Jacques Lacan
Seminar IX, Die Identifizierung
(I) Sitzung vom 15. November 1961
Übersetzt und mit erläuternden Anmerkungen versehen von Max Kleiner und Rolf Nemitz
Epimenides der Krater
Vorderseite des Mondes, Position 40° 54′ 36″ S, 30° 24′ 0″ W
Jacques Lacan:
Seminar IX (1961/62): Die Identifizierung
Übersetzt und mit erläuternden Anmerkungen versehen von Max Kleiner und Rolf Nemitz
(I) Sitzung vom 15. November 1961
Allgemeines zur Übersetzung
Das Seminar hat 26 Sitzungen. Etwa alle zwei Monate erscheint auf „Lacan entziffern“ die Übersetzung einer weiteren Sitzung. Die bereits veröffentlichten Übersetzungen von Sitzungen dieses Seminars findet man hier.
Die Übersetzung wird zweimal gebracht, zunächst nur deutsch, dann gegenüberstellend: Satz für Satz französisch/deutsch.
Die zweisprachige Fassung enthält in den Anmerkungen zum französischen Text Hinweise auf Transkriptionsprobleme; im deutschen Text findet man Links und Bilder, in den Anmerkungen zum deutschen Text Literaturangaben, Belege und inhaltliche Erläuterungen.
Die Übersetzung stützt sich auf folgende Vorlagen:
- Stenotypie des Seminars auf der Seite der École lacanienne de psychanalyse, hier
- Jacques Lacan: L’identification, dit ‚Séminaire IX“. Prononcé à Ste. Anne en 1961–1962. Herausgegeben und erstellt von Michel Roussan. Mit Anmerkungen, kritischem Apparat und Index. Paris 1992. Nicht im Buchhandel, beziehbar durch den Herausgeber, m.roussan2@free.fr
Ausgaben des Identifizierungs-Seminars im Internet:
- französisch: hier (Stenotypie), hier (Staferla), hier (ALI) S. 1547–1966, hier (Chollet), hier (rue CB)
- englische Übersetzung: hier (Cormac Gallagher), hier (Ben Hooson)
- von Gallagher gelesene Audioaufnahme seiner Übersetzung hier
Eine von Jacques-Alain Miller herausgegebene offizielle Edition des Seminars gibt es nicht.
Vielen Dank an Peter Müller (Psychoanalytiker in Karlsruhe) für die Überlassung seiner Übersetzung dieses Seminars!
Zur Notation
– Zahlen in geschweiften Klammern und grauer Schrift, z.B. {10}, verweisen auf die Seiten der Transkription, die Roussan als „Daktylographie 1“ bezeichnet; diese Seitenzahlen sind am Rand seiner Ausgabe angegeben und beginnen dort mit einer linken eckigen Klammer, also etwa mit „[10“. Daktylographie 1 ist die Transkription, die man auf der Seite der ELP findet (mit Ausnahme der 20. Sitzung), hier.
– Ein doppelter Bindestrich, also: --, markiert, dass an dieser Stelle ein Satz grammatisch unvollständig abbricht.
– Wörter mit Sternchen: im Original deutsch.
– Der Schrägstrich / verbindet Übersetzungsvarianten.
– Einfügungen in runden Klammern enthalten Formulierungen des französischen Originals.
– Einfügungen in eckigen Klammern dienen der Erläuterung und sind nicht von Lacan.
– Einfügungen in spitzen Klammern: Ersatz für vermutlich ausgefallenen Text.
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Sitzung vom 15. November 1961
Deutsch
{1} Die Identifizierung, das ist in diesem Jahr mein Titel und mein Thema. Das ist ein guter Titel aber keineswegs ein bequemes Thema. Ich nehme nicht an, dass Sie denken, dies sei eine Operation oder ein Vorgang, der ganz leicht zu begreifen wäre. Auch wenn er leicht zu erfassen ist, wäre es, um ihn gut zu erfassen, vielleicht dennoch vorzuziehen, dass wir uns ein wenig anstrengen, um ihn zu begreifen. Mit Sicherheit haben wir genügend Auswirkungen davon erlebt, um summarisch vorgehen können, ich meine, um uns an Dinge zu halten, die sogar für unsere innere Erfahrung spürbar sind, sodass Sie ein bestimmtes Gefühl dafür haben, was das ist. Diese Anstrengung des Begreifens wird Ihnen – zumindest in diesem Jahr, also in einem Jahr, das nicht das erste unserer Lehre ist – durch die Orte und die Probleme, zu denen diese Anstrengung uns führen wird, nachträglich sicherlich als berechtigt erscheinen.
Heute wollen wir einen allerersten kleinen Schritt in diese Richtung gehen. Bitte entschuldigen Sie, das wird uns möglicherweise dazu bringen, dass wir jene Anstrengungen unternehmen, die man im strengen Sinne des Wortes als solche des Denkens bezeichnet. Das wird uns nicht häufig passieren, uns nicht häufiger als den anderen.
Wenn wir die Identifizierung als Titel und als Thema unserer Ausführungen wählen, sollten wir auf andere Weise darüber sprechen als in der, wie man sagen kann, mythischen Form, |{2} in der ich sie im letzten Jahr zurückgelassen habe. Es gab da etwas von dieser Ordnung, in besonderer Weise von der Ordnung der Identifizierung, die – Sie werden sich erinnern – an dem Punkt ins Spiel kam, an dem ich im letzten Jahr meine Ausführungen beendet habe, also auf der Ebene, auf der, wenn ich so sagen darf, der Wasserspiegel, bei dem Sie sich die narzisstischen Wirkungen vorstellen mögen, die diesen Felsen einschließen, das, was in meinem Schema aufgetaucht blieb, den Felsen des Autoerotismus, dessen Auftauchen der Phallus symbolisiert --; eine Insel also, gegen die der Schaum der Aphrodite anbrandet, eine falsche Insel übrigens, denn sie ist außerdem, wie die Insel, auf der der Claudels Proteus spielt, eine Insel ohne Vertäuung, eine Insel, die abdriftet. Sie wissen, was das ist, der Proteus von Claudel, das ist der Versuch, die Orestie durch die derbe Farce zu ergänzen, mit der die griechische Tragödie notwendigerweise vervollständigt wird und wovon uns in der gesamten Literatur nur zwei Bruchstücke von Sophokles erhalten geblieben sind sowie, falls ich mich recht erinnere, ein Herakles von Euripides.
Nicht ohne Absicht erwähne ich das im Zusammenhang damit, wie im letzten Jahr mein Vortrag über die Übertragung mit diesem Bild der Identifizierung endete. Ich hatte ganz schön zu tun, ich konnte nur schön Männchen machen, um die Barriere zu markieren, an der die Übertragung ihre Grenze und ihren Dreh- und Angelpunkt findet. Sicherlich war das dort nicht die Schönheit, über die ich Ihnen gesagt habe, dass sie die Grenze des Tragischen bildet, dass sie der Punkt ist, |{3} an dem das unfassbare Ding uns seine Euthanasie zuteilt. Ich beschönige nichts – was auch immer man sich vorstellen mag, wenn man über das, was ich lehre, bisweilen gewisse Gerüchte hört; ich mache das Spiel für Sie nicht zu leicht, nicht zu schön. Das wissen diejenigen, die damals mein Seminar über die Ethik gehört haben, wo ich genau dies behandelt habe, die Funktion der Barriere der Schönheit in Form der Agonie, die das Ding, damit wir es erreichen, von uns fordert.
Hier also endete im letzten Jahr Die Übertragung. Ich habe Sie darauf hingewiesen, all diejenigen, die bei den Provinzialtagen im Oktober dabei waren, ich habe Sie, ohne Ihnen mehr sagen zu können, darauf aufmerksam gemacht, dass es hier, in etwas Komischem versteckt, einen Bezug gab, nämlich den Punkt, über den hinaus ich das, worauf ich bei einer bestimmten Erfahrung abzielte, nicht weiter treiben konnte, einen Hinweis, wenn ich so sagen darf, der wiederzufinden ist im versteckten Sinn dessen, was man die Kryptogramme dieses Seminars nennen könnte, und wobei ich ja doch nicht die Hoffnung verloren habe, dass eines Tages ein Kommentar diese Bedeutung herauslösen und deutlich machen wird. Denn kürzlich habe ich von etwas erfahren, das an dieser Stelle Anlass zur Hoffnung gibt, dass nämlich das Seminar des vorletzten Jahres, das über die Ethik, tatsächlich wieder aufgegriffen worden ist – und nach Aussage derer, die diese Arbeit lesen konnten, mit vollem Erfolg –, durch jemanden, der sich die Mühe gemacht hat, es wiederzulesen, um die Elemente des Seminars zusammenzufassen,|{4} nämlich durch Herrn Safouan, und ich hoffe, dass Ihnen diese Dinge vielleicht schnell genug zugänglich gemacht werden können, sodass sich das, was ich in diesem Jahr einbringen möchte, daran anschließen kann – von einem Jahr, das dann auf das zweite danach überspringt.
Dies mag Ihnen fragwürdig erscheinen und als Verzögerung sogar bedauerlich, das wäre jedoch nicht völlig begründet, und Sie werden sehen, dass Sie, wenn Sie sich die Reihe meiner Seminare seit 1953 noch einmal ansehen – das erste über die Technischen Schriften, das nächste über das Ich, die Technik bei Freud und in der Psychoanalyse, das dritte über die Freud’schen Strukturen der Psychose, das vierte über die Objektbeziehung, das fünfte über die Bildungen des Unbewussten, das sechste über das Begehren und seine Deutung, dann die Ethik, die Übertragung, die Identifizierung, zu dem wir jetzt kommen, insgesamt also neun –, dass Sie darin unschwer ein Alternieren, ein Pulsieren erkennen können. Sie werden sehen, dass alle zwei Jahre abwechselnd die Thematik des Subjekts und die des Signifikanten dominiert, was uns, da wir mit dem Signifikanten begonnen haben – mit der Ausarbeitung der Funktion des Symbolischen –, in diesem Jahr, da wir jetzt bei einer ungeraden Zahl sind, erneut auf den Signifikanten zurückkommen lässt, obwohl bei der Identifizierung das, worum es geht, strenggenommen die Beziehung des Subjekts zum Signifikanten sein muss.
*
Diese Identifizierung also, bei der wir vorschlagen, zu versuchen, von ihr in diesem Jahr einen adäquaten Begriff zu geben, |{5} ist uns durch die Analyse natürlich recht trivial gemacht geworden, so wie jemand, der mir recht nahe ist und mich sehr gut versteht, zu mir gesagt hat: „Da schau her, was du dieses Jahr nimmst, die Identifizierung!“, und dies mit der Miene: „Damit kann man doch alles erklären!“, wobei zugleich eine gewisse Enttäuschung durchschimmerte, bezogen darauf, dass man von mir ja wohl etwas anderes erwartet hatte. Dieser Jemand soll sich mal nicht täuschen! Seine Erwartung, dass ich mich, wenn ich so sagen darf, dem Thema entziehe, wird enttäuscht werden, denn ich hoffe durchaus, es zu behandeln, und außerdem hoffe ich, dass die Müdigkeit, die dieses Thema ihm im Voraus nahelegt, sich auflösen wird; ich werde durchaus über die Identifizierung selbst sprechen.
Um sogleich zu präzisieren, was ich darunter verstehe, möchte ich sagen, dass man, wenn man von Identifizierung spricht, als erstes an den anderen denkt, mit dem man sich identifiziert, und dass sich mir mit Leichtigkeit die Tür öffnet, die Betonung auf den Unterschied zwischen dem anderen und dem Anderen zu legen, zwischen dem kleinen anderen und dem großen Anderen, ein Thema, mit dem Sie, wie ich wohl sagen darf, bereits vertraut sind.
Das ist jedoch nicht der Zugang, mit dem ich beginnen möchte. Ich werde den Akzent vielmehr auf das setzen, was sich in Identifizierung sofort als „identisch machen“ darstellt, als etwas, das sich auf den Begriff le même gründet – „das Selbe“ beziehungsweise „das Gleiche“ –, und selbst du même au même – „schon wieder dasselbe“ –, mit all dem, was dies an Schwierigkeiten aufwirft.
Sie wissen sehr wohl und können sogar recht schnell feststellen, welche Schwierigkeiten unserem Denken immer schon das Folgende bietet: „A ist A“. |{6}Wenn A dermaßen A ist, dann soll es doch dort bleiben! Warum sollte man es von sich selbst trennen, um es dann ganz schnell wieder zusammenzubringen?
Das ist nicht einfach ein Gedankenspiel. Machen Sie sich zum Beispiel klar, dass im Rahmen einer Bewegung der Begriffsentwicklung, die sich logischer Positivismus nennt und bei der sich der eine oder andere bemühen kann, ein gewisses Ziel anzustreben, das beispielsweise darin bestehen soll, ein logisches Problem nur dann zu stellen, wenn es einen Sinn hat, der sich als solcher in einer bestimmten Erfahrung nachweisen lässt, dass man sich in diesem Rahmen also entschieden hätte, jedes logische Problem zu verwerfen, welches auch immer, das nicht auf irgendeine Weise diesen letzten Garanten bieten könnte, indem man sagt, das sei ein Problem ohne jeden Sinn. Dennoch bleibt, dass, während Russell in seinen Principia Mathematica der Gleichung, der Gleichsetzung A gleich A einen Wert geben kann, ein anderer, Wittgenstein, sich dem widersetzen sollte, aufgrund der Sackgassen, die ihm, im Namen der Ausgangsprinzipien, daraus hervorzugehen scheinen. Und diese Zurückweisung wird sogar algebraisch vorgebracht; eine Gleichheit dieser Art verpflichtet sich demnach auf einen Umweg über die Notation, um festzustellen, was für die Anerkennung der Identität „A ist A“ als Äquivalent dienen kann.
Was uns angeht, so werden wir uns – einmal vorausgesetzt, dass es keineswegs der Weg des logischen Positivismus ist, der uns in Sachen Logik in irgendeiner Weise als derjenige erscheint, der gerechtfertigt wäre –, so werden wir uns Fragen stellen – ich meine auf der Ebene einer Erfahrung des Sprechens, derjenigen, in die wir, vermittels der Äquivokationen, |{7} ja der Mehrdeutigkeiten des Sprechens, unser Vertrauen setzen –, Fragen dazu, was wir mit dem Ausdruck Identifizierung angehen können.
Es ist Ihnen nicht unbekannt, dass man in sämtlichen Sprachen bestimmte historische Umbrüche beobachtet, Umbrüche, die genügend allgemein sind, ja sogar universell, sodass man von modernen Syntaxen sprechen kann, wobei man sie global nicht etwa den archaischen, sondern einfach den alten Syntaxen gegenüberstellt, worunter wir Sprachen der sogenannten Antike verstehen wollen. Diese Arten von allgemeinen Umbrüchen sind, wie gesagt, solche der Syntax. Anders ist es mit dem Wortschatz, hier sind die Dinge weitaus mehr in Bewegung. In gewissem Sinne weist jede Sprache, verglichen mit der allgemeinen Sprachgeschichte, Schwankungen auf, die ihrem Genie eigen sind und worin diese oder jene Sprache besser geeignet ist, die Geschichte einer Bedeutung aufzuzeigen.
So werden wir also beim Ausdruck Identität innehalten können beziehungsweise beim substantivischen Begriff dieses Ausdrucks. In Identität, Identifizierung steckt der lateinische Ausdruck idem, und das soll Ihnen zeigen, dass eine bedeutsame Erfahrung durch den vulgärfranzösischen Ausdruck, den Träger derselben Funktion, gestützt wird, durch den Signifikanten même: „gleich“, „selbst“.
Es scheint ja, dass das em – das Suffix von id im lateinischen Wort idem – das ist, worin wir auf Folgendes stoßen: auf das Wirken der Radikalfunktion, wie ich sagen möchte, in der Entwicklung des Indoeuropäischen bei einer Reihe von italischen Sprachen. Dieses em ist hier [in même mit seinen beiden m] verdoppelt: ein antiker Konsonant, der sich somit als Überbleibsel, als Rest, als Wiederkehr einer |{8}frühen Thematik erweist, jedoch nicht ohne unterwegs die Zwischenphase der Etymologie mitgenommen zu haben, positiv formuliert: die Phase der Entstehung des même, das ein vulgärlateinisches metipsum ist [„es selbst“] und sogar ein metipsissimum des expressiven Spätlateinischen [„ganz es selbst“], was uns also dazu drängt, dass wir erkennen, in welcher Richtung – wie uns hier die Erfahrung nahelegt – der Sinn jeder Identität zu suchen ist: im Herzen dessen, was durch eine Art Verdoppelung bezeichnet wird, von moi-même, von „ich selbst“. Dieses moi-même ist, wie Sie sehen, bereits dieses metipsissimum, eine Art von au jour d’aujourd’hui, das wir nicht bemerken und das im moi-même ja vorhanden ist. Es ist also ein metipsissimum, wohinein sich danach das ich stürzt, das du, das er, das singularische sie, das plurale sie, das wir, das ihr, bis hin zum sich, das im Französischen also ein soi-même ist, ein „sich selbst“.
Auch sehen wir hier insgesamt in unserer Sprache so etwas wie den Hinweis auf eine Arbeit, auf eine bestimmte bedeutsame Tendenz, die Sie mir erlauben werden, als Mihilismus zu qualifizieren, insofern diese Erfahrung des Ichs (moi) sich auf diesen Akt bezieht.
Natürlich wäre die Sache nur beiläufig von Interesse, sollten wir davon nicht noch weitere Merkmale finden, in denen sich die folgende Tatsache, dieser klar und einfach auszumachende Unterschied zeigt, wenn wir bedenken, dass im Griechischen das αὐτός [autos] des selbst auch dazu dient, das selbe zu bezeichnen, so wie im Deutschen und im Englischen das selbst* beziehungsweise das self die Funktion haben wird, die Identität zu bezeichnen.
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Also, diese Art von dauerhafter Metapher in der französischen Ausdrucksweise – |{9} dass wir sie hier aufgreifen und uns Fragen dazu stellen, ist, denke ich, nicht umsonst. Wir möchten ahnen lassen, dass sie vielleicht nicht ohne Beziehung zu der Tatsache ist – auf einer ganz anderen Ebene –, dass es das Französische war, ich meine bei Descartes, worin das Sein als etwas gedacht werden konnte, das dem Subjekt immanent ist, dass es auf eine Weise gedacht werden konnte, die, möchten wir sagen, so bestechend ist, dass man sagen kann, seit diese Formel dem Denken vorgeschlagen wurde, besteht ein guter Teil der Anstrengungen der Philosophie darin, dass man sich bemüht, sich davon zu befreien. Und heutzutage zunehmend offener, denn es gibt, wenn ich so sagen darf, keine Thematik der Philosophie, die nicht, mit wenigen Ausnahmen, damit beginnt, dass versucht wird, das berühmte „ich denke, also bin ich“ zu überwinden. Ich glaube, es ist für uns kein schlechter Einstieg, dass dieses „ich denke, also bin ich“ den ersten Schritt unserer Untersuchung kennzeichnet.
Es versteht sich, dass das „ich denke, also bin ich“ zum Vorgehen von Descartes gehört. Ich hatte vor, Sie am Rande darauf hinzuweisen, aber ich sage es Ihnen gleich: Dies ist kein Kommentar zu Descartes, ich könnte in keiner Weise versuchen, ihn heute in Angriff zu nehmen und ich habe nicht die Absicht, ihn zu liefern.
Das „ich denke, also bin ich“ ist natürlich, wenn Sie sich auf die Texte von Descartes beziehen, in der Abhandlung über die Methode wie auch in den Meditationen unendlich viel fließender, gleitender, schwankender als in der |{10} lapidaren Form, in der es sich eingeprägt hat, sowohl Ihrem Gedächtnis als auch in der passiven oder sicherlich inadäquaten Idee, die Sie vom cartesischen Vorgehen haben mögen. Wie sollte sie auch nicht inadäquat sein, denn es gibt ja keinen Kommentator, der, wenn es darum geht, es in seinen Windungen genau zu erfassen, mit dem anderen übereinstimmt. Es ist also nicht ohne eine gewisse Willkür und doch mit genügend Gründen, dass diese Tatsache, dass ich auf diese Formel – die für Sie einen Sinn ergibt und deren Gewicht über die Aufmerksamkeit, die Sie ihr bislang widmen konnten, sicherlich hinausgeht –, dass ich heute also darauf eingehen werde, um so etwas wie eine Einführung aufzuzeigen, die wir darin finden können.
*
An dem Punkt der Ausarbeitung, an dem wir angelangt sind, geht es uns darum, zu versuchen, auf präzisere Weise etwas zu artikulieren, das wir bereits mehr als einmal als These vorgebracht haben, nämlich dass die traditionelle philosophische Vorstellung von einem Subjekt durch nichts anderes gestützt wird als durch die Existenz des Signifikanten und seiner Wirkungen. Eine solche These – die, wie Sie sehen werden, wesentlich ist für jede Verkörperung, die wir den Wirkungen der Identifizierung im Folgenden geben können –, eine solche These verlangt, dass wir genauer zu artikulieren versuchen, wie wir das Folgende tatsächlich auffassen: die Abhängigkeit der Subjektbildung von der Existenz der Wirkungen des Signifikanten als solchen.
Wir möchten sogar noch weiter gehen und sagen, wenn wir dem Wort Denken eine technische Bedeutung geben: das Denken derjenigen, deren Beruf es ist zu denken, dann |{11} können wir feststellen – wenn wir genauer hinschauen und gewissermaßen nachträglich –, dass nichts von dem, was Denken heißt, jemals etwas anderes getan hat als sich irgendwo im Inneren dieses Problems zu verorten.
Hierbei möchten wir feststellen, dass wir nicht sagen können, zumindest, dass wir nicht vorhatten zu denken, dass in gewisser Weise, ob wir wollen oder nicht, ob Sie es wussten oder nicht, jede Erfahrung des Unbewussten, die hier die unsere ist, darüber, was diese Erfahrung ist, etwas ist, das auf der Ebene des Denkens angesiedelt ist, auf welcher – insofern wir sicherlich zusammen darauf zugehen, jedoch nicht ohne dass ich Sie dorthin führe –, auf welcher die präsenteste, die unmittelbarste, die am stärksten verkörperte spürbare Beziehung dieser Anstrengung die Frage ist, die Sie sich bei dieser Anstrengung stellen können, die nach dem wer bin ich?. Das ist hier kein abstraktes Philosophenspiel, denn was das Thema des wer bin ich? angeht, in das ich Sie einführen möchte, so ist Ihnen nicht unbekannt, zumindest einigen unter Ihnen, dass ich dazu sehr Unterschiedliches zu hören bekomme. Diejenigen, die das wissen, können natürlich diejenigen sein, von denen ich es höre, und ich werde niemanden in die Verlegenheit bringen, über das, was ich da so zu hören kriege, etwas zu veröffentlichen. Warum sollte ich das übrigens tun, da ich Ihnen ja zugestehen werde, dass die Frage legitim ist?
Auf dieser Bahn kann ich Sie sehr weit führen, ohne dass für Sie auch nur einen Moment lang die Wahrheit dessen, |{12} was ich Ihnen sage, garantiert wäre, obwohl es in dem, was ich Ihnen sage, immer nur um Wahrheit geht.
Und bei dem, was ich so zu hören kriege, warum sollte ich schließlich nicht sagen, dass es bis in die Träume derjenigen hineinreicht, die sich an mich wenden. Ich erinnere mich an einen davon, wir können einen Traum zitieren: „Warum“, so träumte einer meiner Analysierten, „sagt er nicht das Wahre über das Wahre?“ Das war ich, um den es in diesem Traum ging. Der Traum führte jedoch dazu, dass mir mein Subjekt, nun ganz wach, Vorwürfe machte, zu dieser Rede, in der, wie er meinte, immer das letzte Wort fehlen würde.
Die Frage lässt sich nicht so lösen, dass man sagt: „Kinder, die ihr seid, ihr wartet, um zu glauben, immer darauf, dass ich die wahre Wahrheit sage.“ Denn dieser Ausdruck, die wahre Wahrheit, hat einen Sinn, und ich möchte noch mehr sagen, auf diesem Sinn beruht der gesamte Kredit der Psychoanalyse. Die Psychoanalyse hat sich der Welt zunächst als diejenige präsentiert, die die wahre Wahrheit liefert. Natürlich fällt man schnell auf alle möglichen Metaphern zurück, die die Sache in die Flucht schlagen. Die wahre Wahrheit, das ist die verborgene Seite, und die wird es immer geben, selbst im strengsten philosophischen Diskurs. Darauf gründet sich unser Kredit in der Welt. Und das Erstaunliche ist, dass dieser Kredit immer noch läuft, obwohl man seit geraumer Zeit nicht die geringste Anstrengung unternommen hat, auch nur den kleinsten Ansatz von etwas zu liefern, das dem gerecht würde. Von daher fühle ich mich nicht wenig geehrt, dass |{13} ich zu diesem Thema befragt werde: „Wo ist die wahre Wahrheit Ihres Diskurses?“ Und ich kann ja sogar feststellen, dass man mir diese Frage genau insofern stellt, als man mich nicht für einen Philosophen, sondern für einen Psychoanalytiker hält.
