Die Vorstellungsrepräsentanz
Cornelis Gijsbrechts: Rückseite eines Gemäldes, 1670
Öl auf Leinwand, 66,6 x 86,5 cm, Staatliches Kunstmuseum Kopenhagen
Was versteht Lacan unter „Vorstellungsrepräsentanz“?
Der Terminus ist von Freud. Lacan verwendet ihn erstmals in Seminar 6 von 1958/59, Das Begehren und seine Deutung. Danach kommt er in allen späteren Seminaren darauf zurück, mit Ausnahme von Seminar 10, zuletzt in Seminar 18 von 1971, Über einen Diskurs, der nicht vom Schein wäre. Auch danach wird er ihn noch einmal verwenden, in L’étourdit, einem Aufsatz von 1973.
Ich schreibe diesen Artikel, um die Verwendung des Begriffs der Vorstellungsrepräsentanz in den Vorlesungen über Las meninas in Seminar 13 zu klären, die ich in diesem Blog übersetzt habe. Ich zitiere und kommentiere deshalb im Folgenden, in chronologischer Ordnung, Lacans Bezugnahmen auf den Begriff bis einschließlich Seminar 13 von 1965/66, bis zur letzten Verwendung vor den Las-meninas-Sitzungen, ergänzt durch eine besonders prägnante Formulierung aus Seminar 16 von 1968/69, Von einem Anderen zum anderen.
Herzlichen Dank an Steffen Dietz für Korrekturen!
Zur Notation in den Übersetzungen
Wörter mit Sternchen*: im Original deutsch
In eckigen Klammern: nicht von Lacan
Inhalt
- Freud
- Lacan
- Ein unbewusster, ein verdrängter Signifikant (1958, 1959)
- Zeichen als Repräsentanz der Vorstellung des Dings (1959/1960)
- Die Repräsentanz der Vorstellung des verlorenen Objekts (1961)
- Was den Wiederholungszwang antreibt (1961)
- Die Vorstellungsrepräsentanz der Ek-sistenz des Subjekts (1961)
- Das Begehren (1962)
- Die fehlende Vorstellung und der urverdrängte binäre Signifikant (1964)
- Repräsentanz einer fehlenden Vorstellung (1965)
- Die fehlende Vorstellung des Objekts a (1966)
- Urverdrängung und Vorstellungsrepräsentanz (1966)
- Repräsentant der Tatsache, dass es Nicht-Repräsentierbares gibt (1969)
- Zusammenfassung
- Zum Bild zu Beginn des Artikels
- Verwandte Beiträge
- Anmerkungen
Freud
In Das Unbewusste (1915) schreibt Freud:
„Ich meine wirklich, der Gegensatz von bewußt und unbewußt hat auf den Trieb keine Anwendung. Ein Trieb kann nie Objekt des Bewußtseins werden, nur die Vorstellung, die ihn repräsentiert. Er kann aber auch im Unbewußten nicht anders als durch die Vorstellung repräsentiert sein. Würde der Trieb sich nicht an eine Vorstellung heften oder nicht als ein Affektzustand zum Vorschein kommen, so könnten wir nichts von ihm wissen. Wenn wir aber doch von einer unbewußten Triebregung oder einer verdrängten Triebregung reden, so ist dies eine harmlose Nachlässigkeit des Ausdrucks. Wir können nichts anderes meinen, als eine Triebregung, deren Vorstellungsrepräsentanz unbewußt ist, denn etwas anderes kommt nicht in Betracht.“1
Zu unterscheiden sind demnach: der Trieb, die den Trieb repräsentierende Vorstellung und der Affekt als Triebausdruck. Nur die Vorstellungsrepräsentanz des Triebes kann verdrängt werden, nicht aber der Affekt. Die den Trieb repräsentierende Vorstellung kann bewusst oder unbewusst sein.
Der Ausdruck „Vorstellungsrepräsentanz“ steht hier also für eine Relation zwischen zwei Elementen. Diese Relation ist eine Repräsentationsbeziehung, das eine Element ist das Repräsentierte, das andere das Repräsentierende. Der Platz des Repräsentierten wird vom Trieb eingenommen, der Platz des Repräsentierenden wird von der Vorstellung besetzt. Der Trieb wird repräsentiert – nämlich durch was? Durch eine Vorstellung. Schematisch lässt sich das so darstellen:Für Lacans spätere Verwendung des Ausdrucks ist wichtig, dass die Wortkoppelung „Vorstellungsrepräsentanz“ auch anders aufgefasst werden kann, nämlich als „Repräsentanz für eine Vorstellung“ oder „Repräsentant einer Vorstellung“.
Man denke an das Wort „Elternrepräsentanz“. Das ist kein häufiger Ausdruck, aber es ist korrekt gebildet, und er kann auf zwei unterschiedliche Weisen verwendet werden. Wenn Eltern vor Gericht als Repräsentanten ihres Kindes auftreten, könnte man sie als „Elternrepräsentanz“ bezeichnen, im Sinne von: Eltern als Repräsentanten (ihrer Kinder). Wenn die Eltern vor Gericht durch einen Anwalt vertreten werden, könnte man den Anwalt ebenfalls als „Elternrepräsentanz“ bezeichnen, jetzt im Sinne von: (Anwalt als) Repräsentant der Eltern.
Bei Freud folgt die Wortbildung „Vorstellungsrepräsentanz“ ohne jede Mehrdeutigkeit dem ersten Muster, er sagt klar und deutlich: Die Vorstellung repräsentiert den Trieb. Das heißt, die Vorstellung repräsentiert etwas, und nicht: die Vorstellung wird durch etwas repräsentiert. In Freuds Verwendung des Ausdrucks ist die Vorstellung das Repräsentierende, nicht das Repräsentierte.
In Die Verdrängung, einem Aufsatz von Freud aus demselben Jahr, heißt es:
„Wir haben also Grund, eine Urverdrängung anzunehmen, eine erste Phase der Verdrängung, die darin besteht, daß der psychischen (Vorstellungs-)Repräsentanz des Triebes die Übernahme ins Bewußte versagt wird. Mit dieser ist eine Fixierung gegeben; die betreffende Repräsentanz bleibt von da an unveränderlich bestehen und der Trieb an sie gebunden.“2
Der Trieb hat eine psychische „(Vorstellungs-)Repräsentanz“. Durch die Erläuterung im Aufsatz über das Unbewusste ist klar, was mit dieser Schreibweise gemeint ist: Die Triebrepräsentanz hat den Charakter einer Vorstellung, der Trieb wird durch eine Vorstellung repräsentiert.
Bei der Urverdrängung wird der Vorstellungsrepräsentanz des Triebes (der Vorstellung, die den Trieb repräsentiert) die Aufnahme ins Bewusste versagt und der Trieb bleibt an diese Repräsentanz fixiert.
Kann die Vorstellung, an die der Trieb fixiert bleibt, bewusst werden? Das bleibt hier offen.
Im Die Verdrängung heißt es danach:
„Die zweite Stufe der Verdrängung, die eigentliche Verdrängung, betrifft psychische Abkömmlinge der verdrängten Repräsentanz oder solche Gedankenzüge, die, anderswoher stammend, in assoziative Beziehung zu ihr geraten sind. Wegen dieser Beziehung erfahren diese Vorstellungen dasselbe Schicksal wie das Urverdrängte. Die eigentliche Verdrängung ist also ein Nachdrängen.“3
Zwei Formen der Verdrängung sind zu unterscheiden: die Urverdrängung und die eigentliche Verdrängung. Die eigentliche Verdrängung betrifft Vorstellungen, die zur urverdrängten Vorstellung in einer Beziehung stehen.
Ein Trieb ist demnach mit zwei Arten von Vorstellungen verknüpft: mit uverdrängten Vorstellungen und mit eigentlich verdrängten Vorstellungen. Kann er auch mit bewussten Vorstellungen verbunden sein? Das bleibt hier offen.
Freud fährt fort:
„Man tut übrigens unrecht, wenn man nur die Abstoßung hervorhebt, die vom Bewußten her auf das zu Verdrängende wirkt. Es kommt ebensosehr die Anziehung in Betracht, welche das Urverdrängte auf alles ausübt, womit es sich in Verbindung setzen kann. Wahrscheinlich würde die Verdrängungstendenz ihre Absicht nicht erreichen, wenn diese Kräfte nicht zusammenwirkten, wenn es nicht ein vorher Verdrängtes gäbe, welches das vom Bewußten Abgestoßene aufzunehmen bereit wäre.“4
Die eigentliche Verdrängung ist ein Effekt der Abstoßung und der Anziehung von Vorstellungen, also eine Wirkung, die von zwei Seiten aus betrieben wird. Die Verdrängung wird einerseits durch das Bewusste angetrieben, dadurch nämlich, dass das Bewusste bestimmte Vorstellungen abstößt. Die Verdrängung ist zugleich ein Effekt des Urverdrängten, insofern das Urverdrängte bestimmte Vorstellungen anzieht und sie aufnimmt. Damit eine Verdrängung zustande kommt, müssen, so vermutet Freud, beide Wirkungsarten zusammentreffen.
In späteren Texten wird Freud den Ausdruck „Vorstellungsrepräsenz des Triebs“ zur „Triebrepräsentanz“ zusammenziehen5, man wird den Ausdruck ergänzen dürfen zu „Triebrepräsentanz durch eine Vorstellung“ oder „Triebrepräsentanz durch Vorstellungen“.
Lacan
Ein unbewusster, ein verdrängter Signifikant (1958, 1959)
In Seminar 6, Das Begehren und seine Deutung (1958/59), verweist Lacan auf die Aufsätze von Freud, in denen der Begriff „Vorstellungsrepräsentanz“ verwendet wird.
„Haben einige von Ihnen letztes Mal meinem Rat folgen können, die beiden 1915 erschienenen Aufsätze nachzulesen?
Wenn Sie zum Beispiel den Aufsatz Das Unbewusste lesen, an der Stelle, die hierzu die sinnfälligste zu sein scheint, werden Sie feststellen, dass es um nichts anderes geht als um Signifikantenelemente. Wenn ich hier vom Signifikanten spreche, sagen diejenigen, die absolut nichts verstehen, beständig, es handele sich um eine intellektualistische Theorie, der sie natürlich das Affektleben, die Dynamik gegenüberstellen. Ich bin weit davon entfernt, deren Existenz zu bestreiten, denn gerade, um es auf deutliche Weise zu erklären, gehe ich den Aufsatz über das Unbewusste durch. Wir werden uns also auf die Ebene der unbewussten Empfindungen begeben, insofern Freud davon spricht.
Im dritten Teil von Das Unbewusste erklärt Freud uns ganz deutlich, dass, eigentlich gesagt, nur das verdrängt werden kann, was er Vorstellungsrepräsentanz* nennt. Das bedeutet: Repräsentant der Repräsentation. Repräsentation wessen? der Triebbewegung (mouvement pulsionel), die hier Triebregung genannt wird und die man noch genauer unité de motion pulsionelle nennen kann, Triebbewegungseinheit.
