Jacques Lacan
Schlüsselprobleme für die Psychoanalyse. Bericht über das Seminar 1964/65
Übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Rolf Nemitz
.ERste
Erste deutsche Übersetzung.
Für Seminar 12, Problèmes cruciaux pour la psychanalyse (1964/65), hatte Lacan einen Lehrauftrag der École pratique des Hautes Études (Section sciences économiques et sociales); für das Jahrbuch dieser Hochschule mussten Berichte über die Seminare eingereicht werden. Veranstaltungsort war ein Hörsaal der École Normale Supérieure de Paris.
Der Text erschien zuerst unter dem Titel Résumé du séminaire « Problèmes cruciaux pour la psychanalyse », Annuaire 1965-1966, in: Annuaire de l’École pratique des Hautes Études (Section sciences économiques et sociales), 1966, S. 270–273.
Er wurde nachgedruckt in: J. Lacan: Autres écrits. Seuil. Paris 2001, S. 199–202, unter dem Titel Problèmes cruciaux pour la psychanalyse. Compte rendu du séminaire 1964–1965.
Im Internet findet man dieses Compte rendu auf der Seite der ELP, Pas-tout Lacan, hier.
Der Text ist auf den 5. April 1966 datiert.
Lacan liest dieses Resümee im Folgeseminar vor, also in Seminar 13 von 1965/66, Das Objekt der Psychoanalyse, dort in der Sitzung vom 20. April 1966. Er schiebt dabei mündlich immer wieder knappe Erläuterungen ein; die wichtigsten habe ich in die Anmerkungen aufgenommen.
Die Übersetzung wird zweimal gebracht, einmal nur deutsch, einmal Satz für Satz französisch/deutsch. Die zweisprachige Fassung enthält in den Anmerkungen zur Übersetzung, neben Hinweisen auf Lacans Selbstkommentar in Seminar 13, Literaturangaben und inhaltliche Erläuterungen.
Einschübe in runden Klammern sind von Lacan, einmal auch ein Einschub in eckigen Klammern, ich habe ihn durch eine Anmerkung kenntlich gemacht.
Lacan hat zu diesem Resümee zwei Anmerkungen verfasst; man findet sie in dieser Übersetzung im laufenden Text (statt in die Anmerkungen), dort eingerückt.
Die Übersetzungen aus Lacans Seminaren sind, wenn nicht anderes vermerkt, von mir, nach Version Staferla.
Bericht über das Seminar „Schlüsselprobleme für die Psychoanalyse“ (1965/66)
Deutsch
Zahlen in eckigen Klammern und grauer Schrift, z.B. [199], verweisen auf die Seiten von J. Lacan: Autres écrits. Seuil, Paris 2001.
[199] Das ins Zentrum gestellte Problem lässt sich in diesen Termini zusammenfassen: das Sein des Subjekts – wohin uns der Endpunkt unserer früheren Bezüge geführt hat.
Dass das Sein des Subjekts gespalten ist, Freud hat nichts anderes getan als dies auf jede Weise immer noch einmal zu sagen, nachdem er entdeckt hatte, dass das Unbewusste sich nur in Knoten der Sprache übersetzt, also ein Sein des Subjekts hat.
Die Kombinatorik dieser Knoten durchbricht die Zensur, die keine Metapher ist, da sie sich auf deren Material auswirkt.
Freud erklärt von Beginn an, dass jede Konzeption eines Rückzugs des Bewusstseins ins Dunkle, ins Potentielle oder gar in den Automatismus nicht geeignet ist, von diesen Wirkungen Rechenschaft abzulegen.
Daran wird hier nur deshalb erinnert, um von dem Gebrauch, den wir in diesem Jahr vom Cogito gemacht haben, jede „Philosophie“ fernzuhalten, ein Gebrauch, der, so glauben wir, legitim ist, da durch das Cogito nicht das Bewusstsein begründet wird, sondern diese Spaltung des Subjekts.
Es genügt, es zu schreiben:
„Ich denke gerade: ‚Also bin ich‘“ (Anm. 1),
und festzustellen, dass diese Äußerung, mithilfe einer Askese erreicht, das Sein spaltet, das sich von seinen beiden Enden her nur verbindet, um die Verwindung zu bekunden, die es in seinem Knoten erfahren hat. Verursachung? Umkehrung? Negativität? Es geht um diese Verwindung, darum, ihre Topologie zu entwickeln.
(Anm. 1) Oder: I am thinking „Therefore I am“.
