Lacans Sentenzen und Formeln
„Ein Signifikant ist das, wodurch für einen anderen Signifikanten das Subjekt repräsentiert wird.“
Teil I: Die Definition
Giorgio de Chirico, I piaceri del poeta (Die Freuden des Dichters), 1912
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Vierte Fassung vom 29. Dezember 1924
(dritte Fassung: 28. Februar 2023, zweite Fassung: 24. Mai 2016; erste Fassung: 20. Januar 2014)
Den zweiten Teil dieses Beitrags, „Die Formel und vier Beispiele“, findet man hier.
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Der Terminus Signifikant ist, ab 1953, ein Grundbegriff von Lacans Psychoanalyse.1 Was versteht er darunter? In Seminar 9, Die Identifizierung (1961/62), gibt er eine Definition:
„Der Signifikant ist, im Gegensatz zum Zeichen, nicht das, was etwas für jemanden repräsentiert, sondern genau das, wodurch das Subjekt für einen anderen Signifikanten repräsentiert wird.“2
Von da an wird er beständig auf diese Definition zurückkommen.3
Was hat es mit dem ersten Signifikanten auf sich? Was mit dem zweiten Signifikanten? Was mit dem Subjekt? Was mit dem repräsentiert? Und was mit dem für?
Wortlaut
In den Schriften findet man Lacans Signifikanten-Definition in Subversion des Subjekts und Dialektik des Begehrens im Freud’schen Unbewussten (geschrieben 19624). Im Französischen liest man:
„Notre définition du signifiant (il n y a pas d’autre) est : un signifiant, c’est ce qui représente le sujet pour un autre signifiant.“5
Hans-Dieter Gondek hat die Stelle so übersetzt:
„Unsere Definition des Signifikanten (es gibt keine andere dafür) ist: Ein Signifikant ist das, was das Subjekt für einen anderen repräsentiert.“6
Die Übersetzung ist mehrdeutig, man weiß nicht, wer was repräsentiert: repräsentiert der Signifikant das Subjekt oder das Subjekt den Signifikanten? Dieselbe Ambiguität, etwas schwächer, hat die ältere Übersetzung von Norbert Haas:
„Unsere Definition des Signifikanten – es gibt keine andere – lautet: Ein Signifikant ist, was für einen anderen Signifikanten das Subjekt vorstellt.“7
Im Französischen ist die Beziehung eindeutig: Der Signifikant ist das Repräsentierende und das Subjekt das Repräsentierte. Das sollte die Übersetzung klar machen, etwa so:
„Ein Signifikant ist das, wodurch für einen anderen Signifikanten das Subjekt repräsentiert wird.“
Warum sagt Lacan in Subversion des Subjekts ausdrücklich, dass es um eine Definition geht? Warum hebt er in späteren Sitzungen des Identifizierungs-Seminars ebenfalls hervor, dass es sich um eine Definition handelt?8 Anders gefragt, warum ist die Definition nicht implizit, sondern explizit, unter Verwendung des durch eine lange Geschichte aufgeladenen Terminus Definition? Ich vermute, dass er sich damit auf eine Bemerkung von Freud bezieht. Freud zufolge beginnt eine Wissenschaft mit unscharfen Grundbegriffen, die im Verlauf der Forschung allmählich präzisiert werden.
„Dann mag es auch an der Zeit sein, sie in Definitionen zu bannen.“9
Falls Lacan tatsächlich darauf anspielt, würde er mit der Hervorhebung des Definitions-Charakters sagen: Bislang war Signifikant bei mir ein grundlegender unscharfer Terminus, jetzt aber habe ich ausreichend Erfahrungen mit ihm gesammelt, jetzt kann ich ihn in eine Definition bannen.
Warum behauptet er, es gebe keine andere Definition? Zum einen, nehme ich an, um darauf hinzuweisen, dass Saussure, von dem er das Begriffspaar Signifikant/Signifikat übernimmt, diese Termini nicht definiert; Signifikant ist bei Saussure tatsächlich ein unscharfer undefinierter Grundbegriff. Zum anderen, so vermute ich, um einen Anfang zu markieren. Von nun an soll, im Rahmen der Psychoanalyse, unter einem Signifikanten Folgendes verstanden werden: das, wodurch ein Subjekt für einen anderen Signifikanten repräsentiert wird.
Ist Lacans Definition des Signifikanten zugleich seine implizite Definition des Subjekts? Ja und nein. Ja, denn man kann natürlich folgern, dass demnach für Lacan ein Subjekt etwas ist, das von einem Signifikanten für einen anderen Signifikanten repräsentiert wird. Nein, weil man damit den Unterschied zwischen unscharfen Grundbegriffen und expliziten Definitionen unterschlägt. Und weil man damit zu fragen vergisst, wie Lacan das Subjekt ausdrücklich definiert; ich komme darauf zurück.
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Struktur
In der Signifikanten-Definition des Identifizierungs-Seminars unterscheidet Lacan den Signifikanten vom Zeichen.
Zeichen
Für Saussure ist ein Zeichen eine wechselseitige Verbindung zwischen Bezeichnendem (signifiant, Signifikant) und Bezeichnetem (signifié, Signifikat), zwischen Lautbild und Konzept.10 Wenn ich als deutscher Sprecher den Signifikanten \ˈfaːtɐ\ höre, ist mir damit unmittelbar zugleich das Signifikat gegeben: ein Mann, der ein Kind gezeugt oder adoptiert hat. Insofern habe ich es mit einem Zeichen zu tun, mit einer Direktverbindung zwischen Signifikant und Signifikat.
Lacan bezieht sich bei der Abgrenzung des Signifikanten vom Zeichen jedoch nicht auf Saussure, sondern, ohne den Namen zu nennen, auf die Zeichen-Definition von Charles Sanders Peirce, die da lautet:
„A sign, or representamen, is something which stands to somebody for something in some respect or capacity.“11
Der Zeichenbegriff von Peirce gilt nicht nur für sprachliche Zeichen. Lacan legt das Gewicht auf den sprachlichen Charakter von Signifikanten, beschränkt den Begriff jedoch nicht darauf. Auch ein bestimmtes nonverbales Verhalten, etwa eine Fehlleistung wie das Sich-Aussperren beim Verlassen der Wohnung, kann von ihm als Signifikant bezeichnet werden – wenn nach der Bedeutung dieses Verhaltens gefragt wird und wenn die Bedeutung letztlich durch sprachliche Zusammenhänge bestimmt ist.