Der Text lässt nichts zweideutig – es steht außer Frage, dass die Triebregung weder als unbewusst noch als bewusst aufgefasst werden darf. Was bedeutet das? Das bedeutet ganz einfach, dass man das, was wir Triebregung nennen, als ein objektives Konzept verstehen muss. Es ist, wenn wir sie betrachten, eine objektive Einheit, und sie ist weder bewusst noch unbewusst, sie ist ganz einfach das, was sie ist, ein isoliertes Fragment der Realität, das unserer Auffassung nach seine eigene Aktionsauswirkung hat.
Umso bemerkenswerter ist meiner Meinung nach, dass von dem, wovon die Triebregung repräsentiert wird, nämlich le représentant de la représentation [der Repräsentant der Vorstellung] – das ist der exakte Wert des deutschen Ausdrucks –, dem einzigen Repräsentanten des Triebs, dass nur davon sich sagen ließe, er gehöre dem Unbewussten an. Dieser impliziert nun gerade den Ausdruck, den ich vorhin mit einem Fragezeichen versehen habe, nämlich ein unbewusstes Subjekt.
Natürlich sehen Sie bereits – nicht, wohin ich kommen will, sondern wohin wir notwendig kommen werden. Auch wenn Freud seinerzeit auf dem Stand war, auf dem die Dinge sich in einem wissenschaftlichen Diskurs sagen ließen, ist diese Vorstellungsrepräsentanz*, Sie können es sicher spüren, streng gleichbedeutend mit dem Begriff und dem Ausdruck Signifikant.“6
Lacan referiert zunächst Freud: Die Vorstellungsrepräsentanz ist die Repräsentanz einer Triebregung. Die Triebregung selbst ist weder bewusst noch unbewusst. Das, was verdrängt wird und deshalb unbewusst wird, ist die Repräsentanz der Triebregung.
Danach stellt Lacan die Beziehung zu seinem eigenen Begriffsapparat her. Die Freud’sche Vorstellungsrepräsentanz ist gleichbedeutend mit dem Lacanschen Signifikanten. Die Vorstellungsrepräsentanz ist ein unbewusster Signifikant, der eine Triebregung repräsentiert. Darin liegt eine leichte Differenz gegenüber Freud, für den eine Vorstellungsrepräsentanz bewusst oder unbewusst sein kann.
Lacan übersetzt „Vorstellungsrepräsentanz“ mit représentant de la représentation, „Repräsentanz der Vorstellung“ oder „Repräsentant der Vorstellung“. Damit verändert der Ausdruck radikal seine Bedeutung. (Eine Übersetzung von Vorstellungsrepräsentanz, die der Bedeutung entspricht, die der Terminus bei Freud hat, ist vermutlich – ich hoffe, dass mein Französisch dafür reicht – représentant (de la pulsion) sous forme de représentation.) Wie Freud operiert auch Lacan mit einer Relation aus zwei Elementen, einem repräsentierenden Element und einem repräsentierten Element. Die Vorstellung hat in dieser Beziehung bei Lacan jedoch eine andere Funktion als bei Freud. Für Lacan ist das repräsentierte Element die Vorstellung und das repräsentierende Element die „Repräsentanz“ – die Vorstellung wird durch etwas repräsentiert, nämlich durch die „Repräsentanz“. So als ob man unter „Elternrepräsentanz“ nicht die Eltern als Repräsentierende verstünde, sondern die Eltern als Repräsentierte (z.B. die Eltern, insofern sie durch einen Anwalt vertreten werden). Um auch dies durch ein Schema zu veranschaulichen:Die Beziehung zwischen den beiden Seiten der Repräsentanz wird von Lacan also anders aufgefasst als von Freud. Hier der unmittelbare Vergleich:
Dieses Missverständnis, diese Umdeutung des Terminus Vorstellungsrepräsentanz erfolgt vermutlich unter dem Einfluss der Opposition von Signifikant und Signifikat; die Repräsentanz entspricht dem Signifikanten, die Vorstellung (die représentation) dem Signifikat. Aus der zweigliedrigen Beziehung von Freud – der Trieb wird durch eine Vorstellung repräsentiert – wird eine dreigliedrige Beziehung: Der Trieb wird repräsentiert durch eine Beziehung zwischen Repräsentanz und Vorstellung, zwischen Signifikant und Signifikat.
Später in derselben Sitzung erläutert Lacan den Begriff der Vorstellungsrepräsentanz an einem von Freud analysierten Traum. Der Vater eines Patienten von Freud ist nach langer Krankheit gestorben. Der Patient träumt wiederholt, „der Vater sei wieder am Leben und er spreche mit ihm wie sonst. Dabei habe er es aber äußerst schmerzlich empfunden, dass der Vater doch schon gestorben war und es nur nicht wusste.“7 Freud sagt, der unsinnig erscheinende Traum bekomme dann einen Sinn, wenn man zur Formulierung „dass der Vater doch schon gestorben war“ die Worte hinzufüge „nach seinem Wunsch“ – dass der Vater nach dem Wunsch des Träumenden gestorben war –, und wenn man außerdem die Wortfolge „dass er es nur nicht wusste“ so ergänzt:„dass er (der Träumer) es wünschte“, also dass der Vater nicht wusste, dass der Träumende wünschte, dass der Vater gestorben war.
Lacan kommentiert diese Deutung so:
„Wenn ich diesen Text gewählt habe, um aus ihm einen Traum zu nehmen sowie die Analyse, die Freud davon liefert, dann deshalb, weil man hier auf einfache, exemplarische, bedeutsame, unzweideutige Weise artikuliert findet, wie Freud die Handhabung dieser Vorstellungsrepräsentanzen* versteht, insofern es in diesem Aufsatz um die Formulierung des unbewussten Begehrens geht.
Was aus der Gesamtheit von Freuds Werk hervorgeht hinsichtlich der Beziehungen zwischen der Vorstellungsrepräsentanz* und dem Primärvorgang, insofern er dem ersten Prinzip, Lustprinzip genannt, unterworfen ist, lässt keinerlei Zweifel. Es gibt keine andere Weise, den Gegensatz zwischen dem Lust- und dem Realitätsprinzip zu denken, wenn wir nicht wahrnehmen, dass das, was uns gegeben ist als das Auftreten der Halluzination, in welcher der Primärvorgang seine Befriedigung findet – das heißt das Begehren auf der Ebene des Primärvorgangs –, dass dies nicht einfach nur ein Bild betrifft, sondern einen Signifikanten.“8
Und:
„Es ist also der Traum, der von seinem Text ein Element abzieht, das dem Bewusstsein des Subjekts mitnichten entzogen ist. Und es ist also dieses Subtraktionsphänomen, das, wenn ich so sagen kann, einen positiven Wert annimmt. Will sagen, genau das ist das Problem: das der Verdrängung. Was hier verdrängt ist, das ist ganz zweifellos eine Vorstellungsrepräsentanz* und sogar eine ganz typische. Wenn etwas diesen Ausdruck verdient, dann gerade etwas, das, so würde ich sagen, an sich selbst eine sinnleere Form ist. ‚Nach seinem Wunsch‘ bedeutet an sich, isoliert, nichts. Es bedeutet nach dem Wunsch, von dem man zuvor gesprochen hat. Der Sinn hängt von dem Satz davor ab.“9
Die Vorstellungsrepräsentanzen sind in diesem Fall die Worte „nach seinem Wunsch“ und „dass er es wünschte“. Der Traum ist bewusst, diese Worte sind ebenfalls bewusst, aber sie sind „subtrahiert“, außer Verbindung gebracht. Die Wortfolge an sich selbst hat keinen Sinn, einen Sinn bekommt sie erst durch die Verbindung mit dem davon abgetrennten Satz. Die Vorstellungsrepräsentanz ist demnach ein Signifikant, der durchaus bewusst sein kann, der jedoch keinen Sinn hat, da er aus dem Kontext herausgelöst ist. Lacan schildert hier den von Freud beschriebenen Abwehrmechanismus der Isolierung.
Außerdem hält Lacan fest, dass die Vorstellungsrepräsentanzen dem Lustprinzip unterworfen sind.
Verdrängt werden die Vorstellungsrepräsentanzen des Triebes. Sicherlich darf man hierbei an die mit den Trieben verbundenen Ansprüche bzw. Forderungen (demandes) denken. In den Seminaren 5 und 6 entwickelt Lacan den sogenannten Graphen des Begehrens, und der Trieb wird hier durch die Formel ($ ◊ D) bezeichnet; das großgeschriebene D steht darin für demande, Anspruch. In Seminar 8 wird Lacan ausführen, welche Ansprüche gemeint sind, beim Oraltrieb geht es um die Ansprüche des Kindes an die Mutter, beim Analtrieb um die erzieherischen Forderungen der Erwachsenen an das Kind. (Vgl. die Artikel Die Formel für den Trieb: $ ◊ D und Orale und anale Kodierung des Liebesanspruchs auf der Seite Lacan entziffern.)
Parallel zum Seminar Das Begehren und seine Deutung verfasst Lacan einen Aufsatz über die Theorie der Symbolik von Ernest Jones.10 Lacan ruft in Erinnerung, dass Jones erklärt hatte, es sei der Affekt, der verdrängt wird, und fährt dann fort:
„Wohingegen die Konzeption von Freud – 1915 in der Internationalen Zeitschrift ausgearbeitet und veröffentlicht, in den drei Artikeln über Triebe und Triebschicksale, über Die Verdrängung und über Das Unbewusste – bei diesem Thema keinen Mehrdeutigkeit bestehen lässt: Was verdrängt wird, ist der Signifikant, denn in diesen Texten ist dem Wort Vorstellungsrepräsentanz* kein anderer Sinn zu geben. Was die Affekte angeht, so formuliert er ausdrücklich, dass sie nicht verdrängt werden, dass man das von ihnen nur in einem lockeren Sinn sagen kann […].“ 11
Damit geht Lacan nicht über die Bemerkungen hinaus, die er früher in Seminar 6 gemacht hatte: Die Freud’sche Vorstellungsrepräsentanz ist ein Signifikant, insofern er verdrängt werden kann.
Zeichen als Repräsentanz der Vorstellung des Dings (1959/1960)
In Seminar 7 von 1959/60, Die Ethik der Psychoanalyse, wird die Gleichsetzung von Vorstellungsrepräsentanz und Signifikant bekräftigt. Die Vorstellungsrepräsentanzen sind die „Signifikanten-Elemente im Psychismus“12, die unbewussten Artikulationen bestehen aus Vorstellungsrepräsentanzen13, die Ebene der Vorstellungsrepräsentanzen ist der „bevorzugte Ort“ der Verdrängung14. Die letzten Formulierungen machen klar, dass Vorstellungsrepräsentanzen nicht zwangsläufig verdrängt sind, dass sie diejenigen Größen sind, an denen sich die Verdrängung vollzieht.
