jedoch einen Wert hätte, wäre es zunächst einmal nötig, dass man ausführt --, dass derjenige, der eine solche Deutung entwickeln würde, ausführt, was ich darunter verstehe, dass der Brief/Buchstabe dazu gelangt, dass er, wie ich sage, stets seinen Bestimmungsort erreicht. Das ist möglicherweise der Punkt, wo ich den Verehrern der Schrift im Augenblick nahestehe.
Dass die Psychoanalyse hier wie üblich von der Literatur etwas empfängt, ist sicher; sie könnte von ihr zunächst das Samenkorn nehmen, das in einer weniger psychobiografischen Vorstellung von der Triebfeder der Verdrängung bestünde.
Was mich angeht, wenn ich der Psychoanalyse den Text von Poe vorschlage, mitsamt dem, was dahinterliegt, dann eben deshalb, weil sie ihn nur in der Weise angehen kann, dass sie hierbei ihr Scheitern zeigt. Damit kläre ich sie auf, die Psychoanalyse. Und man weiß es, man weiß, dass ich weiß, dass ich damit – das steht auf dem Rückdeckel meines Bandes – die Aufklärung anrufe. Ich kläre sie jedoch auf, indem ich demonstriere, wo sie, die Psychoanalyse, Loch macht. Daran ist nichts Illegitimes, das hat bereits Früchte getragen; in der Optik weiß man das seit langem, und die neueste Physik, die des Photons, hat sich damit ausgerüstet. Mit dieser Methode könnte die Psychoanalyse ihr Eindringen in die Literaturkritik besser begründen. Das hieße, dass die Literaturkritik dazu käme, sich tatsächlich zu erneuern, von daher, dass die Psychoanalyse dazu da wäre, dass die Texte sich an ihr messen, genau von daher, dass das Rätsel auf der Seite der Psychoanalyse bliebe, dass sie sprachlos wäre.
Diejenigen Psychoanalytiker jedoch, bei denen es keine Verleumdung ist, zu behaupten, dass sie, statt die Psychoanalyse auszuüben, von ihr ausgeübt werden, verstehen meine Behauptungen schlecht, zumindest als Körperschaft genommen. An sie gewendet setze ich Wahrheit und Wissen einander entgegen. Erstere ist das, worin sie ihr Amt sogleich erkennen, wohingegen, auf der Anklagebank, es ihre Wahrheit ist, die ich erwarte. Ich beharre darauf – um meinen Schuss damit zu korrigieren –, dass ich sage, savoir en échec, „Wissen in Schwierigkeiten / im Schach“, das ist das, wo die Psychoanalyse sich von ihrer besten Seite zeigt. Savoir en échec‚ „Wissen in Schwierigkeiten / im Schach“ – so wie man sagt figure en abyme, „Figur am Abgrund“, Figur, die sich in sich selbst wiederholt –, damit ist nicht das Scheitern des Wissens gemeint. Und sogleich erfahre ich, dass man sich davon dispensiert glaubt, irgendein Wissen unter Beweis zu stellen.
Sollte es ein toter Buchstabe sein, den ich in den Titel eines dieser Stücke gesetzt habe, die ich Schriften genannt habe, über den Buchstabens, über das Drängen als Grund, als Räson des Unbewussten? Genügt das nicht, um im Buchstaben das zu bezeichnen, was, da es ja insistieren muss, nicht mit vollem Recht da ist, mit wie starker Räson auch immer es sich vorbringt?
Diese raison, dieses Verhältnis, als raison moyenne oder raison extrême zu bezeichnen, als mittlere oder äußere Proportion, das heißt, wie ich es bei Gelegenheit bereits getan habe, die |[117] Zweiteilung zu zeigen, in der jede Messung sich vollzieht.
Gibt es aber im Realen nichts, das ohne diese Vermittlung auskommt?
Das könnte die Grenze sein, la frontière. Die Grenze, insofern sie zwei Territorien voneinander trennt, hat nur einen Fehler, der jedoch ist beträchtlich: sie symbolisiert, dass sie von derselben Sorte sind, wenn ich so sagen darf, jedenfalls für denjenigen, der sie überschreitet. Ich weiß nicht, ob Sie sich damit befasst haben, aber das ist das Prinzip, von dem aus ein gewisser von Uexküll eines Tages den Ausdruck Umwelt* fabriziert hat. Das beruht auf dem Prinzip, dass sie der Reflex der Innenwelt* ist. Damit wird die Grenze zur Ideologie erhoben. Dieser Ausgangspunkt ist natürlich ein Ärgernis, eine Biologie – denn es war eine Biologie, die er, von Uexküll, damit begründen wollte –, eine Biologie, die sich bereits ganz zu Anfang insbesondere die Tatsache der Anpassung einhandelt, die für die Kopplung von Umwelt* und Innenwelt* den Hintergrund abgibt. Offenkundig ist die Selektion, die Selektion als Typ von Ideologie, auch nicht besser; wenn sie sich selbst als natürlich absegnet, ist sie darum nicht weniger ideologisch.
Ich möchte Ihnen etwas vorschlagen, einfach so, ganz brutal, um an a letter, a litter anzuschließen.
Ich möchte Ihnen sagen: Ist der Buchstabe nicht das Buchstäbliche, das auf das Litoral zu gründen ist? Denn das ist etwas anderes als eine Grenze; im Übrigen haben Sie feststellen können, dass man das nie verwechselt. Das Litoral ist das, was einen Bereich setzt, sodass es in seiner Gänze für einen anderen Bereich eine, wenn Sie so wollen, Grenze bildet, derart jedoch, dass sie absolut nichts Gemeinsames haben, nicht einmal eine reziproke Beziehung.
Ist der Buchstabe nicht eigentlich litoral? der Rand (bord) des Lochs im Wissen, das die Psychoanalyse genau dann bezeichnet, wenn sie den Buchstaben zum Thema macht (aborde); ist es nicht das, was sie bezeichnet?
Es hat etwas Komisches, festzustellen, wie die Psychoanalyse sich gewissermaßen durch ihre eigene Bewegung verpflichtet, den Sinn dessen zu verkennen, was jedoch, so muss man sagen, der Buchstabe buchstäblich sagt, mit ihrem Mund, wenn all ihre Deutungen auf die Jouissance hinauslaufen. Zwischen Jouissance und Wissen würde der Buchstabe das Litoral bilden.
All das verhindert nicht, dass das, was ich über das Unbewusste gesagt habe, wenn wir dabei bleiben, dass es gleichwohl den Vorrang hat, ohne welchen das, was ich vorbringe, überhaupt keinen Sinn hätte. Es bleibt herauszufinden, wie das Unbewusste – von dem ich sage, dass es eine Wirkung von Sprache (langage) ist, da es deren Struktur als notwendig und hinreichend voraussetzt –, wie es die Funktion des Buchstabens bestimmt.
Dass er ein für das Aufschreiben des Diskurses geeignetes Werkzeug ist, macht ihn keineswegs untauglich, dem zu dienen, was ich damit mache, wenn ich ihn beispielsweise in Das Drängen des |[118] Buchstabens, worüber ich vorhin zu Ihnen gesprochen habe, verwende, um jenes Spiel zu zeigen, das jemand, nämlich Jean Tardieu, so nennt: das Wort, das für ein anderes genommen wird, ja, das Wort, das durch ein anderes genommen wird, anders gesagt: Metapher und Metonymie als Wirkungen des Satzes. Das symbolisiert also mühelos all seine Signifikanteneffekte, aber das nötigt keineswegs dazu, dass er, der Buchstabe, bei eben den Effekten, für die er mir als Werkzeug dient, primär wäre. Eine Überprüfung nötigt sich weniger hinsichtlich dieses Primats auf, das nicht einmal zu vermuten ist, sondern in Bezug auf das, was in der Sprache das Litorale dem Literalen zuweist. Nichts von dem, was ich mithilfe von Buchstaben von den Bildungen des Unbewussten aufgeschrieben habe, um sie aus dem zu bergen, was Freud darüber formuliert, aus Aussagen, einfacher gesagt aus sprachlichen Tatsachen, nichts gestattet es, wie es geschehen ist, den Buchstaben mit dem Signifikanten zusammenzuwerfen. Was ich mithilfe von Buchstaben über die Bildungen des Unbewussten aufgeschrieben habe, autorisiert nicht dazu, aus dem Buchstaben einen Signifikanten zu machen und ihm darüber hinaus einen Primat gegenüber dem Signifikanten zuzuweisen.
Ein solcher Verwirrung stiftender Diskurs hat nur aus dem Diskurs entstehen können, qui m’importe, der mir wichtig ist. Und der mich in einen anderen Diskurs importiert, den ich zu gegebener Zeit als Universitätsdiskurs bezeichne, nämlich, wie ich seit anderthalb Jahren hinreichend, so denke ich, herausgestellt habe, nämlich als Diskurs des Wissens, das ausgehend vom semblant, vom Schein, in Gebrauch genommen wird. Das geringste Gefühl dafür, dass die Erfahrung, der ich mich aussetze, nur durch einen anderen Diskurs als jenen verortet werden kann --; ich hätte es behalten sollen, das Produkt dieses Diskurses, dessen, was ich dann nicht mehr bezeichne, ohne es als von mir einzubekennen. Man hat mir das, Gott sei Dank, erspart, was nicht verhindert, dass man mich belästigt (m’importune), indem man mich in die eben genannte Richtung importiert (m’importe).
Auch wenn ich die Modelle akzeptabel gefunden hätte, die Freud in einem Entwurf artikuliert, in dem er die Bahnung beschreibt, das Ausbohren ungenauer Wege, hätte ich daraus dennoch nicht die Metapher der Schrift übernommen. Und es ist genau dieser Punkt, an dem ich den Entwurf nicht akzeptabel finde. Die Schrift ist nicht impression, nicht Einprägung, auch wenn das allem zuwiderläuft, was an Blabla über den berühmten Wunderblock* geschrieben wurde.
Was ich aus dem sogenannten zweiundfünfzigsten Brief herausziehe, ist, dass ich darin lese, was Freud mit einem von ihm gebildeten Ausdruck nur als Wz bezeichnen konnte, als Wahrnehmungszeichen*, und dass ich feststelle, dass es das ist, was er als etwas finden konnte, das dem Signifikanten am nächsten kommt, zu einem Zeitpunkt, als Saussure ihn noch nicht wieder zu Tage gefördert hatte, diesen berühmten Signifikanten, der allerdings nicht auf ihn zurückgeht, sondern auf die Stoiker. Dass Freud ihn da mit zwei Buchstaben schreibt, so wie |[119] ich ihn übrigens mit nur einem schreibe, beweist in keiner Weise, dass der Buchstabe primär wäre.
Heute möchte ich also versuchen, Ihnen den Kern dessen anzuzeigen, was, wie mir scheint, den Buchstaben als Konsequenz hervorbringt, sowie den Kern der Sprache, genau gesagt von dem, dass ich sage, dass derjenige, der spricht, sie bewohnt. Ich werde die entsprechenden Züge dem entlehnen, was es von einer Ökonomie der Sprache her gestattet, das zu umreißen, wodurch meines Erachtens befördert wird, dass Literatur dabei sein könnte, sich in Lituraterre zu verwandeln. Wundern Sie sich nicht, wenn Sie sehen, wie ich dabei eine literarische Beweisführung vornehme, denn das heißt, im gleichen Schritt zu gehen wie dem, in dem die Frage selbst vorankommt. Dabei wird sich zeigen, was eine Beweisführung, die ich als literarisch bezeichne, sein kann. Ich bin immer kurz davor, warum sollte ich mich nicht dieses Mal hineinstürzen?
Ich komme von einer Reise nach Japan zurück, auf die ich mich gefreut hatte, von dem her, was ich auf einer ersten Reise an Litoralem erfahren hatte. Man kann mich von dem her verstehen, was ich vorhin über die Umwelt* gesagt habe, die ich eben deshalb zurückgewiesen habe, weil sie die Reise unmöglich macht, was, wenn Sie sich an meine Formeln halten, hieße, ihr Reales zu sichern. Nur ist das verfrüht, es ist der Aufbruch, der dadurch unmöglich wird, außer dass „fort nun, fort nun“ gesungen wird, was übrigens häufig vorkommt.
Ich möchte nur einen Moment dieser Reise festhalten, einen, den ich zufällig wo erfasst habe? Auf einer neuen Route, die ich einfach deshalb genommen habe, weil sie, als ich das erste Mal dorthin flog, schlicht verboten war. Ich muss gestehen, es war nicht auf dem Hinflug, entlang des Polarkreises, den diese Route dem Flugzeug vorzeichnet, dass ich etwas las, und zwar was? das, was ich von der sibirischen Ebene sah.
Ich bin dabei, Ihnen einen Versuch in Sibiriethik zu machen. Dieser Versuch hätte nicht das Licht der Welt erblickt, wenn das Misstrauen der Sowjets – nicht mir gegenüber, sondern Flugzeugen gegenüber – mich die Industrieanlagen und die militärischen Einrichtungen hätte sehen lassen, die den Wert Sibiriens ausmachen. Aber schließlich ist dieses Misstrauen eine Bedingung, die wir als akzidentell bezeichnen möchten, warum nicht gar als okzidentell, wenn man hier ein bisschen occire hineinlegt, „töten“. Was vor uns liegt, ist die Aufschichtung von Südsibirien.
Die einzige entscheidende Bedingung ist hier die Bedingung des Litorals. Für mich, da ich etwas dickfellig bin, kam sie erst auf dem Rückflug ins Spiel, da sie buchstäblich darin bestand, dass Japan mir mit seinem Buchstaben sicherlich dieses klein wenig Zuviel an Kitzel verschafft hatte, was genau das ist, was es braucht, |[120] damit ich ihn wieder spüre. Ich sage, dass ich ihn wieder spüre, weil ich das natürlich, um ihn zu erfassen, um ihn vorauszusehen, bereits hier getan hatte, als ich Ihnen ein wenig über die japanische Sprache erzählte, über das, wodurch diese Sprache eigentlich affiziert wird, nämlich durch die Schrift; ich habe Ihnen das bereits gesagt.
Dafür war es wohl nötig, für dieses klein wenig Zuviel, war es nötig, dass das, was man Kunst nennt, etwas repräsentiert. Das liegt daran, dass die japanische Malerei hier ihre Ehe mit dem Buchstaben demonstriert und dies eben in Gestalt der Kalligrafie. Das fasziniert mich, diese Sachen, die hängen, kakemono, so brabbelt man das, diese Sachen, die dort an jeder Museumswand hängen und die mit Schriftzeichen bedeckt sind, mit chinesisch gebildeten, was ich ein wenig, sehr wenig, kenne, die es mir aber, so wenig ich sie auch kenne, zu ermessen erlauben, was davon in der Kursivschrift getilgt ist, in der das Singuläre der Hand das Universale erdrückt, also eigentlich das, worüber ich Sie lehre, dass es nur vom Signifikanten her Geltung hat. Zu Ihrer Erinnerung: ein Strich, der immer vertikal ist, das ist auch dann wahr, wenn es keinen Strich gibt. Also in der Kursivschrift erkenne ich, da ich Anfänger bin, das [Kanji-]Schriftzeichen nicht wieder, das ist jedoch nicht das Wichtige. Denn durch das, was ich das Singuläre nenne, kann eine festere Form gestützt werden.
Wichtig ist, was es hier hinzufügt, nämlich eine Dimension – oder auch, ich habe Ihnen ja beigebracht, damit zu spielen, eine demansion –, wo das wohnt, was ich für Sie bereits in der letzten oder vorletzten Seminarsitzung, glaube ich, eingeführt habe, ein Wort, das ich, um mich zu amüsieren, als nichmeerallzainz schreibe. Das ist die Dimension, von der Sie wissen, dass sie es mir erlaubt – man könnte gut auch sagen, von Peanos kleinem Mathematikspiel her usw. und von daher, wie Frege vorgehen muss, um die Reihe der „natürlichen“ Zahlen, in Anführungszeichen, auf die Logik zurückzuführen –, diejenige Dimension also, deren Sujet ich in dem einsetzte, was ich heute noch so nennen werde (ich schreibe es – da ich Literatur mache und, wie Sie gleich erkennen werden, gute Laune habe – in einer anderen Form als dieser: das Ainz-Meer. Das ist sehr nützlich, nicht wahr, das setzt sich an die Stelle dessen, was ich l’Achose nenne, mit großem A, das Unding, und damit wird sie verstopft, die Achose, durch das klein a. Es ist vielleicht kein Zufall, dass es so, wie ich es bezeichne, auf einen Buchstaben reduziert werden kann.
Auf der Ebene der Kalligrafie ist es dieser Buchstabe, der den Einsatz einer Wette ausmacht, einer Wette, und zwar welcher? einer Wette, die mit Tinte und Pinsel gewonnen wird.
So also erschien mir unbezwinglich – unter einem Umstand, der hier festzuhalten ist, nämlich von zwischen den Wolken her –, erschien mir das auf der Oberfläche abfließende Wasser, einzige erscheinende Spur dessen, was dort, in diesen Breiten, die Oberflächengestalt mehr noch erzeugt als anzeigt, |[121] das Relief dessen, was man die sibirische Ebene nennt, eine nun wirklich im strengen Sinne verlassene Ebene, verlassen von jeder Vegetation, außer einem leuchtenden Glanz, der das, was nicht schimmert, in den Schatten stößt, dem Glanz des abfließenden Wassers.
Was ist das, das Abfließen? Eine Bündelung. Das stellt eine Bündelung her, nämlich das, was ich an anderer Stelle so unterschieden habe: als ersten trait – als ersten Zug oder Strich – und als das, was ihn auslöscht. Ich habe es bereits früher gesagt, aber man vergisst immer einen Teil der Sache, im Hinblick auf den unären Zug habe ich gesagt: das, wodurch das Subjekt sich bezeichnet, ist das Auslöschen des Zugs. Das wird also in zwei Schritten markiert, sodass sich das, was Streichung (rature) ist, darin unterscheidet.
Litura – Lituraterre: Ausstreichung jeglicher Spur, die zuvor da war, das ist das, was den Boden (terre) des Litorals ausmacht. Reine litura, das ist Literales, Buchstäbliches.
Diese Ausstreichung zu reproduzieren, heißt, jene Hälfte zu reproduzieren, von der her das Subjekt Bestand hat. Diejenigen, die schon länger dabei sind – davon muss es immer weniger geben –, müssen sich an das erinnern, was ich mal über die Abenteuer eines halben Huhns erzählt habe.
Die definitive Streichung zu produzieren, eben darin besteht die Leistung der Kalligrafie. Sie können immer versuchen, einfach das zu tun, was ich nicht tun werde, da es mir misslingen wird – zunächst einmal, weil ich keinen Pinsel habe –, Sie können versuchen, diesen waagerechten, von links nach rechts gezogenen Balken zu zeichnen, um durch einen trait, einen Strich, das unäre Eins als Schriftzeichen bildlich darzustellen. Offen gesagt, Sie werden sehr lange brauchen, um herauszufinden, durch welche Streichung das in Angriff genommen wird und bei welcher Spannung es zu einem Halt kommt, derart, dass das, was Sie tun werden, erbärmlich sein wird; für einen Verwesteten ist das hoffnungslos. Man braucht hier eine andere Abfolge, die man nur erreicht, wenn man sich von allem löst, was einen durchstreicht, was immer das sein mag.
Zwischen Zentrum und Abwesenheit, zwischen Wissen und Jouissance, liegt das Litoral, das nur dann zum Literalen abbiegt, zum Buchstäblichen, wenn Sie in der Lage sind, jederzeit dieselbe Kurve zu nehmen. Dies allein ermöglicht es Ihnen, sich für einen Agenten zu halten, der es unterstützt.
Was sich in meiner Vision des Fließens offenbart, insofern es das Ausstreichen bestimmt, ist dies, dass sie, indem sie sich zwischen den Wolken herstellt, sich mit seiner Quelle verbindet. Ruft mich Aristophanes doch dazu auf, in den Wolken das zu finden, worum es beim Signifikanten geht, nämlich um den Schein (semblant) par excellence, wenn es durch sein Zerbersten dazu kommt, dass daraus die Wirkung dessen regnet, was daraus herabstürzt und was darin Materie im Schwebezustand war.
Man muss sagen, dass die japanische Malerei, über die ich Ihnen gerade gesagt habe, dass sie sich so gut mit Kalligrafie verbindet, voll davon ist und dass die Wolke |[122] hier keineswegs fehlt. Von dort aus, wo ich zu jener Stunde war, habe ich wirklich gut verstanden, welche Funktion diese Gold-Wolken hatten, die buchstäblich einen ganzen Teil der Szenen verstopfen und verbergen, an Orten --, bei denen es um Sachen geht, die in einer anderen Richtung ausgerollt werden, man nennt sie Emakimono, und welche die Aufteilung der kleinen Szenen bestimmen. Warum? Wie kann es sein, dass diese Leute, die zeichnen können, das Bedürfnis verspüren, sie mit diesen Wolkenmassen zu durchsetzen, wenn nicht genau deshalb, weil dies die Dimension des Signifikanten in sie einführt?
Der Buchstabe, der eine Ausstreichung vollzieht, zeichnet sich dadurch aus, dass er Bruch ist, nämlich mit dem Schein, ein Bruch der das auflöst, was Gestalt, Phänomen, Meteor war. Das ist das – ich habe es bereits gesagt –, was die Wissenschaft zu Beginn auf spürbarste Weise an den wahrnehmbaren Gestalten vornimmt.
Aber zugleich muss es auch sein, dass es darum geht, davon das zu verabschieden, was durch dieses Zerbersten Jouissance hervorriefe, das heißt daraus das zu vertreiben, was sie – um mich so über die Jouissance auszudrücken – von dieser Hypothese stützt, durch welche insgesamt die Welt wird. Denn die Idee der Welt, das ist dies: zu denken, sie bestehe aus Trieben, derart, dass von daher auch das Leben vorgestellt wird.
Nun, was an Jouissance evoziert wird, wenn ein Schein zerbricht, das ist das, was sich im Realen – das ist hier der wichtige Punkt: im Realen – als Bildung von Erosionsrinnen darstellt. Damit wird Ihnen definiert, inwiefern die Schrift im Realen die Rinne des Signifikats genannt werden kann, also das, was an Schein geregnet ist / gefallen hat, insofern es das ist, wodurch das Signifikat gebildet wird. Die Schrift gibt nicht den Signifikanten wieder, sie geht zu ihm nur zurück, um Namen zu nehmen, doch genau auf dieselbe Weise, wie es allen Dingen zustößt, die die Signifikantenbatterie benennt, nachdem sie sie aufgezählt hat.
Da ich mir natürlich nicht sicher bin, dass mein gesamte Rede verstanden wird, wird es wohl nötig sein, dass ich einen Gegensatz fixiere: Die Schrift, der Buchstabe, das ist im Realen, und der Signifikant im Symbolischen. Auf diese Weise werden Sie das runterbeten können. Gut.
Ich komme auf einen späteren Moment im Flugzeug zurück, so werden wir ein bisschen weiterkommen; ich habe Ihnen gesagt, es war auf der Rückreise.
Nun, was dabei auffällt, ist, sie erscheinen zu sehen: es gibt weitere Spuren/Trassen, von denen man sieht, dass sie sich in Isobaren [sic] halten, nur helfen sie sich hin und wieder mit einer Aufschüttung. Also im Großen und Ganzen Isobaren; das macht sie zu Normalen gegenüber denen, bei denen ein Gefälle der Oberfläche, das man als die stärkste bezeichnen kann, sich durch Kurven abzeichnet. Da, wo ich war, war das sehr klar.
Bereits in Osaka hatte ich gesehen, wie die |[123] Autobahnen vom Himmel herabzukommen schienen, nur dort konnten sie so angeordnet werden, übereinander. Es gibt eine bestimmte japanische Architektur, die modernste, die sehr die alte wiederzufinden weiß. Die japanische Architektur, das besteht wesentlich im Schlagen eines Vogelflügels.
Das hat mir geholfen, zu begreifen und sofort zu sehen, dass der kürzeste Weg von einem Punkt zum anderen sich nie jemandem gezeigt hätte, wenn es nicht die Wolke gäbe. Wie wird eine Straße gebaut? Nie folgt jemand der geraden Linie, weder der Mensch noch die Amöbe, noch die Fliege, noch der Ast, noch sonst etwas. Den neuesten Nachrichten zufolge weiß man, dass auch der Lichtstrahl ihr nicht folgt, in völliger Übereinstimmung mit der Krümmung des Universums. Die Gerade darin, das schreibt dennoch etwas ein, das trägt den Abstand ein, und der Abstand – siehe die Newton’schen Gesetze – ist absolut nichts anderes als Wirkfaktor in einer Dynamik, die wir kaskadenartig nennen möchten; das ist das, was dazu führt, dass alles, was fällt, einer Parabel folgt. Eine Gerade gibt es also nur durch Schrift und eine Vermessung nur durch den Himmel. Und beide als solche sind, um die Gerade zu stützen, beide als solche sind Artefakte, insofern sie nur die Sprache bewohnen. Man sollte dennoch nicht vergessen, unsere Wissenschaft funktioniert nur durch ein Fließen von kleinen Buchstaben und kombinierten Diagrammen.
Sous le pont Mirabeau, Unter der Mirabeau-Brücke, sicherlich, wie unter der einer Zeitschrift, die meine war, da, wo ich als Aushängeschild eine Ohrenbrücke angebracht hatte, Horus Apollo entnommen, Unter der Mirabeau-Brücke fließt die Ur-Seine. Das ist eine Szene von der Art – vergessen Sie das nicht, wenn Sie Freud wiederlesen –, dass darin die römische V der fünften Stunde schlagen kann, das steht im Wolfsmann. Man genießt das aber auch nur, wenn die Deutung darauf regnet.
Dass das Symptom die Ordnung stiftet, von der her sich unsere Politik erweist, das ist der Schritt, den sie getan hat. Er impliziert andererseits, dass alles, was von dieser Ordnung artikuliert wird, einer Deutung unterzogen werden kann. Deshalb hat man durchaus recht, wenn man die Psychoanalyse der Politik voranstellt. Und es könnte nicht ganz einfach sein, was die Politik angeht und wegen all dem, was in ihr geschieht, wenn die Psychoanalyse sich als beschlagener erwiese.
Es würde also vielleicht genügen – um unsere Hoffnung auf anderes zu setzen –, was die Literaten tun, falls ich sie zu meinen Gefährten machen kann, es würde also genügen, wenn wir aus der Schrift einen anderen Nutzen zögen als den der Tribüne oder des Tribunals, damit darin andere Worte ins Spiel kommen, indem wir den Tribut an uns selbst entrichten.
[124] Ich habe es gesagt, und ich vergesse es niemals, es gibt keine Metasprache; jede Logik ist verfälscht, wenn sie , wie sie es bis heute unweigerlich tut, von der Objektsprache ausgeht. Es gibt also keine Metasprache, aber das Geschriebene, das aus der Sprache verfertigt wird, könnte vielleicht Material sein, das die Kraft hätte, dass sich darin unsere Behauptungen ändern. Ich sehe keine andere Hoffnung als das, was sich gegenwärtig zuspitzt.
Ist es also möglich, aus dem Litoral einen Diskurs zu bilden, der dadurch gekennzeichnet ist – wie ich in diesem Jahr die Frage stelle –, dass er nicht vom Schein ausgeht? Das ist offenkundig die Frage, die man sich in der sogenannten Avantgarde-Literatur stellt, die selbst eine Sache des Litorals ist und sich daher nicht auf den Schein stützt, die jedoch nichts beweist, außer, dass sie den Bruch anzeigt, den einzig ein Diskurs produzieren kann – ich sage produzieren, mit Produktionswirkung hervorbringen, das ist das Schema meiner Quadripoden des letzten Jahres.
Was eine Literatur in ihrem Ehrgeiz zu beanspruchen scheint ist etwas, das ich als lituraterrir festmache – als Betreten von Lituraterrain, als Landen der Streichung –, nämlich sich von einer Bewegung her zu ordnen, die sie wissenschaftlich nennt. Und es ist eine Tatsache, dass in der Wissenschaft die Schrift Wunder gewirkt hat, und dieses Wunder ist nicht dabei zu versiegen. Die Wissenschaft der Physik wird jedoch dazu gebracht oder dazu gebracht werden, in den Tatsachen das Symptom zu bedenken, aufgrund der Verschmutzung – es gibt Leute, Wissenschaftler, die dafür sensibel sind –, aufgrund der Verschmutzung dessen, was man, vom Terrestrischen, ohne weitere Kritik Umwelt nennt. Das ist die Idee von Uexküll: Umwelt*, jedoch behaviorisiert, das heißt völlig verblödet.
Um selbst zu lituraterren (lituraterrir), möchte ich wieder von der Rinnenbildung ausgehen, das ist zwar ein Bild, aber keine Metapher: die Schrift ist diese Rinne. Was ich dort geschrieben habe, ist darin enthalten, und wenn ich von Jouissance spreche, berufe ich mich zu Recht auf das, was ich an Zuhörern ansammle, und natürlich nicht weniger auf das, dessen ich mich beraube. Das hält mich auf Trab, ihr Andrang. Die Rinne, ich habe sie vorbereitet.
Dass in der japanischen Sprache, um darauf zurückzukommen, ein Schrifteffekt enthalten ist, daran ist das Wichtige das, was uns hier eine Ressource bietet, um für lituraterrir – für das Betreten von Lituraterrain, für das Landen der Streichung – ein Beispiel zu geben. Das Wichtige ist, dass der Schrifteffekt an die Schrift gebunden bleibt, dass der Träger des Schrifteffekts hier eine spezielle Schrift ist, insofern diese spezielle Schrift im Japanischen mit zwei verschiedenen Aussprachen gelesen werden kann, in on’yomi – ich bin nicht dabei Ihnen Staub in die Augen zu werfen […] –, on’yomi, so nennt sich das, das ist ihre Aussprache als Schriftzeichen, |[125] als Schriftzeichen, das auf besondere Weise ausgesprochen wird, und in kun’yomi, da wird es so ausgesprochen, wie man auf Japanisch sagt, was das Schriftzeichen bedeutet.
Sie werden sich natürlich gewaltig vertun, das heißt, unter dem Vorwand, dass das Schriftzeichen Buchstabe ist, werden Sie glauben, ich sei dabei zu behaupten, dass im Japanischen die Trümmer des Signifikanten zum Fluss des Signifikats hinunterströmen. Es ist der Buchstabe, nicht das Zeichen, was hier die Stütze des Signifikanten bildet, jedoch, wie beliebiges anderes, dem Gesetz der Metapher folgend, bei dem ich die letzten Male daran erinnert habe, dass es das Wesen der Sprache ausmacht. Es immer von anderswo her als von dort, wo sie, die Sprache, ist, nämlich vom Diskurs her, dass sie, was immer es sei, im Netz des Signifikanten fängt, und also die Schrift selbst.
Nur wird die Schrift von dort aus in die Funktion eines so wesentlichen Referenten aller Dinge befördert, und das verändert den Status des Subjekts. Von daher kommt es, dass es sich für seine fundamentale Identifizierung auf einen konstellierten Himmel stützt und nicht nur auf den unären Zug.