Denn eines der bemerkenswertesten Dinge in der philosophischen Literatur ist, wie sehr man unter Philosophen, ich meine, wenn sie philosophieren, den Philosophen letztlich niemals dieselbe Frage stellt, außer, um mit erstaunlicher Leichtigkeit einzuräumen, dass die größten unter ihnen kein Wort von dem gedacht haben, was sie uns schwarz auf weiß übermittelt haben, und dass man sich zu denken erlaubt, beispielsweise im Falle von Descartes, dass er an Gott nur einen ganz unsicheren Glauben hatte, weil das dem einen oder anderen seiner Kommentatoren gelegen kommt, es sei denn, ihm passt das Gegenteil. Jedenfalls gibt es eine Sache, die bei niemandem den Kredit der Philosophen je zu erschüttern schien, nämlich dass man bei jedem von ihnen, und sogar bei den größten, von einer doppelten Wahrheit sprechen konnte.
Dass ich als jemand, der ich, in die Psychoanalyse eintretend, letztlich in ein Fettnäpfchen trete, indem ich diese Frage nach der Wahrheit stelle, dass ich also plötzlich spüre, wie besagtes Näpfchen unter meinen Sohlen heiß wird, das ist ja etwas, worüber ich mich nur freuen kann, denn, wenn Sie drüber nachdenken, schließlich war ich es ja, der das Gas aufgedreht hatte.
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{14} Aber lassen wir das jetzt beiseite, kommen wir zu den Identitätsbeziehungen des Subjekts, und zwar durch die cartesische Formel, von der Sie jetzt sehen werden, wie ich sie heute angehen möchte.
Es ist ja klar, dass es keineswegs darum geht, sich anzumaßen, Descartes zu übertreffen, sondern vielmehr darum, aus der Nutzung der Sackgassen, deren Grundlage er uns aufzeigt, die maximale Wirkung zu ziehen. Wenn man mir also in einer Kritik folgt, die keineswegs ein Textkommentar ist, so möge man sich an das erinnern, was ich daraus im Interesse meines eigenen Diskurses zu ziehen gedenke.
„Ich denke, also bin ich“, das scheint mir in dieser Form die üblichen Verwendungen in sich zu konzentrieren, so sehr, dass es zu der abgegriffenen Münze ohne Gesicht geworden ist, die Mallarmé irgendwo erwähnt. Wenn wir das einen Augenblick lang festhalten und versuchen, seine Funktion als Zeichen aufzupolieren, wenn wir versuchen, diese Funktion für unsere Zwecke wiederzubeleben, dann möchte ich bemerken, dass diese Formel – zu der ich Ihnen ein weiteres Mal sage, dass man sie in ihrer konzentrierten Form bei Descartes nur an einer bestimmten Stelle der Abhandlung über die Methode findet –, dass sie keineswegs so, in dieser verdichteten Form, ausgedrückt wird.
Dieses „ich denke, also bin ich“ stößt auf den folgenden Einwand, und ich glaube, dass er noch nie vorgebracht worden ist, nämlich dass „ich denke“ kein Gedanke ist. Natürlich, Descartes schlägt uns diese Formel am Ende eines langen Denkprozesses vor, und es ist wohl sicher, dass das Denken, um das es geht, ein Gedanke eines Denkers ist. |{15} Ich möchte sogar noch weiter gehen: Das Merkmal das ist ein Denken eines Denkers ist nicht erforderlich, damit wir von einem Gedanken sprechen können. Ein Gedanke, um es klar zu sagen, erfordert keineswegs, dass man an das Denken denkt. Insbesondere für uns beginnt das Denken mit dem Unbewussten.
Man kann sich nur wundern über die Zaghaftigkeit, die uns dazu bringt, dass wir, wenn wir versuchen, etwas über das Denken zu sagen, auf die Formel der Psychologen zurückzugreifen, auf die Formel, die lautet, das Denken sei ein Handeln im Entwurfszustand, in verkürztem Zustand – das kleine ökonomische Modell des Handelns. Sie werden mir sagen, dass man das irgendwo bei Freud findet. Aber sicher, bei Freud findet man alles. In irgendeinem Absatz hat er wohl mal von dieser psychologischen Definition des Denkens Gebrauch gemacht, aber schließlich ist es ganz schwierig, auszuklammern, dass wir bei Freud auch finden, dass das Denken ein äußerst effektiver und in gewisser Weise selbstgenügsamer Modus der masturbatorischen Befriedigung ist. Womit ich sagen will, dass wir bei dem, worum es beim Denken geht, vielleicht eine etwas größere Spanne haben als die anderen Arbeiter.
Das schließt jedoch nicht aus, dass wir sagen können – bei der Prüfung der Formel, um die es geht, „ich denke, also bin ich“ –, dass uns die Formel, hinsichtlich des Gebrauchs, der davon gemacht wird, nur vor ein Problem stellen kann. Denn es empfiehlt sich, den Ausspruch „ich denke“ zu befragen – wie weit das Feld, das wir dem |{16} Denken vorbehalten haben, auch sein mag –, um zu sehen, ob er die Merkmale des Denkens erfüllt, um zu sehen, ob er die Merkmale dessen erfüllt, was wir als einen Gedanken bezeichnen können. Es ist ja möglich, dass es sich um einen Ausspruch handelt, der sich als völlig unzureichend erweist, irgendetwas von dem aufrechtzuerhalten, was wir letztlich von der Präsenz des „ich bin“ feststellen können. Und das ist genau das, was ich behaupte.
Um meine These zu verdeutlichen, möchte ich auf Folgendes hinweisen: Das „ich denke“, wenn man es ganz kurz in dieser Form nimmt, ist logisch nicht tragfähiger, nicht belastbarer als das „ich lüge“, das für eine Reihe von Logikern bereits ein Problem darstellte, dieses „ich lüge“, das sich nur aufrechterhält durch das sicherlich leere, aber dennoch haltbare logische Oszillieren, das diesen Anschein von Sinn entfaltet, der im Übrigen völlig ausreicht, um in der formalen Logik seinen Platz zu finden. „Ich lüge“, wenn ich das sage, ist es wahr, also lüge ich nicht – aber dennoch lüge ich, denn indem ich sage „ich lüge“, behaupte ich das Gegenteil.
Es ist sehr einfach, diese angebliche logische Schwierigkeit aufzulösen und zu zeigen, dass die angebliche Schwierigkeit, auf der dieses Urteil beruht, in Folgendem besteht: Das Urteil, das der Ausdruck enthält, darf sich nicht auf dessen Ausgesagtes beziehen. Das ist ein Kollaps. Diese berühmte Schwierigkeit entsteht dadurch, dass die Unterscheidung zweier Ebenen fehlt, dadurch, dass angenommen wird, dass sich das „ich lüge“ auf die Artikulation von „ich lüge“ selbst bezieht und nicht davon unterschieden wird. Dies, um Ihnen zu sagen, dass es sich mangels dieser Unterscheidung nicht um eine echte Aussage (proposition) handelt.
{17} Diese kleinen Paradoxien, von denen die Logiker übrigens viel her machen, um sie sofort aufs rechte Maß zurückzubringen, können als schlichter unterhaltsamer Zeitvertreib durchgehen. Gleichwohl sind sie von Interesse; man muss sie festhalten, um die wahre Position jeder formalen Logik insgesamt aufzuzeigen, nicht zuletzt die des berühmten logischen Positivismus, über den ich vorhin gesprochen habe.
Ich meine damit, dass man unserer Ansicht nach von der berühmten Aporie des Epimenides nicht hinreichend Gebrauch gemacht hat, die nur eine weiter entwickelte Form dessen ist, was ich Ihnen gerade zu dem „ich lüge“ vorgestellt habe – „›Alle Kreter sind Lügner‹, sagt Epimenides der Kreter“, und sogleich sehen Sie das kleine Drehkreuz, das hier entsteht.
Man hat davon keinen hinreichenden Gebrauch gemacht, um die Nichtigkeit der berühmten sogenannten bejahenden universalen Aussage A aufzuzeigen. Denn, so wollen wir dazu anmerken, hier gibt es ja tatsächlich, wie wir noch sehen werden, die interessanteste Form, die Schwierigkeit aufzulösen. Denn beachten Sie, was geschieht, wenn man Folgendes annimmt – was möglich ist, was in der Kritik an der berühmten universalen Bejahung A angenommen wurde, über die einige behauptet haben, nicht ohne Grund, deren Substanz sei nie eine andere gewesen als die einer negativen Existenzaussage – : „Es gibt keinen Kreter, der nicht fähig wäre zu lügen“, wenn man von da ausgeht, gibt es kein Problem mehr. Epimenides kann das deshalb sagen, weil er, wenn es so ausgedrückt wird, keineswegs sagt, es gebe jemanden, und sei er ein Kreter, der ohne Unterbrechung lügen könnte, vor allem wenn man |{18} bedenkt, dass fortdauernd zu lügen ein nie erlahmendes Erinnerungsvermögen voraussetzt, das dafür sorgen würde, dass er der Rede letztlich eine Richtung gibt, die das Äquivalent eines Geständnisses wäre, derart, dass ihm – selbst wenn „Alle Kreter sind Lügner“ bedeutet, dass es keinen Kreter gibt, der nicht ununterbrochen lügen will –, dass ihm die Wahrheit irgendwann dann doch herausrutschen wird, je stärker dieser Wille, desto eher.
Die plausibelste Bedeutung des Eingeständnisses des Kreters Epimenides, dass alle Kreter Lügner sind, kann nur Folgendes sein, dass er sich, erstens, damit brüstet, und, zweitens, dass er Sie damit verwirren will, indem er Sie ganz freimütig vor seiner Methode warnt; dahinter steckt jedoch keine andere Absicht. Das ist genauso erfolgreich wie dieses andere Vorgehen, bei dem man ankündigt, dass man selbst nicht höflich ist, dass man absolut offen ist – das ist ja der Typ, der Sie dazu bringen will, ihm seinen gesamten Bluff abzunehmen.
Was ich sagen will, ist, dass jede universale Affirmation A, im formalen Sinne der Kategorie, dieselben krummen Absichten hat, und es ist sehr hübsch zu sehen, wie diese Absichten in den klassischen Beispielen deutlich hervortreten.
Dass ausgerechnet Aristoteles sich die Mühe macht, zu offenbaren, dass Sokrates sterblich ist, sollte doch ein gewisses Interesse bei uns wecken, das heißt Raum für etwas bieten, das wir bei uns wohl Deutung oder Interpretation nennen können, in dem Sinne, dass dieser Ausdruck beansprucht, etwas weiter zu gehen als die Funktion, die man sogar im Titel eines der Bücher der Logik von Aristoteles findet.
Denn obwohl derjenige, den Athen als Sokrates bezeichnet, als menschliches |{19} Tier des Todes gewiss ist, ist es dennoch so, dass er diesem, als derjenige, der Sokrates genannt wird, entgeht, und offensichtlich nicht nur deshalb, weil sein Ruhm so lange fortdauern wird, wie die von Platon vollzogene fabelhafte Übertragungsoperation lebendig bleibt, sondern noch genauer nur deshalb, weil es ihm gelungen ist, sich, ausgehend von seiner sozialen Identität, als dieses Wesen der Atopie zu konstituieren, das ihn kennzeichnet; nur deshalb konnte besagter Sokrates, derjenige, den man in Athen so nennt – aus diesem Grunde konnte er nicht ins Exil gehen –, nur deshalb konnte er sich im Begehren nach seinem eigenen Tod so sehr halten, dass er daraus das acting out seines Lebens machte. Dazu kam noch die Unbeschwertheit, dem Asklepios den brühmten Hahn zu entrichten, wie man es getan hätte, wenn man die Empfehlung hätte aussprechen müssen, den Maronenverkäufer an der Ecke nicht zu schädigen.
Es gibt bei Aristoteles also etwas, das wir als Versuch deuten können, eine Übertragung auszutreiben, die er als Hindernis für die Entwicklung des Wissens ansah. Das war übrigens ein Irrtum seinerseits, denn der Misserfolg ist offensichtlich.
Damit die Dinge einen anderen Ausgang nehmen, musste man in der Denaturierung des Begehrens sicherlich noch ein bisschen weiter gehen als Platon. Die moderne Wissenschaft ist aus einem Hyperplatonismus heraus entstanden und keineswegs aus der aristotelischen Rückkehr zur Funktion des Wissens als etwas, das letztlich den Status des Begriffs hat. |{20} Es war ja etwas nötig, das wir als zweiten Tod der Götter bezeichnen können, nämlich ihre gespenstische Wiederkehr in der Zeit der Renaissance, damit das Wort uns seine wahre Wahrheit zeigte, diejenige, die nicht etwa die Illusionen vertreibt, sondern die Dunkelheit des Sinns, woraus die moderne Wissenschaft hervorgeht.
Also, wie gesagt, der Satz „ich denke“ ist insofern interessant, als er uns – das ist das Mindeste, was wir daraus ableiten können – die Dimension des Willens zeigt, die das Urteil hat. Darüber müssen wir nicht allzu viel sagen; die beiden Linien <des Graphen>, die wir als Äußerung (énonciation) und Ausgesagtes (énoncé) unterscheiden, sind für uns hinreichend, um behaupten zu können, dass wir in dem Maße, wie diese beiden Linien sich verwirren und vermengen, vor der Paradoxie stehen können, die zu der Sackgasse des „ich lüge“ führt, bei der ich Sie einen Moment lang festgehalten habe. Und der Beweis, dass es genau darum geht, besteht darin, dass ich zugleich lügen und mit derselben Stimme sagen kann, dass ich lüge. Wenn ich diese Stimmen unterscheide, ist das durchaus zulässig. Wenn ich sage: „Er sagt, dass ich lüge“, versteht sich das von selbst, das begründet keinen Einwand, genauso wenig, wie wenn ich sagen würde: „Er lügt“; ich kann aber sogar sagen: „Ich sage, dass ich lüge.“
Es gibt hier jedoch etwas, wobei wir uns aufhalten sollten, nämlich wenn ich sage: „Ich weiß, dass ich lüge“, dann hat das etwas völlig Überzeugendes, wobei wir als Analytiker innehalten müssen, denn als Analytiker wissen wir ja, dass das Originelle, das |{21} Lebendige und das Ergreifende unserer Intervention darin besteht, dass wir sagen können, dass wir zum Sagen gemacht sind, dazu, uns in genau der entgegengesetzten, aber streng korrelativen Dimension zu bewegen, die darin besteht, zu sagen: „Aber nein, du weißt nicht, dass du die Wahrheit sagst“ – was sofort weiterführt. Und mehr noch: „Du sagst sie nur in dem Maße so gut, wie du zu lügen glaubst, und wenn du nicht lügen willst, dann nur, um dich vor dieser Wahrheit besser zu schützen.“ Diese Wahrheit, so scheint es, kann man nur durch dieses Schimmern erreichen, die Wahrheit, die insofern ein Mädchen ist – Sie erinnern sich an unsere Termini –, als sie ihrem Wesen nach, wie jedes andere Mädchen, nur eine Verirrte wäre.
Nun ja, mit dem „ich denke“ ist es genauso. Es scheint ja, wenn das so leicht durchgeht, bei denjenigen, die es buchstabieren oder seine Botschaft weiterverbreiten, bei den Professoren, dann kann das nur daran liegen, dass sie sich nicht allzu sehr dabei aufhalten. Wenn wir an das „ich denke“ dieselben Anforderungen stellen wie an das „ich lüge“, dann wird das entweder bedeuten: „ich denke, dass ich denke“, was heißt, dass man über nichts anderes als das „ich denke“ der Meinung oder der Einbildung spricht; „ich denke“, so wie Sie das sagen, wenn Sie sagen: „Ich denke, dass sie mich liebt“, was bedeutet, dass der Ärger losgeht. Wenn man Descartes durchgeht, selbst im Text der Meditationen, ist man über die Anzahl der Vorkommnisse überrascht, bei denen das „ich denke“ nichts anderes ist als diese eigentlich imaginäre Notation, auf die keine sogenannte radikale Evidenz jemals gegründet werden kann oder daran festgemacht werden kann.
Oder aber dies bedeutet: „ich bin ein denkendes Wesen“, was natürlich heißt, von vornherein den gesamten Prozess umzuwerfen, der ja darauf abzielt, |{22} aus dem „ich denke“ einen Status ohne Vorurteil hervorgehen zu lassen wie auch ohne Selbstgefälligkeit in Bezug auf meine Existenz. Wenn ich damit beginne, dass ich sage: „Ich bin ein être, ein Sein/Wesen“, dann bedeutet das: „Ich bin ein Sein, das für das Sein wesentlich ist, ohne Zweifel.“ Es ist nicht nötig, mehr davon hinzuwerfen; sein Denken kann man für den persönlichen Gebrauch aufsparen.
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Nachdem wir das aufgezeigt haben, stoßen wir auf etwas, das wichtig ist, wir stoßen auf die Ebene, auf den dritten Ausdruck, den wir beim „ich lüge“ angesprochen haben, dass man nämlich sagen kann: „Ich weiß, dass ich denke“, und das verdient es durchaus, dass wir uns damit befassen. Denn darauf beruht ja alles, was eine bestimmte Phänomenologie in Bezug auf das Subjekt entwickelt hat.
Und hier bringe ich eine Formel ein, die wir bei den nächsten Malen wieder aufgreifen werden, nämlich die folgende: Womit wir es zu tun haben und wie uns das aufgegeben ist, weil wir Psychoanalytiker sind, ist dies, das radikalste Vorurteil radikal zu subvertieren, unmöglich zu machen, und das ist also das Vorurteil, welches die wahre Stütze der gesamten Entwicklung der Philosophie bildet, und wovon man sagen kann, dass es die Grenze ist, über die unsere Erfahrung hinausgegangen ist, die Grenze, jenseits derer die Möglichkeit des Unbewussten beginnt. Das heißt, auf der philosophischen Linie, die sich ausgehend von den sogenannten cartesischen Untersuchungen des Cogito entwickelt hat, hat es immer |{23} nur ein einziges Subjekt gegeben, das ich, um zu schließen, in dieser Form fixieren möchte: le sujet supposé savoir, das Subjekt, dem zu wissen unterstellt wird.
Sie sollten diese Formel hier mit dem besonderen Widerhall ausstatten, durch den sie in gewisser Weise ihre Ironie, ihre Frage bekommt, und Sie sollten bemerken, dass sie, wenn sie auf die Phänomenologie bezogen wird, insbesondere auf die Hegel’sche, dass dann die Funktion des Subjekts, dem zu wissen unterstellt wird, ihren Wert dadurch erhält, dass sie im Hinblick auf die synchrone Funktion eingeschätzt wird, die sich in diesem Zusammenhang entfaltet: ihre Präsenz, seit Beginn der phänomenologischen Untersuchung immer schon vorhanden, an einem bestimmten Punkt, an einem bestimmten Knoten der Struktur, wird es uns gestatten, uns von der diachronen Entfaltung, die uns zum absoluten Wissen führen soll, zu lösen.
Im Lichte dieser Frage nimmt, wie wir sehen werden, eben dieses absolute Wissen einen einzigartig widerlegbaren Wert an; hierzu heute jedoch nur dies: Wir sollten aufhören, den Misstrauensantrag zu stellen, der darin besteht, das vermeintliche Wissen, als unterstelltes Wissen, irgendjemandem zuzuschreiben, sollten uns aber vor allem davor hüten, dem Wissen ein Subjekt zu unterstellen, [lateinisch] subicere. Das Wissen ist intersubjektiv, was nicht heißt, dass es das Wissen von allen ist, sondern dass es das Wissen des Anderen ist, des Anderen mit großem A. Und den Anderen haben wir postuliert; es ist wesentlich, ihn als solchen zu bewahren. Der Andere ist kein Subjekt, das ist ein Ort, auf den man sich, seit Aristoteles, bemüht, die Vermögen des Subjekts zu übertragen.
Natürlich bleibt von diesen Anstrengungen das übrig, was Hegel als Geschichte des Subjekts ausgebreitet hat, das bedeutet |{24} jedoch keineswegs, dass das Subjekt auch nur ein Fitzelchen mehr darüber weiß, worum es geht. Es gerät, wenn ich so sagen darf, nur aufgrund einer unzulässigen Unterstellung in Aufregung, nämlich dass der Andere wisse, also dass es ein absolutes Wissen gebe.
Aber der Andere weiß noch weniger als das Subjekt, und dies aus eben dem Grund, dass er kein Subjekt ist. Der Andere ist die Müllhalde der Vorstellungsrepräsentanzen dieser Wissensunterstellung, und das nennen wir das Unbewusste, insofern das Subjekt sich selbst in dieser Wissensunterstellung verloren hat.
Das Subjekt schleppt es unwissentlich mit sich herum, und es, das sind die Überreste, die zu ihm wiederkehren, von dem, was von seiner Realität hierbei erlitten wird, Überreste, die mehr oder weniger unkenntlich sind. Das Subjekt sieht sie wiederkehren. Es kann sagen oder auch nicht sagen: „Das ist es ja“ oder „Das ist es überhaupt nicht“, dennoch ist es das.
Die Funktion des Subjekts bei Descartes – an diesem Punkt werden wir beim nächsten Mal unseren Diskurs wieder aufnehmen, mit den Resonanzen, die wir dafür in der Analyse finden. Wir werden versuchen, beim nächsten Mal, die Bezüge zur Phänomenologie des Zwangsneurotikers ausfindig zu machen, in einer signifikanten Skandierung, bei der das Subjekt jeder Artikulation immanent ist.
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Französisch/deutsch mit erläuternden Anmerkungen
.{1} L’identification : tel est cette année mon titre et mon sujet.
Die Identifizierung, das ist in diesem Jahr mein Titel und mein Thema.1
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C’est un bon titre, mais pas un sujet commode.
Das ist ein guter Titel aber keineswegs ein bequemes Thema.
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Je ne pense pas que vous ayez l’idée que ce soit une opération ou un processus très facile à concevoir.
Ich nehme nicht an, dass Sie denken, dies sei eine Operation oder ein Vorgang, der ganz leicht zu begreifen wäre.
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S’il est facile à constater, il serait peut-être néanmoins préférable, pour le bien constater, que nous fassions un petit effort pour le concevoir.
Auch wenn er leicht zu erfassen ist, wäre es, um um ihn gut zu erfassen, vielleicht dennoch vorzuziehen, dass wir uns ein wenig anstrengen, um ihn zu begreifen.2
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Il est sûr que nous en avons rencontré assez d’effets pour nous en tenir au sommaire – je veux dire à des choses qui sont sensibles même à notre expérience interne, pour que vous ayez un certain sentiment de ce que c’est.
Mit Sicherheit haben wir genügend Auswirkungen davon erlebt, um summarisch vorgehen können, ich meine, um uns an Dinge zu halten, die sogar für unsere innere Erfahrung spürbar sind, sodass Sie ein bestimmtes Gefühl dafür haben, was das ist.
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Cet effort de concevoir vous paraîtra, du moins cette année, c’est-à-dire une année qui n’est pas la première de notre enseignement, sans aucun doute, par les lieux, les problèmes, auxquels cet effort nous conduira, après coup justifié.
Diese Anstrengung des Begreifens wird Ihnen – zumindest in diesem Jahr, also in einem Jahr, das nicht das erste unserer Lehre ist – durch die Orte und die Probleme, zu denen diese Anstrengung uns führen wird, nachträglich sicherlich als berechtigt erscheinen.
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Nous allons faire aujourd’hui un tout premier petit pas dans ce sens.
Heute wollen wir einen allerersten kleinen Schritt in diese Richtung gehen.
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Je vous demande pardon : cela va peut-être nous mener à faire ces efforts que l’on appelle à proprement parler de pensée.
Bitte entschuldigen Sie, das wird uns möglicherweise dazu bringen, dass wir jene Anstrengungen unternehmen, die man im strengen Sinne des Wortes als solche des Denkens bezeichnet.3
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Cela ne nous arrivera pas souvent, à nous pas plus qu’aux autres.
Das wird uns nicht häufig passieren, uns nicht häufiger als den anderen.
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L’identification, si nous la prenons pour titre, pour thème de notre propos, il convient que nous en parlions autrement que sous la forme, on peut dire mythique, |{2} sous laquelle je l’ai quittée l’année dernière.
