Lacans Sentenzen
„Das Reale ist das Unmögliche.“
Einführung des Theorems in Lacans Seminar 9, „Die Identifizierung“ (1961/62).
Übersetzung und Erläuterung
M. C. Escher, Relativity, 1953, Lithographie, 294 x 282 mm
Das Reale ist das Unmögliche, sagt Lacan. Im Hauptteil dieses Artikels zeichne ich durch Übersetzungen und Erläuterungen nach, wie er diese These in Seminar 9, Die Identifizierung, einführt. Davor gebe ich einen Überblick, wie er sein Theorem in späteren Seminaren ausarbeitet und wie er die Begriffe des Realen und des Unmöglichen vor dem Identifizierungs-Seminar verwendet hatte. Den Schluss bildet eine systematisierende Zusammenstellung von Paraphrasen der übersetzten Stellen.
*
Vom Seminar Die Identifizierung gibt es weder eine offizielle französische Ausgabe noch eine deutsche Übersetzung. Ich übersetze nach Version Staferla, Fassung vom 15. November 2015; die Gliederung in Absätze ist von mir. Eine ausgezeichnete kritische Ausgabe des Identifizierungsseminars, die mir bei der Übersetzung leider noch nicht zur Verfügung stand, ist die von Michel Roussan (nicht im Buchhandel, bei Roussan per E-Mail bestellbar). Eine englische Übersetzung des Seminars, erstellt von Cormac Gallagher, findet man auf der Website Lacan in Ireland als PDF hier, als Buch bei Karnac books hier. Eine Zusammenfassung des Seminars gibt Moustapha Safouan in: Ders.: Lacaniana. Les séminaires de Jacques Lacan. 1953–1963. Fayard, Paris 2001.
Die übersetzten Passagen haben zusammengenommen den Umfang von etwa dreieinhalb Seminarsitzungen. Weitere Übersetzungen längerer Sequenzen aus diesem Seminar findet man auf dieser Website im Artikel über den „einzigen Zug“ sowie in einem Beitrag zu Lacans Theorie des Eigennamens.
Herzlichen Dank an Gerhard Herrgott für einen Grundkurs in Sachen Logik (das war 1987 bei der Lektüre von Lacans Identifizierungsseminar, vor dreißig Jahren!) und für großzügige Hilfe beim Übersetzen (vor ein paar Monaten).
Zur Notation in den Übersetzungen
*: Wort im Original deutsch
Ausdrücke [in eckigen Klammern]: nicht von Lacan
Zur Notation in den Paraphrasen mit Ergänzungen sowie in der systematisierenden Zusammenstellung
In eckigen Klammern und grüner Schrift: meine Ergänzungen
In eckigen Klammern, mit einem ¿ umgekehrten Fragezeichen beginnend und grün unterlegt: meine Fragen
Nachgeschichte
Ich beginne von hinten: mit einem Überblick, wie Lacan das Theorem „Das Reale ist das Unmögliche“ in späteren Seminaren ausarbeitet.
In Seminar 10, Die Angst (1962/63), und in Seminar 11, Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse (1964), wird die Definition des Realen als des Unmöglichen aufgegriffen und bekräftigt.1
Das Reale, das Unmögliche, das Geschlecht und die Logik
In Seminar 11 gibt es erste Versuche, das Reale auf das Geschlecht (sexe) zu beziehen. Man kann hier lesen:
„Für uns, in unserem Bezug auf das Unbewusste, ist das, worum es geht, die Beziehung zum Organ. Es geht nicht etwa um die Beziehung zur Sexualität oder gar zum Geschlecht – wenn wir diesem Begriff überhaupt einen spezifischen Bezug geben können –, sondern um die Beziehung zum Phallus, insofern er bei dem fehlt, was in dem, was vom Geschlecht angezielt wird (dans la visée du sexe), an Realem erreicht werden könnte.“2
Das Geschlecht zielt auf etwas Reales ab – der Begriff des Geschlechts wird zugleich für problematisch erklärt, und was hier mit dem Realen gemeint ist, bleibt offen. Später heißt es im selben Seminar:
„Hier überlagern sich zwei Mängel. Der eine beruht auf dem zentralen Fehlen, um das sich jene Dialektik dreht, in welcher das Subjekts zu seinem eigenen Sein durch die Beziehung zum Anderen kommt, deshalb, weil das Subjekt vom Signifikanten abhängt und der Signifikant zuerst im Feld des Anderen erscheint. Dieser Mangel greift den anderen Mangel auf, den vorgängigen realen Mangel, der zur Entstehung des Lebendigen gehört, nämlich zur geschlechtlichen Fortpflanzung. Der reale Mangel ist das, was das Lebendige selbst wiederum an Lebendigem dadurch verliert, dass es sich auf sexuellem Wege fortpflanzt. Real ist dieser Mangel, weil er sich auf etwas Reales bezieht, das darin besteht, dass das Lebendige, da es dem Geschlecht unterworfen ist, dem individuellen Tod ausgesetzt ist.“3
Sexuelle Fortpflanzung und Sterblichkeit sind eng verbunden; das Reale, das mit dem Geschlecht verbunden ist, ist, dieser Bemerkung zufolge, der individuelle Tod.
In Seminar 12 von 1964/65, Schlüsselprobleme für die Psychoanalyse, bezieht Lacan die These vom Realen als dem Unmöglichen zum ersten Mal sowohl auf die Logik als auch auf das Geschlecht.
„Denn entweder ist dies etwas in seiner Art, das im strengen Sinne des Wortes als das Reale zu verstehen ist, und zwar jenes Reale, das wir alle bereit sind, als eine Dimension zu akzeptieren, als die vielleicht eigentliche und wesentliche Dimension des Realen, nämlich das Unmögliche – entweder dies ist das Reale oder alles, was ich Ihnen sage, hat keinen Bestand.“4
Soweit nichts Neues gegenüber dem Identifizierungs-Seminar: Die eigentliche Dimension des Realen besteht darin, dass es das Unmögliche ist. Eine Beziehung zwischen dem Realen, dem Unmöglichen und dem Geschlecht wird zum ersten Mal in der folgenden Bemerkung hergestellt:
„Das Spiel stellt sich von seinen einfachsten bis zu seinen elaboriertesten Formen als Ersatz für die Dialektik dieser drei Terme dar [der Terme Wissen, Subjekt und Geschlecht], durch eine Vereinfachung, durch welche dies als geschlossenes System eingesetzt wird. Kennzeichen des Spiels ist immer – auch wenn sie verschleiert ist – eine Regel. Eine Regel, die daraus als Verbot jenen Punkt ausschließt, der eben jener ist, den ich Ihnen auf der Ebene des Geschlechts als den unmöglichen Zugangspunkt bezeichne, anders gesagt, den Punkt, an dem sich das Reale als das Unmögliche definiert.“5
Die These „Das Reale ist das Unmögliche“ ist demnach unter anderem auf das Geschlecht zu beziehen. Etwas später heißt es in diesem Seminar:
„ […] der Psychoanalytiker ist durch seine Position auf ganz besondere Weise vom Realen ausgeschlossen, und durch seine Technik verbietet er sich jedes Mittel, es anzugehen.
Ausgeschlossen zu sein ist eine Beziehung, und es ist eben dieser Ausschluss, der es ihm so schwer macht, seinen Platz zu halten, ihn sowohl als Theoretiker zu halten als auch in seiner Praxis. Bis zu einem gewissen Punkt kann das Reale von ihm sogar als die Gefahr angesehen werden, als die Faszination, die seinem Denken angeboten wird und der er allzu leicht, auf allzu leichte Weise, erliegt, dann nämlich, wenn er sich in dasjenige Feld des Realen begibt, das seine wichtigste Referenz ist, das Reale des Geschlechts. Falls er sich an den Ort begibt, an dem es das gibt, was er sich selbst verweigert und wovon er ausgeschlossen ist, wird er ein Reales konstruieren, das dann zwangsläufig das Reale des Psychologen oder des Soziologen sein wird oder das von anderen, die ihre Gültigkeit in dem nicht nur mehrdeutigen, sondern bastardhaften Register haben, welches sich ‚Humanwissenschaften‘ nennt und das eben das ist, wovor er sich – wenn er Psychoanalytiker bleiben will – zu hüten hat.
Was also ist für den Analytiker der Platz des Realen und was bedeutet die Art und Weise, in der wir die Möglichkeiten erproben und aufzeigen, diesen Platz zu konstruieren, auf dem paradoxen Weg, der darin besteht, dass wir den Weg der Logik einschlagen?
Es ist ja auffällig, dass wir in dem Maße, wie die Logik historisch voranschreitet, und an dem Punkt, an dem sie zur Frege’schen Theorie führt, zur Frege’schen Unterscheidung zwischen Bedeutung und Sinn, dass wir dabei zu einer Art Entkräftung der Referenz gelangen, was dazu führt, dass Frege Folgendes formuliert: Wenn wir eine Referenz für das sogenannte Urteil finden müssen, dann kann dies letztlich nur der doppelte Wert des Falschen oder des Wahren sein – der [Wahrheits-]Wert ist die eigentliche Referenz. Verstehen Sie, es gibt keinen anderen Gegenstand des Urteils – das ist die Pointe eines logischen Denkens, das für uns jedoch exemplarisch ist für das, was ein bestimmter Weg als Paradoxie hervorbringt –, es gibt letztlich keine andere Referenz als den [Wahrheits-]Wert, entweder ist es wahr oder es ist falsch. Klar ist, dass diese Entkräftung [der Referenz] von uns buchstäblich als eine Art Symptom aufgefasst werden muss. Und wenn wir den Dingen auf diesem Weg folgen, auf dieser Spur, dann suchen wir das, wodurch die Entwicklung des logischen Denkens bedingt sein könnte, nämlich das, was für die Bezeichnung des Platzes des Realen gefehlt haben könnte. Insofern ist für uns Folgendes spürbar: Das, was auf solche Weise in Form eines Mangels umrissen wird, steht in einer Beziehung zu dem, wie sich für uns Analytiker das Reale darstellt.“6
Für einen Psychoanalytiker ist die wichtigste Form des Realen das Geschlecht. Dem Realen des Geschlechts hat er sich auf dem Weg der Logik anzunähern – das Reale des Geschlechts ist das logisch Unmögliche. Dies ist ein „paradoxer“ Weg, womit vielleicht angedeutet werden soll: Eine der Formen des logisch Unmöglichen ist die Paradoxie. Bei Frege führt der Weg der Logik zu einer Ausdünnung der Referenz – der Referent eines Urteils ist für Frege der Wahrheitswert –, und Lacan nimmt an, dass dies in einer Beziehung zum Realen steht.
Das Reale des Geschlechts ist das logisch Unmögliche, diese These wird Lacan von nun an intensiv beschäftigen. Sie wird zu den Theoremen Es gibt keinen sexuellen Akt7 und Es gibt kein sexuelles Verhältnis8 führen sowie zu den Formeln der Sexuierung, die er in den Seminaren 18 bis 20 und in dem Aufsatz L’étourdit ausarbeiten wird.
Die Formen des Unmöglichen
Eine der Fragen, die Lacan auf diesem Weg beschäftigen wird, ist die, wie der Begriff des Unmöglichen zu präzisieren ist. In Seminar 17 von 1969/70, Die Kehrseite der Psychoanalyse, liest man, das Reale sei unter der Bedingung das Unmögliche,
„dass man dem Wort ‚unmöglich‘ einen strengen Sinn gibt, d.h. dass man es nur von der Ebene unserer formalisierten Wahrheit her bestimmt. Nämlich dass es in jedem formalisierten Feld der Wahrheit Wahrheiten gibt, die sich nicht beweisen lassen.“9
Formalisierte Felder der Wahrheit sind die symbolische Logik und die Mathematik. Von hier aus – von Gödels Unvollständigkeitssatz aus – muss man dem Wort „unmöglich“ (und damit dem Begriff des Realen) einen strengen Sinn geben.
In Radiophonie (1970) und L’étourdit (1972) unterscheidet Lacan vier Arten der Unmöglichkeit: das Inkonsistente (also das Widersprüchliche), das Unentscheidbare, das Unvollständige und das Unbeweisbare.10 Er orientiert sich hierbei an den Untersuchungen von Frege, Russell, Whitehead und Gödel über die Sackgassen der der Logik und der Mengenlehre und er bemüht sich, zu diesen Unmöglichkeiten Entsprechungen im Feld der Psychoanalyse zu finden. In Radiophonie (1970) sagt er, nach einem Hinweis auf Inkonsistenz, Unvollständigkeit, Unbeweisbarkeit und Unentscheidbarkeit:
„Die Schnitte des Unbewußten zeigen diese Struktur, indem sie sie aus ähnlich einzukreisenden Fällen attestieren.“12
In „Vielleicht in Vincennes …“ (1975) charakterisiert er die Logik als „Wissenschaft vom Realen, insofern sie den Zugang zum Modus des Unmöglichen gestattet“13.
Er fordert die Psychoanalytiker also dazu auf, dem Realen im Sinne des logisch Unmöglichen den Vorrang zu geben.
Die Modalkategorien
In Seminar 12 macht Lacan einen ersten Versuch, die Kategorie des Unmöglichen auf drei andere Modalkategorien zu beziehen, auf das Mögliche, auf das Notwendige und auf das Zufällige (oder Kontingente):
„Darf ich sie vorläufig darauf hinweisen, dass wir – um zwei Zugänge zum Realen zu erfassen, die es uns ermöglichen, die Beziehung zum „Möglichen“ zu begreifen, deren Charakterisierung für unser gesamtes Vorgehen als Analytiker so wesentlich ist –, darf ich Sie daran erinnern, dass das „Zufällige“ vom Realen das ist, „was auch nicht sein kann“, und dass das „Notwendige“ – wenn wir den Fehler begehen, es durch das Reale zu begründen und nicht durch das, worin es seinen Grund hat, nämlich durch eine symbolische Beziehung –, […] dass das „Notwendige“ das ist, „was nicht nicht sein kann“. Wenn wir darin die Grundlage des Realen sehen., müssen Sie, wenn ich so sagen darf, nur mit diesen beiden Formeln operieren: „das, was nicht sein kann“ und „das, was sein kann“, und die Subtraktion vornehmen. Bei der Umwandlung von „kann“ in „kann nicht“, bei der Einführung des Unmöglichen, taucht tatsächlich die Dimension des Realen auf.“14
Erst in Seminar 19 und in der parallel dazu laufenden Vortragsreihe Das Wissen des Psychoanalytikers wird er darauf zurückommen und von da an bis einschließlich Seminar 21 seine Version der Modalkategorien ausarbeiten. 15
Vorgeschichte
Jetzt aber ganz von vorn: Was ist für Lacan vor dem Identifizierungsseminar das Reale und was das Unmögliche?
Das Reale
Lacans erste Bestimmung des Realen – man findet sie in Seminar 1 – hatte gelautet, das Reale „ist das, was der Symbolisierung absolut widersteht“16; an dieser Definition wird er bis zum Schluss festhalten (vgl. diesen Blogartikel). In diesem Seminar findet man auch einen ersten Versuch, das Verhältnis des Realen zum Imaginären und zum Symbolischen topologisch darzustellen, durch den nebenstehenden Dieder. Er besteht aus zwei Dreieckspyramiden, die mit der Basis gewissermaßen aneinander geklebt sind. Diese geteilte Grundfläche repräsentiert das Reale.17
Eine zweite Definition des Realen liefert Lacan in Seminar 2, sie lautet: „Das Reale ist das, was am selben Platz immer wiederkehrt“18, anders gesagt: das Reale zeigt sich im Wiederholungszwang.
Die nächste Bestimmung des Realen lautete (in Seminar 6), dass sich das Reale im Symbolischen als Schnitt manifestiert, etwa in der Beendigung einer psychoanalytischen Sitzung; vgl. diesen und diesen Blogartikel.19
Danach (in Seminar 7) trat das Reale als „Ding“ auf, genauer hieß es dort, das „Ding“ sei ein „Loch im Realen“20.
In Seminar 9 von 1961/62, Die Identifizierung, trägt Lacan zum ersten Mal die These vor, um die es in diesem Artikel geht: Das Reale ist das Unmögliche. Von da an wird er diese Formel, in vielen Varianten, bis einschließlich Seminar 24 in jedem Seminar aufgreifen. In Seminar 12 beispielsweise wird er sagen, dass „das Reale als das Unmögliche definiert ist“.21 An der anfänglichen Definition des Realen wird er dabei festhalten, wonach das Reale darin besteht, dass etwas nicht symbolisiert werden kann (vgl. diesen Blogartikel). Man kann das so zusammenfügen: Das Reale ist das, dessen Symbolisierung unmöglich ist.
Das Unmögliche
Den Begriff des Unmöglichen bzw. der Unmöglichkeit hatte Lacan zunächst speziell auf die Zwangsneurose bezogen. Dabei knüpft er an Freud an, der in der Studie über den sogenannten Rattenmann herausgestellt hatte, dass bei diesem das Symptom – das komplizierte Szenario bei der Rückgabe einer Geldsumme – „an eine unerfüllbare absurde Bedingung geknüpft“ war, dass er sich bestrafte durch „Auferlegen eines unmöglich zu erfüllenden Eides“22. In dem Vortrag Der individuelle Mythos des Zwangsneurotikers (1953) sagt Lacan über denselben Fall:
„Selbstverständlich ist dieses Szenario unmöglich durchzuführen.“ „[D]as Element der Schuld ist auf zwei Ebenen zugleich angesetzt, und genau in der Unmöglichkeit, diese beiden Ebenen zusammenzubringen, spielt sich das ganze Drama des Neurotisierten ab.“23
Im selben Text heißt es über Goethe und dessen Flucht vor dem begehrten Objekt:
„Vor dem Ziel sehen wir, wie es von Neuem zu einer Verdoppelung des Objekts kommt, zu seiner Entfremdung im Verhältnis zu sich selbst, zu den Manövern, mit denen er sich einen Ersatz gibt, auf welchen sich die tödlichen Bedrohungen beziehen müssen. Sobald er diesen Ersatz in sich selbst reintegriert, ist es unmöglich, das Ziel zu erreichen.“24
In einem Selbstkommentar zu diesem Vortrag, drei Jahre später, spitzt Lacan den Begriff der Unmöglichkeit zu:
„Ich habe gar den Fall [des Rattenmanns] gemäß einer von Claude Lévi-Strauss gegebenen Formel zu formalisierten vermocht, wodurch ein a, zuerst verknüpft mit einem b, während ein c mit einem d verknüpft ist, in der zweiten Generation mit ihm einen Wechsel des Partners erfährt, doch nicht ohne dass ein irreduzibler Rest in der Form der Negativierung eines der vier Terme bestehen bleibt, die sich als korrelativ zur Transformation der Gruppe auferlegt; woran sich ablesen lässt, was ich als das Zeichen einer Art Unmöglichkeit der vollständigen Lösung des Problems des Mythos behaupten werde. Derart, dass der Mythos da wäre, um uns zu zeigen, wie in einer signifikanten Form in eine Gleichung eine Problematik umgesetzt wird, die aus sich selbst heraus notwendig etwas Offenes übrig lassen muss, das dem Unlösbaren entspricht, insofern es die Unlösbarkeit bedeutet, und dessen Hervortreten, wiedergefunden in ihren Äquivalenzen, das den Signifikanten des Unmöglichen liefert (dies wäre daran die Funktion des Mythos).“25
In Die Lenkung der Kur und die Prinzipien ihrer Macht (geschrieben 1960) kommt Lacan darauf zurück:
„Doch das Beste ist, dass der Zugang zu diesem Material nur durch eine Deutung eröffnet wurde, in der Freud zu sehr auf ein Verbot abhob, dass der Vater des Rattenmanns über die Legitimierung der erhabenen Liebe, die ihm alles bedeutet, verhängt haben soll, um das Merkmal des Unmöglichen zu erklären, von dem diese Verbindung in allen ihren Modi für ihn geprägt scheint.“26
Dem Begehren des Zwangsneurotikers stabilisiert sich dadurch, dass es auf das Unmögliche abzielt; der typische Fall – auch für den Nicht-Psychoanalytiker gut zu beobachten – ist das hin und her Springen zwischen zwei einander ausschließenden Entscheidungen. Dieser Art des Begehrens stellt Lacan in diesem Aufsatz das Begehren der Hysterikerin gegenüber, die ihr Begehren dadurch sichert, dass es sich darauf richtet, unbefriedigt zu sein.27
Ähnlich heißt es im Aufsatz über Lagache, im selben Jahr geschrieben:
„Wir lenken die Aufmerksamkeit auf das Begehren zurück, bei dem vergessen wird, dass weit authentischer als irgendeine Suche nach einem Ideal das Begehren die signifikante Wiederholung des Neurotikers als seine Metonymie reguliert. Nicht in dieser Bemerkung werden wir darlegen, wie er dieses Begehren als unbefriedigt (das ist die Hysterische) und wie als unmöglich (das ist der Zwangsneurotiker) stützen muss.“28
In Subversion des Subjekts und Dialektik des Begehrens (geschrieben 1962), wird diese Gegenüberstellung ausgebaut:
„Aber dieser durch den Neurotiker dem Anspruch verliehene Vorrang, der für eine in die Bequemlichkeit umschlagende Analyse die ganze Kur in die Handhabung der Frustration hat abrutschen lassen, verbirgt seine Angst vor dem Begehren des Anderen, die unmöglich zu verkennen ist, wenn sie nur vom phobischen Objekt verdeckt wird, die aber für die beiden anderen Neurosen schwieriger zu verstehen ist, wenn man nicht den Faden hat, der es ermöglicht, das Phantasma als Begehren des Anderen zu setzen. Man findet dann davon die beiden Glieder gleichsam auseinandergebrochen vor: das eine beim Zwangsneurotiker, insofern er das Begehren des Anderen verleugnet, wenn er sein Phantasma ausbildet, um das Unmögliche des Verschwindens des Subjekts zu betonen, das andere bei der Hysterischen, insofern das Begehren sich darin nur durch die Unbefriedigung aufrechterhält, die man darin einbringt, indem man sich darin als Objekt entzieht.“29
Die These „Das Reale ist das Unmögliche“ ist, wie man sehen wird, eine Verallgemeinerung der These über den Zwangsneurotiker. Nicht nur die Zwangsneurotiker, auch die Hysteriker begehren das Unmögliche.
Auszüge aus dem Seminar „Die Identifizierung“ (1961/62). Übersetzung mit Erläuterungen
Das Theorem „Das Reale ist das Unmögliche“ wird von Lacan also, wie gesagt, in Seminar 9 von 1961/62, Die Identifizierung eingeführt, dort in ständiger Auseinandersetzung mit der traditionellen, der transzendentalen und der modernen Logik. Ein Jahr später wird er dieses Seminar so beschreiben:
„Ich unterstelle, dass ich mich an Leute wende, […] die sich […] an das erinnern, was ich mich im letzten Jahr herauszuarbeiten bemüht habe, bezogen auf den so genannten allgemeinen bejahenden Satz, dass er nämlich Sinn nur von der Definition des Realen als des Unmöglichen her hat. […] Wie Sie sehen, hat die Logik seither im Wesentlichen die heikle Funktion, das Reale dazu zu verdammen, auf ewig im Unmöglichen herumzutappen.“30
Im Identifizierungsseminar sollte demnach gezeigt werden, dass die Definition des Realen als des Unmöglichen grundlegend dafür ist, dass die universale bejahende Aussage einen Sinn hat. (Eine universale bejahende Aussage hat die Form „Alle S sind P“, z.B. „Alle Menschen sind sterblich“; S steht hierbei für „Subjekt“, P für „Prädikat“, beide Begriffe im Sinne der Logik, nicht der Grammatik. Diese Aussage ist universal im Gegensatz zu partikular, d.h. sie bezieht sich auf alle, nicht auf einige. Sie ist bejahend statt verneinend, eine universale verneinende Aussage hat die Form „Alle S sind nicht P“.)
Wenn man nachvollziehen will, was das Theorem „Das Reale ist das Unmögliche“ bei seinem ersten Auftreten besagen will, sollte man sich also klarmachen, inwiefern es die universale bejahende Aussage fundiert, wie es sich auf welche Logik bezieht und warum das für die Psychoanalyse relevant sein könnte.
Im Folgenden übersetze ich alle Passagen aus Seminar 9, die sich auf das Reale als das Unmögliche sowie auf die universale bejahende Aussage beziehen. Die Stellen sind chronologisch geordnet. Auf die Übersetzung einer Passage folgt eine Paraphrase mit erläuternden Ergänzungen und Fragen.
Eine Logik des unbewussten Denkens (19. November 1961)
Übersetzung
Zu Beginn der Sitzung vom 15. November 1961 erläutert Lacan sein Vorhaben in diesem Seminar: Thema ist die Identifizierung, und das heißt, es geht um das Verhältnis des Subjekts zum Signifikanten.
Das Verb „identifizieren“, sagt er, kommt vom Lateinischen idem facere, „identisch machen“, deshalb wolle er sich vor allem damit beschäftigen, worin im Falle der Identifizierung das Identisch-Machen besteht. Der Satz der Identität lautet A = A, und das werfe jede Menge Probleme auf. Aber als Psychoanalytiker müsse man in Fragen der Logik von einer Erfahrung mit dem Sprechen ausgehen; von hier aus müsse man den Begriff der Identifizierung angehen, in seiner Mehrdeutigkeit und seiner Ambiguität. Im Französischen heißt „das Selbe“ le même, vom lateinischen metipsum. In moi-même, „ich selbst“, werde das Selbe mit dem Ich verkoppelt, so wie auch im Deutschen „selbst“ die Identität bezeichnet.
Dies sei vielleicht nicht ohne Beziehung dazu, dass Descartes das Sein in der berühmten Formel „ich denke, also bin ich“ als etwas denken konnte, was dem Subjekt innewohnt. Die Formel sei vielleicht kein schlechter Zugang zur Frage der Identifizierung, zur Frage nach der Identität des Subjekts. Lacan fährt so fort:
„ ‚Ich denke, also bin ich‘, in dieser Form scheint mir das die üblichen Verwendungen in sich zu konzentrieren, sodass es zu dieser ‚abgegriffenen Münze‘ ohne Relief geworden ist, auf die Mallarmé sich irgendwo bezieht.31 Wenn wir das einen Augenblick lang festhalten und versuchen, daraus die Funktion des Zeichens herauszufeilen, wenn wir versuchen, seine Funktion für unseren Gebrauch neu zu beleben, dann möchte ich bemerken, dass diese Formel – zu der ich Ihnen zum wiederholten Male sage, dass man sie bei Descartes in ihrer konzentrierten Form nur an einem bestimmten Punkt der Abhandlung über die Methode findet32 –, dass diese Formel keineswegs so, in dieser verdichteten Form, ausgedrückt wird.
Dieses ‚Ich denke, also bin ich‘ stößt auf den folgenden Einwand, und ich glaube, dass er nie vorgebracht worden ist, nämlich dass ‚Ich denke‘ kein Gedanke ist.
Es ist klar, dass Descartes uns diese Formel als Ergebnis eines langen Denkprozesses vorlegt, und ganz gewiss ist das Denken, um das es dabei geht, das Denken eines Denkers. Ich möchte sogar noch mehr sagen: Das Merkmal ‚das ist ein Denken eines Denkers‘ ist nicht erforderlich, um vom Denken zu sprechen. Ein Denken, um es klar zu sagen, erfordert keineswegs, dass man an das Denken denkt.
Insbesondere für uns beginnt das Denken mit dem Unbewussten.
Man kann sich nur wundern über die Zaghaftigkeit, die uns, wenn wir versuchen, etwas über das Denken zu sagen, zur Formel der Psychologen greifen lässt, zu der Formel, dass wir sagen, dass das Denken ein skizzenhaftes, verkürztes Handeln ist – das kleine ökonomische Handlungsmodell. Sie werden mir sagen, dass man das irgendwo bei Freud findet.33 Aber sicher, bei Freud findet man alles, in irgendeinem Absatz hat er mal von dieser psychologischen Definition des Denkens Gebrauch machen können. Aber schließlich ist es sehr schwierig, auszuklammern, dass wir bei Freud auch finden, dass das Denken ein äußerst effektiver und gewissermaßen selbstgenügsamer Modus der masturbatorischen Befriedigung ist. Dies um zu sagen, dass wir, bezogen auf den Sinn des Denkens, eine Spannbreite haben, die vielleicht ein bisschen größer ist als die der anderen Arbeiter.
Das schließt jedoch nicht aus, dass wir sagen können – bei der Prüfung der Formel, um die es geht, ‚Ich denke, also bin ich‘ –, dass die Formel uns, bezogen auf den Gebrauch, der davon gemacht wird, nur vor ein Problem stellen kann. Denn es empfiehlt sich, diese Redeweise zu prüfen, ‚ich denke‘ – wie groß das Feld, dass wir dem Denken vorbehalten haben, auch sein mag –, um zu sehen, ob sie den Merkmalen des Denkens genügt, um zu sehen, ob sie den Merkmalen dessen genügt, was wir ein Denken nennen können.
Es könnte sein, das dies eine Redeweise ist, die sich als völlig ungenügend erweist, sodass sie in keiner Weise das stützt, was auch immer wir am Ende von dieser Präsenz ausmachen können: ‚Ich bin‘. Und das ist eben das, was ich behaupte.
Um zu erklären, worauf ich hinauswill, möchte ich darauf hinweisen, dass ‚Ich denke‘ – ganz kurz in dieser Form genommen – logisch nicht tragbarer, nicht haltbarer ist als das ‚Ich lüge‘, das bereits für eine gewisse Anzahl von Logikern ein Problem dargestellt hat, dieses ‚Ich lüge‘, das sich nur durch das logische Schwanken aufrechterhält, sicherlich leer, aber dennoch haltbar, das diesen Schein von Sinn entfaltet, der im Übrigen ganz ausreicht, um in der formalen Logik seinen Platz zu finden. ‚Ich lüge‘: wenn ich das sage, ist es wahr – also lüge ich nicht. Aber dennoch lüge ich, da ich, wenn ich ‚Ich lüge‘ sage, das Gegenteil behaupte.
Es ist sehr leicht, diese angebliche logische Schwierigkeit zu demontieren und zu zeigen, dass die angebliche Schwierigkeit, auf der dieses Urteil beruht, auf Folgendem beruht: Das Urteil, das es enthält, kann sich nicht auf seine eigene Aussage (énoncé) beziehen, das ist ein Kollaps. Diese berühmte Schwierigkeit entsteht durch das Fehlen der Unterscheidung zweier Ebenen, dadurch, dass vom ‚Ich lüge‘ angenommen wird, dass es sich auf die Artikulation von ‚Ich lüge‘ selbst bezieht und nicht davon unterschieden wird.
Dies, um Ihnen zu sagen, dass es sich mangels dieser Unterscheidung nicht um eine wirkliche Aussage handelt.
Diese kleinen Paradoxien, von denen die Logiker übrigens viel her machen, um sie unmittelbar danach aufs rechte Maß zurückzubringen, können als einfacher unterhaltsamer Zeitvertreib angesehen werden. Gleichwohl sind sie von Interesse; sie müssen festgehalten werden, um die wahre Position jeder formalen Logik insgesamt aufzuzeigen, nicht zuletzt die des berühmten logischen Positivismus, über den ich vorhin [zu Beginn der Sitzung] gesprochen habe.
Damit meine ich, dass man unseres Erachtens von der berühmten Aporie des Epimenides keinen hinreichenden Gebrauch gemacht hat, einer Aporie, die nur eine entwickeltere Form dessen ist, was ich Ihnen gerade mit dem ‚Ich lüge‘ vorgelegt habe: dass alle Kreter Lügner sind, wie Epimenides der Kreter sagt. Und Sie sehen sofort das kleine Drehkreuz, das sich daraus ergibt.
Man hat davon keinen hinreichenden Gebrauch gemacht, um die Nichtigkeit der berühmten sogenannten bejahenden universalen Aussage A zu beweisen. Denn tatsächlich, man bemerkt es dabei, liegt hier, wie wir sehen werden, die interessanteste Form vor, um die Schwierigkeit zu lösen. Denn beachten Sie bitte, was geschieht, wenn man Folgendes sagt, was möglich ist, was in der Kritik an der berühmten universalen Bejahung A gesagt worden ist, über die nämlich einige behauptet haben, nicht ohne Grund, dass deren Substanz nie eine andere gewesen ist als die einer negativen Existenzaussage: ‚Es gibt keinen Kreter, der nicht fähig wäre zu lügen.‘34 Wenn man von da ausgeht, gibt es kein Problem mehr.35 Epimenides kann das aus dem Grunde sagen, weil er, wenn das so ausgedrückt wird, keineswegs sagt, es gebe jemanden, nämlich einen Kreter, der ohne Unterbrechung lügen könnte.
Vor allem wenn man sich klarmacht, dass fortdauernd zu lügen ein nie erlahmendes Erinnerungsvermögen voraussetzt, das dafür sorgen würde, der Rede letztlich eine Richtung zu geben, die das Äquivalent eines Geständnisses wäre, derart, dass selbst dann, wenn ‚Alle Kreter sind Lügner‘ bedeutet, dass es keinen Kreter gibt, der nicht ununterbrochen lügen will, ihm die Wahrheit dann doch herausrutschen wird – je stärker dieser Wille ist, umso mehr.
Die plausibelste Bedeutung des Geständnisses des Kreters Epimenides, dass alle Kreter Lügner sind, diese Bedeutung kann nur die sein – und dessen rühmt er sich –, dass er Sie damit verwirren will, indem er Sie wahrheitsgemäß vor seiner Methode warnt. Aber dahinter steckt kein anderer Wille. Das hat denselben Erfolg wie dieses andere Vorgehen, dass darin besteht, anzukündigen, das man selbst nicht höflich sein wird, dass man absolut aufrichtig sein wird – das ist eben der Typ, der Sie dazu bringen will, ihm seinen ganzen Bluff abzunehmen.
Ich will damit sagen, dass jede Bejahung einer Allgemeinaussage, im formalen Sinne der Kategorie, dieselben krummen Absichten hat, und es ist sehr hübsch, das sie, diese Absichten, in den klassischen Beispielen deutlich hervortreten.
Dass ein Aristoteles sich die Mühe macht, zu offenbaren, dass Sokrates sterblich ist, muss doch ein gewisses Interesse bei uns wecken, das heißt Anlass zu etwas bieten, was wir unter uns ‚Interpretation‘ nennen können, insofern dieser Ausdruck beansprucht, ein bisschen weiter zu gehen als die Funktion, die man ja sogar im Titel eines der Bücher der Logik von Aristoteles findet.36 Denn wenn derjenige, den Athen als Sokrates bezeichnet, als menschliches Tier offensichtlich des Todes gewiss ist, so entgeht er dem Tod in Wirklichkeit dennoch: als derjenige, der ‚Sokrates‘ genannt wird, und dies offensichtlich nicht nur deshalb, weil sein Ruf so lange fortdauern wird, wie die von Platon vorgenommene sagenhafte Übertragungsoperation lebendig ist, sondern noch genauer nur deshalb, weil es ihm gelungen ist, sich – ausgehend von seiner sozialen Identität – als dieses Wesen der Atopie zu konstituieren, das ihn kennzeichnet.37 Nur deshalb konnte besagter Sokrates, derjenige, den man in Athen so nennt, und deshalb konnte er nicht ins Exil gehen, konnte er sich im Begehren nach seinem eigenen Tod soweit stärken, dass er daraus das acting out seines Lebens gemacht hat. Es wird <von ihm> noch diese heitere Bemerkung hinzugefügt, dem Asklepios den berühmten Hahn zu entrichten, als ginge es darum, dass die Empfehlung ausgesprochen werden musste, den Maronenverkäufer an der Ecke nicht zu schädigen.38
Es gibt hier bei Aristoteles also etwas, das wir als einen Versuch deuten können, eine Übertragung auszutreiben, die er als Hindernis für die Entwicklung des Wissens ansah.
Das war übrigens von seiner Seite ein Irrtum, denn das Scheitern dieses Versuchs ist offenkundig. Damit die Dinge einen anderen Ausgang nehmen, musste die Entnaturalisierung des Begehrens sicherlich noch ein bisschen weiter gehen als bei Platon. Die moderne Wissenschaft ist aus einem Hyperplatonismus heraus entstanden und keineswegs aus der aristotelischen Rückkehr zur Funktion des Wissens als etwas, was den Status des Begriffs hat. Es war tatsächlich das nötig, was wir den „zweiten Tod der Götter“ nennen können, nämlich ihre schemenhafte Wiederkehr zum Zeitpunkt der Renaissance, damit das Wort uns seine wahre Wahrheit zeigte, diejenige, die nicht die Illusionen vertreibt, sondern die Finsternis des Sinns, woraus die moderne Wissenschaft hervorgeht.
Demnach ist der Satz ‚Ich denke‘, wir haben es bereits gesagt, insofern interessant, als er uns die willentliche Dimension des Urteils zeigt – das ist das Minimum, das wir daraus ableiten können.
Wir müssen darüber nicht allzu viel sagen; die beiden Linien <des Graphen>, die wir als Äußerungsvorgang (énonciation) und Ausgesagtes (énoncé) unterscheiden, sind für uns hinreichend, um bestätigen zu können, dass wir in dem Maße, wie diese beiden Linien sich verwirren und vermengen, vor einer solchen Paradoxie stehen können, die zu der Sackgasse des ‚Ich lüge‘ führt, bei der ich Sie einen Augenblick lang festgehalten habe, und der Beweis dafür, dass es eben dies ist, worum es geht, nämlich, dass ich zugleich lügen und mit derselben Stimme sagen kann, dass ich lüge.
Wenn ich diese Stimmen unterscheide, ist das völlig zulässig. Wenn ich sage ‚Er sagt, dass ich lüge‘, ist das einfach, dagegen gibt es keinen Einwand, genauso wenig, wie wenn ich sagen würde ‚Er lügt‘. Aber ich kann sogar sagen ‚Ich sage, dass ich lüge‘.
Es gibt hier jedoch etwas, wobei wir uns aufhalten müssen, nämlich wenn ich sage ‚Ich weiß, dass ich lüge‘. Das hat dann etwas völlig Überzeugendes, bei dem wir als Analytiker innehalten müssen, denn als Analytiker wissen wir ja, dass das Ursprüngliche, das Lebendige und das Faszinierende unserer Intervention darin besteht, dass wir sagen können, dass wir da sind, um zu sagen, um uns in genau der entgegengesetzten, aber streng hierauf bezogenen Richtung zu bewegen, die darin besteht, zu sagen ‚Aber nein, du weißt nicht, dass du die Wahrheit sagst‘ – was sofort weiterführt. Und mehr noch: ‚Du sagst es nur in dem Maße so gut, wie du zu lügen glaubst, und wenn du nicht lügen willst, dann deshalb, um dich vor dieser Wahrheit zu schützen.‘ Es scheint, dass man diese Wahrheit nur durch dieses Flackern einkreisen kann, die Wahrheit, die insofern eine Tochter ist – Sie erinnern sich an unsere Termini –, als sie ihrem Wesen nach, wie jede andere Tochter, nur eine Verirrte wäre.39“40
Nach weiteren Hinweisen zum „Ich denke, also bin ich“ geht Lacan zum Sujet supposé savoir über, zum Subjekt, dem zu wissen unterstellt wird.
Paraphrase mit Ergänzungen
Das Denken des Unbewussten
Lacan bezieht sich auf Descartes’ berühmten Satz „Ich denke, also bin ich“ [den man in den Mediationen über die erste Philosophie (1641) findet]. Der Satz ist zu einer „abgegriffenen Münze“ geworden, wie Mallarmé sagt, und Lacan möchte den Satz für seine Zwecke [also für die der Psychoanalyse] neu beleben, indem er daran die Funktion des Zeichens herausarbeitet [gemeint ist: die Funktion des Signifikanten in der Perspektive des Unbewussten]. [In späteren Seminaren wird Lacan immer wieder auf Descartes’ Formel zurückkommen.]
Lacans Einwand gegen Descartes’ Satz lautet: „Ich denke“ ist kein Gedanke. Sicherlich ist die Aussage „Ich denke, also bin ich“ das Denken eines Denkers, der an das Denken denkt. Aber damit ist es noch kein Gedanke – dass etwas das Denken eines Denkers ist, dass man an das Denken denkt, ist keine notwendige Bedingung dafür, dass es sich um ein Denken handelt. Vor allem für „uns“, für die Psychoanalytiker, beginnt das Denken mit dem Unbewussten. [Freud spricht von „unbewussten Gedanken“.]