Mit der elementaristischen Auffassung der Vorstellungsrepräsentanz steht Freud – sagt Lacan – in der Tradition der atomistischen Psychologie15, demnach, so ergänze ich, in der Tradition der ideas von John Locke. Die Vorstellungsrepräsentanzen sind für Lacan keine komplexen Gebilde und auch keine ganzheitlichen Gestalten, sondern eben Atome bzw. Elemente des Unbewussten.
Die Vorstellungsrepräsentanzen, so heißt es weiter, bilden das „Signifikantennetz“16, sie werden nach den Gesetzen von Metonymie und Metapher assoziiert und kombiniert17. Das Unbewusste besteht demnach aus einem Netz von Vorstellungsrepräsentanzen.
Die Genitivverbindung „Vorstellungsrepräsentanz“ kombiniert die „Repräsentanz“ mit der „Vorstellung“. Wie ist diese Kopplung aufzufassen? Die Übersetzung mit représentant de la représentation hatte bereits angedeutet, dass Lacan, anders als Freud, unter einer Vorstellungsrepräsentanz den Repräsentanten für eine Vorstellung versteht, nicht eine Vorstellung als Repräsentanten. In der folgenden Bemerkung zu Freuds Entwurf einer Psychologie von 1985 geht Lacan weiter in diese Richtung.
„Dieses das Ding* ist nämlich im Mittelpunkt just in dem Sinne, daß es ein ausgeschlossenes ist. Das heißt, daß es in Wirklichkeit als ein Außen gesetzt werden muß, dieses das Ding*, dieser prähistorische Andere, der unmöglich zu vergessen ist, der, wie Freud behauptet, eine notwendige erste Setzung ist, in der Form von etwas, das entfremdet*, mir fremd ist, aber eben durchaus im Mittelpunkt dieses Ichs ist, etwas, das auf der Ebene des Unbewußten allein von einer Repräsentation repräsentiert wird. […] Ich sage, etwas, das allein von einer Repräsentation repräsentiert wird. Betrachten Sie das nicht als einen einfachen Pleonasmus, denn repräsentiert und Repräsentation sind hier zwei verschiedene Dinge, wie der Term Vorstellungsrepräsentanz* anzeigt. Es handelt sich um das, was im Unbewußten als Zeichen die Repräsentation als Apprehensionsfunktion repräsentiert – wobei eine jede Vorstellung repräsentiert wird, insofern sie das Gut evoziert, die das Ding* mit sich bringt.“18
Lacan operiert hier mit einer dreigliedrige Beziehung zwischen dem Ding, der Vorstellung bzw. Repräsentation und der Repräsentanz der Vorstellung. Es gibt etwas (das Ding, den prähistorischen Anderen) und dieses Etwas wird durch eine Repräsentation repräsentiert – soweit entspricht das der Struktur von Freuds Begriff der Vorstellungsrepräsentanz (mit dem Ding an der Stelle des Triebes).
Dann aber trifft Lacan eine Unterscheidung zwischen dem Substanztiv Repräsentation und dem Verb repräsentieren und auf diese Weise zwischen der Repräsentation und der Repräsentanz. Im Unbewussten gibt es das Zeichen, durch das die Repräsentation (bzw. die Vorstellung) repräsentiert wird; dieses Zeichen ist die Repräsentanz. „Als Zeichen“ – sicherlich dürfen wir dafür einsetzen: „als Signifikant“. Im Unbewussten gibt es die Repräsentanz (das Zeichen, den Signifikanten), und durch diese Repräsentanz wird die Repräsentation (die Vorstellung) repräsentiert.
Die Repräsentation ist hier fonction d’appréhension. In der Umgangssprache meint appréhension „Befürchtung“, „Besorgnis“. Lacan verwendet den Ausdruck jedoch meist anders, nämlich im Sinne von „Erfassung“. In der scholastischen Philosophie verstand man unter Apprehension die intellektuelle Erfassung, sei es durch eine Wahrnehmung oder durch ein Urteil oder durch eine Erinnerung; Kant verwendet den Ausdruck für die synthetisierende Aufnahme von Sinneseindrücken. Die Repräsentanz (das Zeichen, der Signifikant) steht im Unbewussten für die Repräsentation, für die Apprehension, etwa für das wahrnehmende Bezogensein-auf-etwas; die Konnotation des Beunruhigenden ist sicherlich beabsichtigt. Das Zeichen repräsentiert die beunruhigende Erfassung des Dings.
Die Repräsentation (qua Apprehension) wiederum kommt ins Spiel, insofern sie das Gute evoziert, das mit dem Ding einhergeht. Das ist ebenfalls eine dreigliedrige Beziehung (Repräsentation, Gutes, Ding). Die Repräsentation ist hier Ding-Erfassung, wobei das Ding unter einem bestimmten Aspekt erfasst wird, unter dem, dass es gut ist.
Das ergibt insgesamt: Im Unbewussten ist die Vorstellungsrepräsentanz (das Zeichen, der Signifikant) eine Repräsentanz. Eine Repräsentanz von was? eine Repräsentanz der Repräsentation, d.h. eine Repräsentanz der Apprehension, die sich auf das Ding bezieht, unter zwar unter dem Aspekt, dass das Ding gut ist.
Auf dieser Linie liegt die Bemerkung, Freud habe das, was er später „Vorstellungsrepräsentanzen“ nennen wird, im Entwurf einer Psychologie noch als „Begriffserinnerungen“ bezeichnet.19 Ähnich wie bestimmte Erinnerungen Begriffe repräsentieren, springen demnach die Vorstellungsrepräsentanzen für die Vorstellung qua Apprehension ein.
In einer späteren Sitzung dieses Seminars heißt es über die Vorstellungsrepräsentanzen:
„Es sind das nicht nur die Vorstellungen, sondern die Repräsentanten der Vorstellung, was sehr genau dem Weg entspricht, auf den sich vor Freud die gesamte sogenannte psychologische Erkenntnis begeben hat, indem sie zuerst in Form eines Atomismus auftrat.“20
Die Psychologie nimmt an, dass es so etwas wie psychische Atome gibt. Diesen Atomen entsprechen, auf der Ebene des Unbewussten, die Vorstellungsrepräsentanzen. Die Vorstellungsrepräsentanzen sind Repräsentanten der Vorstellung.
Und später:
„In der Tat, das erste Verhältnis, das sich beim Subjekt im psychischen System herstellt, das seinerseits der Homöostase als Gesetz des Lustprinzips unterworfen ist, flockt aus, kristallisiert in signifikanten Elementen. Die signifikante Organisation beherrscht den psychischen Apparat, wie ihn uns die Untersuchung des Krnaken zeigt. Daher könne wir, negativ, sagen, daß es nichts gibt zwischen der Organisation im Signifikantennetz, im Netz der Vorstellungsrepräsentanzen*, und der Art und Weise, wie im Realen dieser Raum, dieser zentrale Punkt konstituiert ist, unter dem sich für uns das Feld des Dings als solches konsstituiert.„21
Das Netz der Signifikanten ist das Netz der Vorstellungsrepräsentanzen; eine Vorstellungsrepräsentanz ist demnach ein Signifikant – ein Signifikant unter dem Aspekt begriffen, dass er das Ding umkreist.
Die Repräsentanz der Vorstellung des verlorenen Objekts (1961)
In Seminar 8 von 1960/61, Die Übertragung, liest man:
„Die Analyse hat, wie wir wissen, herausgefunden, daß das, womit das Subjekt zu tun hat, das Objekt der Phantasievorstellung ist, insofern es sich als allein fähig darstellt, einen bevorzugten Punkt in dem festzulegen, was man mit dem Lustprinzip eine durch das Niveau des Genießens geregelte Ökonomie nennen muß. Die Analyse lehrt uns auch, daß wir im Zurückbringen der Frage auf die Ebene des Was will er?, des Was will es da drin? einer Welt von halluzinierten Zeichen begegnen, und sie stellt uns die Realitätsprüfung als eine Weise dar, was zu probieren? – die Realität dieser in uns einer notwendigen Abfolge gemäß hervorgetretenen Zeichen, worin genau die Dominanz des Lustprinzips über das Unbewußte besteht.
Das, worum es folglich in der Realitätsprüfung geht, beachten wir das genau, ist gewiß, eine reale Präsenz zu kontrollieren, allerdings eine Präsenz von Zeichen, Freud hebt das mit äußerstem Nachdruck hervor. Es geht in der Realitätsprüfung überhaupt nicht darum, zu kontrollieren, ob unsere Vorstellungen einem Realen tatsächlich entsprechen – wir wissen seit langem, dass wir damit keinen besseren Erfolg haben als die Philosophen –, sondern darum, zu kontrollieren, ob unsere Vorstellungen (représentations) richtig repräsentiert sind im Sinne der Vorstellungsrepräsentanz*. Es geht darum herauszufinden, ob die Zeichen da richtig sind, allerdings als Zeichen, denn es sind Zeichen einer Beziehung zu etwas anderem. Das meint die Freudsche Artikulation, daß das Kreisen unseres Unbewußten sich auf ein verlorenes Objekt bezieht, das immer nur wiedergefunden, das heißt niemals wirklich wiedergefunden wird.
Das Objekt ist immer nur bedeutet, und dies aufgrund eben der Kette des Lustprinzips. Das wahrhaftige, echte Objekt, um das es geht, wenn wir von Objekt sprechen, ist keineswegs erfaßt, übermittelbar, austauschbar. Es steht am Horizont dessen, worum unsere Phantasievorstellungen kreisen.“22
Bei der Realitätsprüfung geht es um eine Beziehung zwischen der Vorstellungsrepräsentanz und den Vorstellungen; es wird geprüft, ob unsere Vorstellungen durch die Vorstellungsrepräsentanz richtig repräsentiert werden. Damit ist die Beziehung zwischen „Vorstellungsrepräsentanz“ und „Vorstellung“ deutlich bestimmt: Die Vorstellungsrepräsentanz repräsentiert die Vorstellung.
Die Vorstellungsrepräsentanzen werden hier auch hier wieder „Zeichen“ genannt, was heißen soll, dass sie sich auf etwas anderes beziehen, mit Freud: auf ein „verlorenes Objekt“. Dieses verlorene Objekt ist nicht vorstellbar. „Vorstellungsrepräsentanz“ ist ein Kürzel dafür, dass unsere unbewussten Phantasievorstellungen, die „Zeichen“, um ein nicht in diesen Vorstellungen fassbares Objekt kreisen.