Wenn wir die Identifizierung als Titel und als Thema unserer Ausführungen wählen, sollten wir auf andere Weise darüber sprechen als in der, wie man sagen kann, mythischen Form, in der ich sie im letzten Jahr zurückgelassen habe.4
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Il y avait quelque chose de cet ordre, de l’ordre de l’identification éminemment, qui était intéressé, vous vous souvenez, dans ce point où j’ai laissé mon propos l’année dernière, à savoir au niveau où, si je puis dire, la nappe humide à laquelle vous vous représentez les effets narcissiques qui cernent ce roc, ce qui restait émergé dans mon schéma, ce roc auto-érotique dont le phallus symbolise l’émergence : île en somme battue par l’écume d’Aphrodite, fausse île d’ailleurs, puisque aussi bien, comme celle où figure le Protée de Claudel, c’est une île sans amarre, une île qui s’en va à la dérive.
Es gab da etwas von dieser Ordnung, in besonderer Weise von der Ordnung der Identifizierung, die – Sie werden sich erinnern – an dem Punkt ins Spiel kam, an dem ich im letzten Jahr meine Ausführungen beendet habe, also auf der Ebene, auf der, wenn ich so sagen darf, der Wasserspiegel, bei dem Sie sich die narzisstischen Wirkungen vorstellen mögen, die diesen Felsen einschließen, das, was in meinem Schema aufgetaucht blieb, den Felsen des Autoerotismus, dessen Auftauchen der Phallus symbolisiert --; eine Insel also, gegen die der Schaum der Aphrodite anbrandet, eine falsche Insel übrigens, denn sie ist außerdem, wie die Insel, auf der der Claudels Proteus spielt, eine Insel ohne Vertäuung, eine Insel, die abdriftet.5
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Vous savez ce que c’est que le Protée de Claudel : c’est la tentative de compléter l’Orestie par la farce bouffonne qui, dans la tragédie grecque, obligatoirement la complète, et dont il ne nous reste dans toute la littérature que deux épaves de Sophocle, et un Héraclès d’Euripide, si mon souvenir est bon.
Sie wissen, was das ist, der Proteus von Claudel, das ist der Versuch, die Orestie durch die derbe Farce zu ergänzen, mit der die griechische Tragödie notwendigerweise vervollständigt wird und wovon uns in der gesamten Literatur nur zwei Bruchstücke von Sophokles erhalten geblieben sind sowie, falls ich mich recht erinnere, ein Herakles von Euripides.6
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Ce n’est pas sans intention que j’évoque cette référence à propos de cette façon dont, l’année dernière, mon discours sur le transfert se terminait sur cette image de l’identification.
Nicht ohne Absicht erwähne ich das im Zusammenhang damit, wie im letzten Jahr mein Vortrag über die Übertragung mit diesem Bild der Identifizierung endete.
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J’ai eu beau faire, je ne pouvais que faire du beau pour marquer la barrière où le transfert trouve sa limite et son pivot.
Ich hatte ganz schön zu tun, ich konnte nur schön Männchen machen, um die Barriere zu markieren, an der die Übertragung ihre Grenze und ihren Dreh- und Angelpunkt findet.
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Sans aucun doute, ce n’était pas là la beauté dont je vous ai appris qu’elle est la limite du tragique, qu’elle est le point |{3} où la Chose insaisissable nous verse son euthanasie.
Sicherlich war das dort nicht die Schönheit, über die ich Ihnen gesagt habe, dass sie die Grenze des Tragischen bildet, dass sie der Punkt ist, an dem das unfassbare Ding uns seine Euthanasie zuteilt.7
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Je n’embellis rien, quoiqu’on imagine à entendre quelquefois sur ce que j’enseigne quelques rumeurs : je ne vous fais pas la partie trop belle.
Ich beschönige nichts – was auch immer man sich vorstellen mag, wenn man über das, was ich lehre, bisweilen gewisse Gerüchte hört; ich mache das Spiel für Sie nicht zu leicht, nicht zu schön.
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Ils le savent, ceux qui ont autrefois écouté mon séminaire sur l’éthique, celui où j’ai exactement abordé la fonction de cette barrière de la beauté sous la forme de l’agonie qu’exige de nous la Chose pour qu’on la joigne.
Das wissen diejenigen, die damals mein Seminar über die Ethik gehört haben, wo ich genau dies behandelt habe, die Funktion der Barriere der Schönheit in Form der Agonie, die das Ding, damit wir es erreichen, von uns fordert.8
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Voilà donc où se terminait le Transfert l’année dernière.
Hier also endete im letzten Jahr Die Übertragung.9
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Je vous l’ai indiqué, tous ceux qui assistaient aux journées provinciales d’octobre, je vous ai pointé, sans pouvoir vous dire plus, que c’était là une référence cachée dans un comique qui est le point au-delà duquel je ne pouvais pousser plus loin ce que je visais dans une certaine expérience ; indication, si je puis dire, qui est à retrouver dans le sens caché de ce qu’on pourrait appeler les cryptogrammes de ce séminaire… et dont après tout je ne désespère pas qu’un commentaire un jour le dégage et le mette en évidence.
Ich habe Sie darauf hingewiesen, all diejenigen, die bei den Provinzialtagen im Oktober dabei waren, ich habe Sie, ohne Ihnen mehr sagen zu können, darauf aufmerksam gemacht, dass es hier, in etwas Komischem versteckt, einen Bezug gab, nämlich den Punkt, über den hinaus ich das, worauf ich bei einer bestimmten Erfahrung abzielte, nicht weiter treiben konnte, einen Hinweis, wenn ich so sagen darf, der wiederzufinden ist im versteckten Sinn dessen, was man die Kryptogramme dieses Seminars nennen könnte, und wobei ich ja doch nicht die Hoffnung verloren habe, dass eines Tages ein Kommentar diese Bedeutung herauslösen und deutlich machen wird.
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Puisqu’aussi bien il m’est arrivé d’avoir ce témoignage, qui en cet endroit est bon espoir : c’est que le séminaire de l’année avant dernière, celui sur l’éthique, a été effectivement repris – et aux dires de ceux qui ont pu en lire le travail, avec un plein succès – par quelqu’un qui s’est donné la peine de le relire pour en résumer les éléments, |{4} nommément Monsieur Safouan, et j’espère que peut-être ces choses pourront être mises assez vite à votre portée pour que puisse s’y enchaîner ce que je vais vous apporter cette année …d’une année sautant sur la deuxième après elle.
Denn kürzlich habe ich von etwas erfahren, das an dieser Stelle Anlass zur Hoffnung gibt, dass nämlich das Seminar des vorletzten Jahres, das über die Ethik, tatsächlich wieder aufgegriffen worden ist – und nach Aussage derer, die diese Arbeit lesen konnten, mit vollem Erfolg –, durch jemanden, der sich die Mühe gemacht hat, es wiederzulesen, um die Elemente des Seminars zusammenzufassen, nämlich durch Herrn Safouan, und ich hoffe, dass Ihnen diese Dinge vielleicht schnell genug zugänglich gemacht werden können, sodass sich das, was ich in diesem Jahr einbringen möchte, daran anschließen kann – von einem Jahr, das dann auf das zweite danach überspringt.10
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Ceci peut vous sembler poser question, voire être regrettable comme retard : cela n’est pas tout à fait fondé pourtant, et vous verrez que si vous reprenez la suite de mes séminaires depuis l’année 1953… le premier sur Les Écrits techniques, celui qui a suivi sur le moi, la technique et la théorie, freudiennes et psychanalytiques, le troisième sur les Structures freudiennes de la psychose, le quatrième sur la Relation d’objet, le cinquième sur les Formations de l’inconscient, le sixième sur le Désir et son interprétation, puis l’Éthique, le Transfert, l’Identification auquel nous arrivons, en voici neuf, …vous pourrez facilement y retrouver une alternance, une pulsation.
Dies mag Ihnen fragwürdig erscheinen und als Verzögerung sogar bedauerlich, das wäre jedoch nicht völlig begründet, und Sie werden sehen, dass Sie, wenn Sie sich die Reihe meiner Seminare seit 1953 noch einmal ansehen – das erste über die Technischen Schriften, das nächste über das Ich, die Technik bei Freud und in der Psychoanalyse, das dritte über die Freud’schen Strukturen der Psychose, das vierte über die Objektbeziehung, das fünfte über die Bildungen des Unbewussten, das sechste über das Begehren und seine Deutung, dann die Ethik, die Übertragung, die Identifizierung, zu dem wir jetzt kommen, insgesamt also neun –, dass Sie darin unschwer ein Alternieren, ein Pulsieren erkennen können.11
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Vous verrez que de deux en deux domine alternativement la thématique du sujet et celle du signifiant, ce qui, étant donné que c’est par le signifiant, par l’élaboration de la fonction du symbolique que nous avons commencé, nous fait retomber cette année aussi sur le signifiant, puisque nous sommes en chiffre impair, encore que ce dont il s’agit doive être proprement, dans l’identification, le rapport du sujet au signifiant.
Sie werden sehen, dass alle zwei Jahre abwechselnd die Thematik des Subjekts und die des Signifikanten dominiert, was uns, da wir mit dem Signifikanten begonnen haben – mit der Ausarbeitung der Funktion des Symbolischen –, in diesem Jahr, da wir jetzt bei einer ungeraden Zahl sind, erneut auf den Signifikanten zurückkommen lässt, obwohl bei der Identifizierung das, worum es geht, strenggenommen die Beziehung des Subjekts zum Signifikanten sein muss.
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Cette identification donc, dont nous proposons de tenter de donner cette année une notion adéquate, |{5} sans doute l’analyse l’a rendue pour nous assez triviale, comme quelqu’un, qui m’est assez proche et m’entend fort bien, m’a dit : « voici donc cette année ce que tu prends, l’identification », et ceci avec une moue : « l’explication à tout faire ! », laissant percer du même coup quelque déception concernant en somme le fait que, de moi, on s’attendait plutôt à autre chose.
Diese Identifizierung also, bei der wir vorschlagSen, zu versuchen, von ihr in diesem Jahr einen adäquaten Begriff zu geben, ist uns durch die Analyse natürlich recht trivial gemacht geworden, so wie jemand, der mir recht nahe ist und mich sehr gut versteht, zu mir gesagt hat: „Da schau her, was du dieses Jahr nimmst, die Identifizierung!“, und dies mit der Miene: „Damit kann man doch alles erklären!“, wobei zugleich eine gewisse Enttäuschung durchschimmerte, bezogen darauf, dass man von mir ja wohl etwas anderes erwartet hatte.
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Que cette personne se détrompe !
Dieser Jemand soll sich mal nicht täuschen!
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Son attente en effet, de me voir échapper au thème, si je puis dire, sera déçue, car j’espère bien le traiter, et j’espère aussi que sera dissoute la fatigue que ce thème lui suggère à l’avance : je parlerai bien de l’identification même.
Seine Erwartung, dass ich mich, wenn ich so sagen darf, dem Thema entziehe, wird enttäuscht werden, denn ich hoffe durchaus, es zu behandeln, und außerdem hoffe ich, dass die Müdigkeit, die dieses Thema ihm im Voraus nahelegt, sich auflösen wird; ich werde durchaus über die Identifizierung selbst sprechen.
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Pour tout de suite préciser ce que j’entends par là, je dirai que quand on parle d’identification, ce à quoi on pense d’abord, c’est à l’autre à qui on s’identifie, et que la porte m’est facilement ouverte pour mettre l’accent, pour insister sur cette différence de l’autre à l’Autre, du petit autre au grand Autre, qui est un thème auquel, je puis bien dire, vous êtes d’ores et déjà familiarisés.
Um sogleich zu präzisieren, was ich darunter verstehe, möchte ich sagen, dass man, wenn man von Identifizierung spricht, als erstes an den anderen denkt, mit dem man sich identifiziert, und dass sich mir mit Leichtigkeit die Tür öffnet, die Betonung auf den Unterschied zwischen dem anderen und dem Anderen zu legen, zwischen dem kleinen anderen und dem großen Anderen, ein Thema, mit dem Sie, wie ich wohl sagen darf, bereits vertraut sind.12
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Ce n’est pas pourtant par ce biais que j’entends commencer.
Das ist jedoch nicht der Zugang, mit dem ich beginnen möchte.
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Je vais plutôt mettre l’accent sur ce qui, dans l’identification, se pose tout de suite comme faire identique, comme fondé dans la notion du même, et même : du même au même, avec tout ce que ceci soulève de difficultés.
Ich werde den Akzent vielmehr auf das setzen, was sich in Identifizierung sofort als „identisch machen“ darstellt, als etwas, das sich auf den Begriff le même gründet – „das Selbe“ beziehungsweise „das Gleiche“ –, und selbst du même au même – „schon wieder dasselbe“ –, mit all dem, was dies an Schwierigkeiten aufwirft.13
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Vous n’êtes pas sans savoir, même sans pouvoir, assez vite repérer quelles difficultés depuis toujours pour la pensée nous offre ceci : « A est A ».
Sie wissen sehr wohl und können sogar recht schnell feststellen, welche Schwierigkeiten unserem Denken immer schon das Folgende bietet: „A ist A“.14
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{6} Si l’A est tant A que ça, qu’il y reste !
Wenn A dermaßen A ist, dann soll es doch dort bleiben!
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Pourquoi le séparer de lui-même pour si vite le rassembler ?
Warum sollte man es von sich selbst trennen, um es dann ganz schnell wieder zusammenzubringen?
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Ce n’est pas là pur et simple jeu d’esprit.
Das ist nicht einfach ein Gedankenspiel.
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Dites-vous bien, par exemple, que dans la ligne d’un mouvement d’élaboration conceptuelle qui s’appelle le logico-positivisme, où tel ou tel peut s’efforcer de viser un certain but qui serait, par exemple, celui de ne poser de problème logique à moins qu’il n’ait un sens repérable comme tel dans quelque expérience cruciale : il serait décidé à rejeter quoi que ce soit du problème logique qui ne puisse, en quelque sorte, offrir ce garant dernier, en disant que c’est un problème dépourvu de sens comme tel.
Machen Sie sich zum Beispiel klar, dass im Rahmen einer Bewegung der Begriffsentwicklung, die sich logischer Positivismus nennt und bei der sich der eine oder andere bemühen kann, ein gewisses Ziel anzustreben, das beispielsweise darin bestehen soll, ein logisches Problem nur dann zu stellen, wenn es einen Sinn hat, der sich als solcher in einer bestimmten Erfahrung nachweisen lässt, dass man sich in diesem Rahmen also entschieden hätte, jedes logische Problem zu verwerfen, welches auch immer, das nicht auf irgendeine Weise diesen letzten Garanten bieten könnte, indem man sagt, das sei ein Problem ohne jeden Sinn.15
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Il n’en reste pas moins que, si Russell peut donner en ses Principes Mathématiques, une valeur à l’équation, à la mise à égalité, de A = A, tel autre, Wittgenstein, s’y opposera en raison proprement d’impasses qui lui semblent en résulter au nom des principes de départ.
Dennoch bleibt, dass, während Russell in seinen Principia Mathematica der Gleichung, der Gleichsetzung A gleich A einen Wert geben kann, ein anderer, Wittgenstein, sich dem widersetzen sollte, aufgrund der Sackgassen, die ihm, im Namen der Ausgangsprinzipien, daraus hervorzugehen scheinen.16
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Et ce refus sera même apposé algébriquement : une telle égalité s’obligeant donc à un détour de notation pour trouver ce qui peut servir d’équivalent à la reconnaissance de l’identité « A est A ».
Und diese Zurückweisung wird sogar algebraisch vorgebracht; eine Gleichheit dieser Art verpflichtet sich demnach auf einen Umweg über die Notation, um festzustellen, was für die Anerkennung der Identität „A ist A“ als Äquivalent dienen kann.17
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Pour nous, nous allons – ceci étant posé : que ce n’est pas du tout la voie du logico-positivisme qui nous paraît, en matière de logique, être d’aucune façon celle qui est justifiée – nous interroger, je veux dire : au niveau d’une expérience de parole, celle à laquelle nous faisons confiance à travers ses équivoques, |{7} voire ses ambiguïtés –, sur ce que nous pouvons aborder sous ce terme de d’identification.
Was uns angeht, so werden wir uns – einmal vorausgesetzt, dass es keineswegs der Weg des logischen Positivismus ist, der uns in Sachen Logik in irgendeiner Weise als derjenige erscheint, der gerechtfertigt wäre –, so werden wir uns Fragen stellen – ich meine auf der Ebene einer Erfahrung des Sprechens, derjenigen, in die wir, vermittels der Äquivokationen, ja der Mehrdeutigkeiten des Sprechens, unser Vertrauen setzen –, Fragen dazu, was wir mit dem Ausdruck Identifizierung angehen können.
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Vous n’êtes pas sans savoir qu’on observe dans l’ensemble des langues certains virages historiques assez généraux, voire universels, pour qu’on puisse parler de syntaxes modernes en les opposant globalement aux syntaxes, non pas archaïques, mais simplement anciennes, entendons des langues de ce qu’on appelle l’Antiquité.
Es ist Ihnen nicht unbekannt, dass man in sämtlichen Sprachen bestimmte historische Umbrüche beobachtet, Umbrüche, die genügend allgemein sind, ja sogar universell, sodass man von modernen Syntaxen sprechen kann, wobei man sie global nicht etwa den archaischen, sondern einfach den alten Syntaxen gegenüberstellt, worunter wir Sprachen der sogenannten Antike verstehen wollen.
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Ces sortes de virages généraux, je vous l’ai dit, sont de syntaxe.
Diese Arten von allgemeinen Umbrüchen sind, wie gesagt, solche der Syntax.
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Il n’en est pas de même du lexique, où les choses sont beaucoup plus mouvantes.
Anders ist es mit dem Wortschatz, hier sind die Dinge weitaus mehr in Bewegung.
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En quelque sorte, chaque langue apporte, par rapport à l’histoire générale du langage, des vacillations propres à son génie; et qui les rendent, telle ou telle, plus propice à mettre en évidence l’histoire d’un sens.
In gewissem Sinne weist jede Sprache, verglichen mit der allgemeinen Sprachgeschichte, Schwankungen auf, die ihrem Genie eigen sind und worin diese oder jene Sprache besser geeignet ist, die Geschichte einer Bedeutung aufzuzeigen.18
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C’est ainsi que nous pourrons nous arrêter à ce qui est le terme – ou substantifique notion du terme – de l’identité.
So werden wir also beim Ausdruck Identität innehalten können beziehungsweise beim substantivischen Begriff dieses Ausdrucks.
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Dans identité, identification, il y a le terme latin idem, et ce sera pour vous montrer que quelque expérience significative est supportée dans le terme français vulgaire, support de la même fonction signifiante, celui du même.
In Identität, Identifizierung steckt der lateinische Ausdruck idem, und das soll Ihnen zeigen, dass eine bedeutsame Erfahrung durch den vulgärfranzösischen Ausdruck, den Träger derselben Funktion, gestützt wird, durch den Signifikanten même: „gleich“, „selbst“.19
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Il semble en effet que ce soit le em, suffixe du id dans idem, ce en quoi nous trouvons opérer la fonction, je dirai, de radical dans l’évolution de l’indo-européen au niveau d’un certain nombre, de langues italiques.
Es scheint ja, dass das em – das Suffix von id im lateinischen Wort idem – das ist, worin wir auf Folgendes stoßen: auf das Wirken der Radikalfunktion, wie ich sagen möchte, in der Entwicklung des Indoeuropäischen bei einer Reihe von italischen Sprachen.20
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Cet em est ici – [dans même] – redoublé : consonne antique, qui se retrouve donc comme le résidu, le reliquat, le retour à une |{8} thématique primitive, mais non sans avoir recueilli au passage la phase intermédiaire de l’étymologie, positivement : de la naissance de ce même, qui est un metipsum familier latin, et même un metipsissimum du bas latin expressif, donc pousse à reconnaître dans quelle direction ici l’expérience nous suggère de chercher le sens de toute identité : au cœur de ce qui se désigne par une sorte de redoublement de moi-même.
Dieses em ist hier [in même mit seinen beiden m] verdoppelt: ein antiker Konsonant, der sich somit als Überbleibsel, als Rest, als Wiederkehr einer frühen Thematik erweist, jedoch nicht ohne unterwegs die Zwischenphase der Etymologie mitgenommen zu haben, positiv formuliert: die Phase der Entstehung des même, das ein vulgärlateinisches metipsum ist [„es selbst“] und sogar ein metipsissimum des expressiven Spätlateinischen [„ganz es selbst“], was uns also dazu drängt, dass wir erkennen, in welcher Richtung – wie uns hier die Erfahrung nahelegt – der Sinn jeder Identität zu suchen ist: im Herzen dessen, was durch eine Art Verdoppelung bezeichnet wird, von moi-même, von „ich selbst“.21
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Ce moi-même étant – vous le voyez – déjà ce metipsissimum, une sorte d’au jour d’aujourd’hui dont nous ne nous apercevons pas, et qui est bien là dans le moi-même.
Dieses moi-même ist, wie Sie sehen, bereits dieses metipsissimum, eine Art von au jour d’aujourd’hui, das wir nicht bemerken und das im moi-même ja vorhanden ist.22
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C’est alors dans un metipsissimum que s’engouffrent après le moi, le toi, le lui, le elle, le eux, le nous, le vous, et jusqu’au soi qui se trouve donc en français être un soi-même.
Es ist also ein metipsissimum, wohinein sich danach das ich stürzt, das du, das er, das singularische sie, das plurale sie, das wir, das ihr, bis hin zum sich, das im Französischen also ein soi-même ist, ein „sich selbst“.
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Aussi nous voyons là en somme, dans notre langue, une sorte d’indication d’un travail, d’une tendance significative spéciale, que vous me permettrez de qualifier de mihilisme, pour autant qu’à cet acte, cette expérience du moi se réfère.
Auch sehen wir hier insgesamt in unserer Sprache so etwas wie den Hinweis auf eine Arbeit, auf eine bestimmte bedeutsame Tendenz, die Sie mir erlauben werden, als Mihilismus zu qualifizieren, insofern diese Erfahrung des Ichs (moi) sich auf diesen Akt bezieht.23
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Bien sûr, la chose n’aurait d’intérêt qu’incidemment, si nous ne devons pas en retrouver d’autres traits où se révèle ce fait, cette différence nette et facile à repérer, si nous pensons qu’en grec, le αὐτός [autos] du soi est celui qui sert à désigner aussi le même, de même qu’en allemand et en anglais, le selbst ou le self qui viendront à fonctionner pour désigner l’identité.
Natürlich wäre die Sache nur beiläufig von Interesse, sollten wir davon nicht noch weitere Merkmale finden, in denen sich die folgende Tatsache, dieser klar und einfach auszumachende Unterschied zeigt, wenn wir bedenken, dass im Griechischen das αὐτός [autos] des selbst auch dazu dient, das selbe zu bezeichnen, so wie im Deutschen und im Englischen das selbst* beziehungsweise das self die Funktion haben wird, die Identität zu bezeichnen.
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Donc, cette espèce de métaphore permanente dans la locution française, |{9} c’est, je crois, pas pour rien que nous la relevons ici, et que nous nous interrogeons.
Also, diese Art von dauerhafter Metapher in der französischen Ausdrucksweise – dass wir sie hier aufgreifen und uns Fragen dazu stellen, ist, denke ich, nicht umsonst.24
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Nous laisserons entrevoir qu’elle n’est peut-être pas sans rapport avec le fait – d’un bien autre niveau – que ce soit en français, je veux dire dans Descartes, qu’ait pu se penser l’être comme inhérent au sujet, sous un mode en somme que nous dirons assez captivant pour que depuis que la formule a été proposée à la pensée, on puisse dire qu’une bonne part des efforts de la philosophie consiste à chercher à s’en dépêtrer.
Wir möchten ahnen lassen, dass sie vielleicht nicht ohne Beziehung zu der Tatsache ist – auf einer ganz anderen Ebene –, dass es das Französische war, ich meine bei Descartes, worin das Sein als etwas gedacht werden konnte, das dem Subjekt immanent ist, dass es auf eine Weise gedacht werden konnte, die, möchten wir sagen, so bestechend ist, dass man sagen kann, seit diese Formel dem Denken vorgeschlagen wurde, besteht ein guter Teil der Anstrengungen der Philosophie darin, dass man sich bemüht, sich davon zu befreien.25
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Et de nos jours de façon de plus en plus ouverte, n’y ayant, si je puis dire, nulle thématique de philosophie qui ne commence – à de rares exceptions – par tenter de surmonter ce fameux je pense, donc je suis.
Und heutzutage zunehmend offener, denn es gibt, wenn ich so sagen darf, keine Thematik der Philosophie, die nicht, mit wenigen Ausnahmen, damit beginnt, dass versucht wird, das berühmte „ich denke, also bin ich“ zu überwinden.
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Je crois que ce n’est pas pour nous une mauvaise porte d’entrée, que ce « je pense, donc je suis » marque le premier pas de notre recherche.
Ich glaube, es ist für uns kein schlechter Einstieg, dass dieses „ich denke, also bin ich“ den ersten Schritt unserer Untersuchung kennzeichnet.26
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Il est entendu que ce « je pense, donc je suis » est dans la démarche de Descartes.