Signifikant
Ein Signifikant ist für Lacan ein Zeichen, dem das Signifikat abhandengekommen ist, der Sinn, die Bedeutung.12 Darin unterscheiden sich die Begriffe Signifikant und Signifikat im Sinne von Lacan grundlegend von Signifikant und Signifikat im Sinne von Saussure. Ein Signifikant ist für Lacan ein Bedeutungsrätsel. Damit hat das Signifikat für ihn den Charakter eines Fragezeichens, es muss erst gesucht werden. Das entspricht einer alltäglichen Erfahrung. Ich höre \diga\ und frage mich, was damit gemeint ist. Anders gesagt, \diga\ ist für mich kein Zeichen, sondern ein Signifikant im Sinne von Lacan.
Nicht: für jemanden
Im Falle des Zeichens erfolgt das Repräsentieren „für jemanden“, das Zeichen bezieht sich auf Zeichenversteher. Wenn A zu B sagt: „Hast du Zeit, Digga?“, fungieren A und B als „jemand“, als diejenigen, für die das Zeichen etwas repräsentiert. In Lacans Definition des Signifikanten entfällt dieser Bezug: der Signifikant repräsentiert nicht für jemanden, sondern für einen anderen Signifikanten – die Repräsentationsbeziehung, um die es geht, wendet sich nicht an solche, die verstehen. Das entspricht der psychoanalytischen Beziehung zwischen Analytiker und Analysant mit der Frage nach der Bedeutung von Träumen, Symptomen, Fehlleistungen; diese Bildungen des Unbewussten wenden sich nicht an ein konkretes Gegenüber. Falls sich Träume, im Rahmen einer Psychoanalyse, doch an jemanden richten, an die Analytikerin, an den Analytiker, beruht dies auf Suggestion oder auf Übertragung. Solche „Gefälligkeitsträume“, wie Freud sie nennt13, sind Träume für jemanden.
Für einen anderen Signifikanten
Das Subjekt wird von einem Signifikanten für einen anderen Signifikanten repräsentiert. Nehmen wir als Beispiel für den ersten Signifikanten die bereits erwähnte Fehlleistung, jemand vergisst beim Verlassen der Wohnung, den Schlüssel einzustecken. Die Definition besagt: Diese Fehlleistung repräsentiert ihn als Subjekt, nicht isoliert, auch nicht für jemanden, sie repräsentiert ihn als Subjekt für einen anderen Signifikanten. Bei welcher Gelegenheit hat er sich ausgesperrt? Als er zum Zahnarzt ging, um sich ein Onlay machen zu lassen? Dann könnte der Signifikant, für den die Fehlleistung ihn als Subjekt repräsentiert, durchaus Onlay sein – vorausgesetzt, wir haben es nicht mit einem Zeichen zu tun, sondern mit einem Signifikanten, mit \ˈɒnleɪ\.
Für einen anderen Signifikanten – damit ist nicht nur ein einziger Signifikant gemeint, sondern eine ganze Reihe davon; der zweite Signifikanten dient Lacan als Stellvertreter für eine Signifikantenkette. Was zum Teufel ist ein \ˈɒnleɪ\? Eine Füllung für einen Molar. Für einen \moˈlaːɐ̯\? Und so weiter. In einer Psychoanalyse gibt es eine bestimmte Technik, den anderen Signifikanten auf die Spur zu kommen: die freie Assoziation.
In Seminar 14 von 1966/67, Die Logik des Phantasmas, beschreibt Lacan den Signifikanten so:
„Entität, Vernunftwesen – immer inadäquat von dem Moment an, wo wir auf korrekte Weise die Funktion des Subjekts ins Spiel eintreten lassen, als nichts anderes als das, was von einem Signifikanten bei einem anderen Signifikanten repräsentiert wird. Ein Subjekt ist in keinem Fall eine autonome Einheit; nur der Eigenname kann die Illusion davon geben. Zu sagen, das ‚ich‘ (das je) sei suspekt, ist zu viel gesagt. Seit ich zu Ihnen darüber spreche, muss es das nicht mehr sein. Es ist sehr genau nur dieses Subjekt, das von ‚ich‘, als Signifikant, beispielsweise für den Signifikanten ‚gehe’ (marche) repräsentiert wird oder für die beiden Signifikanten ‚mach Schluss‘ – ‚ich mach Schluss‘ (je la boucle).“14
Im Satz „ich gehe“ wird das Subjekt durch den Signifikanten „ich“ für den Signifikanten „gehe“ repräsentiert. Entscheidend ist, dass das Subjekt nicht der Signifikant „ich“ ist, sondern von ihm nur repräsentiert wird, ähnlich wie ein Staatsoberhaupt von einem Botschafter repräsentiert wird, der ein Eigenleben hat; und dass der repräsentierende Signifikant nicht isoliert funktioniert, sondern wesentlich auf einen anderen oder mehrere andere Signifikanten bezogen ist, so, wie ein Botschafter ein Staatsoberhaupt bei einem anderen Staatsoberhaupt repräsentiert.
In Seminar 16 von 1968/69, Von einem Anderen zum anderen, heißt es:
„Und deshalb geht es jetzt darum, sich auf die grundlegenden Formeln zu beziehen, und das heißt auf diejenige, die den Signifikanten als das definiert, wodurch für einen anderen Signifikanten ein Subjekt repräsentiert wird. Was bedeutet das? Ich bin überrascht, dass noch nie jemand hierzu bemerkt hat, dass als Korrolar hieraus folgt, dass ein Signifikant sich nicht selbst repräsentieren kann. Natürlich ist auch das nicht neu, denn in dem, was ich zur Wiederholung artikuliert habe, geht es eben darum. Wir müssen hier jedoch einen Moment lang innehalten, um es jetzt richtig zu erfassen – was kann das hier in diesem Satz bedeuten, dieses ‚sich selbst‘ des Signifikanten? Beachten Sie, dass ich, wenn ich vom Signifikanten spreche, von etwas Undurchsichtigem spreche. Wenn ich sage, dass man den Signifikanten als das definieren muss, was für einen anderen Signifikanten ein Subjekt repräsentiert, dann bedeutet das, dass niemand darüber etwas wissen wird außer dem anderen Signifikanten, und der andere Signifikant, das ist etwas, das keinen Kopf hat, das ist ein Signifikant.“15
Ein Signifikant kann sich nicht selbst repräsentieren, er hat keine Bedeutung an sich selbst, er ist kein Zeichen. Der Signifikant ist etwas Undurchsichtiges: ein Rätsel. Wie dieses Rätsel zu lösen ist, weiß niemand als der andere Signifikant, der aber „hat keinen Kopf“, damit dürfte gemeint sein: er ist kein jemand, aber vielleicht auch: er trägt die Bedeutung nicht deutlich sichtbar mit sich herum.