Piaget und Wygotski veranschaulichen, vom ersten zum zweiten, den Gewinn, den man erzielt, wenn man jede psychologische Hypothese über die Beziehungen des Subjekts zur Sprache zurückweist, selbst dann, wenn es um das Kind geht. Denn diese Hypothese ist nur die Hypothek, die ein Sein-von-Wissen / ein Wesen-von-Wissen (être-de-savoir) auf das Sein-von-Wahrheit / auf das Wesen-von-Wahrheit (être-de-vérité) aufnimmt, das vom Kind verkörpert werden muss, ausgehend von der Signifikantenbatterie, die wir ihm präsentieren und die das Gesetz der Erfahrung ausmacht.
Das heißt jedoch, einer Struktur vorzugreifen, die in der |[200] Synchronie erfasst werden muss und von einer Begegnung her, die nicht zufällig wäre. Das wird uns durch die Kopplung der 1 an die 0 geliefert, die von dem Punkt her zu uns gekommen ist, an dem Frege versucht, die Arithmetik zu begründen.
Von da aus sieht man, dass das Sein des Subjekts die Vernähung (suture) eines Mangels ist. Genau des Mangels, der, indem er sich in die Zahl flüchtet, es [das Subjekt] durch seine Wiederkehr stützt – es dabei jedoch nur von daher stützt, das zu sein, was dem Signifikanten fehlt, um das Ein des Subjekts zu sein, das heißt der Terminus, den wir in einem anderen Zusammenhang den unären Zug genannt haben, die Markierung einer primären Identifizierung, die dann als Ideal fungiert.
Das Subjekt spaltet sich von daher, dass es zugleich Effekt der Markierung und Stütze ihres Mangels ist.
Einige Erinnerungen an die Formalisierung, in der sich dieses Ergebnis wiederfindet, dürften hier angebracht sein.
Zunächst unser Axiom, das den Signifikanten fundiert: als „das, wodurch ein Subjekt [nicht für ein anderes Subjekt, sondern]1 für einen anderen Signifikanten repräsentiert wird“.
Es verortet das Lemma, das soeben auf anderem Wege wiedergewonnen wurde: das Subjekt ist das, was auf die Markierung mit dem antwortet, was ihr fehlt. Woran man sehen kann, dass die Umkehrung der Formel nur dann funktioniert, wenn man an einem ihrer Pole (dem des Signifikanten) eine Negativität einführt.
Die Schleife schließt sich, ohne auf einen Kreis reduziert zu sein, indem man annimmt, dass der Signifikant seinen Ursprung hat im Auslöschen der Spur.
Die Potenz der Mathematik, die Raserei unserer Wissenschaft beruhen auf nichts anderem als auf der Vernähung des Subjekts. Die Dünnheit seiner Narbe oder besser seines Aufklaffens wird bezeugt durch die Aporien der mathematischen Logik (Gödel’scher Unvollständigkeitssatz), zum ständigen Ärgernis des Bewusstseins.
Wir haben nicht die Illusion, eine Kritik auf dieser Ebene könnte die Wunde von den Exkrementen befreien, mit denen die Ordnung der sozialen Ausbeutung – die sich auf diese Öffnung des Subjekts gründet (und also nicht die Entfremdung erzeugt) – sich bemüht, diese Wunde mit mehr oder weniger Bewusstsein / Gewissen (conscience) zuzudecken. Man muss die Aufgabe erwähnen, die hier, seit der offenen Krise des Subjekts, die Philosophie erfüllt. Dienerin von mehr als einem Herrn.
Es ist andererseits ausgeschlossen, dass eine Kritik, die sich auf die Gesellschaft bezieht, hierfür eine Abhilfe schafft, da sie selbst nur eine Kritik sein könnte, die aus der Gesellschaft kommt, das heißt, die im Gewerbe dieser Art der „Denkung“ / der Bandage (pensement), die wir gerade genannt haben, mit enthalten ist.
[201] Weshalb nur die Analyse diesem Objekt die Stirn bieten kann, diesem Objekt in seinem Realen, das darin besteht, das Objekt der Analyse zu sein (Vorhaben für das nächste Jahr).
Wir geben uns jedoch nicht damit zufrieden, das zu verschieben, was bei unserem Zugang zum Sein des Subjekts ein Eingeständnis des Aufgebens wäre, mit der Entschuldigung, hier seine Grundlage des Mangels wiederzufinden.
Das ist genau die Dimension, die von unserer Lehre wegführt, wie auch davon, diese Fundierung einer Prüfung zu unterziehen, insofern sie in unserer Hörerschaft ist.