Es versteht sich, dass das „ich denke, also bin ich“ zum Vorgehen von Descartes gehört.
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Je pensais vous l’indiquer en passant, mais je vous le dis tout de suite.
Ich hatte vor, Sie am Rande darauf hinzuweisen, aber ich sage es Ihnen gleich:
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Ce n’est pas un commentaire de Descartes que je [ne] puis d’aucune façon aujourd’hui tenter d’aborder, et je n’ai pas l’intention de le faire.
Dies ist kein Kommentar zu Descartes, ich könnte in keiner Weise versuchen, ihn heute in Angriff zu nehmen und ich habe nicht die Absicht, ihn zu liefern.
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Le « je pense, donc je suis » bien sûr, si vous vous reportez aux textes de Descartes, est, tant dans le Discours que dans les Méditations, infiniment plus fluent, plus glissant, plus vacillant que sous cette espèce |{10} lapidaire où il se marque, autant dans votre mémoire que dans l’idée passive, ou sûrement inadéquate, que vous pouvez avoir du procès cartésien.
Das „ich denke, also bin ich“ ist natürlich, wenn Sie sich auf die Texte von Descartes beziehen, in der Abhandlung über die Methode wie auch in den Meditationen unendlich viel fließender, gleitender, schwankender als in der lapidaren Form, in der es sich eingeprägt hat, sowohl Ihrem Gedächtnis als auch in der passiven oder sicherlich inadäquaten Idee, die Sie vom cartesischen Vorgehen haben mögen.27
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Comment ne serait-elle pas inadéquate, puisque, aussi bien, il n’est pas un commentateur qui s’accorde avec l’autre pour lui donner son exacte sinuosité.
Wie sollte sie auch nicht inadäquat sein, denn es gibt ja keinen Kommentator, der, wenn es darum geht, es in seinen Windungen genau zu erfassen, mit dem anderen übereinstimmt.
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C’est donc non sans quelque arbitraire et cependant avec suffisamment de raisons que, ce fait, que cette formule qui pour vous fait sens et est d’un poids qui dépasse sûrement l’attention que vous avez pu lui accorder jusqu’ici, je vais aujourd’hui m’y arrêter pour montrer une espèce d’introduction que nous pouvons y retrouver.
Es ist also nicht ohne eine gewisse Willkür und doch mit genügend Gründen, dass diese Tatsache, dass ich auf diese Formel – die für Sie einen Sinn ergibt und deren Gewicht über die Aufmerksamkeit, die Sie ihr bislang widmen konnten, sicherlich hinausgeht –, dass ich heute also darauf eingehen werde, um so etwas wie eine Einführung aufzuzeigen, die wir darin finden können.
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Il s’agit pour nous, au point de l’élaboration où nous sommes parvenus, d’essayer d’articuler d’une façon plus précise ceci que nous avons déjà avancé plus d’une fois comme thèse : que rien d’autre ne supporte l’idée traditionnelle philosophique d’un sujet, sinon l’existence du signifiant et de ses effets.
An dem Punkt der Ausarbeitung, an dem wir angelangt sind, geht es uns darum, zu versuchen, auf präzisere Weise etwas zu artikulieren, das wir bereits mehr als einmal als These vorgebracht haben, nämlich dass die traditionelle philosophische Vorstellung von einem Subjekt durch nichts anderes gestützt wird als durch die Existenz des Signifikanten und seiner Wirkungen.
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Une telle thèse, qui, vous le verrez, sera essentielle pour toute incarnation que nous pourrons donner par la suite des effets de l’identification, exige que nous essayons d’articuler d’une façon plus précise comment nous concevons effectivement cette dépendance de la formation du sujet par rapport à l’existence d’effets du signifiant comme tel.
Eine solche These – die, wie Sie sehen werden, wesentlich ist für jede Verkörperung, die wir den Wirkungen der Identifizierung im Folgenden geben können –, eine solche These verlangt, dass wir genauer zu artikulieren versuchen, wie wir das Folgende tatsächlich auffassen: die Abhängigkeit der Subjektbildung von der Existenz der Wirkungen des Signifikanten als solchen.
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Nous irons même plus loin, à dire que si nous donnons au mot pensée un sens technique – la pensée de ceux dont c’est le métier de penser – on |{11} peut, à y regarder de près, et en quelque sorte après coup, s’apercevoir que rien de ce qui s’appelle pensée n’a jamais rien fait d’autre que de se loger quelque part à l’intérieur de ce problème.
Wir möchten sogar noch weiter gehen und sagen, wenn wir dem Wort Denken eine technische Bedeutung geben: das Denken derjenigen, deren Beruf es ist zu denken, dann können wir feststellen – wenn wir genauer hinschauen und gewissermaßen nachträglich –, dass nichts von dem, was Denken heißt, jemals etwas anderes getan hat als sich irgendwo im Inneren dieses Problems zu verorten.28
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À ce signe nous constaterons que nous ne pouvons pas dire que, à tout le moins, nous ne projetions de penser que, d’une certaine façon, que nous le voulions ou non, que vous l’ayez su ou non, toute expérience de l’inconscient qui est la nôtre ici, sur ce qu’est cette expérience, est quelque chose qui se place à ce niveau de pensée où – pour autant que nous y allons sans doute ensemble, mais non pas sans que je vous y conduise – le rapport sensible le plus présent, le plus immédiat, le plus incarné de cet effort est la question que vous pouvez vous poser, dans cet effort, sur ce qui suis-je ?.
Hierbei möchten wir feststellen, dass wir nicht sagen können, zumindest, dass wir nicht vorhatten zu denken, dass in gewisser Weise, ob wir wollen oder nicht, ob Sie es wussten oder nicht, jede Erfahrung des Unbewussten, die hier die unsere ist, darüber, was diese Erfahrung ist, etwas ist, das auf der Ebene des Denkens angesiedelt ist, auf welcher – insofern wir sicherlich zusammen darauf zugehen, jedoch nicht ohne dass ich Sie dorthin führe –, auf welcher die präsenteste, die unmittelbarste, die am stärksten verkörperte spürbare Beziehung dieser Anstrengung die Frage ist, die Sie sich bei dieser Anstrengung stellen können, die nach dem wer bin ich?29
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Ce n’est pas là un jeu abstrait de philosophe, car sur ce sujet du qui suis-je ? – ce à quoi j’essaie de vous initier -, vous n’êtes pas sans savoir, au moins certains d’entre vous, que j’en entends de toutes les couleurs.
Das ist hier kein abstraktes Philosophenspiel, denn was das Thema des wer bin ich? angeht, in das ich Sie einführen möchte, so ist Ihnen nicht unbekannt, zumindest einigen unter Ihnen, dass ich dazu sehr Unterschiedliches zu hören bekomme.
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Ceux qui le savent peuvent être, bien entendu, ceux de qui je l’entends, et je ne mettrai personne dans la gêne à publier là-dessus ce que j’en entends.
Diejenigen, die das wissen, können natürlich diejenigen sein, von denen ich es höre, und ich werde niemanden in die Verlegenheit bringen, über das, was ich da so zu hören kriege, etwas zu veröffentlichen.
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D’ailleurs pourquoi le ferai-je, puisque je vais vous accorder que la question est légitime ?
Warum sollte ich das übrigens tun, da ich Ihnen ja zugestehen werde, dass die Frage legitim ist?
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Je peux vous emmener très loin sur cette piste, sans que vous soit un seul instant garantie la vérité de ce |{12} que je vous dis, encore que dans ce que je vous dis il ne s’agisse jamais que de la vérité.
Auf dieser Bahn kann ich Sie sehr weit führen, ohne dass für Sie auch nur einen Moment lang die Wahrheit dessen, was ich Ihnen sage, garantiert wäre, obwohl es in dem, was ich Ihnen sage, immer nur um Wahrheit geht.30
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Et dans ce que j’en entends, pourquoi après tout ne pas dire que cela va jusque dans les rêves de ceux qui s’adressent à moi.
Und bei dem, was ich so zu hören kriege, warum sollte ich schließlich nicht sagen, dass es bis in die Träume derjenigen hineinreicht, die sich an mich wenden.
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Je me souviens d’un d’entre eux – on peut citer un rêve : « Pourquoi – rêvait un de mes analysés – ne dit-il pas le vrai sur le vrai ? ».
Ich erinnere mich an einen davon, wir können einen Traum zitieren: „Warum“, so träumte einer meiner Analysierten, „sagt er nicht das Wahre über das Wahre?“31
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C’était de moi qu’il s’agissait dans ce rêve.
Das war ich, um den es in diesem Traum ging.
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Ce rêve n’en débouchait pas moins, chez mon sujet tout éveillé, à me faire grief de ce discours où, à l’entendre, il manquerait toujours le dernier mot.
Der Traum führte jedoch dazu, dass mir mein Subjekt, nun ganz wach, Vorwürfe machte, zu dieser Rede, in der, wie er meinte, immer das letzte Wort fehlen würde.32
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Cela n’est pas résoudre la question que de dire : « Les enfants que vous êtes attendent toujours, pour croire, que je dise la vraie vérité. »
Die Frage lässt sich nicht so lösen, dass man sagt: „Kinder, die ihr seid, ihr wartet, um zu glauben, immer darauf, dass ich die wahre Wahrheit sage.“
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Car ce terme la vraie vérité a un sens, et je dirai plus, c’est sur ce sens qu’est édifié tout le crédit de la psychanalyse.
Denn dieser Ausdruck, die wahre Wahrheit, hat einen Sinn, und ich möchte noch mehr sagen, auf diesem Sinn beruht der gesamte Kredit der Psychoanalyse.
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La psychanalyse s’est d’abord présentée au monde comme étant celle qui apportait la vraie vérité.
Die Psychoanalyse hat sich der Welt zunächst als diejenige präsentiert, die die wahre Wahrheit liefert.33
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Bien sûr on retombe vite dans toutes sortes de métaphores qui font fuir la chose.
Natürlich fällt man schnell auf alle möglichen Metaphern zurück, die die Sache in die Flucht schlagen.
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Cette vraie vérité, c’est le dessous des cartes, il y en aura toujours un, même dans le discours philosophique le plus rigoureux.
Die wahre Wahrheit, das ist die verborgene Seite, und die wird es immer geben, selbst im strengsten philosophischen Diskurs.34
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C’est là-dessus qu’est fondé notre crédit dans le monde.
Darauf gründet sich unser Kredit in der Welt.
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Et le stupéfiant c’est que ce crédit dure toujours, quoique, depuis un bon bout de temps, on n’ait pas fait le moindre effort pour donner un petit bout de commencement de quelque chose qui y réponde.
Und das Erstaunliche ist, dass dieser Kredit immer noch läuft, obwohl man seit geraumer Zeit nicht die geringste Anstrengung unternommen hat, auch nur den kleinsten Ansatz von etwas zu liefern, das dem gerecht würde.
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Dès lors, je me sens pas mal honoré qu’on |{13} m’interroge sur ce thème : « Où est la vraie vérité de votre discours ? ».
Von daher fühle ich mich nicht wenig geehrt, dass ich zu diesem Thema befragt werde: „Wo ist die wahre Wahrheit Ihres Diskurses?“
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Et je peux même après tout trouver que c’est bien justement en tant qu’on ne me prend pas pour un philosophe, mais pour un psychanalyste, qu’on me pose cette question.
Und ich kann ja sogar feststellen, dass man mir diese Frage genau insofern stellt, als man mich nicht für einen Philosophen, sondern für einen Psychoanalytiker hält.
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Car une des choses les plus remarquables dans la littérature philosophique, c’est à quel point entre philosophes, j’entends : en tant que philosophant, on ne pose en fin de compte jamais la même question aux philosophes, sauf pour admettre avec une facilité déconcertante que les plus grands d’entre eux n’ont pas pensé un mot de ce dont ils nous ont fait part noir sur blanc, et se permettent de penser, à propos de Descartes par exemple, qu’il n’avait en Dieu que la foi la plus incertaine, parce que ceci convient à tel ou tel de ses commentateurs, à moins que ce ne soit le contraire qui l’arrange.
Denn eines der bemerkenswertesten Dinge in der philosophischen Literatur ist, wie sehr man unter Philosophen, ich meine, wenn sie philosophieren, den Philosophen letztlich niemals dieselbe Frage stellt, außer, um mit erstaunlicher Leichtigkeit einzuräumen, dass die größten unter ihnen kein Wort von dem gedacht haben, was sie uns schwarz auf weiß übermittelt haben, und dass man sich zu denken erlaubt, beispielsweise im Falle von Descartes, dass er an Gott nur einen ganz unsicheren Glauben hatte, weil das dem einen oder anderen seiner Kommentatoren gelegen kommt, es sei denn, ihm passt das Gegenteil.
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Il y a une chose, en tout cas, qui n’a jamais semblé auprès de personne ébranler le crédit des philosophes, c’est qu’on ait pu parler parler ssà propos de chacun d’eux, et des plus grands, d’une double vérité.
Jedenfalls gibt es eine Sache, die bei niemandem den Kredit der Philosophen je zu erschüttern schien, nämlich dass man bei jedem von ihnen, und sogar bei den größten, von einer doppelten Wahrheit sprechen konnte.35
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Que donc, pour moi qui, entrant dans la psychanalyse, mets en somme les pieds dans le plat en posant cette question sur la vérité, je sente soudain ledit plat s’échauffer sous la plante de mes pieds, ce n’est là après tout qu’une chose dont je puis me réjouir, puisque, si vous y réfléchissez, c’est quand même moi qui ai rouvert le gaz.
Dass ich als jemand, der ich, in die Psychoanalyse eintretend, letztlich in ein Fettnäpfchen trete, indem ich diese Frage nach der Wahrheit stelle, dass ich also plötzlich spüre, wie besagtes Näpfchen unter meinen Sohlen heiß wird, das ist ja etwas, worüber ich mich nur freuen kann, denn, wenn Sie drüber nachdenken, schließlich war ich es ja, der das Gas aufgedreht hatte.36
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{14} Mais laissons cela maintenant, entrons dans ces rapports de l’identité du sujet, et entrons-y par la formule cartésienne dont vous allez voir comment j’entends aujourd’hui l’aborder.
Aber lassen wir das jetzt beiseite, kommen wir zu den Identitätsbeziehungen des Subjekts, und zwar durch die cartesische Formel, von der Sie jetzt sehen werden, wie ich sie heute angehen möchte.
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Il est bien clair qu’il n’est absolument pas question de prétendre dépasser Descartes, mais bien plutôt de tirer le maximum d’effets de l’utilisation des impasses dont il nous connote le fond.
Es ist ja klar, dass es keineswegs darum geht, sich anzumaßen, Descartes zu übertreffen, sondern vielmehr darum, aus der Nutzung der Sackgassen, deren Grundlage er uns aufzeigt, die maximale Wirkung zu ziehen.
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Si l’on me suit donc dans une critique pas du tout commentaire de texte, qu’on veuille bien se rappeler ce que j’entends en tirer pour le bien de mon propre discours.
Wenn man mir also in einer Kritik folgt, die keineswegs ein Textkommentar ist, so möge man sich an das erinnern, was ich daraus im Interesse meines eigenen Diskurses zu ziehen gedenke.
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« Je pense donc je suis » me paraît, sous cette forme concentrer les usages communs, au point de devenir cette monnaie usée, sans figure, à laquelle Mallarmé fait allusion quelque part.
„Ich denke, also bin ich“, das scheint mir in dieser Form die üblichen Verwendungen in sich zu konzentrieren, so sehr, dass es zu der abgegriffenen Münze ohne Gesicht geworden ist, die Mallarmé irgendwo erwähnt.37
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Si nous le retenons un instant et essayons d’en polir la fonction de signe, si nous essayons d’en ranimer la fonction à notre usage, je voudrais remarquer ceci : c’est que cette formule… dont je vous répète que sous sa forme concentrée nous ne la trouvons dans Descartes qu’en certain point du Discours de la Méthode, ce n’est point ainsi, sous cette forme densifiée, qu’elle est exprimée.
Wenn wir das einen Augenblick lang festhalten und versuchen, seine Funktion als Zeichen aufzupolieren, wenn wir versuchen, diese Funktion für unsere Zwecke wiederzubeleben, dann möchte ich bemerken, dass diese Formel – zu der ich Ihnen ein weiteres Mal sage, dass man sie in ihrer konzentrierten Form bei Descartes nur an einer bestimmten Stelle der Abhandlung über die Methode findet –, dass sie keineswegs so, in dieser verdichteten Form, ausgedrückt wird.38
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Ce « je pense, donc je suis » se heurte à cette objection – et je crois qu’elle n’a jamais été faite – c’est que « je pense » n’est pas une pensée.
Dieses „ich denke, also bin ich“ stößt auf den folgenden Einwand, und ich glaube, dass er noch nie vorgebracht worden ist, nämlich dass „ich denke“ kein Gedanke ist.
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Bien entendu, Descartes nous propose cette formule au débouché d’un long processus de pensée, et il est bien certain que la pensée dont il s’agit est une pensée de penseur.
Natürlich, Descartes schlägt uns diese Formel am Ende eines langen Denkprozesses vor, und es ist wohl sicher, dass das Denken, um das es geht, ein Gedanke eines Denkers ist.
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{15} Je dirai même plus : cette caractéristique c’est une pensée de penseur, n’est pas exigible pour que nous parlions de pensée.
Ich möchte sogar noch weiter gehen: Das Merkmal das ist ein Denken eines Denkers ist nicht erforderlich, damit wir von einem Gedanken sprechen können.
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Une pensée, pour tout dire, n’exige nullement qu’on pense à la pensée.
Ein Gedanke, um es klar zu sagen, erfordert keineswegs, dass man an das Denken denkt.
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Pour nous particulièrement, la pensée commence à l’inconscient.
Insbesondere für uns beginnt das Denken mit dem Unbewussten.
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On ne peut que s’étonner de la timidité qui nous fait recourir à la formule des psychologues, quand nous essayons de dire quelque chose sur la pensée : la formule de dire que c’est une action à l’état d’ébauche, à l’état réduit, le petit modèle économique de l’action.
Man kann sich nur wundern über die Zaghaftigkeit, die uns dazu bringt, dass wir, wenn wir versuchen, etwas über das Denken zu sagen, auf die Formel der Psychologen zurückzugreifen, auf die Formel, die lautet, das Denken sei ein Handeln im Entwurfszustand, in verkürztem Zustand – das kleine ökonomische Modell des Handelns.
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Vous me direz qu’on trouve ça dans Freud quelque part.
Sie werden mir sagen, dass man das irgendwo bei Freud findet.39
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Mais bien sûr, on trouve tout dans Freud !
Aber sicher, bei Freud findet man alles.40
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Au détour de quelque paragraphe, il a pu faire usage de cette définition psychologique de la pensée, mais enfin, il est totalement difficile d’éliminer que c’est dans Freud que nous trouvons aussi que la pensée est un mode parfaitement efficace, et en quelque sorte suffisant à soi-même, de satisfaction masturbatoire.
In irgendeinem Absatz hat er wohl mal von dieser psychologischen Definition des Denkens Gebrauch gemacht, aber schließlich ist es ganz schwierig, auszuklammern, dass wir bei Freud auch finden, dass das Denken ein äußerst effektiver und in gewisser Weise selbstgenügsamer Modus der masturbatorischen Befriedigung ist.
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Ceci pour dire que, sur ce dont il s’agit concernant le sens de la pensée, nous avons peut-être un empan un peu plus long que les autres ouvriers.
Womit ich sagen will, dass wir bei dem, worum es beim Denken geht, vielleicht eine etwas größere Spanne haben als die anderen Arbeiter.41
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Néanmoins, ceci n’empêche pas qu’interrogeant la formule dont il s’agit : « je pense, donc je suis », nous puissions dire que, pour l’usage qui en est fait, elle ne peut que nous poser un problème.
Das schließt jedoch nicht aus, dass wir sagen können – bei der Prüfung der Formel, um die es geht, „ich denke, also bin ich“ –, dass uns die Formel, hinsichtlich des Gebrauchs, der davon gemacht wird, nur vor ein Problem stellen kann.
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Car il convient d’interroger cette parole : « je pense », si large que soit le champ que nous ayons réservé à la |{16} pensée, pour voir si elle satisfait les caractéristiques de la pensée, pour voir si elle satisfait les caractéristiques de ce que nous pouvons appeler une pensée.
Denn es empfiehlt sich, den Ausspruch „ich denke“ zu befragen – wie weit das Feld, das wir dem Denken vorbehalten haben, auch sein mag –, um zu sehen, ob er die Merkmale des Denkens erfüllt, um zu sehen, ob er die Merkmale dessen erfüllt, was wir als einen Gedanken bezeichnen können.
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Il se pourrait que ce fût une parole qui s’avérât tout à fait insuffisante à soutenir en rien quoi que ce soit que nous puissions à la fin repérer de cette présence : « je suis ».
Es ist ja möglich, dass es sich um einen Ausspruch handelt, der sich als völlig unzureichend erweist, irgendetwas von dem aufrechtzuerhalten, was wir letztlich von der Präsenz des „ich bin“ feststellen können.
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C’est justement ce que je prétends.
Und das ist genau das, was ich behaupte.
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Pour éclairer mon propos, je pointerai ceci : que « je pense » pris tout court sous cette forme, n’est logiquement pas plus sustentable, pas plus supportable que le « je mens » qui a déjà fait problème pour un certain nombre de logiciens, ce « je mens » qui ne se soutient que de la vacillation logique, vide sans doute mais soutenable, qui déploie ce semblant de sens, très suffisant d’ailleurs pour trouver sa place en logique formelle.
Um meine These zu verdeutlichen, möchte ich auf Folgendes hinweisen: Das „ich denke“, wenn man es ganz kurz in dieser Form nimmt, ist logisch nicht tragfähiger, nicht belastbarer als das „ich lüge“, das für eine Reihe von Logikern bereits ein Problem darstellte, dieses „ich lüge“, das sich nur aufrechterhält durch das sicherlich leere, aber dennoch haltbare logische Oszillieren, das diesen Anschein von Sinn entfaltet, der im Übrigen völlig ausreicht, um in der formalen Logik seinen Platz zu finden.42
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« Je mens » : si je le dis, c’est vrai, donc je ne mens pas, mais je mens bien pourtant, puisqu’en disant « je mens », j’affirme le contraire.
„Ich lüge“, wenn ich das sage, ist es wahr, also lüge ich nicht – aber dennoch lüge ich, denn indem ich sage „ich lüge“, behaupte ich das Gegenteil.
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Il est très facile de démonter cette prétendue difficulté logique, et de montrer que la prétendue difficulté où repose ce jugement tient en ceci : le jugement qu’il comporte ne peut porter sur son propre énoncé.
Es ist sehr einfach, diese angebliche logische Schwierigkeit aufzulösen und zu zeigen, dass die angebliche Schwierigkeit, auf der dieses Urteil beruht, in Folgendem besteht: Das Urteil, das der Ausdruck enthält, darf sich nicht auf dessen Ausgesagtes beziehen.43
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C’est un collapse.
Das ist ein Kollaps.
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C’est de l’absence de la distinction de deux plans – du fait que le « je mens » est censé porter sur l’articulation du « je mens » lui-même, sans qu’on l’en distingue, que naît cette fameuse difficulté.
Diese berühmte Schwierigkeit entsteht dadurch, dass die Unterscheidung zweier Ebenen fehlt, dadurch, dass angenommen wird, dass sich das „ich lüge“ auf die Artikulation von „ich lüge“ selbst bezieht und nicht davon unterschieden wird.
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Ceci pour vous dire que, faute de cette distinction, il ne s’agit pas d’une véritable proposition.
Dies, um Ihnen zu sagen, dass es sich mangels dieser Unterscheidung nicht um eine echte Aussage (proposition) handelt.44
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{17} Ces petits paradoxes, dont les logiciens font grand cas, d’ailleurs pour les ramener immédiatement à leur juste mesure, peuvent passer pour de simples amusements.
Diese kleinen Paradoxien, von denen die Logiker übrigens viel her machen, um sie sofort aufs rechte Maß zurückzubringen, können als schlichter unterhaltsamer Zeitvertreib durchgehen.45
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Ils ont quand même leur intérêt : ils doivent être retenus pour épingler en somme la vraie position de toute logique formelle, jusque et y compris ce fameux logico-positivisme dont je parlais tout à l’heure.
Gleichwohl sind sie von Interesse; man muss sie festhalten, um die wahre Position jeder formalen Logik insgesamt aufzuzeigen, nicht zuletzt die des berühmten logischen Positivismus, über den ich vorhin gesprochen habe.
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J’entends par là qu’à notre avis, on n’a justement pas assez usé de la fameuse aporie d’Épiménide, qui n’est qu’une forme plus développée de ce que je viens de vous présenter à propos de « je mens », que : « tous les Crétois sont des menteurs, ainsi parle Épiménide le Crétois », et vous voyez aussitôt le petit tourniquet qui s’engendre.