Nun gibt es aber zu viele davon; zu viele Stützen, das ist dasselbe wie keine zu haben. Deshalb stützt es sich auf etwas anderes, auf das Du. Im Japanischen ist es so, dass man bei der kleinsten Aussage sämtliche grammatischen Formen sieht; wenn man etwas sagen will, einfach so, was auch immer, gibt es mehr oder weniger höfliche Arten, es zu sagen, je nachdem, wie ich es in das Du impliziere. Ich impliziere es, wenn ich Japaner bin; wenn ich kein Japaner bin, tue ich das nicht, es würde mich ermüden. Wenn Sie könnten – Japanisch zu lernen, ist wirklich in Reichweite eines jeden –, wenn Sie gesehen haben werden, dass die kleinste Sache bestimmten Variationen der Aussage unterworfen ist, und zwar Variationen von Höflichkeit, dann werden Sie etwas gelernt haben, Sie werden gelernt haben, dass im Japanischen die Wahrheit die Fiktionsstruktur, die ich darin bezeichne, verstärkt, eben dadurch, dass sie die Gesetze der Höflichkeit hinzufügt.
Eigenartigerweise scheint dies zu dem Ergebnis zu führen, dass vom Verdrängten nichts abzuwehren ist, da es dem Verdrängten gelingt, sich durch diesen Bezug auf den Buchstaben unterzubringen. Mit anderen Worten, das Subjekt ist wie überall durch die Sprache gespalten, aber eines seiner Register kann sich mit dem Bezug auf die Schrift zufrieden geben und das andere mit der Ausübung des Sprechens.
Das war es wohl, was meinem lieben Freund Roland Barthes das berauschte Gefühl gab, dass das japanische Subjekt mit all seinen guten Manieren en bloc nichts macht.
Zumindest sagt er das in einem Buch, das ich Ihnen empfehle, denn es ist ein sensationelles Werk, Das Reich der Zeichen, |[126] so betitelt er das. Bei den Titeln macht man von den Termini oftmals einen unpassenden Gebrauch; naja, das macht man für die Verleger. Damit will er offenkundig sagen, dies ist l’empire des semblants, das Reich der Formen des Scheins; man braucht nur den Text zu lesen, um das wahrzunehmen.
Nun, der Japaner, der mythische, der kleine Normal-Japaner, findet es, so wurde mir gesagt, schlecht, so habe ich zumindest dort gehört. Und tatsächlich, wie hervorragend Roland Barthes es auch geschrieben haben mag, möchte ich ihm doch entgegenhalten, was ich heute sage, nämlich dass sich nichts von der durch die Schrift ausgehöhlten Leere stärker unterscheidet als der Schein, und dies zunächst darin, als er der erste der Näpfe ist, stets bereit, die Jouissance in Empfang zu nehmen oder sie mit seinem Kunstgriff zumindest aufzurufen.
Unseren Gewohnheiten nach kommuniziert nichts von sich weniger als ein solches Subjekt, das letztlich nichts verbirgt, das uns nur zu manipulieren hat, und ich versichere Ihnen, dass es sich das nicht nehmen lässt. Das war für mich eine Wonne, denn letztlich verehre ich das. In dem Zeremoniell, in dem das Subjekt eben daraus besteht (se compose), dass es zerlegt (décomposer) werden kann, sind Sie ein Element unter anderen.
Das Bunraku, vielleicht haben Sie das gesehen, einige von Ihnen, als sie nach Paris gekommen sind, das Bunraku habe ich mir dort drüben wieder angeschaut, bereits beim ersten Mal hatte ich es mir angeschaut, nun, das Bunraku, seine Triebfeder ist dies: es macht die ganz gewöhnliche Struktur sichtbar, für diejenigen, denen sie ihre Sitten selbst vermittelt. Sie wissen, dass man neben der Puppe, und zwar unverdeckt, die Leute sieht, die daran mitwirken. Wie im Bunraku könnte alles, was in einer japanischen Konversation gesagt wird, genauso gut von einem Rezitator vorgelesen werden. Das ist das, was Barthes sicherlich erleichtert hat.
Japan ist der Ort, wo es das Natürlichste ist, das man sich auf die Hilfe d’une interprète stützt, einer Dolmetscherin, die ebenso ein Dolmetscher hätte sein können, man ist ganz entspannt, man kann sich durch eine Interpretin verdoppeln, eine Interpretation ist keinesfalls erforderlich. Sie begreifen, wenn ich erleichtert war; das Japanische ist die fortwährende Übersetzung der Fakten der Sprache.
Was mir gefällt, und damit will ich schließen, ist, dass die einzige Kommunikation, die ich dort hatte – abgesehen von den Europäern natürlich, mit denen ich mich gemäß unserem kulturellen Missverständnis zu verständigen weiß –, die einzige, die ich mit einem Japaner hatte, auch die einzige ist, die dort drüben wie anderswo eine Kommunikation sein kann, kein Dialog, nämlich eine wissenschaftliche Kommunikation. Ich habe einen angesehenen Biologen aufgesucht, den ich aufgrund der Regeln der japanischen Höflichkeit nicht nennen werde und aufgrund von etwas, das ich gleich sagen werde, und das hat ihn dazu gebracht, mir seine Arbeiten vorzuführen, natürlich dort, wo so etwas gemacht wird, an der Tafel. Die Tatsache, dass ich aufgrund fehlender Informationen nichts davon verstehe, schließt keineswegs aus, dass das, was er |[127] geschrieben hat, seine Formeln, völlig gültig ist – wie die meinigen, da wo sie es sind –, gültig für die Moleküle, zu deren Subjekten sich meine Nachkommen machen werden, ohne dass ich je hätte wissen müssen, wie ich sie an sie übermittelt habe, was es wahrscheinlich machte, dass ich mich zu den Lebewesen zähle.
Eine Askese der Schrift, das nimmt den Vorteilen, die wir aus der Literaturkritik gewinnen können, nicht das Geringste.
Mir scheint – um den Kreis bei etwas zu schließen, das durch das, was ich bereits vorgebracht habe, kohärent ist –, mir scheint, dass es nur dann geschehen kann, wenn es wieder an dieses unmögliche Es steht geschrieben anschließt, von dem her das sexuelle Verhältnis vielleicht eines Tages eingesetzt werden wird.
Französisch/deutsch mit Anmerkungen
Zahlen in eckigen Klammern und grauer Schrift verweisen auf die Seiten von Millers Ausgabe des Seminars.
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[113] (An der Tafel) Lituraterre
Ce mot que je viens d’écrire intitule ce que je vais vous offrir aujourd’hui, parce qu’il faut bien, puisque vous êtes convoqués là, que je vous lance quelque chose.
(An der Tafel) Lituraterre
Das Wort, das ich gerade angeschrieben habe, ist der Titel für das, was ich Ihnen heute anbieten möchte; da Sie hier zusammengerufen wurden, ist es wohl nötig, dass ich Ihnen etwas zuwerfe.
Il m’est évidemment inspiré par l’actualité : c’est le titre dont je me suis efforcé de répondre à une demande qui m’a été faite d’introduire un numéro qui va paraître sur „Littérature et psychanalyse“.
Offensichtlich haben mich dazu aktuelle Ereignisse angeregt: das ist der Titel, mit dem ich mich bemüht habe, auf eine Anfrage zu antworten, die an mich gerichtet wurde, nämlich eine Zeitschriftennummer über Literatur und Psychoanalyse, die demnächst erscheinen soll, einzuleiten.2
Ce mot „Lituraterre“, que j’ai inventé, se légitime de l’Ernout et Meillet comme il y en a peut-être ici qui savent ce que c’est, c’est un dictionnaire étymologique du latin qui n’est pas trop bêtement fait.
Dieses Wort, Lituraterre, das ich erfunden habe, findet seine Rechtfertigung im Ernout und Meillet; es gibt hier ja vielleicht einige, die wissen, was das ist: ein etymologisches Wörterbuch des Lateinischen, das gar nicht so dumm gemacht ist.3
Cherchez à lino, litura, vous trouverez, et puis liturarius; il est bien précisé que ça n’a rien à faire avec littera, la lettre.
Schlagen Sie nach unter lino, unter litura, Sie werden’s finden, und dann unter liturarius; es wird deutlich darauf hingewiesen, dass das mit littera, mit „Buchstabe“, nichts zu tun hat.4
Que ça n’ait rien à faire, moi je m’en fous !
Dass es nichts damit zu tun hat, ist mir egal.5
Je ne me soumets pas forcément à l’étymologie quand je me laisse aller à ce jeu de mots, dont on fait à l’occasion le mot d’esprit, le contre-pêt, en l’occasion évident, m’en revenant aux lèvres et le renversement à l’oreille.
Ich unterwerfe mich nicht zwangsläufig der Etymologie, wenn ich mich diesem Wortspiel hingebe, aus dem gelegentlich ein Witz gemacht wird; die Lautvertauschung, die hier evident ist, kam mir über die Lippen und die Umstellung ins Ohr.
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Ce n’est pas pour rien que, quand vous apprenez une langue étrangère, vous mettez la première consonne de ce que vous avez entendu la seconde, et la seconde, la première.
Nicht ohne Grund setzen Sie, wenn Sie eine Fremdsprache lernen, von dem, was Sie gehört haben, den ersten Konsonanten an die zweite Stelle und den zweiten an die erste.
Donc, ce dictionnaire, qu’on s’y reporte, m’apporte auspices d’être fondé du même départ que je prenais d’un premier mouvement, j’entends départ au sens de repartie, départ d’une équivoque dont Joyce, c’est James Joyce dont je parle, dont James Joyce glisse de a letter à a litter : d’une lettre traduite à une ordure.
Dieses Wörterbuch also, in dem man nachschlagen möge, bietet mir Auspizium, da es sich auf denselben départ gründet wie ich, auf denselben Ausgangspunkt, als ich in einer ersten Bewegung – ich meine départ im Sinne von repartie, prompter Antwort – von einer Äquivokation ausging, bei der Joyce – ich spreche hier von James Joyce –, bei der James Joyce von a letter zu a litter hinübergleitet, von einem Buchstaben – ich übersetze – zu einem Abfall.6
Il y avait, vous vous en souvenez peut-être, mais très probablement vous n’en avez jamais rien su, il y avait une mécène qui lui voulait du bien et qui lui offrait une psychanalyse, et même que c’était de Jung qu’elle la lui offrait.
Es gab, vielleicht erinnern Sie sich daran, aber sehr wahrscheinlich haben Sie nie etwas davon gehört, es gab da eine Mäzenin, die ihm Gutes wollte und ihm eine Psychoanalyse anbot, und es war sogar eine bei Jung, die sie ihm anbot.7
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Au jeu que nous évoquons, il n’y eût rien gagné, puisqu’il allait tout droit avec ce a letter, a litter, tout droit au mieux de ce que l’on peut attendre de la psychanalyse à sa fin.
Bei dem Spiel, das wir erwähnen, hätte er nichts gewonnen, denn er ging ganz direkt, mit diesem a letter, a litter, ganz direkt auf das Beste dessen zu, was man von einer Psychoanalyse an ihrem Ende erwarten kann.8
A faire litière de la lettre, est-ce Saint-Thomas encore, vous vous souvenez peut-être, vous n’avez jamais su, sicut palea, Saint-Thomas encore qui revient à Joyce, comme son œuvre en témoigne tout au long ?
Wenn er den lettre zu litière macht, den Buchstaben zu Streu, ist das dann wieder der Heilige Thomas – Sie erinnern sich vielleicht, Sie haben nie davon gehört? –: sicut palea [wie Streu], ist das wieder der Heilige Thomas, der Joyce hier wieder in den Sinn kommt, wie sein Werk es von vorne bis hinten bezeugt?9
Ou bien est-ce la |[114] psychanalyse qui atteste sa convergence avec ce que notre époque accuse d’un débridement du lien, du lien antique dont se contient la pollution dans la culture ?
Oder ist es die Psychoanalyse, die ihre Konvergenz mit dem bekundet, was unsere Zeit als Lockerung des alten Bandes anklagt, durch das in der Kultur die Verschmutzung gezügelt wird?
Rom, Cloaca Maxima10
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J’avais brodé là-dessus comme par hasard, un peu avant le Mai de 68, pour ne pas faire défaut, ce jour-là, aux paumés de ces affluences que je me trouve maintenant déplacer quand je fais visite quelque part : c’était à Bordeaux.
Ich habe das mal ein bisschen weiter ausgeführt, wie durch Zufall kurz vor dem Mai ʼ68, um an jenem Tag den Verlorenen der Menschenmengen nicht zu fehlen, die ich, wie es aussieht, jetzt in Bewegung versetze, wenn ich irgendwo einen Besuch mache; in Bordeaux war das.11
La civilisation, y rappelais-je en prémisses, c’est l’égout.
Die Zivilisation, daran hatte ich dort als Prämisse erinnert, ist der Abwasserkanal.12
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Il faut dire sans doute que c’était peu après que ma proposition d’octobre 67 avait été accueillie comme on le sait, il faut vous dire sans doute que, en jouant de ça, j’étais un peu las de la poubelle à laquelle j’ai rivé mon sort.
Natürlich muss man sagen, das war kurz nachdem mein Vorschlag vom Oktober ’67 auf die Weise aufgenommen worden war, die Ihnen bekannt ist, wozu man natürlich sagen muss, dass ich, als ich damit spielte, sicherlich des Mülleimers ein wenig überdrüssig war, mit dem ich mein Schicksal vernietet hatte.13
Pourtant on sait que je ne suis pas le seul qui a pour partage l’avouère.14
Bekanntlich bin ich jedoch nicht der Einzige, der sich diesem Eingeständnis anschließt.15
L’avouère pour vous le prononcer à l’ancienne, l’avoir16 dont Beckett fait balance aux joies de tous ces déchets de notre être, l’avouère sauve l’honneur de la littérature et, ce qui m’agrée assez, me relève du privilège que je pourrais croire tenir de ma place.
Das avouère – das Eingeständnis –, um es für Sie auf die alte Weise auszusprechen, das avoir, das Haben, mit dem Beckett die Freuden all dieser Abfälle unseres Seins in Ausgleich bringt, dieses avouère rettet die Ehre der Literatur, und es entbindet mich, was mir recht angenehm ist, von dem Privileg, von dem ich glauben könnte, es durch meinen Platz innezuhaben.17
La question est de savoir si ce dont les manuels semblent faire étal de ce qui existe, je parle des manuels de littérature, soit que la littérature soit accommodation des restes.
Die Frage ist, ob das <stimmt>, was die Lehrbücher von dem, was es gibt, herauszustellen scheinen, ich spreche von den Lehrbüchern für Literatur, nämlich dass die Literatur eine Resteverwertung ist.18
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Est-ce affaire de connotation dans l’écrit de ce qui d’abord primitivement serait chant, mythe parlé, procession dramatique ?
Geht es bei ihr darum, im Geschriebenen das zu ko-notieren, was ursprünglich zunächst Gesang wäre, gesprochener Mythos, Dramenprozession?19
Pour la psychanalyse, qu’elle soit appendue à l’Œdipe, à l’Œdipe du mythe, ne la qualifie en rien pour s’y retrouver dans le texte de Sophocle : ce pas pareil.
Was die Psychoanalyse angeht, dass sie an Ödipus anschließt, an den Ödipus des Mythos, qualifiziert sie in keiner Weise dazu, mit dem Text des Sophokles zurechtzukommen, das ist nicht dasselbe.
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L’évocation par Freud d’un texte de Dostoïevski ne suffit pas pour dire que la critique du texte, jusqu’ici chasse gardée du discours universitaire, ait reçu de la psychanalyse plus d’air.
Dass Freud sich auf einen Text von Dostojewski bezieht, reicht nicht hin, um zu sagen, die Textkritik, bis dahin Domäne des Universitätsdiskurses, habe durch die Psychoanalyse frischen Wind bekommen.20
Si pourtant mon enseignement21 a place dans un changement de configuration, qui actuellement sous des couleurs d’actualité, actuellement s’affiche d’un slogan de promotion de l’écrit… mais ce changement, dont ce témoignage, par exemple que ce soit de nos jours qu’enfin Rabelais soit lu, montre qu’il repose peut-être sur un déplacement littéraire à quoi je m’accorde mieux.
Wenn mein Unterricht jedoch in einer Veränderung der Konfiguration stattfindet, die sich gegenwärtig, unter Farben von Aktualität, die sich gegenwärtig mit der Parole präsentiert, das Geschriebene zu fördern - -; aber die Veränderung, die etwa dadurch bezeugt wird, dass heute endlich Rabelais gelesen wird, zeigt, dass sie vielleicht auf einer Verschiebung im Bereich der Literatur beruht, mit der ich besser zusammengehe.22
Je suis comme auteur moins impliqué qu’on imagine.
Als Autor bin ich weniger involviert als man sich vorstellt.
Mes Ecrits, un titre plus ironique qu’on ne croit, puisqu’il s’agit en somme soit de rapports qui sont fonction de congrès, soit, disons, j’aimerais bien qu’on les entende comme ça : des lettres ouvertes où je fais sans doute question chaque fois d’un vent de mon enseignement.
Meine Schriften, ein Titel, der ironischer ist, als man glaubt, da es sich alles in allem entweder um Berichte handelt, die sich auf Kongresse beziehen, oder – sagen wir, ich hätte gern, dass man sie so versteht – um offene Briefe (lettres ouvertes), in denen ich sicherlich jedes Mal einen Luftstrom meines Unterrichts zur Sprache bringe.23
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Mais enfin ça en donne le ton… |[115]
Aber letztlich gibt das den Ton dafür an.
Loin en tout cas de me commettre dans ce frotti-frotta littéraire dont se dénote le psychanalyste en mal d’invention, j’y dénonce la tentative immanquable à démontrer l’inégalité de sa pratique à motiver le moindre jugement littéraire.
Statt mich jedoch auf das literarische Geschmuse einzulassen, das den Psychoanalytiker kennzeichnet, dem es an Erfindungsgabe mangelt, prangere ich dort den unübersehbaren Versuch an, die Unzulänglichkeit seiner Praxis bei der Begründung des geringsten literarischen Urteils zu demonstrieren.24
Il est pourtant frappant que, ce recueil de mes Ecrits, je l’ai ouvert d’un article que j’isole en l’extrayant de sa chronologie, la chronologie fait règle, et que là il s’agisse d’un conte, lui-même, il faut le dire, bien particulier de ne pouvoir rentrer dans la liste ordonnée, vous savez qu’on l’a faite, des situations dramatiques.
Es fällt jedoch auf, dass ich die Sammlung meiner Schriften mit einem Artikel eröffnet habe, den ich dadurch abhebe, dass ich ihn aus ihrer Chronologie herausnehme – die Chronologie ist hier die Regel –, und dass es sich dabei um eine Erzählung handelt, die selbst insofern recht speziell ist, wie man sagen muss, als sie in der geordneten Liste dramatischer Situationen – Sie wissen, dass man so etwas erstellt hat – nicht unterzubringen ist.25
Enfin, laissons cela.
Aber lassen wir das.
Lui, le conte, il se fait de ce qu’il advient de la poste d’une missive, au su de qui se passent ses faire-suivre et de quels termes s’appuie que je puisse, moi, dire de cette lettre, dire à propos d’elle qu’une lettre toujours en vient à sa destination, et ceci après les détours qu’elle y a subis dans le conte, le compte, si je puis dire, soit rendu, sans aucun recours à son contenu, à la lettre.
Sie, diese Erzählung, wird durch das bestimmt, was durch das Versenden eines Schreibens geschieht, mit wessen Wissen seine Nachsendungen erfolgen und auf welche Bedingungen sich stützt, dass ich über diese Letter sagen kann, dass ich über sie sagen kann, dass eine Letter – ein Brief, ein Buchstabe – immer ihren Bestimmungsort erreicht26, und dies nach den Umwegen, der sie in der conte, in der Erzählung, unterworfen wurde; le compte, die Rechnung, wenn ich so sagen kann, wird ohne Rückgriff auf seinen contenu, seinen Inhalt, aufgemacht, auf den Inhalt des Briefs.
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C’est ça qui rend remarquable l’effet qu’elle porte sur ceux qui tour à tour s’en font les détenteurs, tous ardents qu’ils puissent être du pouvoir qu’elle confère, pour y prétendre que cet effet d’illusion ne puisse s’articuler, ce que je fais moi, que d’un effet de féminisation.
Das ist bemerkenswert an der Wirkung, die er auf diejenigen ausübt, die sich nacheinander zu seinen Besitzern machen, so begierig sie auf die Macht, die er überträgt, auch sein mögen, sodass man hier, wie ich es tue, behaupten kann, dass dieser Illusionseffekt nur als ein Feminisierungseffekt artikuliert werden kann.27
C’est là, je m’excuse d’y revenir, bien distinguer, je parle de ce que je fais, la lettre du signifiant maître28, en tant qu’ici elle l’emporte dans son enveloppe, puisqu’il s’agit d’une lettre au sens du mot épistole.
Das heißt – bitte entschuldigen Sie, dass ich darauf zurückkomme –, hier ist die Letter klar vom Herrensignifikanten zu unterscheiden – ich spreche über das, was ich tue –, insofern sie ihn hier mit sich führt, sie führt ihn in ihrem Umschlag mit, denn es handelt sich um eine Letter im Sinne des Wortes Brief.
Or je prétends que je ne fais pas là du mot lettre usage métaphorique, puisque justement le conte consiste en ce qu’y passe comme muscade le message dont c’est l’écrit, donc proprement la lettre qui fait seule péripétie.29
Nun behaupte ich aber, dass ich hier von dem Wort lettre keinen metaphorischen Gebrauch mache, da die Erzählung eben darin besteht, dass in ihr, wie in einer Taschenspielerei, die Botschaft zum Verschwinden gebracht wird, wobei es allein das Geschriebene ist, also der Buchstabe im eigentlichen Sinne, was die Wendepunkte herbeiführt.30
Ma critique, si elle a lieu d’être tenue pour littéraire, n’aurait là donc porté, je m’y essaie, que sur ce que Poe a fait, d’être écrivain lui-même, pour former un tel message sur la lettre.
Falls meine Kritik Anlass gibt, für Literaturkritik gehalten zu werden, hätte sie sich hier also nur auf das bezogen – und das versuche ich –, was Poe selbst als Schriftsteller getan hat, um eine solche Botschaft über den Buchstaben zu gestalten.31
Il est clair qu’à ne pas le dire tel quel tel que je le dis, moi, ce n’est pas insuffisamment, c’est d’autant plus rigoureusement qu’il l’avoue.
Klar ist: wenn er es nicht so sagt, nicht so wie ich es sage, ist das nicht unzureichend, es ist umso strenger, als er es eingesteht.
Néanmoins l’élision, l’élision de son message n’en saurait être élucidée au moyen de quelque trait que ce soit de sa psychobiografie, bouchée plutôt qu’elle en serait, cette élision ! une psychanalyste qui, on s’en souvient peut-être, a récuré les autres textes de Poe, ici déclare forfait de sa serpillière : elle n’y touche pas, la Marie !
Nichtsdestoweniger, die Elision, die Elision seiner Botschaft könnte nicht durch irgendeinen Zug seiner Psychobiografie aufgeklärt werden, eher würde sie, diese Elision, dadurch verschüttet werden; eine Psychoanalytikerin, die die anderen Texte von Poe, man erinnert sich vielleicht daran, gründlich abgeschrubbt hat, steigt hier mit ihrem Putzlappen aus – sie rührt nicht dran, die Marie.32
Voilà pour le texte de Poe.
So viel zum Text von Poe.
Mais, pour le mien, de texte, est-ce qu’il ne pourrait pas se résoudre par ma psychobiografie à moi ?
Was aber meinen eigenen Text angeht, könnte er nicht durch meine eigene Psychobiografie aufgeschlüsselt werden?
Le vœu que je formerais, par exemple, c’est d’être lu un jour convenablement.
Etwa durch den Wunsch, den ich gebildet hätte, eines Tages auf angemessene Weise gelesen zu werden?
Mais pour ça, pour que ça vaille, il faudrait d’abord qu’on développe, que celui qui s’y emploierait à cette interprétation développe ce que j’entends que la lettre porte pour arriver toujours, je le dis, à sa destination.33
Damit das jedoch einen Wert hätte, wäre es zunächst einmal nötig, dass man ausführt --, dass derjenige, der eine solche Deutung entwickeln würde, ausführt, was ich darunter verstehe, dass der Brief/Buchstabe dazu gelangt, dass er, wie ich sage, stets seinen Bestimmungsort erreicht.
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C’est là peut-être que je suis pour l’instant en cheville avec les dévots de l’écriture.
Das ist möglicherweise der Punkt, wo ich den Verehrern der Schrift im Augenblick nahestehe.
Il est certain que, comme d’ordinaire, la psychanalyse ici reçoit de la littérature, elle pourrait d’abord en prendre cette graine qui serait du ressort du refoulement, une idée moins psychobiographique. |[116]
Dass die Psychoanalyse hier wie üblich von der Literatur etwas empfängt, ist sicher34, sie könnte von ihr zunächst das Samenkorn nehmen, das in einer weniger psychobiografischen Vorstellung von der Triebfeder der Verdrängung bestünde.35
Pour moi, si je propose le texte de Poe, avec ce qu’il y a derrière, à la psychanalyse, c’est justement de ce qu’elle ne puisse l’aborder qu’à y montrer son échec.
Was mich angeht, wenn ich der Psychoanalyse den Text von Poe vorschlage, mitsamt dem, was dahinterliegt, dann eben deshalb, weil sie ihn nur in der Weise angehen kann, dass sie hierbei ihr Scheitern zeigt.36
C’est par là que je l’éclaire, la psychanalyse.
Damit kläre ich sie auf, die Psychoanalyse.
Et on le sait, on le sait que je sais, que j’invoque ainsi, c’est au dos de mon volume, j’invoque ainsi les lumières.
Und man weiß es, man weiß, dass ich weiß, dass ich damit – das steht auf dem Rückdeckel meines Bandes – die Aufklärung anrufe.37
Pourtant, je l’éclaire de démontrer où elle fait trou, la psychanalyse.38
Ich kläre sie jedoch auf, indem ich demonstriere, wo sie, die Psychoanalyse, Loch macht.39
Ça n’a rien d’illégitime, ça a déjà porté son fruit, on le sait depuis longtemps en optique et la plus récente physique, celle du photon, s’en arme.
Daran ist nichts Illegitimes, das hat bereits Früchte getragen; in der Optik weiß man das seit langem, und die neueste Physik, die des Photons, hat sich damit ausgerüstet.40
C’est par cette méthode que la psychanalyse pourrait mieux justifier son intrusion dans la critique littéraire.
Mit dieser Methode könnte die Psychoanalyse ihr Eindringen in die Literaturkritik besser begründen.
Cela voudrait dire que la critique littéraire viendrait effectivement à se renouveler de ce que la psychanalyse soit là, pour que les textes se mesurent à elle, justement de ce que l’énigme reste de son côté, qu’elle soit coite.
Das hieße, dass die Literaturkritik dazu käme, sich tatsächlich zu erneuern, von daher, dass die Psychoanalyse dazu da wäre, dass die Texte sich an ihr messen, genau von daher, dass das Rätsel auf der Seite der Psychoanalyse bliebe, dass sie sprachlos wäre.41
Mais ceux des psychanalystes, dont ce n’est pas médire que d’avancer que plutôt qu’ils ne l’exercent, la psychanalyse, ils en sont exercés, entendent mal mes propos, à tout le moins d’être pris en corps.
Diejenigen Psychoanalytiker jedoch, bei denen es keine Verleumdung ist, zu behaupten, dass sie, statt die Psychoanalyse auszuüben, von ihr ausgeübt werden, verstehen meine Behauptungen schlecht, zumindest als Körperschaft genommen.42
J’oppose à leur adresse vérité et savoir.
An sie gewendet setze ich Wahrheit und Wissen einander entgegen.43
C’est la première où aussitôt ils reconnaissent leur office, alors que, sur la sellette, c’est leur vérité que j’attends.44
Erstere ist das, worin sie ihr Amt sogleich erkennen, wohingegen, auf der Anklagebank, es ihre Wahrheit ist, die ich erwarte.45
J’insiste à corriger mon tir de dire : savoir en échec, voilà où la psychanalyse se montre aux yeux.46
Ich beharre darauf – um meinen Schuss damit zu korrigieren –, dass ich sage, savoir en échec, „Wissen in Schwierigkeiten /im Schach“, das ist das, wo die Psychoanalyse sich von ihrer besten Seite zeigt.
Savoir en échec, comme on dit figure en abyme, ça ne veut pas dire échec du savoir.
Savoir en échec‚ „Wissen in Schwierigkeiten / im Schach“ – so wie man sagt figure en abyme, „Figur am Abgrund“, Figur, die sich in sich selbst wiederholt –, damit ist nicht das Scheitern des Wissens gemeint.47
Aussitôt j’apprends qu’on s’en croit dispensé de faire preuve d’aucun savoir.
Und sogleich erfahre ich, dass man sich davon dispensiert glaubt, irgendein Wissen unter Beweis zu stellen.48
Serait-ce lettre morte que j’ai mis au titre d’un de ces morceaux, que j’ai dit Ecrits, de la lettre de l’instance comme raison de l’inconscient ?
Sollte es ein toter Buchstabe sein, den ich in den Titel eines dieser Stücke gesetzt habe, die ich Schriften genannt habe, über den Buchstabens, über das Drängen als Grund, als Räson des Unbewussten?49
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N’est-ce pas désigner assez, dans la lettre, ce qui, à devoir insister, n’est pas là de plein droit si fort de raison que ça s’avance.
Genügt das nicht, um im Buchstaben das zu bezeichnen, was, da es ja insistieren muss, nicht mit vollem Recht da ist, mit wie starker Räson auch immer es sich vorbringt?50
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Dire cette raison moyenne ou extrême, c’est bien montrer, je l’ai fait déjà à l’occasion, la |[117] bifidité où s’engage toujours toute mesure.
Diese raison, dieses Verhältnis, als raison moyenne oder raison extrême zu bezeichnen, als mittlere oder äußere Proportion, das heißt, wie ich es bei Gelegenheit bereits getan habe, die Zweiteilung zu zeigen, in der jede Messung sich vollzieht.51
Mais n’y a-t-il rien dans le réel, qui se passe de cette médiation ?
Gibt es aber im Realen nichts, das ohne diese Vermittlung auskommt?
Ce pourrait être la frontière.
Das könnte die Grenze sein, la frontière.
La frontière à séparer deux territoires n’a qu’un défaut, mais il est de taille, elle symbolise qu’ils sont de même tabac, si je puis dire en tout cas pour quiconque la franchit.
Die Grenze, insofern sie zwei Territorien voneinander trennt, hat nur einen Fehler, der jedoch ist beträchtlich: sie symbolisiert, dass sie von derselben Sorte sind, wenn ich so sagen darf, jedenfalls für denjenigen, der sie überschreitet.
Je ne sais pas si vous vous y êtes arrêtés, mais c’est le principe dont, un jour, un nommé von Uexküll a fabriqué le terme d’Umwelt.
Ich weiß nicht, ob Sie sich damit befasst haben, aber das ist das Prinzip, von dem aus ein gewisser von Uexküll eines Tages den Ausdruck Umwelt* fabriziert hat.
C’est fait sur le principe qu’il est le reflet de l’Innenwelt.
Das beruht auf dem Prinzip, dass sie der Reflex der Innenwelt* ist.
C’est la promotion de la frontière à l’idéologie.
Damit wird die Grenze zur Ideologie erhoben.52
C’est évidemment un départ fâcheux. Une biologie, car c’était une biologie qu’il voulait avec ça fonder, Uexküll, une biologie qui se donne déjà tout au départ, le fait de l’adaptation notamment qui fait le fond de ce couplage Umwelt et Innenwelt.
Dieser Ausgangspunkt ist natürlich ein Ärgernis, eine Biologie – denn es war eine Biologie, die er, von Uexküll, damit begründen wollte –, eine Biologie, die sich bereits ganz zu Anfang insbesondere die Tatsache der Anpassung einhandelt, die für die Kopplung von Umwelt* und Innenwelt* den Hintergrund abgibt.