Denn wie könnten wir davor zurückweichen, zu sehen, dass das, was wir bezogen auf das Sein des Subjekts von der Struktur fordern (Anm. 2), nicht bei dem ausgeklammert werden könnte (laissé hors de cause), der es in herausragender Weise repräsentiert (insofern er sie als Sein und nicht als Denken repräsentiert, ganz wie es das Cogito tut), nämlich beim Psychoanalytiker?
(Anm. 2) Eine Forderung, die uns angesichts der Ausbreitung der strukturalistischen Strömung keineswegs überflüssig zu sein scheint.
Das finden wir in dem in diesem Jahr bemerkenswerten Phänomen, dass ein anderer Teil unserer Hörer die Führung übernommen hat, um uns den Erfolg zu verschaffen, sagen wir: die Theorie zu bestätigen, die wir für richtig halten, die der Kommunikation in der Sprache. Wir drücken es so aus, dass wir sagen, dass die Botschaft nur auf der Ebene desjenigen gesendet wird, der sie empfängt.
Sicherlich muss man hier das Privileg berücksichtigen, das wir durch den Ort haben, an dem wir zu Gast sind.
Jedoch – über dem Vorbehalt, den das einflößt, was in diesem Seminareffekt als allzu einfach erscheint – nicht den Widerstand vergessen, der mit diesem Vorbehalt eingehergeht und der gerechtfertigt ist.
Gerechtfertigt ist er von daher, dass die Engagements solche des Seins und nicht des Denkens sind und dass die beiden Ränder des Seins des Subjekts sich hier durch die Divergenz von Wahrheit und Wissen diversifizieren.
Die Schwierigkeit des Seins des Psychoanalytikers beruht auf dem, was ihm als Sein des Subjekts begegnet, nämlich auf dem Symptom.
Dass das Symptom Sein-von Wahrheit (être-de-vérité) ist, das ist das, worin jeder zustimmt, von daher, dass man weiß, was Psychoanalyse bedeutet, wodurch auch immer das verwirrt sein mag.
Seither sieht man, was es das Sein-von-Wissen / Wesen-von-Wissen (être-de-savoir) kostet, die glücklichen Formen dessen zu erkennen, womit es sich nur im Zeichen des Unglücks paart.
[202] Dass dieses Sein-von-Wissen / Wesen-von-Wissen sich darauf reduzieren soll, nur das Komplement des Symptoms zu sein, versetzt es in Schrecken und bringt es, um den Schrecken zu tilgen, dazu, in Richtung auf eine unbefristete Verschiebung des Status der Psychoanalyse zu spielen – als wissenschaftlich, versteht sich.
Darum hat selbst die Erschütterung, die wir dadurch hervorriefen, dass wir dieses Jahr mit dieser Triebfeder endeten, nicht verhindert, dass sich der Kurzschluss an ihrer Stelle wiederholt hat. Er kam zu uns zurück, aus einem offenkundigen guten Willen, um sich mit der Paradoxie zu schmücken, dass die Art, wie der Praktiker es denkt, für das Symptom bestimmend ist. Das stimmt natürlich für die Erfahrung der Psychologen, durch die wir das Glöckchen eingeführt haben. Das bedeutet jedoch auch, als Psychotherapeut auf der Ebene dessen zu bleiben, was bewirkt, dass Pierre Janet nie verstehen konnte, warum er nicht Freud war.
Die göttliche Flasche / der Wein (la dive bouteille) ist die Klein’sche Flasche. Nicht jeder lässt aus ihrem Hals herauskommen, was in ihrem Futter (doublure) ist. Denn so ist er konstruiert, der Träger des Seins des Subjekts.
Französisch/deutsch
Zahlen in eckigen Klammern und grauer Schrift, z.B. [199], verweisen auf die Seiten von J. Lacan: Autres écrits. Seuil, Paris 2001.
[199] Le problème mis au centre tient en ces termes : l’être du sujet, – où nous portait la pointe de nos références antérieures.
Das ins Zentrum gestellte Problem lässt sich in diesen Termini zusammenfassen: das Sein des Subjekts – wohin uns der Endpunkt unserer früheren Bezüge geführt hat.
Que l’être du sujet soit refendu, Freud n’a fait que le redire sous toutes les formes, après avoir découvert que l’inconscient ne se traduit qu’en nœuds de langage, a donc un être de sujet.