Ich meine damit, dass man unserer Ansicht nach von der berühmten Aporie des Epimenides nicht hinreichend Gebrauch gemacht hat, die nur eine weiter entwickelte Form dessen ist, was ich Ihnen gerade zu dem „ich lüge“ vorgestellt habe – „›Alle Kreter sind Lügner‹, sagt Epimenides der Kreter“, und sogleich sehen Sie das kleine Drehkreuz, das hier entsteht.46
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On n’en a pas assez usé pour démontrer la vanité de la fameuse proposition dite affirmative universelle A.
Man hat davon keinen hinreichenden Gebrauch gemacht, um die Nichtigkeit der berühmten sogenannten bejahenden universalen Aussage A aufzuzeigen.47
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Car en effet, on le remarque à ce propos, c’est bien là, nous le verrons, la forme la plus intéressante de résoudre la difficulté.
Denn, so wollen wir dazu anmerken, hier gibt es ja tatsächlich, wie wir noch sehen werden, die interessanteste Form, die Schwierigkeit aufzulösen.
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Car, observez bien ce qui se passe, si l’on pose ceci – qui est posable, qui a été posé dans la critique de la fameuse affirmative universelle A, dont certains ont prétendu non sans fondement que sa substance n’a jamais été autre que celle d’une proposition existentielle négative : « il n’y a pas de Crétois qui ne soit capable de mentir », dès lors il n’y a plus aucun problème.
Denn beachten Sie, was geschieht, wenn man Folgendes annimmt – was möglich ist, was in der Kritik an der berühmten universalen Bejahung A angenommen wurde, über die einige behauptet haben, nicht ohne Grund, deren Substanz sei nie eine andere gewesen als die einer negativen Existenzaussage – : „Es gibt keinen Kreter, der nicht fähig wäre zu lügen“, wenn man von da ausgeht, gibt es kein Problem mehr.48
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Épiménide peut le dire, pour la raison qu’exprimé ainsi, il ne dit pas du tout qu’il y ait quelqu’un, même Crétois, qui puisse mentir à jet continu, surtout quand on |{18} s’aperçoit que mentir tenacement implique une mémoire soutenue, qui ferait qu’il finit par orienter le discours dans le sens de l’équivalent d’un aveu, de sorte que même si « tous les Crétois sont des menteurs » veut dire qu’il n’est pas un crétois qui ne veuille mentir à jet continu, la vérité finira bien par lui échapper au tournant, et en mesure même de la rigueur de cette volonté.
Epimenides kann das deshalb sagen, weil er, wenn es so ausgedrückt wird, keineswegs sagt, es gebe jemanden, und sei er ein Kreter, der ohne Unterbrechung lügen könnte, vor allem wenn man bedenkt, dass fortdauernd zu lügen ein nie erlahmendes Erinnerungsvermögen voraussetzt, das dafür sorgen würde, dass er der Rede letztlich eine Richtung gibt, die das Äquivalent eines Geständnisses wäre, derart, dass ihm – selbst wenn „Alle Kreter sind Lügner“ bedeutet, dass es keinen Kreter gibt, der nicht ununterbrochen lügen will –, dass ihm die Wahrheit irgendwann dann doch herausrutschen wird, je stärker dieser Wille, desto eher.
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Ce qui est le sens le plus plausible de l’aveu par le crétois Épiménide que tous les Crétois sont des menteurs, ce sens ne peut être que celui-ci, c’est que, premièrement, il s’en glorifie, deuxièmement, il veut par là vous dérouter, en vous prévenant véridiquement de sa méthode, mais cela n’a pas d’autre volonté.
Die plausibelste Bedeutung des Eingeständnisses des Kreters Epimenides, dass alle Kreter Lügner sind, kann nur Folgendes sein, dass er sich, erstens, damit brüstet, und, zweitens, dass er Sie damit verwirren will, indem er Sie ganz freimütig vor seiner Methode warnt; dahinter steckt jedoch keine andere Absicht.49
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Cela a le même succès que cet autre procédé qui consiste à annoncer que, soi, on n’est pas poli, qu’on est d’une franchise absolue : cela, c’est le type qui vous suggère d’avaliser tous ses bluffs.
Das ist genauso erfolgreich wie dieses andere Vorgehen, bei dem man ankündigt, dass man selbst nicht höflich ist, dass man absolut offen ist – das ist ja der Typ, der Sie dazu bringen will, ihm seinen gesamten Bluff abzunehmen.
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Ce que je veux dire, c’est que toute affirmative universelle A, au sens formel de la catégorie, a les mêmes fins obliques, et il est fort joli qu’elles éclatent, ces fins, dans les exemples classiques.
Was ich sagen will, ist, dass jede universale Affirmation A, im formalen Sinne der Kategorie, dieselben krummen Absichten hat, und es ist sehr hübsch zu sehen, wie diese Absichten in den klassischen Beispielen deutlich hervortreten.50
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Que ce soit Aristote qui prenne soin de révéler que Socrate est mortel, doit tout de même nous inspirer quelque intérêt, ce qui veut dire offrir prise à ce que nous pouvons appeler chez nous interprétation, au sens où ce terme prétend aller un peu plus loin que la fonction qui se trouve justement dans le titre même d’un des livres de la logique d’Aristote.
Dass ausgerechnet Aristoteles sich die Mühe macht, zu offenbaren, dass Sokrates sterblich ist, sollte doch ein gewisses Interesse bei uns wecken, das heißt Raum für etwas bieten, das wir bei uns wohl Deutung oder Interpretation nennen können, in dem Sinne, dass dieser Ausdruck beansprucht, etwas weiter zu gehen als die Funktion, die man sogar im Titel eines der Bücher der Logik von Aristoteles findet.51
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Car si évidemment c’est en tant qu’animal |{19} humain que celui qu’Athènes nomme Socrate est assuré de la mort, c’est tout de même bel et bien en tant que nommé Socrate qu’il y échappe, et évidemment, ceci non seulement parce que sa renommée dure encore pour aussi longtemps que vivra la fabuleuse opération du transfert opérée par Platon, mais encore plus précisément, parce que ce n’est qu’en tant qu’ayant réussi à se constituer, à partir de son identité sociale – cet être d’atopie qui le caractérise, que le nommé Socrate, celui qu’on nomme ainsi à Athènes – et c’est pourquoi il ne pouvait pas s’exiler – a pu se sustenter dans le désir de sa propre mort jusqu’à en faire l’acting out de sa vie.
Denn obwohl derjenige, den Athen als Sokrates bezeichnet, als menschliches Tier des Todes gewiss ist, ist es dennoch so, dass er diesem, als derjenige, der Sokrates genannt wird, entgeht, und offensichtlich nicht nur deshalb, weil sein Ruhm so lange fortdauern wird, wie die von Platon vollzogene fabelhafte Übertragungsoperation lebendig bleibt, sondern noch genauer nur deshalb, weil es ihm gelungen ist, sich, ausgehend von seiner sozialen Identität, als dieses Wesen der Atopie zu konstituieren, das ihn kennzeichnet; nur deshalb konnte besagter Sokrates, derjenige, den man in Athen so nennt – aus diesem Grunde konnte er nicht ins Exil gehen –, nur deshalb konnte er sich im Begehren nach seinem eigenen Tod so sehr halten, dass er daraus das acting out seines Lebens machte.52
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Il y a ajouté en plus cette fleur au fusil de s’acquitter du fameux coq à Esculape dont il se serait agi s’il avait fallu faire la recommandation de ne pas léser le marchand de marrons du coin.
Dazu kam noch die Unbeschwertheit, dem Asklepios den berühmten Hahn zu entrichten, wie man es getan hätte, wenn man die Empfehlung hätte aussprechen müssen, den Maronenverkäufer an der Ecke nicht zu schädigen.53
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Il y a donc là, chez Aristote, quelque chose que nous pouvons interpréter comme quelque tentative justement d’exorciser un transfert qu’il croyait un obstacle au développement du savoir.
Es gibt bei Aristoteles also etwas, das wir als Versuch deuten können, eine Übertragung auszutreiben, die er als Hindernis für die Entwicklung des Wissens ansah.54
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C’était d’ailleurs de sa part une erreur, puisque l’échec en est patent.
Das war übrigens ein Irrtum seinerseits, denn der Misserfolg ist offensichtlich.55
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Il fallait aller sûrement un peu plus loin que Platon dans la dénaturation du désir pour que les choses débouchent autrement.
Damit die Dinge einen anderen Ausgang nehmen, musste man in der Denaturierung des Begehrens sicherlich noch ein bisschen weiter gehen als Platon.56
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La science moderne est née dans un hyperplatonisme, et non pas dans le retour aristotélicien sur, en somme, la fonction du savoir selon le statut du concept.
Die moderne Wissenschaft ist aus einem Hyperplatonismus heraus entstanden und keineswegs aus der aristotelischen Rückkehr zur Funktion des Wissens als etwas, das letztlich den Status des Begriffs hat.57
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{20} Il a fallu, en fait, quelque chose que nous pouvons appeler la seconde mort des dieux – à savoir leur ressortie fantomatique au moment de la Renaissance, pour que le verbe nous montrât sa vraie vérité, celle qui dissipe, non pas les illusions, mais les ténèbres du sens d’où surgit la science moderne.
Es war ja etwas nötig, das wir als zweiten Tod der Götter bezeichnen können, nämlich ihre gespenstische Wiederkehr in der Zeit der Renaissance, damit das Wort uns seine wahre Wahrheit zeigte, diejenige, die nicht etwa die Illusionen vertreibt, sondern die Dunkelheit des Sinns, woraus die moderne Wissenschaft hervorgeht.58
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Donc, nous l’avons dit, cette phrase de « je pense » a l’intérêt de nous montrer – c’est le minimum que nous puissions en déduire – la dimension volontaire du jugement.
Also, wie gesagt, der Satz „ich denke“ ist insofern interessant, als er uns – das ist das Mindeste, was wir daraus ableiten können – die Dimension des Willens zeigt, die das Urteil hat.
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Nous n’avons pas besoin d’en dire autant : les deux lignes que nous distinguons comme énonciation et énoncé nous suffisent pour que nous puissions affirmer que c’est dans la mesure où ces deux lignes s’embrouillent et se confondent que nous pouvons nous trouver devant tel paradoxe qui aboutit à cette impasse du « je mens » sur lequel je vous ai un instant arrêtés.
Darüber müssen wir nicht allzu viel sagen; die beiden Linien <des Graphen>, die wir als Äußerung (énonciation) und Ausgesagtes (énoncé) unterscheiden, sind für uns hinreichend, um behaupten zu können, dass wir in dem Maße, wie diese beiden Linien sich verwirren und vermengen, vor der Paradoxie stehen können, die zu der Sackgasse des „ich lüge“ führt, bei der ich Sie einen Moment lang festgehalten habe.59
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Et la preuve que c’est bien cela dont il s’agit, à savoir : que je peux à la fois mentir et dire de la même voix que je mens.
Und der Beweis, dass es genau darum geht, besteht darin, dass ich zugleich lügen und mit derselben Stimme sagen kann, dass ich lüge.
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Si je distingue ces voix, c’est tout à fait admissible.
Wenn ich diese Stimmen unterscheide, ist das durchaus zulässig.60
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Si je dis : « Il dit que je mens », cela va tout seul, cela ne fait pas d’objection, pas plus que si je disais : « Il ment », mais je peux même dire : « Je dis que je mens ».
Wenn ich sage: „Er sagt, dass ich lüge“, versteht sich das von selbst, das begründet keinen Einwand, genauso wenig, wie wenn ich sagen würde: „Er lügt“; ich kann aber sogar sagen: „Ich sage, dass ich lüge.“
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Il y a tout de même quelque chose ici qui doit nous retenir, c’est que si je dis : « Je sais que je mens », cela a encore quelque chose de tout à fait convainquant qui doit nous retenir comme analystes puisque, comme analystes justement, nous savons que l’original, le |{21} vif et le passionnant de notre intervention est ceci : que nous pouvons dire que nous sommes faits pour dire, pour nous déplacer dans la dimension exactement opposée, mais strictement corrélative, qui est de dire : « mais non ! Tu ne sais pas que tu dis la vérité », ce qui va tout de suite plus loin.
Es gibt hier jedoch etwas, wobei wir uns aufhalten sollten, nämlich wenn ich sage: „Ich weiß, dass ich lüge“, dann hat das etwas völlig Überzeugendes, wobei wir als Analytiker innehalten müssen, denn als Analytiker wissen wir ja, dass das Originelle, das Lebendige und das Ergreifende unserer Intervention darin besteht, dass wir sagen können, dass wir zum Sagen gemacht sind, dazu, uns in genau der entgegengesetzten, aber streng korrelativen Dimension zu bewegen, die darin besteht, zu sagen: „Aber nein, du weißt nicht, dass du die Wahrheit sagst“ – was sofort weiterführt.
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Bien plus : « tu ne la dis si bien que dans la mesure même où tu crois mentir, et quand tu ne veux pas mentir, c’est pour mieux te garder de cette vérité ».
Und mehr noch: „Du sagst sie nur in dem Maße so gut, wie du zu lügen glaubst, und wenn du nicht lügen willst, dann nur, um dich vor dieser Wahrheit besser zu schützen.“
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Cette vérité, il semble qu’on ne puisse l’atteindre qu’à travers ces lueurs, la vérité, fille en ceci – vous vous rappelez nos termes – qu’elle ne serait par essence, comme toute autre fille, qu’une égarée.
Diese Wahrheit, so scheint es, kann man nur durch dieses Schimmern erreichen, die Wahrheit, die insofern ein Mädchen ist – Sie erinnern sich an unsere Termini –, als sie ihrem Wesen nach, wie jedes andere Mädchen, nur eine Verirrte wäre.61
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Eh bien, il en est de même pour le « je pense ».
Nun ja, mit dem „ich denke“ ist es genauso.62
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Il semble bien que s’il a ce cours si facile pour ceux qui l’épellent ou en rediffusent le message, les professeurs, ça ne peut être qu’à ne pas trop s’y arrêter.
Es scheint ja, wenn das so leicht durchgeht, bei denjenigen, die es buchstabieren oder seine Botschaft weiterverbreiten, bei den Professoren, dann kann das nur daran liegen, dass sie sich nicht allzu sehr dabei aufhalten.
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Si nous avons pour le je pense les mêmes exigences que pour le « je mens » : ou bien ceci voudra dire : « Je pense que je pense », ce qui n’est alors absolument parler de rien d’autre que le « je pense » d’opinion ou d’imagination, le « je pense » comme vous dites quand vous dites : « je pense qu’elle m’aime », qui veut dire que les embêtements vont commencer.
Wenn wir an das „ich denke“ dieselben Anforderungen stellen wie an das „ich lüge“, dann wird das entweder bedeuten: „ich denke, dass ich denke“, was heißt, dass man über nichts anderes als das „ich denke“ der Meinung oder der Einbildung spricht; „ich denke“, so wie Sie das sagen, wenn Sie sagen: „Ich denke, dass sie mich liebt“, was bedeutet, dass der Ärger losgeht.63
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À suivre Descartes, même dans le texte des Méditations, on est surpris du nombre d’incidences sous lesquelles ce « je pense » n’est rien d’autre que cette notation proprement imaginaire sur laquelle aucune évidence, soi-disant radicale ne peut même être fondée, s’arrêter.
Wenn man Descartes durchgeht, selbst im Text der Meditationen, ist man über die Anzahl der Vorkommnisse überrascht, bei denen das „ich denke“ nichts anderes ist als diese eigentlich imaginäre Notation, auf die keine sogenannte radikale Evidenz jemals gegründet werden kann oder daran festgemacht werden kann.
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Ou bien alors ceci veut dire : « je suis un être pensant », ce qui est bien entendu alors bousculer à l’avance tout le procès de ce qui vise justement |{22} à faire sortir du « je pense » un statut sans préjugé comme sans infatuation à mon existence.
Oder aber dies bedeutet: „ich bin ein denkendes Wesen“, was natürlich heißt, von vornherein den gesamten Prozess umzuwerfen, der ja darauf abzielt, aus dem „ich denke“ einen Status ohne Vorurteil hervorgehen zu lassen wie auch ohne Selbstgefälligkeit in Bezug auf meine Existenz.64
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Si je commence à dire : « je suis un être », cela veut dire : « je suis un être essentiel à l’être, sans doute. »
Wenn ich damit beginne, dass ich sage: „Ich bin ein être, ein Sein/Wesen“, dann bedeutet das: „Ich bin ein Sein, das für das Sein wesentlich ist, ohne Zweifel.“
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Il n’y a pas besoin d’en jeter plus : on peut garder sa pensée pour son usage personnel.
Es ist nicht nötig, mehr davon hinzuwerfen; sein Denken kann man für den persönlichen Gebrauch aufsparen.
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Ceci pointé, nous nous trouvons rencontrer ceci, qui est important, nous nous trouvons rencontrer ce niveau, ce troisième terme que nous avons soulevé à propos du « je mens », à savoir, qu’on puisse dire : « je sais que je pense », et ceci mérite tout à fait de nous retenir.
Nachdem wir das aufgezeigt haben, stoßen wir auf etwas, das wichtig ist, wir stoßen auf die Ebene, auf den dritten Ausdruck, den wir beim „ich lüge“ angesprochen haben, dass man nämlich sagen kann: „Ich weiß, dass ich denke“, und das verdient es durchaus, dass wir uns damit befassen.
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En effet, c’est bien là le support de tout ce qu’une certaine phénoménologie a développé concernant le sujet.
Denn darauf beruht ja alles, was eine bestimmte Phänomenologie in Bezug auf das Subjekt entwickelt hat.
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Et ici j’amène une formule qui est celle sur laquelle nous serons amenés à reprendre les prochaines fois, c’est celle-ci :
Und hier bringe ich eine Formel ein, die wir bei den nächsten Malen wieder aufgreifen werden, nämlich die folgende:
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Ce à quoi nous avons affaire, et comment cela nous est donné, puisque nous sommes psychanalystes, c’est à radicalement subvertir, à rendre impossible ce préjugé le plus radical… et donc c’est le préjugé qui est le vrai support de tout ce développement de la philosophie, dont on peut dire qu’il est la limite au-delà de laquelle notre expérience est passée, la limite au-delà de laquelle commence la possibilité de l’inconscient.
Womit wir es zu tun haben und wie uns das aufgegeben ist, weil wir Psychoanalytiker sind, ist dies, das radikalste Vorurteil radikal zu subvertieren, unmöglich zu machen, und das ist also das Vorurteil, welches die wahre Stütze der gesamten Entwicklung der Philosophie bildet, und wovon man sagen kann, dass es die Grenze ist, über die unsere Erfahrung hinausgegangen ist, die Grenze, jenseits derer die Möglichkeit des Unbewussten beginnt.
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C’est qu’il n’a jamais été, dans la lignée philosophique qui s’est développée à partir des investigations cartésiennes dites du cogito – qu’il n’a jamais été |{23}qu’un seul sujet que j’épinglerai, pour terminer, sous cette forme : le sujet supposé savoir.
Das heißt, auf der philosophischen Linie, die sich ausgehend von den sogenannten cartesischen Untersuchungen des Cogito entwickelt hat, hat es immer nur ein einziges Subjekt gegeben, das ich, um zu schließen, in dieser Form fixieren möchte: le sujet supposé savoir, das Subjekt, dem zu wissen unterstellt wird.65
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Il faut ici que vous pourvoyiez cette formule du retentissement spécial qui, en quelque sorte, porte avec lui son ironie, sa question, et remarquiez qu’à la reporter sur la phénoménologie – et nommément sur la phénoménologie hégélienne, la fonction de ce sujet supposé savoir prend sa valeur d’être appréciée quant à la fonction synchronique qui se déploie en ce propos : sa présence toujours là, depuis le début de l’interrogation phénoménologique, à un certain point, un certain nœud de la structure nous permettra de nous déprendre du déploiement diachronique censé nous mener au savoir absolu.
Sie sollten diese Formel hier mit dem besonderen Widerhall ausstatten, durch den sie in gewisser Weise ihre Ironie, ihre Frage bekommt, und Sie sollten bemerken, dass sie, wenn sie auf die Phänomenologie bezogen wird, insbesondere auf die Hegel’sche, dass dann die Funktion des Subjekts, dem zu wissen unterstellt wird, ihren Wert dadurch erhält, dass sie im Hinblick auf die synchrone Funktion eingeschätzt wird, die sich in diesem Zusammenhang entfaltet: ihre Präsenz, seit Beginn der phänomenologischen Untersuchung immer schon vorhanden, an einem bestimmten Punkt, an einem bestimmten Knoten der Struktur, wird es uns gestatten, uns von der diachronen Entfaltung, die uns zum absoluten Wissen führen soll, zu lösen.66
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Ce savoir absolu lui-même, nous le verrons, à la lumière de cette question prend une valeur singulièrement réfutable, mais seulement en ceci aujourd’hui : arrêtons-nous à poser cette motion de défiance d’attribuer ce supposé savoir, comme savoir supposé, à qui que ce soit, mais surtout de nous garder de supposer, subjicere, aucun sujet au savoir.
Im Lichte dieser Frage nimmt, wie wir sehen werden, eben dieses absolute Wissen einen einzigartig widerlegbaren Wert an; hierzu heute jedoch nur dies: Wir sollten aufhören, den Misstrauensantrag zu stellen, der darin besteht, das vermeintliche Wissen, als unterstelltes Wissen, irgendjemandem zuzuschreiben, sollten uns aber vor allem davor hüten, dem Wissen ein Subjekt zu unterstellen, [lateinisch] subicere.67
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Le savoir est intersubjectif, ce qui ne veut pas dire qu’il est le savoir de tous, mais qu’il est le savoir de l’Autre, avec un grand A.
Das Wissen ist intersubjektiv, was nicht heißt, dass es das Wissen von allen ist, sondern dass es das Wissen des Anderen ist, des Anderen mit großem A.68
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Et l’Autre, nous l’avons posé, il est essentiel de le maintenir comme tel.
Und den Anderen haben wir postuliert; es ist wesentlich, ihn als solchen zu bewahren.
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L’Autre n’est pas un sujet, c’est un lieu, auquel on s’efforce depuis Aristote de transférer les pouvoirs du sujet.
Der Andere ist kein Subjekt, das ist ein Ort, auf den man sich, seit Aristoteles, bemüht, die Vermögen des Subjekts zu übertragen.69
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Bien sûr, de ces efforts il reste ce que Hegel a déployé comme l’histoire du sujet, mais cela ne |{24} veut absolument pas dire que le sujet en sache un pépin de plus sur ce de quoi il retourne.
Natürlich bleibt von diesen Anstrengungen das übrig, was Hegel als Geschichte des Subjekts ausgebreitet hat, das bedeutet jedoch keineswegs, dass das Subjekt auch nur ein Fitzelchen mehr darüber weiß, worum es geht.70
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Il n’a, si je puis dire, d’émoi qu’en fonction d’une supposition indue, à savoir : que l’Autre sache, qu’il y ait un savoir absolu.
Es gerät, wenn ich so sagen darf, nur aufgrund einer unzulässigen Unterstellung in Aufregung, nämlich dass der Andere wisse, also dass es ein absolutes Wissen gebe.
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Mais l’Autre en sait encore moins que lui, pour la bonne raison justement qu’il n’est pas un sujet.
Aber der Andere weiß noch weniger als das Subjekt, und dies aus eben dem Grund, dass er kein Subjekt ist.
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L’Autre est le dépotoir des représentants représentatifs de cette supposition de savoir, et c’est ceci que nous appelons l’inconscient, pour autant que le sujet s’est perdu lui-même dans cette supposition de savoir.
Der Andere ist die Müllhalde der Vorstellungsrepräsentanzen dieser Wissensunterstellung, und das nennen wir das Unbewusste, insofern das Subjekt sich selbst in dieser Wissensunterstellung verloren hat.71
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Il entraîne ça à son insu, et ça, ce sont les débris qui lui reviennent de ce que pâtit sa réalité dans cette chose, débris plus ou moins méconnaissables.
Das Subjekt schleppt es unwissentlich mit sich herum, und es, das sind die Überreste, die zu ihm wiederkehren, von dem, was von seiner Realität hierbei erlitten wird, Überreste, die mehr oder weniger unkenntlich sind.72
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Il les voit revenir.
Das Subjekt sieht sie wiederkehren.
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Il peut dire ou non dire : « c’est bien ça » ou bien « ce n’est pas ça du tout », c’est tout à fait ça tout de même.
Es kann sagen oder auch nicht sagen: „Das ist es ja“ oder „Das ist es überhaupt nicht“, dennoch ist es das.
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La fonction du sujet dans Descartes : c’est ici que nous reprendrons la prochaine fois notre discours, avec les résonances que nous lui trouvons dans l’analyse.