Die Formel der Psychologen, dass das Denken ein verkürztes Handeln ist [ein Probehandeln] – eine Formulierung, die man auch bei Freud findet –, ist zurückzuweisen. Freud sagt auch, das Denken sei eine Form der masturbatorischen Befriedigung. [¿ Mir ist nicht klar, ob Lacan auch diese Freud’sche These zurückweist oder ob er hier eine Beziehung zwischen unbewusstem Denken und Genießen andeutet, ein Zusammenhang, der ihn in späteren Seminaren stark beschäftigen wird.] Psychoanalytiker haben, wenn es um das Denken geht, zwar eine größere Spannbreite als andere [insofern sie „unbewusste Gedanken“ kennen und nach der Beziehung zur Triebbefriedigung fragen]; das ändert jedoch nichts daran, dass die Formel „Ich denke, also bin ich“ auch sie vor ein Problem stellt.
Paradoxien der Aussage
[Um dieses Problem anzugehen, wendet Lacan sich dem ersten Bestandteil von Descartes’ Formulierung zu, dem Satz „Ich denke“.] Lacan behauptet: Die Formulierung „ich denke“ ist kein Denken und sie stützt auch nicht den anschließenden Satz „ich bin“; die Formulierung „ich denke“ ist nicht haltbarer als die Aussage „Ich lüge [mit diesem Satz]“.
Mit der Aussage „Ich lüge [mit diesem Satz]“ haben sich einige Logiker beschäftigt. Denn der Satz führt zu einem Schwanken [zwischen Wahr und Falsch]. Wenn ich sage „ich lüge [mit diesem Satz]“ [und wenn ich annehme, dass der Satz wahr ist], dann ist der Satz falsch, da ich ja das Gegenteil behaupte, nämlich dass ich lüge – wenn der Satz wahr ist, ist er also falsch. [Wenn der Satz aber falsch ist, dann heißt das, dass ich nicht lüge, sondern die Wahrheit spreche, dann ist er also wahr.] Diese Oszillationsbewegung [zwischen Wahrheit und Falschheit] hat dazu geführt, dass der Satz zu einem Thema der formalen Logik geworden ist.
Die Paradoxie entsteht dadurch, dass das Urteil [bzw. die Aussage, die Proposition] sich hier auf sich selbst bezieht, dass also zwei Ebenen nicht unterschieden werden, die Ebene von „Ich lüge“ [wobei das Lügen Gegenstand einer Aussage ist, ein Thema] und die Ebene der Artikulation von „Ich lüge“ [dass also die Ebene dessen, worüber gesprochen wird (énoncé) und die des aktuell vollzogenen Sprechvorgangs (énonciation) nicht unterschieden werden]. Da diese Unterscheidung nicht getroffen wird, handelt es nicht um eine wirkliche Aussage. [?]
Solche Paradoxien sind insofern interessant, als sie die wahre Position der formalen Logik insgesamt aufzeigen, u.a. die des logischen Positivismus [da die Logik über dem Problem einer ähnlichen Paradoxie in eine Krise geraten ist].
[Der Ausdruck „formale Logik“ wird in zwei Bedeutungen verwendet, einer weiten und einer engen. Die formale Logik im weiteren Sinn ist die Logik, die sich mit dem Zusammenhang zwischen der Form von Aussagen (von Urteilen, von Propositionen) und ihrer Wahrheit und Falschheit befasst, unter Absehung vom Inhalt; so verwendet gehört auch die von Aristoteles begründete Logik (auch „aristotelische Logik“ oder „traditionelle Logik“ genannt) zur formalen Logik. Als „formale Logik“ wird aber auch speziell diejenige Logik bezeichnet, die den Bruch mit der aristotelischen Logik vollzieht, indem sie sich auf das Vorbild der Algebra stützt und spezielle Schriftzeichen verwendet; sie wurde im 19. Jahrhundert von Boole und Frege begründet und wird auch als „moderne Logik“, „symbolische Logik“ oder „mathematische Logik“ bezeichnet. Ich kann nicht erkennen, welche Bedeutung hier gemeint ist.]
Um das zu zeigen, sollte man sich beim Umgang mit dieser Paradoxie auf den berühmten Satz des Kreters Epimenides beziehen, „Alle Kreter lügen“, das ist eine entwickeltere Form des Satzes „Ich lüge [jetzt gerade]“. Man hat keinen hinreichenden Gebrauch davon gemacht, um die Nichtigkeit der bejahenden universalen Aussage zu beweisen. [Die nachzuweisende „wahre Position“ der formalen Logik bezieht sich speziell auf die universale bejahende Aussage. „Nichtigkeit“ könnte heißen: dass die universale Aussage sich auf „nichts“ bezieht, das ist die von Lacan im Verlauf des Identifizierungsseminars entwickelte These.]
Lacan bezeichnet die universale bejahende Aussage mit dem Buchstaben A [da sie im sogenannten logischen Quadrat der scholastischen Logik mit diesem Buchstaben bezeichnet wird; auf dieses Quadrat und die darin verwendeten Buchstaben kommt er später zurück].
Die Paradoxie des Epimenides ist geeignet, um die Nichtigkeit der bejahenden universalen Aussage zu zeigen [also die Nichtigkeit der Aussagen vom Typ „Alle S sind P“]. [Lacans Argument ist: (a) Grundlage der traditionellen Logik ist die universale bejahende Aussage. (b) Eine bestimmte universale bejahende Aussage führt in eine Paradoxie, nämlich die Aussage eines Kreters „Alle Kreter sind (immer) Lügner“ – wenn sie wahr ist, ist sie falsch. (c) Diese scheinbare Ausnahme zeigt, dass es mit der universalen bejahenden Aussage insgesamt Schwierigkeiten gibt, dass sie auf wackligem Grund steht.]
Das Problem, das mit „Ein Kreter sagt: ‚Alle Kreter sind Lügner‘“ verbunden ist, löst sich auf, wenn man sagt, mit dem Satz des Epimenides sei die folgende negative Existenzaussage gemeint „Es gibt keinen Kreter, der nicht in der Lage wäre zu lügen.“ [Durch die doppelte Verneinung ist diese Aussage einer universalen bejahenden Aussage äquivalent, also der Aussage „Alle Kreter sind in der Lage zu lügen“. Die Paradoxie löst sich dadurch auf, das ein Dispositionsprädikat verwendet wird („in der Lage sein, etwas zu tun“), nicht durch die Umwandlung in eine Aussage, die mit „Es gibt nicht“ beginnt.] Epimenides kann durchaus sagen, „Es gibt keinen Kreter der nicht lügen kann“, denn damit sagt er nicht, dass es Kreter gäbe, die ununterbrochen lügen können.
Wenn alle Kreter aber tatsächlich beständig lügen würden [statt dass sie nur in der Lage wären, beständig zu lügen], dann würde dies ein beständiges Erinnerungsvermögen erfordern [an den Beschluss, fortwährend zu lügen]. Damit aber würde die lügnerische Rede zum Äquivalent eines Geständnisses, denn je stärker der Wille ist, zu lügen, desto eher rutscht einem die Wahrheit heraus. [Lacan bezieht sich auf eine Urerfahrung der Psychoanalyse: dass die Wahrheit etwas ist, was einem im Gespräch herausrutscht, etwa in Gestalt eines Versprechers oder einer Mehrdeutigkeit.]
Man kann sich fragen, warum der Kreter Epimenides auf die Idee kommt, einem das Geständnis zu machen „Alle Kreter sind Lügner“. Die plausibelste Erklärung ist, dass er einen damit verwirren will – und zwar durch Ankündigung seiner Methode, wobei diese Ankündigung der Wahrheit entspricht. [Das könnte heißen: Er sagt dies, damit ich das, was er an Wahrem sagt, für falsch halte.] Lacan vergleicht das mit dem umgekehrten Vorgehen, dass jemand mir sagt, er werde aufrichtig sein und er werde sich die Höflichkeiten sparen – er sagt mir das, damit ich ihm seine Täuschungen abnehme [damit ich das, was er an Falschem sagt, für wahr halte].
Lacan geht nun, wie angekündigt, von diesem Sonderfall einer universalen Bejahung – von „Alle Kreter sind Lügner“ – zur universalen Bejahung schlechthin über.
Seine These lautet: Jede universale Bejahung [jede Aussage vom Typ „Alle S sind P“] verfolgt eine krumme Absicht, ist ein Täuschungsmanöver [so wie im Falle von Epimenides, der mich mit der universal bejahenden Aussage „Alle Kreter sind Lügner“ verwirren will].
„Alle Menschen sind sterblich“
Aristoteles verwendet in seiner Logik den Satz „Sokrates ist sterblich“. Warum sagt er das? Als Psychoanalytiker sollte man diese Aussage deuten.
[Mit „Sokrates ist sterblich“ sind wir bei einer singulären bejahenden Aussage, bei einer Aussage über ein Individuum, nicht bei einer universalen bejahenden Aussage. Indirekt geht es jedoch auch hier um eine universale bejahenden Aussage, denn „Sokrates ist sterblich“ ist die Schlussfolgerung in einem berühmten logischen Schluss (oder Syllogismus oder Argument), bei dem aus der Prämisse „Alle Menschen sind sterblich“ und der Prämisse „Sokrates ist ein Mensch“ die Schlussfolgerung gezogen wird, „Also ist Sokrates sterblich“. Der singuläre bejahende Satz „Sokrates ist sterblich“ funktioniert vor dem Hintergrund der universalen bejahenden Aussage „Alle Menschen sind sterblich“.]
Dass Aristoteles den Satz „Sokrates ist sterblich“ verwendet, sollte Anlass für eine Interpretation sein, wobei man sich nicht auf die Interpretation in dem Sinne beschränken sollte, wie man das im Titel eines der Bücher von Aristoteles findet. [Lacan bezieht sich auf das Werk, das im Lateinischen De interpretatione heißt (im Deutschen meist Lehre vom Satz); in dieser Schrift wird die Unterscheidung von universalen und partikulären sowie von bejahenden und verneinenden Aussagen eingeführt.] Vielmehr geht es um eine Deutung im Sinne der Psychoanalyse.
Bei dieser Deutung sollte man sich darauf beziehen, dass Sokrates keineswegs, wie alle Menschentiere, sterblich ist, sondern dass er [auf der symbolischen Ebene] unsterblich ist. Erstens, weil sein Ruf solange fortdauern wird, wie die Übertragungsbeziehung, die Platon zu Sokrates hergestellt hat, fortdauern wird [durch die Wirksamkeit von Platons Dialogen, in denen Sokrates die Hauptfigur ist]. Außerdem ist Sokrates deshalb unsterblich, weil es ihm gelungen ist, sich ausgehend von seiner sozialen Identität [als Bürger von Athen] als ein Wesen der Atopie zu konstituieren [der Ortlosigkeit, als jemand, der nicht einzuordnen ist]. [Die „Atopie“ des Sokrates wurde von Lacan in Seminar 7, Die Ethik der Psychoanalyse (1959/60), untersucht, die Übertragungsbeziehung gegenüber Sokrates war Thema von Seminar 8, Die Übertragung (1960/61).– Die Deutungstechnik besteht hier darin, dass angenommen wird, dass der unbewusste Sinn der Aussage ihr Gegenteil ist. Das, was mit dem Satz „Sokrates ist sterblich“ abgewehrt wird, ist Sokrates’ Unsterblichkeit.]
[Worin bestand die „Atopie“ des Sokrates? Darin, dass er beständig nach Begriffsdefinitionen fragte, selbst aber keine Lösung hatte? Und inwiefern ist er gerade aufgrund seiner „Atopie“ unsterblich? Vermutlich insofern, als das Begehren sich auf ein „atopisches“ Objekt stützt, auf das Objekt des Begehrens als Ursache des Begehrens, wie es ab dem folgenden Seminar heißen wird (Seminar 10, Die Angst, 1962/63).]
Diese Ortlosigkeit beruht auf seiner sozialen Identität [als Bürger Athens], wobei diese soziale Identität so stark war, dass er nicht ins Exil gehen konnte [um so der Exekution zu entgehen]. Diese Ortlosigkeit hat das Begehren von Sokrates nach seinem eigenen Tod gestärkt [seinen „Todeswunsch“, seinen „Todestrieb“, in der Terminologie von Freud], sodass er daraus das acting out seines Lebens gemacht hat [indem er die Hinrichtung gelassen akzeptierte (statt ins Exil zu gehen) und auf diese Weise sein Leben „ausagierte“]. [Es geht um die Subjektspaltung, um die Spaltung zwischen der Identifizierung und dem Begehren: Sokrates identifiziert sich mit der Position des athenischen Bürgers, das ist die eine Seite der Spaltung. Die Kehrseite ist sein Begehren, ein Objekt zu sein, das in der sozialen Ordnung gerade keinen Platz hat; er realisiert dieses Begehren, indem er sich hinrichten lässt.] Seine letzten Worte beziehen sich darauf, dass man dem Asklepios [dem Gott der Heilkunst] noch einen Hahn schuldet, ein Opfer, und er sagt das, als ginge es um eine gewöhnliche soziale Pflicht [er ist also zugleich in der sozialen Ordnung tief verankert, es ist ihm wichtig, seine Schulden (gegenüber irgendeinem Tempel) zu bezahlen, auch noch nach seinem Tod].
[Warum also setzt Aristoteles mitten in seine Logik des Satz „Sokrates ist sterblich“?] Um die von Platon aufgebaute Übertragung [im Verhältnis zu Sokrates] auszutreiben [die Bindung an Sokrates und an dessen Begriffskritik]. Warum war Aristoteles das wichtig? Weil er in dieser Übertragung [in dieser Bindung an Sokrates] ein Hindernis für die Entwicklung des Wissens sah. [Das ist vielleicht eine Anspielung auf den Begriff des epistemologischen Hindernisses von Gaston Bachelard.]
Jenseits der Begriffslogik
Allerdings hat Aristoteles sich geirrt. Die moderne Wissenschaft hat sich nicht ausgehend von Aristoteles entwickelt, nicht ausgehend von der Rückkehr zum Wissen als Begriff. [Die Aristotelische Logik ist eine Begriffslogik, das heißt, für sie sind die grundlegenden Elemente Begriffe, und sie untersucht die Beziehungen zwischen Begriffen. In „Alle Menschen sind sterblich“ fungiert „Alle Menschen“ als Begriff, man kann dafür einsetzen „Menschen sind sterblich“. Und auch das Prädikat wird als Begriff aufgefasst, „Alle Menschen sind sterblich“ wird umformuliert in „Menschen sind Sterbliche“. Für die moderne Logik hingegen sind nicht Begriffe die Grundelemente, sondern vor allem Aussagen (Boole, Frege) oder Prädikate (Frege, Peirce). Aussagen im Sinne der Logik (Urteile, Propositionen) sind Sätze wie z.B. „Menschen sind sterblich“, die Aussagenlogik untersucht die Beziehungen zwischen Aussagen. Prädikate sind Aussagen mit Leerstellen und Quantoren, z.B. „Alle … sind sterblich“ (der Quantor ist hierbei „alle“); die Prädikatenlogik wird auch als Quantorenlogik bezeichnet. In den sogenannten Formeln der Sexuierung (Seminare 18 bis 20) wird Lacan an die Prädikatenlogik anknüpfen.]
Für die Entstehung der modernen Wissenschaft musste die Entnaturalisierung des Begehrens noch weiter gehen als bei Platon. Die moderne Wissenschaft ist aus einem Hyperplatonismus heraus entstanden. Dazu war der „zweite Tod der Götter“ nötig, ihre schemenhafte Wiederkehr in der Renaissance. Dieser zweite Tod der Götter besteht in der Vertreibung der „Finsternis des Sinns“ [möglicherweise ist gemeint: in der Geometrisierung der Astronomie in der Renaissance].
[Inwiefern geht es um einen Hyperplatonismus? Kennzeichnend für die moderne Wissenschaft ist, wie Lacan immer wieder sagt, die Verwendung von Formeln nach dem Vorbild der Algebra und in diesem Sinne die Vertreibung des Sinns bzw. des Begriffs. Möglicherweise will Lacan andeuten, dass für die Orientierung am mathematischen Formalismus die platonische Trennung von sinnlich wahrnehmbarer Welt und geistig zugänglichen Ideen eine entscheidende Voraussetzung war und dass diese Trennung durch die Rezeption des Neuplatonismus in der Renaissance (Ficino) möglich wurde. Den Zusammenhang von Rezeption des Neuplatonismus und Entstehung der modernen Wissenschaft hat Alexandre Koyré untersucht, auf den Lacan sich hier vermutlich stützt.]
[In der Renaissance gibt es eine Wiederkehr der antiken Götter; insofern kann man die Wendung zu den mathematischen Formeln als zweiten Tod der Götter bezeichnen. Den Begriff des „zweiten Todes“ hatte Lacan in Seminar 7 von 1959/60 eingeführt, Die Ethik der Psychoanalyse, vgl. diesen Blogbeitrag.]
Ausgesagtes und Äußerungsvorgang
Lacan kommt auf den Satz „Ich denke“ zurück. Dieser Satz hat eine willentliche Dimension, das ist das Mindeste, was man aus den vorangehenden Darlegungen ableiten kann. [Der Satz „ich denke“ beruht auf einem Willen, so wie der Satz „Alle Kreter lügen“ auf dem Wunsch beruht, mich zu verwirren, und der Satz „Sokrates ist sterblich“ auf einem Todeswunsch gegenüber Sokrates.]
Die Paradoxie des Satzes „Ich lüge [gerade]“ ergibt sich daraus, dass das Ausgesagte (énoncé) und der Äußerungsvorgang (énonciation) vermengt werden. [In „Ich lüge (gerade)“ ist das Lügen des Ichs etwas, worüber gesprochen wird, was thematisiert wird (ähnlich wie in „er lügt“); dies liegt auf der Ebenes des Ausgesagten. Die Formulierung „Ich lüge (gerade)“ bezieht sich zugleich auf das aktuell vollzogene Sprechen (damit das eindeutig ist, muss man „gerade“ hinzufügen), insofern liegt „ich lüge (gerade)“ auf der Ebene des Äußerungsvorgangs.]
Im Graphen des Begehrens hatte Lacan diese beiden Ebenen unterschieden und ihnen zwei Linien zugeordnet. [Die untere von links nach rechts verlaufende Querlinie (in der endgültigen Version des Graphen führt sie von „Signifikant“ bis „Stimme“) entspricht dem Ausgesagten (énoncé), die obere von links nach rechts verlaufende Linie (von „Genießen“ bis „Kastration“) dem Äußerungsvorgang (énonciation).41]
Die Unterscheidung der beiden Stimmen für das Ausgesagte (enoncé) und für den Äußerungsvorgang (enonciation) ist völlig zulässig. [Ein und dieselbe Lautfolge, z.B. „ich lüge“, hat zwei „Stimmen“, in ihr wird über etwas gesprochen, und zugleich ist sie ein Sprechvorgang.]
Wenn ich sage „Er sagt, dass ich lüge“, ist das einfach. [Das, worüber gesprochen wird, das Ausgesagte, bezieht sich nicht auf den laufenden Sprechvorgang, sowohl das „sagen“ von „er“ als auch das „lügen“ von „ich“ sind hier einfach nur etwas, worüber gesprochen wird.] Das ist so einfach, wie wenn ich sage, „Er lügt“. Und ich kann sogar sagen „Ich sage, dass ich lüge“ [der Bestandteil „ich sage“ bezieht sich zwar auf den Sprechvorgang, aber das „ich lüge“ wird hier nur zitiert, und damit wird die Vermengung verhindert].
Wahrheit
[Die Logik betrachtet Aussagen (im Sinne der Logik) unter dem Gesichtspunkt von Wahrheit und Falschheit. Also fragt sich, wie der Begriff der Wahrheit sich für die Psychoanalyse darstellt.]
Etwas anderes ist es, wenn ich sage „Ich weiß, dass ich lüge“.
Einem Analytiker fällt diese Formulierung deshalb auf, weil er seinem Patienten gewissermaßen das Gegenteil sagt: „Du weißt nicht, dass du die Wahrheit sagst.“ [Du weißt nicht, dass du die Wahrheit in deinen Träumen sagst und in deinen Symptomen, z.B. in einem Versprecher oder einer Mehrdeutigkeit.]
[Lacan entfaltet die Dialektik von Wahrheit und Lügen in der Psychoanalyse:] Der Patient sagt genau in dem Maße die Wahrheit, wie er zu lügen glaubt. Wenn er nicht lügen will, dann nur deshalb, um sich vor der Wahrheit zu schützen [Freuds Begriff der Rationalisiserung]. Nur auf diese Weise ist die Wahrheit zugänglich. Die Wahrheit ist immer etwas Verirrtes. [Die Wahrheit kann, in psychoanalytischer Perspektive, nicht intentional angegangen werden, sie ist für die Psychoanalyse immer etwas, was sich überraschend zeigt, die Aufdeckung von etwas Verdrängtem.] Die Wahrheit ist wie eine Tochter, insofern jede Tochter eine Verirrte ist. [¿ Mir ist nicht klar, worauf Lacan hier anspielt.]
Misstrauen gegenüber Klassen (13. Dezember 1961)
Übersetzung
Am 13. Dezember 1961 verweist Lacan auf die Heterogenität von Freuds Unterscheidung zwischen drei Formen der Identifizierung in Massenpsychologie und Ich-Analyse und fährt dann fort:
„Dieser partielle Charakter des Zugangs, dieses Eintreten in das Problem um die Ecke herum, wenn ich so sagen darf – ich habe, wenn ich Sie darauf hinweise, das Gefühl, dass es angebracht ist, dass ich das heute rechtfertige; und ich hoffe, es rasch genug tun zu können, um mich ohne allzu große Umwege verständlich zu machen, indem ich Sie an etwas erinnere, das für uns ein Grundsatz der Methode ist, nämlich dass wir uns – angesichts unseres Platzes, unserer Funktion – bei unserer Urbarmachung, sagen wir, vor dem Allgemeinen (général) hüten müssen, und treiben Sie das so weit Sie wollen: vor der Gattung (genre) und sogar vor der Klasse.
Es mag Ihnen eigenartig vorkommen, dass jemand, der Ihnen gegenüber, bei der Artikulation der |{6} Phänomene, mit denen wir es zu tun haben, die Prägnanz der Funktion der Sprache betont, dass er sich hier von einem Beziehungsmodus abgrenzt, der im Bereich der Logik wahrhaft grundlegend ist. Wie soll man sich auf eine Logik beziehen, wie von einer Logik sprechen, die in ihrem ersten anfänglichen Schritt das Misstrauen gegenüber dem Begriff der Klasse hervorheben muss, ein Misstrauen, das ich als ganz ursprünglich ansetzen möchte? Das ist ja eben das, worin das Feld, das wir hier zu artikulieren versuchen, seine Originalität und seine Besonderheit gewinnt.
Was mich dazu veranlasst, ist keineswegs eine prinzipielle Voreingenommenheit. Vielmehr ist es die Notwendigkeit unseres eigenen Gegenstandes, die uns zu dem drängt, was sich im Laufe der Jahre, Stück für Stück, tatsächlich entwickelt: eine logische Artikulation, die mehr als nur andeutet, die sich – vor allem, wie ich hoffe, in diesem Jahr – immer mehr dem nähert, Algorithmen auszuarbeiten, die es mir erlauben, dieses Kapitel als Logik zu bezeichnen, ein Kapitel, das wir den von der Sprache ausgeübten Funktionen werden hinzufügen müssen, in einem bestimmten Feld des Realen, demjenigen, in dem wir, sprechende Wesen, die Führer sind.
Hüten wir uns also aufs Äußerste, um einen Platon’schen Terminus zu verwenden42, vor jeder koinonia tōn genōn, vor all dem, was bei irgendeinem Genre die Figur der Gemeinschaft ist und insbesondere bei denen, die für uns die ursprünglichsten sind. Die drei Identifizierungen bilden wahrscheinlich keine Klasse.43 Wenn sie dennoch denselben Namen tragen können, der hier den Schatten eines Begriffs hineinbringt, müssen wir sicherlich auch dem gerecht werden. Wenn wir mit Genauigkeit vorgehen, ist das wohl keine Aufgabe, die unsere Kräfte übersteigt.
Tatsächlich wissen wir bereits, dass das, was für uns eine universelle Funktion ist, immer auf der Ebene des Besonderen auftaucht, und darüber sollten wir uns – auf der Ebene des Feldes, in dem wir uns bewegen – nicht zu sehr wundern, denn was die Funktion der Identifizierung angeht, so kennen wir bereits – dafür haben wir genügend zusammengearbeitet – die Bedeutung der Formel, dass das, was geschieht, im Wesentlichen auf der Ebene der Struktur geschieht. Und die Struktur – muss man daran erinnern? doch, ich glaube, dass ich heute, bevor ich einen Schritt weiter gehe, daran erinnern muss –, die Struktur ist das, was wir namentlich als Spezifizierung eingeführt haben – Register des Symbolischen.“44
Anschließend betont Lacan, dass die Unterscheidung zwischen dem Symbolischen, dem Imaginären und dem Realen keine ontologische Unterscheidung sei, keine Unterscheidung von Seinsarten. Vielmehr handele es sich, was das Symbolische angeht, um ein Feld der psychoanalytischen Erfahrung, das bislang nicht hinreichend unterschieden worden sei, wobei dieses Erfahrungsfeld durch die psychoanalytische Technik konstituiert werde.
Paraphrase mit Ergänzungen
Misstrauen gegenüber Klassen
Psychoanalytiker müssen misstrauisch sein gegenüber dem Allgemeinen (général). Das heißt auch, dass sie gegenüber der Gattung (genre) und der Klasse misstrauisch sein müssen, gegenüber allem, was bei einer Gattung die Figur der Gemeinschaft ist, dass sie misstrauisch gegenüber dem sein müssen, was Platon im Sophistes als koinonia tōn genōn bezeichnet, als Gemeinschaft der Klassen. [Weder die Begriffslogik noch die Klassenlogik sind demnach ein unproblematischer Ausgangspunkt für die Entwicklung einer Logik des unbewussten Denkens.] Psychoanalytiker müssen also gegenüber einer Beziehungsart misstrauisch sein, die für die Logik grundlegend ist. Dieses Misstrauen ist ganz ursprünglich, hierdurch bekommt das Feld der Psychoanalyse seine Originalität. Das Misstrauen gegenüber dem Begriff der Klasse hat keineswegs prinzipiellen Charakter, es beruht vielmehr auf der Notwendigkeit des Gegenstandes der Psychoanalyse.
Der Gegenstand der Psychoanalyse drängt Lacan dazu, sagt er, Schritt für Schritt eine logische Artikulation zu entwickeln, die auf „Algorithmen“ abzielt [auf Formeln], die es gestatten, ein bestimmtes Kapitel als „Logik“ zu bezeichnen.
Die drei Formen der Identifizierung [von denen Freud in Massenpsychologie und Ich-Analyse spricht], bilden wahrscheinlich keine Klasse. [Die drei Identifizierungsarten sind dort: primäre Identifizierung mit dem idealisierten Vater, Identifizierung mit dem unzugänglichen Liebesobjekt, hysterische Identifizierung mit dem Begehren von anderen.]
Die Identifizierung ist für den Analytiker eine „universale Funktion“ [wohl im Sinne von: er stößt beständig darauf]. Aber wir [als Analytiker] wissen, dass diese „universale Funktion“ immer auf dem Niveau des Besonderen auftaucht.
Man muss [bei der Rekonstruktion der verschiedenen Identifizierungsarten] von der Struktur ausgehen, und die Struktur ist eine Spezifizierung im Register des Symbolischen.
Fundierung der universalen bejahenden Aussage durch das Nichts (17. Januar 1962)
Übersetzung
Drei Sitzungen später, am 17. Januar 1962, spricht Lacan über die verschiedenen Formen der Negation im Französischen, insbesondere über das sogenannte „expletive ne“ (wie in je crains qu’il ne vienne, „ich fürchte, dass er kommt“, „ich fürchte, dass er vielleicht kommt“). Er knüpft an Pichon an, der dieses ne als „diskordantielles ne“ bezeichnet – als ne, das eine Nicht-Übereinstimmung anzeigt –, und er führt diesen Gedanken fort: Das sogenannte expletive ne ist für Lacan der Signifikant des Subjekts des Äußerungsvorgangs (énonciation) im Unterschied zum Ausgesagten (énoncé).45 Danach heißt es:
„Pas un homme qui ne mente (kein Mensch, der nicht lügt / der nicht lügen würde) zeigt seinen Unterschied im Verhältnis zu diesem Zusammenspiel von Arten des Fehlens: etwas, das auf einer ganz anderen Ebene liegt und das hinreichend durch die Verwendung des Subjunktivs [mente] angezeigt wird. Dieses ‚Kein Mensch, der nicht lügt‘ liegt auf derselben Ebene wie das, was die ganz und gar diskordantiellen Formen motiviert und definiert – um den Terminus von Pichon zu verwenden –, wie wir dem ne zuschreiben könnten: vom je crains qu’il ne vienne (ich fürchte, dass er vielleicht kommt) bis zum avant qu’il ne vienne (bevor er kommt), bis zum plus petit que je ne le croyais (kleiner als ich geglaubt habe / als ich glauben mochte) oder auch il y a longtemps que je ne l’ai vu (es ist lange her, dass ich ihn gesehen habe), die, das sage ich Ihnen am Rande, alle möglichen Fragen aufwerfen, die ich im Augenblick übergehen muss. Am Rande weise ich Sie darauf hin, was von einer Formulierung wie il y a longtemps que je ne l’ai vu gestützt wird – Sie können das nicht über einen Toten sagen und nicht über einen Vermissten, il y a longtemps que je ne l’ai vu unterstellt, dass eine weitere Begegnung immer möglich ist. Sie sehen, mit welcher Vorsicht die Prüfung, die Untersuchung dieser Ausdrücke vorgenommen werden muss.
Und deshalb, in dem Moment, in dem wir versuchen, nicht die Dichotomie vorzubringen, sondern eine allgemeine Tabelle der unterschiedlichen Charaktere der Negation, für deren Felder uns unsere Erfahrung Einträge liefert, die weitaus reicher sind als alles, was, auf der Ebene der Philosophen von Aristoteles bis Kant gemacht worden ist –; und Sie wissen, wie diese Feldeinträge heißen: Privation, Frustration, Kastration.46
Wir werden versuchen, sie wieder aufzunehmen, um sie mit der Signifikantenstütze der Negation zu konfrontieren, so wie wir versuchen können, sie zu identifizieren.
‚Kein Mensch, der nicht lügt.‘ Was gibt diese Formulierung uns zu verstehen?
‚Homo mendax‘ [lateinisch, ‚Der Mensch (ist) ein Lügner‘], dieses Urteil, diese Aussage, die ich Ihnen in Form des Typus der universalen Bejahung präsentiere, worüber Sie vielleicht wissen, dass ich in meiner ersten Seminarsitzung in diesem Jahr bereits darauf angespielt habe, bezogen auf die klassische Verwendung des Syllogismus ‚Jeder Mensch ist sterblich‘, ‚Sokrates ist ein Mensch‘ usw., mit dem, was ich am Rande zu seiner Übertragungsfunktion angemerkt habe.
Ich glaube, dass es uns weiterbringt, beim Zugang zu dieser Funktion der Negation, auf der Ebene ihres ursprünglichen radikalen Gebrauchs, wenn wir das formale System der Aussagen betrachten, wie es von Aristoteles klassifiziert worden ist, mit den Kategorien, die als universale Bejahungen [A] und als universale Verneinungen [E] bezeichnet werden, und den partikulären Aussagen, die ebenfalls als bejahend [I] und als verneinend [O] bezeichnet werden.47
Sagen wir es gleich: Das Thema der sogenannten Entgegensetzung von Aussagen, dass seinen Ursprung bei Aristoteles hat, in seiner gesamten Analyse, in seiner gesamten Mechanik des Syllogismus, ist, auch wenn es anders aussieht, nicht ohne zahlreiche Schwierigkeiten.
Wenn man sagen würde, dass die Entwicklungen der modernsten Logik diese Schwierigkeiten erhellt haben, würde man ganz sicher etwas sagen, dem die gesamte Geschichte widerspricht. Ganz im Gegenteil, das einzige, was in dieser Geschichte erstaunlich hervortritt, ist der Eindruck der Einheitlichkeit in der Zustimmung, der diese sogenannten aristotelischen Formeln bis hin zu Kant begegnet sind, denn Kant hegte die Illusion, dieses Gebäude sei unangreifbar. Gewiss, es ist schon etwas, dass man beispielsweise darauf hinweisen kann, dass darin die Akzentuierung der bejahenden und der verneinenden Funktion nicht von Aristoteles selbst artikuliert worden ist und dass man deren Ursprung erst viel später ansetzen sollte, wahrscheinlich mit Averroes. Dies, um Ihnen zu sagen, dass die Dinge, wenn es darum geht, sie einzuschätzen, nicht so einfach sind.
Diejenigen, denen die Funktion dieser Aussagen in Erinnerung gebracht werden muss, möchte ich kurz daran erinnern.
– A48 –
Homo mendax, weil es das ist, was ich gewählt habe, um diese Erinnerung einzuführen, nehmen wir also dies, homo [Mensch] und sogar omnis homo [jeder Mensch], omnis homo mendax: Jeder Mensch ist ein Lügner.49
Bei Aristoteles die Konnotation von pas [griechisch „alle“], um die Funktion des Universalen zu bezeichnen.
– E50 –
Was ist die verneinende Formel? Einer Form entsprechend, die trägt, und zwar in vielen Sprachen, kann omnis homo non mendax [Alle Menschen sind keine Lügner] genügen. Ich meine, dass omnis homo non mendax bedeutet, dass für jeden Menschen wahr ist, dass er kein Lügner ist. Doch um der Klarheit willen verwenden wir den Ausdruck nullus [kein]: nullus homo mendax [kein Mensch ist ein Lügner].
Das ist das, was üblicherweise mit dem Buchstaben A bzw. E konnotiert wird, für die bejahende Universalaussage und für die verneinende Universalaussage.51
Was geschieht auf der Ebene der partikulären Bejahungen?52
Da wir uns für die verneinende Aussage interessieren, werden wir die partikuläre Aussage hier in verneinender Form einführen.
– O53 –
Non omnis homo mendax: Nicht jeder Mensch ist ein Lügner. Anders gesagt, ich wähle aus und ich stelle fest, dass es Menschen gibt, die keine Lügner sind.54
– I –
Kurz, das bedeutet nicht, das irgendjemand, aliquis, kein Lügner sein kann: aliquis homo mendax [jemand ist Lügner], das ist die bejahende Partikuläre, die in der klassischen Notation gemeinhin mit dem Buchstaben I bezeichnet wird.
[– O –]
Hier wird die verneinende partikuläre Aussage so sein – wobei das non omnis durch <non> nullus ersetzt wird –: non nullus homo non mendax: es gibt nicht keinen Menschen, der kein Lügner ist. Anders ausgedrückt, ganz wie wir gewählt hatten, zu sagen, dass nicht jeder Mensch kein Lügner ist [O], drückt dies es auf andere Weise aus, nämlich dass es nicht keinen gibt, für den gälte, kein Lügner zu sein.55
Die so organisierten Termini unterscheiden sich in der klassischen Theorie durch die folgenden Formeln, durch die sie reziprok in sogenannte konträre und subkonträre Positionen gebracht werden.56
Das heißt, dass die universalen Propositionen A und E auf ihrer eigenen Ebene insofern im Gegensatz zueinander stehen, als sie nicht zugleich wahr sein können: Es kann nicht zugleich wahr sein, dass jeder Mensch ein Lügner sein kann [A] und dass kein Mensch ein Lügner sein kann [E], während alle anderen Kombinationen möglich sind.57
Es kann nicht zugleich falsch sein, dass es Menschen gibt, die Lügner sind [I] und Menschen, die keine Lügner sind [O].58
Der kontradiktorische Gegensatz ist derjenige, für den die Aussagen, die in jedem dieser Quadranten verortet sind, sich insofern diagonal gegenüberstehen [A↔O und E↔I], als jede, wenn sie wahr ist, die Wahrheit derjenigen ausschließt, die ihr als kontradiktorisch gegenübersteht, und wenn sie falsch ist, die Falschheit derjenigen ausschließt, die ihr als kontradiktorisch gegenübersteht. Wenn es lügnerische Menschen gibt [I], ist das nicht damit vereinbar, dass kein Mensch ein Lügner ist [E]. Umgekehrt ist die Beziehung dieselbe bei der verneinenden partikulären Aussage [O] im Verhältnis zur bejahenden [universalen] Aussage [A].
Was werde ich Ihnen anbieten, um Sie spüren zu lassen, was sich auf der Ebene des aristotelischen Textes immer als das darstellt, was sich im Verlauf der Geschichte, bezogen auf die Definition der Universalaussage, an Unsicherheit entwickelt hat?
Beachten Sie zunächst, wenn ich hier für Sie das non omnis homo mendax [O] eingebracht habe, dass das ‚nicht alle‘ – wobei der Ausdruck ‚nicht‘ sich auf den Begriff ‚alle‘ bezieht –, dass das „nicht alle‘ das ist, was das Partikuläre definiert.
Das ist keineswegs legitim, denn gerade Aristoteles widersetzt sich dem, und das in einer Weise, die im Gegensatz zur gesamten Entwicklung steht, die die Spekulation über die formale Logik danach nehmen konnte, das heißt zu einer Entwicklung, einer Erläuterung durch Extension59, die einen Apparat eingreifen ließ, der durch einen Kreis symbolisiert werden kann, durch eine Zone, in der die Gegenstände versammelt sind, die seine Träger bilden. Aristoteles – und zwar genau vor der Ersten Analytik, zumindest in dem Werk, dass ihr in der Gruppierung seiner Werke vorausgeht, das ihr aber offenkundig auch logisch, wenn nicht chronologisch, vorausgeht, und welches Lehre vom Satz heißt60 –, Aristoteles weist darauf hin, nicht ohne das Erstaunen der Historiker hervorgerufen zu haben, dass die Negation sich nicht auf die Qualifizierung der Universalität beziehen soll. Worum es geht, ist also vielmehr ein ‚irgendein Mensch‘, aliquis, ein ‚irgendein Mensch‘, das wir als solches befragen müssen.
Was hier in Frage steht, ist also die Qualifizierung als omnis, von omnitude61, der Umfang der Kategorie des Universalen.
Liegt das auf derselben Ebene, auf der Ebene der Existenz dessen, wovon die Bejahung oder die Verneinung getragen oder nicht getragen werden kann? Gibt es zwischen diesen beiden Ebenen eine Homogenität?
Anders gesagt, geht es beim Unterschied zwischen dem Universalen und dem Partikulären darum, dass einfach angenommen wird, dass die Sammlung abgeschlossen ist?
Um dem, was ich Ihnen soeben zu erklären versuche, eine ganz neue Tragweite zu geben, werde ich Ihnen etwas vorstellen, etwas, was in gewisser Weise dazu gemacht ist, darauf zu antworten. Worauf zu antworten? Auf die Frage, durch die die Definition des Subjekts [der logischen Aussage] mit der Ordnung der Bejahung und Verneinung verbunden ist, in die das Subjekt bei der Aufteilung in diese Aussagearten eintritt.
Im Unterricht der klassischen formalen Logik wird gesagt – und für den Fall, dass man recherchiert, auf wen das zurückgeht, möchte ich Ihnen sagen, dass das nicht ohne einen gewisse Pointe ist –, wird also gesagt, dass das Subjekt [durch das Prädikat] unter dem Gesichtspunkt der Qualität genommen wird und dass das Attribut, dass Sie hier im Ausdruck mendax verkörpert sehen, [durch das Subjekt] unter dem Gesichtspunkt der Quantität aufgefasst wird, anders gesagt, bezogen auf ein Prädikat sind sie alle, sind sie mehrere oder aber es gibt einen.62 Das wird noch von Kant beibehalten, auf der Ebene der Kritik der reinen Vernunft, in der Dreiteilung.63 Nicht ohne dass dies massive Einwände von Seiten der Linguisten hervorgerufen hätte.64
Wenn man die Dinge historisch betrachtet, wird man gewahr, dass die Unterscheidung Qualität – Quantität einen Ursprung hat. Sie erscheint zum ersten Mal in einer kleinen Abhandlung, paradoxerweise über die Lehren Platons, und dies – das steht im Gegensatz zur aristotelischen Aussage der formalen Logik, die in abgekürzter Form wiedergegeben wird, jedoch nicht ohne didaktische Periode65, und der Autor ist kein Geringerer als Apuleius, Autor einer Abhandlung über Platon –, und dies hat hier eine einzigartige historische Funktion, nämlich die, eine Kategorienbildung eingeführt zu haben, die von Quantität und Qualität, über die man zumindest Folgendes sagen kann, nämlich dass sie von daher, dass sie eingeführt wurde und so lange in der Analyse der logischen Formen geblieben ist, dass man sie hier eingeführt hat –.66
Dies hier schließlich ist das Modell, auf das ich Sie bitte, für heute ihr Nachdenken zu konzentrieren.67
Hier ist ein Kreisviertel [1], in das wir senkrechte Striche setzen wollen.