Was den Wiederholungszwang antreibt (1961)
In Seminar 9 von 1961/62, Die Identifizierung, wird der Begriff der Vorstellungsrepräsentanz weiter ausgearbeitet, dadurch, dass er auf den Wiederholungszwang bezogen wird.
„Das letzte Mal habe ich Sie mit einer Bemerkung verlassen, die Ihnen das Gefühl geben sollte, dass mein Diskurs nicht seine Vertäuungen verliert. Dass nämlich in diesem Jahr das Gewicht der Erkundung sich für uns darauf bezieht, dass die Paradoxie des Wiederholungszwanges darin besteht, dass Sie einen Zyklus des Verhaltens auftauchen sehen, der in den Termini einer Spannungsauflösung verzeichnet werden kann, also des Paares Bedürfnis und Bedürfnisbefriedigung, und dass dennoch, welches auch immer die in diesen Zyklus verwickelte Funktion sein mag, so fleischlich man sie auch annehmen mag, dass dessen ungeachtet diese Funktion als Wiederholungszwang bedeutet, dass sie dazu da ist, um etwas auftauchen zu lassen, um an etwas zu erinnern, um etwas insistieren zu lassen, was seinem Wesen nach nichts anders ist als ein Signifikant, der durch seine Funktion bezeichnet werden kann, und speziell unter dem Aspekt, dass diese Funktion in den Zyklus ihrer Wiederholungen – die ihrem Wesen nach immer dieselben sind und also etwas betreffen, was immer dasselbe ist –, dass sie hier die Differenz einführt, die Unterscheidung, die Einzigkeit.
Da sich am Ursprung etwas ereignet hat, was das ganze Mysterium des Traumas ist, nämlich dass sich einmal etwas hergestellt hat, was von da an die Form A angenommen hat, deshalb ist das Verhalten in der Wiederholung nur dazu da – so komplex, so engagiert Sie es in der tierischen Individualität auch annehmen mögen –, um dieses Zeichen A wieder auftauchen zu lassen.
Sagen wir, dass das Verhalten von da an als das Verhalten Nummer soundsoviel ausgedrückt werden kann. Dieses Verhalten, sagen wir Nummer soundsoviel, ist beispielsweise ein hysterischer Anfall. Bei einem bestimmten Subjekt besteht eine der Formen in seinen hysterischen Anfällen, das ist das, was sich als Verhalten Nummer soundsoviel manifestiert.
Nur, für das Subjekt ist die Nummer verloren. Und insofern die Nummer verloren ist, manifestiert sich dieses Verhalten, wobei die Funktion, dass es darum geht, die Nummer wieder auftauchen zu lassen, hinter dem verschleiert ist, was man dann die Psychologie seines Anfalls nennen wird, hinter den scheinbaren Motivationen. Und Sie wissen, dass es bei niemandem schwer fallen wird, für ihn etwas zu finden, was einem Grund ähnlich sieht; für die Psychologie ist charakteristisch, dass sie immer einen Schatten von Motivation erscheinen lässt.
Mit dieser strukturellen Verklammerung also, von etwas, was mit der Signifikantenfunktion in die lebendige Individualität radikal eingefügt ist, sind wir in der analytischen Erfahrung.
Vorstellungsrepräsentanz*, das ist hier das, was verdrängt ist, das ist die verlorene Nummer soundsoviel des Verhaltens.“23
Im Wiederholungszwang geht es darum, eine „verlorene Nummer“ wiederzufinden, einen verdrängten Signifikanten. Diese „verlorene Nummer“, dieser verdrängte Signifikant, ist die Vorstellungsrepräsentanz. Die Vorstellungsrepräsentanz ist der verdrängte Signifikant, der im Wiederholungszwang gesucht, aber nicht gefunden wird.
Die Vorstellungsrepräsentanz der Ek-sistenz des Subjekts (1961)
In einer späteren Sitzung des Identifizierungs-Seminars spricht Lacan über die „Ek-sistenz“ des Subjekts, über sein Außen-sein, und konfrontiert sie mit der Psychosoziologie von Kurt Lewin.
„Das heißt, dass es da eine Frage gibt, nämlich warum es notwendig ist, dass das Subjekt repräsentiert ist, und ich meine das im Freud’schen Sinne, dass es durch eine Vorstellungsrepräsentanz (représentant représentatif) als aus eben dem Feld ausgeschlossen repräsentiert ist, in dem es in, sagen wir, in Lewin’schen Beziehungen zu den anderen als Individuen handeln muss, weshalb es also auf der Ebene der Struktur notwendig ist, dass es uns gelingt, zu erklären, warum es notwendig ist, dass das Subjekt, um hierin, in eben dieses Feld, zu intervenieren, irgendwo als aus dem Feld ausgeschlossen repräsentiert ist. Denn all die Überlegungen, zu denen uns die Psychosoziologe hinführt, mit seiner Definition dessen, was ich gerade als Lewin’sches Feld bezeichnet habe, stellen sich schließlich immer nur mit einer vollkommenen Elidierung der Notwendigkeit dar, dass das Subjekt, sagen wir, an zwei topologisch definierten Orten ist, nämlich in diesem Feld aber dass es auch wesentlich aus diesem Feld ausgeschlossen ist, und dass es gelingt, hierzu etwas zu artikulieren, das haltbar ist.“24
Die Lewin’sche Psychosoziologie stellt das Individuum als etwas dar, das in das psychosoziale Feld vollständig integriert ist. Es ist jedoch notwendig, dass das Subjekt als etwas repräsentiert ist, das in dieser Feld zugleich integriert und aus ihm ausgeschlossen ist; das muss auf der Ebene der Struktur erklärt werden. Das Subjekt kann in dieses Feld nur intervenieren, wenn es als aus ihm ausgeschlossen repräsentiert ist (die Begriffe „Feld“ und „Topologie“ werden von Lewin verwendet). Das, wodurch das Subjekt repräsentiert ist – als aus dem psychosozialen Feld ausgeschlossen – ist die Vorstellungsrepräsentanz. Lacan verwendet hier die Übersetzung mit représentant représentatif, die er später kritisieren wird.
In Seminar 10 von 1962/63, Die Angst, wird der Terminus „Vorstellungsrepräsentanz“ nicht verwendet.
Das Begehren (1962)
In dem Aufsatz Subversion des Subjekts und Dialektik des Begehrens (1962) konfrontiert Lacan Anspruch und Begehren; die Unbedingtheit des Liebesanspruchs steht im Gegensatz zum Begehren als der „absoluten Bedingung“25.
In diesem Zusammenhang heißt es über Winnicotts „Übergangsobjekt“26:
„Sprechen wir es aus, das ist hier nur Emblem; die Vorstellungsrepräsentanz in der absoluten Bedingung ist an ihrem Platz im Unbewussten, wo sie das Begehren verursacht, gemäß der Struktur des Phantasmas, die wir daraus herauslösen möchten.“27
Das Übergangsobjekt ist nur ein Emblem. Grundlegend für das Verständnis des Begehrens sind die Vorstelllungsrepräsentanzen im Unbewussten, nach den früheren Erläuterungen können wir sagen: die verdrängten Signifikanten. Sie bilden dort das Phantasma, und das Phantasma hat die Funktion, das Begehren in Gang zu halten.
Die fehlende Vorstellung und der urverdrängte binäre Signifikant (1964)
In Seminar 11 von 1964, Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse, spricht Lacan über einen Traum aus Freuds Traumdeutung. Es handelt sich um den Traum eines Vaters, dessen Kind vor kurzem gestorben ist; in einem benachbarten Raum liegt das Kind aufgebahrt. Der Vater träumt, „daß das Kind an seinem Bette steht, ihn am Arme faßt und ihm vorwurfsvoll zuraunt: Vater, siehst du denn nicht, daß ich verbrenne?“28 Der Träumende erwacht und bemerkt einen Lichtschein, der aus dem Zimmer des Toten kommt – eine Kerze ist brennend auf die Leiche gefallen, die Hüllen und ein Arm des toten Kindes sind in Brand geraten.
Lacan kommentiert den Traum so:
„… die Flamme ist zu hell, als daß zu sehen wäre, worauf das Feuer als auf ein Darunterliegendes* verweist: das Reale.
So erkennen wir in diesem von einem ausstehend-leidenden Vater abgelösten Traumsatz [„Vater, siehst du denn nicht, daß ich verbrenne?“] die Kehrseite von dem, was nach seinem Erwachen sein Bewußtsein bilden wird. Auch läßt sich jetzt fragen, was im Traum der Vorstellung entsprechen könnte. Diese Frage ist um so dringlicher, als wir den Traum hier tatsächlich als die Kehrseite der Vorstellung erkennen – die Bildseite des Traums, eine Gelegenheit für uns, zu unterstreichen, was Freud im Auge hat, wenn er davon spricht, wodurch das Unbewusste wesentlich determiniert ist – die Vorstellungsrepräsentanz*, die man dann grau in grau mit représentant représentatif / repräsentative Repräsentanz übersetzt hat und was in Wirklichkeit mit le tenant-lieu de la représentation / Vorstellungsersatz wiederzugeben wäre. Mit deren Funktion werden wir uns noch beschäftigen.“29
Lacan spricht zunächst über die Relation zwischen dem wahrgenommenen Feuer und dem Realen: Die nach dem Aufwachen erblickte Flamme verweist auf ein Reales als auf ein Darunterliegendes, ein Hypokeimenon.
Danach äußert er sich zum Verhältnis zwischen dem Traum und der bewussten Wahrnehmung nach dem Erwachen: Der Traumsatz „Vater, siehst du denn nicht, dass ich verbrenne?“ ist die Kehrseite dessen, was dem Vater nach dem Erwachen bewusst ist, nämlich das Feuer und als dessen Substrat das tote Kind.
Und schließlich fragt er, was im Traum der „Vorstellung“ entspricht. Durch die vorangehenden Bemerkungen ist der Ausdruck „Vorstellung“ an dieser Stelle doppeldeutig, er bezieht sich vielleicht auf die Wahrnehmung des Feuers aber auch, und vermutlich mehr noch, auf etwas dahinterliegendes Reales, in erster Annäherung: auf das Verbrennen des toten Kindes. „Vorstellung“ meint hier möglicherweise: das Feuer, insofern es auf das Verbrennen des toten Kindes verweist. Die Bildseite des Traumes – dass das Kind am Bett des Träumers steht und ihn am Arm fasst – ist die Kehrseite der „Vorstellung“, also vermutlich der Verbindung zwischen dem Feuer und dem toten Kind.
An dieser Stelle bringt Lacan den Begriff der Vorstellungsrepräsentanz ins Spiel. Das Unbewusste ist wesentlich durch die Vorstellungsrepräsentanz determiniert.
Deutlicher noch als in früheren Seminaren erklärt er, wie er die Genitivkonstruktion „Vorstellungsrepräsentanz“ auffasst. Für Lacan bezieht sich der Ausdruck auf den Stellvertreter, auf den Ersatz für eine Vorstellung und nicht etwa auf eine Vorstellung mit Stellvertreterfunktion. Die Übersetzung mit représentant représentatif wird von ihm problematisiert.