Die Funktion des Subjekts bei Descartes – an diesem Punkt werden wir beim nächsten Mal unseren Diskurs wieder aufnehmen, mit den Resonanzen, die wir dafür in der Analyse finden.
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Nous essaierons, la prochaine fois, de repérer les références à la phénoménologie du névrosé obsessionnel, dans une scansion signifiante où le sujet se trouve immanent à toute articulation.
Wir werden versuchen, beim nächsten Mal, die Bezüge zur Phänomenologie des Zwangsneurotikers ausfindig zu machen, in einer signifikanten Skandierung, bei der das Subjekt jeder Artikulation immanent ist.73
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Resümee der Sitzung
Das Resümee wurde von Rolf Nemitz verfasst.
∙ Passagen, die mit „–“ beginnen, also mit einem Gedankenstrich, sind meine Paraphrasen.
∙ Passagen, die mit „#“ beginnen, sind meine Ergänzungen.
∙ Passagen, die mit /_/ beginnen, sind meine Fragen.
∙ Zahlen in geschweiften Klammern, etwa {2}, beziehen sich auf die Seiten der Transkription. In der Übersetzung selbst sind die Seiten der Transkription ebenfalls in geschweiften Klammern angegeben.
Identifizierung und Phallus
– Im vorhergehenden Seminar, Die Übertragung, ging es um die Identifizierung und den Autoerotismus, symbolisiert durch den Phallus. {2}
# Die Frage nach dem Verhältnis von Identifizierung und Phallus wird im Identifizierungs-Seminar später wieder aufgegriffen werden, in einer Deutung des „Ich denke, also bin ich“ (in Sitzung 7 vom 10. Januar 1962, S. {30}):
--- „ich denke“ = Identifizierung mit dem einzigen Zug (dargestellt durch die Zahl 1),
--- „ich bin“ = imaginärer Phallus (dargestellt durch die Zahl ).
Gegen das Identitätsprinzip
– Lacan problematisiert „A ist A“, d.h. die Tautologie, das Identitätsprinzip. {5 f.}
– Russell und Wittgenstein sind sich über die Brauchbarkeit von „A = A“ uneins, Russell ist dafür, Wittgenstein dagegen. {6}.
# Lacan schlägt sich hier auf die Seite von Wittgenstein.
# Dies ist die Vorbereitung des einzigen Zugs als Differenz (statt als Identität).
Identifizierung
– „Identifizierung“ kommt vom lateinischen idem facere (dasselbe machen). Französisch heißt dasselbe „le même“, mit Verdoppelung des m. {4 f.}
# Das m ist im Identifizierungsseminar gewissermaßen der drängende Buchstabe, es erscheint (bis einschließlich der 7. Sitzung) noch zwei weitere Male, als nächstes Mal im Zusammenhang mit „Mama“ (ebenfalls eine Verdoppelung des m), Sitzung 3 vom 29. November 1961, S. {16}), dann in Sitzung 7 vom 10. Januar 1962, ägyptische Hieroglyphe der Schleiereule (S. {7} f.).
Subjekt
– Die Vorstellung des Subjekts lässt sich nur stützen, wenn man vom Signifikanten ausgeht und von seinen Wirkungen. {10}
# Das Subjekt ist ein Signifikanten-Effekt.
Denken: die Frage „Was bin ich?“ auf der Ebene des Unbewussten
– Das Denken ist für uns mit Freud auf der Ebene des Unbewussten anzusiedeln. {11}
– In der Erfahrung des Unbewussten bezieht sich das Denken auf die Frage „Was bin ich?“. {11}
# Die Identifizierung ist demnach die Antwort auf eine Frage, auf diese Frage.
Wahrheit
– Wahrheit und Mangel im Anderen: Obwohl es in dem, was er (Lacan) sagt, nur um Wahrheit geht, kann die Wahrheit in keinem Moment garantiert werden. {11 f.}
# Anders gesagt, das unbewusste Denken bezieht sich auf den Mangel im Anderen, S(Ⱥ); dies wird vom Graphen des Begehrens angezeigt, mit S(Ⱥ) am Schnittpunkt oben links.
# Ich setzte mir das so zusammen: Die unbewusste Frage lautet: „Was bin ich?“ und die Antworten darauf sind Antworten ohne Garantie. Die Antwort kann die Form einer Identifizierung haben.
– Wahrheit und Lüge: Wenn man versucht, fortwährend zu lügen, wird einem die Wahrheit herausrutschen; wenn man sich rühmt, die Wahrheit zu sagen, dient das der Lüge. {17 f.}
# Dies ist wohl eine Äußerung im Gegensatz zum Ausgesagten: dass einem die Wahrheit herausrutscht.
– Wahrheit ohne Wissen: Ich sage die Wahrheit, ohne es zu wissen. {20 f.}
# Hier geht es also darum, auf welche Weise es in der Psychoanalyse um Wahrheit geht. Auf keinen Fall ist Wahrheit hier, wie in der Logik, eine Eigenschaft von paraphrasierbaren Aussagen (dies wäre, nehme ich an, Wahrheit als Wissen). Vielmehr geht es hier um Wahrheit in einer Dialektik von Wahrheit und Lüge.
Das „ich denke“ ist so wenig tragfähig wie das „ich lüge“
– „Ich denke“ (in „ich denke, also bin ich“) ist kein Gedanke. {14} – Das „ich denke“ ist logisch nicht tragfähiger als das „ich lüge“. {16} – Die Paradoxie des „ich denke“ ist dieselbe wie die des „ich lüge“. {21}
# Das heißt vermutlich: In Descartes’ „ich denke“ wird (wie in „ich lüge“) die Ebene des Ausgesagten und die der Äußerung zusammengeworfen – was man nicht tun sollte, da dies zu Paradoxien führt. Im „ich denke“ entspricht der Inhalt des Gedachten dem Ausgesagten, der Denkvorgang der Äußerung.
– Die Paradoxie des Lügners ist zu wenig für eine Kritik an der universalen affirmativen Aussage genutzt worden. {18}
# „Alle Kreter sind Lügner“ ist eine universale affirmative Aussage. Die universale affirmative Aussage wird später in diesem Seminar noch ein wichtiges Thema, anhand des Peirce’schen Quadranten, ab der Sitzung vom 17. Januar 1962.
– Das „ich denke“ hat entweder die Bedeutung von „ich bin der Meinung“, was imaginär ist. Oder es bedeutet: „ich bin ein denkendes Wesen“, womit das Projekt umgestürzt ist, das darin besteht, aus dem „ich denke“ einen Status ohne Vorurteile abzuleiten; das heißt dann „ich bin ein être, das für das Sein wesentlich ist, ohne Zweifel“. {21 f.}
# Hier geht es um die Mehrdeutigkeit des Satzes „Ich denke“. „Ich denke“ ist eine Signifikantenkette, also mehrdeutig.
# Die zweite Möglichkeit besteht, wenn ich’s recht verstehe, darin, vorauszusetzen, was bewiesen werden soll, also in einem Fehlschluss.
Das Wissen am Ort des Anderen = das Unbewusste
– Das Subjekt der philosophischen Erfahrung ist das sujet supposé savoir, bei Hegel das absolute Wissen. Wir sollten aufhören, dem Wissen ein Subjekt zu unterstellen. {22 f.}
# In der Lacan’schen Psychoanalyse wird das Subjekt nicht als Träger eines Wissens begriffen.
– Das Wissen ist das Wissen des großen Anderen. Der Andere ist kein Subjekt, sondern ein Ort. Der Andere weiß noch weniger als das Subjekt, weil er kein Subjekt ist; der Andere ist die Müllhalde der Vorstellungrepräsentanzen, und dies nennen wir das Unbewusste. Das Subjekt schleppt es unwissentlich mit sich herum. {24}
# Der Begriff des Wissens ist nicht auf das Subjekt zu beziehen, sondern auf den Anderen, d.h. auf das Unbewusste.
# Die Begriffe „Subjekt“ und „Unbewusstes“ sind demnach streng zu trennen, das Subjekt ist nicht das Unbewusste, das Unbewusste ist nicht das Subjekt. In den Diskursformeln, also ab Seminar 17, entspricht dem Subjekt das Symbol $, dem unbewussten Wissen das Symbol S2. $ ≠ S2
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Sekundärliteratur und Videos zum Seminar „Die Identifizierung“
Literatur:
Cox Cameron, Olga: Lecture on Lacan’s Seminar IX, Identification. Lessons Twenty-Four to Twenty-Six. Vortrag bei der letzten Sitzung eines Seminars über Lacans Seminar über die Identifizierung, 9. April 2022, Dublin, Irland; hier
Fierens, Christian: Lecture de „L’identification“ de Lacan : de l’utopie d’identité au moteur de l’invention. EME Editions, Louvain-la-Neuve, Belgien, 2023
Kunze, Donald: Verschiedene Texte und Videos zum Identifizierungs-Seminar hier
Porge, Erik: L’identification : une physique sans métaphysique. In: Essaim, 2010/1 (Nr. 24), S. 37–52, hier
Safouan, Moustapha: [Séminaire] IX. L’identification. In: Ders.: Lacaniana. Les séminaires de Jacques Lacan. I. 1953–1963. Fayard, Paris 2001, S. 94–117
Sizaret, Guy: À propos d e ce qu’il y a d echinois dans les se´mminaires de Lacan. L’identification, 6 décembre 1961. In : www.lacanchine.com
Videos:
Cox Cameron, Olga, u.a.: Lacan’s seminar IX (identification). Video-Aufzeichnungen von 26 Zoom-Meetings, Oktober 2021 bis April 1922. Dublin, Irland, hier
Kunze, Donald: Verschiedene Videos und Texte zum Identifizierungs-Seminar. Institute for Psychoanalytic Studies in Architecture, Pennsylvania State University, USA, hier
Verwandte Beiträge auf „Lacan entziffern“
- Unärer Zug (I): Primäre Identifizierung
- Herrensignifikant, S1: das Ichideal
- Über den Eigennamen, Teil eins: Passagen aus Seminar IX
- Ich – Ideal-Ich – Ichideal: der Zauberspiegel
Anmerkungen
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in diesem Jahr: Gemeint ist das Studienjahr, das in Frankreich im Herbst beginnt und spätestens Anfang Juli endet.
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anstrengen: Die betonte Rede vom effort hier und im Folgenden – „Anstrengung“, „Bemühung“ – ist vermutlich eine Anspielung auf Hegels berühmte Bemerkung, beim Studium der Wissenschaft komme es darauf an, die „Anstrengung des Begriffs“ auf sich zu nehmen (Vorrede zur Phänomenologie des Geistes. Werke 3. Hg. v. E. Moldenhauer und K. M. Michel. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1989, S. 56). Einige Sätze später wird Lacan explizit auf Hegel verweisen. Möglicherweise gibt es hier auch einen Wink zu de Sade, vgl. dessen berühmten Aufruf in der Philosophie im Boudoir: „Français, encore un effort si vous voulez être républicains“ (Franzosen, noch eine Anstrengung, wenn ihr Republikaner sein wollt).
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Hinweis darauf, dass es im Folgenden um Descartes’ ich denke, also bin ich gehen wird. Möglicherweise auch eine Anspielung auf Heideggers Was heißt Denken? (Vorlesung von 1951/52). Niemeyer, Tübingen 1954 (GA 8).
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im letzten Jahr zurückgelassen: Über die Identifizierung hatte Lacan sich ausführlich geäußert in Seminar 8, Die Übertragung, in den Sitzungen vom 7., 21. und 28. Juni 1961.
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Felsen des Autoerotismus: Lacan bezieht sich auf ein Diagramm, das er in in Seminar 8 in der Sitzung vom 28. Juni 1961 vorgestellt hatte, also in der vorhergehenden Seminarsitzung (vgl. Version Miller/Gondek S. 470):
Das Schema bezieht sich auf Karl Abrahams Konzeption der Partialliebe des Objekts (K. Abraham: Versuch einer Entwicklungsgeschichte der Libido: auf Grund der Psychoanalyse seelischer Störungen (1924), im Internet hier; nachgedruckt in: Ders.: Gesammelte Schriften in zwei Bänden. Zweiter Band. Hg. v. J. Cremerius. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1982, S. 32–102). Lacan hatte Abrahams Arbeit in Seminar 8, Die Übertragung, ausführlich kommentiert, in den Sitzungen vom 21. und 28. Juni 1961.
Die linke Seite des Schemas stellt die narzisstische Libido dar, die rechte Seite die libidinöse Besetzung des Objekts, der Teilungsbalken in der Mitte steht für einen Spiegel. Der von links nach rechts zeigende Pfeil unter dem Teilungsbalken steht für den Übergang vom Narzissmus zur Objektbesetzung. Auf der linken Seite entspricht die schraffierte Spitze des ∧ der libidinösen Besetzung der Genitalien. Auf der rechten Seite illustrieren die Wellenlinien die Objektbesetzung, etwa in Form der Verliebtheit, den „Schaum der Aphrodite“. Das aus dem Wasser ragende Dreieck repräsentiert den Teil der Libido, der nicht auf das Objekt überfließt, also die irreduzible narzisstische Besetzung der eigenen Genitalien, den „Felsen des Autoerotismus“.
Fels: Die Metapher des Felsens spielt auf eine Formulierung von Freud über den Kastrationskomplex an. Freud schreibt:
„Man hat oft den Eindruck, mit dem Peniswunsch und dem männlichen Protest [also den beiden Formen des Kastrationskomplexes] sei man durch alle psychologische Schichtung hindurch zum ‚gewachsenen Fels‘ durchgedrungen und so am Ende seiner Tätigkeit.“
(Die endliche und die unendliche Analyse (1937), GW 16, S. 99)(Gewachsener Fels, auch „Festgestein“, ist Fels, der mit dem Gestein des Untergrunds natürlich verbunden ist und aufgrund seiner Dichte und Härte nur schwer zu bearbeiten ist, im Gegensatz zu auflagernden Felsplatten und auflagerndem Boden, zu Halbfest- und Lockergestein. Der Ausdruck „gewachsener Fels“ wird vor allem in der Ingenieurgeologie und im Bauwesen verwendet; siehe hier.)
Offenbar will Lacan mit seiner Metapher andeuten, dass die Partialliebe zum Objekt (und die damit einhergehende narzisstische Bindung an die Erregung der eigenen Genitalien) als Aspekt des Kastrationskomplexes aufzufassen ist.
der Phallus symbolisiert: Lacan deutet an, dass eine der Fragen, um die es in diesem Seminar gehen wird, die Beziehung zwischen der Identifizierung und dem Phallus sein wird. In der Sitzung vom 10. Januar 1962 kommt er darauf zurück, in Descartes’ „Ich denke, also bin ich“ steht demnach das „ich denke“ für die Identifizierung und das „ich bin“ für den imaginären Phallus (a.a.O., S. {30}).
Schaum der Aphrodite: Kronos schnitt seinem Vater Uranos Penis und Hoden ab und warf sie ins Meer. Blut und Samen vermischten sich mit dem Salzwasser zu einem Schaum. Daraus wurde Aphrodite geboren.
eine Insel ohne Vertäuung: vermutlich Anspielung auf den Objektwechsel – die libidinöse Besetzung der eigenen Genitalien (die Insel) ist nicht an ein bestimmtes Objekt gebunden, sie kann das Objekt wechseln (sie hat keine Vertäuung).
„Proteus“ von Claudel: Satyrspiel in zwei Aufzügen 1913. „Auf der Heimfahrt von Troja wird das Schiff des Menelaos an die Klippen von Naxos geworfen, wo der Meergott Proteus, der über die Kraft der Verwandlung verfügt, die schöne Helena zum Bleiben verführt und den dummen Menelaos mit einer falschen Frau nach Hellas schickt – mit der Nymphe Weidenrute.“ (Zusammenfassung von hier) Demnach geht es in Claudels Stück um den Objektwechsel.
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derbe Farce: Der übliche Terminus ist Satyrspiel; von Euripides ist das Satyrspiel Kyklops erhalten.
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Schönheit: Vgl. Seminar 7, Die Ethik der Psychoanalyse, Sitzung vom 1. Juni 1960: Schönheit als Grenze gegenüber dem zweiten Tod (Version Miller/Haas S. 312 f.); Seminar 8, Die Übertragung, Sitzung vom 16. November 1962: Schönheit als letzte Absperrung vor dem Zugang zum tödlichen Ding, zum Todestrieb (Version Miller/Gondek S. 18).
Euthanasie: von griechisch eu, „gut“, „schön“, und thanatos, „Tod“, „Sterben“.
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mein Seminar über die Ethik: Seminar 7 von 1959/60, Die Ethik der Psychoanalyse.
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Safouan: Vgl. Moustapha Safouan: Notes du séminaire „L’éthique“ . In: Bulletin de la Convention Psychanalytique, Nr. 10, Dezember 1986, S. 31–43, und Nr. 12 März 1987, S. 5–32 (Anmerkung in Version Staferla des Identifizierungs-Seminars).
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die Reihe meiner Seminare seit 1954: Hier die aktuell im Buchhandel verfügbaren Ausgaben der Übersetzungen :
– Seminar 1 (1953/54): Freuds technische Schriften. Texterstellung Jacques-Alain Miller, übersetzt von Werner Hamacher. Turia und Kant, Wien 2019
– Seminar 2 (1954/56): Das Ich in der Theorie Freuds und in der Technik der Psychoanalyse. Texterstellung Jacques-Alain Miller, übersetzt von Hans-Joachim Metzger. Turia und Kant, Wien 2015
– Seminar 3 (1956/57): Die Psychosen. Texterstellung Jacques-Alain Miller, übersetzt von Michael Turnheim. Turia und Kant, Wien 2016
– Seminar 4 (1957/58): Die Objektbeziehung. Texterstellung Jacques-Alain Miller, übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien 2018
– Seminar 5 (1958/59): Die Bildungen des Unbewussten. Texterstellung Jacques-Alain Miller, übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien 2019
– Seminar 6 (1959/60): Das Begehren und seine Deutung. Texterstellung Jacques-Alain Miller, übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien 2020
– Seminar 7 (1960/61): Die Ethik der Psychoanalyse. Texterstellung Jacques-Alain Miller, übersetzt von Norbert Haas. Turia und Kant, Wien 2016
– Seminar 8 (1961/62): Die Übertragung. Texterstellung Jacques-Alain Miller, übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Passagen, Wien 2015 -
Unterschied zwischen dem kleinen anderen und dem großen Anderen: Aufbauend auf seiner Unterscheidung zwischen dem Imaginären und dem Symbolischen unterscheidet Lacan zwei Formen des anderen:
– Den anderen in einer imaginären Funktion, ihn schreibt er mit kleinem a („kleiner anderer“ oder „klein anderer“). Dies ist derjenige, der mir ähnlich ist, etwa der andere unter dem Aspekt des Körperbildes sowie der Rivale.
– Den Anderen in einer symbolischen Funktion, er beginnt mit großem A („großer Anderer“ oder „groß Anderer“). Dies kann, in erster Annäherung, zum Beispiel mein Gegenüber sein, insofern er mir gegenüber ein Verbot ausspricht oder mir ein Wissen vermittelt. Der Andere mit großem A ist für Lacan jedoch keine Person, sondern ein Ort, der Ort, an dem die Signifikanten versammelt sind. Das Unbewusste ist ein Versammlungsort von Signifikanten, insofern ist für die Psychoanalyse der Andere vor allem das Unbewusste. Und damit ist für Lacan der Andere auch derjenige, auf den sich das Subjekt in der Übertragung bezieht (vgl. Seminar 9, Sitzung vom 29. November 1961, S. 6). Die Verbindung zu Personen entsteht dadurch, dass bestimmte Personen den von der Struktur vorgegebenen Platz des Anderen einnehmen können, dass sie eine bestimmte Funktion realisieren, eine bestimmte Rolle spielen („Rolle“ ist kein Terminus von Lacan). -
identisch machen: Der Begriff Identifizierung beruht auf dem lateinischen Ausdruck idem facere, „dasselbe machen“. (Formal lässt sich diese Bedeutung von Identifizierung so darstellen: A = B.)
schon wieder dasselbe: Ankündigung, dass es um den Zusammenhang von Identifizierung und Wiederholung gehen wird.
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„A ist A“: oder „A gleich A“ oder „A = A“ ist das sogenannte Identitätsprinzip (principium identitatis), auch „Satz der Identität“ genannt. Herkömmlich gilt es in der Philosophie als eine der Grundlagen des Seins und des Denkens.
In ontologischer Auffassung besagt das Prinzip: Was ist, ist; was nicht ist, ist nicht. Bezogen auf Begriffe fordert das Prinzip, dass in einer Argumentation ein Terminus sich stets auf dasselbe Signifkat oder denselben Referenten beziehen muss. Im Hinblick auf Aussagen kann das Prinzip heißen, dass eine Aussage, die einmal wahr ist, immer wahr ist, und eine falsche Aussage immer falsch.
Ein wichtiger Bezugspunkt für Lacans Überlegungen zum „A ist A“ ist: Martin Heidegger: Der Satz der Identität (1957). In: Ders.: Identität und Differenz. Gesamtausgabe, Bd. 11. Klostermann, Frankfurt am Main 2006, S. 31–50. (Dieser Aufsatz wird von Lacan nicht ausdrücklich genannt.)
Eine gute Erläuterung von Heideggers Begriff der Differenz, d.h. der ontologischen Differenz zwischen dem Seienden und dem Sein, findet man hier: Peter Trawny: Martin Heidegger. Campus Verlag, Frankfurt am Main u.a. 2003, Kapitel 2.3, „Die ontologische Differenz“, S. 77–88.
Zum Identitätsprinzip vgl.:
– André Lalande: Artikel „Identité (Principe d’)“. In: Ders.: Vocabulaire technique et critique de la philosophie. Volume 1, A–M. Quadrige, Presses Universitaires de France, Paris 1926, S. 457 f.,
– Otto Muck: Artikel „Identitätsprinzip“. In: J. Ritter und K. Gründer (Hg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie. Band 4: I – K. Schwabe, Basel u.a. 1976, Spalte 152 f.,
– Ernst Tugendhat, Ursula Wolf: Logisch-semantische Propädeutik. Reclam, Stuttgart 1983, darin Kapitel 10, „Identität“, S. 168–184,
– Harold Noonan: Identity. In: Stanford Encyclopedia of Philosophy (2022), im Internet hier. -
Sinnkriterium: Das sogenannte Sinnkriterium dient im logischen Positivismus (auch logischer Empirismus oder Neopositivismus genannt) dazu, sinnvolle von sinnlosen Aussagen zu unterscheiden, um auf diese Weise Pseudowissenschaften und „Scheinprobleme“ auszuschließen.
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Dennoch bleibt: Russell und Wittgenstein, zwei für den logischen Positivismus maßgebliche Autoren, waren sich in der Frage des Identitätsprinzips uneins – welchen Status also hat dieses Problem, den eines Scheinproblems?
Principia Mathematica: Bertrand Russell und Alfred North Whitehead: Principia Mathematica. 3 Bde. Cambridge University Press 1910–1913.
Wittgenstein:
„Ausdrücke wie ‚a = a‘, oder von diesen abgeleitete, sind weder Elementarsätze, noch sonst sinnvolle Zeichen.“
(Ludwig Wittgenstein: Tractatus logico-philosophicus. Logisch-philosophische Abhandlung (1921). Suhrkamp, Frankfurt am Main 1998, Abschnitt 4.243)
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algebraisch: Hier im Sinne des Rechnens mit Buchstaben. Der Ausdruck „A = A“ verwendet einen Buchstaben und ein Gleichheitszeichen und ist in diesem Sinne algebraisch.
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die ihrem Genie eigen sind: Die Rede vom „Genie der Sprache“ ist eine berühmte Formulierung von Johann Gottfried Herder, etwa hier:
„Idiotismen [= idiomatische Ausdrücke] sind patronymische Schönheiten, die uns kein Nachbar durch eine Übersetzung entwenden kann und die der Schutzgöttin der Sprache heilig sind : Schönheiten in das Genie der Sprache eingewebt, die man zerstört, wenn man sie austrennt.“
(J. G. Herder: Fragmente zur deutschen Literatur (1766/67). In: Ders.: Sämmtliche Werke. Hg. v. Bernhard Suphan. Weidmann, Berlin 1877, Bd. 1, S. 162)
Der Ausdruck stützt sich auf das lateinische Wort genius. In der römischen Religion waren Genien ursprünglich Ahnengeister, durch welche die Nachkommen geschützt wurden, später persönliche Schutzgeister von Männern, in denen sich deren Persönlichkeit und Zeugungskraft verkörperte und denen geopfert wurde. Das Daimonion Sokrates’, eine Art innere Stimme, wird im Lateinischen als genius bezeichnet. Auch Orte konnten einen Genius haben (genius loci) und ebenso Kollektive. Das Genie einer Sprache ist demnach so etwas wie deren Lebenskraft, Individualität und Kreativität.