Die Funktion ‚Strich‘ (trait) wird die Funktion des Subjekts übernehmen und die Funktion ‚senkrecht‘, die im Übrigen einfach als Stütze gewählt ist, die des Attributs.68
Ich hätte gut sagen können, dass ich als Attribut den Ausdruck ‚unär‘ genommen habe69, aber für den repräsentativen und vorstellbaren Aspekt dessen, was ich Ihnen zu zeigen habe, setze ich sie senkrecht.
Hier [2] haben wir ein Segment der Kreisfläche, in dem es sowohl senkrechte als auch schräge Striche gibt, hier [3] gibt es nur schräge Striche, und hier [4] gibt es keinen Strich.
Das soll veranschaulichen, dass die Unterscheidung universal/partikulär, insofern sie ein Paar bildet, das sich vom Gegensatz bejahend/verneinend unterscheidet, als ein Register aufzufassen ist, das völlig anders ist als dasjenige, das Kommentatoren, ausgehend von Apuleius, geglaubt haben, mit mehr oder weniger Geschick entwickeln zu müssen, mit diesen so mehrdeutigen, gleitenden und verworrenen Formeln, die als Qualität und Quantität bezeichnet werden, die geglaubt haben, sie mit diesen Ausdrücken einander entgegensetzen zu müssen.
Wir werden den Gegensatz universal/partikulär als Gegensatz von der Ordnung der Lexis bezeichnen70, das für uns – legō, ‚ich lese‘, und auch ‚ich wähle aus‘ – eben verbunden ist mit der Funktion der Extraktion, der Signifikantenauswahl, die das ist – das Gebiet, der Steg –, worüber wir uns im Augenblick vorwärtsbewegen.71
Dies, um sie von der Phasis zu unterscheiden, das heißt von etwas, was sich hier als ein Sprechen mit entweder Ja oder Nein darstellt, womit ich mich hinsichtlich der Existenz dessen engagiere, was die erste Lexis ins Spiel bringt.72
Denn wie Sie sehen werden, worüber werde ich sagen können, ‚Jeder Strich ist senkrecht‘?
Natürlich über das erste Segment [1], aber, aufgepasst, auch über das leere Segment [4]. Wenn ich sage ‚jeder Strich ist vertikal‘ bedeutet das: Wenn es nichts Senkrechtes gibt, gibt es auch keinen Strich. Jedenfalls wird dies durch das leere Segment der Scheibe illustriert. Der Bejahung ‚Jeder Strich ist senkrecht‘ widerspricht das leere Segment nicht nur nicht, steht zu ihr nicht nur nicht im Gegensatz, sondern es veranschaulicht sie: In diesem Segment der Scheibe gibt es keinen Strich, der nicht senkrecht ist. Die universale Bejahung [A] wird hier also durch die ersten beiden Segmente [1 und 4] veranschaulicht.
Die universale Verneinung [E] wird von den beiden rechten Segmenten illustriert [3 und 4], und das, worum es dabei geht, wird durch die folgende Formulierung artikuliert: ‚Kein Strich ist senkrecht.‘ Hier, in diesen beiden Segmenten [3 und 4], gibt es keinen vertikalen Strich.
Zu beachten ist das gemeinsame Segment [4], das von diesen beiden Aussagen [A und E] abgedeckt wird, die nach der klassischen Formel, der klassischen Lehre, scheinbar nicht zugleich wahr sein können.73
Was werden wir finden, wenn wir unserer Drehbewegung folgen, die als Formel so gut begonnen hat, was werden wir hier [I] wie auch hier [O] finden, um die beiden anderen möglichen Zweiergruppierungen der Quadranten zu bezeichnen?
Hier [I] werden wir das Wahre dieser beiden Kreisviertel in bejahender Form sehen: ‚Es gibt …‘. Ich sage es auf phasische Weise, ich konstatiere die Existenz vertikaler Striche: ‚Es gibt senkrechte Striche‘, ‚es gibt einige senkrechte Striche‘, die ich entweder hier [1] finden kann, und zwar immer, oder hier [2], in den passenden Fällen.74
Hier [O] sehen wir, wenn wir versuchen, die Unterscheidung des Universalen und des Partikulären zu definieren, welches die beiden Segmente sind, die hierbei der partikulären Äußerung entsprechen, dem ‚es gibt nicht-senkrechte Striche‘, nonnulli non verticales [einige Nicht-Senkrechte] [2 und 3].
Genauso wie uns eben die Mehrdeutigkeit dieser Wiederholung der Negation einen Moment lang festgehalten hat, entspricht das ‚non – non‘, die vorgebliche Annullierung der ersten Negation durch die zweite, keineswegs zwangsläufig einem Ja, und das ist etwas, worauf wir im weiteren Verlauf noch zurückkommen müssen.
Was bedeutet das? Warum ist es für uns interessant, uns einer solchen Apparatur zu bedienen? Warum versuche ich für Sie, die Ebene der Lexis von der Ebene der Phasis zu trennen?75 Ich werde sofort darauf zu sprechen kommen und nicht um die Sache herumreden, und ich werde es veranschaulichen.
Was können wir sagen, wir Analytiker? Was lehrt uns Freud?
Weil die Bedeutung dessen, was man ‚universale Aussage‘ nennt, völlig verloren gegangen ist, und zwar genau seit einer Formulierung, die man als Kapitelüberschrift verwenden kann, für die Euler’sche Formulierung, der es gelingt, uns sämtliche Funktionen des Syllogismus durch eine Reihe von kleinen Kreisen darzustellen, die sich ausschließen, überlappen oder überdecken, anders ausgedrückt und im eigentlichen Sinne: dem Begriffsumfang nach, dem man den Begriffsinhalt (compréhension) entgegensetzt, der einfach durch irgendeine unvermeidliche Art des Verstehens (comprendre) gekennzeichnet wäre. Was zu verstehen? Dass das Pferd weiß ist? Was gibt es da zu verstehen?
Was wir einbringen und wodurch die Frage erneuert wird, ist Folgendes. Ich sage, dass Freud die folgende Formel verkündet, vorbringt: ‚Der Vater ist Gott‘ oder ‚Jeder Vater ist Gott‘.76
Daraus ergibt sich, wenn wir an dieser Aussage auf der universalen Ebene festhalten, auf derjenigen, dass es keinen anderen Vater gibt als Gott, und dieser andererseits hinsichtlich der Existenz in der Freud’schen Reflexion vielmehr aufgehoben* ist, vielmehr in der Schwebe gehalten wird, ja radikal in Zweifel gezogen wird.
Es geht darum, dass die Funktionsordnung, die wir mit dem Namen-des-Vaters einführen, etwas ist, was einen universalen Wert hat, was aber zugleich Ihnen – dem anderen – die Aufgabe überlässt, festzustellen, ob es einen Vater dieser Art gibt oder nicht.
Wenn es keinen gibt, ist immer noch wahr, dass der Vater Gott ist. Ganz einfach – durch den leeren Abschnitt der Kreisfläche [4] wird die Formel nur bestätigt.
Dadurch haben wir <in der partikulären Aussage> auf der Ebene der Phasis: Es gibt Väter, die diejenige symbolische Funktion mehr oder weniger erfüllen, die wir gerade als solche geäußert haben, nämlich als diejenige des Namens-des-Vaters, ‚Es gib welche, die …‘[I], und: ‚Es gibt welche, die nicht …‘ [O].
Dass es aber welche gibt, ‚die nicht …‘, die in allen Fällen ‚nicht … sind‘, was hier durch diesen Abschnitt [3] gestützt wird, das ist genau dasselbe wie das, was uns die Stütze und die Grundlage für die universale Funktion des Namens-des-Vaters gibt. Denn mit demjenigen Abschnitt zusammen genommen, in dem es nichts gibt [4], sind es genau diese beiden Abschnitte [1 und 4], auf der Ebene der Lexis erfasst, die aufgrund dessen, aufgrund dieses gestützten Abschnitts, der den anderen vervollständigt, die dem, was wir als universale Bejahung äußern können, seine volle Tragweite geben.
Ich möchte das anders veranschaulichen, weil ja bis zu einem bestimmten Punkt die Frage nach ihrem Wert gestellt werden konnte – ich meine, in Bezug auf einen traditionellen Unterricht –, der das sein muss, was ich das letzte Mal zum kleinen i eingebracht habe.77
Hier diskutieren die Professoren: ‚Was sollen wir sagen?‘ Was soll der Professor unterrichten? Das, was andere vor ihm unterrichtet haben. Das heißt, dass er sich worauf gründet? Auf das, was bereits eine bestimmte Lexis erfahren hat.78 Das, was sich aus jeder Lexis ergibt, ist genau das, worauf es uns hier ankommt, und auf dessen Ebene ich Sie heute zu halten versuche: der Buchstabe (lettre).
Der Professor ist lettré, gebildet, literat; seinem universalen Charakter nach ist er derjenige, der sich auf den Buchstaben stützt, auf die Letter, auf der Ebene einer bestimmten Aussage.79
Wir können jetzt sagen, dass er es halb und halb sein kann: es kann nicht ganz literat sein, woraus sich ergibt, dass man immerhin nicht sagen kann, dass irgendein Professor illiterat wäre, in seinem Fall wird es immer ein wenig Literalität geben.
Falls es aber zufällig einen Gesichtspunkt gäbe, unter dem wir sagen könnten, dass es möglicherweise, unter einem bestimmten Gesichtspunkt, solche gibt, die dadurch charakterisiert sind, hinsichtlich des Buchstabens einem bestimmten Nichtwissen stattzugeben, dann gilt trotzdem, dass dies uns keineswegs daran hindern würde, den Kreis zu schließen und zu sehen, dass die Wiederkehr und die Grundlage, wenn man so sagen kann, der universalen Definition des Professors ganz streng darin besteht, dass die Identität der Formel, dass der Professor derjenige ist, der sich mit dem Buchstaben identifiziert, den Kommentar aufnötigt und sogar erforderlich macht, dass es analphabetische Professoren geben kann.
Der negative Fall, als wesentliche Entsprechung zur Definition der Universalität, ist etwas, was auf der Ebene der ursprünglichen Lexis grundlegend verborgen ist. Das bedeutet etwas in Bezug auf die Mehrdeutigkeit der partikulären Stütze, die wir im Engagement unseres Sprechens dem Namen-des-Vaters geben können.
Dennoch gilt, dass wir nicht bewirken können, dass irgendjemand, der sich – von der Atmosphäre des Menschlichen angesaugt, wenn ich mich so ausdrücken darf –, der sich als jemand auffassen könnte, wenn man so sagen darf, der vom Namen-des-Vaters völlig abgelöst ist, dennoch gilt, dass selbst hier, wo es nur Väter gibt, für die die Funktion des Vaters, wenn ich mich so ausdrücken darf, reiner Verlust ist – der Nicht-Vater Vater, die ‚verlorene Sache‘ (cause perdue80), mit der ich letztes Jahr mein Seminar beendet habe81 –, dennoch gilt, dass selbst hier, abhängig von diesem Verlust, diese partikuläre Kategorie im Verhältnis zu einer ersten Lexis beurteilt wird, nämlich derjenigen des Namens-des-Vaters.
Der Mensch kann nicht bewirken, dass seine Bejahung oder seine Verneinung – mit allem, was sie mit sich führt: ‚der da ist mein Vater‘ oder ‚der da ist sein Vater‘ – nicht völlig von einer ursprünglichen Lexis abhängig ist, bei der es natürlich nicht um den üblichen Sinn geht, nicht um das Signifikat des Vaters, sondern um etwas, bei dem wir hier vor der Herausforderung stehen, ihm seine wahrhafte Stütze zu geben, einer Lexis, die es rechtfertigt, selbst in den Augen von Professoren – die, wie Sie sehen werden, in großer Gefahr wären, wenn sie, was ihre reale Funktion angeht, immer in einer gewissen Schwebe gehalten würden –, die es selbst in den Augen von Professoren rechtfertigen muss, dass ich mich bemühe – sogar auf ihrer Ebene als Professor – ihrer Existenz als Subjekt eine algorithmische Stütze zu geben.“82
Ende der Sitzung.
Paraphrase mit Ergänzungen
Negation
[In einer früheren Sitzung, am 15. November 1961, hatte Lacan über die universale bejahende Aussage gesprochen, sein Beispiel war „Alle Menschen sind Lügner“. Darauf kommt er jetzt zurück.]
Pas un homme qui ne mente, „Kein Mensch, der nicht lügt / der nicht lügen würde“. [Der Ausdruck ist gleichwertig mit „Alle Menschen sind Lügner“, aber nur bei logischer Betrachtung, nicht unter grammatischem oder semantischem Aspekt.] Lacan macht darauf aufmerksam, dass hier der Subjunktiv verwendet wird, mente. Das ne (nicht) liegt damit auf derselben Ebene wie das diskordantielle ne [ist aber damit keineswegs zu verwechseln, das ne in Pas un homme qui ne mente funktioniert als vollwertige Negation – wenn man es weglässt, verkehrt sich der Sinn des Satzes ins Gegenteil].
[Das, was Lacan hier mit Pichon als „diskordantielles ne“ bezeichnet, heißt in den Grammatiken „expletives ne“, Füllwort-ne. Das expletive ne ist nicht mit pas (oder einem anderen Negationsausdruck) verklammert ist und wird in der Regel nicht mitübersetzt: Je crains qu’il ne vienne heißt „ich fürchte, dass er kommt“. Dieses ne kann wegfallen, ohne dass der Sinn sich verändert – sagen die Grammatiker; Pichon und Lacan sind damit nicht einverstanden. Man kann aber auch übersetzen mit „ich fürchte, dass er vielleicht kommt“, und damit ist man dem Unterschied auf der Spur, um den es Pichon und Lacan geht. Lacan zufolge ist dieses spezielle ne der Signifikant des Subjekts des Äußerungsvorgangs (énonciation), im Gegensatz zum Subjekt des Ausgesagten (énoncé), also der Signifikant des Subjekts, insofern es in dieser Äußerung spricht, und nicht des Subjekts, über das in ihr gesprochen wird, nicht des thematisierten Subjekts. Das ne unterbricht das Ausgesagte und ist scheinbar überflüssig, in ihm schwingt jedoch Begehren und Hoffnung mit; durch die Übersetzung mit „vielleicht“ lässt sich das andeutungsweise wiedergeben.]
[Eine grobe Entsprechung im Deutschen ist das „nicht“ in Formulierungen wie „Ist das nicht schön?“. Gemeint ist damit nicht, dass der Gegenstand, über den gesprochen wird, hässlich ist; das „nicht“ bezieht sich nicht auf das Ausgesagte (énoncé). Vielmehr bringt der Sprecher sich mit dem „nicht“ in den Satz ein, und zwar als Sprecher, so als würde er sagen „Ich möchte wirklich sagen, dass das schön ist“; das „nicht“ liegt hier auf der Ebene des Äußerungsvorgangs (énonciation). Er bringt sich als Sprecher ein, der etwas begehrt und der möglicherweise befürchtet, dass das Schöne sich als trügerisch erweisen könnte.]
[Wenn Lacan sagt, in Pas un homme qui ne mente liege das ne auf derselben Ebene wie das expletive bzw. diskordantielle ne in Je crains qu’il ne vienne, ist also gemeint, dass in beiden Fällen das ne der Signifikant des Subjekts des Äußerungsvorgangs ist.]
Lacan beschreibt eines der Vorhaben, die er in diesem Seminar zu realisieren versucht: Die Tabelle „Kastration – Frustration – Privation“ [die er in Seminar 4 von 1956/57, Die Objektbeziehung, ausgearbeitet hatte] soll auf die unterschiedlichen Formen der Negation bezogen werden.
Tabelle Kastration – Frustration – Privation aus Seminar 4
AGENT | MANGEL | OBJEKT |
---|---|---|
Realer Vater | Symbolische Kastration | Imaginärer Phallus |
Symbolische Mutter | Imaginäre Frustration | Reale Brust |
Imaginärer Vater | Reale Privation | Symbolischer Phallus |
Die Arten der Aussage
Lacan erläutert die universale bejahende Aussage durch einen lateinischen Satz: Homo mendax [„Der Mensch (ist) ein Lügner“, anders gesagt „Alle Menschen lügen“]. [Der Wechsel ins Lateinische soll vielleicht andeuten, dass dies ein Beispiel der scholastischen Logik ist.] Er erinnert daran, dass er in diesem Seminar für die universale bejahende Aussage bereits den Satz „Alle Menschen sind sterblich“ verwendet hatte und dass diese Aussage zum berühmtesten aller Syllogismen gehört und dort mit der Aussage „Sokrates ist ein Mensch“ [sowie „Sokrates ist sterblich“] verbunden ist.
Lacan interessiert sich also, sagt er, für die Funktion der Negation [wie schon Freud in dem Aufsatz Die Verneinung], und von daher befasse er sich mit dem System der Aussage-Arten, wie es in der klassischen Logik schematisiert worden ist: universale bejahende Aussagen (A), universale verneinende Aussagen (E), partikuläre bejahende Aussagen (I) und partikuläre verneinende Aussagen (O). [Die Buchstaben A, E, I, O sind die Symbole, mit denen diese Aussagetypen in der scholastischen Logik bezeichnet worden sind.]
Dieses System der Aussagenarten macht Probleme. Bis hin zu Kant war man der Auffassung, es sei unangreifbar.
Bemerkenswert ist, dass die traditionelle Entgegensetzung von bejahenden und verneinenden Aussagen so nicht von Aristoteles stammt, sie ist jünger und geht wahrscheinlich auf Averroes zurück [12. Jh.].
A: Homo mendax, „Der Mensch (ist) ein Lügner“ oder Omnis homo mendax, „Alle Menschen (sind) Lügner“, „Jeder Mensch ist ein Lügner“. Das ist eine universal bejahende Aussage. [Alle S sind P.] „Alle“ heißt im Griechischen, also bei Aristoteles, pas.
E: Omnis homo non mendax, „Jeder Mensch (ist) kein Lügner“. Das ist eine universale verneinende Aussage. [Alle S sind nicht P.] Man kann stattdessen auch sagen Nullus homo mendax, „Kein Mensch ist ein Lügner“.
O: Non omnis homo mendax, „Nicht jeder Mensch (ist) ein Lügner“ oder „Es gibt Menschen, die keine Lügner sind“. Dies ist eine partikuläre verneinende Aussage. [Einige S sind nicht P.]
I: Aliquis homo mendax, „Mancher Mensch (ist) eiun Lügner“. Das ist die partikuläre bejahende Aussage. [Einige S sind P.]
Lacan zufolge beruht die Partikularität auf einer Wahl [wobei die Wahl eine Auswahl ist]. [Die Fundierung der Opposition von universalen und partikulären Aussagen durch eine Wahloperation übernimmt Lacan von Charles Sanders Peirce, wie später noch klar werden wird.]
Die partikuläre verneinende Aussage kann auch so ausgedrückt werden: Non nullus homo non mendax, „Einige Menschen (sind) keine Lügner“, wörtlich „Nicht kein Mensch (ist) kein Lügner“.
[Möglicherweise kommentiert Lacan hier, indirekt, Freuds Aufsatz über die Verneinung: Es stimmt, scheint er zu Freud zu sagen, die Urteilsfunktion hat die Aufgabe, zu bejahen oder zu verneinen. Es fehlt bei Freud jedoch der Gegensatz zwischen dem Universalen und dem Partikulären, er ist für das Urteil ebenso wichtig.]
Die Beziehungen zwischen diesen vier Aussage-Arten werden in der klassischen [mittelalterlichen] Logik durch das sogenannte logische Quadrat dargestellt.
Es zeigt, dass es zwischen den Aussageformen verschiedene Arten des Gegensatzes gibt, die als „konträrer“, „subkonträrer“ [und „kontradiktorischer“] Gegensatz bezeichnet werden. [Die Beziehung zwischen A und E ist konträr, die zwischen I und O ist subkonträr, und die zwischen A und O sowie zwischen E und I ist kontradiktorisch.]
[Die Gegensatzarten werden durch ihre Wahrheitsbedingungen unterschieden. Man kann nicht nur nach der Wahrheit einer einzelnen Aussage fragen, sondern auch nach der Wahrheit einer Aussagenkombination insgesamt. Angenommen, es gibt zwei Aussagen A und B, so kann man fragen: Kann es wahr sein, dass A wahr ist und zugleich B falsch ist? Kann es wahr sein, dass A und B zugleich wahr sind? Usw.]
Der Gegensatz zwischen A [universal bejahend] und E [universal verneinend] ist konträr, und das heißt: beide Aussagen können nicht zugleich wahr sein [sie „schließen sich aus“, wie das in der Alltagssprache heißt]. Es kann nicht zugleich wahr sein, dass alle Menschen Lügner sind und dass kein Mensch ein Lügner ist. [Wenn A wahr ist und wenn zugleich E wahr ist, ist die Behauptung „A ist wahr und zugleich ist E wahr“ falsch.]
[Das ist die negative Bestimmung. Positiv formuliert heißt dies, dass folgende Aussagenkombinationen vereinbar sind, also wahr können:
- Es ist wahr, dass alle Menschen Lügner sind, und es ist zugleich falsch, dass kein Mensch ein Lügner ist.
- Es ist falsch, dass alle Menschen Lügner sind, und es ist zugleich wahr, dass kein Mensch ein Lügner ist.
- Es ist falsch, dass alle Menschen Lügner sind und es ist zugleich falsch, dass kein Mensch ein Lügner ist. Wahr ist in diesem Falle, dass einige Menschen Lügner sind und dass einige Menschen keine Lügner sind.]
[Der konträre Gegensatz zeichnet sich also dadurch aus, dass (a) beide Seiten nicht zugleich wahr sein könnten und dass es (b) drei Kombinationen von wahren und falschen Aussagen gibt, die insgesamt wahr sein können. Der konträre Gegensatz teilt die Welt nicht vollständig auf, etwas anderes ist möglich.]
[Der subkonträre Gegensatz ist der zwischen I und O], zwischen „Es gibt Menschen, die Lügner sind“ (I), und „Es gibt Menschen, die keine Lügner sind“. Hierfür gilt, dass nicht beides zugleich falsch sein kann.
[Im Falle des subkonträren Gegensatzes sind die folgenden Kombinationen möglich, d.h. können die folgenden Aussagenverbindungen insgesamt wahr sein:
- Es ist wahr, dass es einige Menschen gibt, die Lügner sind, und es ist zugleich wahr, dass es einige Menschen gibt, die keine Lügner sind. (Einfacher gesagt: Einige Menschen sind Lügner, einige nicht.)
- Es ist wahr, dass es einige Menschen gibt, die Lügner sind, und es ist zugleich falsch, dass es einige Menschen gibt, die keine Lügner sind. (Dies gilt für „Alle Menschen sind Lügner“ – wenn alle Menschen Lügner sind, sind auch einige Menschen Lügner.)
- Es ist falsch, dass es einige Menschen gibt, die Lügner sind, und es ist zugleich wahr, dass es einige Menschen gibt, die keine Lügner sind. (Dies gilt für „Alle Menschen sind keine Lügner“ – wenn dies wahr ist, gilt auch „Einige Menschen sind keine Lügner“.)]
[Der subkonträre Gegensatz zeichnet sich dadurch aus, dass (a) beide Seiten nicht zugleich falsch sein können und dass es (b) drei mögliche wahre Kombinationen gibt: entweder ist die eine Seite des Gegensatzes wahr oder die andere Seite des Gegensatzes ist wahr oder beide Seiten des Gegensatzes sind wahr. Auch der subkonträre Gegensatz teilt die Welt nicht vollständig auf, es gibt weitere Aussagenverbindungen, die wahr sein können.]
Zwischen den Aussagen, die sich im logischen Quadrat schräg gegenüberstehen, A und O sowie E und I, gibt es einen kontradiktorischen Gegensatz. Das heißt: wenn die eine wahr ist, muss die andere falsch sein.
[Beim kontradiktorischen Gegensatz gibt es nur zwei Aussagenkombinationen, die insgesamt wahr sein können: entweder ist eine wahr und die andere falsch oder umgekehrt – etwas Drittes ist nicht möglich, weitere Aussagenverbindungen können nicht wahr sein.]
Nach diesem Logik-Referat geht Lacan zu dem Punkt über, der ihn interessiert: In Bezug auf die Definition der Universalaussage gibt es bei Aristoteles eine Unsicherheit.
[Lacan nähert sich dieser Schwachstelle auf einem Umweg, auf dem Weg über die partikuläre Aussage.] Lacans Beispiel für die partikuläre [bejahende] Aussage war „Nicht alle Menschen sind Lügner“. In dieser Aussage bezieht sich die Negation auf das „alle“ – der Satz beginnt mit „nicht alle“ –, und dieses „nicht alle“ sorgt dafür, dass die Aussage partikulären Charakter hat.
Das ist jedoch nicht legitim, denn Aristoteles weist diese Formulierung zurück. In der Lehre vom Satz (De interpretatione) sagt er, dass die Negation sich nicht auf das Merkmal der Universalität beziehen soll [also nicht auf das „alle“]. Die Partikularität eines Aussage werde vielmehr dadurch festgelegt, dass die Aussage sich auf „irgendein“ bezieht, im Lateinischen auf aliquis: „Irgendein Mensch ist Lügner“ [statt „Nicht alle Menschen sind Lügner“]. [„Irgendein“ ist hier nicht im Sinne von „nur ein einziger“ gemeint; vielmehr kann sich „irgendein“ durchaus auch auf mehrere beziehen; „aliquis homo“ meint, obwohl es ein Singular ist, „irgendwelche Menschen, mindestens einer“. Die Streitfrage ist demnach, wie die partikuläre Aussage zu formulieren ist, durch „Nicht alle S sind P“ oder durch „Irgendein S ist P“. Soll man sagen „Nicht alle Menschen sind Lügner“ oder „Einige Menschen sind Lügner“? Dies ist, soweit ich sehe, der erste Auftritt des „nicht alle“ bei Lacan, das später, in den Formeln der Sexuierung (Seminare 18 bis 20), eine wichtige Rolle spielen wird.]
Die Lösung, die Aristoteles wählt, steht im Gegensatz zur späteren Entwicklung der formalen Logik, für welche die Extension [und die Intension] eines Begriffs wesentlich sind [Umfang und Inhalt], und in der die Extension durch einen Kreis symbolisiert wird, der die Gegenstände versammelt, die zum Begriff gehören.
[Unter dem Umfang oder der Extension eines Begriffs versteht man die Gesamtheit der Dinge, die unter einen Begriff fallen, unter dem Inhalt eines Begriffs oder seiner Intension (nicht zu verwechseln mit „Intention“) die gemeinsamen Merkmale der Dinge, die unter den Begriff fallen.]
Bei der Streitfrage um die partikuläre Aussage [„nicht alle“ versus „einige“] geht es um das „alle“ [also um das, wodurch eine Aussage als Universalaussage bestimmt wird].
Wie ist der Unterschied zwischen einer universalen und einer partikulären Aussage aufzufassen? Liegt er auf derselben Ebene wie Bejahung und Verneinung einer Aussage?
Besteht der Unterschied zwischen der universalen und der partikulären Aussage darin, dass im Falle der universalen Aussage die Sammlung abgeschlossen ist [und dass im Falle der partikulären Aussage die Sammlung unabgeschlossen ist – dass beispielsweise das Merkmal, Lügner zu sein, nur für eine Teilmenge zutrifft]? [Lacan signalisiert mit seiner Frage, dass er es anders sieht: bei der Universalität einer Aussage geht es nicht darum, dass eine Sammlung komplett ist.]
Er verbindet die beiden letzten Fragen durch „anders gesagt“ – die Frage, ob die Unterscheidung universal/partikulär auf derselben Ebene liegt wie die Unterscheidung bejahend/verneinend, ist für ihn dieselbe Frage wie die, ob die Universalität darin besteht, dass eine Sammlung abgeschlossen ist. [Worin besteht der Zusammenhang zwischen diesen beiden Fragen? Darin, dass die Negation, wie Lacan annimmt, für die Universalität grundlegend ist. Das wird in dieser und den folgenden Sitzungen ausgeführt.]
Es stellt sich die Frage, wie in einer Aussage die Definition des Subjekts [des Subjekts der Aussage] mit der Bejahung oder Verneinung der Aussage verbunden ist. [Das Subjekt der Aussage ist diejenige Größe, der das Prädikat (oder Attribut) zu- oder abgesprochen wird, das „S“ in „S ist P“ oder „S ist nicht P“, z.B. „Menschen“ in „Menschen sind Säugetiere“.]
[In der traditionellen Logik wird die Merkmale universal oder partikulär als „Quantität“ des Urteils bezeichnet, die Merkmale bejahend oder verneinend als „Qualität“ des Urteils.] Im Unterricht der klassischen Logik wird gesagt, das Subjekt [das Subjekt des Urteils, das logische Subjekt, das z.B. in der Aussage „Menschen sind Lügner“ durch den Ausdruck „Menschen“ repräsentiert wird], das Subjekt werde [durch das Prädikat] unter dem Aspekt der Qualität genommen [insofern das Prädikat zu- oder abgesprochen wird], das Attribut [oder Prädikat, also z.B. „Lügner“] werde [durch das Subjekt] unter dem der Quantität aufgefasst, das heißt, bezogen auf ein bestimmtes Prädikat, etwa „Lügner“, sind die Subjekte alle, mehrere oder eins. Diese Dreiteilung findet man noch bei Kant. [Kant unterscheidet drei Kategorien der Quantität: Allheit, Vielheit und Einheit, und drei Kategorien der Qualität: Realität, Negation und Limitation. Kants Kategorien beruhen auf der Struktur des Urteils bzw., wie man heute sagt, der Aussage, der Proposition. Die Unterscheidung der Kategorien der Allheit und der Vielheit beruht auf der Unterscheidung des universalen und des partikulären Urteils, die Kategorien von Realität und Negation auf dem Unterschied von bejahendem und verneinendem Urteil.] Das hat von Seiten der Linguisten massive Einwände hervorgerufen. [Lacan bezieht sich auf Jespersens Arbeit über Negation; in einer späteren Sitzung wird er darauf näher eingehen (die Passage ist Teil dieser Übersetzung).]
Die Unterscheidung von Quantität und Qualität einer Aussage geht auf Apuleius zurück, man findet sie bei ihm in einer Abhandlung über Platon.
Das Quadrantenschema von Peirce
Lacan erläutert dies [das Verhältnis von universal/partikulär zu bejahend/verneinend] am Quadrantenschema von Charles Sanders Peirce [wobei er dessen Namen nicht nennt].
Der Strich steht für das Subjekt [für das Subjekt der Aussage im Sinne der Logik], die Neigung des Strichs für das Attribut [also für das Prädikat der Aussage]. [Die Neigung ist entweder senkrecht oder schräg; das Prädikat bzw. Attribut ist „senkrecht“ oder „schräg“; die Schrägstellung des Strichs lässt sich als Negation des Prädikats deuten, als „nicht senkrecht“.]
Lacan merkt an, dass er statt „senkrecht“ auch hätte „unär“ sagen können [und damit erinnert er an die Konzeption des trait unaire, des „einzigen Zugs“ oder „einzelnen Zugs“ oder „Einzelstrichs“ oder „Unärstrichs“, wie er sie in diesem Seminar zu entwickeln begonnen hat – es geht um die Identifizierung mit dem einzigen Zug]. Aber damit die Sache anschaulicher wird, sagt er statt „unärer Strich“ lieber „senkrechter Strich“.
[Im Quadranten 1 (oben links) gibt es nur senkrechte Striche.]
Im Quadranten 2 [unten links] gibt es senkrechte und schräge [nicht senkrechte] Striche.
Im Quadranten 3 [unten rechts] gibt es nur schräge [nur nicht-senkrechte] Striche.
Im Quadranten 4 [oben rechts] gibt es keinen Strich [weder senkrechte noch nicht-senkrechte Striche].
Das Diagramm soll zeigen, dass die Unterscheidung zwischen universalen und partikulären Aussagen einerseits und bejahenden und verneinenden Aussagen andererseits nicht so funktioniert, dass es dabei um den Gegensatz von Quantität [universal/partikulär] und Qualität [bejahend/verneinend] geht.
Lacan bezeichnet den Unterschied zwischen universalen/partikulären Aussagen einerseits und bejahenden/verneinenden Aussagen andererseits vielmehr [mit Peirce] als Unterschied von Lexis und Phasis. Unter lexis [griechisch für „Wort“, „Sprechen“] versteht er einen Wahlvorgang zwischen Signifikanten, gestützt auf das lateinische Wort legere, „lesen“ oder „auswählen“; Lexis meint also die Opposition zwischen universalen und partikulären Aussagen. Den Gegensatz zwischen bejahenden und verneinenden Aussagen bezeichnet er als Unterschied auf der Ebene der phasis, was hier „Sprechen“ bedeutet soll; dieses Sprechen engagiert sich hinsichtlich der Existenz dessen, was die lexis ins Spiel gebracht hatte. [Das Sagen, die Phasis, besteht darin, dass im Sprechen die Existenz eines Merkmals bejaht oder verneint wird.]
Das leere Feld als Stütze der universalen Bejahung
[Lacan kommt nun zu dem, was für ihn die Pointe des Diagramms ist.] Über welches Kreisviertel kann man die Aussage machen „Jeder Strich ist vertikal“ bzw. „Alle Striche sind vertikal“? Nicht nur über den Quadranten oben links (1), sondern auch über den Quadranten oben rechts (4), also über den Quadranten, in dem es keinerlei Striche gibt, weder vertikale noch schräge, weder vertikale noch nicht-vertikale. Wenn etwas nicht senkrecht ist, gibt es auch keinen Strich. Der leere Quadrant (4) steht zur Aussage „Jeder Strich ist senkrecht“ also nicht im Gegensatz. Der leere Quadrant (4) veranschaulicht sogar die Aussage „Jeder Strich ist senkrecht“ – indem es hier keinen Strich gibt, der nicht senkrecht ist.
Also wird die universale bejahende Aussage [A] „Jeder Strich ist senkrecht“ durch die oberen beiden Segmente (1 und 4) veranschaulicht.
Die universale verneinende Aussage „Kein Strich ist senkrecht“ [E] wird durch die beiden rechten Quadranten illustriert [3 und 4]. Anders gesagt: in diesen beiden Segmenten gibt es keinen senkrechten Strich.
Zu beachten ist, dass die universale bejahende Aussage [A: 1, 4] und die universale vereinende Aussage [E: 3, 4] sich ein Feld teilen, das leere Feld oben rechts (4), obwohl sie doch, der klassischen Lehre zufolge, nicht zugleich wahr sein können.
Die partikuläre bejahende Aussage „Es gibt einige senkrechte Striche“ (oder auch „Es gibt senkrechte Striche“) [I] wird durch die beiden linken Quadranten, 1 und 2, veranschaulicht.
Dann gibt es noch die partikuläre verneinende Aussage [O], „es gibt nicht-senkrechte Striche“. Ihr entsprechen die beiden unteren Segmente, 2 und 3 [Quadrant 2 enthält sowohl senkrechte als auch nicht-senkrechte Striche, Quadrant 3 enthält nur nicht-senkrechte Striche].
Auf Lateinisch kann man die partikuläre verneinende Aussage [O] so formulieren: „nonnullli non verticales“. [„Nonnulli“ meint „einige“ (die wörtliche Bedeutung ist „nicht keine“); „nonnulli non verticales“ heißt also „einige (sind) nicht-senkrechte“.]
Das „non – non“ [in „non nulli non verticales“] ist eine doppelte Negation. Wird die erste Negation durch die zweite annulliert? Ist die doppelte Negation zwangsläufig ein Ja? [Das wird so gesagt, aber] Lacan bestreitet es; er kündigt an, später darauf zurückzukommen.
[Kurz: Im Quadrantenschema stehen die beiden oberen Kreisviertel (1 und 4) für die universale bejahende Aussage (A): „Alle Striche sind senkrecht.“
Die beiden rechten Kreisviertel (3 und 4) repräsentieren die universale verneinende Aussage (E): „Kein Strich ist senkrecht“ oder „Alle Striche sind nicht senkrecht“.
Die beiden linken Kreisviertel (1 und 2) veranschaulichen die partikuläre bejahende Aussage (I): „Einige Striche sind senkrecht.“
Und die beiden unteren Kreisviertel (2 und 3) illustrieren die partikuläre verneinende Aussage (O): „Einige Striche sind nicht senkrecht.“]
Warum ist es für uns [für Psychoanalytiker] interessant, die Lexis von der Phasis zu trennen? [Ich habe den Eindruck, dass Lacan unter „Lexis“ an dieser Stelle nicht die Opposition Universalität/Partikularität versteht, sondern nur das Universale, und ebenso unter Phasis nicht die Opposition Bejahen/Verneinen, sondern speziell die Negation. Dann wäre gemeint: Warum ist es für Psychoanalytiker interessant, das Universale von der Negation zu trennen?]
Es geht um die Bedeutung dessen, was man als „universale Aussage“ bezeichnet. Diese Bedeutung ist völlig verloren gegangen [und zwar dadurch, dass die Universalität als Quantität begriffen wurde].
Dieser Verlust kam durch die Euler’sche Formulierung des Syllogismus zustande [und beruht auf der Unterscheidung zwischen der Extension und der Intension von Begriffen]. Hierbei werden die Beziehungen zwischen den Begriffen eines Syllogismus durch Kreise dargestellt, die sich ausschließen oder überlappen oder vollständig überdecken; diese Relationen sollen sich auf den Begriffsumfang beziehen [auf die Extension]. [Beispielsweise wird „Alle Menschen sind sterblich“ mit Eulerkreisen so dargestellt, dass der Kreis der Menschen innerhalb des größeren Kreises der Sterblichen liegt; „Kein Mensch ist sterblich“ dadurch, dass der Kreis der Menschen außerhalb des Kreises der Sterblichen liegt“; „Einige Menschen sind sterblich“ und „Einige Menschen sind nicht sterblich“ dadurch, dass die Kreise der Menschen und der Sterblichen sich teilweise überlappen.]
Der Begriffsumfang, die Extension, wird vom Begriffsinhalt [von der Intension] unterschieden und es wird angenommen, dass der Begriffsinhalt (compréhension) durch eine unvermeidliche Art des Verstehens (comprende) charakterisiert sei. [Lacan macht sich über den Ausdruck „verstehen“ lustig:] Was ist beispielsweise daran zu verstehen, dass das Pferd weiß ist? [Lacan wechselt hier vom Begriff zur Aussage. „Das Pferde ist weiß“ ist eine bejahende Aussage mit „Pferd“ als Subjektbegriff und „weiß“ als Prädikatsbegriff. Die Extension des Begriffs „Pferd“ ist die Gesamtheit aller Gegenstände, die unter diesen Begriff fallen, also die Gesamtheit aller Pferde. Die Intension dieses Begriffs ist etwa „Säugetier mit einem Zeh“. Bei „weiß“ ist die Extension „alles, was weiß ist“, die Intension vielleicht „hellste unbunte Farbe“.]
Freud hat die folgende Formel verkündet (sagt Lacan): „Der Vater ist Gott“, anders ausgedrückt „Jeder Vater ist Gott“ oder „Es gibt keinen anderen Vater als Gott“. [In „Der Vater ist Gott“ meint der Artikel „der“ nicht „dieser Vater da“ sondern „der Vater schlechthin“, „alle Väter“, „jeder Vater“; es geht also um die universale bejahende Aussage „Alle Väter sind Gott“. Wir sind hier bei Freuds primärer Identifizierung, bei der Identifizierung mit dem idealisierten Vater, und Lacan rekonstruiert diese Identifizierung als Beziehung zu einer universalen bejahenden Aussage.] Lacan formuliert diese universale bejahende Aussage auch so: „Es gibt keinen anderen Vater als Gott“ [was man auch durch eine doppelte Negation ausdrücken kann: „Es gibt keinen Vater, der nicht Gott ist“].
Zugleich aber hat Freud die Existenz Gottes aufgehoben*, in der Schwebe gehalten, sogar radikal in Zweifel gezogen [man denke an Freuds Aufsatz Die Zukunft einer Illusion]. [Dem entspricht die Aussage: „Kein Vater ist Gott.“]
Anders formuliert: Die Funktionsordnung, die Lacan als „Name-des-Vaters“ bezeichnet [der Vater in seiner Gottesfunktion] hat einen universalen Wert [sie kann so artikuliert werden: „Alle Väter erfüllen die Funktion Name-des-Vaters“]. Zugleich aber bleibt es „dem anderen“ überlassen, festzustellen, ob es einen Vater dieses Schlages gibt oder nicht [damit sind wir auf der Ebene der partikulären bejahenden Aussage „Es gibt einen Vater der Gott ist“ und der universalen verneinenden Aussage „Es gibt keinen Vater, der Gott ist“].
Wenn es keinen Vater gibt, der Gott ist, ist dennoch stets wahr, dass der Vater Gott ist. [Lacan bezieht hier die universale affirmative Aussage auf die universale verneinende Aussage.]