Mehrdeutigkeit
Begibt man sich auf die Suche nach dem Signifikat des Signifikanten, stößt man auf andere Signifikanten und damit als erstes auf die Mehrdeutigkeit. Um auf \diga\ zurückzukommen, damit könnte gemeint sein: alter Freund, aber auch: Goldgräber. Muss man sich entscheiden, was gemeint ist? In vielen sozialen Zusammenhängen durchaus. Nicht so im Kontext der Psychoanalyse, genau so wenig wie in einem modernen Gedicht. Signifikanten sind (mit einem Terminus von Freud) „überdeterminiert“.
Unendliche Verweisung des Sinns
In einer späteren Sitzung von Seminar 9 definiert Lacan den Signifikanten so:
„Der Signifikant definiert sich dadurch, bei einem anderen Signifikanten das Subjekt zu repräsentieren: unendliche Verweisung des Sinns.“16
Eine der Stoßrichtungen von Lacans Signifikanten-Definition ist demnach die These, dass der Signifikant nicht, wie das Zeichen, durch einen bestimmten Sinn charakterisiert ist, sondern durch die unendliche Verweisung des Sinns. Mit Signifikant ist also erstens gemeint, dass das Signifikat (der Sinn) nicht unmittelbar gegeben ist, sondern gefunden werden muss, zweitens, dass hierbei Mehrdeutigkeiten eine entscheidende Rolle spielen, drittens, dass man sich beim Versuch, den Signifikanten zu verstehen, auf eine Signifikantenkette beziehen muss, und viertens, dass die Kette unabschließbar ist – es gibt keinen letzten Signifikanten und damit auch kein definitives Signifikat. \diga\ bedeutet unter anderem alter Freund, aber was heißt hier \ˈaltɐ\? Und was \frɔɪnt\? Und so weiter.
Die unendliche Verweisung des Sinns ist der Hintergrund für Lacans Warnung:
„Es geht darum, nicht zu schnell zu verstehen, denn wenn man zu schnell versteht, versteht man überhaupt nichts.“17
Subjekt
Ein Signifikant ist das, wodurch für einen anderen Signifikanten das Subjekt repräsentiert wird – was versteht Lacan unter einem Subjekt?
Begegnung im Realen
Bis zum Zeitpunkt seiner Signifikanten-Definition hatte Lacan zwei explizite Definitionen des Subjekts vorgetragen.
In Seminar 3 von 1955/56, Die Psychosen, hatte er zwar nicht das Subjekt, aber doch das Subjektive und die Subjektivität definiert. Das Subjektive, so heißt es dort, ist etwas,
„dem wir im Realen begegnen“,
und zwar darin, dass das Subjektive imstande ist, sich des „Spiels des Signifikanten“ zu bedienen,
„nicht um etwas zu signifizieren, sondern gerade um zu täuschen über das, was es zu signifizieren gibt“18.
Dem Subjektiven, der Subjektivität begegnen wir im Realen, das heißt, das Subjektive gehört zu einer Ordnung, die weder symbolisiert noch imaginarisiert werden kann (dies ist Lacans früheste und stabilste Bestimmung des Realen19). Im Kontext des Psychose-Seminar heißt dies außerdem: Wir begegnen dem Subjektiven als etwas, das im Symbolischen verworfen ist (was im Symbolischen verworfen ist, kehrt im Realen wieder, das ist eine der in diesem Seminar ausgearbeiteten Thesen).
Das reale Subjekt liegt jedoch nicht einfach außerhalb des Symbolischen. Es bedient sich des Signifikantenspiels – um zu täuschen, um etwas der Symbolisierung zu entziehen. Die Subjektivität muss demnach als eine Beziehung zwischen dem Realen und dem Symbolischen aufgefasst werden, worin etwas Reales (etwas Unsymbolisierbares) im Symbolischen wirksam ist, allerdings: als Täuschungsmanöver.
Das ist keineswegs ein vorübergehender Einfall. Sechzehn Jahre später, in L’étourdit, kommt Lacan auf die Bemerkung im Psychose-Seminar zurück und fasst sie so zusammen: Das Subjekt ist, als Bedeutungseffekt, „die Antwort des Realen“, die sich auf den „asemantischen Signifikanten“ bezieht.20
Wenn man das, vielleicht etwas unvorsichtig, auf die Signifikanten-Definition aus dem Identifizierungs-Seminar bezieht, ergibt sich, dass das Subjekt von einem Signifikanten für einen anderen Signifikanten repräsentiert wird, um zu täuschen. Und das für könnte so übersetzt werden: für Täuschungszwecke, gewissermaßen, um etwas Reales dem Zugriff zu entziehen.
Das heißt in der Perspektive der psychoanalytischen Kur als einer Sprechkur: Das Subjekt entzieht sich dem Sprechen (es ist real), es ist im Sprechen durchaus zu fassen (als Täuschung).
Es spricht
Eine zweite ausdrückliche Definition des Subjekts hatte Lacan ein Jahr vor dem Identifizierungs-Seminar in Die Übertragung geliefert (Seminar 8 von 1960/61):
„Das Subjekt ist, strenggenommen, jemand, dem wir was zuschreiben können? – nichts anderes als wir ein Wesen/Sein zu sein, das [mit einer Formulierung aus Platons Kratylos] ἔναρθρον ἔχειν ἔπος [enarthron echein epos] ist, das sich in artikulierter Sprache ausdrückt, das die Kombinatorik besitzt und das auf unsere Kombinatorik mit seinen eigenen Kombinationen antworten kann, das wir also in unser Kalkül als jemanden einbeziehen können, der kombiniert wie wir.
Ich denke, dass diejenigen, die in der Methode ausgebildet sind, die wir hier eingeführt haben, mir darin nicht widersprechen werden. Das ist die einzig gesunde Definition des Subjekts, zumindest die einzig gesunde für uns, diejenige, die einzuführen gestattet, wie ein Subjekt zwangsläufig in die durch seine Unterwerfung unter die Sprache bestimmte Spaltung* eintritt.