Dass das Sein des Subjekts gespalten ist, Freud hat nichts anderes getan als dies auf jede Weise immer noch einmal zu sagen, nachdem er entdeckt hatte, dass das Unbewusste sich nur in Knoten der Sprache übersetzt, also ein Sein des Subjekts hat.
C’est de la combinatoire de ces nœuds qu’est franchie la censure, laquelle n’est pas une métaphore, de porter sur leur matériel.
Die Kombinatorik dieser Knoten durchbricht die Zensur, die keine Metapher ist, da sie sich auf deren Material auswirkt.
D’emblée Freud affirme que toute conception d’un recès de la conscience vers l’obscur, le potentiel, voire l’automatisme, est inadéquate à rendre compte de ces effets.
Freud erklärt von Beginn an, dass jede Konzeption eines Rückzugs des Bewusstseins ins Dunkle, ins Potentielle oder gar in den Automatismus nicht geeignet ist, von diesen Wirkungen Rechenschaft abzulegen.
Voilà qui n’est rappelé que pour écarter toute « philosophie » de l’emploi que nous avons fait cette année du cogito, légitime, croyons-nous, de ce que le cogito ne fonde pas la conscience, mais justement cette refente du sujet.
Daran wird hier nur deshalb erinnert, um von dem Gebrauch, den wir in diesem Jahr vom Cogito gemacht haben, jede „Philosophie“ fernzuhalten, ein Gebrauch, der, so glauben wir, legitim ist, da durch das Cogito nicht das Bewusstsein begründet wird, sondern diese Spaltung des Subjekts.
Il suffit de l’écrire :
Je suis pensant : « Donc je suis » (Anm. 1) ,
et de constater que cette énonciation, obtenue d’une ascèse, refend l’être, lequel, de ses deux bouts, ne se conjoint qu’à manifester la torsion qu’il a subi dans son nœud.
Es genügt, es zu schreiben:
„Ich denke gerade: ‚Also bin ich‘“ (Anm. 1),
und festzustellen, dass diese Äußerung, mithilfe eine Askese erreicht, das Sein spaltet, das sich von seinen beiden Enden her nur verbindet, um die Verwindung zu bekunden, die es in seinem Knoten erfahren hat.2
(Anm. 1) Ou… I am thinking « Therefore I am ».
(Anm. 1) Oder: I am thinking „Therefore I am“. [Ende der Anmerkung]
Causation ? Retournement ? Négativité ? c’est cette torsion dont il s’agit de faire la topologie.
Verursachung? Umkehrung? Negativität? Es geht um diese Verwindung, darum, ihre Topologie zu entwickeln.
Piaget et Vigotsky, du premier au second illustrent le gain qu’on réalise à repousser toute hypothèse psychologique des rapports du sujet au langage, même quand c’est de l’enfant qu’il s’agit.
Piaget und Wygotski veranschaulichen, vom ersten zum zweiten, den Gewinn, den man erzielt, wenn man jede psychologische Hypothese über die Beziehungen des Subjekts zur Sprache zurückweist, selbst dann, wenn es um das Kind geht.3
Car cette hypothèse n’est que l’hypothèque qu’un être-de-savoir prend sur l’être-de-vérité que l’enfant a à incarner à partir de la batterie signifiante que nous lui présentons et qui fait la loi de l’expérience.
Denn diese Hypothese ist nur die Hypothek, die ein Sein-von-Wissen / ein Wesen-von-Wissen (être-de-savoir) auf das Sein-von-Wahrheit / auf das Wesen-von-Wahrheit (être-de-vérité) aufnimmt, das vom Kind verkörpert werden muss, ausgehend von der Signifikantenbatterie, die wir ihm präsentieren und die das Gesetz der Erfahrung ausmacht.
Mais c’est anticiper sur une structure qu’il faut saisir dans la |[200] synchronie, et d’une rencontre qui ne soit pas d’occasion.
Das heißt jedoch, einer Struktur vorzugreifen, die in der Synchronie erfasst werden muss und von einer Begegnung her, die nicht zufällig wäre.
C’est ce que nous fournit cet embrayage du 1 sur le 0, venu à nous du point où Frege entend fonder l’arithmétique.
Das wird uns durch die Kopplung der 1 an die 0 geliefert, die von dem Punkt her zu uns gekommen ist, an dem Frege versucht, die Arithmetik zu begründen.4
De là on aperçoit que l’être du sujet est la suture d’un manque.
Von da aus sieht man, dass das Sein des Subjekts die Vernähung (suture) eines Mangels ist.