Zur Begründung bezieht Lacan sich auf das Quadrantenschema. [Im Quadrantenschema muss man jetzt für „Strich“ den Ausdruck „Vater“ einsetzen (logisches Subjekt), für das Merkmal „senkrecht“ das Merkmal „ist Gott“ bzw. „ erfüllt die Funktion ‚Name-des-Vaters‘“ und für das Merkmal „schräg“ das Merkmal „ist nicht Gott“ bzw. „erfüllt nicht die Funktion ‚Name-des-Vaters‘“.] Die Formel „Alle Väter sind Gott“ [A] wird durch den leeren Abschnitt der Kreisfläche [4] nur bestätigt. [Lacan bringt hier etwas durcheinander Der leeren Kreisfläche 4 entspricht nicht die Aussage „Es gibt keinen Vater, der Gott ist“, sondern die Aussage „Es gibt keinen Vater“. Die Aussage „Es gibt keinen Vater, der Gott ist“ wird durch die Kreisflächen 3 und 4 repräsentiert (universale verneinende Aussage); für sie gilt, dass es keinen Strich gibt, der senkrecht ist.]
Lacan wechselt [zur partikulären Aussage und hier] zur Ebene der Phasis [also zum Gegensatz bejahend/verneinend]. Hier haben wir „Es gibt Väter, die die symbolische Funktion ‚Name-des-Vaters‘ erfüllen“ [partikulär bejahend, I, Segmente 1 und 2] und „Es gibt Väter, die die symbolische Funktion ‚Name-des-Vaters‘ nicht erfüllen“ [partikulär verneinend, O, Segmente 2 und 3].
Dabei gibt es solche, die in allen Fällen die Funktion „Name-des-Vaters“ nicht erfüllen, und dies entspricht Abschnitt [3] des Schemas [bei dem die Striche in allen Fällen nicht senkrecht sind, sondern schräg].
Dass es Väter gibt, die in allen Fällen die symbolische Funktion „Name-des-Vaters“ nicht erfüllen, was dem Abschnitt [3] entspricht, ist dasselbe wie das, was der universalen Funktion des Namens-des-Vaters die Grundlage gibt. [Abschnitt 3 verhält sich zu O (2 und 3) wie Abschnitt 4 zu A (1 und 4).]
Denn die universale Bejahung [A, Abschnitte 1 und 4] erhält durch den Abschnitt, in dem es nichts gibt [Abschnitt 4] ihre volle Tragweite.
Die beiden fraglichen Abschnitte werden, sagt Lacan, „auf der Ebene der Lexis erfasst“. [Unter „Lexis“ scheint er hier speziell das Universale zu verstehen – die beiden fraglichen Abschnitte gehören zur universalen (bejahenden) Aussage.]
Lacan erläutert das Problem der universalen Bejahung durch ein weiteres Beispiel, das des Professors oder Lehrers [professeur meint, wie in Österreich das Wort „Professor“, sowohl den Gymnasiallehrer als auch den Hochschullehrer]. [Der Wechsel vom Vater zum Lehrer orientiert sich vermutlich an Freuds These, dass die Identifizierung mit dem Lehrer häufig ein Ersatz oder Nachfolger für die Identifizierung mit dem Vater ist.]
Der Wert des traditionellen Unterrichts muss das sein, was Lacan in der vorangegangenen Sitzung zum i [zur imaginären Zahl] gesagt hatte. [Das Subjekt (so hieß es in dort), kann durch die imaginäre Zahl dargestellt werden, also durch i.]
Die Professoren diskutieren, was sie sagen sollen, was sie unterrichten sollen [sie diskutieren über das Curriculum]. Sie sollen unterrichten, was andere vor ihnen unterrichtet haben [ihre Funktion ist die Tradierung der Kultur]. Damit gründen sie sich auf das, was bereits eine bestimmte Lexis erfahren hat [eine bestimmte Signifikantenselektion, deren Ergebnis für gewöhnlich als „Kanon“ bezeichnet wird], und diese Bildung stützt sich auf den Buchstaben [auf die Schrift]. Der Bezug auf diese Lexis [auf den geschriebenen Kanon] ermöglicht es zu sagen: „Der Professor ist lettré, gebildet, literat.“
Von daher lässt sich die folgende universale [und bejahende] Aussage formulieren: „Der Professor ist literat“ [im Sinne von „Alle Professoren sind literat“].
Als nächstes kann man behaupten, dass der Professor halb gebildet sein kann, halb literat. [Die Aussage lautet dann: „Es ist möglich, dass alle Professoren halb literat sind“. Die Modalität der Möglichkeit spielt im Gang der Argumentation keine Rolle, deshalb ist wohl gemeint: „Alle Professoren sind halb literat.“ Auch dies ist eine universale bejahende Aussage, das Prädikat ist jetzt „halbliterat“.] Das impliziert, dass es keinen Professor gibt, der nicht literat ist.
Aber vielleicht gibt es doch einen Gesichtspunkt, unter dem man behaupten kann, „Es gibt Professoren, die nicht literat sind“ [das wäre die partikuläre verneinende Aussage]. Dies würde nichts daran ändern, dass die Definition eines Professors darin besteht, dass er literat ist, dass er sich mit dem Buchstaben identifiziert – der negative Fall ist die wesentliche Entsprechung zur Definition der Universalität. [Als stützenden negativen Fall bezieht sich Lacan hier, wie bei zuvor bei den Vätern, auf die verneinende partikuläre Aussage, im Quadrantenschema sind das die Felder 2 und 3. Dem leeren Feld 4 würde die Aussage „Es gibt keinen Professor“ entsprechen.]
[An dieser Stelle erfährt man, dass Lacan die Beziehung zwischen dem Subjekt und dem Prädikat als Identifizierung deutet: „Alle Professoren sind literat“ meint: „Alle Professoren identifizieren sich mit dem Buchstaben.“]
Lacan paraphrasiert dies mit der Aussage „Es kann analphabetische Professoren geben“. [Durch die Einführung der Modalität der Möglichkeit verändert sich die Logik der Aussage, das scheint Lacan auch an dieser Stelle nicht wichtig zu sein.]
Der negative Fall ist die wesentliche Entsprechung zur Definition der Universalität, und das ist „auf der Ebene der ursprünglichen Lexis grundlegend verborgen“. [Das könnte heißen: „das ist auf der Ebene der universalen Aussage verborgen“; offenbar setzt er hier „Lexis“ mit „universal bejahend“ gleich.]
„Das bedeutet etwas in Bezug auf die Mehrdeutigkeit der partikulären Stütze, die wir im Engagement unseres Sprechens dem Namen-des-Vaters geben können.“ [Unter der partikulären Stütze, die wir dem Namen-des-Vaters geben können, versteht er, wie zwei Sätze später klar wird, dass wir sagen „der da ist mein Vater“ oder „der da ist sein Vater“.]
Lacan spricht dann über einen Menschen, der sich als jemand auffassen kann, der vom Namen-des-Vaters völlig abgelöst ist, für den die Funktion des Vaters reiner Verlust ist, für den er ein Vater ist, der kein Vater ist, für den die Funktion des Vaters eine verlorene Sache ist. [Das entspricht der universalen verneinenden Aussage „Kein Vater erfüllt die Funktion Name-des-Vaters“; im Quadrantenschema sind dies die Felder 3 und 4.]
Selbst die partikuläre Kategorie wird im Verhältnis zu einer ersten Lexis beurteilt, derjenigen des Namens-des-Vaters. [Vermutlich ist gemeint: Selbst die Aussagen „Es gibt Väter, die die Funktion ‚Name-des-Vaters‘ erfüllen“ und „Es gibt Väter, die die Funktion ‚Name-des-Vaters‘ nicht erfüllen“ setzten die universale Aussage „Alle Väter erfüllen die Funktion ‚Name-des-Vaters‘ “ voraus.]
Die Aussage „der da ist mein Vater“ oder „der da ist sein Vater“ ist von einer ursprünglichen Lexis abhängig. [Unter „Lexis“ versteht Lacan hier offenbar wieder exklusiv die Allgemeinheit. „Dieser da ist mein Vater“ ist abhängig von einer universalen bejahenden Aussage über den Vater, nämlich „Alle Väter sind Gott“.]
Professoren wären in großer Gefahr, wenn sie hinsichtlich ihrer realen Funktion in der Schwebe gehalten würden. [Ich nehme an, dass gemeint ist: Professoren wären in Gefahr, wenn sie nicht vor dem Hintergrund der Aussage wahrgenommen würden, dass alle Professoren literat sind.]
Buchstaben (24. Januar 1962)
Übersetzung
In der Folgesitzung spricht Lacan über das Verhältnis des Subjekts zum Signifikanten und darüber, was diese Beziehung mit der Schrift zu tun hat, mit dem Buchstaben. Es sei offensichtlich, dass der Zwangsneurotiker es mit dem Buchstaben zu tun hat, man sehe das am Mechanismus des „Ungeschehenmachens“: Der Zwangsneurotiker hat eine Art Buchhaltung, und es geht ihm darum, Signifikanten auszulöschen. Zur Verdeutlichung des Verhältnisses von Sprache und Schrift verweist er auf die chinesische Schrift (die ihn in Seminar 18 wieder beschäftigen wird, Über einen Diskurs, der nicht vom Schein wäre, 1971).
Die formale Logik, heißt es weiter, hält sich streng an den Buchstaben und klammert den Sinn aus (Lacan versteht hier unter „formaler Logik“ die auch „symbolische Logik“ genannte algebraisierte Logik, die an Boole und Frege anknüpft). In den Principia Mathematica haben Bertrand Russell und Alfred North Whitehead den Versuch gemacht, die Mathematik mittels der Mengenlehre auf die symbolische Logik zu gründen. Dabei stießen sie auf die sogenannte Russell’sche Paradoxie (oder Russell’sche Antinomie), durch die sie das gesamte Unternehmen bedroht sahen, auf eine Paradoxie, die den Wert der Mengenlehre in Frage zu stellen schien. Lacan fährt fort:
„Worin sich eine Menge von einer Definition der Klasse unterscheidet, ist in einer gewissen Mehrdeutigkeit geblieben, denn das, was ich Ihnen sagen werde – und was am häufigsten akzeptiert wird, von jedem beliebigen Mathematiker –, dass nämlich das, was eine Menge von der Form derjenigen Definition unterscheidet, die als Klasse bezeichnet wird, nichts anderes ist als dies, dass die Menge durch Formeln definiert wird, die man Axiome nennt, die man auf der Tafel mit Symbolen notiert, die auf Buchstaben reduziert sind, zu denen einige ergänzende Signifikanten hinzukommen, die die Relationen anzeigen. Es gibt absolut keine andere Spezifizierung dieser sogenannten symbolischen Logik im Vergleich zur traditionellen Logik, außer dieser Reduktion auf Buchstaben. Ich garantiere es Ihnen; Sie können es mir glauben, ohne dass ich mich weiter auf Beispiele einlassen muss.
Worin also besteht die Kraft – die ja zwangsläufig irgendwo ist –, die dazu führt, dass aufgrund dieses einzigen Unterschieds zahlreiche Konsequenzen entwickelt werden konnten, zu denen ich Ihnen versichere, dass die Auswirkung auf die Entwicklung dessen, was sich Mathematik nennt, keineswegs gering ist, verglichen mit dem Apparat, über den man seit Jahrhunderten verfügt hat und bei dem das Kompliment, das man ihm gemacht hat, nämlich dass er sich zwischen Aristoteles und Kant nicht bewegt hat, ins Gegenteil umschlägt?
Das ist eben –; wenn die Dinge dennoch so ins Laufen gekommen sind, wie es geschehen ist, denn die Principia Mathematica bestehen aus zwei sehr, sehr dicken Bänden83 und sie sind nur von sehr geringem Interesse84, aber wenn das Kompliment schließlich ins Gegenteil umschlägt, dann deshalb, weil der frühere Apparat aus irgendeinem Grunde ungemein stagniert hat.
Nun, wie kommen die Autoren von hier aus dazu, über etwas in Erstaunen zu geraten, was man als Russell’sche Paradoxie bezeichnet?85 Die Russell’sche Paradoxie beruht darauf, dass man von der Menge aller Mengen spricht, die sich nicht selbst enthalten (comprennent).
Ich muss diese Geschichte ein bisschen aufhellen, die Ihnen beim ersten Zugang eher als trocken erscheinen mag. Ich weise Sie sofort darauf hin: Wenn ich Sie dafür interessiere – zumindest hoffe ich das –, dann mit der Stoßrichtung, dass es die engste Beziehung gibt – und nicht nur homonymisch, genau deshalb, weil es um Signifikanten geht und folglich darum, nicht zu verstehen (comprendre) –, dass es die engste Beziehung gibt zur Position des analytischen Subjekts, insofern auch es, in einem anderen Sinne des Wortes ‚verstehen‘ –; und wenn ich Ihnen sage, ‚nicht zu verstehen‘, dann, damit Sie auf jede Weise verstehen können, dass auch das Subjekt ‚sich nicht selbst versteht/enthält‘.86 Hier hindurchzugehen ist keineswegs nutzlos, sie werden es sehen, denn auf diesem Wege werden wir die Funktion unseres Objektes kritisieren können.
Aber halten wir einen Moment lang bei diesen Mengen inne, die sich nicht selbst enthalten.
Um zu erfassen, worum es sich handelt, muss man offensichtlich ausgehen –; denn in der Kommunikation können wir schließlich anderes tun als Konzessionen an intuitive Bezüge zu machen, denn die intuitiven Bezüge, die haben Sie bereits, man muss sie also ins Wanken bringen, um andere an ihre Stelle zu setzen.
Da Sie die Vorstellung haben, dass es eine Klasse gibt und dass es eine Klasse der Säugetiere gibt, muss ich Ihnen wohl zu zeigen versuchen, dass man sich auf etwas anderes beziehen muss.
Wenn man anfängt, sich mit der Kategorie der Menge zu befassen, sollte man sich auf die bibliographische Klassifikation beziehen, die von einigen geschätzt wird, ob sie nun aus Dezimalzahlen besteht oder aus etwas anderem; aber wenn man etwas Geschriebenes hat, muss das irgendwo eingeordnet sein, man muss wissen, wie man es automatisch wiederfindet.
Also, nehmen wir eine Menge, die sich selbst enthält. Nehmen wir beispielsweise in einer bibliographischen Klassifikation das Studium der Humaniora (l’étude des humanités).87 Es ist klar, dass man hierzu die Arbeiten der Humanisten über die Humaniora rechnen muss.88 Die Menge ‚Studium der Humaniora‘ muss alle Arbeiten enthalten, die sich auf das Studium der Humaniora als solche beziehen.
Betrachten wir nun aber diejenigen Mengen, die sich nicht selbst enthalten – das ist nicht weniger gut fassbar, das ist sogar der gewöhnlichste Fall.
Und da wir Mengentheoretiker sind, und da bereits eine Klasse der Menge aller Mengen, die sich selbst enthalten, existiert, gibt es wirklich keinen Einwand dagegen, dass wir die entgegengesetzte Klasse bilden – ich verwende hier den Ausdruck ‚Klasse‘, da eben hierin die Mehrdeutigkeit bestehen wird: die Klasse derjenigen Mengen, die sich nicht selbst enthalten: die Menge aller Mengen, die sich nicht selbst enthalten.
Und da fangen die Logiker an, sich den Kopf zu zerbrechen, das heißt, sie fragen sich: Diese Menge aller Mengen, die sich nicht selbst enthalten – enthält sie sich selbst oder enthält sie sich nicht selbst?
In beiden Fällen verwickelt sie sich in einen Widerspruch. Denn wenn sie sich selbst enthält, wie es zunächst erscheint, befinden wir uns im Widerspruch zum Ausgangspunkt, der uns sagte, es handele sich um Mengen, die sich nicht selbst enthalten.
Andererseits, wenn sie sich nicht selbst enthält, wie genau soll man sie dann von dem ausnehmen, was uns von der Definition geliefert wird, nämlich dass sie sich nicht selbst enthält?89
Das mag Ihnen ziemlich kindisch vorkommen, aber die Tatsache, dass sie, die Logiker, das so sehr überrascht, dass sie sich dabei aufhalten, die Logiker, die wirklich nicht Leute von der Art sind, dass sie sich bei einer nichtigen Schwierigkeit aufhalten –; und wenn sie hier etwas spüren, was sie einen Widerspruch nennen können, der ihr gesamtes Gebäude in Frage stellt90, dann ist das deshalb so, weil es etwas gibt, das gelöst werden muss und was – dass Sie mich recht verstehen – nichts anderes betrifft als dies, was die einzige Sache betrifft, die die betreffenden Logiker nicht genau gesehen haben, nämlich dass der Buchstabe, dessen sie sich bedienen, etwas ist, was an sich selbst Kräfte hat, eine Triebkraft, an die sie überhaupt nicht gewöhnt zu sein scheinen.
Denn wenn wir dies in Anwendung dessen illustrieren, dass wir gesagt haben, dass es um nichts anderes geht als um den systematischen Gebrauch eines Buchstabens – den Buchstaben zu reduzieren, ihm seine Signifikantenfunktion zu reservieren, um auf ihn und einzig auf ihn das gesamte Gebäude der Logik zu gründen –, dann kommen wir zu etwas sehr Einfachem: dass es wirklich ganz einfach auf das hinausläuft, was geschieht, wenn wir dann – wenn wir uns daranmachen, über das Alphabet zu spekulieren – beispielsweise dem Buchstaben a die Funktion zu geben, als Buchstabe a alle anderen Buchstaben des Alphabets zu repräsentieren.
Entweder – oder. Entweder wir rechnen die anderen Buchstaben des Alphabets von b bis z dazu, wobei der Buchstabe a sie unzweideutig repräsentieren soll, ohne sich jedoch selbst zu enthalten.
Andererseits ist jedoch klar, dass er, indem er als Buchstabe diese Buchstaben des Alphabets repräsentiert, ganz natürlich dazu gelangt – an der Stelle, von der wir ihn bezogen haben, ihn ausgeschlossen haben –, die Reihe der Buchstaben, ich möchte nicht einmal sagen zu bereichern, sondern zu vervollständigen, und dies einfach insofern als, wenn wir davon ausgehen, dass a – das ist hier bei der Identifizierung unser Ausgangspunkt – grundlegend keineswegs a ist, und es hier keine Schwierigkeit gibt: Der Buchstabe a ist im Inneren der Klammer – in der alle Buchstaben aufgereiht sind, die er symbolisch unter sich subsumiert – nicht dasselbe a und zugleich dasselbe.
Es gibt hier keinerlei Schwierigkeit. Es sollte hier umso weniger eine geben, als diejenigen, die hier eine sehen, eben diejenigen sind, die den Begriff der Menge erfunden haben, um die Mängel des Begriffs der Klasse auszugleichen, und die folglich die Vermutung haben, dass es bei der Funktion der Menge etwas anderes geben muss als bei der Funktion der Klasse.
Das interessiert uns jedoch, denn was heißt das? Wie ich Ihnen gestern Abend gezeigt habe: Das metonymische Objekt des Begehrens, das, welches unter allen Objekten dieses bevorzugte klein a repräsentiert, wo das Subjekt sich verliert, wenn dieses Objekt metaphorisch ans Licht kommt, wenn wir dazu kommen, es an die Stelle des Subjekts zu setzen, das im Anspruch dazu gelangt ist, sich zu synkopieren, sich aufzulösen – keine Spur: $ –, dann enthüllen wir ihn, den Signifikanten dieses Subjekts, dann geben wir ihm seinen Namen: das gute Objekt, die Mutterbrust, die mamme.91
Da haben wir die Metapher, in der, sagen wir, alle artikulierten Identifizierungen des Anspruchs des Subjekts erfasst sind. Sein Anspruch ist oral, und die Brust der Mutter nimmt sie in ihre Klammer. Es ist das a, das all diesen Einheiten ihren Wert gibt, die sich in der Signifikantenkette addieren werden: a (I + I + I …).
Die Frage, die wir zu stellen haben, bezieht sich darauf, den Unterschied zu bestimmen zwischen der Verwendung, die wir von der mamme machen, und der Funktion, die sie bei der Definition beispielsweise der Klasse der Säugetiere hat, der Mammalia.
Die Mammalia sind daran zu erkennen, dass sie mammes haben. Es ist, unter uns gesagt, ziemlich seltsam, dass wir so wenig darüber unterrichtet sind, was bei jeder Art damit tatsächlich gemacht wird. Die Ethologie der Säugetiere ist noch stark zurückgeblieben, da wir bei diesem Thema, wie bei der formalen Logik, kaum weiter sind als auf dem Niveau von Aristoteles – ausgezeichnetes Werk: die Tierkunde!
Aber was uns angeht: Ist es das, was für uns der Signifikant mamme bedeutet, insofern er das Objekt ist, um das herum wir dem Subjekt Substanz verleihen, in einer bestimmten, als ‚prägenital‘ bezeichneten Beziehungsart?
Es ist ganz klar, dass wir davon einen völlig anderen Gebrauch machen, viel näher an der Manipulation des Buchstabens E in unserer Mengenparadoxie92, und um Ihnen das zu zeigen, möchte ich Sie auf Folgendes aufmerksam machen: a (I + I + I …), also unter diesen I des Anspruchs, deren konkrete Signifikanz wir aufgedeckt haben, gibt es da die Brust selbst oder nicht?93
Anders ausgedrückt, wenn wir von oraler Fixierung sprechen, von der latenten Brust, ist dann die aktuelle Brust – diejenige, nach der Ihr Subjekt ‚ah!, ah!, ah!‘ macht – etwas von der Art der Brustdrüse? Es ist ganz offensichtlich, dass sie das nicht ist, denn Ihre Oralen, die für Brüste schwärmen, sie schwärmen deshalb für Brüste, weil diese Brüste ein Phallus sind. Und eben deshalb, weil es möglich ist, dass die Brust auch ein Phallus ist, lässt Melanie Klein ihn sofort genauso früh wie die Brust auftreten, von Beginn an, indem sie uns sagt, dass er letztlich eine kleine Brust ist, nur bequemer, tragbarer, netter.
Sie sehen also, wenn wir diese strukturalen Unterscheidungen einführen, kann uns das irgendwohin führen – in dem Maße, in dem die verdrängte Brust wiederauftaucht, wiedererscheint, im Symptom oder sogar einfach in einem Schlag, den wir nicht anders qualifiziert haben: die Funktion in der perversen Skala –, um etwas von diesem anderen hervorzurufen, nämlich das Heraufbeschwören des phallischen Objekts.
Die Sache schreibt sich so:Was ist das a? Setzen wir an seine Stelle den kleinen Pingpongball, das heißt nichts, irgendwas, irgendeine Stütze für das Alternierspiel des Subjekts im Fort-Da.94
Da sehen Sie, dass es sich strikt um nichts anderes handelt als um den Übergang des Phallus vom a plus zum a minus und dass wir dadurch in der Identifizierungsbeziehung sind, da wir wissen, dass in dem, was das Subjekt assimiliert – das ist das Subjekt selbst in seiner Frustration –, wir wissen, dass darin das Verhältnis des $ zu diesem I(A)95 – zum Ein, insofern es die Bedeutung des Anderen als solchen annimmt – die engste Beziehung zur Realisierung dieses Wechsels von a mal minus a hat, zu diesem Produkt von a und –a, was formal ein minus a im Quadrat ergibt: –a2. Wir werden näher bestimmen, warum eine Negation irreduzibel ist – wenn es Affirmation und Negation gibt, bildet die Affirmation der Negation eine Negation, und ebenso die Negation der Affirmation. Wir sehen, wie sich das in der Formel –a2 zeigt; wir finden die Notwendigkeit wieder, bei der Wurzel aus diesem Produkt die Wurzel aus minus eins ins Spiel zu bringen, .
Es geht nicht einfach um die Anwesenheit oder die Abwesenheit des klein a, sondern um die Konjunktion von beiden, um den Schnitt (coupure), worum es geht, ist die Disjunktion von a und minus a.96
Und das ist der Punkt, wo das Subjekt dazu gelangt, sich als solches zu verorten, wo sich die Identifizierung mit diesem Etwas herzustellen hat, mit dem Objekt des Begehrens.
Darum ist der Punkt, an den ich Sie heute geführt habe, Sie werden es sehen, eine Artikulation, die Ihnen später noch helfen wird.“97
Ende der Sitzung
Paraphrase mit Ergänzungen
Mengentheorie und moderne Logik beruhen auf dem Buchstaben
[Nachdem Lacan in der Sitzung vom 15. November 1961 über die Lügnerparadoxie gesprochen hatte, bezieht er sich jetzt auf die sogenannte Russell’sche Antinomie bzw., wie er sagt, Russell’sche Paradoxie; diese Antinomie oder Paradoxie zeigt sich im Rahmen eines bestimmten Typs der symbolischen Logik, nämlich der Klassenlogik im engeren Sinne, in welcher Klassen als Mengen aufgefasst werden.]
Wodurch unterscheidet sich eine Menge von einer Klasse? Mengen werden durch Formeln definiert, genauer: durch Axiome. Diese Axiome werden in schriftlichen Symbolen notiert, durch Buchstaben sowie durch Grapheme für Relationen. Die Reduktion auf Buchstaben ist charakteristisch für die symbolische Logik [auch mathematische Logik genannt], darin unterscheidet sie sich von der traditionellen Logik [die auf Aristoteles zurückgeht]. [Die „Symbole“, auf die sich der Ausdruck „symbolische Logik“ bezieht, sind Schriftzeichen nach dem Vorbild der Algebra, des „Buchstabenrechnens“.]
Warum konnte durch die Verwendung des Buchstabens die Stagnierung der Logik überwunden werden? Worin besteht die besondere Kraft des Buchstabens?
Auch die Russell’sche Antinomie beruht auf dem Buchstaben
Warum staunen die Autoren über die Russell’sche Paradoxie? Die Paradoxie bezieht sich hier auf die Menge aller Mengen, die sich nicht selbst enthalten. In Bezug auf diese Menge wird gefragt, ob sie sich selbst enthält.
Ein Beispiel für eine Menge, die sich selbst enthält, ist die Klasse „Humaniora“ in einer bibliographischen Klassifikation, wobei diese Klasse außerdem Werke über die Klasse der Humaniora enthält [oder, sagen wir, eine Bibliographie zu einem bestimmten Thema, in der diese Bibliographie selbst aufgeführt wird].
Eine Menge, die sich nicht selbst enthält, ist der Normalfall.
Angenommen, die Menge aller Mengen, die sich nicht selbst enthalten, enthält sich selbst, dann steht sie zu ihrer Definition im Widerspruch, Angenommen, sie enthält sich nicht selbst, ergibt sich ebenfalls ein Widerspruch, da sie ja alle Mengen enthalten soll, die sich nicht selbst enthalten.
[Angenommen, wir wählen als Elemente die Freud-Bibliographien. Bei der Abfassung einer jeden Bibliographie stand der Autor vor der Entscheidung, ob er die von ihm selbst erstellte Bibliographie in seine Bibliographie der Freud-Bibliographien mit aufnehmen soll. Nehmen wir weiterhin an, dass dieses Problem unterschiedlich gelöst wurde. Einige haben den Titel der von ihnen erstellten Bibliographie mit in ihre Freud-Bibliographie aufgenommen, andere nicht. Die auf sich selbst verweisenden Bibliographien bilden eine Menge, die sich selbst enthält, die anderen eine Menge, die sich nicht selbst enthält.]
[Stellen wir uns als nächstes vor, dass jemand den Auftrag erhält, von diesen Bibliographien eine Bibliographie zweiter Ordnung zu erstellen, also eine Bibliographie der Freud-Bibliographien. Angenommen, es soll zwei Metabibliographien geben. Die eine, Freud-Metabibliographie I, soll alle selbstreferentiellen Bibliographien enthalten, also diejenigen, die sich selbst enthalten. Die andere, Freud-Metabibliographie II, soll alle zurückhaltenden Bibliographien umfassen, all diejenigen, die sich nicht selbst enthalten.]
[In die erste Freud-Metabibliographie nimmt der Autor die Titel auf, die sich selbst enthalten. Zum Schluss fragt er sich, ob er er den Titel Freud-Metabibliographie I ebenfalls aufnehmen soll. Er kommt schnell zum Ergebnis, dass dieser Titel hineingehört: Diese Metabibliographie soll ja alle Titel enthalten, die sich selbst enthalten und durch die Aufnahme des Titels Freud-Metabibliographie I in das Titelverzeichnis enthält die Freud-Metabibliographie I sich selbst. Durch die Aufnahme des Titels in sich selbst erfüllt die Freud-Metabibliographie I gewissermaßen rückwirkend die Aufnahmebedingung.]
[Die Freud-Metabibliographie II soll die zurückhaltenden Bibliographien erfassen, all diejenigen, die sich nicht selbst enthalten. Also nimmt der Autor den Titel „Freud-Metabibliographie II“ nicht darin auf. Er denkt: Wenn er ihn aufnehmen würde, würde diese Bibliographie sich ja selbst enthalten, und ein Titel, der sich selbst enthält, soll darin nun gerade nicht aufgeführt werden. Doch dann gerät er ins Grübeln. Er hatte ja den Auftrag, in die zweite Metabibliographie alle Bibliographien aufzunehmen, die sich nicht selbst enthalten, und er hatte soeben dafür gesorgt, dass dass seineeigene Metabibliographie sich nicht selbst enthält. Mit diesem Merkmal gehört der Titel „Freud-Metabibliographie II“ ganz klar in das Titelverzeichnis. Also korrigiert er seine Entscheidung, und nimmt den Titel „Freud-Metabibliographie II“ dann doch in seine Titelliste auf. Dann wird ihm klar, dass er einen Fehler begangen hat, denn nun enthält seine Metabibliographie den Titel einer Bibliographie, die sich selbst enthält, obwohl sie doch nur solche Bibliographien verzeichnen soll, die sich nicht selbst enthalten. Und so weiter.]
Lacan macht ein Wortspiel mit se comprendre (sich enthalten / sich verstehen): auch das Subjekt enthält sich nicht / versteht sich nicht. [Es geht aber nicht nur um ein Wortspiel, sondern um die paradoxe Position des Objekts a.]
[Lacan stellt sich die Frage, wie es möglich war, dass diese Paradoxie der Selbstbezüglichkeit, obwohl sie in den Grundzügen seit der Antike bekannt war, erst für die moderne Mathematik eine grundlegende Rolle gespielt hat und hier zur sogenannten Grundlagenkrise führte.] Die Logiker, die sich wegen dieser Paradoxie den Kopf zerbrochen haben, haben nicht gesehen, dass die Paradoxie auf der systematischen Verwendung des Buchstabens beruht, auf der Reduktion von Buchstaben auf ihre Signifikantenfunktion [auf der rigorosen Abstraktion vom Sinn]. [Erst in dem Moment, in dem man eine symbolische Logik ausarbeitet, eine Logik, die auf der Manipulation von Schriftzeichen beruht, ähnlich der Algebra, gewinnt die paradoxe Dimension der Selbstbezüglichkeit eine umwälzende Kraft.]
Wenn man dem Buchstaben a die Funktion gibt, alle anderen Buchstaben des Alphabets zu repräsentieren, dann repräsentiert er sie entweder ohne a, also von b bis z. Und zugleich gelangt er „ganz natürlich“ dazu, die Buchstaben einschließlich a zu repräsentieren, indem wir die Buchstaben, die er repräsentiert, vervollständigen. Dann ist der Buchstabe a, der die Buchstaben repräsentiert, derselbe wie der innerhalb der Klasse, die er repräsentiert, und zugleich nicht derselbe. Denn a ist nicht gleich a, das ist bei der Identifizierung der Ausgangspunkt [Lacan hatte dies in diesem Seminar in der Sitzung vom 12. Dezember 1961 erläutert; vgl. die Übersetzung hier]. [Ich kann dieses Argument nicht nachvollziehen.]
Diejenigen, die den Begriff der Menge erfunden habe, müssen vermutet haben, dass es einen Mangel im Begriff der Klasse gibt. [¿ Welchen?]
Die Brust als Merkmal der Säugetiere und als Objekt des Begehrens
Das metonymische Objekt des Begehrens [das Objekt, um das die Ansprüche kreisen] wird von Lacan durch klein a repräsentiert.
Im Anspruch gelangt das Subjekt dazu, sich zu synkopieren, sich aufzulösen. Das Subjekt verliert sich dann, wenn sich das Objekt an die Stelle des Subjekts setzt, wenn also eine Metapher gebildet wird [wenn eine Ersetzung stattfindet].
Die Psychoanalytiker enthüllen diesen Signifikanten des Subjekts und sie geben ihm einen Namen: gutes Objekt [Melanie Klein], Mutterbrust [Freud], mamme [Lacans Verdichtung aus dem lateinischen Wort mamma, „weibliche Brust“, und dem französischen Wort maman, „Mama“, also in etwa „Mutterbrust“].
Der Anspruch ist beispielsweise oral. Die Serie der Ansprüche [die Metonymie] wird durch eine Strichliste dargestellt: (I+I+I ….). Diese Serie erhält ihren Wert durch den Bezug auf das a, was sich so darstellen lässt: a (I + I + I …).
Von hier aus stellt Lacan die Frage, wie sich die Brust als Objekt a, also in der oralen Beziehungsart des Subjekts, zu der Brust verhält, durch welche die Klasse der Säugetiere definiert ist, die Klasse der Mammalia. Es ist klar, dass die Brust als Objekt a anders funktioniert, dass sie näher an der Manipulation des Buchstabens E in der Mengenparadoxie ist. [¿ Was ist mit dem Buchstaben E in der Mengenparadoxie gemeint?]
Ausgangspunkt ist a (I + I + I …). Gibt es unter den I des sich wiederholenden Anspruchs die Brust selbst oder nicht? [Lacan spielt auf die Frage an, ob die Menge sich selbst enthält.] Anders ausgedrückt, wenn wir von oraler Fixierung des Subjekts sprechen, dann müssen wir die latente Brust von der aktuellen Brust unterscheiden als der Wiederkehr der verdrängten Brust. [Die latente Brust ist die Brust, auf die sich die prägenitale orale Fixierung bezieht.] Die aktuelle Brust ist die Brust, nach der das Subjekt „ah! ah! ah!“ macht [auf die sich sein Begehren richtet]. Sie sind keineswegs dasselbe, die Oralen schwärmen deshalb für Brüste, weil die Brust für sie ein Phallus ist [im Phantasma ist das Objekt a eine Phallusmetapher, die aktuelle Brust ist also nicht prägenital, sondern die durch den Kastrationskomplex transformierte Brust]. Wie Melanie Klein sagt: Der Phallus ist eine kleine Brust.
Die manifeste Brust ist die Wiederkehr der verdrängten Brust im Symptom oder in der perversen Skala; die manifeste Brust dient dazu, das phallische Objekt heraufzubeschwören.
Lacan stellt die Beziehung zwischen der latenten und der manifesten Brust durch diese Formel dar:
[Links unten]: die latente Brust, Gegenstand der Fixierung [prägenitale orale Beziehung]; [rechts oben:] die Wiederkehr der verdrängten Brust, etwa in einem Symptom oder in einer Perversion. [Brust (a) fungiert als Phallusmetapher.]
Inwiefern bezieht sich das Subjekt auf die [manifeste] Brust als Phallus? Insofern die [manifeste] Brust [rechte Seite] wie eine Art Pingpongball funktioniert, d.h. im Alternieren von Abwesenheit und Anwesenheit. Und hinter dieser Pingpongfunktion steckt der Phallus als Übergang vom (a+) zum (a–) [der symbolische Phallus im Sinne des Gegensatzes von Anwesenheit und Abwesenheit (vgl. Seminar 4 von 1956/57, Die Objektbeziehung und diesen Blogartikel)].
Und damit sind wir in der Beziehung der Identifizierung, bei der es um das Verhältnis des ausgestrichenen Subjekts [$] zu I(A) geht [zum Ichideal], zum Ein [zum einzigen Zug], insofern das Ein die Bedeutung des Anderen als solchen annimmt. Das Subjekt, um das es bei dieser Identifizierung geht, ist das Subjekt der Frustration. [In der Frustrationsbeziehung ist der Andere der allmächtige Andere, insofern er die Befriedigung des Anspruchs erfüllen oder verweigern kann, das Subjekt antwortet hierauf mit dem Liebesanspruch und mit der Identifizierung (vgl. hierzu ausführlich Seminar 4).]
Das, was das Subjekt durch diese Form der Identifizierung assimiliert, nämlich die Frustration, steht in enger Beziehung zum Wechsel von a plus und a minus [zum Erscheinen und Verschwinden der Mutterbrust]. Lacan stellt diesen Wechsel als Produkt von +a und –a dar, als –a2. Hierbei ist die Negation [bzw. das Minus] irreduzibel: Die Affirmation der Negation ist eine Negation, aber auch die Negation der Affirmation ist eine Negation [das Entsprechende gilt für Plus und Minus].
Wenn man aus –a2 die Wurzel zieht, kommt man zur imaginären Zahl, zu i. [Die imaginäre Zahl, i, ist für Lacan ein Symbol für das ausgestrichene Subjekt98.]
Es geht [bei –a2] nicht um die Abwesenheit oder um die Anwesenheit des klein a, sondern um die Konjunktion von beiden, um den Schnitt, es geht um die Disjunktion von a und minus a. [Im französischen Original findet man hinter „Schnitt“ einen Punkt, was dazu führt, dass man Konjunktion mit Schnitt mehr oder weniger gleichsetzt und beiden die Disjunktion gegenüberstellt. Ich nehme an, dass Lacan hier unter „Schnitt“ die Verbindung von Konjunktion und Disjunktion versteht und setzte deshalb nach „Schnitt“ ein Komma. Unter „Schnitt“ versteht Lacan ab dem Aufsatz Die Lenkung der Kur und die Prinzipien ihrer Macht (1960) das Symbol der Raute, ◊, aufgefasst als Verbindung von Konjunktion und Disjunktion, von Und, ∧, und Oder, ∨.99]
[Unter dem symbolischen Phallus versteht Lacan die Einheit von Anwesenheit und Abwesenheit, ihr Aufeinander-Bezogensein. Wenn das Objekt als Verbindung und Trennung von Anwesenheit und Abwesenheit existiert, fungiert es als Phallusmetapher.]
Eben das ist der Punkt, wo das Subjekt sich verorten kann, wo sich die Identifizierung mit dem Objekt des Begehrens herstellt [nämlich an dem Punkt, an dem das Objekt als Phallusmetapher wirksam ist].
Von der Logik des Begriffs zur Logik des Signifikanten: der einzelne Zug (21. Februar 1962)
Übersetzung
Am 21. Februar 1962 erinnert Lacan zu Beginn der Sitzung daran, dass er in der vorangegangenen Sitzung über das metonymische Objekt gesprochen hatte, beispielsweise das des Oraltriebs, sowie darüber, dass der Signifikant den Widerspruch stützt, etwa in der Russell’schen Antinomie. Danach heißt es:
„Daraus ergab sich, dass, bezogen auf dieses Objekt des Oraltriebs, insofern wir es als die ursprüngliche Brust auffassen, dass sich zu dieser generischen mamme der psychoanalytischen Objektkonstituierung die folgende Frage stellen konnte: Hat, unter diesen Bedingungen, die reale Brust ‚mammalen‘ Charakter? Nein, habe ich Ihnen gesagt. Was ganz offenkundig ist, denn wenn die Brust in der Oralerotik erotisiert ist, ist sie das, insofern sie etwas ganz anderes ist als eine Brust – wie Ihnen nicht unbekannt ist.
Und nach der letzten Sitzung hat jemand sich mir genähert und gesagt: ‚Ist, unter diesen Bedingungen, der Phallus phallisch?‘ Natürlich nicht!
Oder genauer muss man Folgendes sagen: Insofern in einem bestimmten Stadium der Phallus-Signifikant zu einem Faktor für die Enthüllung des Sinns der Signifikantenfunktion wird, insofern der Phallus, bezogen auf die symbolische Funktion, an eben den Platz gelangt, an dem die Brust war; insofern das Subjekt sich als phallisch konstituiert, ist der Penis – der im Inneren der Klammer ist, die die Menge der Objekte enthält, die dem Subjekt im phallischen Stadium zugekommen sind –, ist der Penis, so kann man sagen, genauso wenig phallisch wie die Brust ‚mammalisch‘ ist; allerdings geht es auf dieser Ebene um sehr viel schwerwiegendere Dinge, nämlich darum, dass der Penis, Teil des realen Körpers, der Drohung ausgesetzt ist, die als Kastration bezeichnet wird. Aufgrund der Signifikantenfunktion des Phallus wird der reale Penis dem ausgesetzt, was zuerst in der analytischen Erfahrung als Drohung erfasst worden ist, nämlich der Kastrationsdrohung.