Evidemment, la sélection, la sélection, ça ne vaut pas mieux comme type de l’idéologie. Ce n’est pas parce qu’elle se bénit elle-même d’être naturelle qu’elle l’est moins.
Offenkundig ist die Selektion, die Selektion als Typ von Ideologie, auch nicht besser; wenn sie sich selbst als natürlich absegnet, ist sie darum nicht weniger ideologisch.53
Je vais vous proposer quelque chose comme ça brutalement pour venir après a letter, a litter.
Ich möchte Ihnen etwas vorschlagen, einfach so, ganz brutal, um an a letter, a litter anzuschließen.
Topografische Gliederung eines Sees54
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Moi je vais vous dire : la lettre n’est-elle pas le littéral à fonder dans le littoral ?
Ich möchte Ihnen sagen: Ist der Buchstabe nicht das Buchstäbliche, das auf das Litoral zu gründen ist?55
Car ça c’est autre chose qu’une frontière, d’ailleurs vous avez pu remarquer que ça ne se confond jamais.
Denn das ist etwas anderes als eine Grenze; im Übrigen haben Sie feststellen können, dass man das nie verwechselt.
Le littoral, c’est ce qui pose un domaine tout entier comme faisant à un autre, si vous voulez, frontière, mais justement de ceci, de ce qu’ils n’ont absolument rien en commun, même pas une relation réciproque.
Das Litoral ist das, was einen Bereich setzt, sodass es in seiner Gänze für einen anderen Bereich eine, wenn Sie so wollen, Grenze bildet, derart jedoch, dass sie absolut nichts Gemeinsames haben, nicht einmal eine reziproke Beziehung.56
La lettre n’est-elle pas proprement littoral, le bord du trou dans le savoir que la psychanalyse désigne justement quand elle aborde la lettre, voilà-t-il pas ce qu’elle désigne ?
Ist der Buchstabe nicht eigentlich litoral? der Rand (bord) des Lochs im Wissen, das die Psychoanalyse genau dann bezeichnet, wenn sie den Buchstaben zum Thema macht (aborde); ist es nicht das, was sie bezeichnet?57
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Le drôle, c’est de constater comment la psychanalyse s’oblige en quelque sorte de son mouvement même à méconnaître58 le sens de ce que pourtant la lettre dit à la lettre, c’est le cas de le dire, de sa bouche, quand toutes ses interprétations se résument à la jouissance.
Es hat etwas Komisches, festzustellen, wie die Psychoanalyse sich gewissermaßen durch ihre eigene Bewegung verpflichtet, den Sinn dessen zu verkennen, was jedoch, so muss man sagen, der Buchstabe buchstäblich sagt, mit ihrem Mund, wenn all ihre Deutungen auf die Jouissance hinauslaufen.59
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Entre la jouissance et le savoir la lettre ferait le littoral.
Zwischen Jouissance und Wissen würde der Buchstabe das Litoral bilden.60
Tout ça n’empêche pas que ce j’ai dit de l’inconscient nous restant là ait quand même la précédence, sans quoi ce que j’avance n’aurait absolument aucun sens.
All das verhindert nicht, dass das, was ich über das Unbewusste gesagt habe, wenn wir dabei bleiben, dass es gleichwohl den Vorrang hat, ohne welchen das, was ich vorbringe, überhaupt keinen Sinn hätte.61
Il reste à savoir comment l’inconscient que je dis être effet de langage de ce qu’il en suppose la structure comme nécessaire et suffisante, comment il commande cette fonction de la lettre.
Es bleibt herauszufinden, wie das Unbewusste – von dem ich sage, dass es eine Wirkung von Sprache (langage) ist, da es deren Struktur als notwendig und hinreichend voraussetzt –, wie es die Funktion des Buchstabens bestimmt.
Qu’elle soit instrument propre à l’inscription du discours, ne la rend pas du tout impropre à servir à ce que j’en fais, comme dans L’instance de |[118] la lettre, par exemple, dont je vous parlais tout à l’heure, où je l’emploie à montrer le jeu de ce que l’autre appelle, Jean Tardieu, le mot pris pour un autre, voire le mot pris par un autre, autrement dit la métaphore et la métonymie comme effets de la phrase.
Dass er ein für das Aufschreiben des Diskurses geeignetes Werkzeug ist, macht ihn keineswegs untauglich, dem zu dienen, was ich damit mache, wenn ich ihn beispielsweise in Das Drängen des Buchstabens, worüber ich vorhin zu Ihnen gesprochen habe, verwende, um jenes Spiel zu zeigen, das jemand, nämlich Jean Tardieu, so nennt: das Wort, das für ein anderes genommen wird, ja, das Wort, das durch ein anderes genommen wird, anders gesagt: Metapher und Metonymie als Wirkungen des Satzes.62
Ça symbolise donc aisément tous ses effets de signifiant, mais ça n’impose nullement qu’elle soit, elle, la lettre, dans ses effets-mêmes, pour lesquels elle me sert d’instrument, qu’elle soit primaire.
Das symbolisiert also mühelos all seine Signifikanteneffekte, aber das nötigt keineswegs dazu, dass er, der Buchstabe, bei eben den Effekten, für die er mir als Werkzeug dient, primär wäre.63
L’examen s’impose, moins de cette primarité qui n’est même pas à supposer, mais de ce qui du langage appelle le littoral au littéral.
Eine Überprüfung nötigt sich weniger hinsichtlich dieses Primats auf, das nicht einmal zu vermuten ist, sondern in Bezug auf das, was in der Sprache das Litorale dem Literalen zuweist.64
Rien de ce que j’ai inscrit, à l’aide de lettres, des formations de l’inconscient pour les récupérer de ce dont Freud les formule, des énoncés, plus simplement des faits de langage, rien ne permet de confondre, comme il s’est fait, la lettre avec le signifiant.
Nichts von dem, was ich mithilfe von Buchstaben von den Bildungen des Unbewussten aufgeschrieben habe, um sie aus dem zu bergen, was Freud darüber formuliert, aus Aussagen, einfacher gesagt aus sprachlichen Tatsachen, nichts gestattet es, wie es geschehen ist, den Buchstaben mit dem Signifikanten zusammenzuwerfen.
Ce que j’ai inscrit à l’aide de lettres des formations de l’inconscient n’autorise pas à faire de la lettre un signifiant et à l’affecter, qui plus est, d’une primarité au regard du signifiant.
Was ich mithilfe von Buchstaben über die Bildungen des Unbewussten aufgeschrieben habe, autorisiert nicht dazu, aus dem Buchstaben einen Signifikanten zu machen und ihm darüber hinaus einen Primat gegenüber dem Signifikanten zuzuweisen.
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Die vier Diskurse (Seminar 17, Die Kehrseite der Psychoanalyse)65
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Un tel discours confusionnel n’a pu surgir que de celui, du discours qui m’importe.
Ein solcher Verwirrung stiftender Diskurs hat nur aus dem Diskurs entstehen können, qui m’importe, der mir wichtig ist.66
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Die vier Diskurse (Radiophonie)67
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Et justement qui m’importe dans un autre discours que j’épingle le temps venu du discours universitaire, soit, comme je l’ai souligné assez depuis un an et demi, je pense, soit du savoir mis en usage à partir du semblant.
Und der mich in einen anderen Diskurs importiert, den ich zu gegebener Zeit als Universitätsdiskurs bezeichne, nämlich, wie ich seit anderthalb Jahren hinreichend, so denke ich, herausgestellt habe, nämlich als Diskurs des Wissens, das ausgehend vom semblant, vom Schein, in Gebrauch genommen wird.68
Le moindre sentiment que l’expérience à quoi je pare ne peut se situer que d’un autre discours que de celui-là, j’eus dû le garder69, le produit de ce discours, de ce que je ne désigne pas plus, sans l’avouer, de moi.
Das geringste Gefühl dafür, dass die Erfahrung, der ich mich aussetze, nur durch einen anderen Diskurs als jenen verortet werden kann --; ich hätte es behalten sollen, das Produkt dieses Diskurses, dessen, was ich dann nicht mehr bezeichne, ohne es als von mir einzubekennen.70.
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On me l’a épargné, Dieu merci, n’empêche qu’à m’importer au sens que j’ai dit tout à l’heure, on m’importune !
Man hat mir das, Gott sei Dank, erspart, was nicht verhindert, dass man mich belästigt (m’importune), indem man mich in die eben genannte Richtung importiert (m’importe).
Freuds Zeichnungen im Entwurf einer Psychologie (1895)71
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Si j’avais trouvé recevables les modèles que Freud articule dans une Esquisse d’où décrire le frayage, le forage de routes imprécises72, je n’en aurais pas pour autant pris la métaphore de l’écriture.
Auch wenn ich die Modelle akzeptabel gefunden hätte, die Freud in einem Entwurf artikuliert, in dem er die Bahnung beschreibt, das Ausbohren ungenauer Wege, hätte ich daraus dennoch nicht die Metapher der Schrift übernommen.73
Et justement c’est sur ce point précis que je ne la trouve pas recevable.
Und es ist genau dieser Punkt, an dem ich den Entwurf nicht akzeptabel finde.
L’écriture n’est pas l’impression, n’en déplaise à tout ce qui s’est fait comme bla-bla sur le fameux Wunderblock.
Die Schrift ist nicht die impression, nicht Einprägung auch wenn das allem zuwiderläuft, was an Blabla über den berühmten Wunderblock* geschrieben wurde.74
Que je tire parti de la lettre appelée 52ème, c’est d’y lire ce que Freud ne pouvait qu’énoncer sous le terme qu’il forge du Wz : Wahrnehmungszeichen, et de repérer que c’est ce qu’il pouvait trouver de plus proche du signifiant à la date où Saussure ne l’avait pas encore remis au jour, ce fameux signifiant, qui ne date quand même pas de lui, puisqu’il date des Stoïciens.
Was ich aus dem sogenannten zweiundfünfzigsten Brief75 herausziehe, ist, dass ich darin lese, was Freud mit einem von ihm gebildeten Ausdruck nur als Wz bezeichnen konnte, als Wahrnehmungszeichen*76, und dass ich feststelle, dass es das ist, was er als etwas finden konnte, das dem Signifikanten am nächsten kommt, zu einem Zeitpunkt, als Saussure ihn noch nicht wieder zu Tage gefördert hatte, diesen berühmten Signifikanten, der allerdings nicht auf ihn zurückgeht, sondern auf die Stoiker.
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Que Freud l’écrive là de deux lettres, comme |[119] moi d’ailleurs je ne l’écris que d’une, cela ne prouve en rien que la lettre soit primaire.
Dass Freud ihn da mit zwei Buchstaben schreibt, so wie ich ihn übrigens mit nur einem schreibe, beweist in keiner Weise, dass der Buchstabe primär wäre.
Je vais donc essayer pour vous aujourd’hui d’indiquer le vif de ce qui me paraît produire la lettre comme conséquence, et du langage, précisément de ce que je dis que l’habite qui parle.
Heute möchte ich also versuchen, Ihnen den Kern dessen anzuzeigen, was, wie mir scheint, den Buchstaben als Konsequenz hervorbringt, sowie den Kern der Sprache, genau gesagt von dem, dass ich sage, dass derjenige, der spricht, sie bewohnt.77
J’en emprunterai les traits à ce que d’une économie de langage permet de dessiner ce que promeut à mon idée que littérature peut être en train de virer à lituraterre.
Ich werde die entsprechenden Züge dem entlehnen, was es von einer Ökonomie der Sprache her gestattet, das zu umreißen, wodurch meines Erachtens befördert wird, dass Literatur dabei sein könnte, sich in Lituraterre zu verwandeln.78
N’allez pas vous étonner de m’y voir procéder d’une démonstration littéraire puisque c’est là marcher d’un même pas dont la question elle-même s’avance.
Wundern Sie sich nicht, wenn Sie sehen, wie ich dabei eine literarischen Beweisführung vornehme, denn das heißt, im gleichen Schritt zu gehen wie dem, in dem die Frage selbst vorankommt.
On pourra y voir s’affirmer ce que peut être une telle démonstration que j’appelle littéraire.
Dabei wird sich zeigen, was eine Beweisführung, die ich als literarisch bezeichne, sein kann.
Je suis toujours un peu au bord, pourquoi pas, cette fois-ci m’y lancer.
Ich bin immer kurz davor, warum sollte ich mich nicht dieses Mal hineinstürzen?79
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Je reviens d’un voyage que j’attendais de faire au Japon, de ce que d’un premier, d’un premier voyage, j’avais éprouvé de littoral.
Ich komme von einer Reise nach Japan zurück, auf die ich mich gefreut hatte, von dem her, was ich auf einer ersten Reise an Litoralem erfahren hatte.80
On peut m’entendre de ce que j’ai dit tout à l’heure de l’Umwelt que j’ai répudié justement de ça, de rendre le voyage impossible, ce qui si vous suivez mes formules, serait assurer son réel.
Man kann mich von dem her verstehen, was ich vorhin über die Umwelt* gesagt habe, die ich eben deshalb zurückgewiesen habe, weil sie die Reise unmöglich macht, was, wenn Sie sich an meine Formeln halten, hieße, ihr Reales zu sichern.81
Seulement voilà, c’est prématuré : c’est le départ que ça rend impossible, sauf à chanter : „partons ! partons !“ ça se fait d’ailleurs beaucoup !
Nur ist das verfrüht, es ist der Aufbruch, der dadurch unmöglich wird, außer dass „fort nun, fort nun“ gesungen wird, was übrigens häufig vorkommt.82
Je ne noterai qu’un moment de ce voyage, celui qu’il se trouve que j’ai recueilli de quoi ? D’une route nouvelle qu’il s’est trouvé que j’ai prise simplement de ceci que la première fois que j’y suis allé, elle était simplement interdite.
Ich möchte nur einen Moment dieser Reise festhalten, einen, den ich zufällig wo erfasst habe? Auf einer neuen Route, die ich einfach deshalb genommen habe, weil sie, als ich das erste Mal dorthin flog, schlicht verboten war.
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Polarkreis über Sibirien (gestrichelte Linie „Arctic Circle“)83
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Il faut que j’avoue que cela ne fut pas à l’aller, le long du cercle arctique que trace cette route pour l’avion, que je fis lecture de quoi ? De ce que je voyais de la plaine sibérienne.
Ich muss gestehen, es war nicht auf dem Hinflug war, entlang des Polarkreises, den diese Route dem Flugzeug vorzeichnet, dass ich etwas las, und zwar was? das, was ich von der sibirischen Ebene sah.
Je suis en train de vous faire un essai de Sibériéthique.
Ich bin dabei, Ihnen einen Versuch in Sibiriethik zu machen.
Cet essai n’aurait pas vu le jour si la méfiance des Soviétiques, ce n’était pas pour moi, c’était pour les avions, m’avait laissé voir les industries, les installations militaires qui font le prix de la Sibérie.
Dieser Versuch hätte nicht das Licht der Welt erblickt, wenn das Misstrauen der Sowjets – nicht mir gegenüber, sondern Flugzeugen gegenüber – mich die Industrieanlagen und die militärischen Einrichtungen hätte sehen lassen, die den Wert Sibiriens ausmachen.
Mais enfin de cette méfiance, c’est là une condition que nous appellerons accidentelle, pourquoi même pas occidentelle, si l’on y met de l’occire un peu.
Aber schließlich ist dieses Misstrauen eine Bedingung, die wir als akzidentell bezeichnen möchten, warum nicht gar als okzidentell, wenn man hier ein bisschen occire hineinlegt, „töten“.
L’amoncellement du Sud Sibérien, c’est ça qui nous pend au nez.
Was vor uns liegt, ist die Aufschichtung von Südsibirien.84
La seule condition décisive est ici la condition du littoral.
Die einzige entscheidende Bedingung ist hier die Bedingung des Litorals.
Justement pour moi, parce que je suis un petit peu dur de la feuille, elle n’a joué qu’au retour d’être littéralement ce que le Japon de sa lettre m’ait sans doute fait ce petit peu trop de chatouillements, qui est juste ce qu’il faut pour |[120] que je le ressente.
Für mich, da ich etwas dickfellig bin, kam sie erst auf dem Rückflug ins Spiel, da sie buchstäblich darin bestand, dass Japan mir mit seinem Buchstaben sicherlich dieses klein wenig Zuviel an Kitzel verschafft hatte, was genau das ist, was es braucht, damit ich ihn wieder spüre.85
Je dis que je le ressens, parce que bien sûr pour le repérer, pour le prévoir, j’avais déjà fait ça ici quand je vous ai parlé un petit peu de la langue japonaise, de ce qui, cette langue, proprement l’affecte, c’est l’écriture, je vous ai déjà dit ça.
Ich sage, dass ich ihn wieder spüre, weil ich das natürlich, um ihn zu erfassen, um ihn vorauszusehen, bereits hier getan hatte, als ich Ihnen ein wenig über die japanische Sprache erzählte, über das, wodurch diese Sprache eigentlich affiziert wird, nämlich durch die Schrift; ich habe Ihnen das bereits gesagt.86
Il a fallu sans doute pour ça, pour ce petit peu trop, il a fallu que ce que l’on appelle l’art représente quelque chose.
Dafür war es wohl nötig, für dieses klein wenig Zuviel, war es nötig, dass das, was man Kunst nennt, etwas repräsentiert.87
Cela tient dans le fait de ce que la peinture japonaise y démontre de son mariage à la lettre, et très précisément sous la forme de la calligraphie.
Das liegt daran, dass die japanische Malerei hier ihre Ehe mit dem Buchstaben demonstriert und dies eben in Gestalt der Kalligrafie.
Kakemono (hängendes Rollbild) mit chinesischen Schriftzeichen (Kanji)
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Cela me fascine ces choses qui pendent, kakemono, c’est comme ça que ça se jaspine, ces choses qui pendent au mur de tout musée là-bas portant inscrits des caractères, chinois de formation, que je sais un peu, très peu, mais qui, si peu que je les sache, me permettent de mesurer ce qu’il s’en élide dans la cursive où le singulier de la main écrase l’universel, soit proprement88 ce que je vous apprends ne valoir que du signifiant.
Das fasziniert mich, diese Sachen, die hängen, kakemono, so brabbelt man das, diese Sachen, die dort an jeder Museumswand hängen und die mit Schriftzeichen bedeckt sind, mit chinesisch gebildeten, was ich ein wenig, sehr wenig, kenne89, die es mir aber, so wenig ich sie auch kenne, zu ermessen erlauben, was davon in der Kursivschrift getilgt ist, in der das Singuläre der Hand das Universale erdrückt, also eigentlich das, worüber ich Sie lehre, dass es nur vom Signifikanten her Geltung hat.90
Quadrantenschema von Peirce
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Je vous le rappelle un trait toujours vertical c’est toujours vrai s’il n’y a pas de trait.
Zu Ihrer Erinnerung: ein Strich, der immer vertikal ist, das ist auch dann wahr, wenn es keinen Strich gibt.91
Entwicklung der Kursivschrift Hiragana (unten) aus der chinesischen Regelschrift (oben) auf dem Weg über die Grasschrift (mitte, rot)92
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Donc, dans la cursive, le caractère, je ne l’y retrouve pas parce que je suis novice, mais c’est pas l’important.
Also in der Kursivschrift erkenne ich, da ich Anfänger bin, das [Kanji-]Schriftzeichen nicht wieder, das ist jedoch nicht das Wichtige.93
Car ce que j’appelle ce singulier peut appuyer une forme plus ferme.
Denn durch das, was ich das Singuläre nenne, kann eine festere Form gestützt werden.94
L’important, c’est ce qu’il y ajoute, c’est une dimension, ou encore comme je vous ai appris à jouer de ça, une démansion, là où demeure ce que je vous ai déjà introduit, je crois dans quelque avant ou avant-dernier séminaire, d’un mot que j’écris pour m’amuser le papludun.
Wichtig ist, was es hier hinzufügt, nämlich eine Dimension – oder auch, ich habe Ihnen ja beigebracht, damit zu spielen, eine demansion95 –, wo das wohnt, was ich für Sie bereits in der letzten oder vorletzten Seminarsitzung, glaube ich, eingeführt habe, ein Wort, das ich, um mich zu amüsieren, als nichmeerallzainz schreibe.96
C’est la dimension97 dont vous savez qu’elle me permet, on a beau dire comme ça, du petit jeu des mathématiques de Péano etc. et de la façon dont il faut que Frege s’y prenne pour réduire la série des nombres „naturels“, entre guillemets, à la logique, celle donc dont j’instaure le sujet dans ce que je vais appeler aujourd’hui encore puisque je fais de la littérature et que je suis gai, vous allez le reconnaître, je l’écris sous une autre forme que celle-ci le hun-en-peluce.
Das ist die Dimension, von der Sie wissen, dass sie es mir erlaubt – man könnte gut auch sagen, von Peanos kleinem Mathematikspiel her usw. und von daher, wie Frege vorgehen muss, um die Reihe der „natürlichen“ Zahlen, in Anführungszeichen, auf die Logik zurückzuführen98 –, diejenige Dimension also, deren Sujet ich in dem einsetzte, was ich heute noch so nennen werde (ich schreibe es – da ich Literatur mache und, wie Sie gleich erkennen werden, gute Laune habe – in einer anderen Form als dieser: das Ainz-Meer.99
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Ça sert beaucoup, hun, ça se met à la place de ce que j’appelle „l’Achose“ avec un grand A et ça la bouche… du petit a.
Das ist sehr nützlich, nicht wahr, das setzt sich an die Stelle dessen, was ich l’Achose nenne, mit großem A, das Unding, und damit wird sie verstopft, die Achose, durch das klein a.100
Ce n’est peut-être pas par hasard qu’il peut se réduire comme cela, comme je le désigne à une lettre.
Es ist vielleicht kein Zufall, dass es so, wie ich es bezeichne, auf einen Buchstaben reduziert werden kann.101
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Au niveau de la calligraphie, c’est cette lettre qui fait l’enjeu d’un pari, d’un pari, mais lequel ? D’un pari qui se gagne avec de l’encre et du pinceau.
Auf der Ebene der Kalligrafie ist es dieser Buchstabe, der den Einsatz einer Wette ausmacht, einer Wette, und zwar welcher? einer Wette, die mit Tinte und Pinsel gewonnen wird.
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Oberflächenabfluss (ruissellement)102
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Voilà c’est comme ça qu’invinciblement m’apparut dans une circonstance qui est à y retenir, à savoir d’entre les nuages, m’apparut le ruissellement qui est seule trace à apparaître y opérer plus encore que |[121] d’en indiquer le relief, sous cette latitude, de ce que l’on appelle la plaine sibérienne, plaine vraiment désolée au sens propre d’aucune végétation, mais de reflets, reflets de ce ruissellement, lesquels poussent à l’ombre ce qui n’en miroite pas.
So also erschien mir unbezwinglich – unter einem Umstand, der hier festzuhalten ist, nämlich von zwischen den Wolken her –, erschien mir das auf der Oberfläche abfließende Wasser, einzige erscheinende Spur dessen, was dort, in diesen Breiten, die Oberflächengestalt mehr erzeugt als anzeigt, das Relief dessen, was man die sibirische Ebene nennt, eine nun wirklich im strengen Sinne verlassene Ebene, verlassen von jeder Vegetation, außer einem leuchtenden Glanz, der das, was nicht schimmert, in den Schatten stößt, dem Glanz des abfließenden Wassers.103
Qu’est-ce que c’est que ça le ruissellement ?
Was ist das, das Abfließen?
C’est un bouquet.
Eine Bündelung.
Ça fait bouquet, c’est ce qu’ailleurs j’ai distingué du trait premier et de ce qui l’efface.104
Das stellt eine Bündelung her, nämlich das, was ich an anderer Stelle so unterschieden habe: als ersten trait – als ersten Zug oder Strich – und als das, was ihn auslöscht.
Je l’ai dit, en son temps, mais on oublie toujours une partie de la chose, je l’ai dit à propos du trait unaire, c’est de l’effacement du trait que se désigne le sujet.
Ich habe es bereits früher gesagt, aber man vergisst immer einen Teil der Sache, im Hinblick auf den unären Zug habe ich gesagt: das, wodurch das Subjekt sich bezeichnet, ist das Auslöschen des Zugs.105
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Ça se marque donc en deux temps106 pour que s’y distingue ce qui est rature.
Das wird also in zwei Schritten markiert, sodass sich das, was Streichung (rature) ist, darin unterscheidet.107
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Litura… lituraterre, rature d’aucune trace qui soit d’avant, c’est ce qui fait terre du littoral.
Litura – Lituraterre: Ausstreichung jeglicher Spur, die zuvor da war, das ist das, was den Boden (terre) des Litorals ausmacht.109 : c’est du littéral.
Reine litura, das ist Literales, Buchstäbliches.
La reproduire, cette rature, c’est reproduire cette moitié, cette moitié dont le sujet subsiste.
Diese Ausstreichung zu reproduzieren, heißt, jene Hälfte zu reproduzieren, von der her das Subjekt Bestand hat.110
Ceux qui sont là depuis un bout de temps, il doit y en avoir de moins en moins, doivent se souvenir de ce qu’un jour j’ai fait récit des aventures d’une moitié de poulet.
Diejenigen, die schon länger dabei sind – davon muss es immer weniger geben –, müssen sich an das erinnern, was ich mal über die Abenteuer eines halben Huhns erzählt habe.111
Produire la rature définitive, c’est cela l’exploit de la calligraphie.
Die definitive Streichung zu produzieren, eben darin besteht die Leistung der Kalligrafie.112
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Vous pouvez toujours essayer de faire simplement, ce que je ne vais pas faire, parce que je la raterai, d’abord parce que je n’ai pas de pinceau, essayer de faire cette barre horizontale qui se trace de gauche à droite pour figurer d’un trait l’Un unaire comme caractère.
Sie können immer versuchen, einfach das zu tun, was ich nicht tun werde, da es mir misslingen wird – zunächst einmal, weil ich keinen Pinsel habe –, Sie können versuchen, diesen waagerechten, von links nach rechts gezogenen Balken zu zeichnen, um durch einen trait, einen Strich, das unäre Eins als Schriftzeichen bildlich darzustellen.113
Franchement, vous mettrez très longtemps à trouver de quelle rature ça s’attaque114 et à quel suspens ça s’arrête, de sorte que ce que vous ferez sera lamentable, c’est sans espoir pour un occidenté.
Offen gesagt, Sie werden sehr lange brauchen, um herauszufinden, durch welche Streichung das in Angriff genommen wird und bei welcher Spannung es zu einem Halt kommt, derart, dass das, was Sie tun werden, erbärmlich sein wird; für einen Verwesteten ist das hoffnungslos.115
Il y faut un train différent qui ne s’attrape qu’à se détacher de quoi que ce soit qui vous raye.
Man braucht hier eine andere Abfolge, die man nur erreicht, wenn man sich von allem löst, was einen durchstreicht, was immer das sein mag.116
Entre centre et absence, entre savoir et jouissance, il y a un littoral qui ne vire au littéral qu’à ce que ce virage vous puissiez le prendre le même à tout instant.
Zwischen Zentrum und Abwesenheit, zwischen Wissen und Jouissance, liegt das Litoral, das nur dann zum Literalen abbiegt, zum Buchstäblichen, wenn Sie in der Lage sind, jederzeit dieselbe Kurve zu nehmen.117
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Diskurs der Universität (oben links),
Diskurs des Herrn (oben rechts) und
Diskurs des Analytikers (unten links)
mit Bezeichnung der vier Plätze
(Seminar 17, Die Kehrseite der Psychoanalyse)118
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C’est de cela seulement que vous pouvez vous tenir pour agent qui le soutienne.
Dies allein ermöglicht es Ihnen, sich für einen Agenten halten, der es unterstützt.119
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Szene aus Aristophanes, Die Wolken, mit Sokrates in einem Wolken-Korb120
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Et c’est bien aux nuées qu’Aristophane me hèle, de trouver ce qu’il en est du signifiant, soit le semblant par excellence… si c’est de sa rupture qu’en pleut l’effet de ce qui s’en précipite, de ce qui y était121 matière à suspension.
Ruft mich Aristophanes doch dazu auf, in den Wolken das zu finden, worum es beim Signifikanten geht, nämlich um den Schein (semblant) par excellence, wenn es durch sein Zerbersten dazu kommt, dass daraus die Wirkung dessen regnet, was daraus herabstürzt und was darin Materie im Schwebezustand war.122
Kanō Eitoku (zugeschrieben), Zypressen, ca. 1590
170 x 460 cm, Farbe auf Papier, Hintergrund: mit Blattgold überzogene Wolken
Tokyo National Museum123
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Il faut vous dire que la peinture japonaise dont tout à l’heure je vous ai dit qu’elle s’entremêle si bien de calligraphie, elle en regorge 124 et que là le nuage, |[122] il n’y manque pas.
Man muss sagen, dass die japanische Malerei, über die ich Ihnen gerade gesagt habe, dass sie sich so gut mit Kalligrafie verbindet, voll davon ist und dass die Wolke hier keineswegs fehlt.
C’est de là où j’étais à cette heure que j’ai vraiment bien compris quelle fonction avaient ces nuages, ces nuages d’or qui littéralement bouchent, cachent toute une partie des scènes, dans des lieux, des lieux qui sont des choses qui se déroulent dans un autre sens, celles-là, on les appelle emakimono, qui président à la répartition des petites scènes.125
Von dort aus, wo ich zu jener Stunde war, habe ich wirklich gut verstanden, welche Funktion diese Gold-Wolken hatten, die buchstäblich einen ganzen Teil der Szenen verstopfen und verbergen, an Orten, bei denen es um Sachen geht, die in einer anderen Richtung ausgerollt werden, man nennt sie Emakimono, und welche die Aufteilung der kleinen Szenen bestimmen.126
Pourquoi ? Comment se peut-il que ces gens, qui savent dessiner, éprouvent le besoin de les entremêler de ces amas de nuages, si ce n’est précisément que c’est ça qui y introduit la dimension du signifiant ?
Warum? Wie kann es sein, dass diese Leute, die zeichnen können, das Bedürfnis verspüren, sie mit diesen Wolkenmassen zu durchsetzen, wenn nicht genau deshalb, weil dies die Dimension des Signifikanten in sie einführt?127
La lettre, qui fait rature, s’y distingue d’être rupture donc du semblant qui dissout ce qui faisait forme, phénomène, météore.
Der Buchstabe, der eine Ausstreichung vollzieht, zeichnet sich dadurch aus, dass er Bruch ist, nämlich mit dem Schein, ein Bruch der das auflöst, was Gestalt, Phänomen, Meteor war.128
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C’est ça, je l’ai déjà dit, que la science opère, au départ, de la façon la plus sensible sur des formes perceptibles.
Das ist das – ich habe es bereits gesagt –, was die Wissenschaft zu Beginn auf spürbarste Weise an den wahrnehmbaren Gestalten vornimmt.
Mais du même coup ça doit être aussi que ce soit d’en congédier ce qui de cette rupture ferait jouissance, c’est-à-dire d’en dissiper ce qu’elle soutient de cette hypothèse, pour m’exprimer ainsi de la jouissance, qui fait le monde en somme.
Aber zugleich muss es auch sein, dass es darum geht, davon das zu verabschieden, was durch dieses Zerbersten Jouissance hervorriefe, das heißt daraus das zu vertreiben, was sie – um mich so über die Jouissance auszudrücken – von dieser Hypothese stützt, durch welche insgesamt die Welt wird.129
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Car l’idée de monde, c’est ça : penser qu’il soit fait de pulsions telles qu’aussi bien s’en figure la vie.130.