Ausgehend von diesen Termini können wir sehen, wie strikt notwendig es ist, dass sich dies ereignet, dass es im Subjekt einen Teil gibt, in dem es [ça] ganz von selbst spricht, und wobei das Subjekt dennoch in der Schwebe bleibt.“21
Das Subjekt drückt sich in artikulierter Sprache aus, allerdings im Rahmen einer Spaltung. Die eine Seite dieser Spaltung ist, nehme ich an, das intentionale Sprechen. Die andere Seite vollzieht sich in einer Kombinatorik von Signifikanten, „bei der es spricht“. Lacan sagt hier nicht il parle, sondern ça parle, in Anspielung auf Freuds Begriff des Es, „bei der Es spricht“; bei diesem Sprechen, das sich ganz von selbst vollzieht, ist der Trieb im Spiel.
Das Subjekt bleibt hierbei in der Schwebe: es bleibt unbestimmt, ungewiss.
Bezieht man diese Subjekt-Definition vorgreifend auf die Signifikanten-Definition aus dem Identifizierungs-Seminar, könnte das heißen: Die Repräsentation des Subjekts durch einen Signifikanten für einen anderen Signifikanten vollzieht sich von selbst, nicht-intentional, auf der Grundlage einer Signifikanten-Kombinatorik. In dieser Repräsentationsbeziehung bleibt das Subjekt in der Schwebe, ist es darin keineswegs umstandslos zu greifen, es bleibt real.
Durch Signifikanten determiniert
In Seminar 18 (Über einen Diskurs, der nicht vom Schein wäre, 1971) liest man:
„[D]as Subjekt erscheint nur dann, wenn irgendwo die Signifikantenverbindung eingerichtet ist. Ein Subjekt kann nur das Ergebnis der Signifikantenverknüpfung sein. Ein Subjekt als solches beherrscht niemals, in keinem Fall, diese Verknüpfung, sondern wird von ihr im eigentlichen Sinne determiniert.“22
Das Subjekt erscheint dann, wenn eine Signifikantenverbindung installiert ist; es ist das Produkt dieser Verknüpfung. Es kann diese Verbindung nicht beherrschen, wird vielmehr von ihr determiniert, etwa in Form eines Wiederholungszwangs (zum Beispiel so, dass Herr A wieder und wieder fordern muss, dass man ihm den Kaffee heiß macht). Eine Stoßrichtung der Signifikanten-Definition ist also auch: Indem das Subjekt durch die Signifikantenverbindung repräsentiert wird, wird es zugleich von ihr determiniert (Herr A nervt seine Mitmenschen mit seiner wiederholten Forderung, er weiß das vielleicht und hat möglicherweise versucht, darauf zu verzichten, er kann davon jedoch nicht ablassen). Das Repräsentierende ist zugleich das Determinierende, das ist, außerhalb der Psychoanalyse, grundlegend für Machtbeziehungen. Man denke an einen Botschafter, der ein Staatsoberhaupt für ein anderes Staatsoberhaupt repräsentiert und dabei, wie His Excellency Mr Manuel Rocha, als Geheimagent für einen dritten Staat tätig ist.
In Seminar 21 (Les non-dupes errent, 1973/74) heißt es:
„Die Beziehung des Menschen zur Sprache kann einfach nur auf folgender Grundlage angegangen werden: dass der Signifikant ein Zeichen ist, das sich nur an ein anderes Zeichen wendet, dass der Signifikant das ist, was einem Zeichen ein Zeichen gibt, und dass er deshalb der Signifikant ist. Das hat nichts mit Mitteilung an jemand anderen zu tun. Dadurch wird ein Subjekt determiniert, die Wirkung davon ist ein Subjekt. Und das Subjekt, es genügt, dass es dadurch als Subjekt determiniert ist, also dass es aus etwas hervorgeht, das seinen Grund nur anderswo haben kann.“23
Das Zitat macht deutlich, dass Lacans Definition des Signifikanten sich gegen die Auffassung richtet, die Psychoanalyse habe es mit dem Subjekt insofern zu tun, als es mit anderen Subjekten kommuniziert. Die fundierende Beziehung ist für ihn nicht die von kommunizierenden Subjekten, sondern die zwischen Signifikanten; das Subjekt hat seinen Grund anderswo, in einer Signifikantenbeziehung.
Repräsentiert
Die Repräsentation des Subjekts durch die Signifikantenbeziehung ist nicht Repräsentation eines präexistierenden Subjekts. In welchem Sinne also „repräsentiert“ der erste Signifikant das Subjekt für den zweiten Signifikanten?
In Seminar 18 kommentiert Lacan den Begriff der Intersubjektivität, also der Beziehung zwischen Subjekten. Er hatte diesen Terminus anfangs verwendet und später kritisiert.
„Inter, sicher, das ist tatsächlich das, was ich erst später äußern konnte über eine Intersignifikanz, die dann in der Folge subjektiviert wird, wobei der Signifikant das ist, was für einen anderen Signifikanten ein Subjekt dort repräsentiert, wo es nicht ist. Wo es repräsentiert wird, ist das Subjekt abwesend. Und eben deshalb, weil es gleichwohl repräsentiert wird, ist es auf diese Weise gespalten.“24
Lacan zufolge geht es der Psychoanalyse nicht um die Beziehung zwischen Subjekten, sondern um die Beziehung zwischen Signifikanten. Diese Beziehung ist primär, das Subjekt ist sekundär – es wird in eine sprachlich verfasste Welt hineingeboren, „in der Folge“ wird die Signifikantenbeziehung subjektiviert.
Die Repräsentation des Subjekts durch einen Signifikanten für einen anderen Signifikanten hat problematischen Charakter, das Subjekt ist darin abwesend, real. Man kann hierbei an den sprachlich artikulierten Anspruch (demande) denken, die Forderung, die Bitte, etwa „Kannst du mir den Kaffee heißmachen?“. Das Subjekt wird durch den Anspruch repräsentiert und nicht repräsentiert, es ist gespalten: in den Signifikanten, durch den es repräsentiert wird, etwa einen oralen Anspruch, und in die Seite des Subjekts, die darin nicht repräsentiert wird. Auch das ist eine alltägliche Erfahrung. Auf die Bitte „Kannst du mir den Kaffee heiß machen?“, kann ich unterschiedlich reagieren. Ich kann ihm den Kaffee heiß machen. Ich kann es ablehnen, ihm den Kaffee aufzuwärmen – „Mach doch selber!“. Ich kann mich aber auch fragen, was er damit will, jenseits des Wunsches nach heißem Kaffee. Was treibt ihn um, wenn er mich eigenartigerweise darum bittet – bis zur Mikrowelle ist ja auch für ihn nur ein Schritt? Was von ihm wird in dem Anspruch, der ihn repräsentiert, nicht repräsentiert?