Das ist also der Weg, auf den ich Sie führe, ich zeige Ihnen hier seinen Zweck und sein Ziel. Jetzt geht es darum, ihn Schritt für Schritt zu durchlaufen, anders gesagt, auf das zurückzukommen, was ich, seit wir dieses Jahr begonnen haben, vorbereite und nach und nach angehe, nämlich die besondere Funktion des Phallus bei der Identifizierung des Subjekts.
Dass wir uns recht verstehen, bei all dem, das heißt dabei, dass wir in diesem Jahr über die Identifizierung sprechen, das heißt dabei, dass von einem bestimmten Moment des Freud’schen Werkes an die Frage der Identifizierung an die erste Stelle rückt, dass sie zu dominieren beginnt, dass sie die gesamte Freud’sche Theorie umzuarbeiten beginnt, bei all dem geht es darum – man errötet fast, es sagen zu müssen –, dass von einem bestimmten Moment an, für uns nach Freud, für Freud vor uns, sich die Frage nach dem Subjekt als solchem stellt, nämlich: Wer ist? Wer ist da? Wer funktioniert? Wer spricht? Wer – noch vieles andere.
Und deshalb musste man tatsächlich damit rechnen – bei einer Technik, die grob gesagt eine Kommunikationstechnik ist, eine Technik, bei welcher der eine sich an den anderen wendet, und, um es klar zu sagen, eine Beziehungstechnik –, musste man tatsächlich wissen, wer da spricht und mit wem.
Und aus diesem Grunde betreiben wir in diesem Jahr Logik.
Ich kann nichts dafür, es geht nicht darum, ob mir das gefällt oder ob mir das missfällt. Das missfällt mir nicht. Es mag andere geben, denen das nicht missfällt. Aber eins ist sicher: dass es unvermeidlich ist. Es geht darum, zu welcher Logik uns das führt. Sie haben ja sehen können, dass ich Ihnen bereits gezeigt habe – ich bemühe mich, die Sache so knapp wie möglich zu halten, ich versichere Ihnen, dass ich hier nicht die Schule schwänze –, wo wir uns im Verhältnis zur formalen Logik verorten und dass es sicherlich nicht so ist, dass wir dazu kein eigenes Wort zu sagen hätten.
Ich erinnere Sie an die kleine Kreisscheibe, die ich zu allerlei nützlichen Zwecken für Sie konstruiert habe und auf die zurückzukommen wir vielleicht mehr als einmal die Gelegenheit haben werden, damit dies zumindest – aufgrund des Tempos, zu dem wir gezwungen sind, um in diesem Jahr unser Ziel zu erreichen –, damit dies nicht noch einige Monate oder Jahre lang eine Aussage bleiben muss, die in der Schwebe bleibt, für den Einfallsreichtum derjenigen, die sich die Mühe machen, auf das, was ich Sie lehre, zurückzukommen.
Aber sicherlich handelt sich keineswegs nur um formale Logik. Geht es um das, ist es das, was man seit Kant – ich meine seit Kant auf gut ausgearbeitete Weise – als transzendentale Logik bezeichnet? Anders gesagt, geht es um die Logik des Begriffs? Sicherlich auch das nicht. Es ist sogar ziemlich erstaunlich, zu sehen, wie sehr der Terminus des Begriffs im Funktionieren unserer Kategorien offensichtlich abwesend ist.
Was wir ausarbeiten – im Augenblick geht es keineswegs darum, dass wir uns groß bemühen, dem ein genaueres Etikett zu geben –, ist eine Logik, über die einige sogleich sagen, dass ich mich bemüht habe, eine Art elastische Logik zu konstituieren. Aber nun ja, das genügt nicht, um etwas zu konstituieren, das für den Geist wirklich beruhigend wäre.
Wir arbeiten eine Logik des Funktionierens des Signifikanten aus. Denn ohne diesen als primär, als grundlegend konstituierten Bezug des Subjekts zum Signifikanten ist das, was ich hier vorbringe, dies, dass es eigentlich undenkbar ist, dass es einem gelingt, den Irrtum zu verorten, in den die gesamte Analyse sich zunehmend verstrickt hat und der eben darauf beruht, dass sie nicht die Kritik der transzendentalen Logik im kantischen Sinne durchgeführt hat, die von den neuen Tatsachen, die sie, die Psychoanalyse, mitbringt, streng aufgenötigt wird.
Dies – ich will Ihnen etwas anvertrauen, was an sich keine historische Bedeutung hat, was ich aber glaube, Ihnen dennoch als Anregung mitteilen zu können –, dies hat mich dazu gebracht, während der Zeit, in der ich, kurz oder lang, von Ihnen und unseren wöchentlichen Begegnungen getrennt war, die Nase wieder, nicht, wie ich es vor zwei Jahren getan habe, in die Kritik der praktischen Vernunft zu stecken, sondern in die Kritik der reinen Vernunft.
Da es durch Zufall dazu kam, dass ich aufgrund eines Vergessens nur mein deutsches Exemplar mitgenommen hatte, habe ich sie nicht vollständig wiedergelesen, sondern nur das Kapitel, das „Einführung in die transzendentale Analytik“ heißt.100
Und obgleich es bedauerlich ist, dass die etwa zehn Jahre, seit denen ich mich an Sie wende, hinsichtlich der Verbreitung des Deutschlernens unter Ihnen, wie ich glaube, nicht viel Wirkung gehabt haben – was mich immer wieder in Erstaunen versetzt, was eine dieser kleinen Tatsachen ist, die mich manchmal dazu bringen, mir mein eigenes Bild als das einer Figur aus einem gut bekannten surrealistischen Film widerzuspiegeln, einem Film mit dem Titel Ein andalusischer Hund, das Bild eines Mannes, der mithilfe von zwei Seilen einen Flügel hinter sich herzieht, auf dem, das soll jetzt keine Anspielung sein, zwei tote Esel liegen101 –, bis auf dies, dass zumindest diejenigen, die bereits Deutsch können, nicht zögern sollten, das Kapitel der Kritik der reinen Vernunft, das ich ihnen angebe, wieder zu öffnen, das wird ihnen sicherlich helfen, die Art der Umkehrung, die ich in diesem Jahr für Sie zu artikulieren versuche, richtig einzuordnen.
Aber in gewissem Sinne glaube ich, Sie ganz einfach daran erinnern zu können – das ist kein Universalschlüssel, sondern ein Hinweis –, dass das Wesentliche in der radikal anderen, exzentrischen Weise besteht, in der ich versuche, Sie dazu zu bringen, einen Begriff aufzufassen, der bei Kant die gesamte Strukturierung der Kategorien beherrscht. Wobei er nichts anderes tut, als hinter das, wovon das philosophische Denken beherrscht wurde, den gereinigten Punkt zu setzen, den Punkt der Vollendung, den Endpunkt, und zwar soweit, dass er es hier in gewisser Weise abschließt, bezogen auf die Funktion der Einheit*, die Grundlage jeder Synthese ist, der ‚Synthesis a priori‘, wie er sich ausdrückt, und die sich tatsächlich, seit der Zeit, in der sie sich ausgehend von der platonischen Mythologie entwickelt hat, als der notwendige Weg aufzudrängen scheint: das Ein, das große Ein, welches das gesamte Denken von Platon bis Kant beherrscht, das Ein, das für Kant als synthetische Funktion sogar das Modell für das ist, was in jeder Kategorie a priori, wie er sagt, die Funktion einer Norm mit sich führt, verstehen Sie das recht: einer universalen Regel.
Nun, sagen wir also, um dem, was ich seit Beginn des Jahres für Sie artikuliere, eine spürbare Zuspitzung hinzuzufügen: Wenn es wahr ist, dass die Funktion des Ein in der Identifizierung, wie sie von der Analyse der Freud’schen Erfahrung strukturiert und dekomponiert wird, nicht die der Einheit* ist, sondern diejenige, die ich seit Beginn des Jahres versucht habe, Sie konkret spüren zu lassen, als der ursprüngliche Akzent dessen, was ich hier den einzigen Zug / den Unärstrich (trait unaire) genannt habe – das heißt, etwas ganz anderes als der Kreis, der versammelt, worin auf der Ebene einer imaginären summarischen Anschauung die gesamte logische Formalisierung letztlich mündet, nicht der Euler’sche Kreis, sondern etwas ganz anderes, nämlich das, was ich hier ein Ein genannt habe, dieser Zug oder Strich (trait), diese unverortbare Sache, diese Aporie für das Denken, die genau darin besteht, dass er, je mehr er gereinigt und vereinfacht wird, je mehr er durch hinreichende Verkürzung seiner Anhängsel auf irgendetwas reduziert wird –, desto mehr kann er damit enden, dass er sich auf dies reduziert: auf ein Ein.
Das, was es an Wesentlichem gibt, an Originalität, bei der Existenz dieses einzelnen Zugs und seiner Funktion und seiner Einführung – wie es dazu gekommen ist, das ist genau das, was ich offen lasse, denn es ist nicht so klar, dass es durch den Menschen dazu kam, wenn es nämlich unter bestimmtem Aspekt möglich ist, wahrscheinlich ist, jedenfalls wird das von uns als Frage aufgeworfen, dass von hier der Mensch ausgegangen ist –, also, die Paradoxie dieses Ein besteht genau in Folgendem: Je mehr es sich ähnelt, ich meine, je mehr all das, was zur Verschiedenheit der Erscheinungen gehört, ausgelöscht wird, umso mehr stützt es, umso mehr ein-karniert es (il un-carne), möchte ich sagen, wenn Sie mir dieses Wort gestatten, die Differenz als solche.
Die Umkehrung der Position in Bezug auf das Ein führt dazu, dass wir darauf achten, von der kantischen Einheit zur Einzigkeit* überzugehen, zur unicité, die als solche ausgedrückt wird.
Wenn ich damit, wenn ich so sagen kann, versuche – um einem Titel einen Ausdruck zu entlehnen, einem Titel, der Ihnen, so hoffe ich, bekannt ist, einer literarischen Improvisation von Picasso102 –, wenn ich mich damit in diesem Jahr entschieden habe, das zu tun zu versuchen, was Sie, wie ich hoffe, dazu bringen wird, es auch zu tun, nämlich ‚das Begehren beim Schwanz zu erwischen‘, wenn ich mich darauf beziehe, das heißt nicht auf die primäre Identifizierung, die Freud definiert hat, die nicht leicht zu handhaben ist, die der Einverleibung, die des Verzehrs des Feindes, des Gegners, des Vaters, wenn ich von der zweiten Form der Identifizierung ausgegangen bin, nämlich von dieser Funktion des einzigen Zugs, dann offensichtlich mit diesem Ziel.103
Aber Sie sehen, wo hier die Umkehrung ist, sie besteht darin, dass, wenn diese Funktion – ich glaube, das ist der beste Ausdruck, den wir deshalb nehmen müssen, weil er der abstrakteste ist, weil er der biegsamste ist, weil er der im eigentlichen Sinne signifikanteste ist, das ist einfach ein großes F –, wenn die Funktion, die wir diesem Ein geben, nicht mehr die der Einheit* ist, sondern die der Einzigkeit*, dann bedeutet das – wir sollten nicht vergessen, worin die Neuartigkeit der Analyse besteht – , dass wir von den Tugenden der Norm zu den Tugenden der Ausnahme übergegangen sind. Etwas, das Sie immerhin ein klein wenig behalten haben, und das mit Grund.
Die Spannung des Denkens arrangiert sich damit, indem sie sagt: „Die Ausnahme bestätigt die Regel.‘ Auch das ist, wie viele Dummheiten, eine tiefe Dummheit; es genügt einfach, dass man in der Lage ist, sie freizuschälen. Hätte ich nichts anderes getan, als diese Dummheit ganz zum Leuchten zu bringen, wie einen dieser kleinen Scheinwerfer, die man auf dem Dach von Polizeiwagen sieht, dann wäre das auf der Ebene der Logik wohl bereits ein kleiner Vorteil. Aber offenkundig ist das ein Nebengewinn.
Sie werden es sehen, vor allem dann, wenn einige von Ihnen –; vielleicht könnten einige so weit gehen, sich dem zu widmen, so weit, eines Tages an meiner Stelle eine kleine Zusammenfassung zu geben, darüber, wie man die Kant’sche Analytik neu interpunktieren muss.
Sie gehen recht in der Annahme, dass es für all dies Ansatzpunkte darin gibt, dass Kant das allgemeine Urteil und das besondere Urteil unterscheidet104 und das einzelne Urteil davon isoliert105, womit er die tiefen Verwandtschaften mit dem allgemeinen Urteil zeigt, ich meine das, was bereits alle vor ihm gesehen haben, aber indem er zeigt, dass es nicht genügt, sie zu versammeln, insofern das einzelne Urteil eben seine Unabhängigkeit hat, ist es als Gelenkstück da, als Ansatzpunkt für die Umkehrung, über die ich zu Ihnen spreche.
Das ist nur ein Beispiel. Es gibt bei Kant viele andere Dinge, die diese Umkehrung anbahnen. Merkwürdig ist, dass man das nicht bereits früher getan hat.
Es ist offenkundig, dass das, worauf ich vor Ihnen beim vorletzten Mal am Rande angespielt habe, nämlich die Seite, die Monsieur Jespersen, Sprachwissenschaftler, so empört hat106 – was beweist, dass die Sprachwissenschaftler keineswegs mit irgendeiner Unfehlbarkeit ausgestattet sind –, nämlich dass eine Paradoxie darin läge, dass Kant die Negation unter die Rubrik derjenigen Kategorien stellt, die die Qualität bezeichnen, nämlich als zweite Phase, wenn man so sagen kann, der Kategorien der Qualität, wobei die erste die Realität ist, die zweite die Negation und die dritte die Limitation.107
Diese Sache, die überrascht, und bei der er uns damit überrascht, dass es diesen Sprachwissenschaftler so sehr überrascht, nämlich Monsieur Jespersen in dieser umfangreichen Arbeit über die Negation, die er in den Annalen der dänischen Akademie veröffentlicht hat, man ist umso mehr überrascht, als dieser lange Artikel über die Negation eben dazu da ist – alles in allem, von einem Ende zum anderen –, um uns zu zeigen, dass die Negation, linguistisch gesehen, etwas ist, was, wenn ich so sagen darf, nur durch eine beständige Überbietung (surenchère perpétuelle) Bestand hat. Das ist also nichts so Einfaches, dass sie unter die Rubrik der Quantität zu bringen wäre108, wo sie sich schlicht und einfach mit dem vermengen würde, was sie der Quantität nach ist, das heißt mit der Null. Aber ich habe Ihnen bereits genügend Hinweise darauf gegeben; denjenigen, die das interessiert, gebe ich den Beleg – die große Arbeit von Jespersen ist wirklich etwas Bemerkenswertes.
Aber wenn Sie das Dictionnaire d’étymologie latine von Ernout und Meillet aufschlagen109 und sich einfach auf den Artikel „ne“ beziehen, werden Sie der historischen Komplexität des Problems des Funktionierens der Negation gewahr werden, nämlich der tiefen Mehrdeutigkeit, die dazu führt, dass die Negation – nachdem sie diese ursprüngliche Funktion der Diskordanz gewesen ist, auf die ich immer wieder hingewiesen habe wie zugleich auf ihre ursprüngliche Natur –, dass die Negation sich immer auf etwas stützen muss, was eben von der Natur des Ein ist, so wie wir hier näher zu erfassen versuchen, dass die Negation keine Null ist, linguistisch gesehen niemals, sondern ein ’nicht ein‘.
Derart, dass beispielsweise das alleinstehende lateinische non [nicht] – um etwas zu veranschaulichen, was Sie in diesem Werk finden können, das bei der dänischen Akademie während des Ersten Weltkriegs erschienen ist und deshalb sehr schwer zu finden ist –, dass beispielsweise das lateinische non selbst, das den Anschein erweckt, die allereinfachste Form der Negation zu sein, bereits ein ne oinom ist, in der Form von unum, das ist bereits ein ‚nicht ein‘. Und nach einiger Zeit vergisst man, dass das ein ‚nicht ein‘ ist, und in der Folge setzt man an die Stelle wieder ein ‚ein‘.110
Und die gesamte Geschichte der Negation ist die Geschichte dieser Aufzehrung durch etwas, was wo ist? Das ist genau das, was wir einzukreisen versuchen: die Funktion des Subjekts als solchem.
Und aus diesem Grunde sind die Bemerkungen von Pichon sehr interessant, die uns zeigen, dass man im Französischen das Operieren der beiden Elemente der Negation besonders gut sieht – die Beziehung des ‚ne‘ zum ‚pas‘ –, sodass man sagen kann, dass das Französische tatsächlich die Sonderstellung hat, übrigens keineswegs einzig unter den Sprachen, zu zeigen, dass es im Französischen keine wirkliche Negation gibt.111
Es ist übrigens eigenartig, dass er nicht bemerkt, dass dies – wenn die Dinge so stehen – über das Feld der französischen Domäne, wenn man sich so ausdrücken kann, ein bisschen hinausgehen muss.112 Denn es ist sehr leicht, sich über alle Arten von Formen hinweg klarzumachen, dass damit zwangsläufig überall dasselbe ist, angesichts dessen, dass die Funktion des Subjekts nicht bis in ihre Wurzel hinein von der Verschiedenheit der Sprachen abhängt.
Es ist sehr leicht, sich klarzumachen, dass das ‚not‘ in einem bestimmten Moment der Entwicklung der englischen Sprache etwas wie ‚naught‘ [Nichts] ist.113“114
Danach spricht Lacan über das Seminar des vorangehenden Jahres – das Seminar zur Übertragung – und erklärt dann, dass es darum geht, die logische Funktion der 1 mit dem Thema des Begehrens zu verbinden.
Paraphrase mit Ergänzungen
Phallus und Kastration
Das Objekt des Oraltriebs ist die ursprüngliche Brust, die generische mamme. Hat die reale Brust [die weibliche Brust als Organ, die Brustdrüse] „mammalen“ Charakter, fungiert sie als mamme? [Ist das Brustorgan Gegenstand des Oraltriebs, ist sie mamme?] Nein. Die Brust, die in der Oralerotik erotisiert ist [also die mamme], ist etwas anderes als die reale Brust [als das Brustorgan].
Von daher kann man sich die Frage stellen, ob der Phallus [im Sinne des Penisorgans] phallisch ist [ob der Penis also der „Phallus“ im Sinne der Psychoanalyse ist]? Ebenfalls nicht. [Damit geht Lacan von der Privation (Brust) zur Kastration über.] In einer bestimmten Entwicklungsphase [auf der „phallischen Stufe“, wie Freud sagt] wird der Phallus-Signifikant zu einem Faktor, der eine bestimmte Signifikantenfunktion enthüllt, nämlich die Funktion des Sinns. [Vielleicht ist gemeint: Der Phallus-Signifikant wird zu dem Faktor, der dafür sorgt, dass sich das Kind die Frage stellt „Was bedeutet das?“ im Sinne von „Was will der Andere mit seinem rätselhaften Verhalten?“]. Der Phallus gelangt, bezogen auf die symbolische Funktion, an den Platz, an dem die Brust war. Wenn das Subjekt sich als phallisch konstituiert [wenn es auf der „phallischen Stufe“ ist], ist der Phallus im Inneren der Klammer, in der die Objekte enthalten sind, auf die sich das Subjekt während der phallischen Stufe bezieht [die Beziehung zum oralen und zum analen Objekt wird vom Phallus-Objekt her reorganisiert].
Dabei gilt für den Penis, dass er nicht phallisch ist, so wie für die Brust gilt, dass sie nicht „mammalisch“ ist. Aber es geht auf dieser Ebene um mehr, nämlich darum, dass der Penis, als Teil des realen Körpers, der von der Psychoanalyse entdeckten Kastrationsdrohung ausgesetzt wird. [Die phallische Stufe ist die Stufe des Kastrationskomplexes.]
Dieser Drohung wird der Penis aufgrund der Signifikantenfunktion des Phallus ausgesetzt. [Die Beziehungskette ist also: (a) der Penis bekommt Signifikantenfunktion, und dies führt zu (b), nämlich dazu dass der Penis in Signifikantenfunktion der Kastrationsdrohung ausgesetzt wird.]
Identifizierung
Bei der Identifizierung des Subjekts spielt der Phallus eine Sonderrolle, und darum soll es im Folgenden gehen.
Thema dieses Seminars ist die Identifizierung. Freud hat dieses Konzept in einem bestimmten Moment eingeführt [vor allem mit dem Kapitel über Identifizierung in Massenpsychologie und Ich-Analyse von 1921] und von hier aus seine Theorie umgearbeitet. Bei der Identifizierung geht es um das Subjekt: Wer ist das Subjekt? Wer spricht?
Die Psychoanalyse ist, grob gesagt, eine Technik der Kommunikation, d.h. eine Technik, bei der es darum geht, dass sich der eine [sprechend] an den anderen wendet; von daher musste man damit rechnen, dass die Frage auftauchte: Wer spricht mit wem?
Logik des Signifikanten
Und aus eben diesem Grunde betreibt Lacan in diesem Jahr Logik. Er hält das für unvermeidlich. [Bei Lacans Beschäftigung mit der Logik geht es also darum, das Thema des Subjekts anzugehen, darum, die Frage zu beantworten, wer mit wem spricht.] [¿ Was hat Logik mit Kommunikation zu tun? Welche Antwort gibt hierauf die Logik?]
Die nächste Frage ist dann, zu welcher Logik uns das führt. Lacans Antwort: es geht um eine „Logik des Funktionierens des Signifikanten“. um eine Logik, bei der es um den „als primär, als grundlegend konstituierten Bezug des Subjekts zum Signifikanten“ geht.
Für die Ausarbeitung dieser Logik bezieht Lacan sich [kritisch, problematisierend] auf zwei etablierte Arten der Logik, auf die formale Logik und auf die transzendentale Logik. [Die „transzendentale Logik“ ist ein Teil von Kants Kritik der reinen Vernunft. Diese Logik fragt, wodurch das Denken in Begriffen ermöglicht wird, und zwar „a priori“, d.h. unabhängig von der Erfahrung. Kants transzendentale Logik knüpft an die aristotelische Logik an; das Haupt-Verbindungsstück ist die sogenannte Urteilstafel (B 95).]
Die Logik, die Lacan ins Auge fasst, ist keine Logik des Begriffs, im Funktionieren der Kategorien der Psychoanalyse ist der Terminus des Begriffs abwesend. [Sowohl in der aristotelischen Logik als auch in der kantischen transzendentalen Logik ist die elementare Größe der Begriff: Begriffe werden zum Urteil zusammengesetzt; Urteile zum Schluss.]
Die Psychoanalyse hat es versäumt, die Kritik der transzendentalen Logik im kantischen Sinne durchzuführen, die ihr von den neuen Tatsachen, die sie mitbringt, jedoch aufgenötigt wird [vgl. Sitzung vom 13. Dezember 1961, Misstrauen gegenüber dem Universalen]. [Die Psychoanalyse hat sich von der Ordnung des Begriffs – des Signifikats und der Ganzheit – nicht emanzipiert, sie ist nicht zur Ordnung der Signifikanten und des Einzelnen übergegangen.]
Bei Kant werden die Kategorien vom Begriff her strukturiert. Für Kant ist der Begriff die Grundlage der Synthese, der „Synthesis a priori“, wie Kant sich ausdrückt, des „Ein“ [im Sinne der Ganzheit]. Dieses große Ein beherrscht das gesamten Denken von Platon bis zu Kant. [Begriffe dienen, Kant zufolge, der Synthese, der „Synthesis“, und die Synthese ist für ihn eine Norm, eine universale Regel.]
Einziger Zug versus Kreis
Freud hat jedoch gezeigt, sagt Lacan, dass der Begriff exzentrisch bestimmt werden muss [von außerhalb des Kreises her].
Freud hat gezeigt, dass die Funktion des „Ein“ in der Identifizierung besteht, und hier hat das „Ein“ nicht die Funktion der Einheit, sondern des einzigen Zugs / des einzelnen Zugs / des Unärstrichs / des Einzelstrichs (trait unaire). Bei der Identifizierung geht es nicht um den Kreis, der versammelt [als Veranschaulichung des Begriffs] – bei diesem Kreis endet die logische Formalisierung, wenn sie den Syllogismus [den logischen Schluss] durch Euler’sche Kreise darstellt. Nicht um den Kreis geht es, sondern um den Zug oder Strich (trait). Je mehr dieser Zug reduziert und vereinfacht wird, desto mehr reduziert er sich auf das Ein [im Sinne des Einzelnen]. [Der trait, der Zug/Strich, steht für Lacan also im Gegensatz zum Kreis.]
Das „Ein“ ist eine Aporie für das Denken. [¿ Worin besteht die Aporie des Ein?]
Wie kam es historisch zur Einführung des einzigen Zugs / des Einzelstrichs? Wurde er durch den Menschen eingeführt? Lacan wirft die Frage auf, ob nicht vielmehr umgekehrt der Mensch durch den einzelnen Zug eingeführt worden ist.
Je mehr beim einzelnen Zug die Verschiedenheit der Erscheinungen ausgelöscht wird, je mehr er also reduziert wird, desto mehr verkörpert der einzelne Zug die Differenz als solche.
Es geht also darum, einen Übergang zu vollziehen: vom kantischen Ein im Sinne der Einheit [der Synthese, der Ganzheit, der Totalität] zum Ein im Sinne der Einzigkeit* [der „Einzelnheit“, wenn man so sagen könnte].
In diesem laufenden Seminar über die Identifizierung geht es, mit einer Formulierung von Picasso, darum, sagt Lacan, das „Begehren beim Schwanz zu erwischen“. [Die Einwirkung des Signifikanten auf das Subjekt in Form der Identifizierung hat das Begehren zur Folge.]
Dabei geht es Lacan nicht um den Typ der Identifizierung, den Freud [in Massenpsychologie und Ich-Analyse] als „primäre Identifizierung“ bezeichnet, also nicht um die Einverleibung des Feindes, des [idealisierten] Vaters. Vielmehr geht Lacan von derjenigen Form der Identifizierung aus, die [in Massenpsychologie und Ich-Analyse] die zweite Form der Identifizierung ist, von der Identifizierung mit dem „einzelnen Zug“ [des verlorenen Liebesobjekts]. Hierbei hat das Ein nicht mehr die Funktion der „Einheit*“, sondern der „Einzigkeit*“.
Von der Norm zur Ausnahme
Der Wechsel von der Einheit* zur Einzigkeit bedeutet, dass man von den Tugenden der Norm zu den Tugenden der Ausnahme übergeht, eben darin besteht die Neuartigkeit der Analyse. [Lacan spielt damit vielleicht auf Freuds These an, dass das Normale vom Pathologischen her zu begreifen ist.] Das Verhältnis von Regel und Ausnahme erzeugt eine Spannung, und man arrangiert sich damit, indem man sagt: „Die Ausnahme bestätigt die Regel.“ Das ist eine Dummheit [da sie das Verhältnis von Regel und Ausnahme durch den Vorrang der Regel harmonisiert], eine Dummheit, die jedoch etwas Tiefes enthält, und Lacan ist es wichtig, dieses Tiefe auf der Ebene der Logik zum Leuchten zu bringen [möglicherweise ist gemeint: als Verhältnis von universal bejahender Aussage und leerem Feld im Quadrantenschema]. Aber das ist nur ein Nebengewinn.
[¿ Worin besteht der Zusammenhang zwischen dem „einzelnen Zug“ und der Ausnahme?]
Einen Ansatzpunkt [für den Wechsel vom Einen als Totalität bzw. als Ganzheit zum Einen als „einzigem Zug“] findet man bei Kant, und zwar darin, dass Kant [in der Urteilstafel der Kritik der reinen Vernunft bei der Quantität des Urteils] nicht nur das allgemeine und das besondere Urteil voneinander unterscheidet, sondern außerdem das einzelne Urteil. Das einzelne Urteil ist der Ansatzpunkt für die Umkehrung [der Logik], auf die Lacan abzielt [also ein Anknüpfungspunkt für eine Logik des Signifikanten als Logik des „einzigen“ bzw. „einzelnen Zugs“].
Negation
Ein anderer Anknüpfungspunkt bei Kant ist dessen Auffassung von der Negation.
Von Kant wird die Negation zu den Kategorien der Qualität gerechnet; Kant zufolge gibt es drei Kategorien der Qualität: Realität, Negation und Limitation (B 106). [Der Gegensatz von bejahendem und verneinendem Urteil gilt in der traditionellen Logik als ein Gegensatz der Qualität.]
Der dänische Sprachwissenschaftler Otto Jespersen hingegen rechnet in seiner großen Arbeit über Negation (1917) die Negation zur Quantität, das heißt Jespersen begreift die Negation als Null. Das zeigt, dass Sprachwissenschaftler nicht unfehlbar sind [da die Negation keineswegs als eine Art Null zu deuten ist].
Dabei weist Jespersen allerdings darauf hin, dass die Negation komplizierter ist, dass sie nur durch eine „beständige Überbietung“ (surenchère perpétuelle) Bestand hat. Und das zeigt, dass die Negation nicht einfach eine Quantität ist, keine Null.
Die Etymologie des „ne“ zeigt nämlich, dass die Negation [nicht von der Null her, sondern] von „Ein“ her zu begreifen ist: die Negation ist ein „nicht ein“. Beispielsweise entsteht das lateinische non aus ne oinom bzw. ne unum, also aus „nicht ein“; später fällt das „ein“ weg. [Die „Überbietung“ dürfte also darin bestehen, dass das „ein“ vom „nicht“ überboten wird; das erste Gebot (im Sinne einer Versteigerung) wäre das „ein“ und das zweite Gebot, die Überbietung, wäre das „nicht ein“.]
Die Etymologie der Negation zeigt, dass ihre ursprüngliche Funktion die der Diskordanz ist [der Zurückweisung von etwas], dass sie sich also immer auf etwas beziehen muss, was ein „Ein“ ist, dass sie also, linguistisch gesehen, „nicht ein“ ist und keineswegs eine Null. Nach einiger Zeit vergisst man, dass das „nicht“ ein „nicht ein“ ist und fügt zu „nicht“ ein „ein“ wieder hinzu. Die Geschichte der Negation ist die Geschichte dieser Aufzehrung [des fundierenden „ein“]. Damit stellt sich die Frage, wodurch diese Aufzehrung bewirkt wird. Lacans Antwort lautet: durch das Subjekt. Eben das versuche er einzukreisen: die Funktion des Subjekts. [Das erinnert an Freuds Aufsatz über die Verneinung, wonach die Verneinung sich auf einen Gedanken bezieht, der verdrängt ist.]
Das Französische, in dem die Negation mit „ne … pas“ gebildet wird, zeigt besonders gut das Funktionieren der Negation. Das zeigt, dass es im Französischen keine wirkliche Negation gibt. [¿ Sinn?] Aber das gibt es auch in anderen Sprachen, denn die Funktion des Subjekts hängt nicht von der Verschiedenheit der Sprachen ab. In einem bestimmten Moment der englischen Sprache ist das „not“ etwas wie „naught“ [nichts]. [Damit geht es um das Verhältnis zwischen „nicht“ und „nichts“, zwischen sprachlicher Negation und ontologischem Nichtsein.]
Arten des Nichts (28. Februar 1962)
Übersetzung
In der nächsten Sitzung spricht Lacan wieder über den trait unaire, den einzige Zug, einzelnen Zug, Einzelstrich, Unärstrich. Er merkt an, dass zwei Logiker, Jevons und Schröder, dasselbe Gewicht darauf gelegt haben wie er. Er wolle den Gegensatz von Einheit und Einzigkeit* ausarbeiten und über die Rolle des Sexualtriebs bei der Konstituierung des Subjekts sprechen. Dann heißt es:
„Bezogen auf die erste Tatsache, die Verbindung des Subjekts mit diesem einzigen Zug (trait unaire), werde ich heute – da ich denke, dass der Weg hinreichend artikuliert ist – den Endpunkt setzen, indem ich Sie daran erinnere, dass diese Tatsache, die in unserer Erfahrung so wichtig ist und die von Freud herausgestellt wurde, in Bezug auf das, was er als den Narzissmus der kleinen Differenzen bezeichnet115, dass dies dasselbe ist wie das, was ich die Funktion des einzelnen Zugs nenne.
Denn das ist nichts anderes als die Tatsache, dass sich, ausgehend von einer kleinen Differenz – und ‚kleine Differenz‘ zu sagen, bedeutet nichts anders als diese absolute Differenz, über die ich zu Ihnen spreche, diese Differenz, die von jedem möglichen Vergleich abgelöst ist –, dass sich an diese kleine Differenz, insofern sie dasselbe ist wie das große I, das Ichideal, die gesamte narzisstische Ausrichtung anpassen kann, das Subjekt, das als Träger dieses einzigen Zugs konstituiert ist oder nicht.
Das erlaubt es uns heute, den ersten Schritt in Richtung auf das zu tun, was Gegenstand unserer nächsten Sitzung sein wird, nämlich die Wiederaufnahme der Funktionen Privation, Frustration und Kastration.
Wenn wir sie gleich wiederaufzunehmen, werden wir ahnen können, wo und wie sich diese Frage stellt, nämlich die, wie sich die Welt des Signifikanten zu dem verhält, was wir als Sexualtrieb bezeichnen – Privileg, Prävalenz der erotischen Funktion des Körpers bei der Konstituierung des Subjekts.
Gehen wir ein wenig darauf zu, schneiden wir sie an, diese Frage, indem wir von der Privation ausgehen, da dies das Einfachste ist. Es gibt minus a [–a] in der Welt, es gibt ein Objekt, das an seinem Platz fehlt, was wohl die absurdeste Auffassung von der Welt ist, wenn man dem Wort ‚real‘ seinen Sinn gibt. Was kann im Realen denn fehlen?116
Da dies eine schwierige Frage ist, sehen Sie selbst noch bei Kant, wie er, weit jenseits der reinen Anschauung, diese alten Reste von Theologie mit sich schleppt, die ihn behindern und die unter dem Namen der kosmologischen Auffassung geführt werden. In mundo non est casus, erinnert er uns: [in der Welt ist] nichts Zufälliges, Gelegentliches. In mundo non est fatum, nichts ist von einer Fatalität, die jenseits einer rationalen Notwendigkeit wäre. In mundo non est saltus: es gibt keinen Sprung. In mundo non est hiatus [in der Welt gibt es keine Lücke].117
Und der große Widerleger der metaphysischen Unvorsichtigkeiten übernimmt diese vier Verneinungen, zu denen ich Sie frage, ob sie uns in unserer Perspektive anders erscheinen können als etwas, was genau umgekehrt verfasst ist wie das, womit wir es immer zu tun haben: mit Fällen (cas) im eigentlichen Sinne des Wortes, um es klar zu sagen; mit einem Fatum, da unser Unbewusstes ein Orakel ist; mit ebenso vielen Lücken, wie es unterschiedliche Signifikanten gibt; mit ebenso vielen Sprüngen, wie sich Metonymien herstellen.
Da es ein Subjekt gibt, das selbst vom einzigen Zug markiert oder nicht markiert ist, das 1 oder –1 ist, kann es hier ein –a geben, kann das Subjekt sich mit dem kleinen Ball von Freuds Enkel identifizieren118, und zwar speziell in der Konnotation seines Fehlens: ‚es gibt nicht‘, ens privativum.119
Natürlich gibt es eine Leere, und davon wird das Subjekt ausgehen: leerer Gegenstand ohne Begriff. Von den vier Definitionen des Nichts, die Kant aufstellt, und die wir das nächste Mal wieder aufnehmen werden, ist dies die einzige, die streng haltbar ist, es gibt hier ein Nichts.
Beachten Sie bitte, dass in der Tabelle, die ich Ihnen von den drei Termini Kastration, Frustration und Privation gegeben habe, das Gegenstück – der mögliche Agent, das im strengen Sinne imaginäre Subjekt, von dem die Privation ausgehen kann, der Äußerungsvorgang der Privation –, dass dies das Subjekt der imaginären Allmacht ist, das heißt das umgekehrte Bild der Ohnmacht.120
Tabelle „Kastration – Frustration – Privation“ aus Seminar 4
AGENT | MANGEL | OBJEKT |
---|---|---|
Realer Vater | Symbolische Kastration | Imaginärer Phallus |
Symbolische Mutter | Imaginäre Frustration | Reale Brust |
Imaginärer Vater | Reale Privation | Symbolischer Phallus |
Ens rationis, leerer Begriff ohne Gegenstand, reiner Begriff der Möglichkeit, das ist der Rahmen, in dem das ens privativum verortet ist und erscheint.
Kant versäumt es gewiss nicht, den rein formalen Gebrauch der Formel zu ironisieren, die sich von selbst zu verstehen scheint: ‚Alles Reale ist möglich‘.121 Wer wird das Gegenteil sagen? Zwangsläufig!
Er macht aber einen weiteren Schritt, indem er uns darauf aufmerksam macht, dass etwas Reales also möglich ist, dass dies aber auch heißen kann, dass etwas Mögliches nicht real ist, dass es Mögliches gibt, das nicht real ist. Was Kant hier kritisiert, ist sicherlich nicht weniger als der philosophische Missbrauch, der damit getrieben werden kann. Für uns ist wichtig, dass wir uns klarmachen, dass die Möglichkeit, um die es geht, nur die Möglichkeit des Subjekts ist. Nur das Subjekt kann dieses negative Reale sein, einer Möglichkeit, die nicht real ist.
Wie sehen auf diese Weise das –1, das für das ens privativum konstitutiv ist, mit der ursprünglichsten Struktur unserer Erfahrung des Unbewussten verbunden, insofern sie nicht die des Verbots ist, auch nicht des ’sagt, dass nicht‘, sondern die des ‚nicht-gesagt‘, des Punktes, wo das Subjekt nicht mehr da ist, um zu sagen, wenn es nicht mehr Herr dieser Identifizierung mit 1 ist oder dieser plötzlichen Abwesenheit des 1, die ihn kennzeichnen könnte.“122
Lacan beendet die Sitzung mit der Ankündigung des Themas, über das er beim nächsten Mal sprechen will: topologische Flächen.
Paraphrase mit Ergänzungen
Einziger Zug als absolute Differenz
Beim „einzigen Zug“ (trait unaire) geht es um das, was Freud als „Narzissmus der kleinen Differenzen“ bezeichnet. Die kleine Differenz ist die absolute Differenz, die Differenz, die von jedem Vergleich losgelöst ist. Die kleine Differenz ist also der „einzige Zug“, das Ichideal, symbolisiert durch ein großes I [bzw. im Graphen des Begehrens durch den Buchstaben groß I von A, I(A)]. Ausgehend von dieser kleinen Differenz [von diesem „einzigen Zug“, von diesem Ichideal] kann die gesamte narzisstische Orientierung des Subjekts reorganisiert werden.
Keine Privation im Realen
Von hier aus können die Funktionen der Privation, der Frustration und der Kastration wieder aufgenommen werden. Dabei geht es um das Verhältnis der Welt des Signifikanten zum Sexualtrieb und um die Sonderstellung der erotischen Funktion des Körpers bei der Konstituierung des Subjekts.
Das lässt sich am einfachsten von der Privation aus angehen. Privation besagt: es gibt ein Objekt, das an seinem Platz fehlt; Lacan symbolisiert das durch „minus a“, bzw. durch „–a“. Das ist jedoch eine absurde Auffassung von der Welt, denn im Realen kann nichts fehlen.
Das Problem zeigt sich etwa bei Kant Erläuterungen [zum dritten Postulat des empirischen Denkens, wonach gilt, dass das, dessen Zusammenhang mit dem Wirklichen nach allgemeinen Bedingungen der Erfahrung bestimmt ist, notwendig existiert (KrV A 228 f.)]. Kant übernimmt hier vier Behauptungen der Metaphysik, nämlich dass es in der Welt keinen „casus“ gibt – nichts Zufälliges – , kein Fatum, keinen Sprung und keine Lücke. [Dies ist Kants Version der These, dass im Realen nichts fehlen kann.] In der Perspektive der Psychoanalyse gilt das Gegenteil: hier hat man es immer mit Fällen (cas) zu tun, immer mit einem Fatum, da das Unbewusste ein Orakel ist, immer mit Lücken, nämlich mit Signifikanten, und immer mit Sprüngen, das heißt mit Metonymien. [Wenn im Realen nichts fehlen kann, muss das Fehlen also ausgehend vom Signifikanten begriffen werden.]
Kants Formen des Nichts
Das Subjekt zeichnet sich dadurch aus, dass es vom einzigen Zug markiert ist oder nicht markiert ist. [Dies ist die Spaltung des Subjekts, zwischen der Identifizierung und dem, was jenseits der Identifizierung ist.]
Die Markierung des Subjekts durch den einzigen Zug wird durch 1 symbolisiert, die Nicht-Markierung durch den einzigen Zug durch –1. [Das Symbol – 1 entspricht der Aphanisis des Subjekts, wie es in Seminar 6 heißt, dem Verschwinden des Subjekts, dem, dass es keinen Signifikanten des Subjekts gibt.]