Précisément du manque qui, se dérobant dans le nombre, le soutient de sa récurrence, – mais en ceci ne le supporte que d’être ce qui manque au signifiant pour être l’Un du sujet : soit ce terme que nous avons appelé dans un autre contexte le trait unaire, la marque d’une identification primaire qui fonctionnera comme idéal.
Genau des Mangels, der, indem er sich in die Zahl flüchtet, es [das Subjekt] durch seine Wiederkehr stützt – es dabei jedoch nur von daher stützt, das zu sein, was dem Signifikanten fehlt, um das Ein des Subjekts zu sein, das heißt der Terminus, den wir in einem anderen Zusammenhang den unären Zug genannt haben, die Markierung einer primären Identifizierung, die dann als Ideal fungiert.5
Le sujet se refend d’être à la fois effet de la marque et support de son manque.
Das Subjekt spaltet sich von daher, dass es zugleich Effekt der Markierung und Stütze ihres Mangels ist.
Quelques rappels de la formalisation où se retrouve ce résultat, seront ici de mise.
Einige Erinnerungen an die Formalisierung, in der sich dieses Ergebnis wiederfindet, dürften hier angebracht sein.
D’abord notre axiome, fondant le signifiant : comme « ce qui représente un sujet [non pas pour un autre sujet, mais] pour un autre signifiant ».
Zunächst unser Axiom, das den Signifikanten fundiert: als „das, wodurch ein Subjekt [nicht für ein anderes Subjekt, sondern]6 für einen anderen Signifikanten repräsentiert wird“.7
Il situe le lemme, qui vient d’être réacquis d’une autre voie : le sujet est ce qui répond à la marque par ce dont elle manque.
Es verortet das Lemma, das soeben auf anderem Wege wiedergewonnen wurde: das Subjekt ist das, was auf die Markierung mit dem antwortet, was ihr fehlt.
Où se voit que la réversion de la formule ne s’opère qu’à introduire à un de ses pôles (le signifiant) une négativité.
Woran man sehen kann, dass die Umkehrung der Formel nur dann funktioniert, wenn man an einem ihrer Pole (dem des Signifikanten) eine Negativität einführt.
La boucle se ferme, sans se réduire à être un cercle, de supposer que le signifiant s’origine de l’effacement de la trace.
Die Schleife schließt sich, ohne auf einen Kreis reduziert zu sein, indem man annimmt, dass der Signifikant seinen Ursprung hat im Auslöschen der Spur.8
La puissance des mathématiques, la frénésie de notre science ne reposent sur rien d’autre que sur la suture du sujet.
Die Potenz der Mathematik, die Raserei unserer Wissenschaft beruhen auf nichts anderem als auf der Vernähung des Subjekts.
De la minceur de sa cicatrice, ou mieux encore de sa béance, les apories de la logique mathématique témoignent (théorème de Gödel), toujours au scandale de la conscience.
Die Dünnheit seiner Narbe oder besser seines Aufklaffens wird bezeugt durch die Aporien der mathematischen Logik (Gödel’scher Unvollständigkeitssatz), zum ständigen Ärgernis des Bewusstseins.9
On ne s’illusionne pas sur le fait qu’une critique à ce niveau, ne saurait décaper la plaie des excréments, dont l’ordre de l’exploitation sociale, qui prend assiette de cette ouverture du sujet (et ne crée donc pas l’aliénation), s’emploie à recouvrir ladite plaie, avec plus ou moins de conscience.
Wir haben nicht die Illusion, eine Kritik auf dieser Ebene könnte die Wunde von den Exkrementen befreien, mit denen die Ordnung der sozialen Ausbeutung – die sich auf diese Öffnung des Subjekts gründet (und also nicht die Entfremdung erzeugt) – sich bemüht, diese Wunde mit mehr oder weniger Bewusstsein / Gewissen (conscience) zuzudecken.10
Il faut mentionner la tâche qu’ici remplit, depuis la crise ouverte du sujet, la philosophie.
Man muss die Aufgabe erwähnen, die hier, seit der offenen Krise des Subjekts, die Philosophie erfüllt.11
Servante de plus d’un maître.
Dienerin von mehr als einem Herrn.
Il est d’autre part exclu qu’aucune critique portant sur la société y supplée, puisqu’elle même ne saurait être qu’une critique venant de la société, c’est-à-dire impliquée dans le commerce de cette sorte de « pensement » que nous venons de dire.