Für
Ein Signifikant repräsentiert das Subjekt „für“ einen anderen Signifikanten. Warum „für“ (pour)? Eine Hauptbedeutung von pour ist, so belehrt mich CNRTL, en échange de (im Austausch gegen), en remplacement de (als Ersatz für), à la place de (anstelle von). Möglicherweise soll die Definition andeuten, dass es zwischen den beiden Signifikanten eine Beziehung der Ersetzung geben könnte, auch wenn man das „für“ sicherlich nicht darauf beschränken kann.
Identifizierung und Unbewusstes
Die Definition „Ein Signifikant ist das, wodurch das Subjekt für einen anderen Signifikanten repräsentiert wird“ hat formalen Charakter. Für den das Subjekt repräsentierenden Signifikanten kann alles Mögliche eingesetzt werden; für den anderen Signifikanten kann eingesetzt werden: eine unendliche Signifikantenkette. Über das Subjekt wissen wir bislang, dass wir ihm im Realen begegnen, dass es durch die Verbindung der beiden Signifikanten nicht nur repräsentiert, sondern auch determiniert wird, und dass es darin gespalten ist, dass es zugleich repräsentiert und nicht repräsentiert wird.
Was ist, in psychoanalytischen Termini, der Signifikant, der das Subjekt repräsentiert? Worum geht es, in der Sprache der Psychoanalyse, bei dem Signifikanten, für den das Subjekt repräsentiert wird? Gibt es zwischen diesen beiden Signifikanten eine Beziehung der Ersetzung?
Eine gedrängte Antwort gibt Lacan in Seminar 11 von 1964, Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse. Dort heißt es:
„Wir können sie, diese Vorstellungsrepräsentanz*, in unserem Schema der Ursprungsmechanismen der Entfremdung in dieser ersten Signifikantenkopplung verorten, die es uns ermöglicht, zu begreifen, dass das Subjekt zunächst dadurch im Anderen erscheint, dass der erste Signifikant, der unäre Signifikant, im Feld des Anderen auftaucht, und er das Subjekt für einen anderen Signifikanten repräsentiert, wobei dieser andere Signifikant die Aphanisis des Subjekts zur Wirkung hat. Von daher die Spaltung des Subjekts – wenn das Subjekt irgendwo als Sinn erscheint, manifestiert es sich anderswo als Fading, als Verschwinden. Es geht also, wenn man so sagen darf, auf Leben und Tod zwischen dem unären Signifikanten und dem Subjekt als binärem Signifikanten, der Ursache seines Verschwindens. Die Vorstellungsrepräsentanz ist der binäre Signifikant.
Dieser Signifikant bildet dann den zentralen Punkt der Urverdrängung, dessen, was, nachdem es ins Unbewusste übergegangen ist, der Anziehungs*punkt sein wird – worauf Freud in seiner Theorie hinweist –, durch den alle anderen Verdrängungen möglich sein werden, alle anderen ähnlichen Übergänge an den Ort des Unterdrückten*, dessen, was als Signifikant nach unten gegangen ist. Darum geht es beim Terminus ‚Vorstellungsrepräsentanz‘.“25
Die Beziehung zwischen den beiden Signifikanten und dem Subjekt wird hier als Entfremdung (oder Alienation) bezeichnet.
Der erste Signifikant, also derjenige, der das Subjekt repräsentiert, heißt hier unärer Signifikant. Der unäre Signifikant sorgt für das Erscheinen des Subjekts, das heißt dafür, dass es im Anderen auftaucht, am Ort der Signifikanten und des Sprechens. Der erste Signifikant lässt das Subjekt im Anderen als Sinn erscheinen, als Signifikat. Das Subjekt ist das Signifikat des ersten Signifikanten.
Der zweite Signifikant – derjenige Signifikant, für den das Subjekt repräsentiert wird – hat hier die Bezeichnungen binärer Signifikant und Vorstellungsrepräsentanz. Der binäre Signifikant bewirkt das Verschwinden des Subjekts, auf Griechisch: seine Aphanisis, auf Englisch: sein Fading. In der Gegenüberstellung zum ersten Signifikanten heißt das: Das Subjekt verschwindet insofern, als das Signifikat des zweiten Signifikanten verschwunden ist.
Um diese Bestimmungen mit der Signifikanten-Definition aus dem Identifizierungs-Seminar zu kombinieren: Der unäre Signifikant repräsentiert das Subjekt, indem er es im Anderen als Signifikat auftauchen lässt, als Bedeutung. Er repräsentiert das Subjekt für den binären Signifikanten, durch den das Subjekt verschwindet, durch den es nicht als Signifikat erscheint; der zweite Signifikant ist ein Bedeutungsrätsel. Das Subjekt ist insofern gespalten, als es von Saussure’schen Signifikanten-mit-Signifikat für Lacan’sche Signifikanten repräsentiert wird, für Signifikanten, bei denen das Signifikat ein x ist, eine unbekannte Größe.
Unärer Signifikant: Ichideal, Identifizierung
Die Bezeichnung des ersten Signifikanten als „unärer Signifikant“ ist eine deutliche Anspielung auf den trait unaire, den „einzigen Zug“ als dem, was dem symbolischen Ichideal zugrunde liegt (dem symbolischen Ichideal im Gegensatz zum imaginären Ideal-Ich). Das Konzept des trait unaire – des einzigen Zugs, des unären Zugs, des Einzelstrichs – war von Lacan in Seminar 9 von 1961/62, Die Identifizierung, ausführlich entwickelt worden26; in Seminar 11 bezeichnet er den trait unaire explizit als Signifikanten27; also ist der einzige Zug ein unärer Signifikant.