Denn die Idee der Welt, das ist dies: zu denken, sie bestehe aus Trieben, derart, dass von daher auch das Leben vorgestellt wird.131
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Erosionsrinne im Grand-Canyon-Nationalpark132
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Et bien, ce qui de jouissance s’évoque à ce que se rompe un semblant, voilà ce qui, dans le réel, c’est là le point important, dans le réel, se présente comme ravinement.
Nun, was an Jouissance evoziert wird, wenn ein Schein zerbricht, das ist das, was sich im Realen – das ist hier der wichtige Punkt: im Realen – als Bildung von Erosionsrinnen darstellt.133
C’est là vous définir par quoi l’écriture peut être dite dans le réel le ravinement du signifié, soit ce qui a plu du semblant en tant que c’est ça qui fait le signifié.
Damit wird Ihnen definiert, inwiefern die Schrift im Realen die Rinne des Signifikats genannt werden kann, also das, was an Schein geregnet ist, insofern es das ist, wodurch das Signifikat gebildet wird.134
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L’écriture ne décalque pas le signifiant, elle n’y remonte qu’à prendre nom, mais exactement de la même façon que ça arrive à toute chose que vient à dénommer la batterie signifiante après qu’elle les a dénombrées.
Die Schrift gibt nicht den Signifikanten wieder, sie geht zu ihm nur zurück, um Namen zu nehmen, doch genau auf dieselbe Weise, wie es allen Dingen zustößt, die die Signifikantenbatterie benennt, nachdem sie sie aufgezählt hat.135
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Bien entendu, comme je ne suis pas sûr que tout mon discours s’entende, il va falloir quand même que je fasse épingle d’une opposition. L’écriture, la lettre, c’est dans le réel, et le signifiant, dans le symbolique.
Da ich mir natürlich nicht sicher bin, dass mein gesamte Rede verstanden wird, wird es wohl nötig sein, dass ich einen Gegensatz fixiere: Die Schrift, der Buchstabe, das ist im Realen, und der Signifikant im Symbolischen.136
Comme ça, ça pourra faire pour vous ritournelle. Bon.
Auf diese Weise werden Sie das runterbeten können. Gut.
J’en reviens à un moment plus tard dans l’avion, on va avancer un peu, comme ça, je vous ai dit que c’était sur ce voyage de retour.
Ich komme auf einen späteren Moment im Flugzeug zurück, so werden wir ein bisschen weiterkommen; ich habe Ihnen gesagt, es war auf der Rückreise.
Alors là, c’est ça qui est frappant, c’est de les voir apparaître, il y a d’autres traces qu’on voit se soutenir en isobares, elles, seulement elles s’aident de temps en temps d’un remblai.
Nun, was dabei auffällt, ist, sie erscheinen zu sehen: es gibt weitere Spuren/Trassen, von denen man sieht, dass sie sich in Isobaren [sic] halten, nur helfen sie sich hin und wieder mit einer Aufschüttung.137
Enfin en gros, isobares, ça les fait normales à celles dont une pente qu’on peut appeler suprême du relief se marque des courbes.138
Also im Großen und Ganzen Isobaren; das macht sie zu Normalen gegenüber denen, bei denen ein Gefälle der Oberfläche, das man als die stärkste bezeichnen kann, sich durch Kurven abzeichnet.
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Là d’où j’étais, c’était très clair.
Da, wo ich war, war das sehr klar.
Autobahnkreuz in Osaka139
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J’avais déjà vu à Osaka comment les |[123] autoroutes paraissent descendre du ciel, il n’y a que de là qu’elles ont pu se poser comme ça les unes au-dessus des autres.
Bereits in Osaka hatte ich gesehen, wie die Autobahnen vom Himmel herabzukommen schienen, nur dort konnten sie so angeordnet werden, übereinander.
Il y a une certaine architecture japonaise, la plus moderne, qui sait très bien retrouver l’ancienne.
Es gibt eine bestimmte japanische Architektur, die modernste, die sehr gut die alte wiederzufinden weiß.
L’architecture japonaise, ça consiste essentiellement en un battement d’une aile d’oiseau.
Die japanische Architektur, das besteht wesentlich im Schlagen eines Vogelflügels.
Ça m’a aidé à comprendre de voir tout de suite que le plus court chemin d’un point à un autre ne serait jamais montré à personne, s’il n’y avait pas le nuage.140
Das hat mir geholfen, zu begreifen und sofort zu sehen, dass der kürzeste Weg von einem Punkt zum anderen sich nie jemandem gezeigt hätte, wenn es nicht die Wolke gäbe.
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Comment ça se fait une route ?
Wie wird eine Straße gebaut?
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Jamais personne ne suit la ligne droite, ni l’homme, ni l’amibe, ni la mouche, ni la branche, ni rien du tout.
Nie folgt jemand der geraden Linie, weder der Mensch noch die Amöbe, noch die Fliege, noch der Ast, noch sonst etwas.
Aux dernières nouvelles, on sait que le trait de lumière non plus ne la suit pas, tout à fait solidaire de la courbure universelle.
Den neuesten Nachrichten zufolge weiß man, dass auch der Lichtstrahl ihr nicht folgt, in völliger Übereinstimmung mit der Krümmung des Universums.
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La droite là-dedans, ça inscrit tout de même quelque chose, ça inscrit la distance, et la distance, confer les lois de Newton, ça n’est absolument rien qu’un facteur effectif d’une dynamique que nous appellerons de cascade, c’est ce qui fait que tout ce qui choit suit une parabole
Die Gerade darin, das schreibt dennoch etwas ein, das trägt den Abstand ein, und der Abstand – siehe die Newton’schen Gesetze – ist absolut nichts anderes als Wirkfaktor in einer Dynamik, die wir kaskadenartig nennen möchten; das ist das, was dazu führt, dass alles, was fällt, einer Parabel folgt.
Donc, il n’y a de droite que d’écriture, ni d’arpentage que du ciel.
Eine Gerade gibt es also nur durch Schrift und eine Vermessung nur durch den Himmel.
Et ce sont l’un et l’autre en tant que tels, pour soutenir la droite, ce sont artefacts à n’habiter que le langage.
Und beide als solche sind, um die Gerade zu stützen, beide als solche sind Artefakte, insofern sie nur die Sprache bewohnen.141
Il ne faudrait quand même pas l’oublier, notre science n’est opérante que d’un ruissellement de petites lettres et de graphiques combinés.
Man sollte dennoch nicht vergessen, unsere Wissenschaft funktioniert nur durch ein Fließen von kleinen Buchstaben und kombinierten Diagrammen.
Titelemblem von „La Psychanalyse“ aus Horus Apollo
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La Psychanalyse, Bd. 1, 1956142
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Sous le pont Mirabeau, certes comme sous celui d’une revue qui fut la mienne là où j’avais foutu comme enseigne un pont-oreille emprunté à Horus Apollo, Sous le pont Mirabeau… coule la Seine… primitive.
Sous le pont Mirabeau, Unter der Mirabeau-Brücke143, sicherlich, wie unter der einer Zeitschrift, die meine war, da, wo ich als Aushängeschild eine Ohrenbrücke angebracht hatte, Horus Apollo entnommen, Unter der Mirabeau-Brücke fließt die Ur-Seine.144
C’est une scène telle, ne l’oubliez pas, à relire Freud, que peut y battre le V romain de l’heure cinq, c’est dans l’Homme aux loups.
Das ist eine Szene von der Art – vergessen Sie das nicht, wenn Sie Freud wiederlesen –, dass darin die römische V der fünften Stunde schlagen kann, das steht im Wolfsmann.145
Mais qu’aussi bien, on n’en jouit pas, [… qu’à ce qu’y pleuve ? ] l’interprétation.146
Man genießt das aber auch nur, wenn die Deutung darauf regnet.147
Que le symptôme institue l’ordre dont s’avère notre politique, c’est là le pas qu’elle a franchi.
Dass das Symptom die Ordnung stiftet, von der her sich unsere Politik erweist, das ist der Schritt, den sie getan hat.148
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Il implique d’autre part que tout ce qui s’articule de cet ordre soit passible d’interprétation.
Er impliziert andererseits, dass alles, was von dieser Ordnung artikuliert wird, einer Deutung unterzogen werden kann.149
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C’est pourquoi on a bien raison de mettre la psychanalyse au chef de la politique.
Deshalb hat man durchaus recht, wenn man die Psychoanalyse der Politik voranstellt.150
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Et ceci pourrait n’être pas de tout repos pour ce qui est de la politique et pour tout ce qui s’y fait, si la psychanalyse s’avérait plus avertie.151
Und es könnte für das, was die Politik angeht, nicht sehr geruhsam sein, und für all das, was in ihr geschieht, wenn die Psychoanalyse sich als beschlagener erwiese.
Il suffirait donc peut-être que pour mettre notre espoir ailleurs, ce que font les littérateurs, si je peux les faire mes compagnons, il suffirait donc que de l’écriture nous tirions un autre parti que de tribunes ou tribunal pour que s’y jouent d’autres paroles à nous en faire nous-mêmes, à nous en faire le tribut.152
Es würde also vielleicht genügen – um unsere Hoffnung auf anderes zu setzen –, was die Literaten tun, falls ich sie zu meinen Gefährten machen kann, es würde also genügen, wenn wir aus der Schrift einen anderen Nutzen zögen als den der Tribüne oder des Tribunals, damit darin andere Worte ins Spiel kommen, indem wir den Tribut an uns selbst entrichten.153
[124] Je l’ai dit, et je ne l’oublie jamais, il n’y a pas de métalangage, toute logique est faussée de prendre départ du langage objet comme immanquablement elle le fait jusqu’à ce jour.
Ich habe es gesagt, und ich vergesse es niemals, es gibt keine Metasprache; jede Logik ist verfälscht, wenn sie, wie sie es bis heute unweigerlich tut, von der Objektsprache ausgeht.154
Il n’y a donc pas de métalangage, mais l’écrit qui se fabrique du langage pourrait peut-être être matériel de force à ce que s’y changent nos propos.
Es gibt also keine Metasprache, aber das Geschriebene, das aus der Sprache verfertigt wird, könnte vielleicht Material sein, das die Kraft hätte, dass sich darin unsere Behauptungen ändern.
Je ne vois pas d’autre espoir que ce qui actuellement s’aiguise.155
Ich sehe keine andere Hoffnung als das, was sich gegenwärtig zuspitzt.
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Est-il possible en somme du littoral de constituer tel discours qui se caractérise, comme j’en pose la question cette année, de ne pas s’émettre du semblant ?
Ist es also möglich, aus dem Litoral einen Diskurs zu bilden, der dadurch gekennzeichnet ist – wie ich in diesem Jahr die Frage stelle –, dass er nicht vom Schein ausgeht?156
C’est évidemment la question qu’ils se proposent dans la littérature dite d’avant-garde, laquelle elle-même est un fait de littoral, et donc ne se soutient pas du semblant, mais pour autant ne prouve rien, sinon à montrer la cassure que seul un discours peut produire, j’ai dit produire, mettre en avant avec l’effet de production, c’est le schéma de mes quadripodes de l’année dernière.’’
Das ist offenkundig die Frage, die man sich in der sogenannten Avantgarde-Literatur stellt, die selbst eine Sache des Litorals ist und sich daher nicht auf den Schein stützt, die jedoch nichts beweist, außer, dass sie den Bruch anzeigt, den einzig ein Diskurs produzieren kann – ich sage produzieren, mit Produktionswirkung hervorbringen, das ist das Schema meiner Quadripoden des letzten Jahres.157
Ce à quoi semble prétendre une littérature en son ambition, c’est ce que j’épingle de lituraterrir, c’est de s’ordonner d’un mouvement qu’elle appelle scientifique.
Was eine Literatur in ihrem Ehrgeiz zu beanspruchen scheint ist etwas, das ich als lituraterrir festmache – als Betreten von Lituraterrain, als Landen der Streichung –, nämlich sich von einer Bewegung her zu ordnen, die sie wissenschaftlich nennt.158
Et c’est un fait que dans la science l’écriture a fait merveille, et cette merveille n’est pas près de se tarir.
Und es ist eine Tatsache, dass in der Wissenschaft die Schrift Wunder gewirkt hat, und dieses Wunder ist nicht dabei zu versiegen.
Cependant la science physique se trouve ou va se trouver ramenée à la considération du symptôme, dans les faits, par la pollution, il y a des gens, des scientifiques qui y sont sensibles, par la pollution de ce que du terrestre on appelle, sans plus de critique, environnement.
De Wissenschaft der Physik wird jedoch dazu gebracht oder dazu gebracht werden, in den Tatsachen das Symptom zu bedenken, aufgrund der Verschmutzung – es gibt Leute, Wissenschaftler, die dafür sensibel sind –, aufgrund der Verschmutzung dessen, was man, vom Terrestrischen, ohne weitere Kritik Umwelt nennt.159
C’est l’idée de Uexküll, l’Umwelt, mais behaviorisée, c’est-à-dire complètement crétinisée.
Das ist die Idee von Uexküll: Umwelt*, jedoch behaviorisiert, das heißt völlig verblödet.160
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Pour lituraterrir moi-même, je vais repartir de cet effet dans le ravinement, c’est une image certes, mais d’aucune métaphore, l’écriture est ce ravinement.
Um selbst zu lituraterren (lituraterrir), möchte ich wieder von der Rinnenbildung ausgehen, das ist zwar ein Bild, aber keine Metapher: die Schrift ist diese Rinne.
Ce que j’ai écrit là y est compris, et quand je parle de jouissance, j’invoque légitimement ce que j’accumule d’auditoire, et pas moins naturellement ce dont je me prive.
Was ich dort geschrieben habe, ist darin enthalten, und wenn ich von Jouissance spreche, berufe ich mich zu Recht auf das, was ich an Zuhörern ansammle, und natürlich nicht weniger auf das, dessen ich mich beraube.161
Ça m’occupe, votre affluence.
Das hält mich auf Trab, ihr Andrang.162
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Le ravinement, je l’ai préparé.
Die Rinne, ich habe sie vorbereitet.163
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Qu’il y ait inclus dans la langue japonaise, c’est là que je reprends, un effet d’écriture, l’important, c’est ce qui nous y offre ressource de faire exemple à lituraterrir.
Dass in der japanischen Sprache, um darauf zurückzukommen, ein Schrifteffekt enthalten ist, daran ist das Wichtige das, was uns hier eine Ressource bietet, um für lituraterrir – für das Betreten von Lituraterrain, für das Landen der Streichung – ein Beispiel zu geben.
L’important, c’est que l’effet de l’écriture reste attaché à l’écriture, que ce qui est porteur de l’effet d’écriture y soit une écriture spécialisée, en ceci qu’en japonais cette écriture spécialisée puisse se lire de deux prononciations différentes, en on’yomi, je ne suis pas là en train de vous jeter de la poudre aux yeux […] |[125], on’yomi, c’est comme ça que ça s’appelle, c’est sa prononciation en caractères, en caractères, ça se prononce comme tel distinctement, en kun’yomi, de la façon dont ça se dit en japonais, ce que le caractère veut dire.
Das Wichtige ist, dass der Schrifteffekt an die Schrift gebunden bleibt, dass der Träger des Schrifteffekts hier eine spezielle Schrift ist, insofern diese spezielle Schrift im Japanischen mit zwei verschiedenen Aussprachen gelesen werden kann, in on’yomi – ich bin nicht dabei Ihnen Staub in die Augen zu werfen […] –, on’yomi, so nennt sich das, das ist ihre Aussprache als Schriftzeichen, als Schriftzeichen das auf besondere Weise ausgesprochen wird, und in kun’yomi, da wird es so ausgesprochen, wie man auf Japanisch sagt, was das Schriftzeichen bedeutet.164
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Vous allez naturellement vous foutre dedans, c’est-à-dire que, sous prétexte que le caractère est lettre, vous allez croire que je suis en train de dire que dans le japonais les épaves du signifiant courent sur le fleuve du signifié.
Sie werden sich natürlich gewaltig vertun, das heißt, unter dem Vorwand, dass das Schriftzeichen Buchstabe ist, werden Sie glauben, ich sei dabei zu behaupten, dass im Japanischen die Trümmer des Signifikanten zum Fluss des Signifikats hinunterströmen.165
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C’est la lettre, et non pas le signe, qui ici fait appui de signifiant, mais comme n’importe quoi d’autre, à suivre la loi de métaphore dont j’ai rappelé, ces derniers temps, qu’il fait l’essence du langage.166
Es ist der Buchstabe, nicht das Zeichen, was hier die Stütze des Signifikanten bildet, jedoch, wie beliebiges anderes, dem Gesetz der Metapher folgend, bei dem ich die letzten Male daran erinnert habe, dass es das Wesen der Sprache ausmacht.167
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C’est toujours d’ailleurs de là où il est le langage, du discours, qu’il prend quoi que ce soit au filet du signifiant, et donc l’écriture elle-même.
Es immer von anderswo her als von dort, wo sie, die Sprache, ist, nämlich vom Diskurs her, dass sie, was immer es sei, im Netz des Signifikanten fängt, und also die Schrift selbst.168
Seulement voilà, elle est promue de là à la fonction d’un référent aussi essentiel de toute chose169, et c’est ça qui change le statut du sujet.
Nur wird die Schrift von dort aus in die Funktion eines so wesentlichen Referenten aller Dinge befördert, und das verändert den Status des Subjekts.170
C’est par là qu’il s’appuie sur un ciel constellé, et non seulement sur le trait unaire pour son identification fondamentale.
Von daher kommt es, dass es sich für seine fundamentale Identifizierung auf einen konstellierten Himmel stützt und nicht nur auf den unären Zug.171
Eh bien justement il y en a trop, trop d’appuis, c’est la même chose que de ne pas en avoir.
Nun gibt es aber zu viele davon; zu viele Stützen, das ist dasselbe wie keine zu haben.
C’est pour ça qu’il prend appui ailleurs, sur le tu.
Deshalb stützt es sich auf etwas anderes, auf das Du.172
C’est qu’en japonais, on voit toutes les formes grammaticales pour le moindre énoncé, pour dire quelque chose, comme ça, n’importe quoi, il y a des manières plus ou moins polies de le dire selon la façon dont je l’implique, dans le tu.
Im Japanischen ist es so, dass man bei der kleinsten Aussage sämtliche grammatischen Formen sieht; wenn man etwas sagen will, einfach so, was auch immer, gibt es mehr oder weniger höfliche Arten, es zu sagen, je nachdem, wie ich es in das Du impliziere.173
Je l’implique, si je suis japonais, si je ne suis pas japonais, je ne le fais pas, ça me fatiguerait.
Ich impliziere es, wenn ich Japaner bin; wenn ich kein Japaner bin, tue ich das nicht, es würde mich ermüden.
Quand vous pourrez, c’est vraiment à la portée de tout le monde d’apprendre le japonais, quand vous aurez vu que la moindre chose fait sujet aux variations dans l’énoncé, qui sont des variations de politesse, vous aurez appris quelque chose. Vous aurez appris qu’en japonais, la vérité renforce la structure de fiction que j’y dénote justement d’y ajouter les lois de la politesse.174
Wenn Sie könnten – Japanisch zu lernen, ist wirklich in Reichweite eines jeden –, wenn Sie gesehen haben werden, dass die kleinste Sache bestimmten Variationen der Aussage unterworfen ist, und zwar Variationen von Höflichkeit, dann werden Sie etwas gelernt haben, Sie werden gelernt haben, dass im Japanischen die Wahrheit die Fiktionsstruktur, die ich darin bezeichne, verstärkt, eben dadurch, dass sie die Gesetze der Höflichkeit hinzufügt.175
Singulièrement ça semble porter le résultat de ce qu’il n’y ait rien à défendre du refoulé, puisque le refoulé lui-même trouve à se loger de cette référence à la lettre.
Eigenartigerweise scheint dies zu dem Ergebnis zu führen, dass vom Verdrängten nichts abzuwehren ist, da es dem Verdrängten gelingt, sich durch diesen Bezug auf den Buchstaben unterzubringen.
En d’autres termes, le sujet est divisé comme partout par le langage, mais un de ses registres peut se satisfaire de la référence à l’écriture, et l’autre de l’exercice de la parole.
Mit anderen Worten, das Subjekt ist wie überall durch die Sprache gespalten, aber eines seiner Register kann sich mit dem Bezug auf die Schrift zufrieden geben und das andere mit der Ausübung des Sprechens.176
C’est sans doute ce qui a donné à mon cher ami Roland Barthes ce sentiment enivré que de toutes ces bonnes manières, le sujet japonais ne fait en bloc rien177.
Das war es wohl, was meinem lieben Freund Roland Barthes das berauschte Gefühl gab, dass das japanische Subjekt mit all seinen guten Manieren en bloc nichts macht.178
Du moins est-ce ce qu’il dit dans un livre que je vous recommande, car c’est une œuvre sensationnelle, l’Empire des Signes, |[126] qu’il intitule ça.
Zumindest sagt er das in einem Buch, das ich Ihnen empfehle, denn es ist ein sensationelles Werk, Das Reich der Zeichen, so betitelt er das.179
Dans les titres, on fait des termes souvent un usage impropre. Enfin, on fait ça pour les éditeurs.
Bei den Titeln macht man von den Termini oftmals einen unpassenden Gebrauch; naja, das macht man für die Verleger.
Ce qu’il veut dire évidemment, que c’est l’empire des semblants, il suffit de lire le texte pour s’en apercevoir.
Damit will er offenkundig sagen, dies ist l’empire des semblants, das Reich der Formen des Scheins; man braucht nur den Text zu lesen, um das wahrzunehmen.180
Et bien, le japonais… mythique, le petit japonais du commun, m’a-t-on dit, la trouve mauvaise c’est du moins ce que j’ai entendu là-bas.
Nun, der Japaner, der mythische, der kleine Normal-Japaner, findet es, so wurde mir gesagt, schlecht, so habe ich zumindest dort gehört.
Et en effet, quelque excellent [que l’ait] écrit Roland Barthes, je lui opposerai ce que je dis aujourd’hui, à savoir que rien n’est plus distinct du vide creusé par l’écriture que le semblant, en ceci d’abord qu’il est le premier des godets prêt toujours à faire accueil à la jouissance ou tout au moins à l’invoquer de son artifice.
Und tatsächlich, wie hervorragend Roland Barthes es auch geschrieben haben mag, möchte ich ihm doch entgegenhalten, was ich heute sage, nämlich dass sich nichts von der durch die Schrift ausgehöhlten Leere stärker unterscheidet als der Schein, und dies zunächst darin, als er der erste der Näpfe ist, stets bereit, die Jouissance in Empfang zu nehmen oder sie mit seinem Kunstgriff zumindest aufzurufen.181
D’après nos habitudes, rien ne communique moins de soi qu’un tel sujet qui en fin de compte ne cache rien, qui n’a qu’à nous manipuler, et je vous assure qu’il ne s’en prive pas.
Unseren Gewohnheiten nach kommuniziert nichts von sich weniger als ein solches Subjekt, das letztlich nichts verbirgt, das uns nur zu manipulieren hat, und ich versichere Ihnen, dass es sich das nicht nehmen lässt.
C’était pour moi un délice, car en fin de compte j’adore ça…
Das war für mich eine Wonne, denn letztlich verehre ich das.
Vous êtes un élément, entre autres, du cérémonial où le sujet se compose justement de pouvoir se décomposer.
In dem Zeremoniell, in dem das Subjekt eben daraus besteht (se compose), dass es zerlegt (décomposer) werden kann, sind Sie ein Element unter anderen.
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Bunraku182
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Le Bunraku, peut-être que vous avez vu ça, certains d’entre vous quand ils sont passés à Paris, le Bunraku, j’ai été le revoir là-bas, je l’avais déjà vu la première fois, eh bien… eh bien, le Bunraku, c’est là son ressort : il fait voir la structure toute ordinaire pour ceux à qui elle donne leurs mœurs elles-mêmes.
Das Bunraku, vielleicht haben Sie das gesehen, einige von Ihnen, als sie nach Paris gekommen sind, das Bunraku habe ich mir dort drüben wieder angeschaut, bereits beim ersten Mal hatte ich es mir angeschaut, nun, das Bunraku, seine Triebfeder ist dies: es macht die ganz gewöhnliche Struktur sichtbar, für diejenigen, denen sie ihre Sitten selbst vermittelt.183
Vous savez qu’on voit à côté de la marionnette exactement à découvert les gens qui y opèrent.
Sie wissen, dass man neben der Puppe, und zwar unverdeckt, die Leute sieht, die daran mitwirken.
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Tayū (Rezitator) und Samisen-Spieler beim Bunraku184
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Aussi bien, comme au Bunraku, tout ce qui se dit dans une conversation japonaise pourrait-il aussi bien être lu par un récitant.
Wie im Bunraku könnte alles, was in einer japanischen Konversation gesagt wird, genauso gut von einem Rezitator vorgelesen werden.185
C’est là ce qui a dû soulager Barthes.
Das ist das, was Barthes sicherlich erleichtert hat.
Le Japon est l’endroit où il est le plus naturel de se soutenir […] d’une interprète qui aurait aussi bien pu être un, d’une interprète, on est tout à fait à l’aise, on peut se doubler d’une interprète, ça ne nécessite en aucun cas d’interprétation.186
Japan ist der Ort, wo es das Natürlichste ist, das man sich auf die Hilfe d’une interprète stützt, einer Dolmetscherin, die ebenso ein Dolmetscher hätte sein können, man ist ganz entspannt, man kann sich durch eine Interpretin verdoppeln, eine Interpretation ist keinesfalls erforderlich.187
Vous vous rendez compte, [si j’étais soulagé…] le japonais, c’est la traduction perpétuelle des faits du langage188.
Sie begreifen, wenn ich erleichtert war; das Japanische ist die fortwährende Übersetzung der Fakten der Sprache.
Ce que j’aime, et je vais finir là-dessus, c’est que la seule communication que j’y ai eue, hors les Européens, bien sûr, avec lesquels je sais m’entendre selon notre malentendu culturel, la seule que j’ai eue avec un Japonais, c’est aussi la seule, qui là-bas comme ailleurs puisse être une communication, pas un dialogue, c’est une communication scientifique.
Was mir gefällt, und damit will ich schließen, ist, dass die einzige Kommunikation, die ich dort hatte – abgesehen von den Europäern natürlich, mit denen ich mich gemäß unserem kulturellen Missverständnis zu verständigen weiß –, die einzige, die ich mit einem Japaner hatte, auch die einzige ist, die dort drüben wie anderswo eine Kommunikation sein kann, kein Dialog, nämlich eine wissenschaftliche Kommunikation.189
J’ai été voir un éminent biologiste, que je ne nommerai pas, en raison des règles de la politesse japonaise et de ce que je vais dire, ça l’a poussé à me démontrer ses travaux naturellement là où ça se fait, au tableau noir !
Ich habe einen angesehenen Biologen aufgesucht, den ich aufgrund der Regeln der japanischen Höflichkeit nicht nennen werde und aufgrund von etwas, das ich gleich sagen werde, und das hat ihn dazu gebracht, mir seine Arbeiten vorzuführen, natürlich dort, wo so etwas gemacht wird, an der Tafel.190
Le fait que, faute d’informations, je n’y compris rien, n’empêche nullement ce qu’il a |[127] écrit, ses formules, d’être entièrement valables, comme les miennes, là où elles sont, valables pour les molécules dont mes descendants se feront sujets, sans que j’aie jamais eu à savoir comment je leur transmettais ce qui rendait vraisemblable que, moi, je me classe parmi les êtres vivants.191
Die Tatsache, dass ich aufgrund fehlender Informationen nichts davon verstehe, schließt keineswegs aus, dass das, was er geschrieben hat, seine Formeln, völlig gültig ist – wie die meinigen, da wo sie es sind –, gültig für die Moleküle, zu deren Subjekten sich meine Nachkommen machen werden, ohne dass ich je hätte wissen müssen, wie ich sie an sie übermittelt habe, was es wahrscheinlich machte, dass ich mich zu den Lebewesen zähle.192
Une ascèse de l’écriture, ça n’ôte en rien des avantages que nous pouvons prendre de la critique littéraire.
Eine Askese der Schrift, das nimmt den Vorteilen, die wir aus der Literaturkritik gewinnen können, nicht das Geringste.
Ça me semble, pour fermer la boucle sur quelque chose de cohérent en raison de ce que j’ai déjà avancé, ça me semble ne pouvoir passer qu’à rejoindre ce „c’est écrit“ impossible dont s’instaurera peut-être un jour le rapport sexuel.
Mir scheint – um den Kreis bei etwas zu schließen, das durch das, was ich bereits vorgebracht habe, kohärent ist –, mir scheint, dass es nur dann geschehen kann, wenn es wieder an dieses unmögliche Es steht geschrieben anschließt, von dem her das sexuelle Verhältnis vielleicht eines Tages eingesetzt werden wird.193
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Sekundärliteratur zu „Lituraterre“
Biswas, Santanu: A literary introduction to « Lituraterre ». In : Ders. (Hg.): The literary Lacan. From Literature to Lituraterre and beyond. Seagull, London u.a. 2012, S. 173–195
Biswas, Santanu: The major literary seminars of Jacques Lacan: Literature, Lituraterre, Litterature. Routledge, London 2025
Fierens, Christian: Lecture d’un discours qui ne serait pas du semblant. Cours „lire-en-psychanalyse“ de 2009-2010 sur le livre XVIII du Séminare de Lacan. EME, Louvain-la-Neuve 2012, darin: Chapitre VII: Lituraterre, S. 143–164
Laurent, Éric: La lettre volée et le vol sur la lettre. (Vortrag von 1998 oder 1999). In: La Cause freudienne Nr. 43, 1999, S. 22, im Internet hier: https://www.lacanchine.com/Laurent_01.html. Englische Übersetzung: E. Laurent: The purloined letter and the tao of the psychoanalyst. In: Véronique Voruz, Bogdan Wolf (Hg.): The later Lacan. An introductíon. State University of New York Press, Albany 2007, S. 25–52.
Metz, Bénédict: Sur le ravinement : une lecture de Lituraterre et de ce que Lacan y apporte concernant les rapports du semblant et de l’écrit. 29.8.2008. A.L.I. Séminaire d’été 2008,
Nobus, Dany: Illiterature. In: Luke Thurston (Hg.): Re-inventing the symptom. Essays on the final Lacan. Other Press, New York 2002, S. 19–43.
Nobus, Dany: Annotations to Lituraterre. In: Continental Philosophy Review, Vol. 46 (2013), Nr. 2, S. 335–347
Ogasawara, Shin’ya: L’instance de la lettre dans l’inconscient japonais. In: Ornicar? digital, https://www.wapol.org/ornicar/articles/ogw0068.htm; die englische Übersetzung findet man hier. The instance of the letter in the Japanese unconscious
Rabaté, Jean-Michel: Jacques Lacan. Psychoanalysis and the subject of literature. Palgrave, Basingstoke und New York 2001, zu Lituraterre: S. 31–35.
Soler, Colette: Sur le semblant. In: Champ lacanien. Revue de psychanalyse, N° 28(1), „Semblant/s“, 2024, S. 11–17
Villers, Guy de: Écriture et réel. La lettre chez Lacan. 28. März 2011,
http://cripsa.over-blog.com/article-ecriture-et-reel-70457691.html
Žižek, Slavoj: Dialectical clarity versus the misty conceit of paradox. In: Ders., John Milbank: The monstrosity of Christ. Paradox or dialectic? MIT Press, Cambridge, Mass. (USA) 2009, S. 234–306; zu Lituraterre: S. 274 f.