Es ist andererseits ausgeschlossen, dass eine Kritik, die sich auf die Gesellschaft bezieht, hierfür eine Abhilfe schafft, da sie selbst nur eine Kritik sein könnte, die aus der Gesellschaft kommt, das heißt, die im Gewerbe dieser Art der „Denkung“ / der Bandage (pensement), die wir gerade genannt haben, mit enthalten ist.12
[201] C’est pourquoi seule l’analyse de cet objet peut l’affronter dans son réel,… qui est d’être l’objet de l’analyse (propos de l’année prochaine).
Weshalb nur die Analyse diesem Objekt die Stirn bieten kann, diesem Objekt in seinem Realen, das darin besteht, das Objekt der Analyse zu sein (Vorhaben für das nächste Jahr).
Nous ne nous contentons pas pourtant de suspendre ce qui serait un aveu de forfait dans notre abord de l’être du sujet, à l’excuse d’y retrouver sa fondation de manque.
Wir geben uns jedoch nicht damit zufrieden, das zu verschieben, was bei unserem Zugang zum Sein des Subjekts ein Eingeständnis des Aufgebens wäre, mit der Entschuldigung, hier seine Grundlage des Mangels wiederzufinden.
C’est précisément la dimension qui déroute, de notre enseignement que de mettre à l’épreuve cette fondation, en tant qu’elle est dans notre audience.
Das ist genau die Dimension, die von unserer Lehre wegführt, wie auch davon, diese Fundierung einer Prüfung zu unterziehen, insofern sie in unserer Hörerschaft ist.13
Car comment reculerions nous à voir que ce que nous exigeons de la structure quant à l’être du sujet (Anm. 2), ne saurait être laissé hors de cause chez celui qui le représente éminemment (pour le représenter d’être et non de pensée, tout comme fait le cogito), à savoir le psychanalyste ?
Denn wie könnten wir davor zurückweichen, zu sehen, dass das, was wir bezogen auf das Sein des Subjekts von der Struktur fordern (Anm. 2), nicht bei dem ausgeklammert werden könnte (laissé hors de cause), der es in herausragender Weise repräsentiert (insofern er sie als Sein und nicht als Denken repräsentiert, ganz wie es das Cogito tut), nämlich beim Psychoanalytiker?
(Anm. 2) : Exigence qui ne nous parait pas de trop au regard de l’extension du ralliement structuraliste.
(Anm. 2) Eine Forderung, die uns angesichts der Ausbreitung der strukturalistischen Strömung keineswegs überflüssig zu sein scheint. [Ende der Anmerkung]
C’est bien ce que nous trouvons dans le phénomène, notable cette année là, de l’avance prise par une autre partie de notre auditoire à nous donner ce succès, disons : de confirmer la théorie que nous tenons pour juste, de la communication dans le langage.
Das finden wir in dem in diesem Jahr bemerkenswerten Phänomen, dass ein anderer Teil unserer Hörer die Führung übernommen hat, um uns den Erfolg zu verschaffen, sagen wir: die Theorie zu bestätigen, die wir für richtig halten, die der Kommunikation in der Sprache.14
Nous l’exprimons à dire que le message n’y est émis qu’au niveau de celui qui le reçoit.
Wir drücken es so aus, dass wir sagen, dass die Botschaft nur auf der Ebene desjenigen gesendet wird, der sie empfängt.15
Sans doute faut-il faire place ici au privilège que nous tenons du lieu dont nous sommes l’hôte.
Sicherlich muss man hier das Privileg berücksichtigen, das wir durch den Ort haben, an dem wir zu Gast sind.16
Mais ne pas oublier dans la réserve qu’inspire ce qui paraît de trop aisé dans cet effet de séminaire, la résistance qu’elle comporte, et qui se justifie.
Jedoch –über dem Vorbehalt, den das einflößt, was in diesem Seminareffekt als allzu einfach erschein – nicht den Widerstand vergessen, der mit diesem Vorbehalt eingehergeht und der gerechtfertigt ist.
Elle se justifie de ce que les engagements soient d’être et non de pensée, et que les deux bords de l’être du sujet se diversifient ici de la divergence entre vérité et savoir.
Gerechtfertigt ist er von daher, dass die Engagements solche des Seins und nicht des Denkens sind und dass die beiden Ränder des Seins des Subjekts sich hier durch die Divergenz von Wahrheit und Wissen diversifizieren.
La difficulté d’être du psychanalyste tient à ce qu’il rencontre comme être du sujet : à savoir le symptôme.
Die Schwierigkeit des Seins des Psychoanalytikers beruht auf dem, was ihm als Sein des Subjekts begegnet, nämlich auf dem Symptom.