Die Identifizierung bzw. Nicht-Identifizierung mit dem einzigen Zug ist die Bedingung dafür, dass es ein –a geben kann, ein fehlendes Objekt, mit dem das Subjekt sich dann wiederum identifizieren kann, etwa im Fort-da-Spiel von Freuds Enkel. [Lacan spitzt hier eine Bemerkung von Freud über die zweite Form der Identifizierung zu (in Massenpsychologie und Ich-Analyse), wonach die Identifizierung mit dem verlorenen Objekt immer die mit einem einzelnen Zug ist.]
[Zu unterscheiden ist also die Identifizierung/Nicht-Identifizierung mit dem einzelnen Zug (1 oder –1) und die Identifizierung mit dem fehlenden Objekt (–a). Die Identifizierung bzw. Nichtidentifizierung mit dem einzelnen Zug ist die Bedingung für die Identifizierung mit dem fehlenden Objekt.]
[Lacan beginnt nun, das „verlorene Objekt“ mithilfe von Kants Unterscheidung der vier Formen des Nichts in der Kritik der reinen Vernunft zu beschreiben (B 348).]
[Kants vier Begriffe des Nichts sind:
– 1. Leerer Begriff ohne Gegenstand, ens rationis (auch „Gedankending“): ein Begriff, der widerspruchsfrei denkbar ist, dem aber keine Anschauung entspricht, z.B. das Ding an sich
– 2. Leerer Gegenstand eines Begriffs, nihil privativum: der Begriff vom Mangel eines Gegenstands, z.B. Kälte als Fehlen von Wärme, Schatten als Fehlen von Licht
– 3. Leere Anschauung ohne Gegenstand, ens imaginarium: die Anschauungsformen Raum und Zeit ohne Gegenstände (in der Sekundärliteratur finde ich auch „Einhorn“, also ein fiktiver Gegenstand)
– 4. Leerer Gegenstand ohne Begriff, nihil negativum (auch „Unding“): der Gegenstand eines in sich widersprüchlichen Begriffs, z.B. geradlinige Figur von zwei Seiten.]
Das Objekt, sofern es fehlt, ist ein „es gibt nicht“, ein ens privativum [ein Seiendes, dessen Negativität oder Nichtigkeit darin besteht, das es fehlt].
[Lacan ordnet das fehlende Objekt also Kants zweiter Form des Nichts zu, dem nihil privativum, dem Mangel eines Gegenstandes.]
[Kant spricht vom nihil privativum (von dem durch Fehlen gekennzeichnetes Nichts), nicht, wie Lacan, vom ens privativum (von dem durch Fehlen gekennzeichneten Seienden). Ist Lacans Abweichung – ens privativum statt nihil privativum – Absicht? Möglicherweise; auf jeden Fall hilft ihm das, den kantischen Begriff an den des Objektmangels anzunähern – ein „ens“ (ein Seiendes) ist ein Objekt.]
[Den Begriff der Privation hatte Lacan in Seminar 4 eingeführt, für die Abwesenheit von etwas an einem Platz; der psychoanalytische Bezugspunkt für „Privation“ war dort die Entdeckung der Penislosigkeit der Mutter durch das Kind. Hier, in Seminar 9, hat „Privation“ einen anderen Bezug, den des Objektverlusts, insbesondere geht es um den Verlust der Brust, also um das Trauma der Entwöhnung.]
[Lacan wechselt dann zu Kants vierter Form des Nichts.] Das Subjekt wird von einer Leere ausgehen, vom leeren Gegenstand ohne Begriff. [Kant nennt den begriffslosen leeren Gegenstand auch „Unding“, und Kants Terminus für diese Art des Nichts ist nihil negativum. Der leere Gegenstand ohne Begriff ist ein logisch unmöglicher Gegenstand, etwa eine geradlinige Figur von zwei Seiten. Die Negativität besteht hier darin, dass dieser Gegenstand nur so gedacht werden kann, dass das Denken sich in einen Widerspruch verwickelt.] Diese Definition des Nichts ist, Lacan zufolge, die einzige der vier Definitionen, die streng haltbar ist. Hier gibt es ein Nichts.
[Ich nehme an, dass Kants „leerer Gegenstand ohne Begriff“ (nihil negativum) ein Ausgangspunkt für Lacans spätere Formel ist, „das Reale ist das logisch Unmögliche“.]
[Lacan kehrt zur Privation zurück und damit indirekt zu Kants zweiter Form des Nichts, zum nihil privativum.] Der Agent der Privation, derjenige, von dem der Äußerungsvorgang der Privation ausgehen kann, ist ein Subjekt, dem eine imaginäre Allmacht zugeschrieben wird [dies ist der imaginäre Vater, Lacan hatte das in Seminar 4 ausführlich entwickelt, im Zusammenhang der Tabelle „Kastration – Frustration – Privation“]. Das Bild der Allmacht ist das umgekehrte Bild der Ohnmacht. [Möglicherweise spielt Lacan mit dem Hinweis auf die imaginäre Allmacht des Agenten der Privation auf das ens imaginarium von Kants Tabelle an, auf die dritte Form des Nichts.]
Tabelle Kastration – Frustration – Privation aus Seminar 4
AGENT | MANGEL | OBJEKT |
---|---|---|
Realer Vater | Symbolische Kastration | Imaginärer Phallus |
Symbolische Mutter | Imaginäre Frustration | Reale Brust |
Imaginärer Vater | Reale Privation | Symbolischer Phallus |
[Lacan wechselt dann zu Kants erstem Begriff des Nichts, zum ens rationis.] Ens rationis, leerer Begriff ohne Gegenstand [etwas widerspruchsfrei Denkbares, zu dem es keine Anschauung gibt, Kants Beispiel ist das Ding an sich]. Dies ist der reine Begriff der Möglichkeit [des Denk-Möglichen].
[Im nächsten Schritt stellt Lacan eine Beziehung zwischen Kants erster und zweiter Form des Nichts her, zwischen dem ens rationis und dem nihil/ens privativum.] Das ens rationis, der leere Begriff ohne Gegenstand, das bloß [Denk-]Mögliche [das bloß widerspruchsfrei Denkbare], liefert den „Rahmen“, in dem das ens privativum verortet ist, das Fehlen eines Gegenstandes. [Vom (Denk-)Möglichen aus stößt das Subjekt darauf, dass etwas fehlt.]
Kant ironisiert die [klassische aristotelische] Formel „Alles Reale ist möglich“ [alles, was wirklich ist, ist auch möglich], und fordert indirekt [mit dem nihil negativum] dazu auf, das Gegenteil zu sagen [vielleicht im Sinne von „Alles Reale ist unmöglich“]; und Kant macht darauf aufmerksam, dass, wenn etwas Reales möglich ist, dies auch heißen kann, dass es etwas Mögliches gibt, das nicht real ist. [Das ist vielleicht das ens rationis, das „Gedankending“, etwa das Ding an sich.] Kant kritisiert den Missbrauch, der damit getrieben wird [vermutlich die Behandlung des Gedankendings „Ding an sich“, als sei es eine Erscheinung].
[Lacan bezieht nun das ens rationis, das bloß mögliche „Gedankending“, auf die Psychoanalyse.] Das Mögliche, das nicht real ist, das negative Reale, ist die Möglichkeit des Subjekts. [Ich nehme an, dass hier das begehrende Subjekt gemeint ist, das Subjekt jenseits der Identifizierung.]
[Lacan wechselt vom ens rationis (Kants erster Form des Nichts, Gedankending, Subjekt) zum ens privativum (Kants zweiter Form des Nichts, fehlendes Objekt), also zur Privation, und er orientiert sich dabei an seiner These, dass das ens rationis den Rahmen für das ens privativum liefert.]
Das (–1) ist konstitutiv für das ens privativum. [Das Symbol (–1) steht für die Nicht-Identifizierung mit dem „einzigen Zug“, so hieß es zu Beginn. Die Nicht-Identifizierung des Subjekts ist grundlegend für die Beziehung zum verlorenen Objekt, zum ens privativum.]
Das (–1) ist mit der ursprünglichsten Struktur unserer Erfahrung des Unbewussten verbunden. Zur ursprünglichsten Struktur des Unbewussten gehört nicht nur das Verbot, nicht nur das „sagt, dass nicht“,
Zur ursprünglichsten Struktur des Unbewussten gehört auch das „nicht-gesagt“, nämlich der Punkt, wo das Subjekt nicht da ist, um zu sagen, wenn es [nämlich] nicht Herr dieser Identifizierung mit 1 ist, wenn es die plötzliche Abwesenheit des 1 gibt, die ihn kennzeichnen könnte. [Das (–1) steht für die Nicht-Identifizierung, für das, was in Seminar 6 als „Aphanisis des Subjekts“ bezeichnet wird, womit gemeint ist das Fehlen eines Signifikanten des Subjekts; vgl. diesen Beitrag.]
[Damit lässt sich ahnen, inwiefern das ens rationis – das bloß Denkbare – der Rahmen sein könnte, in dem das ens privativum erscheint, der Mangel eines Gegenstands: Das ens rationis entspricht dem begehrenden Subjekt jenseits der Identifizierung, und das ens privativum ist das verlorene Objekt. Dieses Objekt erscheint im Rahmen des begehrenden Subjekts. Es geht um die Subjekt-Objekt-Beziehung im Phantasma, $ ◊ a.]
[Die Argumentation scheint so aufgebaut zu sein:
(a) Es gibt die Identifizierung mit dem „einzigen Zug“, symbolisiert durch (1).
(b) Die Identifizierung mit dem einzigen Zug ist nicht ausfüllend, es gibt eine Subjektivität ohne Identifizierung mit dem einzigen Zug, symbolisiert durch (–1), grob gesagt: das Subjekt als begehrendes, die Aphanisis des Subjekts.
(c) Beides zusammen, die Identifizierung mit dem einzigen Zug und die Nicht-Identifizierung mit dem einzigen Zug ist das Subjekt (gespalten in Identifizierung und Jenseits-der-Identifizierung, in Identifizierung und Begehren bzw. Aphanisis); das Subjekt ist demnach, könnte man auch sagen, ±1.
(d) Die dem Subjekt qua (–1) zugeordnete kantische Form des Nichts ist das ens rationis, der leere Begriff ohne Gegenstand, das widerspruchsfrei Denkbare analog zum Ding an sich.
(e) Die Nicht-Identifizierung mit dem einzigen Zug, also die eine Seite der Subjektspaltung, ist grundlegend für das ens privativum, für das verlorene Objekt. Anders gesagt: das Begehren (das Subjekt in der Aphanisis) bezieht sich auf das fehlende Objekt, entsprechend der Struktur des Phantasmas, $ ◊ a.]
Nur vom Unmöglichen her tritt das Reale auf (7. März 1962)
Übersetzung
Die Wiederholung, heißt es in der nächsten Sitzung, dient dem Subjekt dazu, ein ursprüngliches Unäres wiederauftauchen zu lassen. Hierbei verzählt sich das Subjekt gewissermaßen, und dieser Zählfehler ist für das Subjekt konstitutiv. Das hat Auswirkungen auf das, was man als „Denken“ bezeichnet. Und weiter:
„Es ist wohl klar, dass es keineswegs ohne Bedeutung ist, dass ich mich hier mehr als einmal in der Weise vorwärtsbewegt habe, unvermeidlicherweise, dass ich die Funktion der Klasse und ihr Verhältnis zum Universalen in Frage gestellt habe, und dies seit Beginn meiner Rede von diesem Jahr, sodass dies sogar in gewisser Weise die Kehrseite und das Gegenteil der gesamten Rede ist, die ich Ihnen hier vorzutragen suche.123
Erinnern Sie sich doch bitte an dieser Stelle einfach nur an das, was ich Ihnen mit der kleinen exemplarischen Kreisfläche zu zeigen versucht habe, mit der ich mich bemüht habe, vor Ihnen das Verhältnis des Universalen zum Partikulären neu zu artikulieren sowie das Verhältnis der bejahenden beziehungsweise verneinenden Aussagen.
Einheit (unité) und Ganzheit (totalité) erscheinen hier traditionell als eng miteinander verbunden, und es ist kein Zufall, dass ich immer wieder darauf zurückkomme, um von dort aus die Grundkategorie dazu zu bringen, sich aufzuspalten.
Einheit und Ganzheit, zugleich zusammengehörend, aneinander gebunden, in einem Verhältnis, das man als Verhältnis der Einschließung bezeichnen kann, wobei die Ganzheit eine Ganzheit im Verhältnis zu Einheiten ist, die Einheit aber das ist, worauf die Ganzheit als solche sich gründet, indem sie die Einheit in diese andere Richtung zieht, entgegengesetzt zu derjenigen, die ich davon unterscheide, insofern sie die Einheit eines Ganzen (tout) ist.
Um diesen Punkt herum setzt sich in der sogenannten Klassenlogik das Missverständnis fort, das säkulare Missverständnis über Extension und Intension, worauf die Tradition, wie es scheint, tatsächlich immer größeren Wert gelegt hat, wenn es stimmt – um die Dinge in der Perspektive zu nehmen, wie sie beispielsweise Mitte des 19. Jahrhunderts erschienen sind, aus der Feder eines Hamilton124 –, wenn es denn stimmt, dass man das erst ausgehend von Descartes eindeutig formuliert hat und dass die Logik von Port-Royal, wie Sie wissen, an die Lehre von Descartes anschließt.
Obendrein stimmt das nicht einmal! Denn es gibt ihn bereits ziemlich lange, und zwar seit Aristoteles, diesen Gegensatz von Umfang und Inhalt.
Man kann sagen, dass er uns beim Umgang mit Klassen Schwierigkeiten bereitet, die immer weniger gelöst sind; daher rühren all die Bemühungen, die die Logik gemacht hat, um den Kern des Problems zu verlagern, etwa hin zur Quantifizierung der Aussagen.
Aber warum kann man nicht sehen, dass uns in der Struktur der Klasse selbst, der Klasse als solcher, ein neuer Ausgangspunkt gegeben wird, nämlich dann, wenn wir, als grundlegendes Verhältnis, das Verhältnis der Einschließung durch ein Verhältnis der Ausschließung ersetzen?
Anders gesagt, wenn wir hinsichtlich des Subjekts als logisch ursprünglich das Folgende ansehen – was nicht meine Entdeckung ist, was in der Reichweite eines Logikers der Mittelklasse liegt –, nämlich dass die wahre Grundlage der Klasse weder ihr Umfang ist noch ihr Inhalt, dass die Klasse vielmehr immer die Klassifizierung voraussetzt.
Anders gesagt, die Mammalia beispielsweise, die Säugetiere – um sofort klarzumachen, worum es mir geht –, das ist das, was man aus den Wirbeltieren ausschließt, durch die mamme als einzigen Zug. Was heißt das? Das heißt, die ursprüngliche Tatsache besteht darin, dass der einzige Zug fehlen kann, dass es zunächst Abwesenheit der mamme gibt und dass man <dann> sagt: Da kann es nicht vorkommen, dass die mamme fehlen. Das ist das, wodurch die Klasse der Mammalia, der Säugetiere, konstituiert wird.
Betrachten Sie die Dinge dort, wo die Schwierigkeiten liegen, das heißt, öffnen Sie wieder die Traktate, um diese tausend kleinen Aporien durchzugehen, die Ihnen von der formalen Logik angeboten werden, und Sie werden feststellen, dass dies die einzig mögliche Definition einer Klasse ist – wenn Sie ihr wirklich ihren universalen Status sichern wollen –, insofern dieser Status zugleich mit dieser Klasse, nach einer Seite hin, die Möglichkeit ihrer Nichtexistenz konstituiert, ihre mögliche Nichtexistenz. Denn Sie können mit gleicher Gültigkeit, als dem Universalen fehlend, diejenige Klasse definieren, zu der kein Individuum gehört, das wird von daher nicht weniger eine universal konstituierte Klasse sein.
Wobei diese äußerste Möglichkeit mit dem normativen Wert jeden universalen Urteils versöhnt wird, möchte ich sagen, insofern es über jeden Schluss hinausgeht, der induktiv ist, der also aus der Erfahrung hervorgegangen ist.
Eben das ist der Sinn der kleinen Kreisfläche, die ich Ihnen vorgeführt hatte, bezogen auf die Klasse, die unter den anderen zu bilden ist, nämlich der senkrechte Strich.
Durch das Subjekt wird zunächst die Abwesenheit eines solchen Strichs konstituiert; als solches ist es das Viertel oben rechts.
Der Zoologe, wenn Sie mir gestatten, so weit zu gehen, bildet die Klasse der Mammalia, der Säugetiere, nicht aus der Ganzheit, von der angenommen wird, dass sie durch die mütterliche mamme gebildet wird, sondern gerade deshalb, weil er sich von der mamme ablöst, kann er die Abwesenheit der mamme identifizieren. Das Subjekt als solches ist hierbei –1 [Quadrant oben rechts].
Von daher, ausgehend vom einzigen Zug, insofern er ausgeschlossen ist, legt er dann fest, dass es eine Klasse gibt, bei der es universal keine Abwesenheit der mamme geben kann: –(–1) [Quadrant oben links].
Von da aus ordnet sich alles, namentlich in den partikulären Fällen, in dem Allerlei [tout venant] auf der unteren Ebene: Es gibt welche [Quadrant unten links mit +1] oder es gibt nicht welche [Quadrant unten rechts mit –1].125
Ein kontradiktorischer Gegensatz stellt sich in der Diagonalen her, und das ist der einzige wahre Widerspruch, der auf der Ebene der Herstellung der Dialektik universal – partikulär sowie verneinend – bejahend Bestand hat: durch den einzigen Zug.
Damit ordnet sich alles in dem Allerlei auf der unteren Ebene: Es gibt welche oder es gibt nicht welche, und dies kann nur insofern existieren, als auf der oberen Etage durch Ausschließung des Strichs die Etage der Allesgeltens (tout valant) bzw. dessen, was als alles gilt, konstituiert ist.126
Wie zu erwarten war, ist es also das Subjekt, durch das die Privation eingeführt wird, und zwar durch den Äußerungsvorgang, der im Wesentlichen so formuliert wird: „Se pourrait-il qu’il n’y ait mamme?“, „Könnte es sein, dass es nicht mamme gibt?“, ein „ne“, ein „nicht“, das nicht negativ ist, ein „nicht“, das ganz streng von derselben Natur ist wie das, was man in der französischen Grammatik als „expletives ne“ bezeichnet.127
„Könnte es sein, dass es nicht mamme gibt? Pas possible … rien, peut-être“, „Nicht möglich – nichts, kann sein / vielleicht“. Das ist der Beginn einer jeden Äußerung des Subjekts, die sich auf das Reale bezieht.
Im ersten Quadranten [1] geht es darum, die Rechte des oben stehenden „nichts“ zu wahren [4], denn es ist dieses „nichts“, das unten das peut-être erschafft, das „vielleicht“ bzw. „kann sein“, das heißt die Möglichkeit.
Es ist keineswegs so, dass man als Axiom sagen könnte – und darin besteht der verblüffende Irrtum der gesamten abstrakten Deduktion des Transzendentalen –, es ist keineswegs so, dass man sagen könnte, alles Reale ist möglich, vielmehr ist es so, dass nur vom „nicht möglich“ her das Reale auftritt.
Was das Subjekt sucht, ist dieses Reale, insofern es gerade nicht möglich ist – das ist die Ausnahme.
Und dieses Reale existiert sicherlich.
Man kann sagen, dass es am Ursprung jedes Äußerungsvorgangs nur ein „nicht möglich“ gibt, aber das sieht man von daher, dass es das Ausgesagte des „nichts“ ist, wovon sie ausgeht.
Dies, um es klar zu sagen, wird bereits in meiner dreigliedrigen Aufzählung Privation – Frustration – Kastration gesichert und erhellt, so wie ich kürzlich angekündigt habe, dass wir sie entwickeln würden 128.“129
Das Subjekt ist also ursprünglich verworfen*, fährt Lacan fort; danach spricht er über die Sphäre als Form der Totalität.
Paraphrase mit Ergänzungen
Klassen
Lacan beginnt mit einem Rückblick auf frühere Sitzungen. Er erinnert daran, dass er im laufenden Identifizierungs-Seminar die Funktion der Klasse und ihr Verhältnis zum Universalen mehrfach in Frage gestellt hat (vgl. Sitzungen vom 13. Dezember 1961 und vom 24. Januar 1962). Das sei sogar die Kehrseite und das Gegenteil von Lacans gesamtem Diskurs.
Das Quadrantenschema von Peirce
Danach kommt er auf das Quadrantenschema [von Peirce] zurück, bei dem es darum geht, das Verhältnis von universalen und partikulären Aussagen sowie von bejahenden und verneinenden Aussagen neu zu artikulieren. (Das Schema hatte er in der Sitzung vom 17. Januar eingeführt.)
Einheit und Ganzheit erscheinen traditionell als eng miteinander verbunden, und Lacan bemüht sich, diese Verbindung aufzuspalten [in, einerseits, das Eine als einzigen Zug und, andererseits, die Totalität oder Ganzheit als Klasse]. (Dies war ein Thema der Sitzung am 21. Februar 1962.)
Das Verhältnis von Einheit und Ganzheit wird üblicherweise als Einschließung aufgefasst, nämlich so, dass die Ganzheit aus Einheiten besteht [eine Klasse aus Elementen]; das heißt, die Ganzheit gründet sich auf Einheiten und bezieht diese auf ein Ganzes [auf eine Totalität].
Die Klassenlogik setzt das Missverständnis fort, dass der Begriff nach Extension und Intension zu unterscheiden ist, anders formuliert, nach Umfang und Inhalt. [Die Klassenlogik ist eine Logik, deren Objekte „Klassen“ sind, sie ist eine Erweiterung der klassischen aristotelischen Begriffslogik, d.h. Begriffe werden hier als Klassen aufgefasst. Die Klassenlogik im engeren Sinn beschreibt Klassen durch die Eigenschaften ihrer Elemente und ist damit eine Verallgemeinerung der Mengenlehre. Unter der Extension eines Begriffs versteht man traditionell die Gesamtheit der Dinge, die unter einen Begriff fallen, unter der Intension eines Begriffs (nicht zu verwechseln mit „Intention“, Absicht) die Merkmale dieser Dinge.] Das geht angeblich auf die Logik von Port-Royal zurück, die an Descartes anknüpft, jedoch findet man diesen Gegensatz bereits bei Aristoteles.
Der Umgang mit Klassen hat zunehmend größere Schwierigkeiten verursacht; die Wendung zur Quantifizierung der Aussagen [also die Entwicklung der Quantorenlogik mit den Quantoren „alle“ und „es gibt mindestens ein“] ist ein Versuch, den Kern des Problems zu verlagern [also eine Verschiebung].
Von der Einschließung zur „Ausschließung“
Tatsächlich ist uns aber in der Struktur der Klasse ein neuer Ausgangspunkt gegeben, der es ermöglicht, das Verhältnis der Einschließung durch eines der Ausschließung zu ersetzen. [Das erinnert an die These, die Neuartigkeit der Analyse bestehe darin, dass sie von den Tugenden der Norm zu den Tugenden der Ausnahme übergegangen sei (Sitzung vom 21. Februar 1962). Lacans „Logik des Signifikanten“ ist eine Logik, die sich auf die Ausschließung gründet, auf die Ausnahme.]
Das ist dann möglich, wenn man begreift, dass die wahre Grundlage der Klasse nicht ihr Umfang ist und auch nicht ihr Inhalt [also weder Extension noch Intension], sondern die Klassifizierung [und dass die Klassifizierung auf einer Ausschließung beruht]. Dass die Grundlage der Klasse die Klassifizierung ist, das ist, wie Lacan sagt, nicht etwa seine Entdeckung, sie liege in Reichweite „eines Logikers der Mittelklasse“. [¿ Auf welchen Logiker spielt Lacan hier an?]
Die Klassifizierung ist „hinsichtlich des Subjekts“ logisch ursprünglich – es geht um die Konstituierung des Subjekts.
Beispielsweise beruht die Klasse der Säugetiere, der Mammalia, darauf, dass aus den Wirbeltieren etwas ausgeschlossen wird, durch die mamme als einzigen Zug. Die weibliche Brust, die Mamma, kann als einzelner Zug begriffen werden, als trait unaire.
[Lacan sagt /mam/; das Wort findet man in keinem Französischlexikon, es erinnert an das lateinische Wort mamma, „weibliche Brust“, und an das französische Wort maman, „Mama“, bedeutet also vermutlich „Mutterbrust“.]
Die ursprüngliche Tatsache besteht darin, dass die weibliche Brust fehlen kann [bei den Wirbeltieren kann sie fehlen]. Zunächst gibt es Abwesenheit der Brust. [Das ist eine irreführende Formulierung, bei den Wirbeltieren fehlt ja keineswegs die Brust – sie kann fehlen, es kann Abwesenheit geben.] Im nächsten Schritt sagt man: Hier kann die Brust nicht fehlen, und damit hat man die Klasse der Säugetiere definiert.
Eine Klasse wird also durch ihre mögliche Nichtexistenz konstituiert [durch die mögliche Nichtexistenz des sie definierenden Merkmals].
[Bei der Bildung einer Klasse geht man demnach von außen nach innen vor. Den Ausgangspunkt bildet eine umfassendere Menge (etwa „Wirbeltiere“) und aus dieser Menge wird dann eine kleinere Menge ausgegrenzt (etwa „Säugetiere“). Auf diese Weise ist die Klasse der Säugetiere von Anfang an eine Klasse-innerhalb-der-Säugetiere, sie ist differentiell artikuliert. Säugetiere sind zugleich Wirbeltiere; wenn Lacan sagt, aus der Klasse der Wirbeltiere werde die der Säugetiere „ausgegrenzt“, ist damit nicht gemeint, dass Säugetiere keine Wirbeltiere sind, sondern dass innerhalb einer Menge eine Teilmenge „ausgegrenzt“ wird, ausgefiltert wird. Die „Ausgrenzung“ dieser Teilmenge beruht auf der Definition eines bestimmten Merkmals, in Lacans Beispiel ist dies die Mamma. In der größeren Menge, der der Wirbeltiere, kann dieses Merkmal fehlen, für diese umfassendere Menge gilt, dass sein kann, dass es keine Brust gibt. Die Klasse der Säugetiere beruht auf der Möglichkeit der Nichtexistenz des sie konstituierenden Merkmals, d.h. auf der Klasse der Wirbeltiere, bei der es keine Mamma geben muss.]
„Denn Sie können mit gleicher Gültigkeit, als dem Universalen fehlend, diejenige Klasse definieren, zu der kein Individuum gehört, das wird von daher nicht weniger eine universal konstituierte Klasse sein.“
[Lacan vollzieht hier einen Übergang vom Verhältnis zwischen Wirbeltieren und Säugetieren zu einem anderen Verhältnis, zur Beziehung zwischen einer Klasse mit einem bestimmten Merkmal, etwa Säugetiere, und einer Klasse ohne Individuen. Mit dem zweiten Verhältnis bezieht er sich auf das Quadrantenschema und dort auf die Segmente 1 (oben links) und 4 (oben rechts). Offenbar sieht er in beiden Verhältnissen dieselbe Struktur. Ich denke, dass er sich irrt und dass es sich um zwei unterschiedliche Strukturen handelt – die Klasse der Wirbeltiere ist keine Klasse ohne Individuen.]
Jedes universale Urteil hat einen normativen Aspekt, insofern es nicht induktiv gewonnen werden kann, nicht aus Erfahrung hervorgehen kann. [Zwischen der erfahrungsgestützten Aussage „Viele Menschen sind Säugetiere“ und der universalen Aussage „Jeder Mensch ist ein Säugetier“, liegt ein Sprung; der Übergang von „viele“ zu „alle“ kann nicht durch Erfahrung begründet werden kann – das war die These von Hume, an die Karl Popper anknüpfte, um von hier aus seinen Kritischen Rationalismus zu entwickeln.]
Im Quadrantenschema von Peirce ist die Klasse des senkrechten Strichs zu bilden [Quadranten oben links, 1]. Sie ist „unter den anderen“ zu bilden, sie ist differentiell artikuliert.
Lacan wiederholt seine These zur Klassifizierung. Der Zoologe bildet die Klasse der Säugetiere, der Mammalia, nicht, indem er sich auf die Ganzheit der Tiere bezieht, bei denen die Weibchen Brüste haben, sondern so, dass er zum Merkmal „Mamma“ zunächst einmal auf Abstand geht [sein Ausgangspunkt sind die Wirbeltiere]; dies ermöglicht es ihm, im ersten Schritt die Abwesenheit der Brust zu identifizieren. [Das ist nicht haltbar, bei den Wirbeltieren fehlt die Brust keineswegs - sie kann fehlen. Im ersten Schritt ist die Anwesenheit oder Abwesenheit der Brust irrelevant, sie fehlt als definierendes Merkmal.]
Das Subjekt [das sich durch die Abwesenheit des Merkmals auszeichnet, hier des Merkmals „Mamma“] ist hierbei „minus Eins“ (–1). [Aus diesem Grunde sind im Schema die beiden rechten Quadranten mit (–1) gekennzeichnet. Diese beiden Quadranten entsprechen dem Urteil „Kein Strich ist senkrecht“ bzw. „Kein Weibchen hat Brüste“ (in meiner reformierten Fassung: „Brüste dienen nicht als definierendes Merkmal“).]
In einem zweiten logischen Schritt legt der Zoologe fest, dass es eine Klasse gibt, bei der es universal keine Abwesenheit der weiblichen Brust geben kann, minus minus Eins, –(–1). [Dies ist dann die Klasse der Säugetiere. Ihr entspricht der Quadrant oben links, der mit –(–1) gekennzeichnet ist. Die Abwesenheit der Mamma kann es „universal“ nicht geben, das heißt sie ist für alle (weiblichen) Mitglieder dieser Klasse ausgeschlossen.]
[Boole verwendet das Zeichen 0 (Null) für den Begriff, unter den nichts fällt, und das Zeichen 1 (Eins) für den universalen Begriff, unter den alles fällt; an die Stelle der 0 setzt Lacan hier (–1); das erlaubt es ihm die 1 als Ergebnis einer doppelten Negation zu deuten.]
Von daher ordnet sich alles in den partikulären Fällen [in den Fällen, in denen es „einige“ Striche gibt]. Es gibt welche [„Einige Striche sind senkrecht“ gilt für die Quadranten oben links und unten links, bejahendes partikuläres Urteil, I] oder es gibt nicht welche [„Einige Striche sind nicht senkrecht“ gilt für die Quadranten unten links und unten rechts, verneinendes partikuläres Urteil, O].
[Lacan bezieht sich dann wieder auf das logische Quadrat, das ja dem Peirce’schen Quadrantenschema zugrunde liegt:]
[A: Bejahendes universales Urteil (Alle Striche sind senkrecht)
I: Bejahendes partikuläres Urteil (Einige Striche sind senkrecht)
E: Verneinendes universales Urteil (Alle Striche sind nicht senkrecht = Kein Strich ist senkrecht)
O: Verneinendes partikuläres Urteil (Einige Striche sind nicht senkrecht)]
Einen kontradiktorischen Gegensatz gibt es [im logischen Quadrat] in der Diagonale [also beispielsweise zwischen (A) „Alle Individuen haben Mütter mit Brüsten“ und (O) „Einige Individuen haben keine Mütter mit Brüsten“ sowie zwischen (E): „Kein Individuum hat eine Mutter mit Brüsten“ und (I) „Einige Individuen haben Mütter mit Brüsten“.] Dies ist der einzige wahre Widerspruch in der Dialektik von universalen, partikulären, verneinenden und bejahenden Aussagen, die Lacan [mithilfe der Striche von Peirce’s Quadrantenschema] vom einzigen Zug her zu rekonstruieren versucht. [Inwiefern ist nur der kontradiktorische Gegensatz ein wahrer Gegensatz? Vielleicht insofern, als in den andern beiden Gegensatzarten - konträr und subkonträr - eine dritte Möglichkeit gegeben ist.]
Damit ordnet sich alles in dem Allerlei auf der unteren Ebene [damit ist vermutlich die untere Ebene des logischen Quadrats gemeint, mit der partikulären bejahenden Aussage (I) und der partikulären verneinenden Aussage (O)]. Es gibt welche [partikuläre bejahende Aussage] und es gibt nicht welche [das ist allerdings die universale verneinenade Aussage, die partikuläre verneinende Aussage wäre „es gibt welche, die nicht…“].
[Es folgt eine These zur Beziehung zwischen den Aussage-Arten:]
„dies kann nur insofern existieren, als auf der oberen Etage durch Ausschließung des Strichs die Etage des Allesgeltens (tout valant) bzw. dessen, was als alles gilt, konstituiert ist“.
[Anders gesagt: Die beiden Formen der partikulären Aussage, ob bejahend oder verneinend, setzen die universale Aussage voraus, und die universale bejahende Aussage wiederum beruht auf der „Ausschließung des Strichs“, auf der Klasse ohne ein Element, in Quadrantenschema auf dem Viertel oben rechts.]
„Könnte es sein, dass es nicht mamme gibt?“
Es ist das Subjekt, wodurch die Privation eingeführt wird, und es führt sie durch den Äußerungsakt ein (l’acte d’énonciation) ein.
Es war zu erwarten, dass es das Subjekt ist, das die Privation einführt. [Inwiefern war das zu erwarten? Vielleicht nur insofern, als Lacan darauf anspielen möchte, dass „Könnte es sein, dass es nicht mamme gibt?“ eine Erwartung ist.]
Der Äußerungsakt, durch den das Subjekt die Privation einführt, lautet:
„Se pourrait-il qu’il n’y ait mamme?“
„Könnte es sein, dass es nicht mamme gibt?“
Das ne in qu’il n’y ait mamme ist keine gewöhnliche Negation, es handelt sich vielmehr um ein expletives ne, um das ne als Füllwort. [Lacan begreift das sogenannte expletive „ne“ nicht als Füllwort, sondern als den Signifikanten des Subjekts des Äußerungsvorgangs, wie er in einem früheren Seminar ausgeführt hatte.130 Eine deutsche Entsprechung zur dieser Art des „nicht“ findet man in Wendungen wie „Ist das nicht schön?“ Damit wird nicht gefragt, ob das hässlich ist, es wird eher gesagt: „Ach wie ist das schön, meinst du nicht auch?“ Man muss das „nicht“ in „Könnte es sein, dass es nicht mamme gibt?“ demnach so auffassen wie das „nicht“ in „Gibts hier nicht mamme?“, als Signifikant einer positiven Erwartung des Sprechers.]
[Der die Privation konstituierende Äußerungsakt hat nicht die Form des Konstatierens („x fehlt“), sondern einer Frage: „könnte es sein, dass es (nicht) x gibt?“. Das Subjekt ist eine Frage, schreibt Lacan irgendwo. Die Frage artikuliert das Erwarten der Mutterbrust und in dieser Erwartung klingt die Möglichkeit des Fehlens an.]
[Die Einführung der Privation auf dem Weg über die Frage ist vielleicht von Sartre inspiriert, der in Das Sein und das Nichts die Begriffe der Negation und des Nichts ausgehend von der Frage entwickelt.131]
[Die Frage des Subjekts bezieht sich auf die Möglichkeit des Fehlens. Das erinnert an die Klassifizierung: Bei der Bildung der Klasse der Säugetiere ausgehend von den Wirbeltiere ist das Merkmal „Brust“ etwas, was zunächst fehlen kann – bei den Wirbeltieren kann sie fehlen.]
„Nicht möglich – nichts, kann sein / vielleicht.“
Der Äußerungsakt des Subjekts beginnt mit „Könnte es sein, dass es nicht mamme gibt?“ und er wird so fortgesetzt:
„Pas possible … rien, peut-être.“
„Nicht möglich – nichts, kann sein / vielleicht.“
[Peut-être wird üblicherweise mit „vielleicht“ übersetzt, wörtlich bedeutet es „kann sein“ oder „mag sein“. Da Lacan auf diese wörtliche Bedeutung abhebt, auf das Seinkönnen, übersetze ich mit „kann sein / vielleicht“.]
[In einer Art Kombinatorik spielt Lacan durch, wie drei Arten der Möglichkeit mit drei Arten der Negativität verbunden werden können. Die erste Möglichkeitsform ist das se pourrait-il ?, „könnte es sein ?“, bei dieser Art der Möglichkeit geht es darum, dass ein Erwartungshorizont aufgespannt wird. Die zweite Möglichkeit, in pas possible, „nicht möglich“, liegt in der Nähe einer Modalkategorie. Das peut-être, „kann sein“, hat durch das „sein“ ontologischen Charakter, es erinnert an Heideggers Begriff des „Seinkönnens“.]
[Die erste Form der Negation ist das „nicht“ in „Könnte es sein, dass nicht“; die Möglichkeit („könnte es sein“) wird hier mit dem expletiven oder diskordantiellen ne verknüpft, in dem sich die Erwartung des sprechenden Subjekts artikuliert. In der Wendung „nicht möglich“ hat das „nicht“ zurückweisenden Charakter; die Verbindung „nicht möglich“ erinnert an die modale Kategorie der Unmöglichkeit. Mit „nichts, vielleicht“ erfolgt ein Wechsel von der Negation zum Nichts, von der Logik zur Ontologie; die Wendung rien, peut-être assoziiert das Nichts und das Sein.]
[Sartre hatte den Begriff der Frage auf drei Arten des Nichts bezogen: auf das Nicht-Wissen des Fragenden, auf das Nichts der Antwort und auf das Nichts der Wahrheit, mit dem Nichts der Wahrheit meint er, „so ist es und nicht anders“.132 Das passt gut zu Lacans Formulierung. Das würde heißen: Das „nicht“ in „Könnte es sein, dass es nicht mamme gibt“ bezieht sich auf das Nichtwissen des Fragenden. „Nicht möglich“ würde dann bedeuten: Eine Antwort ist nicht möglich. Und „nichts, kann sein / vielleicht“ würde sich auf das Wahrheitsproblem beziehen, auf dem Weg über die Angleichung von „Wahrheit“ und „Sein“.]
[Die Struktur dieses Äußerungsakts erinnert auch an Freuds Konzept der Ichspaltung im Abwehrvorgang.133 Vor dem Hintergrund der Kastrationsdrohung reagiert der Junge auf gespaltene Weise auf den Anblick der Penislosigkeit der Mutter (der Privation im Sinne von Seminar 4) . Einerseits, indem er (als Ersatz für den fehlenden Penis der Mutter) einen Fetisch erschafft, also durch eine Verleugnung. Zugleich entwickelt er ein Symptom, eine intensive Angst vor Bestrafung durch den Vater, und das beweist, dass er die Gefahr doch anerkennt. Das „Nicht möglich“ könnte der Kastrationsangst entsprechen, das „nichts, kann sein / vielleicht“ der Schaffung des Fetischs. ?]
Ich vervollständige das Zitat:
„‚Könnte es sein, dass es nicht mamme gibt? Nicht möglich – nichts, kann sein / vielleicht‘ – das ist der Beginn einer jeden Äußerung des Subjekts, die sich auf das Reale bezieht.“
Die Äußerung des Subjekts bezieht sich auf das Reale. [Der Begriff des Realen muss von der Äußerung des Subjekts her rekonstruiert werden.]
]Der Äußerungsvorgang, der sich auf das Reale bezieht, besteht aus drei Komponenten:
(a) „Könnte es sein, dass es nicht mamme gibt?“ Fragende Erwartung der Anwesenheit des Objekts.
(b) „Nicht möglich.“ Auf die Erwartung folgt gewissermaßen die logische Unmöglichkeit.
(c) „Nichts, kann sein / vielleicht.“ Auf die logische Unmöglichkeit folgt die ontologische Möglichkeit des Nichts.]
[Das ist, wenn ich recht sehe, Lacans erste Annäherung an die Formel „Das Reale ist das Unmögliche“. Der Begriff des Unmöglichen wird aus der Bindung an die Zwangsneurose gelöst (wie man sie etwa in der Wortmeldung von 1956 findet, die ich zu Beginn dieses Artikels zitiert habe), und er wird definitorisch mit dem Realen verknüpft. Das Reale als das Unmögliche ist eingebettet in eine Erwartung des Subjekts und ihm folgt eine Ontologisierung, der Wechsel von der Unmöglichkeit zum Nichts.]
Lacan bezieht dies dann wieder auf das Quadrantenschema. Im ersten Quadranten (oben links) geht es darum, die Rechte des oben stehenden „nichts“ zu wahren [ich nehme an: die Rechte des „nichts“ im Quadranten oben rechts, des Quadranten ohne Striche]. [¿ Soll das „nichts“ von „Nicht möglich – nichts vielleicht“ durch den Quadranten oben rechts repräsentiert werden?]