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- Jacques Lacan: Joyce das Symptom I (Übersetzung)
- Jacques Lacan: Das optische Modell (Übersetzung)
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Anmerkungen
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Littérature, Nr. 3, 1. Jg., Oktober 1971, S. 3–10, nachgedruckt in: J. Lacan: Autres écrits. Le Seuil, Paris 2001, S. 11–20
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Lituraterre wurde zuerst veröffentlicht in der Zeitschrift Littérature, 1. Jahrgang, Oktober 1971, Heft 3, S. 3–10.
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Alfred Ernout, Antoine Meillet: Dictionnaire étymologique de la langue latine. Histoire des mots. Klincksieck, Paris 1959.
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Lino ist die erste Person Singular Präsens von linere, „ausstreichen von Geschriebenem“; litura bedeutet „Streichung in einem Text“; liturarius meint „etwas, das Streichungen zeigt“.
Eine der Bedeutungen des Titels ist also litura-terre, „Streichung in einem Text, bezogen auf den Boden“. Man wird dabei vielleicht an das Eintragen eines Textes in eine Fläche denken können, bei dem etwas gelöscht wird, eine Art Überschreiben, so wie man sagt, dass Daten „überschrieben“ und damit gelöscht worden sind.
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Lacan setzt in Lituraterre den Versuch fort, die Beziehung zwischen dem Signifikanten und dem Buchstaben näher zu bestimmen. Anfangs hatte er die Begriffe synonym verwendet (in Das Drängen des Buchstabens im Unbewussten oder die Vernunft seit Freud). In Seminar 9, Die Identifizierung (1961/62), hatte er begonnen, die Begriffe zu differenzieren. Der Wiederholungszwang ist demnach ein Versuch, einen verdrängten Signifikanten wieder hochkommen zu lassen, der jedoch urverdrängt ist und den Lacan in Seminar 9 als Buchstabe bezeichnet. (Vgl. Seminar 9, Die Identifizierung, Sitzungen vom 13. Dezember 1961, S. {19 f.}, vom 20. Dezember 1961, S. {2} und vom 10. Januar 1962, S. {21}) Er ist urverdrängt, das heißt: er treibt die normale Verdrängung an, kann aber durch freie Assoziation nicht zur Sprache gebracht werden.
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Zu beachten ist, dass litter auch „Streu“ bedeutet; im Folgenden wird das noch eine Rolle spielen.
In Lacans Poe-Aufsatz (1956) heißt es zu Poes Erzählung Der entwendete Brief:
„Was hielten sie in dem, was sie in ihren Händen hin und her wendeten, anderes in der Hand, als etwas, was nicht der Beschreibung entsprach, die sie vom Brief hatten? A letter, a litter, ein Brief, ein Abfall. Im literarischen Kreis um Joyce hat man mit Zweideutigkeiten zur Homophonie dieser beiden englischen Wörter gespielt.“
(J. Lacan: Das Seminar über E.A. Poes „Der entwendete Brief“. Übersetzt von Rodolphe Gasché. In: Ders.: Schriften I. Hg. v. N. Haas. Quadriga, Weinheim 1986, S. 24)
In einer Anmerkung zu diesem Satz verweist Lacan auf den von Samuel Beckett herausgegebenen Sammelband: Our exagmination round his factification for incamination of work in progress. Sylvia Beach (Shakespeare & Company), Paris 1929 (A.a.O., S. 24).
Der Sammelband enthält den Brief eines Vladimir Dixon, der mit A litter to Mr Joyce überschrieben ist. Hierin heißt es: “Please froggive my t’Emeritus and any inconvince that may have been caused by this litter. Yours veri tass, Vladimir Dixon.” Der Brief wurde lange Zeit irrtümlich Joyce zugeschrieben. Joyce selbst verwendet das Wortspiel letter/litter häufig aber auch selbst in Finnegans Wake; vgl. die Belege in Biswas 2012, S. 175 f.
Das günstige Vorzeichen besteht vermutlich darin, dass im Ernout/Meillet zu lesen ist, dass man neben littera (für „Buchstabe“) noch eine zweite Schreibweise findet, litera, also mit nur einem t, und dass die zweite Schreibweise auf einen etymologisch falschen Vergleich mit lino, litum zurückzuführen ist, also auf die Angleichung an litura, „Streichung“ (vgl. Biswas 2012, S. 174).
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Die Mäzenin, die ihm anbot, eine Psychoanalyse bei Jung zu finanzieren, war Edith Rockefeller McCormick, vgl. Richard Ellmann: James Joyce. Zweiter Band. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1979, S. 713 f. Joyce lehnte das Angebot ab.
In Seminar 23, Das Sinthom (1975/76), sowie in den beiden Aufsätzen Joyce das Symptom (I) und Joyce das Symptom (II) wird Lacan ausführlich auf Joyce zurückkommen.
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?? Demnach ist das Beste, das man von einer Psychoanalyse erwarten kann, dass eine Beziehung zwischen a letter und a litter hergestellt wird, zwischen eine Buchstaben und einem Abfall. Was ist damit gemeint?
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Palea, „Streu“ steht hier sicherlich euphemistisch für „Mist“, also für die Verbindung von Stroh und Exkrementen (vgl. Christian Fierens: Lecture d’un discours qui ne serait pas du semblant. Cours „lire-en-psychanalyse“ de 2009–2010 sur le livre XVIII du Séminaire de Lacan. EME, Louvain-la-Neuve 2012, darin: Chapitre VII: Lituraterre, S. 143–164, hier: S. 145).
Im Dezember 1273 hatte Thomas von Aquin eine mystische Erfahrung, die ihn dazu brachte, die Arbeit an der Summa Theologica einzustellen und nichts mehr zu schreiben. Er erklärte dies damit, dass alles, was er bisher geschrieben habe, „wie Streu“ für ihn sei, verglichen mit dem, was er gesehen habe. (Vgl. Biswas 2012, S. 177.)
Die Wendung geht auf das Buch Jesaja der hebräischen Bibel zurück:
„Aber die Menge deiner Feinde soll werden wie Staub und die Menge der Tyrannen wie wehende Spreu.“ (Jesaja 29, 5)
Lacan hatte den Ausdruck „sicut palea“ bereits verwendet im Vorschlag vom 9. Oktober 1967 über den Analytiker der École (J. Lacan: Autres écrits. Seuil, Paris 2001, S. 254); in der Note italienne (1973) wird er ihn wieder aufgreifen (Autres écrits, S. 311; dt. auf dieser Website: Italienische Note. Übersetzt von Eva Maria Jobst, 5. Juli 2019).
„Streu“ steht hier sicherlich euphemistisch für „Mist“, also für die Verbindung von Stroh und Exkrementen (so Christian Fierens: Lecture d’un discours qui ne serait pas du semblant. Cours „lire-en-psychanalyse“ de 2009–2010 sur le livre XVIII du Séminare de Lacan. EME, Louvain-la-Neuve 2012, darin: Chapitre VII: Lituraterre, S. 143–164, hier: S. 145).
Bezieht man Joyce auf Thomas von Aquin erhält man:
– Summa theologica: a letter;
– wie Streu: a litter. -
Quelle der Abbildung: Artikel „Cloaca Maxima“ der deutschen Wikipedia.
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Lacan bezieht sich auf den Vortrag Mon enseignement, sa nature et ses fins, den er am 20. April 1967 im psychiatrischen Krankenhaus Charles Perrens in Bordeaux gehalten hatte und in dem er sich über die Beziehung der Zivilisationen zu Mülldeponien und Abwassersystemen geäußert hatte:
„Es ist stets schockierend, darüber zu sprechen, obwohl das doch immer ein Teil von dem gewesen ist, was man die Kultur (civilisation) nennt. Eine Hochkultur ist zunächst einmal eine Kultur, die eine Müllkippe hat. Solange man nicht von Dingen dieser Art ausgeht, wird man nichts Seriöses sagen.
Bei den Völkern, die man seit einiger Zeit primitiv nennt, ich weiß nicht warum, wo sie doch absolut nichts von Primitivität an sich haben, oder sagen wir, in den Gesellschaften, mit denen sich die Ethnologen befassen (…), nun ja, gibt es weniger an Müllproblemen. Ich behaupte nicht, dass es dergleichen nicht gibt. Und eben, weil sie weniger von diesen Problemen haben, hat man sie Wilde genannt und sogar gute Wilde, und man sieht sie als Leute an, die näher an der Natur sind.
Doch für die Gleichung Hochkultur = Rohre und Kloaken gibt es keine Ausnahme. In Babylon gibt es Kloaken, in Rom gibt es nur das. Die Stadt beginnt damit, Cloaca maxima. Das Reich der Welt war ihr verheißen. Man sollte folglich stolz darauf sein. Der Grund dafür, dass man es nicht ist, ist der, dass man, wenn man dieser Tatsache ihre, wenn man das sagen kann, fundamentale Tragweite geben würde, der erstaunlichen Analogie gewahr werden würde, die zwischen Müllkippe und Kultur (civilisation) besteht.
Das ist jetzt kein Privileg mehr. Alle Welt ist davon mehr als zugedeckt. Das verfestigt sich über ihnen, die Kultur. Eingeschlossen, wie man es ist, in diesen Panzer aus Abfällen, die auch von da herkommen, versucht man, dem vage eine Form zu geben.“ (J. Lacan: Meine Lehre, ihre Beschaffenheit und ihre Zwecke. In: J. Lacan: Meine Lehre. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien 2008, S. 67–100, hier: S. 73 f.)
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Offenbar ist der Abwasserkanal für Lacan eine Verbindung von a letter (vielleicht im Sinne der Ingenieurskunst) und a litter (Exkrementen).
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mein Vorschlag vom Oktober ’67: Im Oktober 1967 hatte Lacan der von ihm geleiteten École Freudienne de Paris (EFP) ein Verfahren zur Verleihung des Titels eines Lehranalytikers („Analyste de l’École“, AE) vorgeschlagen, die passe. Das Verfahren war umstritten.
Lacan hatte hierzu zwei schriftliche Vorschläge gemacht, die Proposition du 9 octobre 1967 (erste Fassung) und die Proposition du 9 octobre 1967 sur le psychanalyste de l’École (zweite Fassung). Die erste Fassung wurde abgelehnt (der Text wurde später in der Zeitschrift Analytica veröffentlicht, 8. Jg. (1978), S. 3-26). Die zweite Fassung wurde im Januar 1969 von der Generalversammlung der EFP angenommen (der Text erschien 1968 in Scilicet, 1. Jg., S. 14-3150, nachgedruckt in J. Lacan: Autres écrits. Le Seuil, Paris 2001, S. 243-260; deutsche Übersetzung auf dieser Website: Vorschlag vom 9. Oktober 1967 über den Psychoanalytiker der École. Übersetzt von Ulrike Oudée Dünkelsbühler, 24. Juni 2019).
Vgl. José Attal: La passe à plus d’un titre. La troisième proposition d’octobre de Jacques Lacan. Cahiers de l’Unebévue, Paris 2012, S. 15, 20–27.– David Macey: Lacan in contexts. Verso, London u.a. 1988, S. 248 f.– Elisabeth Roudinesco: Jacques Lacan. Kiepenheuer und Witsch, Köln 1996, S. 501–503.
des Mülleimers ein wenig überdrüssig: In Seminar 3, Die Psychosen, hatte Lacan erklärt:
„Das Leben des Psychoanalytikers - wie es mir mehrmals am gleichen Tag von meinen Analysierten in Erinnerung gerufen wurde -, das Leben des Psychoanalytikers ist nicht rosig.
Der Vergleich, den man anstellen kann zwischen dem Analytiker und einem Müllabladeplatz, ist gerechtfertigt. Er muß tatsächlich ganze Tage lang Äußerungen einstecken, deren Wert gewiß zweifelhaft ist, und zwar viel mehr noch als für ihn selbst, für das Subjekt, das sie ihm mitteilt. Das ist ein Gefühl, über welches der Psychoanalytiker, wenn er wirklich einer ist, nicht nur längst gewohnt ist, sich hinwegzusetzen, sondern das er in Wirklichkeit ganz einfach abschafft in sich, in der Ausübung seiner Praxis.“
(J. Lacan: Die Psychosen. Das Seminar, Buch 3 (1955–1956). Textherstellung durch Jacques-Alain Miller, übersetzt von Michael Turnheim. Quadriga, Weinheim 1997, Sitzung vom 30. November 1955, S. 38)
Zum Zeitpunkt von Lituraterre konnotiert die Rede vom „Mülleimer“ darüber hinaus das anale Objekt a, auf das auch der Bezug auf litter und auf die Kanalisation verweist.
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Lacan spricht das Wort avouer, „gestehen“, abweichend aus. In etymologischen Wörterbüchern findet man als alte Form von avouer das Wort avoer, das, in alter Manier ausgesprochen, an avoir (haben) anklingt. In Lituraterre II schreibt er an dieser Stelle avouer in der üblichen Schreibweise (Autres écrits, S. 11).
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Um welches Eingeständnis geht es? Anscheinend um das der Beziehung zum Mülleimer.
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In Lituraterre II heißt es: „L’avouer ou, prononcé à l’ancienne, l’avoir“ (Autres écrits, S. 11). Demnach ist avoir (haben) eine alte Aussprache von avouer (gestehen).
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Beckett: In Samuel Becketts Drama Endspiel (Uraufführung 1957) ist die Bühne von Müll übersät und zwei der Figuren, Nagg und Nell, leben in Mülltonnen.
die Freuden all dieser Abfälle unseres Seins: In Lituraterre (II) ändert Lacan joies (Freuden) zu doit (Soll). Wie in einer Bilanz stehen sich Soll und Haben gegenüber. Auf der Seite des Solls gibt es die Abfälle unseres Seins (die Objekt a), auf der Seite des Habens das Eingeständnis.
entbindet mich von dem Privileg: Einen Zusammenhang zwischen dem Abfall (Objekt a) und dem Buchstaben (Wiederkehr des Verdrängten) behauptet nicht nur der Psychoanalytiker, sondern auch der Schriftsteller.
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Klassische Arbeiten zum Übergang von mündlicher zu schriftlicher Literatur sind die Homer-Studien von Milman Parry (The Making of Homeric Verse: The Collected Papers of Milman Parry. Oxford University Press 1971) und die hieran anschließenden Untersuchungen von Albert Lord über slawische Barden (The singer of tales. Harvard University Press, Cambridge, Massachusetts, 1960).
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Im Folgenden wird Lacan den Primat des Signifikanten und der gesprochenen Sprache gegenüber dem Buchstaben und dem Geschriebenen behaupten.
?? Deutet das darauf hin, dass für ihn, wie für die Lehrbücher, schriftliche Literatur anfangs die Verschriftlichung von gesprochener Literatur ist?
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Vgl. S. Freud: Dostojewski und die Vatertötung (1928). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 10. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 267–286. Freud bezieht sich hier auf Dostojewskis Roman Die Brüder Karamasow (geschrieben 1878–1880).
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Chollet schreibt wie Espaces Lacan: „Si pourtant mon enseignement“.– Miller: „Ici, pourtant, mon enseignement“ (Hier jedoch).– Lituraterre II: „Ici mon enseignement“ (Autres écrits, S. 12).
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Éric Laurent verweist hierfür auf Michael Bachtin, Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur, eine Arbeit, die 1965 auf Russisch erschien und von der eine französische Übersetzung 1970 veröffentlicht wurde, im Jahr vor Lituraterre. Laurent betont, dass Bachtin das Lachen in den Mittelpunkt stellt. Also ist der Grund, aus dem Lacan mit der neueren Rabelais-Rezeption zusammengeht, vielleicht, dass darin eine Beziehung zwischen Literatur und Jouissance hergestellt wird.
(Vgl. Éric Laurent: La lettre volée et le vol sur la lettre (Vortrag von 1998 oder 1999). In: La Cause freudienne Nr. 43, 1999, S. 22, im Internet hier: https://www.lacanchine.com/Laurent_01.html. Englische Übersetzung: E. Laurent: The purloined letter and the tao of the psychoanalyst. In: Véronique Voruz, Bogdan Wolf (Hg.): The later Lacan. An introductíon. State University of New York Press, Albany 2007, S. 25–52.)
Die deutsche Übersetzung von Bachtins Arbeit erschien 1987 bei Suhrkamp.
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meine „Schriften“: Vgl. J. Lacan: Écrits. Seuil, Paris 1966.– dt.: Schriften. Band I und Band II. Vollständiger Text. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant 2016 und 2015.
„offene Briefe“: Die Formulierung „offene Briefe“ ist vielleicht auch eine Anspielung auf die später in diesem Aufsatz thematisierte Poe-Geschichte über den Gestohlenen Brief, der gerade dadurch, dass er offen zu Tage liegt, versteckt ist.
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?? Was ist mit dem literarischen Geschmuse (frotti-frotta) gemeint?
die Unzulänglichkeit seiner Praxis: Möglicherweise soll angedeutet werden: In meiner (Lacancs) Praxis geht es um die Beziehung zwischen a letter und a litter zwischen der Wiederkehr des Verdrängten und dem Objekt a, und eben dies ermöglicht mir die Begründung eines literarischen Urteils, die Begründung meiner Wertschätzung von Joyce und Beckett.
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Lacan bezieht sich auf seinen Aufsatz Le Séminaire sur „La Lettre volée“. Grundlage dieses Textes ist die Vorlesung vom 26. April 1955 im Rahmen von Seminar 2 (J.L.: Das Ich in der Theorie Freuds und in der Technik der Psychoanalyse. Das Seminar, Buch II (1954–1955). Walter, Olten 1980). Die ausgearbeitete schriftliche Fassung wurde 1956 verfasst und 1957 veröffentlicht (vgl. Écrits, S. 11–41, mit Nachträgen S. 41–61). Die erste deutsche Übersetzung hat den Titel Das Seminar über E.A. Poes „Der entwendete Brief‘“ (übersetzt von Rodolphe Gasché. In: J.L.: Schriften I. Hg. v. N. Haas, S. 9–41, Nachträge von S. 41–60). Zweite deutsche Übersetzung: Das Seminar über „Der gestohlene Brief“ (In: J.L.: Schriften. Band I. Vollständiger Text. Übers. v. H.-D. Gondek. Turia und Kant, Wien 2016, S. 12–73).
Poes Detektivgeschichte The purloined letter (1844) findet man, in der Buchausgabe von 1845, hier; eine Übersetzung von Hedda Eulenberg (1901) gibt es hier.
Der Hinweis auf die geordnete Liste dramatischer Situation verweist auf: George Polti: Les 36 situations dramatiques. Mercure de France, Paris 1895, im Internet hier (neure Ausgabe : Éditions d’aujourd’hui 1980), vgl. die Wikipedia-Artikel zu diesem Buch, französisch und englisch.
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Vgl. Schriften I, hg. v. N. Haas, S. 41.
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Im Poe-Aufsatz heißt es:
„In beiden Fällen aber ist bezeichnend, dass der Brief, den der Minister letzten Endes an sich selbst richtet, der Brief einer Frau ist: als ob es sich dabei um eine Phase handelte, die er aufgrund einer natürlichen Konvenienz des Signifikanten durchqueren muß.
Auch die Aura von Nonchalance, die soweit geht, den Anschein von Weichheit vorzutäuschen, das Zurschaustellen eines dem Überdruß nahen ennui in seinen Worten, die Stimmung, die der Autor einer ‚Philosophie der Einrichtung‘ durch fast ungreifbare Eindrücke, wie der des Musikinstruments auf dem Tisch, zu erwecken weiß – all das scheint zusammenzuspielen, damit die Gestalt (der Minister), deren sämtliche Worte sie mit den Merkmalen der Männlichkeit ausgestattet haben, den eigentümlichsten odor di femmina von sich gibt, sobald sie in Erscheinung tritt.“
(Übersetzung Rodolphe Gasché, Schriften I, hg. v. N. Haas, a.a.O., S. 34 f., Einfügung in Klammern im Original)
Die Verbreitung der italienischen Wendung odor di femmina geht auf Mozarts Don Giovanni zurück, in dessen Libretto es heißt: „Zitto! mi pare sentire odor di femmina“ (Still, mir scheint, ich spüre den Duft einer Frau / Weibsgeruch) (I,4).
Später heißt es im selben Aufsatz über den Detektiv:
„So kommt es, dass Dupin, vom Ort her, wo er ist, sich nicht dagegen wehren kann, gegen den, der so fragt [nämlich was von einem Signifikanten übrigbleibt, der keine Bedeutung mehr hat], eine Wut von manifester weiblicher Natur zu empfinden.“
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Chollet schreibt wie Espaces Lacan und wie Miller: „signifiant maître“ (Herrensignifikant).– Lituraterre II: „signifiant même“ (Signifikant selbst) (Autres écrits, S. 12).
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Lituraterre II: „Puisque le conte consiste en ce qu’y passe comme muscade le message dont la lettre y fait péripétie sans lui.“ (Autres écrits, S. 12)
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Ist dies eine Annäherung an eine Definition des Buchstabens im Sinne von Lacan? Sind Buchstaben Elemente, welche die Wendepunkte einer Geschichte ohne Bezug auf das Signifikat herbeiführen? Darin würden sie sich von Signifikanten unterscheiden – Signifikanten dienen der Erzeugung von Signifikaten.
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Lacans bzw. Poes Botschaft über dem Buchstaben ist demnach, dass der Buchstabe seine Wirkungen ohne Bezug auf die Botschaft ausübt.
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Lacan bezieht sich auf Marie Bonaparte: Edgar Poe. Étude psychanalytique. Denoël, Paris 1933 (dt.: Edgar Poe. Eine psychoanalytische Studie. 3 Bände. Internationaler psychoanalytischer Verlag, Wien 1934, Band 1 hier, Band 2 hier, Band 3/4 hier). Die Erzählung Der entwendete Brief wird in Band 2 kurz behandelt (S. 415-418 der deutschen Übersetzung). Poe bringt hier, Bonaparte zufolge, sein Bedauern über das Fehlen des mütterlichen Phallus zum Ausdruck.
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In Lituraterre II wird toujours („immer“) kursiv geschrieben (Autres écrits, S. 13.
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In Der Wahn und die Träume in Jensens „Gradiva“ (1907) schreibt Freud über die Dichter:
„In der Seelenkunde gar sind sie uns Alltagsmenschen weit voraus, weil sie da aus Quellen schöpfen, welche wir noch nicht für die Wissenschaft erschlossen haben.“
(In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 10. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 9–85, hier: S. 14)
Freud forderte, dass die Literatur in der Ausbildung des Psychoanalytikers eine entscheidende Rolle zu spielen habe. Lacan erinnert hieran in Das Drängen des Buchstabens, in Schriften II, hg. v. N. Haas, S. 47.
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In Seminar 2 schreibt Lacan zur Psychobiografie:
„Man muß vom Text ausgehen, und zwar so, wie Freud es tut und empfiehlt, wie von einem heiligen Text. Der Autor, der Schreiber ist bloß ein Schreiberling und kommt erst an zweiter Stelle. Die Kommentare der Schrift waren unrettbar verloren an dem Tag, an dem man die Psychologie von Jeremias, von Isaias, ja von Jesus hat ermitteln wollen. Ebenso bitte ich Sie, wenn’s um unsere Patienten geht, mehr Aufmerksamkeit auf den Text zu verwenden als auf die Psychologie des Autors – das ist die ganze Orientierung meines Unterrichts.“
(Sitzung vom 9. März 1955, Version Miller/Metzger, a.a.O., S. 197)
In Radiophonie heißt es über die Literatur:
„Denn der Dichter produziert sich daraus … (es sei mir gestattet, den zu übersetzen, der dies dartut, mein Freund Jakobson in dem Fall) … produziert sich daraus, von Versen verzehrt zu werden, die unter sich ihr Arrangement treffen, ohne sich, das ist offenkundig, um das zu sorgen, was der Dichter davon weiß oder nicht. (…) Man sieht, wie kostbar der Formalismus war, die ersten Schritte der Linguistik zu stützen.“
(J. Lacan: Radiophonie (1970). Übersetzt von Hans-Joachim Metzger. In: J.L.: Radiophonie. Television. Quadriga, Weinheim 1988, S. 9)
Lacan kommentiert hier Jakobsons Begriff der poetischen Funktion.
Die Rede vom graine (Samenkorn) ist möglicherweise eine Anspielung auf den Titel von André Gides Autobiografie Si le grain ne meurt (2 Bände, 1920 und 1026, wörtlich „Wenn das Korn nicht stirbt“, deutscher Titel „Stirb und werde“) und damit auf Lacans Aufsatz Gides Jugend oder Buchstabe, Brief und Begehren (1958) (in: J.L.: Schriften, Band II. Vollständiger Text. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek., Turia und Kant, Wien 2015, S. 257–288). In diesem Aufsatz stützt Lacan sich vor allem auf Jean Delay La Jeunesse d’André Gide, Gallimard, Paris 1956. Delay bezeichnet seine Arbeit ausdrücklich als Psychobiografie; Lacan setzt sich in seinem Gide-Aufsatz kritisch mit dieser Konzeption auseinander.
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?? Der Buchstabe ist demnach der Punkt, an dem die Psychoanalyse scheitert. Inwiefern?
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Der Text auf der hinteren Umschlagseite der Écrits beginnt mit dem Satz:
„Man muss diese Sammlung gelesen haben, in ihrem ganzem Umfang, um zu spüren, dass hier nur eine einzige Diskussion fortgesetzt wird, immer dieselbe, eine, die sich dazu bekennt, sollte sie auch als veraltet erscheinen, die Diskussion der Aufklärung zu sein.“
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In Lituraterre II wird trou (Loch) kursiv geschrieben (Autres écrits, S. 13).
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Nach dem Bisherigen könnte der Punkt, an dem die Psychoanalyse „Loch macht“, die Beziehung zwischen Buchstabe und Objekt a sein.
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Lacan spielt mit dem Doppelsinn von les lumières, „die Aufklärung“ / “die Lichter“ und wechselt damit zur Optik. Die neueste Photonenphysik ist die Quantenelektrodynamik; sie beschreibt die Photonen, auch Lichtquanten oder Lichtteilchen genannt. Das „Loch“ in der Physik ist vielleicht der Welle-Teilchen-Dualismus, also die prinzipielle Unmöglichkeit, eine vereinheitlichte Lichttheorie zu bilden.
Offenbar scheitert die Psychoanalyse am Buchstaben, weil er etwas mit einem ähnlichen Loch im Bereich der Psychoanalyse zu tun hat.
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?? Was könnte es heißen, dass das Rätsel auf der Seite der Psychoanalyse bliebe? Bezieht sich Lacan hier den rätselhaften Charakter von Lituraterre?
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Die Psychoanalytiker werden von der Psychoanalyse insofern ausgeübt, als der psychoanalytische Diskurs primär ist und die Psychoanalytiker ein Effekt dieses Diskurses sind; Lacan stützt sich hier auf seine in Seminar 17, Die Kehrseite der Psychoanalyse, entwickelte Diskurstheorie.
In der ersten Sitzung von Seminar 18 hieß es über die Diskurse:
„Von diesen Plätzen und diesen Elementen her bestimmt sich, dass das, was im eigentlichen Sinne Diskurs ist, in keiner Weise von einem Subjekt, wiewohl der Diskurs es determiniert, ausfindig gemacht werden kann.
Da liegt wahrscheinlich die Ambiguität dessen, wodurch ich das eingeführt habe, was ich innerhalb des psychoanalytischen Diskurses zu verstehen geben zu müssen meinte. (…)
Der Diskurs, das ist nicht nur, dass er folglich nur mehr im Lichte seiner unbewussten Triebfeder beurteilt werden kann; das ist, dass er nicht mehr als etwas anderes als das ausgesagt werden kann, was sich aus einer Struktur darlegt, worin er sich irgendwo auf eine irreduzible Weise als entäußert erweist.“
(Sitzung vom 13. Januar 1971, Version Miller/Gondek S. 8)
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Vgl. J. Lacan: Die Wissenschaft und die Wahrheit (1966). Übersetzt von Hans-Jörg Rheinberger. In: Schriften II. Hg. v. Norbert Haas. Quadriga, Weinheim 1991, S. 231–257 (= Stenogramm der Eröffnungsvorlesung von Seminar 13 am 1. Dezember 1965).
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Die Betonung von leur ist auf der Tonaufnahme zu erkennen, man findet sie auch in Version Chollet.
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Analytiker erkennen in der Wahrheit sogleich ihr Amt: sie haben die Aufgabe, den Analysanten dabei zu unterstützen, die verborgene Wahrheit seiner Symptome aufzudecken.
Lacan hingegen erwartet die Wahrheit der Psychoanalytiker, dieser Hinweis dürfte sich auf die Formel vom Diskurs des Psychoanalytikers beziehen. Das Wissen, S2, ist dort am Platz der Wahrheit. Der Platz der Wahrheit ist links, das heißt auf der Seite des Analytikers.
?? Was ist damit gemeint, dass Lacan die Wahrheit der Psychoanalytiker erwartet?
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Chollet schreibt wie Espaces Lacan: „aux yeux“ (den Augen).– Miller: „aux mieux“ (am besten).– Lituraterre II: keine Entsprechung.
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Was ist mit savoir en échec positiv gemeint? Vermutlich, dass das Wissen ein „Loch“ hat, wie es etwas später in dieser Sitzung heißen wird (S. 117), nämlich den Buchstaben.
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Ab Seminar 12, Schlüsselprobleme für die Psychoanalyse, verwendet Lacan den Terminus Wissen für das Unbewusste (zuerst in der Sitzung vom 19. Mai 1965, vgl. J.L: Problènes cruciaux pour la psychanalyse. Le séminaire, livre XII. Texte établi par J.-A. Miller. Seuil, Le Champ freudien, Paris 2025, S. 285).
In den Formeln für die vier Diskurse (Seminar 17, Die Kehrseite der Psychoanalyse) verwendet er Wissen allgemeiner für eine Signifikantenverbindung, symbolisiert durch S2. Im Diskurs des Herrn ist dies das Wissens des Knechts, etwa sein Savoir-faire, im Diskurs der Universität das an den Universitäten gelehrte Wissen, im Diskurs des Psychoanalytikers das Unbewusste des Analytikers, im Diskurs der Hysterikerin das Wissen, das der Herr über die Hysterikerin produziert.
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Von einem „toten Buchstaben“ spricht man, wenn der entscheidende Sinn eines Textes nicht verstanden wird und das Wort deshalb nicht „lebendig“ wird.
Raison hat auch die Bedeutung „Grund“. Der Buchstabe ist der Grund des Unbewussten, vermutlich insofern, als der Buchstabe das Urverdrängte ist und die Urverdrängung der Grund der Verdrängung ist und damit des Unbewussten (siehe nächste Anmerkung).
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Der Buchstabe ist nicht mit vollem Recht da, hier kommt offenbar die Verdrängung ins Spiel.
Die Andeutung wird verständlich, wenn man sich auf die Konzeption des Buchstabens bezieht, die Lacan in Seminar 9, Die Identifizierung, vorgetragen hatte. Der Wiederholungszwang (das Insistieren) ist demnach ein Versuch, etwas Verdrängtes wieder hochkommen zu lassen, das jedoch urverdrängt ist und deshalb nicht erinnert werden kann und dass er in Seminar 9 als Buchstabe bezeichnet. (Vgl. Seminar 9, Die Identifizierung, Sitzungen vom 13. Dezember 1961, S. {19 f.}, vom 20. Dezember 1961, S. {2} und vom 10. Januar 1962, S. {21}).