Que le symptôme soit être-de-vérité, c’est ce à quoi chacun consent, de ce qu’on sache ce que psychanalyse veut dire, quoi qu’il soit fait pour l’embrouiller.
Dass das Symptom Sein-von Wahrheit (être-de-vérité) ist, das ist das, worin jeder zustimmt, von daher, dass man weiß, was Psychoanalyse bedeutet, wodurch auch immer das verwirrt sein mag.17
Dès lors on voit ce qu’il en coûte à l’être-de-savoir, de reconnaître les formes heureuses de ce à quoi il ne s’accouple que sous le signe du malheur.
Seither sieht man, was es das Sein-von-Wissen / Wesen-von-Wissen (être-de-savoir) kostet, die glücklichen Formen dessen zu erkennen, womit es sich nur im Zeichen des Unglücks paart.
[202] Que cet être-de-savoir doive se réduire à n’être que le complent du symptôme, voilà ce qui lui fait horreur, et ce qu’à l’élider, il fait jouer vers un ajournement indéfini du statut de la psychanalyse, – comme scientifique s’entend.
Dass dieses Sein-von-Wissen / Wesen-von-Wissen sich darauf reduzieren soll, nur das Komplement des Symptoms zu sein, versetzt es in Schrecken und bringt es um den Schrecken zu tilgen, dazu, in Richtung auf eine unbefristete Verschiebung des Status der Psychoanalyse zu spielen – als wissenschaftlich, versteht sich.
C’est pourquoi même le choc qu’à clore l’année sur ce ressort nous produisîmes, n’évita pas qu’à sa place se répétât le court-circuit.
Darum hat selbst die Erschütterung, die wir dadurch hervorriefen, dass wir dieses Jahr mit dieser Triebfeder endeten, nicht verhindert, dass sich der Kurzschluss an ihrer Stelle wiederholt hat.
Il nous en revint, d’une bonne volonté évidente à se parer de paradoxe, que c’est la façon dont le praticien le pense, qui fait le symptôme.
Er kam zu uns zurück, aus einem offenkundigen guten Willen, um sich mit der Paradoxie zu schmücken, dass die Art, wie der Praktiker es denkt, für das Symptom bestimmend ist.
Bien sûr est-ce vrai de l’expérience des psychologues par où nous avons introduit le grelot.
Das stimmt natürlich für die Erfahrung der Psychologen, durch die wir das Glöckchen eingeführt haben.18
Mais c’est aussi rester, comme psychothérapeute, au niveau de ce qui fait que Pierre Janet n’a jamais pu comprendre pourquoi il n’était pas Freud.
Das bedeutet jedoch auch, als Psychotherapeut auf der Ebene dessen zu bleiben, was bewirkt, dass Pierre Janet nie verstehen konnte, warum er nicht Freud war.19
La dive bouteille est la bouteille de Klein.
Die göttliche Flasche / der Wein (la dive bouteille) ist die Klein’sche Flasche.
Ne fait pas qui veut, sortir de son goulot ce qui est dans sa doublure.
Nicht jeder lässt aus ihrem Hals herauskommen, was in ihrem Futter (doublure) ist.20
Car tel est construit le support de l’être du sujet.
Denn so ist er konstruiert, der Träger des Seins des Subjekts.
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Anmerkungen
- Die Einfügung in eckigen Klammern ist von Lacan.
- Descartes’ „Askese“ besteht in der methodischen Ausklammerung alles Wissens, wie Lacan in Seminar 13, Das Objekt der Psychoanalyse, in der Sitzung vom 20. April 1966 beim Vorlesen dieses Textes erläutern wird.
- Lacans Kritik an Piaget bezieht sich darauf, dass für diesen der Diskurs im Verhältnis zum menschlichen Geist sekundär ist.(vgl. etwa Seminar 12, Sitzung vom 2. Dezember 1964).
- Vgl. Gottlob Frege: Die Grundlagen der Arithmetik. Eine logisch-mathematische Untersuchung über den Begriff der Zahl (1884). Reclam, Stuttgart 1987.
In der Sitzung vom 20. April 1966 verweist Lacan an dieser Stelle auf die Vorträge, die Jean-Claude Milner und Jacques-Alain Miller in Seminar 12 über Frege gehalten hatten. - Den Begriff trait unaire (unärer Zug) hatte Lacan in Seminar 9 von 1961/62, Die Identifizierung, eingeführt, anknüpfend an Freuds Rede vom „einzigen Zug“ in Massenpsychologie und Ich-Analyse.
- Einschub in eckigen Klammern von Lacan.