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même: aus lateinisch -met (verstärkendes Partikel) + ipse (selbst): metipse, daraus altfranzösisch medisme, meïsme. Die etymologische Anmerkung auf CNRTL zieht die Verbindung zu idem: Die von meesme im Altfranzösischen ausgedrückten Begriffe (Identität, Beharrlichkeit) spiegeln die Verwendung von ipse zu dieser Zeit wider; letzteres, ein intensives und adversatives Pronomen (ich und nicht ein anderer) in der klassischen Sprache, hat seit dem Kaiserreich mit dem Identitätspronomen idem konkurriert und es schließlich ersetzt.
Verdoppelung: Anspielung auf eine der ältesten Thesen von Lacan: Das Ich (moi) konstituiert sich durch eine Verdoppelung. Zuerst ausgearbeitet in Über die paranoische Psychose in ihren Beziehungen zur Persönlichkeit (1932). (In: J. Lacan: Über die paranoische Psychose in ihren Beziehungen zur Persönlichkeit und Frühe Schriften über die Paranoia. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Passagen, Wien 2002, S. 13–150.)
Diagrammatisiert wird diese Verdoppelung später im sogenannten Schema L als Beziehung zwischen Ich (moi) und anderer (autre) bzw. zwischen a und aˈ:
Schema L
(Abbildung aus: J. L.: Das Seminar über „Der gestohlene Brief“ (1957). In: Ders.: Schriften. Band I. Vollständiger Text. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien 2016, S. 63)
Im Graphen des Begehrens erscheint diese Verdoppelung als Beziehung zwischen m (moi) und i(a) (image de l’autre):
Graph des Begehrens
(Abbildung aus : J.L: Schriften. Band II. Vollständiger Text. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien 2015, S. 355. Markierung der Beziehung m - i(a) von MK/RN.)
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au jour d’aujourd’hui: „am heutigen Tag“, wörtlich „am Tag dieses Tages“, scherzhafte umgangssprachliche Wendung.
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Mihilismus: von Lacan gebildeter Neologismus, aus lateinisch mihi, „mir“, und dem Suffix -ismus bzw. -lismus.
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Metapher: Unter einer Metapher versteht Lacan die Ersetzung eines Signifikanten durch einen anderen Signifikanten, im Deutschen wäre das beispielsweise die Ersetzung von das selbe durch das selbst.
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dass es das Französische war: Descartes’ drei Haupttexte zum Verhältnis von Sein und Subjekt sind die Abhandlung über die Methode, die Meditationen und die Prinzipien der Philosophie. Während die Abhandlung über die Methode von ihm auf französisch geschrieben wurde, hat er die Meditationen und die Prinzipien der Philosophie auf lateinisch verfasst.
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dieses „ich denke, also bin ich“: Lacan begreift das „ich denke“ als eine Form der Identifizierung, er beginnt das Seminar über die Identifizierung also mit der Identifizierung im Sinne von Descartes. Und auch er versucht, das „ich denke, also bin ich“ zu überwinden, mit dem in den folgenden Sitzungen entwickelten Konzept der Identifizierung mit dem trait unaire (einzelner Zug, unärer Zug, Einzelstrich) als radikale Differenz (vgl. in diesem Seminar Sitzung vom 10. Januar 1962, Seite {25 f.}).
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Abhandlung über die Methode: erschien zuerst 1637: Discours de la méthode pour bien conduire sa raison et chercher la verité dans les sciences (AT VI, S. 1–78, hier).
Aktuelle deutsche Übersetzungen:
- Discours de la Méthode / Von der Methode des richtigen Vernunftgebrauchs und der wissenschaftlichen Forschung. Französisch – Deutsch. Übersetzt von Christian Wohlers. Meiner, Hamburg 2011
- Discours de la Méthode / Bericht über die Methode. Lateinisch-Deutsch. Übersetzt von Holger Ostwald. Stuttgart, Reclam 2001Meditationen: sie erschienen zuerst 1641 auf lateinisch: Meditationes de prima philosophia (AT VII, hier), dann 1647 in einer französischen Übersetzung: Méditations sur la philosophie première (AT IX, hier), Autor der Übersetzung, die von Descartes gebilligt wurde, ist Luis-Charles d’Albert, Herzog von Luynes.
Aktuelle deutsche Übersetzungen:
– Meditationes de prima philosophia. Lateinisch – Deutsch. Übersetzt von Christian Wohlers. Meiner, Hamburg 2008
– Meditationes de Prima Philosophia / Meditationen über die Erste Philosophie. Lateinisch/Deutsch. Übersetzt von Andreas Schmidt. Reclam: Stuttgart 2020Eine Zusammenfassung des Discours und der Meditationes enthält der erste Teil von Descartes’ Principia philosophiae (1644, AT VIII, hier).
Aktuelle deutsche Übersetzung:
– Die Prinzipien der Philosophie. Lateinisch - Deutsch. Übersetzt von Christian Wohlers. Meiner, Hamburg 2007AT = Œuvres de Descartes. Hg. v. Charles Adam und Paul Tannery. 11 Bände. J. Vrin, Paris 1897–1911 (Standardausgabe von Descartes’ Werken, auf die Seiten dieser Ausgabe wird am Rand der meisten Übersetzungen verwiesen). Zitierweise: „AT VI, 32 (19)“ bedeutet: AT, Band VI, Seite 32, Zeile 19. Die bei Meiner erschienenen Übersetzungen enthalten Verweise auf AT am Seitenrand; in den Reclam-Übersetzungen findet man Verweise auf AT nur im Bericht über die Methode, nicht in den Meditationen.
inadäquate Idee: Terminus von Spinoza (Hinweis von Michel Roussan in seiner Ausgabe des Identifizierungs-Seminars). Spinoza :
„1. Adäquate Ursache nenne ich eine Ursache, deren Wirkung klar und bestimmt durch diese Ursache erkannt werden kann. Inadäquate oder aber partiale Ursache nenne ich eine solche, deren Wirkung durch diese Ursache allein nicht erkannt werden kann.
2. Ich sage, dass wir tätig sind (handeln), wenn etwas in uns oder außer uns geschieht, dessen adäquate Ursache wir sind, d.h. (nach der vorigen Definition), wenn etwas in uns oder außer uns aus unserer Natur erfolgt, das durch sie allein klar und deutlich erkannt werden kann. Dagegen sage ich, dass wir leiden, wenn in uns etwas geschieht oder aus unserer Natur etwas folgt, wovon wir nur die partiale Ursache sind.“(Ethik. Übersetzt von Jakob Stern (1888). Röderberg Verlag, Frankfurt am Main 1982, S. 134 f.; dritter Teil, Definitionen)
Und Erster Lehrsatz :
„Unser Geist tut manches, manches aber leidet er. Sofern er nämlich adäquate Ideen hat, insofern tut er notwendig manches; und sofern er inadäquate Ideen hat, insofern leidet er notwendig manches.“
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pensée: heißt sowohl „Denken“ als auch „Gedanke“, bezieht sich sowohl auf den Denkvorgang als auch auf den gedachten Inhalt.
was Denken heißt: Anspielung auf Heideggers Was heißt Denken?
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dass jede Erfahrung des Unbewussten auf der Ebene des Denkens angesiedelt ist: In der Traumdeutung spricht Freud immer wieder von „Traumgedanken“ (Gesammelte Werke 2/3, zuerst S. 123), aber auch vom „unbewussten Denken“ (S. 471), von „unbewussten Gedanken“ (S. 246, 297, 405 Fn. 2, 511, 615), von „unbewußten Gedankenzügen“ (S. 436), vom „unbewußten Gedankenweg“ (S. 583).
Zugleich sagt er:
„Halten wir an der Begriffsbestimmung fest, daß ‚Traumarbeit‘ die Überführung der Traumgedanken in den Trauminhalt bezeichnet, so müssen wir uns sagen, die Traumarbeit sei nicht schöpferisch, sie entwickle keine ihr eigentümliche Phantasie, sie urteilt nicht, schließt nicht, sie leistet überhaupt nichts anderes als das Material zu verdichten, verschieben und auf Anschaulichkeit umzuarbeiten, wozu noch das inkonstante letzte Stückchen deutender Bearbeitung hinzukommt.“
(GW 2/3, S. 680 f.)Man muss also unterscheiden: die Traumgedanken und die Traumarbeit.
Wer bin ich?: In den Meditationen stellt Descartes eine ähnliche Frage, nämlich „Was bin ich“, genauer: „Was aber bin ich demnach?“ Die Antwort lautet: „Ein denkendes Ding (res cogitans).“ Und weiter: „Was ist das? Nun – ein denkendes, einsehendes, behauptendes, bestreitendes, wollendes, nichtwollendes, und auch etwas sich vorstellendes und sinnlich wahrnehmbares Ding.“ (AT VII, 28, Übersetzung Wohlers)
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ohne dass die Wahrheit garantiert wäre: Anspielung auf das Konzept „Signifikant eines Mangels im Anderen“, das Lacan in Seminar 6, Das Begehren und seine Deutung, eingeführt hatte – es gibt einen im Anderen fehlenden Signifikanten, denjenigen nämlich, der die Wahrheit garantieren würde; Lacans Symbol hierfür ist S(Ⱥ), zu lesen als „Signifikant eines Mangels im Anderen“ (vgl. hierzu R. Nemitz: Signifikant eines Mangels im Anderen. In: Lacan entziffern, 30. November 2013). Insgesamt also: Die Frage nach der verborgenen Wahrheit wird es immer geben, es gibt jedoch keinen Signifikanten, der die Wahrheit einer Antwort garantieren könnte.
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Warum sagt er nicht das Wahre über das Wahre?: Die in dieser Frage enthaltene Unterstellung, jemand könne das Wahre über das Wahre sagen, ist eine der Formen dessen, was später in dieser Sitzung als sujet supposé savoir bezeichnet wird.
Die Frage nach dem Wahren über das Wahre steht in der Nähe dessen, was traditionell Pilatus-Frage genannt wird. Jesus sagt zu Pilatus, er sei in die Welt gekommen, um für die Wahrheit Zeugnis abzulegen, und Pilatus antwortet darauf mit: „Was ist Wahrheit?“ (Johannes 13, 38).
Eine indirekte Antwort auf die Forderung, das Wahre über das Wahre zu sagen, ist Lacans Sentenz „Es gibt keine Metasprache“ – es gibt entweder Formalisierungen der Struktur der Sprache oder aber eine Sprache, welche die Ambiguitäten der Sprache beibehält (so zuerst in Seminar 5, Die Bildungen des Unbewussten, Sitzung vom 27. November 1957, Version Miller/Gondek S. 86). Bezogen auf die Frage der Wahrheit heißt das: Die Antwort auf die Frage nach dem Wahren des Wahren ist entweder formal oder sie bewahrt die Mehrdeutigkeit der Sprache. Die Mehrdeutigkeit besteht in diesem Falle darin, dass eine Antwort, die das Wahre über das Wahre sagt, für sich selbst beanspruchen muss, wahr zu sein, eine Selbstbezüglichkeit mit unendlichem Regress.
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immer das letzte Wort fehlen: Lacan hatte darüber bereits einmal berichtet, im Ethik-Seminar zwei Jahre zuvor. Nach Bemerkungen über die Dialektik von knavery und foolery – von Schurkentum und Dummheit – heißt es dort:
„Einer meiner Freunde und Patienten hatte eines Tages einen Traum, der die Spur von ich weiß nicht welchem Durst an sich trug, welchen die Formulierungen des Seminars in ihm zurückgelassen hatten. In diesem Traum brach jemand in bezug auf mich in den Ruf aus – Aber was sagt er nicht das Wahre über das Wahre!
Ich zitiere das, weil das eine Ungeduld ist, die ich bei etlichen verspürt habe, und noch auf anderen Wegen als den Wegen der Träume. Es so zu formulieren, ist bis zu einem gewissen Punkt wahr – ich sage vielleicht nicht das Wahre über das Wahre. Haben Sie aber nicht bemerkt, daß, wenn man es sagen will – und das ist die Hauptbeschäftigung derer, die man Metaphysiker nennt –, es sich damit so verhält, daß vom Wahren nicht mehr arg viel übrig bleibt? Das ist das Heikle an solchen Prätentionen. Sie lassen uns gerne ins Register eines bestimmten Schurkentums kippen. Und ist da nicht auch eine gewisse knavery, eine metaphysische, wenn in diesem und jenem unserer modernen metaphysischen Traktate unter dem Deckmantel des Stils des Wahren über das Wahre viele Dinge durchgehen, die wirklich nicht durchgehen sollten?
Ich begnüge mich damit, das Wahre im ersten Stadium zu sagen und Schritt für Schritt vorzugehen. Wenn ich sage, daß Freud ein Verfechter des Wohls der Menschheit ist, aber kein Fortschrittsgläubiger, sage ich etwas Wahres. Versuchen wir anzuknüpfen und einen weiteren wahren Schritt zu tun. […]
Wir sind ausgegangen von diesem Wahren, das man wohl für wahr halten muß, wenn wir der Analyse Freuds folgen: daß man weiß, dass Gott tot ist.
Nur, da ist der nächste Schritt – Gott, seinerseits, weiß es nicht. Und, durch Supposition, er wird es nie wissen können, da er seit je tot ist. Diese Formel führt uns indessen an das heran, was wir hier zu lösen haben, an das, was uns auf der Hand bleibt von diesem Abenteuer und was das ethische Problem in seinen Grundlinien verändert: daß der Genuß uns verboten bleibt wie zuvor – bevor wir wissen, daß Gott tot ist.
Das ist es, was Freud sagt. Und es ist die Wahrheit – wenn nicht die Wahrheit über das Wahre, dann wenigstens die Wahrheit über das, was Freud sagt.
Daraus resultiert, daß, folgen wir Freud weiter in einem Text wie Das Unbehagen in der Kultur, wir formulieren müssen, daß das Genießen ein Übel ist. Freud führt uns hier an der Hand – es ist ein Übel, weil es das Übel des Nächsten mit sich bringt.“
(Seminar 7, Die Ethik der Psychoanalyse, Sitzung vom 23. März 1960, Version Miller/Haas S. 222 f.)
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die wahre Wahrheit: die wahre Wahrheit über das Subjekt, die Antwort auf die Frage „Was bin ich?“.
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le dessous des cartes (die verborgene Seite): mit einer Anspielung auf „Descartes“.
selbst im strengsten philosophischen Diskurs: Anspielung auf Heideggers Wahrheitsbegriff, Wahrheit als Unverborgenheit, d.h. als Bezug auf etwas Verborgenes. Vgl. M. Heidegger: Vom Wesen der Wahrheit (1930). In: Ders.: Wegmarken. Klostermann, Frankfurt am Main 1976, S. 177–202, und: Platons Lehre von der Wahrheit (1931/32, 1940). In: Wegmarken, a.a.O., S. 203–238.
die verborgene Seite der Wahrheit wird es immer geben: Lacans spätere Formel hierfür ist „Die Wahrheit lässt sich nur halbsagen“ (ab Seminar 17, Die Kehrseite der Psychoanalyse, dort in der Form „Die Wahrheit kann nur in einem Halbsagen ausgesagt werden“, Sitzung vom 11. März 1970, vgl. Version Miller/Gondek S. 131).
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doppelte Wahrheit: Die Lehre, dass einige Aussagen der Vernunft nach wahr und dem Glauben nach falsch sein können. Diese Lehre wurde in der Zeit der Scholastik den Averroisten zugeschrieben.
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war ich es, der das Gas aufgedreht hat: Vielleicht eine Anspielung auf Lacans Aufsatz Die Freud’sche Sache oder Sinn der Rückkehr zu Freud in der Psychoanalyse (1956). Lacan lässt hier die Allegorie der Wahrheit aus einem Brunnen steigen und sagen: „Ich, die Wahrheit, ich spreche.“ (Vgl. J. Lacan: Schriften. Band I, a.a.O., S. 472–513)
Näpfchen unter meinen Sohlen heiß wird: Möglicherweise eine Anspielung auf den folgenden Vorgang: Lacan war Mitglied der Société Française de Psychanalyse (SFP). Nach deren Antrag, in die International Psychoanalytic Association (IPA) aufgenommen zu werden, begann im Mai 1961, also ein halbes Jahr vor dieser Sitzung, eine Untersuchungskommission der IPA, die Mitglieder der SFP zu befragen (vgl. Elisabeth Roudinesco: Jacques Lacan. Turia und Kant, Wien 1996, S. 370).
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abgegriffene Münze ohne Gesicht: Stéphane Mallarmé:
„Erzählen, lehren, selbst beschreiben, das geht, und wiewohl es Jedem vielleicht zum Austausch des menschlichen Denkens genügen würde, aus der Hand des Nächsten schweigend eine Münze zu nehmen oder in sie zu legen, unterhält der elementare Gebrauch der Rede die universelle Reportage, an der, die Literatur ausgenommen, alles teilhat im gegenwärtigen Schrifttum.“
(Crise de Vers / Vers-Krise (1892–1895). In: Ders.: Kritische Schriften. Französisch und deutsch. Übersetzt von Gerhard Goebel und Christine Le Gal. Lambert Schneider Verlag, Gerlingen 1998, S. 210–231, hier: S. 229)
In Lacans Schriften gibt es zwei Hinweise auf diese Mallarmé-Stelle:
– Funktion und Feld des Sprechens und der Sprache in der Psychoanalyse. In: Ders.: Schriften. Band I. Vollständiger Text, a.a.O., S. 296.
– Subversion des Subjekts und Dialektik des Begehrens im Freud’schen Unbewussten. In: Ders.: Schriften. Band II. Vollständiger Text, a.a.O., S. 335. -
nur an einer bestimmten Stelle der „Abhandlung über die Methode“: Im Discours de la méthode von 1637 heißt es, „cette vérité: je pense, donc je suis“ („diese Wahrheit: ich denke, also bin ich“) sei das gesuchte erste Prinzip der Philosophie (AT VI, 32, Hervorhebung im Original). In den Erwiderungen auf Einwände gegen die Zweite Meditation (die zusammen mit den Meditationen veröffentlicht wurden, also 1641) schreibt Descartes „ego cogito, ergo sum, sive existo“ („ich denke, also bin ich oder existiere ich“) (AT VII, 140). In den Principia philosophiae von 1644 heißt es, die gewisseste Erkenntnis sei „haec cognitio, ego cogito, ergo sum“ („diese Erkenntnis, ich denke, also bin ich“) (AT VIII-1, 7, Hervorhebung im Original).
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Freud:
„Das Denken ist ein probeweises Handeln mit kleinen Energiemengen, ähnlich wie die Verschiebungen kleiner Figuren auf der Landkarte, ehe der Feldherr seine Truppenmassen in Bewegung setzt.“
(Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (1933). GW 15, S. 96)
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Denken als probeweises Handeln: damit sind wir beim bewussten Denken, beim Sekundärprozess.
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eine etwas größere Spanne: Diese Spanne umfasst nicht nur das bewusste Denken, sondern auch das unbewusste Denken.
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Das „ich denke“ ist logisch nicht tragfähiger als das „ich lüge“: Das „ich lüge“ führt zu einer Paradoxie, da darin der Äußerungsvorgang und das Ausgesagte zusammengeworfen werden. Dasselbe gilt für das „ich denke“, es bezieht sich sowohl auf den Denkvorgang als auch auf das Gedachte (der Denkvorgang entspricht der Äußerung, das Gedachte dem Ausgesagten). Diese Vermengung wird dadurch gestützt, dass sich la pensée sowohl auf den Denkvorgang bezieht als auch auf das Gedachte.
für eine Reihe von Logikern bereits ein Problem: Russell war der Auffassung, dass die von ihm entdeckte Russellsche Paradoxie (Menge aller Mengen, die sich nicht selbst enthalten) von derselben Art sei wie die Lügnerparadoxie.
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Das Urteil darf sich nicht auf dessen Ausgesagtes beziehen: In Lacans Terminologie geht es um die Beziehung zwischen dem Ausgesagten (énoncé) und dem Äußerungsvorgang (énonciation); die Paradoxie entsteht dadurch, dass in ich lüge das Ausgesagte sich auf den Äußerungsvorgang bezieht (sofern mit ich lüge gemeint ist: ich lüge mit diesem Satz). Die Opposition énoncé versus énonciation wird von Lacan in Seminar 6 von 1958/59 eingeführt, Das Begehren und seine Deutung (in der Sitzung vom 12. November 1958, Version Miller/Gondek S. 26, dort mit „Ausgesagtes“ und „Vorgang des Aussagens“ übersetzt).
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Aussage (proposition): In der Logik ist eine Aussage (bzw. eine Proposition bzw., in älterer Terminologie, ein Urteil) ein Ausdruck, der entweder wahr oder falsch ist. Ein Satz, der zugleich wahr und falsch ist – wie die genannte Paradoxie – ist also strenggenommen keine Aussage.
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Paradoxien: Vgl. etwa Richard M. Sainsbury: Paradoxien. 4. erweiterte Auflage. Reclam, Stuttgart 2010.
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Aporie des Epimenides:
Angenommen, der Satz von Epimenides ist wahr, dann gilt er auch für Epimenides, da dieser ja ein Kreter ist. Also lügt Epimenides mit diesem Satz, also ist der Satz falsch. Kurz: Wenn der Satz wahr ist, ist er falsch.
Auf die Paradoxie des Epimenides bezieht sich Bertrand Russell in Mathematical Logic as Based on the Theory of Types. In: American Journal of Mathematics, 30. Jg. (1908), S. 222–262; sie wird wieder aufgegriffen in: B. Russell und Alfred N. Whitehead: Principia Mathematica. Band I. Cambridge University Press, Cambridge 1910, S. 63. Die Paradoxie wird hier so präzisiert: Ein Mann sagt: „Ich lüge gerade.“
Auf diese Paradoxie hatte Lacan sich bereits in Seminar 7, Die Ethik der Psychoanalyse, bezogen:
„Ich kann nichts Besseres tun als zum Vergleich [mit dem Gebot Du sollst nicht lügen] das Sophisma anzuführen, in welchem jener Typus von Scharfsinn gipfelt, der dem der jüdischen, talmudischen Diskussion am meisten entgegengesetzt ist, nämlich das sogenannte Paradox des Epimenides, welches behauptet, alle Menschen seien Lügner. Was sage ich, vorangehend mit jener Artikulation, die ich Ihnen vom Unbewußten geliefert habe, was sage ich, ist die Antwort des Sophismas? – wenn nicht, daß ich selbst lüge und folglich nichts Gültiges behaupten kann nicht einfach nur in bezug auf die Funktion der Wahrheit, sondern in bezug auf die Bedeutung der Lüge selbst.
Das du sollst nicht lügen als negative Vorschrift hat die Funktion, aus der Aussage das Subjekt des Aussagens zurückzunehmen. Erinnern Sie sich an den Graph. Eben da – insofern ich lüge, insofern ich verdränge, insofern ich es bin, Lügner, der spricht – kann ich sagen du sollst nicht lügen. In diesem du sollst nicht lügen als Gesetz liegt die Möglichkeit der Lüge als fundamentalstes Begehren.“
Und dann, nach einer Bemerkung über die Kritik an Lügendetektoren:
„Woher dieser Aufstand angesichts der Tatsache, daß es da etwas gibt, das die Frage des Sprechens des Subjekts auf eine allgemein objektivierende Anwendung reduzieren könnte? Es ist, weil dieses Sprechen selbst nicht weiß, was es sagt, wenn es lügt, und weil da andrerseits, wenn es lügt, einige Wahrheit von ihm vorgebracht wird. Und in dieser antinomischen Funktion zwischen dem Gesetz und dem vom Sprechen konditionierten Begehren liegt die ursprüngliche Spannung, die aus diesem Gebot unter den zehn anderen einen der Ecksteine dessen macht, was wir die menschliche Verfassung nennen können, die respektiert zu werden verdient.“
(Sitzung vom 23. Dezember 1959, Version Miller/Haas S. 102 f.)
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Nichtigkeit der bejahenden universale Aussage: Der Satz „Alle Kreter sind Lügner“ ist eine bejahende universale Aussage, universal insofern, als es eine Aussage über alle ist (und nicht über einige); affirmativ insofern die Eigenschaft, Lügner zu sein, behauptet und nicht bestritten wird, insofern also nicht gesagt wird „Alle Kreter sind keine Lügner“. Im Laufe des Identifizierungs-Seminars wird Lacan, gestützt auf ein Quadrantenschema von Charles Sanders Peirce, eine eigene Konzeption der bejahenden universalen Aussage entwickeln (in den Sitzungen vom 17. Januar, 7. März und 20. Juni 1962). Seine Auseinandersetzung mit der bejahenden universalen Aussage in den weiteren Seminaren wird in den sogenannten Formeln der Sexuierung kulminieren, die er in den Seminaren 18 bis 21 sowie im Aufsatz L’étourdit entwickelt:
.…
.…
Die bejahende universale Aussage ist hier der Ausdruck
, zu lesen etwa als „Für alle x gilt, dass sie der phallischen Funktion unterliegen“ (mit dem Symbol ∨ für „alle“ und dem Symbol Φ für „phallische Funktion“, die „phallische Funktion“ ist die Kastration). Diese Aussage wird der linken, d.h. der männlichen Seite zugeordnet, und sie wird durch eine Ausnahme-Aussage fundiert, durch den Ausdruck
oben links, d.h. durch eine partikuläre verneinende Aussage.