Das oben stehende „nichts“ erschafft unten das „vielleicht“, das heißt die Möglichkeit. [Was ist hier mit „unten“ gemeint? Möglicherweise die beiden unteren Quadranten, 2 und 3, sie stehen zusammen für die partikuläre verneinende Aussage („Einige S sind nicht P“ oder „Es gibt S, die nicht P sind“). Das „Es gibt einige“ würde dann von Lacan (ohne dies zu begründen) mit der Kategorie der Möglichkeit gleichgesetzt. Das könnte man plausibel machen, indem man die Beziehung zu einem Quadranten als Auswahlvorgang deutet, wie bei einer Lostrommel: Wenn das Subjekt aus dem Quadranten unten links ein Element wählt, ist es möglich, dass das Element senkrecht ist. Das gilt allerdings nicht für den Quadranten unten rechts.]
Man kann nicht sagen, alles Reale sei möglich, darin bestand der Irrtum der gesamten abstrakten Deduktion des Transzendentalen. [Mit „Alles Reale ist möglich“ spielt Lacan auf einen Satz der klassischen Metaphysik an, „Was wirklich ist, ist auch möglich“. Dieses Prinzip stützt sich letztlich auf Aristoteles, auf dessen Begriffsopposition von dynamis (Mögliches) und energeia (Wirkliches): unter bestimmten Bedingungen geht das Mögliche in das Wirkliche über, deshalb ist das Wirkliche auch das Mögliche.]
[Die „Deduktion des Transzendentalen“ (oder besser die „transzendentale Deduktion“) ist die nicht-empirische Begründung der Kategorien von Kants Kategorientafel in der Kritik der reinen Vernunft. Dabei geht es um die Frage, wie sich die Kategorien auf Anschauungen beziehen können, auf Wahrnehmungen. Die Begründung erfolgt so, dass die Kategorien aus der Urteilstafel abgeleitet werden, sie beruht damit letztlich auf der Unterscheidung von allgemeinen und partikulären, bejahenden und verneinenden Urteilen.]
[¿ Lacan zufolge ist der Satz „Alles Wirkliche ist auch möglich“ auch in der transzendentalen Deduktion der Kategorien am Werk. Mir ist nicht klar, worauf er sich damit bezieht. Etwa auf Kants Lehrsatz „Die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt sind zugleich Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung, und haben darum objektive Gültigkeit in einem synthetischen Urteile a priori.“ (B 197) –?]
Lacan fährt so fort:
„… vielmehr ist es so, dass nur vom ‚nicht möglich‘ her das Reale auftritt“.
[Anders gesagt: Nur vom Unmöglichen her tritt das Reale auf. Das ist die zweite Formulierung, in der Lacan den Begriff der Unmöglichkeit auf das Reale bezieht. Nach diesen beiden Anläufen wird er zwei Sitzungen später (am 21. März 1962) das Reale ausdrücklich mit dem Unmöglichen gleichsetzen. Von nun an wird die Formel „Das Reale ist das Unmögliche“ (in vielen Formulierungsvarianten) in jedem Seminar aufgegriffen werden, bis einschließlich Seminar 24.]
[Der Satz „Das Reale ist das Unmögliche“ wendet sich also gegen die klassische Metaphysik, für die das Reale das Mögliche ist. Einen Stützpunkt hat der Satz in Kants nihil negativum, dem „leeren Gegenstand ohne Begriff“, dem „Unding“, wie Lacan in der vorangegangenen Sitzung angedeutet hatte (28. Februar 1962).]
Das Subjekt sucht das Reale, insofern es nicht möglich ist
Und wieder direkt anschließend heißt es:
„Was das Subjekt sucht, ist dieses Reale, insofern es gerade nicht möglich ist (…).“
[Dieser Satz verbindet das Reale im Sinne des Unmöglichen mit dem Suchen des Subjekts. Die Frage des Subjekts („Könnte es sein, dass es nicht mamme gibt?“) zielt letztlich auf das „nicht möglich“, auf das Reale als das Unmögliche.]
[Nicht speziell der Zwangsneurotiker sucht das Unmögliche, wie Lacan bislang gesagt hatte, sondern das Subjekt überhaupt. Diese These wird hier von ihm zum ersten Mal vorgetragen.]
Ich wiederhole und vervollständige das Zitat:
„Was das Subjekt sucht, ist dieses Reale, insofern es gerade nicht möglich ist, das ist die Ausnahme.“
[Damit bringt Lacan wieder das Konzept der Ausnahme ins Spiel, das er in diesem Seminar bereits eingeführt hatte. Die Neuartigkeit der Analyse bestehe darin, dass sie von den Tugenden der Norm zu den Tugenden der Ausnahme übergegangen ist, hieß es in der Sitzung vom 21. Februar 1962. Zugleich knüpft er an eine frühere Bemerkung in dieser Sitzung an, wonach es darum gehe, die Klasse nicht von der Einschließung, sondern von der Ausschließung her aufzufassen; die Klasse der Säugetiere entsteht dadurch, dass sie aus der Klasse der Wirbeltiere „ausgeschlossen“ wird, ausgesondert wird. Jetzt wird die Ausnahme als das Reale bestimmt, insofern es unmöglich ist. Das lässt an die Logik denken, die den Widerspruch ausschließt (es ist unmöglich, dass A und nicht-A zugleich wahr sind). Das Reale wäre hier also, dass A und nicht-A zugleich wahr sind. Die Psychoanalyse geht demnach insofern zu den Tugenden der Ausnahme über, als sich für sie das Subjekt auf das Reale bezieht, insofern es unmöglich ist.]
Der nächste Satz lautet:
„Und dieses Reale existiert sicherlich.“
Mir ist nicht klar, was hier mit „existieren“ gemeint ist.
Danach heißt e:
„Man kann sagen, dass es am Ursprung jedes Äußerungsvorgangs nur ein ‚nicht möglich‘ gibt, aber das sieht man von daher, dass es das Ausgesagte des ‚nichts‘ ist, wovon sie ausgeht.“
Am Ursprung jedes Äußerungsvorgangs gibt es ein „nicht möglich“. [Die Äußerung „Könnte es sein, dass es nicht mamme gibt?“ beruht demnach letztlicFh auf der Beziehung des Subjekts zu einer Unmöglichkeit auf der Ebene des Äußerungsvorgangs, zu einer Unmöglichkeit im Sprechen.]
Das sieht man jedoch nur, wenn man vom „nichts“ ausgeht [in „nichts, vielleicht“], und das „nichts“ liegt nicht auf der Ebene des Äußerungsakts, sondern auf der des Ausgesagten [das ontologisierende „nichts“ ist etwas, worüber gesprochen wird, keine Unmöglichkeit im Sprechen].
[Letztlich bezieht sich das Subjekt auf eine Unmöglichkeit im Sprechen (auf ein Trauma als etwas Unsymbolisierbares, auf eine urverdrängte Vorstellungsrepräsentanz). Dorthin kommt es jedoch nur auf dem Weg, dass es über ein Nichts spricht, darüber, dass etwas fehlt, und zwar auf der Ebene dessen, worüber gesprochen wird.]
Am Schluss der zitierten Passage erklärt Lacan, dass er das, was er hier ausführt, bereits in seinem dreigliedrigen Schema Privation – Frustration – Kastration dargestellt hatte [in Seminar 4]. [Wie sind die Komponenten der Äußerung zuzuordnen, der Äußerung „Könnte es sein, dass es nicht mamme gibt? Nicht möglich – nichts, kann sein / vielleicht.“ ? Meine Vermutung:
- Frustration: „Könnte es sein, dass es nicht mamme gibt?“
- Kastration: „Nicht möglich“.
- Privation: „nichts, kann sein / vielleicht“.]
Ursprüngliche Verwerfung des Subjekts (14. März 1962)
Übersetzung
Zu Beginn der Folgesitzung spricht Lacan über einen Vortrag, den Daniel Lagache am Vorabend über das Thema der Sublimation gehalten hatte. Dann wendet er sich wieder dem Thema des Seminars zu.
„Nehmen wir die Dinge dort wieder auf, wo wir sie das letzte Mal haben liegen lassen, auf der Ebene der Privation.
Ich hoffe, dass ich mich, bezogen auf dieses Thema, verständlich gemacht habe, indem ich sie durch dieses minus Eins, (–1), symbolisiert habe, diese Runde, die zwangsläufig nicht gezählt wird, die bestenfalls als Minus gezählt wird, nämlich wenn es [das Subjekt] die Runde der Runden gedreht hat, die Runde des Torus.134
Die Tatsache, dass ich sofort den Faden gefasst hielt, der die Funktion dieses minus Eins, –1, auf die logische Grundlage jeder Möglichkeit einer universalen Bejahung bezieht, der Möglichkeit also, die Ausnahme zu begründen – und das ist es im Übrigen, wovon die Regel gefordert wird, die Ausnahme bestätigt nicht die Regel, wie man so nett sagt, sie fordert die Regel, sie ist deren wirkliches Prinzip –, kurz, dadurch, dass ich Ihnen meine kleine Kreisfläche gezeichnet habe, dass ich Ihnen also gezeigt habe, dass die einzig wirkliche Sicherung der universalen Bejahung die Ausschließung eines negativen Strichs ist, ‚es gibt keinen Menschen, der nicht sterblich wäre‘ (il n’y a pas d’homme qui ne soit mortel), habe ich zu einer Verwirrung Anlass geben können, die ich jetzt berichtigen möchte, damit Sie wissen, im Rahmen welcher Prinzipien ich Sie voranschreiten lasse.
Ich habe Ihnen diesen Bezug geliefert, aber es ist klar, dass man ihn nicht für eine Ableitung des ganzen Prozesses ausgehend vom Symbolischen halten darf. Den leeren Teil, wo es in meiner Kreisscheibe nichts gibt, muss man auf dieser Ebene noch als abgelöst auffassen.
Das minus Eins, –1, welches auf dieser Ebene das Subjekt ist, ist an sich keineswegs subjektiviert, es geht hier nicht bereits um die Frage von Wissen oder Nicht-Wissen. Damit sich etwas von dieser Art herstellt, muss ein ganzer Zyklus durchlaufen sein, wovon die Privation also nur der erste Schritt ist.
Die Privation, um die es geht, ist reale Privation, wofür ich – mit der Stütze der Anschauung, bei der Sie mir darin zustimmen werden, dass man mir wohl das Recht darauf zugestehen kann –, wofür ich hier nur den Spuren der Tradition folge, und zwar der reinsten.135 Man gesteht Kant das Wesentliche seines Vorgehens zu, und was diese Grundlage des Schematismus angeht, suche ich eine bessere, um zu versuchen, sie für sie spürbar zu machen, anschaulich zu machen.136
Die Triebfeder dieser realen Privation habe ich geschmiedet.
Erst nach einem langen Umweg also kann dem Subjekt das Wissen von seiner ursprünglichen Verwerfung (rejet) zukommen. Aber auf diesem Wege, ich sage es Ihnen sofort, werden genügend Dinge geschehen sein, sodass das Subjekt dann, wenn es ans Licht kommt, nicht nur weiß, dass es von diesem Wissen verworfen ist, sondern auch, dass dieses Wissen selbst zu verwerfen ist, insofern es sich als etwas erweisen wird, was immer entweder jenseits oder diesseits dessen ist, was das Subjekt zur Verwirklichung des Begehrens erreichen muss.
Anders gesagt, wenn das Subjekt jemals – was seit der Zeit von Parmenides sein Ziel ist – zu der Identifizierung gelangt, zu der Bejahung, dass noein kai einai, dass Denken und Sein, to auto ist, dasselbe ist137, wird es sich in diesem Moment zwischen seinem Begehren und seinem Ideal unheilbar gespalten finden.“138
Danach erläutert Lacan wieder den Torus.
Paraphrase mit Ergänzungen
Die Ausnahme fundiert die Regel
Lacan greift das Thema der Privation auf.
Er fasst zusammen, wie er mithilfe des Torus das Verhältnis zwischen Anspruch und Begehren dargestellt hatte: Wenn der Anspruch seine Runden um den Torus dreht (die kleinen lila Kreise um den Schlauch), wird hierbei eine Runde nicht mitgezählt (der große rote Kreis um den Torus insgesamt).
Dieser nicht-mitgezählte Kreis ist die Funktion (–1).
Lacan symbolisiert diesen nicht mitgezählten Kreis durch (–1), und er begreift dieses (–1) als logische Grundlage der Möglichkeit der universalen Bejahung. [Damit stellt er einen Übergang von der Topologie zur Logik her.] Die universale Bejahung stützt sich auf die Ausnahme. [Die Ausnahme wird im Schema von Peirce demnach durch den Quadranten oben rechts repräsentiert, den Quadranten ohne Striche.]
[Im Quadrantenschema entspricht der Quadrant oben rechts also dem Begehren.]
Das Verhältnis von Ausnahme und Regel muss umgedreht werden. Normalerweise sagt man: Die Ausnahme bestätigt die Regel [dabei gilt die Regel als das Fundierende]. Es muss jedoch heißen: Die Ausnahme fordert die Regel, anders gesagt: die Ausnahme ist das Prinzip der Regel [die Ausnahme ist die Grundlage, der Ursprung der Regel].
Eben dies soll durch das Quadrantenschema gezeigt werden. Grundlage der [universalen] Bejahung [die beiden oberen Quadranten] ist die Ausschließung in Gestalt eines „negativen Strichs“ [Quadrant oben rechts, Fehlens von Strichen überhaupt, ob nun senkrecht oder schräg].
Lacan verdeutlicht die Ausschließung, die durch den negativen Strich, den fehlenden Strich, angezeigt wird, durch die Aussage „Es gibt keinen Menschen, der nicht sterblich wäre“ (il n’y a pas d’homme qui ne soit mortel). [Anders gesagt: „Alle Menschen sind sterblich“. In der von Lacan gewählten Formulierung ist jedoch der Bezug auf die Unsterblichkeit enthalten („nicht sterblich“), eine Entsprechung wäre der Satz „Keiner ist unsterblich“. Das alle der Sterblichen, also die Bildung der Klasse der Sterblichen, stützt sich auf die Ausnahme, sie beruht darauf, dass sie die Unsterblichen von sich ausschließt.]
Reale Privation
Lacan sagt, dass er mit dem Quadrantenschema zu einer Verwirrung beigetrage habe. Es sehe so aus, als wolle er den ganzen Prozess [der Konstituierung des Subjekts] aus dem Symbolischen ableiten. Das sei jedoch nicht gemeint. [Die Privation ist zunächst eine reale Privation, wie er wenig später sagen wird.]
Um die Verwirrung aufzulösen, modifiziert er das Quadrantenschema. Das Viertel oben rechts (das ohne Strich) muss im ersten Schritt so aufgefasst werden, dass es abgetrennt ist, dass es noch nicht mit dem Kreis verbunden ist.
Das (–1) ist auf dieser Ebene das Subjekt [das Quadrantenschema stellt also die Struktur des Subjekts dar].
Die Ablösung des Kreisviertels oben rechts soll veranschaulichen, dass das (–1) nicht subjektiviert ist; es geht hier noch nicht um Wissen oder Nicht-Wissen. [Die „Subjektivierung“ hat demnach die Form des Erwerbs von Wissen oder auch von Nicht-Wissen.]
Um das (–1) zu subjektivieren, muss ein Zyklus durchlaufen werden, in dem die Privation nur der erste Schritt ist. Unter Privation versteht Lacan hier die „reale Privation“, womit er, wie er sagt, an die „reinste“ Tradition anknüpft, an Kant [an die Tradition der „reinen Vernunft“]. [Die „reale Privation“ entspricht demnach Kants Begriff des nihil privativum (privatives Nichts) in der Kritik der reinen Vernunft (B 348), der bei Lacan zum ens privativum wird (privatives Seiendes). Das nihil privativum ist der Begriff vom Mangel eines Gegenstandes.] Man gesteht Kant das Wesentliche seines Vorgehens zu. [Die Privation, um die es Lacan geht, ist eine Privation auf der Seite des Gegenstandes (etwa das Fehlen der Brust), eine Privation, die erst in einem zweiten Schritt symbolisiert wird, in Wissen oder Nichtwissen verwandelt wird.]
[Lacan hatte früher mehrfach betont, dass im Realen nichts fehlen kann. Wie passt das zusammen? Offenbar, wie man gleich sehen wird, durch Verzeitlichung: Die Privation ist zunächst Privation im Realen und wird dann auf der Ebene des Wissens subjektiviert.]
Jedoch sucht Lacan – sagt er – nach einer besseren Grundlage für diesen Schematismus. [„Schematismus“ ist ein Begriff von Kant in der Kritik der reinen Vernunft, im Kapitel „Von dem Schematismus der reinen Verstandesbegriffe“ (B 176 ff.). Das Schema ist das, was zwischen Begriff und Anschauung vermittelt.– Worin besteht die bessere Grundlage für diesen Schematismus? In der Topologie.]
Der nächste Satz lautet:
„Die Triebfeder dieser realen Privation habe ich geschmiedet.“
[¿ Mir ist nicht klar, was damit gemeint ist.]
Ursprüngliche Verwerfung des Subjekts
Nächster Satz:
„Erst nach einem langen Umweg also kann dem Subjekt das Wissen von seiner ursprünglichen Verwerfung (rejet) zukommen.“
[Demnach ist die „reale Privation“ die „ursprüngliche Verwerfung (rejet)“ des Subjekts. Die Privation des Objekts ist zugleich die Rejektion des Subjekts.] [ [¿ Worin besteht im Phantasma des Wolfsmanns das ausgestrichene S?] Lässt sich das wieder auf die Mutterbrust beziehen? Besteht die ursprüngliche Verwerfung des Subjekts in der Entwöhnung?]
Erst auf langen Umwegen wird das Subjekt ein Wissen von seiner ursprünglichen Verwerfung haben. [Lacan unterscheidet hier also die reale Privation und deren Subjektivierung durch ein Wissen.] [¿ Was ist der lange Umweg, die Wiederbelebung der Privationserfahrung im Verlauf der Lebensgeschichte? Oder die psychoanalytische Kur? Das Ende der Kur wäre dann das Wissen des Subjekts über seine ursprüngliche Verwerfung.]
Das Subjekt wird dann wissen, dass es von diesem Wissen verworfen ist. [Die Subjektivierung der realen Privation besteht also nicht darin, dass das Subjekt ein Wissen von der Privation hat und damit von seiner Verwerfung, sondern sie besteht in einem Wissen über dieses Wissen: die Verwerfung ist eine Verwerfung durch ein Wissen.] [¿ Ist dies das Nicht-Wissen, von dem Lacan vorher gesprochen hatte, die Aphanisis des Subjekts (wie er in Seminar 6 gesagt hatte), die Realisierung dessen, dass es keinen Signifikanten des Subjekts gibt?]
Das Subjekt wird dann auch wissen, dass dieses Wissen selbst zu verwerfen ist, insofern das Wissen immer diesseits oder jenseits dessen ist, was es erreichen muss, um sein Begehren zu verwirklichen. [Bezogen auf die Torus-Runden spricht Lacan nicht von „Wissen“, sondern von „Anspruch“ bzw. „Forderung“ (demande). Das Begehren ist immer diesseits oder jenseits des Anspruchs.]
Anders gesagt, das Subjekt strebt nach Identität von Denken und Sein, wie man mit Parmenides sagen kann, tatsächlich aber findet es sich zwischen Ideal und Begehren [Seinsmangel] unheilbar gespalten. [Dem Denken entspricht hier offenbar das Ideal und das Wissen, dem Sein das Begehren und das Nichtwissen – das Begehren ist Seinsmangel.] [¿ Besteht das Wissen, dass das Wissen zu verwerfen ist, in der Distanzierung vom Ideal?]
Das Begehren des Unmöglichen in Zwangsneurose und Hysterie (21. März 1962)
Übersetzung
Zu Beginn der nächsten Sitzung erinnert Lacan daran, dass er in der vorangegangenen Stunde das Verhältnis des Subjekts zum Anderen in der Neurose durch die Beziehung zwischen zwei Tori dargestellt hatte, die sich gegenseitig in der „zentralen Leere“ durchdringen:
Der „kleine Kreis“, den man auf dem Torusschlauch eintragen kann, entspricht dem Anspruch, der „große Kreis“, den man um den Torus insgesamt drehen kann, dem Begehren. Die Zeichnung veranschaulicht, dass sich das Begehren des Subjekts (zentrale Leere) auf den Anspruch des Anderen richtet (die zentrale Leere des einen Torus wird durch den Schlauchumfang des anderen Torus ausgefüllt). Das entspricht der Neurose, insofern das Subjekt hier versucht, sein Begehren in der Abhängigkeit vom Anspruch des Anderen zu fundieren. In der hier dargestellten Verknotung des Subjekts mit dem Anderen gibt es „eine Beziehung zu einer Attrappe (leurre)“, wie die Ethologen sagen, zu einem Trugbild, einem Köder. Lacan fährt so fort:
„Das Feld, um das es geht, könnte also auf keine Weise auf das Feld des Bedürfnisses reduziert werden, auf das Feld eines Objekts, das sich im Grenzfall dem Organismus, aufgrund der Rivalität mit seinesgleichen, als Objekt der Subsistenz aufnötigen könnte, denn das wäre hier der Aspekt, auf den sich für uns die Rivalität letztlich stützen würde.
Dieses andere Feld, das wir definieren und für das unser Torusbild gemacht ist, ist ein anderes Feld, ein Signifikantenfeld, ein Feld der Konnotation von Anwesenheit und Abwesenheit, wo das Objekt nicht mehr Objekt des Subsistenz, sondern der Ex-sistenz des Subjekts ist.
Damit wir dazu kommen, das zu demonstrieren – letztlich handelt es sich ja um einen bestimmten notwendigen Platz der Ex-sistenz des Subjekts und darum, dass hier die Funktion ist, zu der das kleine a der ersten Rivalität erhoben wird, geführt wird –, haben wir den Weg vor uns, den wir noch durchlaufen müssen, ausgehend von dem Höhepunkt, zu dem ich Sie das letzte Mal geführt habe, nämlich der Dominanz des Anderen bei der Herstellung der frustrierenden Beziehung.
Der zweite Teil dieses Weges muss uns von der Frustration zu der noch zu definierenden Beziehung führen, durch die das Subjekt im Begehren konstituiert wird, und Sie wissen, dass wir nur hier die Kastration auf angemessene Weise artikulieren können. Was dieser Platz der Ex-sistenz bedeutet, werden wir also letztlich erst dann wissen, wenn dieser Weg durchlaufen ist.“139
Danach spricht Lacan über die doppelte Negation. In der französischen Alltagssprache funktioniert sie anders als in der Logik. In der Logik ist die doppelte Negation eine Bejahung, in der Umgangssprache hingegen dient sie häufig dazu, die Verneinung zu verstärken. [Eine Entsprechung findet man in vielen deutschen Dialekten, in denen man beispielsweise sagen kann „Das tut kein Mensch nicht“, womit gemeint ist „Das tut nun wirklich kein Mensch“.] Die Verstärkungsfunktion der doppelten Negation im Französischen beruht auf einer „topologischen Duplizität“. Diese Duplizität sorgt dafür, dass die beiden Negationen nicht auf derselben Ebene liegen – die eine Negation liegt auf der Ebene des Ausgesagten (énoncé), also dessen, worüber gesprochen wird, die andere auf der Ebene des Äußerungsvorgangs (énonciation), sie bezieht sich auf das aktuell vollzogene Sprechen. [Die beiden Ebenen lasse sich an dem Satz „Ich sage, dass p“ veranschaulichen. Negiert man den Satz auf der Ebene des Ausgesagten, erhält man „Ich sage, dass nicht p“; negiert man ihn auf der Ebene des Äußerungsvorgangs, ergibt sich „Ich sage nicht, dass p“.140]
Etwas später heißt es:
„Das führt uns zu unserem Ausgangspunkt zurück, zum Verhältnis zum Anderen, insofern ich über dieses Verhältnis gesagt habe, es beruhe auf einem Köder, wobei es jetzt darum geht, es anders zu artikulieren als durch dieses natürliche Verhältnis, da wir ja auch sehen, wie sehr es sich dem Denken entzieht, wie sehr es vom Denken zurückgewiesen wird.
Wir müssen von einem anderen Punkt ausgehen, nämlich von der Frage, die an den Anderen gestellt wird, von der Frage nach seinem Begehren und dessen Befriedigung.
Wenn es einen Köder gibt, muss er an dem teilhaben, was ich vorhin die radikale Duplizität der Position des Subjekts genannt habe.
Und das möchte ich Sie spüren lassen, auf der für den Signifikanten charakteristischen Ebene, insofern sie durch die Duplizität der subjektiven Position gekennzeichnet ist, und es ist das, wobei ich Sie im Augenblick bitten möchte, mir zu folgen, bei etwas, was man letztlich die Differenz nennen kann, derentwegen der Graph, mit dem ich Sie während einer gewissen Zeit meines Diskurses festgehalten habe, eigentlich konstruiert worden ist.141 Diese Differenz nennt sich: Unterschied zwischen der Botschaft und der Frage.
Dieser Graph, der sich hier so gut in genau die Kluft einschreibt, durch die das Subjekt in doppelter Weise mit der Ebene des universalen Diskurses verbunden ist – ich werde hier heute die vier Überschneidungspunkte eintragen, diejenigen, die Sie bereits kennen:
– A,
– s(A), die Bedeutung der Botschaft, insofern sie auf der Rückkehr des Signifikanten beruht, der im Anderen angesiedelt ist,
– hier: ($◊D), das Verhältnis des Subjekts zum Anspruch, insofern hier der Trieb spezifiziert wird,
– hier: das S(Ⱥ), der Signifikant des Anderen, insofern der Andere letztlich nur formalisiert oder signifikantisiert werden kann als selbst vom Signifikanten markiert, anders gesagt, insofern er uns den Verzicht auf jede Metasprache aufnötigt.
Die Kluft, die hier zu artikulieren ist, ist gänzlich in einer Form aufgespannt, die letztlich darin besteht, dass die Forderung (demande) an den Anderen, zu antworten, in einer Serie von Rückläufen beständig wechselt, beständig pendelt, zwischen dem ‚Nichts vielleicht?‘ (‚Rien peut-être?‘) und dem ‚Vielleicht nichts‘ (‚Peut-être rien‘), das hier eine Botschaft ist.
Sie öffnet sich auf das hin, was uns als die Öffnung erschienen ist, die dadurch gebildet wird, dass ein Subjekt in das Reale eintritt.
Wir stimmen hier mit der zuverlässigsten Ausarbeitung des Begriffs der Möglichkeit* überein. Das Mögliche ist nicht von der Sachseite her <aufzufassen>, sondern von der Seite des Subjekts her. Die Botschaft öffnet sich auf den Begriff der Eventualität hin, der durch eine Erwartung in der konstituierenden Situation des Begehrens gebildet wird, so wie wir sie hier festzumachen versuchen. ‚Peut-être‘, ‚vielleicht‘ [wörtlich ‚kann sein‘]: die Möglichkeit geht dem Nominativ ‚rien‘, ‚nichts‘, voraus, der im Extremfall den Wert eines Ersatzes für die Positivität annimmt.
Das ist ein Punkt [des Graphen], und ein Punkt, das ist alles.
Hier ist der Platz des einzigen Zugs, in der Leere aufbewahrt, die auf die Erwartung des Begehrens antworten kann.
Das ist etwas ganz anderes als die Frage, insofern sie mit ‚Nichts vielleicht?‘ artikuliert wird, etwas anderes als das ‚vielleicht?‘, auf der Ebene des in Frage gestellten Anspruchs ‚Was will ich?‘, wobei zum Anderen gesprochen wird, etwas anderes als das ‚vielleicht?‘, das hier in eine Position gelangt, die homolog zu derjenigen ist, durch die auf der Ebene der Botschaft die eventuelle Antwort konstituiert wurde.
‚Vielleicht nichts‘, das ist die erste Formulierung der Botschaft. ‚Vielleicht: nichts‘, das kann eine Antwort sein. Aber ist das die Antwort auf die Frage ‚Nichts vielleicht?‘? Gerade nicht! Hier nimmt das Aussagepartikel ‚nichts‘ (rien) – insofern es die Möglichkeit aufwirft, dass es nicht zu einem Beschluss kommt (non lieu de conclure142), als vorgängig gegenüber der Seite der Existenz, gegenüber der Potenz des Seins –, hier, auf der Ebene der Frage, nimmt dieses Aussagepartikel seinen vollen Wert an, den einer Substanzialisierung des Nichts (néant) der Frage selbst.
Der Satz ‚Nichts vielleicht?‘ öffnet sich für die Wahrscheinlichkeit, dass nichts ihn als Frage determiniert, dass überhaupt nichts determiniert ist, dass es möglich bleibt, dass nichts sicher ist, dass es möglich ist, dass man – außer im Rückgriff auf die unendliche Vorgängigkeit des Kafka’schen Prozesses – nicht zu einem Beschluss kommen kann, dass es ein reines Fortbestehen der Frage gibt, mit der Unmöglichkeit des Schließens. Einzig die Eventualität des Realen gestattet es, etwas zu bestimmen, und die Benennung des Nichts (néant) des reinen Fortbestehens der Frage, damit haben wir es auf der Ebene der Frage selbst zu tun.
‚Vielleicht nichts‘ könnte auf der Ebene der Botschaft eine Antwort sein, aber die Botschaft war gerade keine Frage. ‚Nichts vielleicht?‘ liefert auf der Ebene der Frage nur eine Metapher, nämlich dass die Potenz des Sein jenseits liegt. Jede Eventualität ist da bereits verschwunden und ebenso jede Subjektivität. Es gibt nur Sinneffekt, unendliche Verweisung von Sinn auf Sinn, abgesehen davon, dass wir Analytiker uns durch Erfahrung daran gewöhnt haben, diese Verweisung auf zwei Ebenen zu strukturieren und dass sich hierdurch alles ändert.
Dass nämlich für uns die Metapher eine Verdichtung ist, das heißt, zwei Ketten, und dass sie, die Metapher, auf unerwartete Weise mitten in der Botschaft in Erscheinung tritt; dass sie auch mitten in der Frage zur Botschaft wird, dass die Frage ‚Familie‘ anfängt, artikuliert zu werden und dass mittendrin die Million des Millionärs auftaucht143; dass das Einbrechen der Frage in die Botschaft darin besteht, dass uns enthüllt wird, dass die Botschaft sich inmitten der Frage manifestiert; dass sie auf dem Wege zutage tritt, auf dem wir zur Wahrheit aufgerufen sind; dass vermittels unserer Frage nach der Wahrheit die Botschaft zutage tritt, ich meine in der Frage selbst und nicht in der Antwort auf die Frage.
Genau an diesem Punkt also, der für die Artikulation des Unterschiedes zwischen Äußerungsvorgang (énonciation) und Ausgesagtem (énoncé) von Wert ist, genau hier mussten wir einen Moment lang innehalten.
Wenn diese Möglichkeit des ‚nichts‘ (‚rien‘) nicht bewahrt wird, hindert uns das daran, diese Kluft zu sehen – trotz dieser Allgegenwart –, die den Ursprung für jede mögliche Artikulation bildet, die wirklich subjektiv ist, diese Kluft, die sehr genau ebenso durch den Übergang vom Zeichen zum Signifikanten verkörpert wird, wo wir das erscheinen sehen, wodurch sich in dieser Differenz das Subjekt auszeichnet.
Ist es letztlich Zeichen oder Signifikant? Zeichen ? Zeichen von was? Es ist genau das Zeichen von nichts. Der Signifikant definiert sich dadurch, bei einem anderen Signifikanten das Subjekt zu repräsentieren: unendliche Verweisung des Sinns. Und wenn das etwas bedeutet, dann deshalb, weil der Signifikant beim anderen Signifikanten diese besondere Sache bedeutet, die das Subjekt als nichts ist.
Hier ermöglicht uns unsere Erfahrung, die Notwendigkeit des Weges herauszustellen, durch den jede Realität gestützt wird, in der Struktur, die dadurch identifizierbar ist, dass sie es ist, die es uns gestattet, weiterhin unsere Erfahrung zu machen.
Der Andere antwortet also nichts, außer, dass nichts sicher ist; das hat jedoch nur eine Bedeutung, nämlich dass es etwas gibt, wovon er nichts wissen will, nämlich genau von dieser Frage.
Auf dieser Ebene ist das Unvermögen des Anderen in einem Unmöglichen verwurzelt, in dem Unmöglichen, auf dessen Weg uns bereits die Frage des Subjekts geführt hatte.
‚Nicht möglich‘ war diese Leere, wo es dazu kam, dass der einzige Zug in seinem spaltenden Wert auftauchte.
Hier sehen wir, wie dieses Unmögliche Gestalt annimmt (prend corps) und das zusammenfügt, wovon wir vorhin gesehen haben, wie es von Freud definiert wird, über die Konstituierung des Begehrens durch das ursprüngliche Verbot.
Das Unvermögen des Anderen zu antworten rührt von einer Sackgasse her, und diese Sackgasse – wir kennen sie – wird als Begrenztheit seines Wissens bezeichnet. ‚Er wusste nicht, dass er tot war‘144, dass er zu dieser Absolutheit des Anderen nur durch den Tod gelangt ist, der nicht akzeptiert, sondern erlitten wurde, durch das Begehren des Subjekts erlitten wurde.
Dies weiß das Subjekt, wenn ich so sagen kann: dass der Andere es nicht wissen darf, dass der Andere fordert (demande), nicht zu wissen.
Das ist hier der spezielle Bereich in diesen beiden nicht miteinander vermengten Forderungen (demandes), derjenigen des Subjekts und derjenigen des Anderen, nämlich dass das Begehren eben als Überschneidung dessen definiert wird, was in beiden Forderungen nicht zu sagen ist.
Nur von da aus befreien sich die Forderungen, die überall anderswo formulierbar sind, nicht jedoch im Felde des Begehrens.
Das Begehren konstituiert sich auf diese Weise zunächst als das, was seiner Natur nach dem Anderen strukturell verborgen ist. Es ist genau das dem Anderen Unmögliche, das zum Begehren des Subjekts wird. Das Begehren konstituiert sich als der Teil des Anspruchs, der dem Anderen verborgen ist.
Dieser Andere, der gerade als Anderer, als Ort des Sprechens, nichts garantiert, gewinnt hier seine erbauliche Wirkung. Er wird der Schleier, die Abdeckung, das Prinzip der Verdunkelung des Platzes des Begehrens, und eben hier wird das Objekt in Deckung gebracht.
Wenn es eine Existenz gibt, die sich zuerst konstituiert, dann ist es diese hier, und sie setzt sich an die Stelle der Existenz des Subjektes selbst, da das Subjekt, insofern es vom Anderen abhängt, gleichermaßen davon abhängig bleibt, dass auf der Seite des Anderen nichts sicher ist, außer eben, dass er etwas verbirgt, dass er etwas verdeckt, nämlich dieses Objekt, dieses Objekt, das noch ‚vielleicht nichts‘ ist, insofern es zum Objekt des Begehrens werden wird.
Das Objekt des Begehrens existiert als eben dieses Nichts, wovon der Andere nicht wissen kann, dass dies alles ist, woraus es besteht. Dieses Nichts, insofern es dem Anderen verborgen ist, gewinnt Konsistenz, es wird zur Hülle für jedes Objekt, vor dem die Frage des Subjekts innehält, insofern das Subjekt dann nur noch imaginär wird.
Die Forderung (demande) ist von der Forderung des Anderen in dem Maße befreit, wie das Subjekt das Nichtwissen des Anderen ausschließt. Es gibt jedoch zwei mögliche Formen des Ausschlusses. ‚Bezogen auf das, was Sie wissen oder was Sie nicht wissen, wasche ich meine Hände in Unschuld und handle.‘ ‚Sie wissen nur allzu gut‘ bedeutet, dass mir völlig gleichgültig ist, ob Sie wissen oder nicht wissen.
Es gibt jedoch auch die andere Form: ‚Es ist absolut notwendig, dass Sie wissen‘, und das ist der Weg, den der Neurotiker wählt, und darum ist er, wenn ich so sagen kann, von vornherein dazu bestimmt, Ihr Opfer zu sein. Für den Neurotiker ist die gute Art und Weise, das Problem dieses Feldes des Begehrens zu lösen – insofern es durch dieses zentrale Feld der Forderungen konstituiert wird, die sich nun mal überschneiden und deshalb ausgeschlossen werden müssen –, besteht sie darin, dass er findet, dass die gute Art und Weise darin besteht, dass Sie wissen. Wenn es nicht so wäre, würde er keine Psychoanalyse machen.
Was tut der Rattenmann, wenn er sich wie Theodor nachts erhebt145? Er schleppt sich in Pantoffeln zum Hausflur, um dem Gespenst seines toten Vaters die Tür zu öffnen – und um ihm was zu zeigen? Dass er gerade einen Ständer hat.146
Ist das nicht die Enthüllung eines grundlegenden Verhaltens? Der Neurotiker will, dass der Andere – mangels Können, denn es erweist sich, dass der Andere nichts kann – zumindest weiß.
Vorhin habe ich zu Ihnen über das Engagement gesprochen; im Gegensatz zu dem, was man glaubt, ist der Neurotiker jemand, der sich als Subjekt engagiert. Er verschließt sich dem doppelten Ausgang von Botschaft und Frage, er wirft sich selbst in die Waagschale, um zwischen dem ‚Nichts vielleicht?‘ und dem ‚Vielleicht nichts‘ zu entscheiden, er stellt sich gegenüber dem Anderen als real dar, das heißt als unmöglich. Das wird für Sie sicherlich deutlicher, wenn Sie wissen, wie das zustande kommt.
Es ist nicht ohne Bedeutung, dass ich heute dieses Bild des ‚Freud’schen Theodors‘ habe auftauchen lassen, mit seiner nächtlichen phantasmatischen Exhibition, denn das heißt, dass es für diese unglaubliche Umwandlung des Objekts des Begehrens in die Existenz des Subjekts durchaus ein bestimmtes Medium gibt, besser gesagt, ein bestimmtes Instrument, und dass eben dies der Phallus ist. Aber das ist für unseren nächsten Vortrag reserviert.
Heute konstatiere ich einfach, dass der Neurotiker – ob Phallus oder nicht – in dem Feld als das ankommt, was vom Realen als unmöglich spezifiziert wird.
Das ist nicht erschöpfend, denn auf die Phobie werden wir diese Definition nicht anwenden können. Wir werden das erst beim nächsten Mal tun können, aber wir können das sehr gut auf den Zwangsneurotiker anwenden. Vom Zwangsneurotiker werden Sie nichts verstehen, wenn Sie sich nicht an die Dimension erinnern, die er, der Zwangsneurotiker, verkörpert, er, insofern er zu viel ist, das ist die ihm eigene Form des Unmöglichen, und dass er, wenn er versucht, aus seiner versteckten Position des verborgenen Objekts herauszukommen, dass er dann das Objekt von nirgendwo sein muss. Von daher beim Zwangsneurotiker diese Art fast wilder Gier, derjenige zu sein, der überall ist, nämlich um gerade nirgendwo zu sein. Der Hauch von Allgegenwart, der den Zwangsneurotiker umgibt, ist gut bekannt, und wenn Sie ihn nicht ausfindig machen, werden Sie von den meisten seiner Verhaltensweisen nichts begreifen. Das Mindeste ist jedenfalls, da er nicht überall sein kann, an mehreren Orten zugleich zu sein, was auf jeden Fall heißt, dass man ihn nirgendwo fassen kann.
Die Hysterikerin hat einen anderen Modus, der natürlich derselbe ist, da er dessen Wurzel ist, auch wenn er weniger leicht, weniger unmittelbar zu verstehen ist. Auch die Hysterikerin kann sich als real im Sinne von unmöglich darstellen, wobei ihr Trick darin besteht, dass dieses Unmögliche dann Bestand haben wird, wenn der Andere sie als Zeichen akzeptiert. Die Hysterikerin stellt sich als Zeichen von etwas dar, woran der Andere glauben könnte, aber um dieses Zeichen zu bilden, ist sie höchst real, und es ist unbedingt erforderlich, dass dieses Zeichen sich dem Anderen aufnötigt und ihn markiert.
Das also ist es, wohin diese Struktur führt, diese grundlegende Dialektik, die ganz und gar darauf beruht, dass der Anderen als Garantie des Sicheren letztlich versagt. Hier wird die Realität des Begehrens eingesetzt und hier ereignet sie sich, durch Vermittlung von etwas, dessen Paradoxie wir niemals hinreichend kennzeichnen werden: durch Vermittlung der Dimension des Verborgenen, d.h. derjenigen Dimension, die wohl die widersprüchlichste ist, die der Geist konstruieren kann, sobald es um Wahrheit geht.