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mittleres und äußeres Verhältnis: Beim goldenen Schnitt wird eine Gerade in zwei Abschnitte so geteilt, dass sich die gesamte Gerade zum längeren Abschnitt so verhält wie der längere Abschnitt zum kürzeren. Die lateinische Übersetzung von Euklids Beschreibung dieser Beziehung lautet: proportio habens medium et duo extrema, „dasjenige Verhältnis, das eine Mitte und zwei Extreme hat“ (Elemente, Buch VI, Definition 3); im Französischen wird diese Proportion als extrême et moyenne raison bezeichnet, als „äußere und mittlere Proportion“ („und“, nicht „oder“).
Der entscheidende Punkt ist hierbei, dass der goldene Schnitt eine irrationale Zahl ist, anders gesagt, dass sie nicht als Bruch zweier ganzer Zahlen geschrieben werden kann. Die längere Strecke verhält sich zur Gesamtstrecke wie
: 2, was den Wert 0,618… ergibt. Anders gesagt: die beiden Strecken, die beim Goldenen Schnitt aufeinander zu beziehen sind, haben kein gemeinsames Maß, sie sind „inkommensurabel“.
In Die Bedeutung des Phallus (1958) schreibt Lacan:
„Der Phallus als Signifikant gibt die raison des Begehrens (nach der Bedeutung, die dieser Begriff in der französischen Sprache hat, wenn von einer ‚mittleren und äußeren raison‘ im Goldenen Schnitt die Rede ist).“
(Übersetzt von Chantal Creusot, Norbert Haas und Samuel M. Weber. In: Schriften II, hg. v. N. Haas, a.a.O., S. 129)
Wenn man das zusammenfügt, erhält man: Der Phallus ist der Signifikant einer Inkommensurabiltät – und damit eines Lochs im Wissen.
In Seminar 14 von 1966/67, Die Logik des Phantasmas, kommt Lacan darauf zurück und entwickelt das Konzept der „mittleren und äußeren raison“ für den sexuellen Akt und für den psychoanalytischen Akt (Sitzungen vom 22. Februar bis zum 14. Juni 1967). In Seminar 16 von 1968/69, Von einem Anderen zum anderen, wird das wieder aufgegriffen (Sitzungen vom 22. Januar 1969 und vom 5. März 1969).
Die Zweiteilung der Messung ist demnach die Inkommensurabilität.
Der Phallus ist insofern die raison des Begehrens, als er der Signifikant der Inkommensurabilität ist.
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Der Grenzbegriff wird demnach dann zur Ideologie, wenn er mit der Annahme einhergeht, dass die beiden Bereiche, die die Grenze voneinander trennt, sich zueinander komplementär verhalten, wenn also die Beziehung zwischen den beiden Bereichen ohne vermittelndes Drittes aufgefasst wird, etwa als Yin und Yang.
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Lacan bezieht sich auf den Begriff „natürliche Selektion“ bzw. „natürliche Auslese“.
Indirekt sagt Lacan hier wohl: Wenn die Psychoanalyse begreifen will, was ihr Gegenstand ist, muss sie sich vor zwei biologischen Ideologien hüten: vor der Ideologie der Anpassung (der Innen-Außen-Komplementarität) und vor der Ideologie der natürlichen Auslese.
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Quelle der Abbildung: Artikel „Litoral“ in der deutschen Wikipedia.
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Der Buchstabe ist litoral, d.h. er bildet eine Zwischenzone zwisches zwei heterogenen Bereichen.
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Anders gesagt: Ein Litoral ist ein Grenzstreifen zwischen zwei nicht komplementären Bereichen und damit etwas Drittes.
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Der Buchstabe ist litoral, d.h. er bildet einen Grenzstreifen zwischen zwei heterogenen Bereichen.
Der eine der Bereiche, an die der Buchstabe angrenzt, ist das Wissen. Das Wissen im Feld der Psychoanalyse hat ein Loch, ähnlich wie die Optik ein Loch hat. Das räumliche Struktur des Buchstabens, zunächst als Literal beschrieben, wird jetzt als Rand bezeichnet, als Rand eines Lochs im Wissen.
Worin besteht das Loch im Wissen? Möglicherweise bezieht Lacan sich mit dieser Formulierung auf das, was er sonst als „Mangel im Anderen“ bezeichnet, das Symbol hierfür ist S(Ⱥ) oder einfach nur Ⱥ. Hierbei geht es um die Konfrontation mit dem Rätsel des Begehrens des Anderen und dem Rätsel der Jouissance des Anderen.
In Seminar 16, Von einem Anderen zum anderen, heißt es:
„Die Kastration, nämlich das Loch in der Auffassung, das Ich weiß nicht, was das Genießen des Anderen angeht, muss unter dem Blickwinkel seines Verhältnisses zu den verbreiteten, omnipräsenten Auswirkungen unserer Wissenschaft überdacht werden.“
(J. Lacan: Von einem Anderen zum andern. Das Seminar, Buch XVI (1968–1969). Texterstellung Jacques-Alain Miller, übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien 2022, Sitzung vom 23. April 1969, S. 328)
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Chollet schreibt wie Espaces Lacan: „méconnaître“.– Miller: „reconnaître“ (erkennen, anerkennen).– Lituraterre II: „méconnaître“ (Autres écrits, S. 14).
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Der andere Bereich, an den der Buchstabe als Litoral angrenzt, ist die Jouissance. Der Buchstabe ist ein Zwischenbereich – ein Litoral – zwischen Wissen und Jouissance.
Um das Loch im Wissen zu füllen, greift die Psychoanalyse auf die Jouissance zurück. In ihren Deutungen bezieht sie sich auf zwei heterogene Größen, auf das Wissen (auf das Verdrängte) und auf die Jouissance (auf die Lust jenseits des Lustprinzips). Dort wo der Bezug auf das Verdrängte nicht greift (Loch im Wissen), wird von der Psychoanalyse die Jouissance ins Spiel gebracht.
Was könnte es heißen, dass der Buchstabe (die Verdrängung und die Wiederkehr des Verdrängten) eine Zwischenzone zwischen diesen beiden Bereichen bildet? Ich vermute, dass es beim Buchstaben um den Bereich geht, an dem das Wissen (die Signifikantenverbindungen, die Sprache) in die Jouissance eingreifen und sie transformieren, indem sie einen Jouissance-Verlust herbeiführen. In Die Bedeutung des Phallus (1958) bezeichnet Lacan diesen Vorgang als Urverdrängung (er spricht dort noch nicht von Wissen und Jouissance, sondern von Sprache und Bedürfnis). Das passt zur Definition des Buchstabens in Seminar 9, Die Identifizierung, wonach der Buchstabe ein urverdränger Signifikant ist, der den Wiederholungszwang antreibt.
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Was sich in Freuds Terminologie vielleicht so übersetzen lässt: Die Dynamik von Verdrängung und Wiederkehr des Verdrängten (Buchstabe) bildet einen Zwischenbereich zwischen der Lust jenseits des Lustprinzips (Jouissance) und dem normal Verdrängten (Wissen).
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Das Unbewusste hat den Vorrang gegenüber dem Buchstaben.
In einer späteren Sitzung von Seminar 18 heißt es:
„Also, meine Formel, dass das Unbewusste strukturiert sei wie/als [comme] eine Sprache, zeigt an, dass a minima die Bedingung des Unbewussten die Sprache ist.“
(Sitzung vom 9. Juni 1971, Version Miller/Gondek S. 181)
Insgesamt bestimmt demnach die Sprache das Unbewusste und das Unbewusste wiederum den Buchstaben.
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Lacan bezieht sich auf: Jean Tardieu: Un mot pour un autre. Gallimard, Paris 1951 (Theaterstück); dt.: Professor Froeppel. Kiepenheuer und Witsch, Köln u.a. 1966.
Mit Metapher und Metonymie bezeichnet Lacan in Das Drängen des Buchstabens die Dynamik des Unbewussten. Diesen Gedanken übernimmt er von Roman Jakobson. In Two aspects of language and two types of aphasic disturbances (1956) schreibt dieser:
„Eine Rivalität zwischen den beiden Mechanismen, metonymischen und metaphorischen, manifestiert sich in jedem symbolischen Prozess, sei er intrapersonal oder sozial. So lautet bei der Erforschung der Struktur der Träume die entscheidende Frage, ob die Symbole und die verwendeten zeitlichen Sequenzen auf Kontiguität beruhen (Freuds metonymische ‚Verschiebung‘ und synekdocheische ‚Verdichtung‘) oder auf Similarität (Freuds ‚Identifizierung und Symbolik‘).“
(In: Ders. und Morris Halle: Fundamentals of language. Mouton & Co, ’s-Gravenhage (Den Haag) 1956, darin Teil II, S. 53–82, hier: S. 80 f., meine Übersetzung, RN. )
In Radiophonie bezieht Lacan die Metonymie auf die Jouissance (im Folgenden mit „Genuss“ und „Genießen“ übersetzt):
„Die Metonymie, es ist nicht aus dem Sinn von vor dem Subjekt, daß sie spielt (also von der Barriere des Nichtsinns her), es ist aus dem Genuß, worin das Subjekt sich produziert als Schnitt: der ihm also Stoff macht, aber indem er es dafür auf eine an diesen Körper gebundene Oberfläche reduziert, schon das Faktum des Signifikanten.
Nicht, wohlverstanden, daß der Signifikant sich verankere (noch sich verfärbe) im Kitzel (immer noch die Kiste Napoleon), sondern daß er ihn unter anderen Zügen ermögliche, mit denen sich der Genuß bedeutet und wovon das Problem ist, zu wissen, was sich daraus befriedigt.
Daß unter dem, was sich einschreibt, die Passion des Signifikanten gleitet, muß man sie: Genuß des Anderen nennen, denn darin, daß sie hingerissen sei von einem Körper, wird er darüber der Ort des Anderen.
Die Metonymie, wirkend aus einem Metabolismus des Genießens, dessen Potential durch den Schnitt des Subjekts geregelt wird, kotiert als Wert, was sich davon überträgt.“
(Radiophonie, a.a.O., S. 21)
In einer späteren Sitzung von Seminar 18 sagt Lacan zu Metapher und Metonymie:
„Daraus, dass die Sprache nur aus einer einzigen Bedeutung* gebildet ist, bezieht sie ihre Struktur, welche darin besteht, dass man daraus, wenn man sie bewohnt, nur Gebrauch machen kann für die Metapher, woraus all die mythischen Unsinnigkeiten resultieren, unter denen ihre Bewohner leben, und für die Metonymie, wovon sie das Wenige an Realität hernehmen, das ihnen bleibt, in der Form des Mehrgenießens.“
(Sitzung vom 9. Juni 1971, Version Miller/Gondek S. 178; Lacan spielt hier auf Freges Gegensatz von Sinn und Bedeutung an.)
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Lacan bezieht sich hier und in den folgenden Sätzen kritisch auf Jacques Derrida: Freud und der Schauplatz der Schrift (1966). In: Ders.: Die Schrift und die Differenz. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1972, S. 302–350.
In der Sitzung vom 17. Februar 1971 hatte er hierzu angemerkt:
„Es ist sehr wichtig in unserer Zeit, und zwar ausgehend von bestimmten Aussagen, die getätigt wurden und die die Tendenz haben, äußerst bedauerliche Verwirrungen zu stiften, in Erinnerung zu rufen, dass trotzdem das Geschriebene nicht Erstes, sondern Zweites ist im Verhältnis zu jeglicher Funktion der Sprache, und das nichtsdestoweniger ohne das Geschriebene es in keiner Weises möglich ist, zurückzukommen, um das zu befragen, was an erster Stelle aus der Sprachwirkung als solcher hervorgeht, anders gesagt aus der symbolischen Ordnung ‚das heißt der Dimension, um Ihnen eine Freude zu machen, aber Sie wissen, dass ich einen anderen Terminus eingeführt habe, die demansion, die Wohnstatt, der Ort des Anderen der Wahrheit.“
(Version Miller/Gondek S. 74)
In der Sitzung vom 10. März 1971 heißt es, nach Bemerkungen über Heideggers Begriff des Daseins, zu Derrida (dessen Name nicht genannt wird):
„Besagte Präsenz als logozentrisch zu denunzieren, wie dies geschehen ist, die Idee des inspirierten/geisterfüllen [inspirée] Sprechens, wie es heißt, in Namen von jenem, dass das inspirierte Sprechen, selbstverständlich kann man darüber lachen, dem Sprechen die ganze Dummheit anzulasten, in die sich ein gewisser Diskurs verirrt hat, und uns hin zu einer mythischen Urschrift [archi-écriture] mitzuschleppen, einzig und allein gebildet alles in allem aus dem, was man ganz zu Recht als einen gewissen blinden Punkt wahrnimmt, den man an allem denunzieren kann, was über die Schrift nachgedacht wurde – all das bringt kaum voran.“
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Das, was in der Sprache das Litorale zum Litoralen aufruft, ist vermutlich das, was die Wiederkehr des Verdrängten herbeiführt.
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Sitzung vom 11. Februar 1970, vgl. Version Miller/Gondek S. 87
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Wortspiel mit dem Doppelsinn von qui m’importe: der mir wichtig ist / der mich importiert.
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In den Formeln der vier Diskurse wird der Platz oben links ab Seminar 18 als „Platz des Scheins“ (semblant) bezeichnet (vgl. Seminar 18, Sitzung vom 20. Januar 1971, Version Miller/Gondek S. 26); in Seminar 17 hieß dieser Platz „Platz des Agenten“ (agent).
Im Diskurs der Universität ist am Platz oben links, also am Platz des Scheins, das Wissen, S2.
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Chollet schreibt wie Espaces Lacan: „J’eus dû le garder“.– Miller „J’eusse dû“ (Ich hätte müssen; Subjunktiv Imperfekt).– Lituraterre II: „Le moindre sentiment (…) eût dû …“ (Das geringste Gefühl … hätte müssen; Subjunktiv Imperfekt) (Autres écrits, S. 14)
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?? Was ist gemeint mit „ohne es also von mir einzubekennen“?
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Abbildungen aus: S. Freud: Gesammelte Werke. Nachtragsband. S. Fischer, Frankfurt am Main 1987, S. 407, 417, 446.
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Chollet schreibt wie Espaces Lacan: „imprécises“.– Miller und Lituraterre II: „impressives“ (Autres écrits, S. 14).
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Vgl. S. Freud: Entwurf einer Psychologie (1895). Von diesem Text gibt es zwei deutsche Ausgaben mit unterschiedlichen Transkriptionen:
(a) S. Freud: Aus den Anfängen der Psychoanalyse 1887–1902. Briefe an Wilhelm Fließ. S. Fischer, Frankfurt am Main 1950, S. 299–384.– Abschrift (mit den Seitenzahlen dieser Ausgabe) auf der Website Lutecium, hier.
(b) Da die 1950 veröffentlichte Transkription fehlerhaft ist, wurde in den Gesammelten Werken eine neue Transkription veröffentlicht, erstellt von Ingeborg Meyer-Palmedo: S. Freud: Gesammelte Werke. Nachtragsband. S. Fischer, Frankfurt am Main 1987, S. 373–486.
Auf den Entwurf hatte Lacan sich zuerst bezogen in Seminar 2 (Das Ich in der Theorie Freuds und in der Technik der Psychoanalyse, 1954/55) , dann wieder in Seminar 7 (Die Ethik der Psychoanalyse, 1959/60).
Vgl. hierzu: Mai Wegener: Neuronen und Neurosen. Der psychische Apparat bei Freud und Lacan. Ein historisch-theoretischer Versuch zu Freuds „Entwurf“ von 1985. Fink, München 2004.
Die später in dieser Sitzung vorgetragene „Sibirienethik“ ist eine alternative Metapher für die Schrift.
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Vgl. S. Freud: Notiz über den Wunderblock. In: GW 14, S. 1–8.
Derrida hatte Freud Notiz über den Wunderblock kommentiert in Freud und der Schauplatz der Schrift, a.a.O.
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Brief von Freud an Wilhelm Fließ vom 6. Dezember 1896. Vgl. S. Freud, Aus den Anfängen der Psychoanalyse, a.a.O., S. 151–156. In der Neuausgabe der Fließ-Briefe ist dies der 112. Brief: S. Freud: Briefe an Wilhelm Fließ 1887–1904. Ungekürzte Ausgabe. Hg. v. Jeffrey Moussaieff Masson. S. Fischer, Frankfurt am Main 1986, S. 217–226.
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Freud schreibt:
„Wz [Wahrnehmungszeichen] ist die erste Niederschrift der Wahrnehmungen, des Bewußtseins ganz unfähig, nach Gleichzeitigkeitsassoziationen gefügt.“
(Briefe an Wilhelm Fließ 1887-1904, a.a.O., S. 218, Einfügung in Klammern von Masson)
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Im Poe-Aufsatz heißt es umgekehrt, dass „wir lehren, daß das Unbewußte, will heißen: daß der Mensch vom Signifikanten bewohnt wird“ (Schriften I, hg. v. N. Haas, S. 35).
In einer früheren Sitzung von Seminar 18 hatte Lacan eine Verbindung zwischen der Schrift und dem Bewohnen der Sprache hergestellt:
„Was bedeutet das, die Schrift? Man muss freilich ein wenig eingrenzen. Wenn man sieht, was man gemeinhin Schrift zu nennen pflegt, ist das völlig klar und gewiss, dass das etwas ist, das in gewisser Weise auf das Sprechen durchschlägt.
Über das Habitat des Sprechens, ich denke, dass wir die letzten Male bereits genügend Dinge gesagt haben, um zu sehen, dass unsere Entdeckung allerwenigstens eng mit der Tatsache verbunden ist, dass es kein sexuelles Verhältnis, so wie ich es definiert habe, gibt. Oder, wenn Sie so wollen, dass das sexuelle Verhältnis das Sprechen selbst ist. Geben Sie zu, dass das trotzdem ein wenig zu wünschen übrig lässt / ein wenig zu begehren lässt. Im Übrigen denke ich, dass Sie davon ein Ende wissen.
Dass es kein sexuelles Verhältnis gibt, das habe ich bereits in jener Form fixiert, dass es keinen Modus gibt, das derzeit zu schreiben.“
(Sitzung vom 10. März 1971, Version Miller/Gondek S. 97)
„L’habite qui parle“ ist lautgleich mit „la bite qui parle“. „La bite“ ist ein vulgäres Wort für den Penis, also „der Schwanz, der spricht“. Vielleicht ist also mitgemeint: Dadurch, dass der Mensch die Sprache bewohnt, kommt der Phallus ins Spiel, die Kastration.
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Mit „Ökonomie der Sprache“ spielt Lacan auf Freuds Begriff der Ökonomie an, also auf den theoretischen Gesichtspunkt quantitativ bestimmbarer Erregungsmengen; in Lacans Begrifflichkeit geht es bei der „Ökonomie der Sprache“ offenbar um das Verhältnis von Jouissance, Buchstabe und Wissen.
In der ersten Sitzung von Seminar 18 hatte er diesen Zusammenhang so hergestellt:
„Wer nicht sieht, dass die Ökonomie, selbst jene so genannte der Natur, stets eine Diskurstatsache ist, eben der kann nicht erfassen, dass dies ein Hinweis darauf ist, dass es sich hierbei [in Jenseits des Lustprinzips] um das Genießen nur handeln kann, insofern es selbst nicht nur Diskurstatsache, sondern Diskurseffekt ist.“
(Sitzung vom 13. Januar 1971, Version Miller/Gondek S. 22)
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Gemeint ist offenbar: Ich bin immer kurz davor, zu einer literarischen Beweisführung überzugehen, und dieses Mal werde ich es tatsächlich versuchen.
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Über seine erste Japan-Reise berichtet Lacan in Seminar 10, Die Angst, in der Sitzung vom 8. Mai 1963.
Mit dem „Litoralen“ ist hier wohl die Einwirkung des Buchstabens bzw. der Schrift auf die Sprache gemeint.
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Lacan bezieht sich hier auf seine Formel „Das Reale ist das Unmögliche“, die er in Seminar 9, Die Identifizierung, eingeführt hatte, in den Sitzungen vom 14. und 21. März 1962.
Demzufolge macht die Umwelt (die Komplementarität von Innen und Außen) die Reise unmöglich. Inwiefern? Wohl insofern, als die Reise einen Zwischenbereich (ein Litoral) zwischen Ausgangsregion und Zielregion voraussetzt, der von der Reiseroute durchquert wird.
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Möglicherweise eine Anspielung auf die Operette Die Herzogin von Gerolstein von Jacques Offenbach, Libretto von Henri Meilhac und Ludovic Halévy. In Akt I, Szene 13, singt der Chor im Original: „Partons!“, in der deutschen Übersetzung: „Fort nun!“ (Hinweis von Beatrice Khiara-Foxton und Adrian Price in ihrer englischen Übersetzung der Endfassung von „Lituraterre“.)
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Abbildung aus: getamap.net, hier
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Vermutlich im Sinne von: Nehmen wir einmal an, dass Sie mit mir im Flugzeug sitzen und aus dem Fenster schauen, dann sehen wir was vor uns? die Aufschichtung von Südsibirien.
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Anspielung auf die Beziehung zwischen dem Litoral (dem Buchstaben) und der Jouissance (dem Zuviel-an-Kitzel).
Zu Japan vgl. auch: J. Lacan: Avis au lecteur japonais (1972). In: Autres écrits, a.a.O., S. 497–499.
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Zur Einwirkung der Schrift auf die japanische Sprache hatte Lacan sich in Seminar 18 bereits in der Sitzung vom 10. März 1971 geäußert; vgl. Version Miller/Gondek S. 106 f.
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Vielleicht eine Anspielung auf Freuds Begriff „Wortvorstellung“ (représentation des mots) – in einer früheren Sitzung des Seminars hatte Lacan erklärt, die Schrift sei eine „Wortvorstellung“ (Sitzung vom 10. März 1971, Version Miller/Gondek S. 100); später fügt er in derselben Sitzung hinzu, es sei überhaupt nicht sicher, ob es ohne die Schrift Wörter gäbe.
„Es ist vielleicht die Repräsentation als solche, die sie, jene Wörter, macht.“
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Chollet schreibt wie Espaces Lacan: „proprement“.– Miller: „reprenant“ (wieder aufnehmend).– Lituraterre II: „proprement“ (Autres écrits, S. 16).
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Von 1942 bis 1945 hatte Lacan an einem Chinesisch-Kurs teilgenommen, der von dem angesehenen Sinologen Paul Demiéville geleitet wurde (vgl. hier); in einer früheren Sitzung von Seminar 18 hatte er das bereits erwähnt (Sitzung vom 10. Februar 1971; vgl. Version Miller/Gondek S. 52). Zwischen 1969 und 1973 traf er sich einmal wöchentlich mit dem Sinologen François Cheng und sprach mit ihm über chinesische Klassiker, vor allem über Lao Tse, Mencius und Shi Tao (vgl. François Cheng: Le Docteur Lacan au quotidien. In: L‘Âne, Nr 48, Oktober-Dezember 1991, im Internet hier).
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Die japanische Schrift besteht aus drei Schriftarten: aus chinesischen Schriftzeichen, Kanji genannt, und aus zwei Kursivschriften, Hiragana und Katakana.
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Lacan bezieht sich hier auf ein Schema von Charles Sanders Peirce, dass die Beziehungen zwischen affirmativen, negativen, universalen und partikulären Aussagen darstellt. Vgl. Charles Sanders Peirce: Collected papers of Charles Sanders Peirce. Hg. v. Charles Hartshorne u. Paul Wiss. Band 2, Elements of logic. Belknap Press of the Harvard University Press, Cambridge, Mass. (1932), 2. Aufl. 1960, darin „The quadrant“, 2.455– 460, S. 279–283, das Schema steht dort in 2.456 auf S. 280. PDF-Datei von „The quadrant“ hier.
Lacan hatte sich darauf zuerst in Seminar 9 bezogen, Die Identifizierung (Sitzung vom 17. Januar 1962), danach wieder in Seminar 15, Der psychoanalytische Akt (Sitzungen vom 7. Februar und vom 6. März 1968), im laufenden Seminar 18 war er darauf zurückgekommen (Sitzung vom 17. Februar 1971, Version Miller/Gondek S. 79; Sitzung vom 17. März 1971, Version Miller/Gondek S. 129).
Nicht nur in Bezug auf Quadrant 1, sondern auch in Bezug auf Quadrant 4 kann man sagen: alle Striche sind vertikal. Dass es in Quadrant 4 keine Striche gibt, macht die Aussage nicht falsch. Universale Aussagen sind Wesensaussagen, ihre Wahrheit ist unabhängig von der Wahrheit von Existenzbehauptungen, unabhängig davon, ob es etwas gibt, das ihnen entspricht.
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Quelle der Abbildung: Artikel „Hiragana“ in der deutschen Wikipedia.
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Quelle der Abbildung: Artikel „Hiragana“ in der deutschen Wikipedia.
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Welche „festere Form“ ist gemeint? Vermutlich die Verwendung der beiden Kursivschriften nicht als Handschrift, sondern als Druckschrift.
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Den Terminus demansion hatte Lacan fünf Sitzungen zuvor eingeführt:
„Die Wahrheit ist nicht das Gegenteil des Scheins. Die Wahrheit ist jene Dimension oder Demension – wenn Sie mir gestatten, ein neues Wort zu erschaffen, um diese Näpfe zu bezeichnen –, die in strikter Korrelation steht zu jener des Scheins. Die Demansion der Wahrheit trägt jene des Scheins.“
(Sitzung vom 20. Januar 1971, Version Miller/Gondek S. 27)
Miller transkribiert hier falsch mit „demension“ – der Tonbandtranskription von Espaces Lacan lässt sich klar entnehmen, dass Lacan den vierten Buchstaben als a buchstabiert, nicht als e.
Das französische Wort mansion meint das „Haus“, z.B. in der Astrologie. Offenkundig spielt Lacan hier auf eine Formulierung von Heidegger an: „Die Sprache ist der Bezirk (templum), d. h. das Haus des Seins.“ (M. Heidegger: Wozu Dichter? (1926) In: Ders.: Holzwege. Gesamtausgabe, Bd. 5. Klostermann, Frankfurt am Main 1977, S. 310)
Die vier Becher – die vier Plätze der Diskursformeln – bilden demnach die vier Dimensionen der Sprache, ihre vier demansions. Eine dieser vier Dimensionen oder demansions ist die Wahrheit (unten links), sie steht in Verbindung mit der Dimension bzw. demansion des Scheins (oben links).
Zu demansion heißt es in der Sitzung vom 17. Februar 1971:
„Ich weiß, daß diese demansion für manche eine Frage aufgeworfen hat, die entsprechenden Echos sind zu mir zurückgekommen. Nun, wenn demansion in der Tat ein neuer Terminus ist, und wenn er noch Bedeutung [sens] hat, so heißt das, dass es Ihnen zukommt, ihm eine zu geben. Die demansion der Wahrheit in ihrer Bleibe [demeure] zu befragen, ist etwas – darin besteht die Neuheit dessen, was ich heute einführe –, das nur durch das Geschriebene geschieht, und durch das Geschriebene als dieses, dass sich nur durch das Geschriebene die Logik bildet.
Das ist es, was ich an dieser Stelle meines diesjährigen Diskurses einführe – Es gibt logische Frage nur ausgehend vom Geschriebenen, insofern das Geschriebene eben nicht die Sprache ist. Insofern habe ich ausgesagt, dass es keine Metasprache gibt. Das Geschriebene selbst, insofern es sich von der Sprache unterscheidet, ist da, um uns zu zeigen, dass, wenn vom Geschriebenen her die Sprache befragt wird, es eben geschieht, insofern das Geschriebene nicht Sprache ist, sondern nur durch seinen Bezug auf die Sprache konstruiert, fabriziert ist.“
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Pas-plus-d’un meint bei Lacan „eins, aber nicht mehr als eins“, „genau eins“.
Den Ausdruck pas-plus-d’un hatte er in der vorhergehenden Sitzung von Seminar 18 eingeführt:
„Auf der anderen Seite ist das, was ich mit Bezug auf diesen Lettre volée [gestohlenen Brief] hervorhebe, dass es, wenn es nur eine Frau und nicht Die Frau, mit anderen Worten, wenn sich die Funktion der Frau nur aus dem entfaltet, was der große Mathematiker Brouwer im Zusammenhang mit dem, was ich gerade über die Diskussion in der Mathematik vorgetragen habe, die Multi-Einheit nennt, eine Funktion gibt, die im ganz eigentlichen Sinne die des Vaters ist, der da ist. Der Vater ist da, um sich darin Anerkennung zu verschaffen, in seiner radikalen Funktion, in derjenigen, die er stets an den Tag gelegt hat, und zwar jedes Mal, wenn es beispielsweise um den Monotheismus ging.
Nicht grundlos wird Freud da scheitern. Es ist deshalb so, weil es eine ganz und gar wesentliche Funktion gibt, die es als im ganz eigentlichen Sinne am Ursprung des Geschriebenen stehend vorzubehalten gilt. Es ist das, was ich das Nicht-mehr-als-Ein(e)s nennen werde.
Aristoteles, ganz klar, unternimmt ganz hinreißende und aufwendige Anstrengungen, wie er das üblicherweise tut, um uns das stufenweise im Namen seines Prinzips zugänglich zu machen, das man als Prinzip des Wiederaufstiegs auf der Stufenleite von Ursache zu Ursache und von Wesen zu Wesen usw. qualifizieren kann, doch irgendwo werden Sie natürlich anhalten müssen. Das ist etwas ganz Liebevolles, das es bei ihm gibt. Nämlich, dass er wahrlich für die Dummen sprach. Von daher die Entwicklung der Funktion des Subjekts.
Auf eine ganz und gar originelle Weise wird das Nicht-mehr-als-Ein(e)s gesetzt. Ohne Nicht-mehr-als-Ein(e)s können Sie nicht einmal beginnen, die Reihe der ganzen Zahlen zu schreiben. Ich werde Ihnen das nächstes Mal an der Tafel zeigen. Es muss eine 1 geben, und dann muss Sie anschließend nur noch den rundgemachten Mund aufplatzen lassen, jedes Mal, wenn Sie wieder beginnen wollen, damit das jedes Mal 1 mehr macht, aber nicht dasselbe. Dagegen sind all diejenigen, die so wiederholt werden, dieselben, sie können addiert werden. Man nennt das die arithmetische Reihe.“
(Sitzung vom 17. März 1971, Version Miller/Gondek S. 125)
Die Funktion pas-plus-d’un (nicht-mehr-als-einer) wird demnach durch den Monotheismus realisiert (es gibt genau einen Gott, nicht mehr) und außerdem durch die Nachfolgerfunktion in der Konstituierung der ganzen Zahlen (die nächste Zahl wird gebildet, indem genau eins addiert wird, jedoch nicht mehr).
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Chollet: „ditmention“.– Miller: „demansion“.– Lituraterre II: keine Entsprechung.
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Was Frege angeht, bezieht Lacan sich hier auf das Verhältnis von Null und Eins; vgl. Seminare 12 und 13 sowie Lacans Vortrag Über Struktur als Einmischen einer Andersheit in welches Subjekt auch immer (1966) (meinen Kommentar zu diesem Text findet man hier). Lacan bezieht sich auf: Gottlob Frege, Grundlagen der Arithmetik (1884).
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Den Terminus un-en-plus „eins mehr“, hatte Lacan in Seminar 14 eingeführt, in der Sitzung vom 23. November 1966. Um eine Menge zu bilden, braucht es, außer den Elementen der Menge, eine weitere Komponente, nämlich die Menge. Sie wird durch zwei geschweifte Klammern symbolisiert, also durch {}, graphisch etwa durch einen Kreis um die Elemente herum; Lacan symbolisiert diese Komponente mit (+1). Dieses zusätzliche Element ist eines, das den Elementen fehlt, also zugleich „eins weniger“ (−1).