Das könnte heißen: Im Traum gibt es eine Repräsentanz der Vorstellung und damit eine Repräsentanz des Realen, des brennenden toten Kindes.
Später in diesem Seminar kommentiert Lacan wieder einmal das Fort-da-Spiel von Freuds Enkel, das Wegwerfen und Heranziehen einer Spule, die an einem Faden befestigt ist.30
„Das Ensemble der Aktivität symbolisiert die Wiederholung, aber nicht die Wiederholung eines Bedürfnisses, das nach der Rückkehr der Mutter riefe, was sich einfach im Schrei ausdrücken würde. Es geht vielmehr um die Wiederholung des Fortgehens der Mutter als Ursache für eine Spaltung* im Subjekt – die durch das alternierende Spiel des fort-da, das ein hier oder da ist, überwunden wird, und das in seinem Alternieren nur auf das fort* eines da* abzielt und auf das da* eines fort*. Das Spiel zielt wesentlich auf das ab, was als Vorgestelltes (en tant que représenté) nicht da ist, – denn das Spiel selbst ist Repräsentanz* der Vorstellung*. Was aber wird aus der Vorstellung*, wenn die Repräsentanz* der Mutter – so wie sie in den Klecksen, der Gouachemanier des Begehrens gezeichnet ist – fehlen sollte?
Auch ich habe mit meinen Augen gesehen, mit Augen, die durch mütterliche Ahnung geöffnet waren, wie ein Kind, traumatisiert von der Tatsache, daß ich weggehen könnte zum Verdruß seines früh versuchten Anrufs der Stimme, der dann auch über Monate hinweg nicht mehr erneuert wurde – ich habe nach recht langer Zeit noch gesehen, wenn ich das Kind in meine Arme nahm – ich habe gesehen, wie es seinen Kopf an meine Schulter legte und in Schlaf verfiel, in einen Schlaf, der allein ihm einen Zugang verschaffen konnte zum lebendigen Signifikanten, der ich war vom Beginn des Traumas an.“31
Die spielende Aktivität des Kindes symbolisiert insgesamt die Wiederholung des Fortgehens der Mutter. Das Fortgehen der Mutter ist Ursache für eine Spaltung im Subjekt – es erzeugt das fehlende Objekt und damit die Spaltung des Subjekts. Die Subjektspaltung wird durch das Wiederholungsspiel überwunden, insofern in ihm die radikale Abwesenheit durch das Spiel bewältigt wird, in dem Anwesenheit und Abwesenheit gewissermaßen versöhnt sind – das Fort zielt auf das Da und das Da auf das Fort.
Der anschließende Satz, in dem Lacan wieder den Terminus der Vorstellungsrepräsentanz verwendet, wirft ein Übersetzungsproblem auf. Im Französischen lautet er so (in Millers Fassung):
„Ce qu’il vise, c’est ce qui, essentiellement, n’est pas là, en tant que représenté — car c’est le jeu même qui est le Repräsentanz de la Vorstellung.“32
Wie übersetzt man „en tant que représenté“? Ich denke, am besten mit:
„Worauf das Spiel abzielt, ist das, was, als Vorgestelltes, wesentlich nicht da ist.“
Die Vorstellung fehlt und das Spiel ist die Vorstellungsrepräsentanz, ein Ersatz für die fehlende Vorstellung.
Norbert Haas übersetzt mit:
„Das Spiel meint wesentlich das, was, weil vorgestellt, nicht da ist.“ (Kursivschreibung von mir)
Hiernach ist nicht die Vorstellung abwesend; es gibt die Vorstellung, und die Vorstellung sorgt umgekehrt für eine Abwesenheit.
Meine Übersetzungsthese lautet also: Lacan versteht hier unter „Vorstellungsrepräsentanz“ den Repräsentanten einer fehlenden Vorstellung.
Lacan fragt dann weiter, was aus der „Vorstellung“ wird, falls die Repräsentanz der Mutter fehlen sollte. Und er antwortet mit einer autobiographischen Szene. Sein Kind war durch die Möglichkeit traumatisiert, dass er, Lacan, weggehen könnte und deshalb rief es nicht mehr nach ihm. Stattdessen schlief es, wenn er es in die Arme nahm, an seiner Schulter ein. Lacan erklärt das so: Das Kind erlebte ein Trauma, das mögliche Weggehen des Vaters. Von Beginn des Traumas an war er, der Vater, für das Kind ein „lebendiger Signifikant“ geworden. Der Schlaf im Arm des Vaters verschaffte dem Kind einen Zugang zu diesem Signifikanten. Die Vorstellungsrepräsentanz ist hier der Vater als „lebendiger Signifikant“, ein Signifikant, dessen das Kind habhaft wird, indem es im Arm des Vaters einschläft. Die fehlende Vorstellung, für das dieser Signifikant als Stellvertreter einspringt, ist die mögliche Abwesenheit des Vaters.
In einer späteren Sitzung dieses Seminars spricht Lacan über die Funktion des Kunstwerks. Er weist darauf hin, dass Freud immer betont hatte, dass er als Psychoanalytiker kein Urteil über den Wert einer künstlerischen Schöpfung abgeben könne. Bei Leonardo hatte Freud versucht, herauszufinden, welche Funktion eine bestimmte Urphantasie haben könnte, das Bild zweier Mütter mit einem Doppelkörper. Lacan fragt, ob hier weiter zu suchen sei.
„Oder ist das Prinzip der künstlerischen Schöpfung etwa darin zu sehen, daß diese – erinnern Sie sich, wie ich ‚Vorstellungsrepräsentanz*‘ übersetze – etwas extrahieren würde, was Stellvertreter der Vorstellung wäre? Liegt da etwa der Unterschied, auf den ich Sie hinführen möchte, der Unterschied von Bild/tableau und Vorstellung/représentation? Sicher nicht – sieht man einmal ab von sehr seltenen Werken der Malerei, die manchmal zustande kommt, der Traummalerei, die äußerst selten ist und kaum in die Funktion der Malerei einzuordnen ist.“33
Er wiederholt seine Deutung des Genitivs in „Vorstellungsrepräsentanz“: Die Vorstellungsrepräsentanz ist ein Stellvertreter für die Vorstellung.
Wie wäre dieser Begriff der Vorstellungsrepräsentanz auf die künstlerische Schöpfung zu beziehen? Besteht die künstlerische Schöpfung darin, dass die Vorstellungsrepräsentanz herausgezogen wird, ans Licht gebracht wird? So etwas gebe es, aber nur bei der Traummalerei und die sei ein Sonderfall. Offenbar hat das gemalte Bild bei dieser Sonderform der Malerei für Lacan die Funktion der Vorstellungsrepräsentanz und der Traum die Funktion der Vorstellung. Mir ist nicht klar, wie sich das mit Lacans früheren Erläuterungen des Begriffs zusammenbringen lässt.
Nirgendwo äußert Lacan sich so ausführlich über den Begriff der Vorstellungsrepräsentanz wie beim Treffen vom 3. Juni 1964 dieses Seminars. Zu Beginn dieser Sitzung heißt es:
„Heute möchte ich Ihnen zeigen, wie wichtig das ist, was Freud auf der Ebene der Verdrängung Vorstellungsrepräsentanz* nennt.“34
Lacan referiert damit Freud: Die Vorstellungsrepräsentanz fungiert auf der Ebene der Verdrängung, die Verdrängung vollzieht sich an Vorstellungsrepräsentanzen. Etwas später wird Lacan, wie schon früher, hinzufügen, dass, Freud zufolge, nicht der Affekt verdrängt wird, sondern die Vorstellungsrepräsentanz.35
Er kommt dann auf das Übersetzungsproblem zurück und kritisiert einen Autor (dessen Namen er nicht nennt), der Freuds Ausdruck „Vorstellungsrepräsentanz“ mit représentant représentatif übersetzt hatte, also „repräsentative Repräsentanz“.36 Lacan wiederholt seine Deutung der Genitivverbindung „Vorstellungsrepräsentanz“: gemeint sei damit der Repräsentant einer Vorstellung und nicht etwa eine Vorstellung, welche die Funktion hat, etwas zu repräsentieren.
„Diese Vorstellungsrepräsentanz* läßt sich auf unserem Schema der Ursprungsmechanismen der Alienation in jener ersten Signifikantenkopplung lokalisieren, die uns einen Begriff davon geben kann, wie das Subjekt zuerst im Andern auftaucht, sofern nämlich der erste Signifikant, der unäre Signifikant, auf dem Feld des Anderen auftaucht und das Subjekt für einen anderen Signifikanten repräsentiert, der wiederum die Aphanisis [das Verschwinden] des Subjekts bewirkt. Daher Teilung des Subjekts – wenn das Subjekt irgendwo als Sinn auftaucht, manifestiert es sich anderswo als fading, als Verschwinden. Man kann also sagen, dass es auf Leben und Tod geht zwischen dem unären Signifikanten und dem Subjekt als binärem Signifikanten, der Ursache für sein Schwinden. Die Vorstellungsrepräsentanz ist der binäre Signifikant.
Dieser Signifikant bildet dann den zentralen Punkt der Urverdrängung* – mithin dessen, was, nachdem es ins Unbewusste übergegangen, jetzt, der Theorie Freuds zufolge, jenen Anziehungs*punkt ausmacht, durch den alle weiteren Verdrängungen ermöglicht werden, alle weiteren ähnlichen Übergänge an den Ort der Unterdrückung*, den Ort dessen, was als Signifikant unter den Tisch fällt. Darum geht es bei dem Terminus Vorstellungsrepräsentanz*.“37
Die Entfremdung besteht in einer ersten Signifikantenkopplung, in einer Verbindung von zwei Signifikanten. Der eine Signifikant wird von Lacan als unärer Signifikant bezeichnet, der andere als binärer Signifikant.38 Der unäre Signifikant sorgt dafür, dass das Subjekt als Sinn auftaucht; ich nehme an, dass gemeint ist: durch Identifizierung mit dem trait unaire, mit dem einzigen Zug. Der binäre Signifikant ist der urverdrängte Signifikant und damit die Ursache für das Verschwinden des Subjekts (für die Aphanisis des Subjekts, für sein fading); das Verschwinden des Subjekts besteht demnach darin, dass dem Subjekt durch die Urverdrängung der Zugang zu bestimmten Signifikanten versperrt ist. Der binäre Signifikant ist die Vorstellungsrepräsentanz.
Die Vorstellungsrepräsentanz wird in dieser Passage nicht einfach als unbewusster Signifikant gedeutet, sondern als urverdrängter Signifikant. Auch hierin folgt Lacan Freud, der ja im Aufsatz über die Verdrängung die Urverdrängung als Verdrängung einer Vorstellungsrepräsentanz beschrieben hatte.