Der unäre Signifikant, der das Subjekt repräsentiert und als Sinn erscheinen lässt, ist demnach die symbolische Identifizierung und damit das Ichideal, das heißt der Punkt im Symbolischen, von dem aus das Subjekt sein imaginäres Ich als liebenswert sieht. In Lacans Algebra wird das Ichideal durch das Symbol I(A) dargestellt, großes I von großem A. Der Buchstabe großes I kann auch als Strich gelesen, als trait unaire; mit dem großen A in Klammern wird angezeigt, dass das symbolische Ichideal vom Anderen kommt.
Die durch das Ichideal bzw. durch die Identifizierung zusammengehaltene Welt ist demnach eine Welt von Saussure’schen Signifikanten-mit-Signifikat, eine Welt mit Sinn & Bedeutung.
Binärer Signifikant: urverdrängte Signifikantenkette
Der unäre Signifikant, das Ichideal, repräsentiert das Subjekt für einen anderen Signifikanten, für den binären Signifikanten.
Der binäre Signifikant ist, so erfahren wir, die urverdrängte Vorstellungsrepräsentanz. Für Freud ist das eine Repräsentanz, an die der Trieb dauerhaft gebunden bleibt, die nicht bewusst werden kann und von der die Verdrängung in Gang gehalten wird.28
Was hat es mit dem „binären“ Charakter der urverdrängten Vorstellungsrepräsentanz auf sich? In Position des Unbewussten, einem Aufsatz von 1964, also aus demselben Jahr wie das Seminar über die vier Grundbegriffe, heißt es:
„um sich mit dem Signifikanten, dem es unterliegt, zu versehen [se parer], greift das Subjekt die Kette, die wir auf das Knappste einer Binarität reduziert haben, in ihrem Intervallpunkt an. Das Intervall, das sich wiederholt, radikalste Struktur der Signifikantenkette, ist der Ort, an dem die Metonymie ihr Wesen treibt, Vehikel, zumindest nach unserer Lehre, des Begehrens.“29
Lacan hat die Signifikantenkette auf eine Binarität reduziert, also ist sicherlich auch an der zitierten Stelle aus Seminar 11 binärer Signifikant ein Synonym für Signifikantenkette, für die urverdrängte Signifikantenkette und damit für das Unbewusste insgesamt.
Das Subjekt bezieht sich auf den Intervallpunkt dieser Kette, auf die Intervalle zwischen den Signifikanten als Stützpunkten des Begehrens.
Subjekt: Aphanisis, Fading
Der binäre Signifikant hat die Funktion, dass er das Verschwinden des Subjekts bewirkt, seine Aphanisis, sein Fading. Inwiefern? Insofern der binäre Signifikant urverdrängt ist und die Verdrängung in Gang hält. Das heißt wiederum, dass das Subjekt auf dieser Ebene zwar spricht, jedoch in einem Sprechen, zu dem es nicht „ich“ (je) sagen kann, dass es gewissermaßen nicht ver-ich-en kann. Lacan nennt diese Art des nicht ver-ich-baren Sprechens Äußerung (énonciation) im Unterschied zum Ausgesagten (énoncé), dass ver-ich-t werden kann.
Identifizierung und Unbewusstes
Die Definition des Signifikanten bezieht sich auf die Spaltung des Subjekts in, einerseits, die Seite der symbolischen Identifizierung, des Ichideals, des Sinns, und, andererseits, des Unbewussten bzw. des Verdrängten. Der Signifikant der Identifizierung repräsentiert das Subjekt für eine unbewusste Signifkantenkette und damit für ein unbewusstes Begehren.
Die Verdrängung wird, Freud zufolge, von zwei Seiten betrieben. Auf der einen Seite ist das Ichideal am Werk, als das die Verdrängung Begünstigende, zum anderen Seite operiert das Urverdrängte, als das, wodurch Signifikanten in die Verdrängung hineingezogen werden. In Zur Einführung in den Narzissmus (1914) hatte Freud geschrieben:
„Die Idealbildung steigert, wie wir gehört haben, die Anforderungen des Ichs und ist die stärkste Begünstigung der Verdrängung […].“30
Das Subjekt, das vom unären Signifikanten für den binären Signifikanten repräsentiert wird, ist demnach das zwischen dem Ichideal und dem unbewussten Begehren gespaltene Subjekt.
Damit lässt sich das für (in „für einen anderen Signifikanten“) tatsächlich als eine Art Ersetzungsbeziehung plausibel machen. Das Ichideal tritt an die Stelle des unbewussten Begehrens, etwa in Form einer Gegenbesetzung, wie Freud das nennt.31
Lacans älteste Version dieser Subjektkonzeption ist die These über die Einheit von Gesetz und Begehren, die er im Ethik-Seminar entwickelt hatte.32 Im Angst-Seminar formuliert er diesen Zusammenhang so:
„Die Beziehung des Gesetzes zum Begehren ist so eng, dass allein die Funktion des Gesetzes den Weg des Begehrens vorzeichnet. Das Begehren als Begehren, das der Mutter gilt, ist identisch mit der Funktion des Gesetzes. Insofern das Gesetz sie untersagt, erlegt es auf, sie zu begehren, denn schließlich ist die Mutter nicht an sich das begehrenswerteste Objekt. Wenn alles um das Begehren nach der Mutter herum organisiert wird, wenn man es vorziehen soll, dass die Frau anders sei als die Mutter, was heißt das dann? – wenn nichts anderes als dass ein Gebot in die Struktur des Begehrens selbst eingeführt wird. Kurz gesagt, man begehrt auf Gebot. Der Mythos des Ödipus besagt, dass das Begehren als Gesetz gegolten hat.“33
Sicherlich, das Gesetz ist etwas anderes als das Ichideal, die Struktur ist jedoch ähnlich.
Im Graphen des Begehrens entspricht der Beziehung zwischen dem unären und dem binären Signifikanten die Beziehung zwischen, einerseits, s(A) und I(A) im unteren Stockwerk (Sinn und Ichideal) und, andererseits, der im oberen Stockwerk zirkulierenden unbewussten Signifikantenkette zwischen ($◊D), d, ($◊a), S(Ⱥ) und wieder ($◊D):
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Anmerkungen
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Lacan verwendet das Substantiv Signifikant im Sinne der Linguistik zum ersten Mal im Discours de Rome vom 26. September 1953 (vgl. J.L.: Autres écrits. Seuil, Paris 2000, S. 139).
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Sitzung vom 6. Dezember 1961, übersetzt von Max Kleiner und Rolf Nemitz nach Version Roussan, auf dieser Website hier.