Mit Hun-En-Peluche (bzw. un-en-plus), Eins-mehr, scheint also das Ausnahmeelement gemeint zu sein, durch das eine Menge konstituiert wird. Eine Entsprechung in den Formeln der Sexuierung wäre dann der Ausdruck
, den Lacan durch den Bezug auf den mythischen (nicht-kastrierten) Urvater erläutert, als Bedingung für die Verwendung des Allquantors.
Der Gedanke geht auf Seminar 9, Die Identifizierung, zurück, dort noch ohne diese Terminologie (vgl. Sitzung vom 9. Mai 1962).
In einer späteren Sitzung von Seminar 18 wird es heißen:
„Diese Annahme des zumindest einer, darüber mein Gott, ende ich, weil die Uhr mit die Grenze aufzeigt. Sie werden sehen, dass ich Sie im Weiteren mit dem in eine Funktion zu bringen haben werde, was Sie da bereits dargelegt sehen, nämlich die Funktion des ein mehr/ein im Plüsch [un en peluce], der im Übrigen hier nicht so ist, wie ich ihn letztes Mal geschrieben habe. Nicht grundlos habe ich ihn so geschrieben, ich denke, dass dies dennoch für manche gewisse Echos aufwerfen kann.“
(Sitzung vom 19. Mai 1971, vgl. Version Miller/Gondek S. 171)
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Den Terminus l’achose hatte Lacan in Radiophonie (1970) eingeführt:
„Ich müßte ‚antizipieren‘ (aufnehmend den Sinn meines eigenen Wortes) auf das, was ich vorhabe einzuführen unter der Schreibweise von l’achose, l, Apostroph, a, c, h, o usw., um spüren zu machen, in welchem Effekt die Linguistik Position bezieht.
Das wird kein Progreß sein: eher eine Regression. Das ist es, wessen wir bedürfen gegen die Einheit von Obskurantismus, die sich bereits zusammenschweißt, um der achose zuvorzukommen.“
(Radiophonie, a.a.O., S. 8)
In Seminar 17 hieß es:
„Den Raum, in dem sich die Schöpfungen der Wissenschaft entfalten, können wir folglich nur als die Insubstanz, als das a-Ding/Unding [l’achose] mit Apostroph bezeichnen. Gemachtes, das den Sinn unseres Materialismus grundlegend verändert.“
(Sitzung vom 20. Mai 1970; J. Lacan: Die Kehrseite der Psychoanalyse. Das Seminar, Buch XVII (1969–1970). Texterstellung durch Jacques-Alain Miller, übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien 2023, S. 208)
Das Verhältnis zwischen l‘Achose und Objekt a war Gegenstand einer früheren Sitzung von Seminar 18. In Anspielung auf Heideggers Begriff des Daseins hatte Lacan gesagt:
„Bin ich, bin ich präsent, wenn ich zu Ihnen spreche? Es sollte so sein, dass die Sache, um derentwillen ich mich an Sie wende, da wäre. Nun reicht es aber zu sagen, dass die Sache sich nur als die a-Sache/das Un-Ding [l’achose, statt klanggleich la chose, die Sache, das Ding] schreiben lässt, so wie ich das gerade an die Tafel geschrieben habe, was bedeutet, dass sie da, wo sie ihren Platz hält, abwesend ist. Oder, genauer, dass, einmal beseitigt, das Objekt klein a, das diesen Platz hält, dort, an diesem Platz, nur den sexuellen Akt, so wie wir ihn akzentuieren, das heißt die Kastration, lässt.“
(Sitzung vom 10. März 1971, Version Miller/Gondek S. 89)
Einige Sätze später:
„Wenn es Loch gibt auf der Stufe des Un-Dings, so lässt Sie das bereits erahnen, dass das eine Art und Weise war, es, dieses Loch, bildlich darzustellen (…).“
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Das Objekt a steht demnach in einer Beziehung zum Buchstaben und das heißt (wenn man der oben zitierten Erläuterung aus Seminar 19 folgt) zur Wiederkehr des Verdrängten.
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Quelle der Abbildung: Artikel „Ruissellement“ in der französische Wikipedia
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das auf der Oberfläche abfließende Wasser: Oberflächenabfluss (ruissellement), Wasser, das nach heftigen Regenfällen nicht versickert, sondern auf der Erdoberfläche, sofern sie eine Neigung hat, abfließt.
In Seminar 20, Encore, wird es heißen:
„Das ist es, was ich gesagt habe in einem Text gewiß nicht ohne Unvollkonmenheiten, den ich Lituraterre genannt habe. Das Gewölk der Sprache – habe ich mich ausgedrückt metaphorisch — macht Schrift. Wer weiß, ob die Tatsache, daß wir diese Rinnsale lesen können, die ich über Sibirien erblickte als metaphorische Spur der Schrift, nicht gebunden ist – lier und lire, das sind dieselben Buchstaben, haben Sie darauf acht - an etwas, das hinausgeht über den Regeneffekt, wofür es keine Chance gibt, daß das Tier es lese als solches?“
(J. Lacan: Das Seminar, Buch XX. Encore (1972–1973). Textherstellung Jacques-Alain Miller, übersetzt von Norbert Haas, Vreni Haas und Hans-Joachim Metzger. Quadriga, Weinheim 1986. Sitzung vom 15. Mai 1973, Version Miller/Haas u.a. S. 129 f.)
Demnach gilt:
– Wolken: Sprache,
– Oberflächenabfluss: Schrift, insofern die Schrift eine Wirkung der Sprache ist, jedoch über die Wirkung der Sprache hinausgeht (und auf die Sprache zurückwirkt, wie Lacan in der laufenden Sitzung von Seminar 18 für das Japanische noch hervorheben wird).in den Schatten stößt: Mit der Beziehung zwischen dem leuchtenden Glänzen und dem Schatten spielt Lacan auf die Fiktionsstrukur der Wahrheit an, wie er in der Folgesitzung erläutern wird:
„Genau da wird an die Wichtigkeit der Funktion des Schattens gerührt. Bereits letztes Mal habe ich in dem, was ich über das ausgesagt habe, was genau genommen ein Geschriebenes ist, ich meine über etwas, das sich in buchstäblicher oder literarischer Form darstellte, erwähnt, dass der Schatten zu seiner Hervorbringung einer Lichtquelle bedarf. Ja, wirklich. Aber es ist Ihnen nicht spürbar gewesen, dass von daher die Aufklärung* etwas beinhaltet, das Fiktionsstruktur wahrt. Ich spreche von der geschichtlichen Epoche, die nicht unerheblich gewesen ist, und von der die Bahnen nachzuzeichnen oder sie an sich selbst aufzugreifen für uns nützlich sein kann – das ist hier der Fall, und es ist das, was ich tue. Was das Licht erschafft, geht von diesem Feld aus, das sich selbst als das der Wahrheit definiert. Denn das Licht, sollte es gar einen wirkungsvollen Effekt auf das haben, was Undurchdringlichkeit erschuf, wirft als solches, welches dieses Feld jeden Augenblick verbreitet, einen Schatten, und dieser Schatten zeitigt Wirkung. Darin haben wir diese Wahrheit selbst stets nach ihrer Fiktionsstruktur zu befragen.“
(Sitzung vom 19. Mai 1971, Version Miller/Gondek S. 159)
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Chollet schreibt wie Espaces Lacan: „qui l’efface“.– Miller: „qu’il efface“ (was er auslöscht).– Lituraterre II: „qui l’efface“ (Autres écrits, S. 16).
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In Seminar 9, Die Identifizierung, sagt Lacan:
„Aber wenn ich plötzlich die Spur davon finde, dass man sich bemüht hat, die Spur auszulöschen; oder wenn ich sogar von dieser Bemühung keine Spur mehr finde; wenn ich zurückgekommen bin, weil ich weiß – worauf ich keineswegs stolz bin – dass ich die Spur hinterlassen habe; wenn ich finde, dass man – ohne eine Entsprechung, die es gestattet, dieses Auslöschen auf ein allgemeines Auslöschen der Züge/Striche (traits) der Konfiguration zu beziehen –, dass man tatsächlich die Spur als solche ausgelöscht hat, nun, dann bin ich mir sicher, dass ich es mit einem realen Subjekt zu tun habe.“
(Sitzung vom 24. Januar 1962; meine Übersetzung (RN), nach Version Staferla)
Das Auslöschen der Spur (die Streichung) steht demnach für die Konstituierung des Subjekts. Das Subjekt ist für Lacan sujet barré, Subjekt, dem etwas versperrt ist, dem das Unbewusste nicht zugänglich ist.
Die beiden Schritte sind also: Die Spur entspricht dem urverdrängten Buchstaben als dem, wovon die normale Verdrängung und der Wiederholungszwang angetrieben wird. Beim Ausstreichen der Spur geht es um die Konstituierung des Subjekts als derjenigen Größe, die zum Verdrängten keinen Zugang hat.
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Chollet schreibt wie Espaces Lacan: „Ça se marque donc en deux temps“.– Miller: „Ça se remarque donc en deux temps“.– Lituraterre II: „s’y marquent deux temps“ (Autres écrits, S. 16).
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Das Abfließen des Wassers auf der Oberfläche entspricht hiernach der Verbindung zwischen dem unären Zug und dessen Auslöschung. Mit „unärer Zug“ bezieht sich Lacan auf Freuds Rede von der Identifizierung mit einem „einzigen Zug“, die Lacan in Seminar 9, Die Identifizierung, als primäre Identifizierung rekonstruiert hatte (vgl. S. Freud: Massenpsychologie und Ich-Analyse (1921). In: GW 13, S. 117).
Was ist, bezogen auf den Bereich der Psychoanalyse, mit dem Auslöschen des unären Zugs – und also mit der Ausstreichung – gemeint? Im Identifizierungs-Seminar hatte Lacan folgende Thesen vorgetragen: Der einzige Zug ist ein „verlorener Buchstabe“. Dieser verlorene Buchstabe entspricht Freuds Begriff des Traumas. Der Wiederholungszwang dient dazu, den verlorenen Buchstaben wieder auftauchen zu lassen (vgl. Sitzung vom 13. Dezember 1961, S. {19}, und Sitzung vom 20. Dezember 1961, S. {2}). Der verlorene Buchstabe ist ein Ursignifikant, nämlich das Urverdrängte (vgl. Sitzung vom 10. Januar 1962, S. {21}).
Also versteht Lacan unter dem Auslöschen des unären Zugs die Verdrängung oder die Urverdrängung.
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Lacan übersetzt hier rature (Streichung) ins Lateinische: litura. Litura-terre kann demnach auch so gelesen werden: „Streichung – Boden“.
terre du littoral, lautähnlich mit Lituraterre bei Umstellung der Silben.
Beim Litoral geht es um die Ausstreichung jeglicher Spur, damit bestätigt sich, dass es beim Buchstaben in seiner Litoral-Funktion um die Verdrängung geht.
Eine frühe Fassung dieses Theorems findet man in Seminar 3, Die Psychosen, dort in Bezug auf den Signifikanten, nicht den Buchstaben. Der Signifikant, so heißt es dort, entsteht durch die Streichung der Spur (die Spur steht in einer direkten Beziehung zum repräsentierten Objekt, während ein Signifikant sich auf Signifikanten bezieht). (Vgl. Sitzung vom 14. März 1956, Version Miller/Turnheim S. 198 f.)/note]
Litura pure108
Miller schreibt „pure“ kursiv; Lacan in Lituraterre II nicht (Autres écrits, S. 16).
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Das könnte heißen: Das Verdrängte (Ausgestrichene) zu erinnern (zu reproduzieren), heißt, die unbewusste Hälfte zu reproduzieren, von der her das Subjekt insofern Bestand hat, als das Subjekt für Lacan ein gespaltenes Subjekt ist.
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Jean Macé: L‘Histoire de Moitiè de Poulet (Die Geschichte von Halbes Huhn), war Lacans erste Lektüre. (Aus: Jean Macé: Contes du petit château. Hetzel, Paris 1862.) Vgl. Seminar 17, Die Kehrseite der Psychoanalyse, Sitzung vom 21. Januar 1970, Version Miller/Gondek S. 69.
In einer späteren Sitzung von Seminar 18 heißt es zu den beiden Hälften:
„Nichts ist da [in Lacans Aufsatz Die Freudsche Sache] gesagt als das, was Sprechen besagt – die heillose Spaltung von Genießen und Schein. Die Wahrheit ist, es zu genießen, Schein zu machen, und auf keinen Fall einzugestehen, dass die Realität einer jeden von diesen beiden Hälften nur vorherrschend ist, indem sie von sich behauptet, aus der anderen zu sein, sprich in wechselnden Würfen zu lügen. Solcher Art ist das Halb-Sagen der Wahrheit.“
(Sitzung vom 9. Juni 1971, Version Miller/Gondek S. 181)
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Lacan spielt hier auf eine Abhandlung von Shi Tao an, einem chinesischen Maler des 17. Jahrhunderts. Shi Tao zufolge beruht die Arbeit des Malers, des Kalligrafen, auf dem „unären Pinsel“. In Seminar 14 hatte Lacan über Shi Tao gesagt:
„Freud hat den einzigen Zug/Strich (trait unaire) nicht entdeckt. (…) Öffnen Sie das letzte Heft der ausgezeichneten Zeitschrift, die Arts Asiatiques heißt, und Sie werden hier die Übersetzung einer sehr schönen kleinen Abhandlung über die Malerei sehen, von einem Maler, von dem ich erfreulicherweise das Glück habe, kleine Kakemonos zu besitzen, der Shi Tao heißt und der diesen unären Strich nun wirklich groß herausstellt. Er spricht nur davon, ja, über eine ganze Reihe von Seiten spricht er nur davon. Das nennt sich auf Chinesisch – und nicht nur für die Maler, denn auch die Philosophen sprechen viel davon – yi, das bedeutet Ein, und sua, was ‚Strich‘ heißt. Das ist der unäre Strich.“
(Sitzung vom 26. April 1967, meine Übersetzung (RN), nach Version Staferla; vgl. J. Lacan: La logique du fantasme. Le séminaire, livre XIV. 1966–1967. Texterstellung Jacques-Alain Miller. Seuil, Le Champ Freudien, Paris 2023, S. 301)
In Shi Taos Abhandlung heißt es:
„Die unterschiedslose Verschmelzung von Yin-Yun bildet das ursprüngliche Chaos. Und wenn es nicht durch das Mittel des unären Pinselstrichs wäre, wie anders könnte das ursprüngliche Chaos erschlossen werden? (…) Die Einheit von Tinte und Pinsel zu verwirklichen heißt, die Unterscheidung von Yin und Yun zu lösen und sich daranzumachen, das Chaos zu erschließen (…). In der Mitte des Ozeans der Tinte, fest den Geist zu errichten; auf der Spitze des Pinsels möge das Leben sich bejahen und aufsteigen; auf der Oberfläche der Malerei die Metamorphose zu vollziehen, dass im Herzen des Chaos das Licht errichtet werde und aufschieße! Ausgehend vom Ein teilt sich das Viele, ausgehend vom Vielen wird das Ein erobert, die Metamorphose des Ein erzeugt Yin und Yun – und da ist es, dass alle Virtualitäten der Welt ihre Erfüllung finden.“
(Meine Übersetzung (RN) der Übersetzung von François Cheng in seinem Buch Vide et plein. Le langage pictural chinois. Le Seuil, Paris 1991, übersetzt nach dem Zitat in Laurent (1999).
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Das japanische Schriftzeichen für die Zahl 1 ist ein waagerechter Strich. In Seminar 9 hieß es, dass der trait unaire, der einzige Zug / der Einzelstrich auf zwei Weisen gezeichnet werden kann, als senkrechter Strich, im Französischen bâton genannt, „Stock“, und als waagerechter Strich, „wie bei den Chinesen“ (Seminar 9, Sitzung vom 6. Dezember 1961, Übersetzung von Max Kleiner und Rolf Nemitz auf „Lacan entziffern“, 21. Juli 2024, hier, S. {15}.
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Chollet schreibt wie Espaces Lacan: „de quelle rature ça s’attaque“.– Miller: „de quelle nature ça s’attaque“.– Lituraterre II: „de quel appui elle s’attaque“ (Autres écrits, S. 16).
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Verwesteten: Für occitenté, ein Kofferwort aus occident (Westen) und accitenté (Verunglückter).
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?? Was ist gemeint mit dem, „was einen durchstreicht“? Will er sagen, dass man keine Verdrängung haben darf, um den Strich zeichnen zu können?
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Entre centre et absence, „Zwischen Zentrum und Abwesenheit“, Titel eines Gedichts von Henri Michaux (1936), hier.
Zwischen Zentrum und Abwesenheit, zwischen Wissen und Jouissance: Demnach bezieht sich Lacan hier auf die Jouissance, insofern sie abwesend ist.
das Litoral biegt zum Literalen ab:
?? Geht es hier um die Beziehung zwischen der Wiederkehr des Verdrängten im Symptom (Litoral) und und dem verdrängten Buchstaben (Literales)?jederzeit dieselbe Kurve zu nehmen: Vermutlich eine Anspielung auf das Wiederholen im Sinn von Freuds Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten (1914, GW 10, S. 125–136).
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Quelle der Abbildung: Seminar 17, Sitzung vom 10. Juni 1970, Version Miller/Gondek, a.a.O., S. 221
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Vermutlich eine Anspielung auf den Diskurs des Analytikers mit dem Analytiker am Platz des Agenten.
Bezogen auf die Diskursformeln ist der Platz des Agenten der Platz oben links (vgl. Seminar 17, Version Miller/Gondek S. 221), in Seminar 18 wird dieser Platz als der des Scheins (semblant) bezeichnet (vgl. Sitzung vom 20. Januar 1971, Version Miller/Gondek S. 26).
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Quelle der Abbildung: Artikel „The Clouds“ in der englischen Wikipedia. Aus: Emblemata et aliquot nummis antiqui operis, cum emendatione et auctario copioso ipsius autoris by Joannes Sambucus, 1564.
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Chollet: „qu’en pleut cet effet, encore faut il préciser qu’il y était“.– Miller: „qu’en pleut cet effet à ce qu’il s’en précipite ce qui y était“.– Lituraterre II: „qu’en pleut, eff(et à ce“ (Autres écrits, S. 17).
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Aristophanes: Lacan bezieht sich auf Aristophanes’ Komödie Die Wolken (423 v. Chr). Ein Bauer und sein Sohn lernen Rhetorik, um der schlechten Sache zum Sieg zu verhelfen. Sokrates, der in den Lüften schwebt, erklärt ihnen, die Wolken seien die Götter der neuen Zeit, denn die Wolken verkörpern „die Gedanken, Ideen, Begriffe, die uns Dialektik verleihen und Logik und den Zauber des Wortes und den blauen Dunst, Übertölplung, Floskeln und Blendwerk“ (Aristophanes: Sämtliche Komödien. Bd. 1. Übersetzt von Ludwig Seeger. Artemis-Verlag, Zürich 1952, Verse 317 und 318, zit. nach dem Wikipedia-Artikel „Die Wolken“).
regnet: Mit dem Hinweis auf den Regen wird die Sibirien-Metapher um eine Komponente erweitert. Der Regen entspricht dem Signifikanten als Schein (semblant), das heißt dem Signifikanten, insofern er den Sinnen erscheint (vgl. Soler 2024).
Materie: In Radiophonie verwendet Lacan den Terminus Materie so:
„Diese intransitive Materialisierung, möchten wir sagen, des Signifikanten zum Signifikat, das ist das, was man das Unbewußte nennt, das nicht Ankerung ist, sondern Ablage, Anschwemmung der Sprache.“
(Radiophonie, a.a.O., S. 21)
Illustration aus: Joannes Sambucus: Emblemata et aliquot nummis antiqui operis, cum emendatione et auctario copioso ipsius autoris, 1564. Quelle: Artikel „The Clouds“ der englischen Wikipedia.
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Quelle der Abbildung: Artikel „Cypress Trees“ in der englischen Wikipedia.
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Chollet schreibt wie Espaces Lacan: „elle en regorge“.– Miller ersetzt „elle en regorge“ durch „pourquoi?“ (warum?).– In Lituraterre II gibt es hierzu keine Entsprechung.
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Ein Emakimono ist ein Rollbild im Querformat, das in horizontaler Richtung ausgerollt wird, auf einem Tisch oder auf dem Boden.
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Die Wolken entsprechen demnach der Dimension des Signifikanten. Ergänzt man das durch den Hinweis aus Encore, entsprechen die Wolken der Sprache, zusammen also: Wolken = Sprache als Dimension des Signifikanten.
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Buchstabe: Man muss sich hier daran erinnern, dass der Buchstabe einen Zwischenbereich (ein Litoral) zwischen dem Signifikanten und der Jouissance bildet. Das lässt sich jetzt so ergänzen, dass der Buchstabe einen Zwischenbereich zwischen dem Signifikanten als Schein (dem für die Sinne erscheinenden Signifikanten) und der Jouissance bildet.
Meteor: Der Ausdruck „Meteor“ bezog sich ursprünglich auf Himmelserscheinungen jeder Art, auch auf den Regenbogen. Lacan hatte sich hierauf in der ersten Sitzung von Seminar 18 bezogen: Die erste Operation der Wissenschaft besteht darin, solche Phänomene aufzulösen, durch Buchstaben, also durch algebraische Formeln (13. Januar 1971, Version Miller/Gondek S. 14 f.). Meteoriten sind spezielle Formen von Meteoren.
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Jouissance: Damit ist Lacan wieder bei der Dreigliederung Signifikant - Buchstabe (Litoral) - Jouissance. Eine Beziehungskette zwischen diesen drei Größen ist demnach:
– Die Wolke zerbirst, es regnet: Der Signifikant hat die Form des Scheins (semblant).
– Hierdurch entsteht der Oberflächenabfluss, nämlich der Buchstabe.
– Der Buchstabe zerbricht den Schein.
– Das Zerbrechen des Scheins durch den Buchstaben ruft Jouissance hervor.
– Es geht darum, jene Jouissance zu vertreiben, von der die Hypothese der Welt gestützt wird.Offenbar geht es darum, eine Art der Jouissance durch eine andere zu ersetzen, an die Stelle der Jouissance, von der die Idee der Welt gestützt wird, soll die Jouissance treten, die durch das Zerbrechen des Scheins entsteht.
„Welt“ ist für Lacan ein Totalitätsbegriff, letztlich das Imaginäre.
?? Welche Jouissance entsteht durch das Zerbrechen des Scheins, psychoanalytisch gesprochen?
?? Was ist das für eine Jouissance, von der die Hypothese der Welt gestützt wird?
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Chollet schreibt wie Espaces Lacan: „le vide“.– Miller und Lituraterre II: „la vie“ (Leben) (Autres écrits, S. 17).
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Man denke an Freuds Begriff „Lebenstriebe“. Die bei Freud jedoch mit den Todestrieben im Konflikt liegen, also keine „Welt“ ergeben.
Demnach gibt es eine Jouissance, von der die Hypothese gestützt wird, die Welt und damit das Leben bestehe aus Trieben.
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Quelle der Abbildung: Robert E. Kayen auf der Seite research.gat, hier.
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Nach heftigem Regen kommt es durch Oberflächenabfluss zum Abtransport des Bodens, es bilden sich Rillen (Tiefe <10 cm), Rinnen (<40 cm) und Gräben (>40 cm).
Dies scheinen die Zuordnungen zu sein:
– Wolken: Sprache,
– Regen: Signifikant als Schein (semblant),
– Oberflächenabfluss: unärer Zug, Buchstabe (= Spur der Schrift insofern sie über die Wirkung der Sprache hinausgeht), das Urverdrängte, insofern es sich im Wiederholungszwang manifestiert als Wiederkehr des Verdrängten und in Verbindung zur Jouissance steht,
– von Vegetation verlassene Ebene: Auslöschen des unären Zugs, Konstituierung des Subjekts durch die Urverdrängung,
– Erosionsrinne: Jouissance, vermutlich im Sinne des Jouissance-Verlusts.
– Glanz, der das, was nicht schimmert, in den Schatten stößt: Fiktionsstruktur der Wahrheit. -
Die Schrift (bzw. der Buchstabe) wird also nicht nur dem Oberflächenabfluss zugeordnet, sondern auch der hierdurch hervorgerufenen Erosionsrinne.
Die Schrift wird hier außerdem dem Realen zugeordnet, nicht dem Symbolischen (einige Sätze später wird Lacan das ausdrücklich formulieren).
Die Schrift ist die Erosionsrinne des Signifikats, nicht des Signifikanten.
Das Signifikat ist das, was an Schein geregnet ist; das Signifikat entspricht also dem Regen. Anders gesagt: Wolke verhält sich zu Regen wie Signifikant zu Signifikat.
Insgesamt: Der Regen bildet Erosionsrinnen, das Signifikat bildet Schrift. Die Wirkungskette ist demnach: Wolke → Regen → Erosionsrinne bzw. Signifikant → Signifikat → Schrift.
Vielleicht ein Wortspiel mit dem Doppelsinn von plu, dem Partizip passiv sowohl von pleuvoir, „regnen“, also auch von plaire, „gefallen“; „das, was vom Schein gefallen hat“.
In welchem Sinne ist die Schrift auf das Signifikat zurückzuführen? Wenn man bei Schrift an die Keramikmarkierungen im vordynastischen Ägypten und auf die Formeln der Physik denkt, bekommt man möglicherweise eine Entsprechung. Es geht hier um Handlungen in einer sprachlich strukturierten Welt und vielleicht in diesem Sinne um Signifikate. (Auf die Keramikmarkierungen bezieht Lacan sich in Seminar 9, Die Identifizierung, in den Sitzungen vom 20. Dezember 1961, S. {26 f.}, und vom 10. Januar 1962, S. {4}.)
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Die Schrift gibt nicht den Signifikanten wieder: Wenn man den vorhergehenden Satz hinzuzieht, ergibt sich: Die Schrift geht vom Signifikat aus, nicht vom Signifikanten.
um Namen zu nehmen: Vielleicht geht es hier um die Namen für die Buchstaben, die letztlich auf Wörter für Gegenstände zurückgehen, beispielsweise hat der hebräische Buchstabe Aleph mit dem Rind zu tun (Lacan äußert sich hierzu in Seminar 9, Die Identifizierung, in der Sitzung vom 10. Januar 1962, S. {2} f.).
aufgezählt: Damit könnte gemeint sein, dass etwas dadurch, dass es benannt wird, zu „einem“ (oder zu „eins“) wird.
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Das Reale ist das Unmögliche, sagt Lacan ab Seminar 9, Die Identifizierung. Der Buchstabe ist im Realen besagt also, dass der Buchstabe mit einer Unmöglichkeit verbunden ist. Mit welcher? Ich nehme an, dass es hier um das Urverdrängte geht – es ist unmöglich, die urverdrängten Buchstaben durch freie Assoziation zur Sprache zu bringen und in diesem Sinne in Signifikanten zu verwandeln.
Zuvor hatte es in dieser Sitzung geheißen: Der Buchstabe ist zwischen Jouissance und Wissen angesiedelt (S. 117). Jetzt (S. 122) erfahren wir, dass der Buchstabe zum Realen gehört und der Signifikant zum Symbolischen. Damit ist der Buchstabe kein Signifikant. Anders beschreibt Lacan die Beziehung im Identifizierungs-Seminar, wo es heißt, der Wiederholungszwang habe die Funktion, einen verdrängten Signifikanten wieder hochkommen zu lassen, den er dort als Buchstabe bezeichnet (Seminar 9, Sitzung vom 13. Dezember 1961, S. {19}); hiernach ist ein Buchstabe durchaus ein Signifikant, ein Signifikant mit einer speziellen Wirksamkeit.
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Lacan meint Höhenlinien, Isohypsen, also Linien gleicher Höhe, und verwechselt sie mit Isobaren (Linien gleichen Luftdrucks), vielleicht um eine Lautähnlichkeit mit la barre unterzubringen, „der Strich“.
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Lituraterre II: „se marquait de cours d’eau“, durch Wasserläufe gekennzeichnet war (Autres écrits, S. 17).
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Quelle des Fotos: Flickr, https://www.flickr.com/photos/41119677@N05/4275301195
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Miller ergänzt: „qui prend carrément l’aspect d’une route“.
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Unter einem Artefakt versteht Lacan in Seminar 18 eine Diskurstatsache (vgl. Sitzung vom 13. Januar 1971, Version Miller/Gondek S. 11). Schrift und Vermessung gibt es nur, weil es Diskurse gibt, insofern sind sie Artefakte.
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Quelle der Abbildung: amazon.fr, hier.
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Anfang des Gedichts Le Pont Mirabeau von Guillaume Apollinaire (1912).
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Lacan bezieht sich auf die Abbildung auf der Titelseite der Zeitschrift La psychanalyse, die von 1956 bis 1964 erschien und von der Société française de psychanalyse herausgegeben wurde. Sie zeigt ein Ohr über einer Brücke.
Die Abbildung ist den Hieroglyphica entnommen, einem Werk des Horus Apollo oder Horapollo über ägyptische Hieroglyphen aus dem 5. Jh. n. Chr. Im Druck erschien es erstmals 1505 bei Alde Manuce in Venedig; die Abbildung entstammt der 1519 im selben Verlag erschienenen Ausgabe, sie ist mit folgender Erläuterung versehen: „Das gemalte Ohr bedeutet das geschaffene Werk oder das Werk, das man erschaffen soll“ (vgl. Lacan, Seminar 4, Die Objektbeziehung, Sitzung vom 3. Juli 1957, Version Miller/Gondek S. 500).
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Die Urszene (die Beobachtung des elterlichen Koitus) ist, Freud zufolge, eine traumatische Erfahrung und steht im Falle des Wolfsmanns in Verbindung mit einem Buchstaben im üblichen Sinne des Wortes, mit dem Buchstaben V für die römische Fünf. Ich nehme an, dass damit angedeutet werden soll, dass die Urszene auch insofern ein Buchstabe ist, als sie etwas Urverdrängtes ist, das, durch Wiederkehr des Verdrängten, Symptome erzeugt.
In Freuds Studie über den „Wolfsmann“ heißt es:
„In einem ganz anderen Zusammenhange, viele Monate später, machte dann der Patient die Bemerkung, das Öffnen und Schließen der Flügel, als der Schmetterling saß, hätte den unheimlichen Eindruck auf ihn gemacht. Dies wäre so gewesen, wie wenn eine Frau die Beine öffnet, und die Beine ergäben dann die Figur einer römischen V, bekanntlich die Stunde, um welche schon in seinen Knabenjahren, aber auch jetzt noch, eine Verdüsterung seiner Stimmung einzutreten pflegte.“
(Aus der Geschichte einer infantilen Neurose (1918). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 8. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 203 f.)
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Chollet: „mais aussi bien qu’on n’en jouit pas, c’est le malheur de l’interprétation.“ (aber auch, dass man das nicht genießt, ist das Unglück der Deutung).– Miller: „Mais aussi bien, on n’en jouit que par l’interprétation.“ (Aber man genießt es auch nur durch die Deutung)– Lituraterre II: „Mais aussi bien n’en jouit-on qu’à ce qu’y pleuve la parole d’interprétation.“ (Aber man genießt es auch nur, wenn das Sprechen der Deutung darauf regnet.) (Autres écrits, S. 18)
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Inwiefern genießt man die Urszene, wenn die Deutung darauf regnet? Vielleicht insofern, als der Sinn der Urszene vom Kind nachträglich erfasst wird (gedeutet wird) und dann, außer Angst, auch sexuelle Erregung auslöst. Dass die Deutung „regnet“ könnte eine Anspielung auf das Bettnässen sein, das Freud mit der Masturbation in Zusammenhang bringt.