In welchem Sinne ist die Vorstellungsrepräsentanz der binäre Signifikant? Der Signifikant, durch den das Subjekt als Sinn auftaucht, ist der unäre Signifikant. Meint „binär“ hier einfach nur: nicht der unäre Signifikant? Bezieht sich „binär“ auf die Struktur „Ersatz für eine fehlende Vorstellung“?
Die Vorstellungsrepräsentanz, sagt Lacan weiter39, habe er bereits in der vorangegangenen Sitzung mit seinem Schema bezeichnet. Gemeint ist das Schema vom vel der Entfremdung, vom Oder der Entfremdung, das er in der Sitzung vom 27. Mai 1964 vorgestellt hatte.40
Dieses Diagramm, so hieß es beim vorangehenden Treffen, soll unter anderem zeigen,
„wenn wir den Sinn wählen, besteht der Sinn allein fort verkürzt um jenen Teil Nicht-Sinn, der, eigentlich gesprochen, das Unbewusste bei der Subjektrealisierung konstituiert.“41
Der Überschneidungsbereich des Nicht-Sinns entspricht dem Unbewussten, also dem binären Signifikanten und damit der Vorstellungsrepräsentanz. Der Bereich des Sinns korreliert demnach mit dem unären Signifikanten, vermutlich mit der symbolischen Identifizierung. Weiter hieß es in dieser Sitzung:
„Die Deutung geht nicht so sehr auf den Sinn, als vielmehr darauf, die Signifikanten auf ihren Nicht-Sinn zurückzuführen. Damit soll es uns gelingen, die Determinanten des gesamten Verhaltens des Subjekts wieder aufzufinden.“ 42
Die Deutung zielt darauf ab, die Signifikanten auf ihren Nicht-Sinn zurückzuführen, also auf den binären Signifikanten, also auf die verdrängte (oder urverdrängte?) Vorstellungsrepräsentanz.
Als Beispiel einer solchen Deutung hatte Lacan in der Sitzung vom 27. Mai 1964 auf die Analyse des sogenannten Einhorntraums durch Serge Leclaire verwiesen. Der Nicht-Sinn ist dort der geheime Eigenname eines Patienten, die Lautfolge Poôr[d]j’e-li.43 Damit gibt er ein weiteres Beispiel für die Vorstellungsrepräsentanz: die Lautfolge „Poôr[d]j’e-li“ im Traum von Leclaires Patienten.
Ich kehre zurück zur Sitzung vom 3. Juni 1964. Von der Entfremdung geht Lacan dort zur Trennung über, von der Alienation zur Separation. Zwischen den beiden Signifikanten, sagt Lacan – zwischen dem unären und dem binären Signifikanten –, gibt es ein Intervall, einen Zwischenraum. Das Subjekt ist mit diesem Intervall dann konfrontiert, wenn es auf das rätselhafte Begehren der Eltern stößt. Im Intervall zwischen den beiden Signifikanten – in der Konfrontation mit dem Begehren des Anderen – findet das Begehren des Subjekts seinen Platz, und darin besteht der Vorgang der Separation.
„Das Entscheidende ist, dass, sowie das Subjekt seine Partie in der Separation zu spielen beginnt, der binäre Signifikant, die Vorstellungsrepräsentanz* unterdrückt* wird, unter den Tisch fällt.“44
Die unbewusste Vorstellungsrepräsentanz entsteht demnach nicht nur durch die Entfremdung, sondern ebenso durch die Trennung. Die Vorstellungsrepräsentanz ist nicht nur der unbewusste Nicht-Sinn als unvermeidliche Kehrseite des Sinns, sie ist auch der Effekt dessen, dass das Subjekt zu einem begehrenden Subjekt wird. Man erinnere sich an das Zitat aus Seminar 8, wonach die Analyse lehrt, dass man auf der Ebene der Frage Was will er? (also in der Beziehung zum Begehren des Anderen) einer Welt von halluzinierten Zeichen begegnet (von Signifikanten, deren Beziehung zum Genießen durch das Lustprinzip reguliert wird).
Die Vorstellungsrepräsentanz determiniert das Verhalten des Subjekts. Mit der Determination kommt Freiheit in Sicht:
„Wenn sich das Subjekt befreien soll, dann von der Aphanisiswirkung des binären Signifikanten, und sehen wir näher zu, können wir in der Tat erkennen, daß es bei der Funktion der Freiheit genau darum geht.“45
Die Vorstellungsrepräsentanz führt zum Verschwinden des Subjekts, das Verschwinden des Subjekts besteht in der Verdrängung. Die Analyse soll es dem Subjekt ermöglichen, sich von der Aphanisiswirkung der Vorstellungsrepräsentanz zu befreien. Die Befreiung besteht also in der Aufhebung der Verdrängung; die Vorstellungsrepräsentanzen verlieren hierdurch ihre determinierende Kraft.
Später, immer noch in derselben Sitzung, antwortet Lacan auf die Frage eines Hörers nach der Vorstellungsrepräsentanz:
„Der Punkt, auf den sich die Wiederaufnahme der Vorstellungsrepräsentanz* stützt, die unabdingbar ist für meinen Diskurs heute, ist der Punkt, von dem ich sagte, dass er der Möglichkeitspunkt der Freiheitsfunktion sei, sofern nämlich hier die Wahl, das vel, zwischen dem Signifikanten und dem Subjekt manifest wird.“46
Der Sinn dieser Bemerkung ist mir nicht ganz klar. Es geht um die Wahl, um das vel, um das Oder der Entfremdung. Die Wahl ist jetzt eine zwischen dem Signifikanten und dem Subjekt. Der Signifikant ist vermutlich die Vorstellungsrepräsentanz, die Wahl wäre also die zwischen der Vorstellungsrepräsentanz und dem Subjekt. Diese Wahl ist der Punkt, an dem Freiheit möglich ist, damit könnte gemeint sein: Befreiung von der determinierenden Wirkung der Vorstellungsrepräsentanz.
Repräsentanz einer fehlenden Vorstellung (1965)
In Seminar 12 von 1964/65, Schlüsselprobleme für die Psychoanalyse, zitiert Lacan eine Frage, die einmal bei einer Aufnahmeprüfung für das Lehramt gestellt wurde: „Kann sich der Mensch eine Welt ohne den Menschen vorstellen?“ Er kommentiert sie so:
„Die ‚Welt‘, um die es sich handelt, ist immer nur als Bestandteil eines Wissens greifbar gewesen, und es ist klar – dies wahrzunehmen, fällt uns leicht – , dass ‚Vorstellung‘ immer schon nur ein Terminus ist, der dem Trugbild dieses Wissens als Bürgschaft dient. Der Mensch selbst ist im gesamten Verlauf seiner Traditionen entsprechend diesen Trugbildern produziert worden. Es ist also ganz klar, dass er von dieser Vorstellung nicht ausgeschlossen werden könnte, wenn wir damit fortfahren, aus dieser Vorstellung die Bürgschaft für diese Welt zu machen.
Es geht jedoch um das Subjekt, und für uns ist das Subjekt – genau insofern, als es unbewusst sein kann – nicht Vorstellung. Es ist die Repräsentanz* der Vorstellung*, es ist am Ort der Vorstellung, die fehlt. Das ist der Sinn des Freud’schen Ausdrucks der Vorstellungsrepräsentanz.“47
Die Vorstellungsrepräsentanz ist der Repräsentant der fehlenden Vorstellung; ähnlich, aber weniger deutlich, hatte Lacan sich bereits im vorangehenden Seminar geäußert.
Die Vorstellung, die von der Vorstellungsrepräsentanz repräsentiert wird, ist demnach die fehlende Vorstellung des „Dings“, des prähistorischen Anderen, des verlorenen Objekts. Damit ist auch klar, wie hier der Begriff des Realen (den Lacan im Ethikseminar in diesem Zusammenhang verwendet hatte) ins Spiel kommt. Die Vorstellung fehlt – die Vorstellung für das Ding, für den prähistorischen Anderen, für das verlorene Objekt –, und eben dies ist das Reale: eine Unmöglichkeit der Imaginarisierung und der Symbolisierung. Für dieses Reale – für das Fehlen einer Vorstellung – springt die Vorstellungsrepräsentanz ein, der unbewusste Signifikant.
Damit ist klar: Die Vorstellungsrepräsentanz ist ein Signifikant, der als Ersatz für eine fehlende Vorstellung fungiert. Das erinnert an eine Passage aus dem Psychosen-Seminar, wo es heißt:
„Der Sinn für das Mysterium fehlt nie in Freuds Denken. Das ist sein Anfang, seine Mitte und sein Ende. Ich glaube, daß wir, wenn wir es sich zerstreuen lassen, gerade das Wesentliche der Vorgangsweise verlieren, auf der jegliche Analyse begründet werden muß. Wenn wir einen einzigen Augenblick lang das Mysterium verlieren, verlieren wir uns in einer neuen Art von Trugbild. Freud hat das tiefe Gefühl gehabt, daß in den Beziehungen des psychotischen Subjekts zu seinem Wahn etwas über das Spiel des Signifikats und der Bedeutungen hinausgeht, das Spiel dessen, was wir dann später die Triebe des id nennen werden.“48
Demnach geht die Beziehung des Triebs zum Signifikanten über das Spiel des Signifikats hinaus, das kann man vielleicht auch so übersetzen: Der Signifikant bezieht sich hier nicht auf eine Repräsentation.
Die fehlende Vorstellung des Objekts a (1966)
In Seminar 13, Das Objekt der Psychoanalyse (1965/66) spricht Lacan über den Torus und die beiden Runden, die um ihn gedreht werden können: die Runden des Anspruchs und die dabei verfehlte Runde des Begehrens. Er fährt dann fort:
„Üblicherweise werden wir repräsentieren –. Ich sage ‚repräsentieren‘ bezogen auf den Terminus des Repräsentanten (représentant). Ob dieser Repräsentant es verdient, als Repräsentation bezeichnet zu werden, werden wir später sehen. ‚Repräsentant‘ hat den Vorteil, hier ‚Stellvertreter“ (tenant lieu) zu besagen, und das heißt, dass zum Thema der Repräsentationsfunktion nichts entschieden ist und dass vielleicht das, was hier definiert wird, außerdem zerschnitten wird, als Schnitt affirmiert wird, dass dies bis auf Weiteres tatsächlich buchstäblich als das aufgefasst werden kann, worum es geht. Deshalb genügt uns im Augenblick der Terminus ‚Repräsentant‘.“49
Unter représentant – „Repräsentant“ oder auch „Repräsentanz“ wie in „Vorstellungsrepräsentanz“ – versteht Lacan einen Stellvertreter, einen Ersatz. Vom Begriff des Repräsentanten ist der Begriff der Repräsentation zu unterscheiden. „Vorstellungsrepräsentanz“ meint für Lacan also „Ersatz für eine Vorstellung“ oder „Vorstellungsersatz“.