- Lacan stellt diesen Satz zum ersten Mal in Seminar 9 von 1961/62, Die Identifizierung, vor, in der Sitzung vom 6. Dezember 1961; vgl. diesen und diesen Blogartikel.
- Diese These formuliert Lacan zuerst in Seminar 3 von 1955/56, Die Psychosen, in der Sitzung vom 14. März 1956; vgl. Version Miller/Turnheim S. 198 f.
- Beim Vorlesen dieses Resümees fügt Lacan an dieser Stelle mündlich hinzu, dass Henri Poincaré den Terminus „Narbe“ in seiner Analysis situs (Topologie) verwendet.
- Die Ordnung der sozialen Ausbeutung erschafft nicht die Entfremdung – diese Bemerkung richtet sich u.a. gegen die marxistische Konzeption der Entfremdung, wie Lacan in der Sitzung vom 20. April 1966 ergänzt.
- In Seminar 12 heißt es: „Ich bezeichne als Philosophie alles, was versucht, den radikalen Charakter und die originante Funktion dieses Verlusts (perte) zu verschleiern. Jede Dialektik und insbesondere die Hegelsche, die darauf aus ist, die Wirkungen dieses Verlusts zu verschleiern, die jedenfalls darauf abzielt, sie zu vereinnahmen, ist eine Philosophie.“ (Sitzung vom 2. Dezember 1964)
In Seminar 13 heißt es in der Sitzung vom 20. April 1966: Die offene Krise des Subjekt hat ein historisches Datum, sie beruht darauf, dass die Philosophie in einem Verhältnis zur Wissenschaft steht und dass sie ihre Rolle hierbei ziemlich schlecht spielt. - Lacan verwendet den veralteten Ausdruck pensement („Denkung“) wegen der Lautgleichheit mit pansement („Verband“).
- Damit dürften die Psychoanalytiker unter den Hörern gemeint sein.
- Erläuterung in der Sitzung vom 20. April 1966: Nicht jede Kommunikation ist Kommunikation in der Sprache.
- Vgl. den Blogartikel „Der Sender erhält vom Empfänger seine eigene Botschaft in umgekehrter Form“.
- In der Sitzung vom 20. April 1966 stellt Lacan klar, dass er damit der École Normale Supérieure de Paris seine Anerkennung ausspricht (die ENS in der rue d’Ulm war der Ort, an dem Seminar 12 stattfand, mit einem Lehrauftrag von der École pratique des hautes études).
- In der Sitzung vom 20. April 1966 fügt Lacan hier hinzu: „Selbst bei denjenigen, die das am meisten durcheinanderbringen, bin ich mir sicher, dass ich ihre Zustimmung erhalten würde, wenn ich ihnen sofort Folgendes ins Gesicht schleuderte, nämlich dass das Wesen (essence) des Symptoms – unsere Position im Symptom – darin besteht, dass es ein Sein von Wahrheit ist.“
- Das bezieht sich auf Wygotski und Piaget, wie Lacan in der Sitzung vom 20. April 1966 hierzu anmerkt.
- In der Sitzung vom 20. April 1966 fügt Lacan nach „Psychotherapeut“ mündlich hinzu: „Und das, genau auf der Ebene, das zu sagen, das zu sagen, was in bestimmtem Sinne wahr ist, was aber nicht die Wahrheit ist, die wir selbst zu sagen haben, die nicht diejenige ist, der wir in dem Moment gegenüberstehen, in dem ich zum Thema / Subjekt (sujet) der Klinik das Folgende einbringe, nämlich dass wir als Analytiker uns am Symptom beteiligen müssen.“
- Mit Hals (goulot) ist hier der „Hals“ der Klein’schen Flasche gemeint; „Futter“ hier analog zum Futter eines Kleidungsstücks, das im Ausdruck doublure als eine Art Verdopplung aufgefasst wird.
Zur doublure macht Lacan in der Sitzung vom 20. April 1966 noch die folgende Bemerkung: „Wodurch alles in Form von Einhüllungen, die einander einhüllen, strukturiert ist, Topologie der Sphäre, die sich einfach von dem her als identisch verdoppeln (redoubler) kann, was man in der Topologie ‚sich überdecken‘ (‚se napper‘) nennt, das heißt sich wie ein Futter (doublure) zu bedecken, was auf die Einhüllung aller Einhüllungen hinausläuft, auf denen man, um der Identität zweier Wesen / Sein (êtres) etwas entgegenzusetzen, den Inhalt des Wissens präsentiert.“