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Das Symptom beruht auf der Wiederkehr des Verdrängten, anders gesagt, auf dem Buchstaben.
?? In welchem Sinn stiftet das Symptom eine „Ordnung“?
?? Und worauf bezieht sich die Rede von der „Politik“ der Psychoanalyse?
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All unsere Deutungen laufen auf die Jouissance hinaus, hieß es weiter oben (S. 117); alles, was von der Ordnung des Symptoms (und damit des Buchstabens) artikuliert wird, kann durch Deutung auf die Jouissance bezogen werden.
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Ist dies gemeint: In der Politik geht es vor allem um die Wiederkehr des Verdrängten und in diesem Sinne um das Symptom – ?
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Lituraterre II: „si la psychanalyse s’en avérait avertie“ (Autres écrits, S. 17).
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Chollet wie Espaces Lacan: „à nous en faire nous-mêmes, à nous en faire le tribut“.– Miller: „d‘autres paroles à nous en faire nous-même le tribut“ (andere Worte, um uns daraus uns selbst den Tribut zu machen).– Lituraterre II: „pour que s’y jouent d’autres paroles à nous en faire le tribut.“ (Damit darin andere Worte ins Spiel kommen, um uns daraus den Tribut zu entrichten) (Autres écrits, S. 18)
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Ein anderer Nutzen als den der Tribüne und des Tribunals, das könnte sich auf die Politik beziehen. Die Psychoanalyse ist nicht nur auf die Politik zu beziehen, sondern auch auf die Literatur.
Was ist damit gemeint, dass wir den Tribut an uns selbst entrichten?
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Die Termini Metasprache und Objektsprache bilden ein Paar, wie oben und unten. Die Objektsprache ist die Sprache, die von der Metasprache beschrieben wird.
Die Sentenz „Es gibt keine Metasprache“ findet man zuerst in Seminar 5 von 1957/58, Die Bildungen des Unbewussten, in der Sitzung vom 27. November 1957.Dort heißt es:
„Es gibt keine Metasprache beispielsweise im Sinne einer vollkommenen Mathematisierung des Phänomens der Sprache, und dies genau deshalb, weil es kein Mittel gibt, über das hinaus zu formalisieren, was als ursprüngliche Struktur der Sprache gegeben ist. Nichtsdestoweniger ist diese Formalisierung nicht nur einzufordern, sondern ist sie auch notwendig.“
(Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien 2006, S. 86)
In Seminar 18 hatte Lacan am 10. Februar 1971 gesagt:
„Merkwürdig allerdings ist, dass Linguisten nicht sehen, dass jeder Gebrauch der Sprache, welcher auch immer, sich in die Metapher verschiebt/entstellt [déplace], dass es Sprache nur metaphorisch gibt. Jeder Versuch zu metasprachen, wenn ich mich so ausdrücken kann, beweist das. Er kann nichts anderes tun als zu versuchen, von dem auszugehen, was man stets, jedes Mal, wenn man sich in einer so genannten logizistischen Bestrebung voranbewegt, definiert, von einer Objektsprache. Nun lässt sich aber an den Aussagen welcher dieser logizistischen Versuche auch immer leicht erkennen, dass sie, diese Objektsprache, ungreifbar ist. Es gehört zur Natur der Sprache, ich sage nicht des Sprechens, ich sage der Sprache selbst, dass, wenn es um eine Annäherung an was auch immer geht, was darin bedeutet, der Referent niemals der/das richtige ist, und genau das macht eine Sprache aus.
Jede Bezeichnung ist metaphorisch, sie kann nur vermittels etwas anderem erfolgen. (…)
Eben aus diesem Grunde ist der Referent immer real, weil er unmöglich zu bezeichnen ist. Deshalb bleibt nur mehr übrig, ihn zu konstruieren. Und man konstruiert ihn, wenn man kann.“
(Version Miller/Gondek S. 50 f.)
Und am 10. März 1971 hieß es:
„Schließlich lehrt Sie das viel darüber – viel über dieses, dass die japanische Sprache sich an ihrer Schrift genährt hat. Sie hat sich woran genährt? Am linguistischen Anspruch selbstverständlich, das heißt an der Stelle, an der die Linguistik die Sprache [langue] trifft, das heißt stets im Geschriebenen.
Man wird Ihnen wohl sagen müssen, dass, wenn Herr de Saussure sich vergleichsweise imstande sah, als arbiträr die Signifikanten zu qualifizieren, das einzig auf Grund dessen geschah, dass es sich um geschriebene bildliche Darstellungen handelte. Wie hätte er seinen kleinen Balken anbringen können, mit dem ich hinreichend Ge- und Missbrauch getrieben habe, mit dem Dingsda der Unterseite und dem Dingsda der Oberseite, wenn es hier keine Schrift gäbe?
All dies, um Ihnen in Erinnerung zu rufen, dass, wenn ich behaupte, dass es keine Metasprache gibt, das offensichtlich ist [ça saute aux yeux]. Ich brauche Ihnen nur einen mathematischen Beweis zu erstellen, und Sie werden deutlich sehen, dass ich gezwungen bin, darüber zu diskurieren, weil das ein Geschriebenes ist. Ohne das ginge es nicht.
Wenn ich darüber spreche, so ist das überhaupt nicht Metasprache; es ist das, was man nennt, was die Mathematiker selbst, wenn sie eine logische Theorie darstellen, den Diskurs nennen, den gewöhnlichen Diskurs, den normalen Diskurs.
Dies ist die Funktion des Sprechens, insofern sie, nicht auf eine völlig unbegrenzte, undisziplinierte Weise – das ist es, was ich gerade beweisen genannt habe –, selbstverständlich, aber eben auf die Sprache angewandt wird. Die Schrift ist das, worum es geht, das, worüber man spricht.
Es gibt in dem Sinne keine Metasprache, wie man immer nur von der Schrift her spricht.“
(Version Miller/Gondek S. 107 f.)
Chollet und Miller: „qui actuellement écrivent“ (was gegenwärtig geschrieben wird).– Lituraterre II: keine Entsprechung.
Die von Lacan in Seminar 17 vorgestellten Formeln für die vier Diskurse bestehen aus vier Plätzen; der Platz oben links heißt in Seminar 17 „Platz des Agenten“ und wird in Seminar 18 umbenannt in „Platz des Scheins“. In diesem Sinne gehen alle vier Diskurse vom Schein aus. Seminar 18 hat den Titel „Über einen Diskurs, der nicht des Scheins wäre“.
Ein Diskurs ist für Lacan eine sprachlich vermittelte Form der sozialen Bindung. Die Frage scheint zu lauten: Ist eine halbwegs stabile Form der sozialen Bindung möglich, die nicht vom Signifikanten, nicht vom Objekt a und nicht vom Subjekt ($) ausgeht sondern vom Buchstaben?
?? Was ist dabei mit dem Buchstaben gemeint – die Wiederkehr des Verdrängten? „Algorithmen“ im Sinne von Lacan, also Formeln?
Avantgarde-Literatur: Die Avantgarde-Literatur zeichnet sich demnach dadurch aus, dass sie, indem sie die traditionellen literarischen Formen zerbricht, die Dimension des Buchstabens in den Vordergrund rückt; Musterbeispiele sind dann Joyce’ Finnegans Wake und Kurt Schwitters Lautgedichte. „Schein“ ist demnach, bezogen auf Literatur, die Orientierung an traditionellen Form des Erzählens und Dichtens und damit an Sinn und Bedeutung.
den Bruch anzeigt, den einzig ein Diskurs produzieren kann: Möglicherweise ist gemeint: Kann es auf der Grundlage der Avantgarde-Literaturt eine soziale Bindung geben?
ich sage produzieren: Ein Diskurs im Sinne von Lacan besteht aus vier Plätzen; der vierte Platz (unten rechts) ist der der Produktion.
Den Ausdruck „Quadripoden“ verwendet Lacan zuerst in Seminar 17, in der Sitzung vom 26. November 1969, vgl. Version Miller/Gondek S. 15 (dort mit „Vierfüßler“ übersetzt).
Lituraterrir enthält das Verb atterrir, „zu Boden gehen“, „landen“; lituraterrir kann also gelesen werden als Verdichtung aus litura und atterir, „Streichung“ und „zu Boden gehen“, „landen“.
Der Diskurs, der den Bruch vollzieht, ist demnach derjenige der Wissenschaft.
Die Umweltverschmutzung ist demnach ein Symptom, das heißt eine Wiederkehr des Verdrängten und damit ein „Buchstabe“; die Politik, die sich darauf richtet, orientiert sich, ähnlich wie die Psychoanalyse, am Symptom.
In einer früheren Sitzung von Seminar 18 hatte Lacan auf den Sammelband L’écriture et la psychologie des peuples (A. Colin, Paris 1963) verwiesen, darin insbesondere auf den Beitrag von Alfred Métraux über die Schrift der Osterinseln; danach fährt er so fort:
„Dass man ziemlich sinnreiche Dinge über die Schrift sagt, dazu ist es gewiss nicht gleich gekommen, und wir werden sehen, warum. Es hat sicherlich eben während jener Zeit ernsthafte Einschüchterungseffekte gebraucht, derartige die aus diesem heiligen/verdammten [sacrée] Abenteuer resultieren, das wir Wissenschaft nennen, und es gibt nicht einen einzigen unter uns in diesem Saal, mich darin eingeschlossen, der auch nur die kleinste Art Vorstellung von dem haben kann, was dabei herauskommen wird.
Gut. Machen wir also weiter. Man wird sich in der Art so ein klein wenig aufregen über die Verschmutzung, über die Zukunft, über eine gewisse Anzahl von Lappalien in der Art, und die Wissenschaft wird irgendwelche kleine Farcen aufführen, bei denen es nicht völlig unnütz sein dürfte, sich genau anzusehen, zum Beispiel, welches ihr Bezug zur Schrift ist. Das könnte dienlich sein.“
(Sitzung vom 10. März 1971, Version Miller/Gondek S. 99 f.)
In Lituraterre II bringt Lacan an dieser Stelle den Begriff der Anpassung ins Spiel; offenbar versteht er hier unter „behaviorisiert“: „als Anpassungsverhältnis aufgefasst“.
Gemeint ist, wie die nächsten Sätze klarmachen: Wenn ich, Lacan, von Jouissance spreche, beziehe ich mich damit auch auf die Jouissance meiner Hörerschaft (in Gestalt der Mehrlust) und auf den Jouissance-Verlust, den ich selbst erleide.
Zum Andrang der Zuhörerschaft hatte Lacan sich in der ersten Sitzung von Seminar 18 geäußert, ausgehend von dem Aufsatz Radiophonie, der kurz zuvor in der Zeitschrift Scilicet erschienen war:
„Zwei besondere Eigenschaften sind hier an dieser Nummer von Scilicet festzuhalten.
Die erste ist die, dass ich letztendlich darin meinen Diskurs vom letzten Jahr – nahezu, bis auf etwas, das hinzugekommen ist – in einer Konfiguration auf die Probe stelle, die gerade durch die Abwesenheit dessen gekennzeichnet ist, was ich den Nachdruck Ihrer Anwesenheit nannte. Um dem, was diese Anwesenheit bedeutet, seine volle Betonung zu verleihen, werde ich es mit dem nachdrücklichen Mehrgenießen etikettieren. (…)
Das ist nicht neu, ich habe das bereits gesagt, aber niemand hat dem Aufmerksamkeit geschenkt – Was die Eigenständigkeit dieses Unterrichts ausmacht und was begründet, dass Sie dem Ihren Nachdruck entgegenbringen, ist genau, dass sich jemand, ausgehend vom analytischen Diskurs, Ihretwegen in die Position des Analysanten begibt. Als ich im Radio sprach habe ich diesen Unterricht auf die Probe des Entzugs dieser Anwesenheit, dieses Raumes, in dem sie Nachdruck ausüben, gestellt, annulliert und durch das pure Es existiert dieser Intersignifikanz, von der ich gerade sprach, ersetzt, damit darin das Subjekt ins Taumeln gerät.“
(Sitzung vom 13. Januar 1971, Version Miller/Gondek S. 9 f. )
„Dieser Diskurs also, der sich damit begnügt, nur im Artefakt zu agieren, ist im Großen und Ganzen nur die Verlängerung der Position des Analytikers, insofern sie sich dadurch definiert, dass das Gewicht seines Mehrgenießens an einen gewissen Platz versetzt wird. Das ist nichtsdestoweniger die Position, die ich hier nicht verteidigen kann, und zwar ganz genau deshalb, weil ich hier nicht in der Position des Analytikers bin. Wie ich gerade sagte, sind es eher Sie, die in dieser sein werden, Sie, in ihrem Nachdruck, bis auf das eine, dass Ihnen dabei das Wissen fehlt.
(Ebenda, Version Miller/Gondek S. 11)
„Ich gehe von dem aus, was gesagt ist in einem Diskurs, dessen Artefakt dem genügen soll, dass Sie da sind.
Hier, Schnitt, denn ich füge nicht hinzu – dem genügen soll, dass Sie da sind im Zustand gedrängten Mehrgenießens.
Ich habe Schnitt gesagt, weil es fragwürdig ist, ob mein Diskurs Sie als bereits gedrängtes Mehrgenießen zusammenbringt. Es ist nicht entschieden, egal, was dieser oder jener darüber denkt, dass es dieser Diskurs ist, der Diskurs der Reihe der Aussagen, die ich Ihnen vortrage, der Sie in diese Position bringt.“
(Ebenda, Version Miller/Gondek S. 12)
Möglicherweise will er sagen: Mein Vortrag stützt sich auf einen geschriebenen Text (eine „Erosionsrinne“) und für das Schreiben dieses Textes musste ich Jouissance-Verzicht leisten.
Die spezielle Schrift, von der Lacan hier spricht, ist das aus chinesischen Schriftzeichen bestehende Kanji, eines der drei im Japanischen gleichzeitig verwendeten Schriftsysteme. Kanji-Schriftzeichen können auf zwei Weisen gelesen werden, in Laut-Lesung (on’yomi) und in Begriffs-Lesung (kun’yomi). Bei Laut-Lesung lehnt sich die Aussprache an den Klang des entsprechenden chinesischen Wortes an. Bei Begriffs-Lesung wird dem Schriftzeichen die Aussprache zugeordnet, die das japanische Wort hat, das dem Schriftzeichen entspricht. Welche der beiden Lesungen die Richtige ist, wird durch den Kontext festgelegt, der Sprecher kann also nicht zwischen den Lesweisen frei wählen. Die beiden Arten der Lesung beziehen sich nur auf das Lesen von geschriebenen Texten, im gesprochenen Japanisch ohne Schriftbezug spielen sie keine Rolle. Mehr dazu hier.
Lacan antizipiert ein Missverständnis: Manche Hörer bzw. Leser werden seine Sibirienmetapher mit dem Dualismus von Signifikant und Signifikat deuten, sie werden den Buchstaben als Signifikanten auffassen und annehmen, mit dem Fluss (mit dem Oberflächenabfluss) sei das Signifikat gemeint sei. Lacan geht es jedoch darum, nicht nur von Signifikanten und Signifikaten zu sprechen, sondern außerdem eine dritte Größe ins Spiel zu bringen, den Buchstaben
et non pas le signe: Ich folge hier den Versionen Chollet und Miller; Version Espaces Lacan hat hier „et non pas le signifiant“.
nicht das Zeichen: Um das Zeichen geht es im vorhergehenden Satz, der sich auf die Verbindung von Signifikant und Signifikat bezieht und damit auf ein Zeichen im Sinne von Saussure. Darin gibt es für eine dritte Größe, für den Buchstaben, keinen Platz.
Der Buchstabe, nicht das Zeichen, bildet hier die Stütze des Signifikanten: Diese Bemerkung bezieht sich vermutlich auf die Unterscheidung zwischen Laut-Lesung (on’yomi) und Begriffs-Lesung (kun’yomi), wohl in der Weise, dass es bei der Laut-Lesung um den Buchstaben geht, nicht um den Signifikanten.
Der Buchstabe nicht das Zeichen, das ist auch eine vorgezogene Kritik am Titel von Roland Barthes Japan-Buch Im Reich der Zeichen, eine Kritik, die er später in dieser Sitzung noch explizit formulieren wird. Für Lacan ist Japan das Reich der Buchstaben.
Wenn man Signifikant und Buchstabe unterscheidet, stellt sich die Frage, wie sie sich aufeinander beziehen. Lacans Antwort: nach dem Gesetz der Metapher, das heißt des Ersatzes, der Ersatzbildung. Buchstaben fungieren als Ersatz für Signifikanten.
Eine dreigliedrige Struktur: Diskurs – Signifikant (bzw. Schein) – Schrift. Vom Diskurs her fängt die Sprache die Schrift im Netz der Signifikanten. Damit bekräftigt Lacan seine These vom Primat des Signifikanten gegenüber der Schrift.
Letzte Grundlage für die Beziehung zwischen Signifikant und Buchstabe ist der Diskurs, das heißt die sprachlich vermittelte soziale Bindung in unterschiedlichen Formen. Lacan scheint sich hier speziell auf Japan zu beziehen.
Könnte man nicht auch auf den Schriftbezug der großen Sozialsysteme verweisen, auf die Schriftreligionen, auf die Wirtschaft mit Buchhaltung und Geld, auf das Recht mit der Orientierung an geschriebenen Gesetzen und Verträgen, auf die Wissenschaft mit ihren Formeln, auf die Literatur – ?
Chollet: „de toute chose“.– Lituraterre II: „que toute chose“.– Miller: „que toutes choses“.
Um Lacans These als Frage zu formulieren: Wie verändert sich der Status des Subjekts, wenn die Schrift, wie in Japan, zu einem wesentlichen Referenten wird?
Anspielung auf eine Formulierung von Kant:
„Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmenden Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir, und das moralische Gesetz in mir.“
(Kritik der praktischen Vernunft, Beschluss)
?? Was ist hier mit der Identifizierung mit dem konstellierten Himmel gemeint?
Fierens macht darauf aufmerksam, dass Lacan nicht ciel étoilé („bestirnter Himmel“) sagt, sondern ciel constellé (wörtlich „konstellierter Himmel“), und nimmt an, dass sich die Konstellation auf die Schrift bezieht (vgl. Christian Fierens: Lecture d’un discours qui ne serait pas du semblant. Cours „lire-en-psychanalyse“ de 2009–2010 sur le livre XVIII du Séminare de Lacan. EME, Louvain-la-Neuve 2012, darin: Chapitre VII: Lituraterre, S. 143–164, hier: S. 163).
Mit dem Übergang vom konstellierten Himmel zum Du folgt Lacan Kants Übergang vom bestirnten Himmel zum moralischen Gesetz.
In einer früheren Sitzung von Seminar 18 hatte Lacan gesagt:
„Was sich in einem Diskurs an den Anderen als ein Du adressiert, lässt die Identifizierung mit etwas hervortreten, das man das menschliche Idol nennen kann. (…) In jedem Diskurs, der an das Du appelliert, verleitet etwas zu einer verborgenen, insgeheimen Identifizierung, welche nur die mit jenem rätselhaften Objekt ist, das geradezu nichts sein kann, das allerkleinste Mehrgenießen Hitlers, das vielleicht nicht weiter reichte als sein Schnurrbart.“
(Sitzung vom 20. Januar 1971, Version Miller/Gondek S. 31)
Das moralische Gesetz ist nicht „in mir“, wie Kant sagt, sondern außer mir in den grammatischen Formen der Höflichkeit. Vgl. den Artikel „Japanische Höflichkeitssprache“ in der deutschen Wikipedia.Lituraterre II: „que j’y dénote, de ce que cette fiction soit soumise aux lois de la politesse.“ (Autres écrits, S. 19)
Vgl. auf Lacan entziffern den Artikel „Die Wahrheit hat die Struktur einer Fiktion.“
Lacan beantwortet jetzt seine Frage, wie sich im Japanischen durch den Buchstaben der Status des Subjekts verändert.
Hintergrund ist, nehme ich an, die anfangs von mir zitierte Gleichsetzung des Buchstabens mit der Wiederkehr des Verdrängten.
Lacans These scheint zu lauten: Die Spaltung des Subjekts ist letztlich eine Spaltung zwischen dem sinnorientierten Sprechen und dem Buchstaben. Im Französischen oder Deutschen manifestiert sich diese Spaltung als die zwischen dem Sprechen, das durch den Sinnbezug bestimmt ist (énoncé), und dem im Sprechen wirksamen Symptom, in dem sich das Unbewusste manifestiert (énonciation). Im Japanischen hingegen hat die Spaltung zwischen gesprochener Sprache und Buchstaben die Form der Spaltung zwischen Begriffs-Lesung (kun’yomi) und Klang-Lesung (on’yomi). Aus diesem Grunde gibt es für japanische Sprecher keine Notwendigkeit zur Herausbildung des Unbewussten.
(Die Unterscheidung zwischen Begriffs-Lesung und Klang-Lesung bezieht sich auf das Lesen von Texten, nicht auf das gewöhnliche Sprechen. Die von Lacan behauptete Überflüssigkeit des Unbewussten wäre also ein Effekt des Durchlaufens des Schulsystems.)
Im Hinweis für den japanische Leser (1972) zur Übersetzung der Écrits wird Lacan hieraus die Schlussfolgerung ziehen, dass
„niemand, der diese Sprache [das Japanische] bewohnt, einen Bedarf danach hat, psychoanalysiert zu werden“.
(J. Lacan: Autres écrits. Le Seuil, Paris 2000, S. 498, meine Übersetzung)
Und im Nachwort von 1973 zu Seminar 11 von 1964, Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse, heißt es mit Bezug auf die japanische Sprache, dass
„das sprechende Wesen sich dadurch den Kunstgriffen des Unbewussten entziehen kann, die es nicht erreichen, da sie sich darin verschließen“.
(Version Miller/Haas S. 302)
Wenn Lacan sagt, dass das das Unbewusste strukturiert ist wie eine Sprache (langage), ist damit die offenbar die Einzelsprache (langue) gemeint, hier das Japanische.
Chollet schreibt wie Espaces Lacan: „ne fait en bloc rien“.– Miller und Lituraterre II: „ne fait enveloppe à rien“ (einen Umschlag / eine Hülle für nichts bildet) (Autres écrits, S. 19).
Auf Roland Barthes hatte Lacan sich in Seminar 18 bereits früher bezogen. In der Sitzung vom 10. Februar 1971 hatte er berichtet, dass ein Linguist ihm, Barthes und Lévi-Strauss den Vorwurf gemacht hatte, von der Linguistik einen metaphorischen Gebrauch zu machen (vgl. Version Miller/Gondek S. 46). Der fragliche Linguist ist André Martinet.
Roland Barthes: L’empire des signes. Skira, Genf 1970; dt.: Das Reich der Zeichen. Übersetzt von Michael Bischoff. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1981.
In Das Reich der Zeichen beschreibt Barthes Szenen des japanischen Lebens, wie sie sich für ihn als Beobachter darstellen: die Präsentation der Körper, die Gesten beim Zubereiten der Nahrung und beim Essen, der Anblick einer Spielhalle, die visuelle Orientierung in einer Stadt, das Aussehen der Wohnräume, die demonstrativen Formen der Höflichkeit, aber auch das Haiku, wobei das, was er sieht und liest, immer wieder mit der graphischen Seite von Schrift und Zeichnung verglichen wird. So spricht er etwa von einem „graphischen Modus der Existenz“ (S. 110 der deutschen Übersetzung), von den „zahllosen graphischen Gebärden, die das japanische Leben kennzeichnen“ (113 f.).
die durch die Schrift ausgehöhlte Leere: Von der Schrift wird eine Leere ausgehöhlt, das entspricht der Beziehung zwischen dem Oberflächenabfluss und den Erosionsrinnen.
Näpfe: In einer früheren Sitzung von Seminar 18 hatte Lacan die vier Plätze der vier Diskurse als Näpfe (godets) bezeichnet (vgl. Sitzung vom 20. Januar 1971, Version Miller/Gondek S. 27). Der erste Napf ist demnach der Platz oben links, der Platz des Scheins. In derselben Sitzung bezeichnet er den Diskurs als Artefakt (Version Miller/Gondek S. 28); also ist vermutlich gemeint „oder es mit seinem Diskurs zumindest aufzurufen“.
Der Schein ist mit Jouissance verbunden, die Schrift (bzw. der Buchstabe) hingegen mit Leere, und das heißt wohl indirekt: mit der Abwesenheit oder dem Verlust von Jouissance.
Quelle der Abbildung: homejapan.de, hier.
Roland Barthes bezieht sich in Das Reich der Zeichen ausführlich auf das Bunraku, in den Kapiteln „Die drei Schriften“, „Belebt/unbelebt“ und „Innen/außen“; vgl. dt. Übersetzung, a.a.O., S. 67–86.
Quelle der Abbildung: Artikel „Bunraku“ in der deutschen Wikipedia.
Beim Bunraku sitzt der Rezitator (tayu) an der Seite der Bühne. Er liest vor (damit kommt die Schrift ins Spiel); er artikuliert die Stimmen des Erzählers und sämtlicher Figuren und betont dabei die Emotionen. (Vgl. Wikipedia-Englisch, Artikel „Bunraku“.)
Deutlicher in Lituraterre II: „ interprète, justement de ce qu’il ne nécessite pas l’interprétation.“ (genau deshalb, weil eine Übersetzung/Deutung nicht notwendig ist) (Autres écrits, S. 20).
Warum ist eine Interpretation nicht erforderlich? Vermutlich ist gemeint: Weil das Unbewusste seinen Ort im Geschriebenen findet, also nicht durch Deutung erschlossen werden muss.
Chollet schreibt wie Espaces Lacan: „des faits de langage“. – Miller und Lituraterre II: „la traduction perpétuelle faite langage“ (die zu Sprache gemachte fortwährende Übersetzung) (Autres écrits, S. 20).
Unter „Kommunikation“ und „Dialog“ versteht Lacan meist die Auffassung, dass die Sprache ein Werkzeug ist, um Gedanken mitzuteilen (vgl. etwa Radiophonie, a.a.O., S. 8); hier meint er mit Kommunikation offenbar etwas anderes.
In einer früheren Sitzung von Seminar 18 hatte Lacan daran erinnert, dass er seit langem sagt, es gebe keinen Dialog (Sitzung vom 17. Februar 1971, Version Miller/Gondek S. 83).
Unter „Kommunikation“ versteht Lacan hier offenbar die Übermittlung von Buchstaben jenseits des Sinns.
In Das Drängen des Buchstabens im Unbewussten (1957) heißt es:
„Die Ansprüche des Geistes würden auch dann unangefochten bleiben, wenn der Buchstabe nicht die Probe abgelegt hätte davon, daß er alle seine Wahrheitswirkungen im Menschen tätigt, ohne daß der Geist auch nur das geringste damit zu schaffen hat.“
(Schriften II, hg. v. N. Haas, a.a.O., S. 34)
1966 verweist Lacan in einem Nachtrag zu seinem Poe-Aufsatz darauf, dass er im Aufsatz vom caput mortuum des Signifikanten gesprochen habe, von seinem „Totenkopf“, d.h. von einem „Loch“, das der Signifikant aufreißt (vgl. Das Seminar über E.A. Poes „Der entwendete Brief“, Schriften I, hg. v. N. Haas, S. 50); er betont den kausalen Aspekt dieses Lochs, seine Wirksamkeit.
„Dieser Effekt ist derart handgreiflich, dass er sowohl hier [im von Lacan entwickelten Schema einer Kombinatorik] als auch in der Fiktion des entwendeten Briefes gefaßt werden kann.
Deren Wesen besteht darin, dass der Brief/Buchstabe seine Wirkungen nach innen übertragen konnte: auf die Handelnden der Erzählung, den Erzähler miteingeschlossen, wie auch nach außen: auf unsere Leser, wie auch auf ihren Autor, ohne daß irgend jemand jemals sich um seine Bedeutung kümmern mußte. Das ist gewöhnlich das Los all dessen, was geschrieben wird.“
(Das Seminar über E.A. Poes „Der entwendete Brief“, Schriften I, hg. v. N. Haas, S. 55)
In Radiophonie (1970) beschreibt Lacan eine ähnliche Tafel-Szene:
„Ich entsinne mich der Verlegenheit, mit der mich ein Bursche befragte, der sich, da er Marxist sein wollte, unter das aus Leuten der Partei (der einzigen) bestehende Publikum gemischt hatte, das (Gott weiß wieso) zur Mitteilung meiner ‚Dialektik des Begehrens und Subversion des Subjekts in der Psychoanalyse‘ zusammengeströmt war.
Ich habe netterweise (nett, wie ich immer bin) in der Folge in meinen Écrits auf die Verdutztheit hingewiesen, die mir aus diesem Publikum antwortete.
Was ihn angeht, ‚glauben Sie denn‘, sagte er mir, ‚daß es genügt, daß Sie was produziert, Buchstaben an die Tafel geschrieben haben, um davon einen Effekt zu erwarten?‘
Eine derartige Übung hat jedoch getragen, ich habe davon den Beweis, und sei’s nur durch den Abfall, der ihr ein Recht für mein Buch gab – wobei die Fonds der Ford Foundation, die solche Zusammenkünfte anregen, damit sie was haben, um mit dem Schwamm drüberzuwischen, sich unvorstellbar auf dem Trockenen fanden, um mich zu publizieren.
Das ist, weil der Effekt, der sich propagiert, nicht einer von Kommunikation des Sprechens, sondern von Verschiebung des Diskurses ist.
Freud, unbegriffen, und sei’s von ihm selbst, da er sich hat verständlich machen wollen, ist weniger durch seine Schüler gedient als durch diese Propagierung (…).“
(Radiophonie, a.a.O., S. 11)
Chollet schreibt wie Espaces Lacan: „je me classe parmi les êtres vivants“.– Miller: „qu’avec moi je les classe êtres vivants“ (dass ich sie mit mir zu den Lebewesen zähle).– Lituraterre II: „qu’avec moi je les classe, de pure logique, parmi les êtres vivants.“ (Dass ich sie mit mir, rein logisch, zu den Lebewesen zähle) (Autres écrits, S. 20).
dass ich mich zu den Lebewesen zähle: Vermutlich eine Anspielung auf die Definition des Lebens durch Übermittlung von Erbinformationen und die Auffassung der Gene als eine Art Buchstabenfolge, die „transkribiert“ wird.
Lacan bezieht sich hier auf die These, die er in Seminar 18 ausführlich entwickelt hat, dass es beim „Sprechwesen“ in dem Sinne kein sexuelles Verhältnis gibt, als ein solches Verhältnis nicht geschrieben werden kann. Eben dies versucht er mit den sogenannten Formeln der Sexuierung zu zeigen, die er in den Seminaren 18 bis 20 sowie in dem Aufsatz L’étourdit entwickelt.
In der Sitzung vom 17. Februar 1971 hatte er gesagt,
„dass es keine sexuelle Beziehung beim sprechenden Wesen gibt.
Es hat eine erste Bedingung gegeben, die uns das gleich sehen lassen könnte nämlich dass die sexuelle Beziehung wie jede andere Beziehung nur durch das Geschriebene Bestand hat.
Das Wesentliche der Beziehung ist eine Abbildung [im Sinne der Mathematik], a abgebildet auf b –
a → b
Wenn Sie das nicht a und b schreiben, erhalten Sie nicht die Beziehung als solche. Das will nicht heißen, dass nicht Dinge im Realen geschehen. Doch im Namen von was sollten Sie es Beziehung nennen? Diese grobe Sache würde wie alles bereits genügen, um, sagen wir, begreiflich zu machen, dass es keine sexuelle Beziehung gibt, aber würde in nichts über die Tatsache entscheiden, dass man es nicht schafft, das zu schreiben.“