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Lacan wiederholt seine Signifikanten-Definition zuletzt in Seminar 24, L’insu que sait de l’une bévue s’aile à mourre, in der Sitzung vom 15. März 1977.
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Vgl. den Hinweis von Jacques-Alain Miller in seiner Ausgabe von Seminar 5 von 1957/58, Die Bildungen des Unbewussten, Version Miller/Gondek, S. 602.
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J. Lacan: Subversion du sujet et dialectique du désir dans l’inconscient freudien. In: Ders.: Écrits. Le Seuil, Paris 1966, S. 793–827, hier: S. 819. Der Text beruht auf einem Vortrag von 1960 und wurde 1966 veröffentlicht.
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Subversion des Subjekts und Dialektik des Begehrens im Freud’schen Unbewussten. In: J.L.: Schriften. Band II. Vollständiger Text. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien 2015, S. 325–368, hier: S. 357.
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Subversion des Subjekts und Dialektik des Begehrens im Freudschen Unbewußten. Übersetzt von Norbert Haas. In: J.L.: Schriften II. Hg. v. Norbert Haas. Walter, Olten u.a. 1975, S. 165–204, hier: S. 195.
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Vgl. Seminar 9, Sitzungen vom 24. Januar 1962 (S. {4}) und vom 14. März 1962 (S. {6}).
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S. Freud: Triebe und Triebschicksale (1915), GW 10, S. 211.
Lacan zitiert diesen Text in Seminar 2, Das Ich in der Theorie Freuds und in der Technik der Psychoanalyse, Sitzung vom 26. Januar 1955, Version Miller/Metzger S. 123.
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Vgl. Ferdinand de Saussure: Cours de linguistique générale. Studienausgabe in deutscher Sprache. Übersetzt von Peter Wunderli. Narr, Tübingen 2014, Erster Teil, Kapitel 1, § 1, „Zeichen, Signifikant, Signifikat“.
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Charles Sanders Peirce: Collected papers, vol. 2. Elements of logic. Hg. V. C. Hartshorne u. P. Weiss. Harvard University Press, Cambridge, MA, USA 1932, Absatz 2.228.
Einen guten Überblick über Peirces Zeichentheorie gibt: Albert Atkin: Peirce’s theory of signs. In: Stanford Encyclopedia of Philosophy, 2022, hier.
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Bisweilen unterscheidet Lacan mit Frege Sinn und Bedeutung, das ist in diesem Zusammenhang jedoch nicht relevant.
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Bemerkungen zur Theorie und Praxis der Traumdeutung (1923). GW 13, S. 310.
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Seminar 14, Sitzung vom 24. Mai 1967; meine Übersetzung nach Version Staferla.
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Seminar 16, Sitzung vom 13. November 1968, meine Übersetzung nach Version Staferla; vgl. Version Miller S. 20 f.
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Seminar 9, Sitzung vom 21. März 1962, meine Übersetzung nach Version Staferla.
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Seminar 5, Die Bildungen des Unbewussten, Sitzung vom 13. November 1957, Version Miller/Gondek S. 32, Übersetzung geändert.
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Die Passage lautet insgesamt so:
„Die bis jetzt im Verständnis des Freudianismus elidierte Dimension ist, daß das Subjektive nicht auf der Seite desjenigen ist, der spricht. Es ist etwas, dem wir im Realen begegnen.
Zweifellos ist das Reale, um das es sich handelt, nicht in dem Sinne zu nehmen, wie wir es für gewöhnlich verstehen, wo es die Objektivität impliziert, was eine in den analytischen Schriften dauernd gemachte Verwechslung darstellt. Das Subjektive tritt im Realen in Erscheinung sofern es unterstellt, daß wir uns gegenüber ein Subjekt haben, das imstande ist, sich des Signifikanten zu bedienen, des Spiels des Signifikanten. Und imstande, sich seiner zu bedienen, wie wir uns seiner bedienen – nicht um etwas zu signifizieren, sondern gerade um zu täuschen über das, was es zu signifizieren gibt. Das heißt die Tatsache ausnutzen, daß der Signifikant etwas anderes ist als die Bedeutung, um einen täuschenden Signifikanten zu präsentieren. […] Die Instanz der Subjektivität als gegenwärtig im Realen ist das wesentliche Ressort, das ausmacht, daß wir etwas Neues sagen, wenn wir zum Beispiel diese Reihen scheinbar natürlicher Phänomene unterscheiden, die wir Neurosen oder Psychosen nennen.“
(Seminar 3, Sitzung vom 11. April 1956, Version Miller/Turnheim S. 221)
Und etwas später in derselben Sitzung:
„Es gibt keine andere wissenschaftliche Definition der Subjektivität als von der Möglichkeit her, den Signifikanten für Endzwecke handzuhaben, die rein signifikant sind und nicht signifikativ, das heißt, die keinerlei direkte Beziehung ausdrücken, die der Ordnung des Appetits angehören.“ (ebd., S. 225)
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Vgl. auf dieser Website den Artikel: Das Reale: früh, konstant, einfach, hier.
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Lacan erläutert dort, warum er in den Formeln der Sexuierung die Quantoren „Für alle“ und „Es existiert ein“ miteinander verbindet:
„Der Grund dafür liegt darin, dass der analytische Diskurs das Subjekt betrifft, das, als Bedeutungseffekt, Antwort des Realen ist. Das artikulierte ich, vom elften April 56 an, nach dem zusammengestellten Text, mit einem Zitat des asemantischen Signifikanten, dies für Leute, die daran Interesse hätten finden können, indem sie sich aufgerufen gefühlt hätten zu einer Funktion von Abfall.“
(Autres écrits. Seuil, Paris 2001, S. 459, übersetzt von Max Kleiner, hier)
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Seminar 8, Sitzung vom 1. Februar 1961, Version Miller/Gondek S. 187, Übersetzung geändert
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Seminar 18, Sitzung vom 13. Januar 1971; Version Miller, S. 10, meine Übersetzung.
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Seminar 21, Sitzung vom 20. November 1973, meine Übersetzung nach Version Staferla.
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Seminar 18, Sitzung vom 13. Januar 1971; Version Miller, S. 10, meine Übersetzung.
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Seminar 11, Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse, Sitzung vom 3. Juni 1964; meine Übersetzung nach Version Miller, S. 199; vgl. Version Miller/Haas, S. 229 f.