Zur Repräsentation bzw. Vorstellung erfährt man:
„Ich wiederhole, dass man sieht, wie eng das zugleich mit dem Idealismus und mit einem bestimmten falschen Realismus verbunden ist, mit dem Realismus nicht etwa dessen, was man den gesunden Menschenverstand nennt, denn der gesunde Menschenverstand ist unergründlich, sondern im Sinne jener Leute, die glauben, ein Ich (moi) zu sein, ein Ich, das erkennt, und die eine Erkenntnistheorie entwickeln, nämlich dass wir uns, wenn die die Struktur aus diesen Sphären gemacht ist, die einander einhüllen, in welcher Reihenfolge auch immer sie aufeinander aufbauen mögen, dass wir uns dann vor genau dieser Figur finden: Zwischen uns – der subjektiven Sphäre – und jeder anderen Sphäre wird es immer eine gewisse Anzahl von Zwischensphären geben: die Idee, die Idee der Idee, die Repräsentation, die Repräsentation der Repräsentation, die Idee der Repräsentation, und dass wir jenseits selbst noch der letzten Sphäre – sagen wir, dies sei die Sphäre des Phänomens – vielleicht die Existenz eines ‚Dings an sich‘ akzeptieren können, das heißt von etwas, was jenseits der letzten Sphäre ist. Darum dreht man sich immer schon, und das ist die Sackgasse der Erkenntnistheorie.“50
Der Begriff der Repräsentation gehört für Lacan zur Erkenntnistheorie, und die Erkenntnistheorie beruht für ihn auf einem Zwiebelschalenmodell, bei dem es zwischen dem Subjekt und dem Ding an sich Ideen oder Repräsentationen gibt, die sich auf gestaffelte Weise einhüllen.
In der Sitzung vom 9. Februar 1966 heißt es:
„An diesem Punkt der Vernähung (suture), an dem Punkt, an dem es im ‚Ich denke, also bin ich‘ zu einer unerwarteten Schließung kommt, hier müssen wir den ganzen elidierten Teil dessen rekonstruieren, was sich öffnet, was wir von dieser Kluft her wieder öffnen, und der in diesem Diskurs, der kohärent sein will – verglichen mit allen Formen des Diskurses, des menschlichen Diskurses –, der in diesem Diskurs nur in der Form des Strauchelns, der Interferenz, des Stolperns erscheinen kann.
Damit ist das, was diesen Diskurs begründet, jedoch keineswegs erfasst. Diskurs des Begehrens, sagt man uns, aber was bewirkt, dass wir sagen können, das, wodurch wir hier einen Stellvertreter bilden können, sei der Stellvertreter für Repräsentation? Sie verstehen durchaus, dass dies heißt, hier den Platz anzuzeigen, an dem das funktioniert, wodurch all das als gespalten gestützt wird, was vom Subjekt im Diskurs realisiert wird, dass hier der Platz ist, wo wir die Funktion des Objekts a zu suchen haben.“51
Der Diskurs, der, wie der von Descartes, kohärent sein will, gerät ins Straucheln und wird zum Diskurs des Begehrens, wie man sagt. Worauf gründet sich der Diskurs des Begehrens? In diesem Diskurs können wir einen Stellverreter bilden. Aber inwiefern können wir sagen, das dieser Stellvertreter der Ersatz für eine Repräsentation ist, für eine Vorstellung (dass wir also von „Vorstellungsrepräsentanz“ sprechen können, im Sinne von „Ersatz für eine Vorstellung“)?
Mit dieser Frage wird auf das Objekt a verwiesen, also auf das, was im Diskurs die Subjektspaltung stützt. An dieser Stelle wird nicht gesagt, worin die Beziehung zwischen dem Ersatz und dem Objekt a besteht, Durch die Erläuterungen in früheren Seminaren ist jedoch klar, was gemeint ist: Die „Vorstellung“, für welche die Vorstellungsrepräsentanz ein Ersatz ist, ist das Objekt a. Der Ersatz ersetzt das Objekt a, nicht insofern es eine Vorstellung ist, sondern insofern es eine fehlende Vorstellung ist.
Weitere Verwendungen des Terminus „Vorstellungsrepräsentanz“ findet man Seminar 13 in den in diesem Blog übersetzten Las-meninas-Vorlesungen, auf folgenden Seiten der dort angegebenen Version J.L.:
– Sitzung vom 4. Mai 1966, S. 6,
– Sitzung vom 11. Mai 1966, S. 26 und 27,
– Sitzung vom 18. Mai 1966, S. 30, 34, 38 und 46,
– Sitzung vom 25. Mai 1966, S. 6, 7 und 10.
Urverdrängung und Vorstellungsrepräsentanz (1966)
Der Aufsatz Über eine Frage, die jeder möglichen Behandlung der Psychose vorausgeht wurde im Dezember 1957 und Januar 1958 geschrieben. Später nahm Lacan diesen Text in die Écrits auf, und bei dieser Gelegenheit fügte er im Juli 1966 eine Fußnote hinzu, mit dem Ziel, in einem Diagramm dieses Textes, dem sogenannten Schema R, das Objekt a zu verorten.
In der Anmerkung von 1966 wird der schraffierte Streifen ℜ (für „Realität“) als Möbiusband gedeutet. Das lässt sich technisch leicht umsetzen, man muss den Streifen nur herausschneiden, ihn um eine halbe Drehung verwinden und die beiden Enden aneinanderkleben. Dadurch bringt man das kleine i mit dem großen I zur Deckung und das kleine m mit dem großen M. Wenn man mag, kann man das als einen Hinweis auf das Möbiusband deuten, das dann in dem Anfang 1958 fertiggestellten Artikel bereits versteckt enthalten gewesen wäre und 1966 sein Coming-out gehabt hätte. (Ich halte das für unplausibel; über das Möbiusband spricht Lacan in den Seminaren zum ersten Mal im Seminar Die Identifizierung, in der Sitzung vom 16. Mai 1962 – warum sollte er es vier Jahre lang versteckt mit sich herumgetragen haben?)
In der Fußnote von 1966 heißt es:
„Wir wollen sagen, dass einzig der Schnitt die Struktur der gesamten Fläche erkennen lässt, da er in ihr diese beiden heterogenen Elemente herauszulösen vermag, als da sind (vermerkt in unserem Algorithmus ($ ◊ a) des Phantasmas): das $, ausgestrichenes S des hier zu erwartenden Bandes – wohin das Band tatsächlich kommt, das heißt indem es das Feld ℜ der Realität abdeckt – und das a, das den Feldern ℑ und entspricht.
Das $, ausgestrichenes S des Begehrens, trägt das Feld der Realität demnach als Vorstellungsrepräsentanz im Phantasma, das heißt als urverdrängtes Subjekt, und dieses Feld hält sich nur durch die Extraktion des Objekts a, das ihm jedoch seinen Rahmen gibt.“52
Das Feld ℜ wird durch einen Schnitt aus dem Schema herausgetrennt; in der Formel des Phantasmas entspricht dem Schnitt die Raute, also ◊. Das Feld ℜ steht für das ausgestrichene Subjekt, $. Die Felder ℑ und repräsentieren das Objekt a. Also entspricht das Schema insgesamt der Formel des Phantasmas, $ ◊ a.
Zum ausgestrichenen S, also zu $, bekommt man hier vier verschiedene Informationen: $ steht für das Subjekt des Begehrens, für die Vorstellungsrepräsentanz und für das urverdrängte Subjekt, und es wird durch das Möbiusband dargestellt.
Auch hier bringt Lacan die Vorstellungsrepräsentanz mit der Urverdrängung zusammen. Das ausgestrichene Subjekt trägt das Feld der Realität als Vorstellungsrepräsentanz, als urverdrängtes Subjekt. In Seminar 11 hatte es geheißen, urverdrängt ist die Vorstellungsrepräsentanz (der binäre Signifikant), jetzt erfährt man, urverdrängt ist das Subjekt. Wenn man das zusammenfügt, erhält man: Das Subjekt ist insofern urverdrängt, als es einen Signifikanten gibt, der urverdrängt ist.
Das Verschwinden (die Aphanisis, das Fading) des Subjekts besteht darin, dass ein bestimmter Signifikant – die Vorstellungsrepräsentanz – urverdrängt ist.
Repräsentant der Tatsache, dass es Nicht-Repräsentierbares gibt (1969)
In Seminar 16, Von einem Anderen zum anderen, heißt es 1969:
„Das Denken ist genau die Vorstellungsrepräsentanz*, durch welche die Tatsache repräsentiert wird, dass es Nicht-Repräsentierbares gibt, da es durch die Untersagung der Jouissance versperrt ist. Auf welcher Ebene? Auf der einfachsten, auf der organischen Ebene. Das Lustprinzip ist diese Barriere gegenüber der Jouissance und nichts anderes. Dass diese Barriere durch das Verbot der Mutter metaphorisiert wird, ist letztlich nur ein historischer Zufall, und der Ödipuskomplex selbst ist daran nur angehängt.“53
Durch die Vorstellungsrepräsentanz wird die Tatsache repräsentiert, dass es Nicht-Repräsentierbares ist, und das Nicht-Repräsentierbare ist eine „untersagte“ Jouissance.
Untersagt wird die Jouissance primär durch das Lustprinzip, erst auf einer zweiten Ebene wird diese Untersagung durch das Inzestverbot metaphorisiert. Diese These findet sich bereits in dem Aufsatz Subversion des Subjekts von 1962.54
Zusammenfassung
Wenn man die mit einer Synthese verbundenen Risken akzeptiert, erhält man, in der Reihenfolge ihres Auftretens:
(a) Die Vorstellungsrepräsentanz ist ein Signifikant, an dem die Verdrängung vollzogen wird.
(b) Die Vorstellungsrepräsentanz ist Repräsentanz einer Vorstellung, sie ist Ersatz für eine Vorstellung.
(c) Bei der Vorstellung (für welche die Vorstellungsrepräsentanz ein Ersatz ist) geht es um die beunruhigende Erfassung (Apprehension) des „Dings“ unter dem Asepkt des Guten, um den Zugang zum prähistorischen Anderen, um die Beziehung zum verlorenen Objekt.
(d) Die Repräsentanz der Vorstellung (des Dings) ist urverdrängt (sie hält die Verdrängung in Gang und kann nicht erinnert werden).
(e) Die urverdrängte Repräsentanz der Vorstellung (des Dings) ist der „binäre“ Signifikant, im Unterschied zum unären Signifikanten, durch den das Subjekt als Sinn auftaucht. Die Bedeutung von „binärer Signifikant“ wird von Lacan nicht erläutert.