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der nicht fähig wäre zu lügen: Der Satz „Ein Kreter sagt: ›Alle Kreter sind Lügner.‹“ ist mehrdeutig. Er ist nur dann paradox, wenn damit gemeint ist:
– „Ein Kreter sagt: ›Alle Kreter lügen mit jedem Satz.‹“
Wenn hingegen gemeint ist:
– „Ein Kreter sagt: ›Alle Kreter sind in der Lage zu lügen.‹“
verschwindet die Paradoxie.Lacan verwandelt hier außerdem die universale bejahende Aussage „Alle Kreter sind Lügner“ in eine Existenzaussage mit doppelter Negation (eine Existenzaussage ist eine Aussage, die mit „es gibt“ beginnt), also in: „Es gibt keinen Kreter, der kein Lügner ist.“ Die Aussagen „Alle Kreter sind Lügner“ und „Es gibt keinen Kreter, der kein Lügner ist“ sind synonym. Für die Auflösung der Epimenides-Paradoxie ist diese zweite Umformung irrelevant, die Paradoxie verschwindet auch, wenn man sagt: „Ein Kreter sagt: ›Alle Kreter sind in der Lage zu lügen.‹“
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Die plausibelste Bedeutung: Ein Jahr später, im Seminar Die Angst, wird Lacan sagen, dass es ihm bei diesem Hinweis auf die Paradoxie des Epimenides um die Fiktionsstruktur der Wahrheit ging.
Er kommentiert im Angstseminar Freuds Über die Psychogenese eines Falles von weiblicher Homosexualität; die Patientin hatte geträumt, sie sehne sich nach der Liebe eines Mannes und es war klar, dass damit Freud getäuscht werden sollte. Angesichts dieses „Gefälligkeitstraums“ fragt Freud sich irritiert, ob auch das Unbewusste lügen könne (vgl. GW 12, S. 293 f.). Lacan kommentiert das so:
„Das ist die Stelle, an der Freud sich weigert, in der Wahrheit, die seine Leidenschaft ist, die Struktur von Fiktion zu sehen, als an ihrem Ursprung stehend.
Das ist die Stelle, an der er nicht hinreichend dieses bedacht hat, worauf ich, als ich über das Phantasma sprach, in einem kürzlich gehaltenen Diskurs vor Ihnen die Betonung legte, nämlich das Paradox des Epimenides. Das ich lüge ist vollkommen zulässig, zumal das, was lügt, das Begehren ist in dem Moment, in dem es, da es, sich als solches bejahend, das Subjekt dieser logischen Annullierung preisgibt, worüber der Philosoph innehält, wenn er den Widerspruch des ich lüge sieht.“
(Seminar 10, Sitzung vom 23. Januar 1963, Version Miller/Gondek S. 163)
Auf die Fiktionsstruktur der Wahrheit bezieht sich im Graphen des Begehrens das Symbol am Schnittpunkt oben links, S(Ⱥ), Signifikant eines Mangels im Anderen. Thema des laufenden Seminars ist die symbolische Identifizierung; im Graphen steht dafür der Ausdruck I(A) (unten links an der Spitze der großen hufeisenförmigen Pfeillinie). Es geht also letztlich um die Beziehung zwischen diesen beiden Punkten des Graphen, zwischen S(Ⱥ) und I(A):
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krumme Absichten: Anders gesagt, das Vorgehen der Logiker, Propositionen die Wahrheitswerte „wahr“ oder „falsch“ eindeutig zuzuordnen, ist für die Zwecke der Psychoanalyse nicht brauchbar, hier hat man es, wie Lacan im Folgenden ausführen wird, mit einer Dialektik von Wahrheit und Lüge zu tun, von bewusster Wahrheit, die eine unbewusste Lüge ist, und bewusster Lüge, die eine unbewusste Wahrheit enthält.
Bereits in Funktion und Feld des Sprechens und der Sprache in der Psychoanalyse (1953) heißt es:
„Selbst wenn der Diskurs nichts kommuniziert, repräsentiert er die Existenz der Kommunikation; selbst wenn er die Evidenz bestreitet, behauptet er, dass das Sprechen die Wahrheit konstituiert; selbst wenn er dazu bestimmt ist zu täuschen, spekuliert er auf das Vertrauen ins Zeugnis.“
(Schriften. Band I. Vollständiger Text, a.a.O., S. 296)
Und:
„Die Ambiguität der hysterischen Offenbarung der Vergangenheit hängt nicht so sehr am Schwanken ihres Inhalts zwischen dem Imaginären und dem Realen, denn sie hat ihren Ort in beidem. Es ist auch nicht so, dass sie lügnerisch ist. Sondern sie stellt uns die Geburt der Wahrheit im Sprechen dar und dadurch stoßen wir auf die Realität dessen, was weder wahr noch falsch ist. Zumindest besteht darin das Verstörendste ihres Problems.“ (A.a.O., S. 301)
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ausgerechnet Aristoteles: Lacan bezieht sich auf einen berühmten Syllogismus:
– Alle Menschen sind sterblich.
– Sokrates ist ein Mensch.
– Also gilt: Sokrates ist sterblich.
Dieser Syllogismus wird meist Aristoteles zugeschrieben, ist jedoch nicht von ihm (vgl. diese durchsuchbare PDF-Datei: Aristotle: Works. Hg. v. W.D. Ross. Clarendon Press, Oxford 1912, „Socrate is mortal“ wird man darin nicht finden). Das Beispiel stammt vermutlich von John Stuart Mill, auf jeden Fall findet man es in dessen: A System of Logic. Parker, London 1843, Buch II, Kapitel 3, S. 245 (im Internet hier). (Vgl. hierzu den Hinweis von David A. Wheeler hier.)im Titel eines der Bücher der Logik von Aristoteles: Hinweis auf De interpretatione (Lehre vom Satz).
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dieses Wesen der Atopie: Die „Atopie“ (Ortlosigkeit) des Sokrates war ein Thema im vorangegangenen Seminar 8, Die Übertragung (1960/61), in der Sitzung vom 11. Januar 1961.
acting out: Unter acting out versteht man in der Psychoanalyse impulsive Handlungen autoaggressiven oder heteroaggressiven Charakters; damit wurde Freuds Terminus des Agierens übersetzt – die Wiederholung in der Übertragung ist meist ein Agieren im Unterschied zum Erinnern (vgl. Freud: Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten (1914), in: GW 10, S. 130; Freud: Der Mann Moses und die monotheistische Religion (1939), in: GW 16, S. 195; außerdem die Artikel „acting out“ und „Agieren“ in: Jean Laplanche, Jean-Bertrand Pontalis: Vokabular der Psychoanalyse. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1972, S. 34–37 und 46 f.)
das „acting out“ seines Lebens: Mit dem Verzicht auf das Exil kam Sokrates’ Todeswunsch bzw. Todesbegehren ins Spiel, nicht auf der Ebene des erinnernden Sprechens, sondern einer selbstzerstörerischen körperlichen Handlung. Ein Jahr nach dem laufenden Identifizierungs-Seminar, im Seminar über die Angst, wird Lacan acting out und passage à l’acte voneinander abgrenzen: das acting out vollzieht sich in einer Übertragungsbeziehung, ist eine chiffrierte Botschaft an den Anderen, deren Sinn dem Agierenden unbekannt ist, und die vom Anderen gedeutet werden soll; die passage à l’acte hingegen liegt außerhalb der Übertragung (vgl. Seminar 10, Sitzung vom 23. Januar 1963). Wenn man dieses Verständnis von acting out um ein Jahr zurückprojiziert, war Sokrates’ Verzicht auf das Exil eine chiffrierte Botschaft an die schwerhörige Polis, ein Appell an sie, Sokrates’ unbewussten Todeswunsch zu entziffern.
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Unbeschwertheit: Im Französischen steht hier die Redewendung fleur au fusil, wörtlich: „Blume im Gewehr“, mit der Konnotation: heiter und enthusiastisch in den Krieg, in den Tod ziehen.
Dem Asklepios den berühmten Hahn zu entrichten: Sokrates vertraute nicht zuletzt auf seine Einsicht in ein Leben nach dem Tod, womit unter anderem das Ende im Phaidon zu verstehen ist, wo es heißt: „O Kriton, wir sind dem Asklepios einen Hahn schuldig, entrichtet ihm den, und versäumt es ja nicht.“ (118a) Damit meint er, dass er von der Krankheit, dass seine Seele an den Leib gebunden sei, geheilt worden ist, weshalb Asklepios, dem Gott der Heilkunst, zu opfern sei (vgl. hier).
Maronenverkäufer an der Ecke: Möglicherweise ein Bezug auf den Film der Gebrüder Lumière Le marchand de marrons, worin einem Maronenverkäufer ein Streich gespielt wird. Während eine Droschke vor ihm hält, bindet ein Junge den Wagen mit einem Seil an die Auslage des Maronenhändlers, die umgestoßen wird, als der Wagen weiterfährt. Auch hier geht es um eine Bindung!
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eine Übertragung auszutreiben: Gemeint ist die Übertragung auf Sokrates als sujet supposé savoir, als Subjekt, dem zu wissen unterstellt wird.
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der Misserfolg ist offensichtlich: Die moderne, auf Formalisierung beruhende Wissenschaft bekundet das Scheitern der sich auf Aristoteles stützenden Form des Wissens.
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Denaturierung des Begehrens bei Platon: Möglicherweise das Begehren von Sokrates, dass sich im hartnäckigen Verfolgen von Was-ist-Fragen zu den Leitbegriffen der Polis bekundet, etwa in der Frage „Was ist Tugend?“. Dieses Begehren ist „denaturiert“, es ist kein Bedürfnis vom Typ des Hungers oder Dursts, es stützt sich vielmehr auf das Sprechen und die Sprache.
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Die moderne Wissenschaft: Für Lacan ist die moderne Wissenschaft vor allem dadurch charakterisiert, dass sie mit Formeln arbeitet und sich damit letztlich auf die Algebra stützt.
Prägnante Formulierungen hierzu finden sich später u.a. in Seminar 20, Encore (Sitzung vom 16. Januar 1973, Version Miller/Haas u.a. S. 48 f.). Das Musterbeispiel ist dort Newtons Formel für die Gravitation:
(Die Anziehung (FG) zwischen zwei Körpern ist proportional zum Produkt ihrer beiden Massen (m1 und m2) und umgekehrt proportional zum Quadrat ihres Abstandes (r), multipliziert mit der Gravitationskonstanten (G).)
Hyperplatonismus: Platon nahm an, dass die Wirklichkeit eine mathematische Struktur hat: Die Dinge sind aus geometrischen Körpern aufgebaut, aus regelmäßigen Polyedern (sogenannte platonische Körper), deren Flächen wiederum aus zwei Arten von Dreiecken bestehen (so im Dialog Timaios).
keineswegs Rückkehr zum Wissen als Begriff: Im Gegensatz zu Platon werden für Aristoteles mathematische Beziehungen, ausgehend von der Wahrnehmung konkreter Dinge, durch Abstraktion und Idealisierung gebildet; in der Realität gibt es keine Linien, Flächen und geometrischen Körper. Aristoteles ist jedoch kein Empirist, Gegenstand des wahren Wissens ist für ihn das Allgemeine, das sich nicht wahrnehmen lässt und das nur durch die Vernunft erfasst werden kann. Das Allgemeine – das heißt, die Wirklichkeit ist für ihn nicht durch mathematische Verhältnisse konstituiert, sondern durch Kategorien wie Substanz, Eigenschaft, Relation, Ursache, also durch Begriffe. (Vgl. Wolfgang Röd: Der Weg der Philosophie. Von den Anfängen bis ins 20. Jahrhundert. Erster Band: Altertum, Mittelalter, Renaissance. Beck, München 2000, S. 147 f.)
Descartes geht es in seinen philosophischen Schriften um die Einübung in die Begriffsbildung und damit steht er in der aristotelischen Tradition. Um zu haltbaren Erkenntnissen zu gelangen, sollen wir die Begriffe, die wir in uns vorfinden, überprüfen und nur diejenigen als wahr beurteilen, die wir klar und deutlich verstehen. Diese klaren und deutlichen, also wahren Begriffe – etwa die der Materie als des Ausgedehnten und der Seele als Denken – sollen die Grundlage für die darauf aufbauenden Wissenschaften bilden, vor allem für die Physik, die Kosmologie und die Ethik.
Freud hat (ohne Aristoteles oder Descartes zu nennen) dieses Programm der Theorieentwicklung entschieden kritisiert:
„Wir haben oftmals die Forderung vertreten gehört, daß eine Wissenschaft über klaren und scharf definierten Grundbegriffen aufgebaut sein soll. In Wirklichkeit beginnt keine Wissenschaft mit solchen Definitionen, auch die exaktesten nicht. Der richtige Anfang der wissenschaftlichen Tätigkeit besteht vielmehr in der Beschreibung von Erscheinungen, die dann weiterhin gruppiert, angeordnet und in Zusammenhänge eingetragen werden. Schon bei der Beschreibung kann man es nicht vermeiden, gewisse abstrakte Ideen auf das Material anzuwenden, die man irgendwoher, gewiß nicht aus der neuen Erfahrung allein, herbeiholt. Noch unentbehrlicher sind solche Ideen – die späteren Grundbegriffe der Wissenschaft – bei der weiteren Verarbeitung des Stoffes. Sie müssen zunächst ein gewisses Maß von Unbestimmtheit an sich tragen; von einer klaren Umzeichnung ihres Inhaltes kann keine Rede sein. Solange sie sich in diesem Zustande befinden, verständigt man sich über ihre Bedeutung durch den wiederholten Hinweis auf das Erfahrungsmaterial, dem sie entnommen scheinen, das aber in Wirklichkeit ihnen unterworfen wird. Sie haben also strenge genommen den Charakter von Konventionen, wobei aber alles darauf ankommt, daß sie doch nicht willkürlich gewählt werden, sondern durch bedeutsame Beziehungen zum empirischen Stoffe bestimmt sind, die man zu erraten vermeint, noch ehe man sie erkennen und nachweisen kann. Erst nach gründlicherer Erforschung des betreffenden Erscheinungsgebietes kann man auch dessen wissenschaftliche Grundbegriffe schärfer erfassen und sie fortschreitend so abändern, daß sie in großem Umfange brauchbar und dabei durchaus widerspruchsfrei werden. Dann mag es auch an der Zeit sein, sie in Definitionen zu bannen. Der Fortschritt der Erkenntnis duldet aber auch keine Starrheit der Definitionen. Wie das Beispiel der Physik in glänzender Weise lehrt, erfahren auch die in Definitionen festgelegten ‚Grundbegriffe‘ einen stetigen Inhaltswandel.“
(Triebe und Triebschicksale, 1915, GW 10, S. 210 f.)
Anders ist es übrigens mit Descartes dem Mathematiker. Er verknüpfte Geometrie und Algebra und war damit einer der Gründer der analytischen Geometrie. Seine Mathematik, so wird angenommen, hatte starken Einfluss auf den jungen Newton, damit gehört Descartes zu den Wegbereitern der modernen Wissenschaft.
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zweiter Tod der Götter: Anspielung auf Lacans Begriff des „zweiten Todes“, den er im Ethik-Seminar entwickelt hatte (vgl. R. Nemitz: „Zweiter Tod“ und „Zwischen-zwei-Toden“ in Lacans Seminar über die Ethik der Psychoanalyse. In: Lacan entziffern, 31. Juli 2013, hier). Der zweite Tod besteht in der Vernichtung der Macht des Signifikanten. Möglicherweise will Lacan sagen: Die Wiederkehr der griechischen Götter in der Renaissance ist eine Wiederholung, durch welche die Macht des Mythos im Bereich der Wissenschaft letztlich gebrochen wird.
Die wahre Wahrheit des Worts vertreibt die Dunkelheit des Sinns, woraus die moderne Wissenschaft hervorgeht: Auch dies könnte eine Anspielung auf den Formel-Charakter der modernen Wissenschaft sein. Vielleicht ist gemeint: Naturwissenschaftliche Formeln haben in gewissem Sinne keinen „Sinn“, wenn man sich für „Sinn“ am Wort- und Satzverstehen orientiert.
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Äußerung und Ausgesagtes: Lacan kommt hier auf ein Argument zurück, dass er zuerst in Das Drängen des Buchstabens (1957) vorgetragen hatte. Ausgehend von Cogito hieß es dort:
„Ist der Platz, den ich als Signifikantensubjekt [sujet de signifiant] einnehme, im Verhältnis zu dem Platz, den ich als Subjekt des Signifikats [sujet du signifié] einnehme, konzentrisch oder exzentrisch? Das ist die Frage.
Es geht nicht darum zu wissen, ob ich von mir auf eine Weise spreche, die dem konform ist, was ich bin, sondern ob ich, wenn ich davon spreche, derselbe bin wie derjenige, von dem ich spreche.“
(Schriften. Vollständiger Text. Band 1. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien 2016, S. 611)
Die Antwort ist für Lacan klar: Wenn ich von mir spreche, bin ich ein anderer als derjenige, von dem ich spreche. Bezogen auf das Cogito heißt das: als res cogitans (als Denkender) bin ich nicht das cogitatum (nicht das Gedachte). Genau darauf zielt die Unterscheidung zwischen dem Subjekt der Äußerung und dem Subjekt des Ausgesagten.
die beiden Linien des Graphen: Lacan bezieht sich auf den sogenannten Graphen des Begehrens, den er in den Seminaren 5 und 6 entwickelt hatte; die endgültige Fassung findet man in dem Aufsatz Subversion des Subjekts und Dialektik des Begehrens. Gemeint sind die beiden von links nach rechts verlaufenden Linien.
Graph des Begehrens
(Abbildung aus : J.L: Schriften. Band II. Vollständiger Text, a.a.O., S. 355, Beschriftung mit énoncé und énonciation von MK/RN.)
Die Zuordnung der beiden Linien zum Ausgesagten (énoncé), untere Linie, und zur Äußerung (énonciation), obere Linie, findet man in Seminar 6, Das Begehren und seine Deutung, in der Sitzung vom 3. Dezember 1958, Version Miller/Gondek S. 98 f. (énonciation wird dort mit „Aussage“ übersetzt).
Sackgasse des „ich lüge“: Demnach sollen auch in Bezug auf das Denken diese beiden Seiten unterschieden werden: das Denken als Äußerung (énonciation) und das Denken als Ausgesagtes (énoncé), also das Denken als Denkvorgang und das Denken als gedachter Gedanke.
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diese Stimmen unterscheide:
– Erste Stimme: ich lüge: der Akt des Lügens, Lügen auf der Ebene des Äußerungsvorgangs (énonciaton);
– Zweite Stimme: ich sage, dass ich lüge: das Lügen als Thema eines Sprechens, Lügen auf der Ebene des Ausgesagten (énoncé). -
die Wahrheit, die nur eine Verirrte wäre: Anspielung auf den im Symbolischen fehlenden Wahrheitsgaranten und damit auf den Signifikanten eines Mangel im Anderen, S(Ⱥ).
die Wahrheit, die insofern ein Mädchen ist: In Die Freud’sche Sache hatte Lacan geschrieben:
„Dass die Wahrheit für ihn niemals ein so schönes Mädchen ist, wie in dem Moment, da das durch seinen Arm ins sprichwörtliche Sinnbild gehobene Licht sie nackt überrascht, geht nicht ganz auf das Konto einer Art Verblendung des Menschen.“
(J.L.: Schriften. Band I, a.a.O., S. 480)
Die Wahrheit wäre wie jedes andere Mädchen nur eine Verirrte: Möglicherweise die frühe Skizze einer These, die dann in den Formeln der Sexuierung ausgearbeitet wird – der weiblichen (rechten) Seite wird darin das Symbol S(Ⱥ) zugeordnet:
(Abbildung aus: J. Lacan: Das Seminar, Buch XX (1972–1973). Encore. Textherstellung durch Jacques-Alain Miller. Übersetzt von Norbert Haas, Vreni Haas und Hans-Joachim Metzger. Quadriga, Weinheim u.a. 1986, S. 85)
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genauso: Auch beim „ich denke“ muss man das Ausgesagte und den Äußerungsvorgang unterscheiden und auch hier entsteht eine Paradoxie, wenn das Ausgesagte sich auf den Äußerungsvorgang bezieht. Das heißt, man muss den Satz „ich denke“ so lesen: „ich denke mit diesem Gedanken“. Und das müsste zu der folgenden Paradoxie führen: Wenn es wahr ist, dass ich mit diesem Gedanken denke, dann ist es falsch, dass ich mit diesem Gedanken denke, und wenn es falsch ist, dass ich mit diesem Gedanken denke, dann ist es wahr, dass ich mit diesem Gedanken denke.
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das „ich denke“ der Meinung: Dies soll offenbar der einen Seite der Paradoxie entsprechen: Wenn es falsch ist, dass ich denke (wenn das „ich denke“ eine bloße Meinung ist), dann ist es wahr, dass ich denke.
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„ich bin ein denkendes Wessen“: Dies soll offenbar der anderen Seite des Paradoxie entsprechen: Wenn es wahr ist, dass ich denke, dann ist es falsch, dass ich denke (insofern ich ja voraussetze, was ich beweisen will).
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Cogito: Descartes Discours de la méthode wurde 1637 auf französisch publiziert. 1646 erschien eine lateinische Übersetzung (mit dem Titel Dissertatio de methodo, im Internet hier), darin wurde „je pense, donc je suis“ mit „ego cogito, ergo sum“ übersetzt. Daher das Kürzel Cogito, für diesen Satz wie auch für dessen Funktion im Theorieaufbau.
Le sujet supposé savoir: Der Terminus sujet supposé savoir wird hier von Lacan zum ersten Mal verwendet. In den nächsten Jahren wird er, zur Analyse der Übertragung, noch eine entscheidende Rolle spielen.
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zum absoluten Wissen: Hegels Phänomenologie des Geistes (1807) stellt die Entwicklungsformen des Geistes dar, sie mündet in das Kapitel „Das absolute Wissen“.
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dem Wissen ein Subjekt zu unterstellen: Der Terminus sujet supposé savoir zielt demnach auf die Entkoppelung von Subjekt und Wissen. Dies im Gegensatz zu Descartes, der das Wissen auf das Subjekt gründen möchte (auf das „Ich denke“).
subicere: Der Terminus Subjekt geht zurück auf das lateinische Verb subicere, „etwas unter etwas werfen, stellen, legen“. Das subiectum ist, wörtlich übersetzt, „das, was unter etwas gestellt wird“.
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Das Wissen ist auf den Anderen zu beziehen, nicht auf das Subjekt.
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seit Aristoteles: Dieser Hinweis bezieht sich vermutlich auf die Topik von Aristoteles (fünftes Buch des Organon), die Lehre von den topoi, den Örtern.
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was Hegel als Geschichte des Subjekts ausgebreitet hat: Damit ist sicherlich die Phänomenologie des Geistes gemeint.
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Vorstellungsrepräsentanzen: Freud spricht von den „Vorstellungsrepräsentanzen“, an die der Trieb gebunden ist und an denen sich die Verdrängung vollzieht (vgl. Die Verdrängung (1915), GW 10, S. 250; Das Unbewusste (1915), GW 10, S. 276). Der Terminus entspricht bei Lacan etwa dem der unbewussten Signifikanten. (Vgl. R. Nemitz: Die Vorstellungsrepräsentanz. In: Lacan entziffern, 17. Juli 2017.)
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es: Lacan erläutert hier offenbar, wie er Freuds Begriff des Es versteht.
die zu ihm wiederkehren: Anspielung auf Freuds Konzept der Wiederkehr des Verdrängten. Die verdrängten Elemente (die Vorstellungsrepräsentanzen, mit Lacan: die Signifikanten) erscheinen in Gestalt von Symptomen, Träumen, Fehlleistungen wieder, allerdings – aufgrund der Kompromissbildung mit den verdrängenden Vorstellungen – in entstellter Form, sodass sie für gewöhnlich nicht ohne weiteres erkannt werden können.
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signifikante Skandierung, bei der das Subjekt jeder Artikulation immanent ist: Ankündigung der Formulierung „Ein Signifikant ist das, wodurch das Subjekt für einen anderen Signifikanten repräsentiert wird“, die Lacan drei Sitzungen später einführen wird, in der Vorlesung vom 6. Dezember 1962. Die signifikante Skandierung ist gewissermaßen der Zwischenraum zwischen den Signifikanten, und das Subjekt wird durch diesen Zwischenraum repräsentiert.