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Zuerst in der Sitzung vom 6. Dezember 1961.
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Vgl. Seminar 11, Sitzung vom 22. April 1964; Version Miller/Haas, S. 148.
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Über das Urverdrängte
In Die Verdrängung (1915) hatte Freud geschrieben:
„Wir haben also Grund, eine Urverdrängung anzunehmen, eine erste Phase der Verdrängung, die darin besteht, dass der psychischen (Vorstellungs-)Repräsentanz des Triebes die Übernahme ins Bewußte versagt wird. Mit dieser ist eine Fixierung gegeben; die betreffende Repräsentanz bleibt von da an unveränderlich bestehen und der Trieb an sie gebunden.“ (GW 10, S. 250)
Freud bringt hier drei Größen und ins Spiel und beschreibt deren Dynamik. Die Größen sind der Trieb, eine Vorstellung und das Bewusste. Die Dynamik entwickelt sich in vier Schritten. 1. Der Trieb wird durch eine Vorstellung psychisch repräsentiert. 2. Dieser Triebrepräsentanz wird die Übernahme ins Bewusstsein versagt. 3. Das geht damit einher, dass die unbewusste Vorstellung unveränderlich bestehen bleibt. 4. Außerdem bleibt der Trieb hierdurch an diese Vorstellung dauerhaft gebunden. Die beiden letzten Effekte nennt Freud „Fixierung“, die also darin besteht, dass der Trieb dauerhaft durch eine unveränderliche unbewusste Vorstellung repräsentiert wird. Der Gesamtzusammenhang ist die Urverdrängung. Die Urverdrängung ist der Anziehungspunkt der normalen Verdrängung, durch die das Verdrängte entsteht, das unter bestimmten Umständen bewusst werden kann.
Das Urverdrängte ist das, was auf keine Weise erinnert werden kann. In Seminar 23 von 1975/76, Das Sinthom) sagt Lacan:
„Es gibt keine radikale Reduktion des vierten Terms [im borromäischen Viererknoten, d.h. keine vollständige Reduktion des Symptoms], das heißt, dass selbst die Analyse --; da Freud – man weiß nicht, wie er dazu kam – in der Lage war, es auszusprechen: Es gibt eine Urverdrängung*, es gibt eine Verdrängung, die niemals aufgehoben wird.“
(Sitzung vom 9. Dezember 1975; meine Übersetzung nach Version Staferla; vgl. Version Miller, S. 41.)
Das Urverdrängte manifestiert sich in dem, was Freud den „Nabel des Traums“ nennt, einem unentwirrbaren Knäuel von Traumgedanken (vgl. GW 2/3, S. 116 Fn. 1, und S. 530).
Im Aufsatz über Ernest Jones schreibt Lacan:
„Daher möchten wir von diesen Magnetpunkten der Bedeutung, die seine [Jones’] Bemerkung nahelegt, behaupten, dass sie die Vernabelungsstellen des Subjekts in den Einschnitten des Signifikanten sind: wobei der grundlegendste die Urverdrängung* ist, auf welcher Freud stets insistiert hat, eben die Reduplizierung des Subjekts, die der Diskurs hervorruft, sofern sie durch das Gewimmel dessen, was er als seiend evoziert, verschleiert bleibt.“
(J.L.: Zum Gedenken an Ernest Jones: Über seine Theorie der Symbolik. In: Ders.: Schriften. Band II. Vollständiger Text. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien u.a. 2015, S. 205–229, hier: S. 220 f.)
In Seminar 2 hatte es geheißen, der Nabel des Traums stehe in Beziehung zum Realen jenseits aller Vermittlungen imaginärer und symbolischer Art (vgl. Seminar 2, Version Miller/Metzger, S. 225).
Der Nabel des Traums verweist auf die Urverdrängung und damit auf das Reale, auf das, was sich nicht symbolisieren und nicht imaginieren lässt.
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J. Lacan: Position des Unbewussten auf dem Kongress von Bonneval 19o0 , wiederaufgenommen 1964. Übersetzt von Regula Schindler. In: Riss. Zeitschrift für Psychoanalyse – Freud – Lacan. 20. Jg. (2006), Heft 63, S. 13–37, hier: S. 27.
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In: S. Freud: Studienausgabe, Bd. 3. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 37–68, hier: S. 62.
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Freud schreibt, der Vorgang der Libidoentziehung reiche nicht aus,
„um einen anderen Charakter der Verdrängung begreiflich zu machen. Es ist nicht einzusehen, warum die besetzt gebliebene oder vom Ubw her mit Besetzung versehene Vorstellung nicht den Versuch erneuern sollte, kraft ihrer Besetzung in das System Vbw einzudringen. Dann müßte sich die Libidoentziehung an ihr wiederholen, und dasselbe Spiel würde sich unabgeschlossen fortsetzen, das Ergebnis aber nicht das der Verdrängung sein. Ebenso würde der besprochene Mechanismus der Entziehung vorbewußter Besetzung versagen, wenn es sich um die Darstellung der Urverdrängung handelt; in diesem Falle liegt ja eine unbewußte Vorstellung vor, die noch keine Besetzung vom Vbw erhalten hat, der eine solche also auch nicht entzogen werden kann.
Wir bedürfen also hier eines anderen Vorganges, welcher im ersten Falle die Verdrängung unterhält, im zweiten ihre Herstellung und Fortdauer besorgt, und können diesen nur in der Annahme einer Gegenbesetzung finden, durch welche sich das System Vbw gegen das Andrängen der unbewußten Vorstellung schützt. Wie sich eine solche Gegenbesetzung, die im System Vbw vor sich geht, äußert, werden wir an klinischen Beispielen sehen. Sie ist es, welche den Daueraufwand einer Urverdrängung repräsentiert, aber auch deren Dauerhaftigkeit verbürgt. Die Gegenbesetzung ist der alleinige Mechanismus der Urverdrängung; bei der eigentlichen Verdrängung (dem Nachdrängen) kommt die Entziehung der vbw Besetzung hinzu. Es ist sehr wohl möglich, daß gerade die der Vorstellung entzogene Besetzung zur Gegenbesetzung verwendet wird.“
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Vgl. Seminar 7, Die Ethik der Psychoanalyse, Sitzung vom 23. Dezember 1959.
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(Seminar 10, Die Angst, Sitzung vom 16. Januar 1963, Version Miller/Gondek S. 136 f.)