(f) Die Urverdrängung des Subjekts, das Verschwinden des Subjekts (Aphanisis, Fading), die Ek-sistenz des Subjekts besteht in der Urverdrängung der Vorstellungsrepräsentanz.
Oder, vom Ergebnis her:
(a) Den Kern bildet die beunruhigende Erfassung (die „Apprehension“) des Dings, insofern es gut ist, des Anderen in der Vorgeschichte des Subjekts, des verlorenen Objekts. Diese Erfassung des Dings nennt Lacan „Vorstellung“ (représentation).
(b) Für diese Vorstellung gibt es einen Ersatz, eine Repräsentanz: ein Zeichen, einen Signifikanten. Dieser Signifikant ist die Vorstellungsrepräsentanz.
(c) Die Repräsentanz der Vorstellung (des Dings) unterliegt der Urverdrängung.
(d) Eben darin besteht die Urverdrängung des Subjekts , das Verschwinden (die Aphanisis, das Fading) des Subjekts, die Ek-sistenz des Subjekts.
(e) Das, was urverdrängte ist, ist eine Jouissance. Die „Untersagung“ der Jouissance erfolgt primär durch das Lustprinzip, erst sekundär durch das Inzestverbot.
Zum Bild zu Beginn des Artikels
Das Bild von Gijsbrechts, gemalt 1670, zeigt die Rückseite eines Gemäldes. Es soll in diesem Artikel an Las meninas von Diego Velázquez erinnern, das ebenfalls die Rückseite eines Gemäldes zeigt und das ungefähr zum selben Zeitpunkt gemalt wurde (1656).
In Seminar 13 von 1965/66, Das Objekt der Psychoanalyse, wird Las meninas von Lacan in mehreren Sitzungen analysiert (vgl. die Übersetzungen hier, hier, hier und hier). In diesem Gemälde ist die gemalte Bildrückseite, Lacan zufolge, die Vorstellungsrepräsentanz.
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Anmerkungen
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Ders.: Studienausgabe, Bd. 3. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 119–173, hier: S. 136.
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Studienausgabe, Bd. 3. A.a.O., S. 103–118, hier: S. 109, Hervorhebung und Ausdruck in Klammern von Freud.
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Vgl. S. Freud: Hemmung, Symptom und Angst (1926), GW 14, S. 120, 122, 137; ders.: Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (1933), GW 15, S. 83.
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Seminar 6, Sitzung vom 26. November 1958; Übersetzung von Gerhard Schmitz, von mir geändert; vgl. Version Miller S. 65 f.
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S. Freud: Formulierungen über die zwei Prinzipien des psychischen Geschehens (1911). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 3. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 13–24, hier: S. 24.– Dieser Traum wurde von Freud in eine spätere Auflage der Traumdeutung eingefügt, vgl. Studienausgabe, Bd. 2. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 416 f.
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Seminar 6, Sitzung vom 26. November 1958; Übersetzung von Gerhard Schmitz, von mir geändert; vgl. Version Miller S. 69.
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Seminar 6, Sitzung vom 26. November 1958; Übersetzung von Gerhard Schmitz, von mir geändert; vgl. Version Miller S. 73.
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J. Lacan: À la mémoire d’Ernest Jones: Sur sa théorie du symbolisme. In: Ders.: Écrits. Seuil 1966, S. 697–717, hier: S. 714, meine Übersetzung; vgl. J. Lacan: Zum Gedenken an Ernst Jones: Über seine Theorie der Symbolik. In: Ders.: Schriften. Band II. Vollständiger Text. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien 2015, S. 205–229, hier: S. 226.
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Sitzung vom 20. Januar 1960; Version Miller/Haas S. 128, Übersetzung geändert.
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Vgl. Sitzung vom 16. Dezember 1959; Version Miller/ Haas S. 79.
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Vgl. Sitzung vom 16. Dezember 1959; Version Miller/ Haas S. 81.
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Vgl. Sitzung vom 20. Januar 1960; Version Miller/Haas S. 126.
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Sitzung vom 27. Januar 1960; Version Miller/Haas S. 147.
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Vgl. Sitzung vom 16. Dezember 1959; Version Miller/ Haas S. 78.
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Seminar 7, Sitzung vom 23. Dezember 1959; Version Miller/Haas S. 89 f., Übersetzung geändert nach Version Staferla.
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Sitzung vom 16. Dezember 1959; Version Miller/Haas S. 80.
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Sitzung vom 20. Januar 1960; Version Miller/Haas S. 126, Übersetzung geändert.
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Seminar 7, Die Ethik der Psychoanalyse, Sitzung vom 27. Januar 1960, Version Miller/Haas S. 146 f.
- Seminar 8, Sitzung vom 19. April 1961; Version Miller/Gondek, S. 301 f.
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Seminar 9, Sitzung vom 20. Dezember 1961, meine Übersetzung nach Version Staferla.
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Zum Begehren als absoluter Bedingung vgl. J. Lacan: Die Lenkung der Kur und die Prinzipien ihrer Macht (1961). In: Ders.: Schriften. Band II. Vollständiger Text. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien 2015, S. 72–144, hier: 126.
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Donald W. Winnicott: Transitional objects and transitional phenomena – A study of the first not-me posession. In: The International Journal of Psycho-Analysis, 34. Jg. (1953), S. 89–97.– dt.: Übergangsobjekte und Übergangsphänomene. In: Ders.: Vom Spiel zur Kreativität. Klett-Cotta 12. Auflage 2010, S. 10–36.
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J. Lacan: Subversion du sujet et dialectique du désir dans l’inconscient freudien. In: Ders.: Écrits. Seuil, Paris 1966, S. 793–827, hier: S. 814, meine Übersetzung; vgl. J. Lacan: Subversion des Subjekts und Dialektik des Begehrens im Freud’schen Unbewussten. In: Ders.: Schriften. Band II. Vollständiger Text. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien 2015, S. 325–368, hier: S. 351.
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S. Freud: Die Traumdeutung (1900). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 2. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 488.
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Seminar 11, Sitzung vom 12. Februar 1964; Version Miller/Haas S. 65 f., Übersetzung geändert.
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Vgl. S. Freud: Jenseits des Lustprinzips (1920). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 3. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 213–272, hier: S. 224–227.
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Seminar 11, Sitzung vom 12. Februar 1964; Version Miller/Haas S. 69, Übersetzung geändert.
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Seminar 11, Sitzung vom 11. März 1964; Version Miller/Haas S. 117, Übersetzung geändert.
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Sitzung vom 4. Juni 1964; Version Miller/Haas 1964, S. 227.
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Vgl. Sitzung vom 4. Juni 1964; Version Miller/Haas S. 228.
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Gemeint ist Jean Laplanche und dessen (zusammen mit Serge Leclaire verfasste) Arbeit, L’inconscient, une étude psychanalytique, ein Vortrag auf dem sechsten Kolloquium von Bonneval von 1960. Die Studie wurde in zwei Fassungen veröffentlicht, eine erste Version erschien in Les Temps modernes, 17. Jg. (1961), Nr. 183, S. 81–99, eine zweite, längere Fassung in: Henri Ey (Hg.): L’Inconscient. VIe Colloque de Bonneval. Desclée, De Brouwer, Paris 1966, S. 95–130.
Zum Hintergrund vgl. Udo Hock: Lacan – Laplanche. Zur Geschichte einer Kontroverse. In: Hans-Dieter Gondek, Roger Hofmann, Hans-Martin Lohmann (Hg.): Jacques Lacan – Wege zu seinem Werk. Klett-Cotta, Stuttgart 2001, S. 203–235.
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Sitzung vom 3. Juni 1964; Version Miller/Haas S. 229 f., Übersetzung geändert.
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Vgl. das Schema mit S1, S2 und $ in der Sitzung vom 20. Mai 1964; Version Miller/Haas S. 208.
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Vgl. Sitzung vom 3. Juni 1964; Version Miller/Haas S. 227.
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Das unten abgebildete Diagramm ist meine Übersetzung des Schemas, das man in Millers Ausgabe des Seminars findet; das Diagramm in der deutschen Übersetzung weicht davon ab.
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Die Analyse des Namens POÔR (d) J’e – LI hatte Leclaire offenbar 1960 auf dem sechsten Kolloquium von Bonneval vorgestellt, in dem bereits erwähnten Vortrag L’inconscient, den er dort zusammen mit Jean Laplanche gehalten hatte. In der Veröffentlichung in Les Temps modernes von 1961 ist die Namensanalyse nicht enthalten. Die erste schriftliche Fassung bietet die 1966 veröffentlichte zweite Version des Bonneval-Vortrags, a.a.O.
Die Erörterung von „POÔR (d) J’e – LI“ wird von Leclaire 1968 weiter ausgearbeitet in seinem Buch Psychanalyser; dt.: S. Leclaire: Der psychoanalytische Prozess. Übersetzt von Norbert Haas. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1975, Kapitel V–VII.
Für die Schreibung des Namens orientiere ich mich an Michel Bousseyroux: Philippe le Claire, le parlêtre au claire de la lettre. In: L’en-je lacanien, 2008/2 (n° 11), S. 81-96, Fußnote 6. Bousseyroux zufolge liegt im Laplanche/Leclaire-Aufsatz von 1966 der Zirkumflex-Akzent auf dem zweiten O, in Leclaires Buch Psychanalyser von 1968 ist er nach vorn gerutscht, auf das erste O.
In der deutschen Übersetzung von Psychanalyser findet man die Schreibung „Poôr[d]j’e-li“ (a.a.O., S. 97).
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Seminar 12, Sitzung vom 19. Mai 1965, meine Übersetzung nach Version Staferla.
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Seminar 4, Sitzung vom 23. Januar 1953; Version Miller/Gondek S. 153 f.
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Seminar 13, Sitzung vom 12. Januar 1966, meine Übersetzung nach Version Staferla.
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Seminar 13, Sitzung vom 12. Januar 1966, meine Übersetzung nach Version Staferla.
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Seminar 13, Sitzung vom 9. Februar 1966, meine Übersetzung.
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J. Lacan: D’une question préliminaire à tout traitement de la psychose. In: Ders.: Écrits. Seuil, Paris 1966, S. 531–583, hier: S. 554, meine Übersetzung; vgl. J. Lacan: Über eine Frage, die jeder möglichen Behandlung der Psychose vorausgeht. In: Ders.: Schriften. Band II. Vollständiger Text. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien 2015, S. 9 –71, hier: S. 36.
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Seminar 16, D’un Autre à l’autre. Sitzung vom 23. April 1969. meine Übersetzung nach Version Miller, Seuil, Paris 2006, S. 276 f.
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Vgl. Subversion des Subjekts und Dialektik des Begehrens im Freud’schen Unbewussten. In: J. Lacan: Schriften. Band II. Vollständiger Text. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien 2015, S. 325–368, hier: S. 360 f.