Was ist bei der Einführung dieses Feldes der Wahrheit natürlicher als die Position eines allwissenden Anderen? So sehr, dass der schärfste, der schneidendste Philosoph die Dimension der Wahrheit nur dadurch stützen kann, dass er annimmt, dass das, was es ihr ermöglicht, sich zu halten, die Wissenschaft desjenigen ist, der alles weiß. Und dennoch, nichts von der Realität des Menschen, nichts von dem, was er sucht, noch von dem, dem er folgt, wird auf andere Weise gestützt als durch diese Dimension des Verborgenen, insofern sie es ist, woraus sich die Garantie herleitet, dass es tatsächlich ein existierendes Objekt gibt, und insofern sie durch Reflexion diese Dimension des Verborgenen liefert. Letztlich ist einzig sie es, die diesem problematischen Anderen seine Konsistenz verleiht. Die Quelle jeden Glaubens, vor allem des Glaubens an Gott, besteht eben darin, dass wir uns genau in der Dimension bewegen, dass wir so handeln, als ob er von neun Zehnteln unserer Absichten nie etwas wüsste, obwohl das Wunder, dass er alles wissen soll, ihm insgesamt seine gesamte Subsistenz verleiht. ‚Kein Wort an die Königinmutter!“, das ist das Prinzip, von dem aus jede Konstituierung des Subjekts sich entfaltet und sich bewegt.147
[…]
Insofern am Ende der Analyse das Maß des unbewussten Begehrens in diesem Ort des Anderen, den wir als Analytiker verkörpern, noch enthalten bleibt, kann Freud am Ende seines Werkes den Kastrationskomplex als irreduzibel charakterisieren, als etwas, was vom Subjekt nicht akzeptiert werden kann.148“139
Lacan schließt damit, dass er das Themas der nächsten Sitzung ankündigt.
Paraphrase mit Ergänzungen
Frage des Subjekts und Botschaft des Anderen
Lacan erinnert an das Thema der vorangegangenen Sitzung. Es ging um das Verhältnis des Subjekts zum Anderen, insofern dieses Verhältnis auf einer Attrappe (leurre) beruht [wie die Ethologen sagen], auf einem Trugbild, auf einem Köder. Das soll jetzt auf andere Weise artikuliert werden, nicht durch dieses natürliche [von den Ethologen untersuchte] Verhältnis.
Das Feld, um das es jetzt geht, kann nicht auf das Feld des Bedürfnisses reduziert werden, das Objekt ist hier nicht das Objekt der Subsistenz [der Selbsterhaltung]. In der Beziehung zum Anderen geht es nicht um Rivalität in Bezug auf das Objekt der Subsistenz [nicht um Konkurrenz um knappe Mittel]. Vielmehr handelt es sich jetzt um das Feld der Signifikanten, und dies soll der Torus veranschaulichen [das Bild der beiden ineinander verschränkten Tori].
In diesem Feld geht es um Anwesenheit und Abwesenheit. Das Objekt ist das der „Ex-sistenz“ des Subjekts [das Subjekt konstituiert sich durch den Bezug auf ein Außen, ein Ex; das, was außen ist, „sistiert“, es verharrt im Außen].
Es dreht sich jetzt nicht mehr um die Frustration [bei der Bedürfnisbefriedigung], sondern um die Kastration und damit um die Konstituierung des begehrenden Subjekts [die Konstituierung des begehrenden Subjekts vollzieht sich demnach durch die Kastration]. In der Frustrationsbeziehung ist der Andere dominant [da er die Bedürfnisbefriedigung gewähren oder verweigern kann]. [Die Frage ist also: Welche Rolle spielt der Andere bei der Kastration?]
Dabei muss man von der Frage ausgehen, die das Subjekt an den Anderen stellt, von der Frage des Subjekts nach dem Begehren des Anderen und nach der Befriedigung dieses Begehrens.
Das Trugbild, von dem Lacan soeben gesprochen hatte, steht im Zusammenhang mit der radikalen Duplizität der Position des Subjekts, auf die er sich zu Beginn der Sitzung bezogen hatte.
Bei dieser Duplizität geht es um die Differenz, derentwegen Lacan [in den Seminaren 5 und 6] den Graphen [des Begehrens] konstruiert hatte, nämlich um die Differenz zwischen der Frage [des Subjekts] und der Botschaft [die vom Anderen kommt, hier wohl vom Anderen im Sinne des Unbewussten, das ja der Diskurs des Anderen ist].
[Die Frage des Subjekts wird im Graphen durch die Linien repräsentiert, die vom Schnittpunkt rechts unten ausgehen, A, und zu ($ ◊ a) führen, zur Formel für das Phantasma. Im Aufsatz Subversion des Subjekts und Dialektik des Begehrens, den Lacan im selben Jahr schreibt, wird die Frage des Subjekts von ihm wie unten als dritte Konstruktionsstufe dargestellt und als „Que vuoi?“ bezeichnet, italienisch für „Was willst du?“; die Form der beiden Pfeillinien soll an ein Fragezeichen erinnern.]
[Im Graphen des Begehrens wird die Botschaft durch die beiden linken Schnittpunkte dargestellt, s(A) und S(Ⱥ). Die beiden rechten Schnittpunkte sind der Code. Ich habe das in der unteren Zeichnung in die endgültige Fassung des Graphen eingetragen, mit „M“ für message, „Botschaft“, „Nachricht“.149]
[Im aktuellen Zusammenhang ist die Botschaft gemeint, die durch den oberen linken Schnittpunkt gebildet wird, also durch S(Ⱥ) – dem Anderen fehlt ein Signifikant, die Frage kann nicht beantwortet werden.]
Wegen der Differenz zwischen der Frage und der Botschaft hatte er den Graphen konstruiert, sagt Lacan über sich. [In der Version von Subversion des Subjekts und Dialektik des Begehrens ist die Pointe des Graphen demnach der Übergang von der dritten Konstruktionsstufe mit „Que vuoi?“ zur vierten Konstruktionsstufe mit dem Symbol S(Ⱥ) am Platz der Botschaft. Wenn man Frage und (unbewusste) Botschaft in die vierte Konstruktionsstufe des Graphen einträgt, ergibt sich das folgende Bild (Frage: gelb, Botschaft: grün):]
Der Graph zeigt die Kluft an, durch die das Subjekt mit der Ebene des universalen Diskurses auf doppelte Weise verbunden ist. [Unter dem „universalen Diskurs“ versteht Lacan das Sprechen aller Anderen (Eltern, Großeltern usw.).150 Im Graphen wird der universale Diskurs durch die beiden Linien des Anspruchs repräsentiert; die untere beginnt bei D (links unten) und endet bei Stimme (rechts unten), die obere beginnt in Subversion des Subjekts mit „Genießen“ (oben links) und endet mit „Kastration“ (oben rechts).]
Das Subjekt [das repräsentiert wird durch die unten rechts beginnende Pfeillinie, die über die Kreuzungspunkte A, ($◊D), S(Ⱥ) und s(A) zu I führt] ist mit der Ebene des universalen Diskurses durch vier Schnittpunkte verbunden:
– [unten rechts] A [Anderer],
– [unten links] s(A) [das vom anderen kommende Signifikat], die Bedeutung der Botschaft, die darauf beruht, dass die Signifikanten, die im Anderen angesiedelt sind [in A] [auf die untere Linie des Anspruchs] zurückkommen [diese Beziehung wird durch den Pfeil angezeigt, der von A ausgeht, anfangs schräg nach links oben zeigt und in s(A) endet],
– [oben rechts] ($◊D), das Verhältnis des Subjekts ($) zum Anspruch [D für demande], insofern hier der Trieb spezifiziert wird [die unterschiedlichen Triebarten – oral, anal – beruhen auf unterschiedlichen Verhältnissen des Subjekts zum Anspruch, nämlich darauf, ob der Anspruch vom Subjekt ausgeht (oral) oder vom Anderen (anal); vgl. hierzu diesen Blogartikel].
– [oben links] S(Ⱥ), der Signifikant des Anderen, insofern der Andere selbst vom Signifikant markiert ist, insofern er uns den Verzicht auf jede Metasprache aufnötigt [vgl. zu S(Ⱥ) diesen Blogartikel und zum Graphen insgesamt diesen Artikel].
„Nichts vielleicht?“ „Vielleicht nichts.“
Die Kluft [zwischen der Frage und der Botschaft] beruht darauf, dass an den Anderen eine Frage (demande) gestellt wird [eine Frage ist eine Forderung (demande) nach einer Antwort]. Die Frage lautet „Nichts vielleicht?“ [Rien peut-être, man könnte auch übersetzen mit „Nichts möglicherweise?“ oder wörtlich mit „Nichts kann-sein?“.]
Auf der anderen Seite der Kluft ist die Botschaft in Gestalt von „Vielleicht nichts“. [Peut-être rien, „Möglicherweise nichts“ oder wörtlich „Kann-sein nichts“. Dies Formulierung ist eine Botschaft, d.h. im Graphen an einem der beiden linken Schnittpunkte zu verorten; gemeint ist hier der Schnittpunkt oben links, S(Ⱥ), den ich weiter oben grün markiert habe.]
[In der Sitzung vom 7. März 1962 ging es um die Äußerung:
„Se pourrait-il qu’il n’y ait mamme? Pas possible … rien, peut-être.“
„Könnte es sein, dass es nicht mamme gibt? Nicht möglich – nichts, kann sein / nichts, vielleicht.“
Stattdessen heißt es jetzt:
„Rien peut-être?‘“ „Peut-être rien.“
„Nichts kann-sein? / Nichts vielleicht?“ „Kann sein nichts / vielleicht nichts.“]
[Die Hauptunterschiede sind: In der früheren Fassung gab es zwei Formen der Negation und einmal das „nichts“, jetzt gibt es keine Negation, stattdessen zweimal das „nichts“. Die Komponente „nicht möglich“, der Bezug auf das Unmögliche, ist nicht enthalten. In beiden Redeteilen geht es jetzt vermutlich um die Privation, einmal als erwartete Privation, das andere mal als Privationsbotschaft.]
[Frage und Botschaft enthalten die Komponenten „nichts“ und „vielleicht/kann-sein“ in entgegengesetzter Anordnung – die Botschaft ist die Frage in umgekehrter Form. Lacan knüpft hier an eine These aus seinem Rom-Vortrag von 1953 an, „Der Sender erhält vom Empfänger seine eigene Botschaft in umgekehrter Form“, vgl. diesen Blogartikel.]
Zwischen dieser Frage und dieser Botschaft gibt es einen beständigen Wechsel. [Das spielt möglicherweise darauf an, dass es im Graphen zwischen den Kreuzungspunkten eine Zirkulationsbeziehung gibt.]
Die Botschaft öffnet sich auf die Öffnung hin, die dadurch gebildet wird, dass das Subjekt [durch seine Frage] in das Reale eintritt.
[Der Zugang zum Realen erfolgt vom „nicht möglich“ her, hatte Lacan in der Sitzung vom 7. März 1962 gesagt. Ich nehme deshalb an, dass gemeint ist: Durch die Frage „Nichts vielleicht?“, durch den Bezug auf die mögliche Privation, tritt das Subjekt in das Reale ein, in das „nicht möglich“, das hier jedoch ausgelassen ist. Das Reale als das Unmögliche verschwindet gewissermaßen in der Kluft zwischen Privations-Frage und Privations-Botschaft.]
[Der Begriff der Möglichkeit (in Gestalt des peut-être, des „kann-sein“, des Seinkönnens) wird sowohl in der Frage als auch in der Botschaft ins Spiel gebracht: „Nichts möglicherweise?“ „Möglicherweise nichts.“ Was also ist unter Möglichkeit zu verstehen?] Das Mögliche ist nicht von der Seite der Sache her aufzufassen [etwa als Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses], sondern von der Seite des Subjekts. Lacan beruft sich hierfür auf die „zuverlässigste Ausarbeitung“ des Terminus der Möglichkeit. [Er verwendet hier das deutsche Wort „Möglichkeit“, meint also wohl einen deutschen Autor, vermutlich Heidegger.151]
Bei der Möglichkeit geht es um eine Eventualität, die durch eine Erwartung des Subjekts gebildet wird. [Auch „Erwartung“ ist ein Heidegger’scher Terminus.152 Aber stärker noch erinnert das Folgende an Sartres Das Sein und das Nichts; „die Frage“, so heißt es dort, ist „eine Variante der Erwartung: ich erwarte eine Antwort von dem befragten Sein“153; es „ist evident, dass das Nicht-Sein immer in den Grenzen einer menschlichen Erwartung erscheint“154.] Die Botschaft „Vielleicht nichts“ bzw. „Möglicherweise nichts“ bezieht sich auf eine Eventualität, und diese Eventualität wird durch die Erwartung des Subjekts gebildet [wobei diese Erwartung durch die Frage „Nichts vielleicht?“ artikuliert wird]. [Auch den Begriff der Eventualität in Verbindung mit dem Nichts findet man bei Sartre. „Und wenn ich eine Seinsenthüllung erwarte, so deshalb, weil ich gleichzeitig auf die Eventualität der Enthüllung eines Nicht-seins vorbereitet bin.“155]
Die Erwartung des Subjekts wird durch eine Situation des Begehrens konstituiert.
In der Botschaft Peut-être rien, „Vielleicht nichts“, geht die Möglichkeit [das „vielleicht“ bzw. „kann-sein“, das Seinkönnen] dem rien voraus, dem „nichts“, das Lacan hier als „Nominativ“ bezeichnet. [Damit könnte das Nomen gemeint sein, rien wäre dann als „das Nichts“ aufzufassen.]
Das „nichts“ [oder „Nichts“] kann im Extremfall den Wert eines Ersatzes für die Positivität annehmen. [Zwei Jahre später, in Seminar 11, wird Lacan sagen, dass im Falle der Magersucht das Kind das Nichts verspeist; auf der Ebene der Kastration könne das Objekt der Entwöhnung als Privation fungieren.156]
„Das ist ein Punkt, und ein Punkt, das ist alles.“
[Die Botschaft ist ein Kreuzungspunkt im Graphen, der Kreuzungspunkt oben links, S(Ⱥ).]
„Hier ist der Platz des einzigen Zugs, in der Leere aufbewahrt, die auf die Erwartung des Begehrens antworten kann.“
[Lacan zeigt bei „hier“ vermutlich auf den Graphen. Darin ist der Platz des einzigen Zugs der Endpunkt ganz unten links, der mit I(A) bezeichnet ist, symbolisches Ichideal; das I repräsentiert hierin den einzigen Zug. Die Leere, in der der einzige Zug aufbewahrt wird, ist, mit Freud, der Verlust des Liebesobjekts.]
Dies [¿ die Identifizierung mit dem einzigen Zug?] ist etwas anderes als die Frage „Nichts vielleicht?“, d.h. etwas anderes als die Frage „Was will ich?“, die an den Anderen gerichtet wird [in der Form „Was willst du?“], etwas anderes [also] als das „vielleicht“.
Das „vielleicht“ [der Frage „Nichts vielleicht?“] kommt in eine Position, die strukturähnlich ist zum „vielleicht“ [der Botschaft „Vielleicht nichts“].
„Vielleicht nichts“ ist die erste Formulierung der Botschaft. Aber ist es auch die Antwort auf die Frage „Nichts vielleicht?“ Gerade nicht. [Die Beziehung zwischen „Nichts vielleicht?“ und „Vielleicht nichts“ ist ein Verhältnis von Frage und Botschaft, nicht von Frage und Antwort; wäre die Botschaft eine Antwort, gäbe es zwischen Frage und Botschaft keine Kluft. Hier weicht Lacan von Sartre ab, der die Negation als Antwort begreift.]
Auf der Ebene der Frage, also von Rien peut-être? („Nichts kann-sein?“, „Nichts vielleicht?“) hat das Wort rien („nichts“) seinen vollen Wert, es wirft die Möglichkeit auf, dass es nicht zu einem Beschluss kommt (non-lieu de conclure) [nicht zu einem „so ist es und nicht anders“] und dass diese Möglichkeit vorgängig ist gegenüber der Existenz, gegenüber der Potenz des Seins. [In der Formulierung der Frage Rien peut-être? („Nichts kann sein?“) geht die Möglichkeit des Nichts (fragendes rien) der Möglichkeit des Seins, dem peut-être („kann sein“), voraus.] [Non-lieu ist ein juristischer Terminus, der in etwa „Einstellung des Verfahrens“ bedeutet; die juristische Metaphorik wird im nächsten Satz weiter ausgearbeitet.]
Das „nichts“ (rien) der Frage „Nichts vielleicht?“ kann substanzialisiert werden [und wird dann zu „dem Nichts“ (néant) wie in Sartres Buchtitel „Das Sein und das Nichts“]; und dies [also das Nichts] ist eine Substanzialisierung des Nichts der Frage [der Begriff des Nichts muss von der Frage des Subjekts aus rekonstruiert werden, ausgehend von Sartres erster Form des Nichts].
Die Frage „Nichts vielleicht?“öffnet sich dafür, dass es wahrscheinlich ist, dass „nichts ihn als Frage determiniert“, und damit ist gemeint, dass es möglich ist, dass man nicht zu einem Beschluss kommen kann. [Das ist eine Umschreibung der Funktionsweise des Symbols S(Ⱥ) im Graphen des Begehrens, also der Botschaft im oberen Stockwerk. Das Symbol S(Ⱥ) meint, dass es keinen Signifikanten gibt, der die Wahrheit garantiert.] Was bleibt, ist die „unendliche Vorgängigkeit des Kafka’schen Prozesses“ [also die Verweisung von Instanz zu Instanz, ohne dass es eine letzte Instanz gäbe]. Dies wäre ein Fortbestehen der Frage „mit der Unmöglichkeit des Schließens“, mit der Unmöglichkeit zu einem Beschluss zu kommen, zu einem Abschluss [zu einem endgültigen Urteil].
[An dieser Stelle ist Lacan von der Kategorie der Möglichkeit zur Kategorie der Unmöglichkeit übergegangen, auf dem Weg über die Negation der Möglichkeit. In der Sitzung vom 7. März 1962 hatte er gesagt, das Reale trete nur vom „nicht möglich“ her auf. Das wird jetzt substantiviert und präzisiert: Es gibt eine „Unmöglichkeit“, die worin besteht? Darin, die Frage des Subjekts abschließend zu beantworten.]
[Im Hintergrund steht hier vielleicht das Problem der „unendlichen Analyse“, wie Freud es genannt hat.157]
„Einzig die Eventualität des Realen gestattet es, etwas zu bestimmen“.
[Anders formuliert, einzig die Möglichkeit der Unmöglichkeit (der Unmöglichkeit, die Frage zu einem Abschluss zu bringen) erlaubt es, etwas zu „bestimmen“.]
Die Bestimmung besteht darin, dass das reine Fortbestehen der Frage benannt wird. Das Fortbestehen der Frage ist ein bestimmtes Nichts (néant), nämlich das Nichts, mit dem wir es auf der Ebene der Frage zu tun haben [also Sartres erste Form des Nichts, neben dem Nichts der Antwort und dem Nichts der Wahrheit].
[Damit zeichnet sich auch ab, warum „Vielleicht nichts“ keine „Antwort“ ist, sondern eine „Botschaft“: Weil die Frage des Subjekts damit nicht beantwortet, sondern als unbeantwortbar zurückgewiesen wird.]
„ ‚Vielleicht nichts‘ könnte auf der Ebene der Botschaft eine Antwort sein, aber die Botschaft war gerade keine Frage.“
[Ich nehme an, dass Lacan hier sagen wollte: „… aber die Botschaft war gerade keine Antwort auf die Frage“.]
Auf der Ebene der Frage haben wir das „Nichts vielleicht?“. Dieses „Nichts vielleicht?“ [„Nichts kann-sein?“, „Nichts möglicherweise?“] ist nur eine Metapher, und zwar dafür, „dass die Potenz [die Möglichkeit] des Seins jenseits ist“.
„Jede Eventualität ist hier bereits verschwunden und ebenso jede Subjektivität.“
Hier [beim anfänglichen „Nichts (…)?“] ist jede Eventualität [die Beziehung zur Möglichkeit des Seins und des Nicht-seins] bereits verschwunden und damit jede Subjektivität [jede Erwartung]; hier gibt es nur die unendliche Verweisung von Sinn auf Sinn.
Analytiker haben sich durch Erfahrung daran gewöhnt, diese Verweisungsbewegung auf zwei Ebenen zu strukturieren. Damit ändert sich alles. Die Metapher ist für sie eine Verdichtung [Freuds Begriff der Verdichtung war von Lacan mit Jakobson als Metapher redefiniert worden158.] Die Metapher bzw. die Verdichtung beruht auf zwei Ketten. [In Seminar 5 rekonstruiert Lacan die Metapher als Überschneidung zweier Ketten. Die eine Kette ist die der Semanteme mit festen Bedeutungen, die andere Kette ist die der Phoneme, die den Mechanismen von Verdichtung und Verschiebung unterliegen. Diese beiden Ketten haben zwei Schnittpunkte, und einer der Schnittpunkte ist die Botschaft, die aus einer Verdichtung besteht, aus einer Metapher.] Die Metapher tritt auf unerwartete Weise in der Botschaft in Erscheinung [anders gesagt: die Botschaft hat die Form einer Metapher, einer überraschenden Signifikantensubstitution].
[Lacan erläutert das in Seminar 5 an einem von Freuds Beispielen für die Verdichtung, an einem Versprecher. Heine lässt in den Bädern von Lucca den Lotteriekollekteur Hirsch-Hyacinth auftreten, der erzählt, er habe neben Salomon Rothschild gesessen und dieser habe ihn ganz „famillionär“ behandelt. In Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten (1905) hatte sich Freud immer wieder hierauf bezogen und Lacan hatte diesen Versprecher in den ersten Sitzungen von Seminar 5 ausführlich als Botschaft analysiert.] Er [Hirsch-Hyacinth] beginnt damit, die Frage der Familie zu artikulieren [die Frage nach seiner sozialen Zugehörigkeit, „er behandelte mich ganz famil-“, anders gesagt: Welche Stellung habe ich in der Familie?]. Darin taucht mittendrin die Million des Millionärs auf [in Gestalt von „-millionär“]. [Bringt man das mit einer Bemerkung zusammen, die Lacan zu Beginn dieser Sitzung gemacht hatte, ist die Frage des Subjekts nach seiner Position in der Familie letztlich die Frage nach dem Begehren des Anderen, also vielleicht eine Umwandlung der Frage „Was bedeute ich Vater und Mutter?“.]
Hier gibt es das Einbrechen der Frage in die Botschaft [gemeint ist vermutlich: das Einbrechen der Botschaft in die Frage], es besteht darin, dass sich in der Frage die Botschaft manifestiert.
Die Botschaft tritt auf dem Wege zutage, auf dem wir zur Wahrheit aufgerufen sind: Vermittels unserer Frage nach der Wahrheit tritt die Botschaft in der Frage selbst zutage, nicht etwa in der Antwort auf die Frage. [Wenn das Subjekt nach seiner Position in der Familie fragt, nach dem Begehren des Anderen, fragt es nach der Wahrheit jenseits der illusionären Deutung dieser Beziehung, und diese Wahrheit kommt dadurch an Licht, dass sich in der Frage selbst die Botschaft manifestiert. In Seminar 5 hatte Lacan es so formuliert: „In der Botschaft kommt der Sinn ans Licht. Die Wahrheit, die es zu verkünden gilt, wenn es denn Wahrheit gibt, ist darin.“159] Die Wahrheit tritt in der Frage selbst zutage, etwa in einem Versprecher, nicht in der Antwort auf die Frage.
Dieser Punkt ist wichtig für die Artikulation des Unterschieds zwischen Äußerungsvorgang (énonciation) und Ausgesagtem (énoncé). [Im Beispiel „famillionär“ zielt das Fragen – ein Sprechen, ein Äußerungsvorgangs – auf etwas Ausgesagtes; die Stellung innerhalb der Familie ist etwas, worüber gesprochen wird, sie gehört zur diskursiv erzeugten gemeinsamen Realität, wie Lacan in Seminar 5 sagt.160 Der Einbruch des Signifikanten „Millionär“ in diese Frage liegt auf der Ebene des Äußerungsvorgangs, der Sprechvorgang gerät hier ins Stolpern.]
Wenn die Möglichkeit des „nichts“ („rien“) nicht bewahrt wird, hindert uns das daran, die Kluft zu sehen, die den Ursprung für jede wirklich subjektive Artikulation bildet [die Kluft zwischen der Frage und der Botschaft].
Dabei ist die Kluft [zwischen der Frage und der Botschaft] allgegenwärtig [etwa in Gestalt des Versprechers].
Die Allgegenwart [der Kluft zwischen Frage und Botschaft] bildet den Ursprung für jede mögliche Artikulation, die wirklich subjektiv ist [für jede Artikulation, die sich wirklich auf das Subjekt im Sinne der Psychoanalyse bezieht]. [Phänomene wie Fehlleistung und Witz bilden ein Grundlage für die Artikulation des Subjekts. Möglicherweise rechtfertigt Lacan hier, warum er sich bei seiner „Rückkehr zu Freud“ immer wieder auf die Psychopathologie des Alltagslebens und Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten bezogn hatte, auf Schriften, die mit dem Tätigkeitsfeld des Psychoanalytikers wenig zu tun zu haben scheinen.]
Die Kluft [zwischen Frage und Botschaft] wird auch durch den Übergang vom Zeichen zum Signifikanten verkörpert. [Die Frage zielt auf eine Antwort, auf ein Zeichen mit bestimmtem Sinn; die Botschaft, die sich in der Frage manifestiert, hat die Form des Signifikanten.] Im Übergang vom Zeichen zum Signifikanten sehen wir das erscheinen, worin sich in dieser Differenz das Subjekt auszeichnet.
Ist das Subjekt letztlich Zeichen oder Signifikant? Es ist das Zeichen von nichts [ein Zeichen ohne bestimmten Sinn, eine Art Nullzeichen, wie Jakobson es genannt hat161].
Der Signifikant ist dadurch definiert, dass er bei einem anderen Signifikanten das Subjekt repräsentiert, und zwar in einer „unendlichen Verweisung des Sinns“. [Lacan wiederholt damit seine Definition des Signifikanten, die er zuerst in diesem Seminar gegeben hatte (in der Sitzung vom 6. Dezember 1961) – ein Signifikant ist das, was für einen anderen Signifikanten das Subjekt repräsentiert –, und er ergänzt sie um das Merkmal der unendlichen Verweisung; die beiden Signifikanten stehen demnach für die unendliche Verweisung. Eine der Stoßrichtungen dieser Signifikantendefinition ist demnach, dass das Subjekt nicht durch einen bestimmten Sinn charakterisiert ist, sondern durch die unendliche Verweisung von Signifikant auf Signifikant.]
Wie verhält sich diese Verweisungsbewegung zum Sinn, zur Bedeutung? Was bedeutet der Signifikant beim anderen Signifikanten? Der Signifikant bedeutet beim anderen Signifikanten das Subjekt als nichts. [Auf dieses „nichts“ hatten sich Frage und Botschaft bezogen, „Nichts vielleicht? Vielleicht nichts.“ An dieser Stelle könnte gemeint sein: Für jeden Signifikanten gilt, das ist es nicht (das ist nicht das Subjekt), und das ist es nicht, und so weiter.]
Die Erfahrung ermöglicht es Psychoanalytikern, die Notwendigkeit herauszustellen, durch die jede Realität gestützt wird, nämlich eine Struktur. [Die Realität ist eine Konstruktion, nicht nur für Psychoanalytiker, sondern auch für Soziologen (man denke an Berger/Luckmanns Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit). Ich nehme an, dass Lacan die Realität der Ordnung des Ausgesagten und des Zeichens zuordnet. Diese Realitätskonstruktion stützt sich wiederum auf eine Struktur und in diesem Sinne auf eine Notwendigkeit. Eine der Aufgaben eines Psychoanalytikers besteht darin, diese Struktur herauszustellen.] Diese Struktur ermöglicht es uns, Erfahrungen zu machen [sie hat, in Kants Terminologie, transzendentalen Charakter].
„Der Andere antwortet also nichts, außer, dass nichts sicher ist“.
[Die Frage „nichts vielleicht?“ richtet sich an den Anderen, und der Andere antwortet nicht, er gibt vielmehr eine Botschaft / er antwortet „nichts“. Wenn er aber doch antwortet, gibt er die Antwort der Skepsis über die Wahrheit: „nichts ist sicher“.]
Die Antwort des Anderen, dass nichts sicher ist, bedeutet, dass er von der Frage [„Nichts vielleicht?“] nichts wissen will. [Die skeptische Antwort, das weltanschauliche „Nichts ist sicher“, ist, in Freudscher Terminologie, eine Abwehr – eine Abwehr der Frage.]
Unvermögen und Unmögliches
Das Unvermögen des Anderen [eine Antwort zu geben] ist in einem Unmöglichen verwurzelt. [Das Unvermögen / die Impotenz (impuissance) des Anderen ist die Kehrseite der imaginären Allmacht / Omnipotent (toute-puissance), hatte Lacan früher in diesem Seminar gesagt.162 Das imaginäre Unvermögen des Anderen ist im Unmöglichen verwurzelt, das Paar Unvermögen/Allmacht ist eine Abwehr des Realen.]
Auf den Weg dieses Unmöglichen hatte uns bereits die Frage des Subjekts geführt. [Vgl. Sitzung vom 7. März 1962: „Könnte es sein, dass es nicht mamme gibt? Nicht möglich – nichts, vielleicht.“]
[Dies ist, soweit ich es überblicke, der erste Auftritt des Begriffspaars (imaginäres) Unvermögen – (reales) Unmögliches, das dann beispielsweise in Seminar 17 von 1969/70, Die Kehrseite der Psychoanalyse, zur Charakterisierung der Diskursstruktur dienen wird – in den Diskursformeln verweist die Beziehung der beiden oberen Terme auf eine Unmöglichkeit, die der beiden unteren auf ein Unvermögen.163]
„Nicht möglich war diese Leere, wo es dazu kam, dass der einzige Zug in seinem spaltenden Wert auftauchte.“
[Lacan kommt zurück auf die Äußerung: „Könnte es sein, dass es nicht mamme gibt? Nicht möglich – nichts, vielleicht.“ (Sitzung vom 7. März 1962) Das „Nicht möglich“ bezog sich auf die Leere, nämlich darauf, dass es nicht mamme gibt, auf den Objektmangel. In dieser Leere taucht der „einzige Zug“ auf – Lacan bezieht sich hier auf die zweite Form der Identifizierung, die Freud in Massenpsychologie und Ich-Analyse dargestellt hatte: Da das Objekt unerreichbar ist, regrediert die Objektwahl zur Identifizierung mit einem „einzigen Zug“164. Diese Leere (der Objektmangel) führt zur Identifizierung mit dem „einzigen Zug“, und diese Identifizierung hat einen spaltenden Wert – jenseits der Identifizierung ist das Begehren, anders gesagt: die Identifizierung löst das Problem nur partiell, die Beziehung zum „verlorenen Objekt“ bleibt in gewisser Weise erhalten und damit kommt es zur Subjektspaltung.]
Hier sehen wir, wie das Unmögliche [das „Nicht möglich“] Gestalt annimmt, sich verkörpert (prend corps). [¿ Worin besteht die Verkörperung des Unmöglichen?]
Die Verkörperung des Unmöglichen fügt das zusammen, worauf Freud sich bezieht, wenn er von der Konstituierung des Begehrens durch das ursprüngliche Verbot spricht. [Anders gesagt, die Verkörperung des Unmöglichen fügt Verbot (Inzestverbot) und Begehren zusammen.]
[Früher in dieser Sitzung hatte Lacan erklärt: Das Begehren wird Freud zufolge durch den Ödipuskomplex konstituiert, und der Ödipuskomplex ist eine Beziehung zwischen einem speziellen Anspruch, nämlich dem Gesetz – dem Inzestverbot –, und dem Begehren des Anderen.]
Das Begehren richtet sich auf das dem Anderen Unmögliche
Das Unvermögen des Anderen, eine Antwort zu geben, seine Unfähigkeit also, rührt von einer Sackgasse her.
Diese Sackgasse wird als Begrenztheit seines Wissens bezeichnet [diese Benennung ist jedoch problematisch]. [Die Begrenztheit des Wissens des Anderen wird im Traum beispielsweise so artikuliert:] „Er wusste nicht, dass er tot war.“ [Ein Satz in einem der Träume, die Freud in der Traumdeutung analysiert hat. Lacan hatte sich zu Beginn von Seminar 6, Das Begehren und seine Deutung, fünf Sitzungen lang damit beschäftigt.] Der Andere gelangt zu seiner Absolutheit [als Gesetzgeber des Inzestverbots] nur durch den Tod [mit Freud: durch den „Vatermord“, der Urvater wird in dem Moment zum Gesetzgeber, in dem er tot ist]. Dieser Tod wird vom Anderen nicht akzeptiert, sondern erlitten, durch das Begehren des Subjekts [durch den „Todeswunsch“, wie Freud sagt]. [Da der Andere seinen Tod nicht akzeptiert hat, sondern nur erlitten hat, weiß er nicht, dass er tot ist.]
[Der Tod wird vom Anderen nicht akzeptiert, das heißt:] der Andere darf es nicht wissen, er verlangt (demande), nicht zu wissen. [Der Anspruch des Anderen ist der Anspruch, nicht zu wissen.] Das Subjekt weiß gewissermaßen, dass der Andere es nicht wissen darf, dass er verlangt (demande), nicht zu wissen. [¿ Ich verstehe nicht, was hier mit dem Wissen des Subjekts gemeint ist.]
Es gibt also zwei verschiedene Ansprüche/Forderungen/Fragen (demandes): die Frage (demande) des Subjekts [Nichts vielleicht?] und die Forderung des Anderen [nichts zu wissen]. In beiden Forderungen gibt es etwas, was nicht gesagt werden kann [was zu sagen unmöglich ist]; das Begehren ist die Überschneidung dessen, was in beiden Ansprüchen/Forderungen nicht gesagt werden kann.
„Nur von da aus befreien sich die Forderungen“.
[¿ Mir ist nicht klar, was damit gemeint ist.]
Im Feld des Begehrens sind die Forderungen bzw. Ansprüche nicht formulierbar [das Begehren ist per definitionem das, was nicht beansprucht werden kann].
„Das Begehren konstituiert sich so zunächst als das, was seiner Natur nach für den Anderen strukturell verborgen ist.“
[Der Andere ist gewissermaßen der Zeuge der symbolisch artikulierten Forderungen, das Gedächtnis der Ansprüche; also ist ihm das Begehren – als das, was prinzipiell nicht gefordert werden kann, was nicht beansprucht werden kann – seiner Natur nach verborgen.]
„Es ist genau das dem Anderen Unmögliche, das zum Begehren des Subjekts wird.“
[Wenn man das mit der These zusammenbringt, dass das Reale nur vom Unmöglichen her auftritt (Sitzung vom 7. März 1962), ergibt sich: Das Begehren des Subjekts richtet sich auf das Reale als das, was dem Anderen unmöglich ist. Damit bekommt die Formel „Das Begehren ist das Begehren des Anderen“ eine neue Fassung.]
„Das Begehren konstituiert sich als der Teil des Anspruchs, der dem Anderen verborgen ist.“
[Das Begehren des Subjekts entsteht aus dem Anspruch, aus der Forderung das Anderen. In der Forderung des Anderen gibt es etwas, was dem Anderen verborgen ist, das Begehren des Anderen, im Sinne von: das Begehren auf der Seite des Anderen. Das Begehren des Subjekts konstituiert sich durch den Bezug auf das Begehren des Anderen. Das Subjekt übernimmt das Begehren des Anderen, das in dessen Ansprüchen mitschwingt.]
Das Unmögliche in Zwangsneurose und Hysterie
Der Andere als Ort des Sprechens garantiert nichts [er garantiert nicht die Wahrheit, das Symbol hierfür ist S(Ⱥ)].
Genau von daher gewinnt der Andere seine erhebende Wirkung [wird er, in einer Abwehrbewegung, idealisiert]. Und damit wird er zum Schleier, der den Platz des Begehrens verdunkelt, hinter dem das Objekt [des Begehrens] in Deckung gebracht wird. [Die Idealisierung des Anderen versperrt den Zugang zum Objekt des Begehrens.]
Die Existenz, die sich zuerst konstituiert, ist die des Anderen. Die Existenz des Anderen setzt sich an die Stelle des Subjekts, da das Subjekt vom Anderen abhängt und damit davon, dass auf der Seite des Anderen nichts sicher ist [das war die Antwort des Anderen, wenn er denn eine gibt: dass nichts sicher ist].
Sicher ist nur, dass der Andere etwas verbirgt, nämlich das Objekt.
Das Objekt, das der Andere verbirgt, „ist noch ‚vielleicht nichts‘, insofern es zum Objekt des Begehrens [des Anderen] werden wird“. [Das Objekt des Begehrens erscheint zunächst in Gestalt der vom Anderen kommenden Botschaft „vielleicht nichts“. Dieses „Vielleicht nichts“ wird erst in Zukunft zum Objekt des Begehrens werden.] Das Objekt des Begehrens existiert als dieses Nichts [der vom Anderen kommenden Botschaft „Vielleicht nichts“].
Der Andere kann nicht wissen, dass dieses Nichts [der Botschaft „Vielleicht nichts“] alles ist, woraus das Objekt besteht [dass das Objekt genau insofern begehrt wird, als es fehlt]. [Damit sind wir beim Nicht-Wissen des Anderen, es bezieht sich auf das Nichts.]
Dieses Nichts, das dem Anderen verborgen ist, wird zur Hülle für jedes Objekt.
Vor dem Objekt hält die Frage des Subjekts inne [die Frage „Nichts vielleicht?“], und wenn die Frage des Subjekts innehält, wird das Subjekt imaginär.
Die Frage/Forderung (demande) [des Subjekts] befreit sich in dem Maße von der Frage/Forderung des Anderen, als das Subjekt das Nichtwissen des Anderen ausschließt. Es gibt jedoch zwei unterschiedliche Formen, das Nichtwissen des Anderen auszuschließen.
Die eine besagt, dass es mir gleichgültig ist, ob der Andere weiß oder nicht weiß, und dass ich unabhängig davon handle. Die andere ist: „Es ist absolut notwendig, dass Sie wissen“, und das ist der Weg, den der Neurotiker wählt. Darum ist der Neurotiker von vornherein dazu bestimmt, das Opfer des Analytikers zu sein, wenn man so reden will. [In der Übertragung ist der Analytiker das Subjekt, dem zu wissen unterstellt wird, wie Lacan es erstmals in der ersten Sitzung dieses Seminars formuliert hatte (15. November 1961).]
In der Figur der beiden ineinandergreifenden Tori wird das Feld des Begehrens durch das zentrale Feld der Forderungen konstituiert [durch die Leere, um die herum die Forderungen kreisen und die durch eine Forderung des anderen Torus ausgefüllt wird]. Dieses Feld wird durch Forderungen gebildet, insofern sie sich überschneiden und deshalb ausgeschlossen werden müssen; von daher gibt es ein Problem mit dem Feld des Begehrens. [¿ Welches Problem ist gemeint?]
Die gute Art und Weise, das Problem dieses Feldes des Begehrens zu lösen, besteht für den Neurotiker darin, dass Sie [der Analytiker] wissen – andernfalls würde er keine Psychoanalyse machen.
Als Beispiel dafür, dass der Neurotiker darauf aus ist, dass der Andere weiß, führt Lacan den „Rattenmann“ an, den Patienten aus Freuds Fallstudie Bemerkungen über einen Fall von Zwangsneurose. Dieser erhebt sich nachts [zwischen 12 und 1 Uhr von seinem Studium] und öffnet dem Gespenst seines verstorbenen Vaters die Tür, um ihm zu zeigen, dass er eine Erektion hat. [Das ist Lacans Deutung. Freud sagt: Er öffnet die Wohnungstür, als ob der Vater davor stünde, und betrachtet danach seinen nackten Penis im Spiegel.]
„Der Neurotiker will, dass der Andere – mangels Können (…) – zumindest weiß.“
[¿ Was ist damit gemeint, dass dem Anderen Können fehlt – dass er als impotent imaginiert wird?]
[Freud schreibt, dass der Patient damit dem Vater „trotzte“165, und in Seminar 8 hatte Lacan diese Szene als Aggression gegenüber dem Anderen gedeutet, insofern der Andere sich als Phallus darstellt; der Phallus im Anderen soll imaginär elidiert werden, um die symbolische Kastration zu heilen und dem Begehren wieder seinen Primat zu geben.166]
Der Neurotiker ist jemand, der sich als Subjekt engagiert, im Gegensatz zu dem, was man von ihm annimmt.
Er verschließt sich dem doppelten Ausgang von Frage und Botschaft [er akzeptiert die Spaltung nicht und engagiert sich damit als Subjekt]: Er will zwischen dem „Nichts vielleicht?“ und dem „Vielleicht nichts“ entscheiden [zwischen der Frage des Subjekts und der vom Anderen kommenden Botschaft].
Dafür wirft er sich selbst in die Waagschale, indem er das Objekt des Begehrens in die Existenz des Subjekts umwandelt, indem er sich angesichts des Anderen als real darstellt, das heißt als unmöglich, das heißt als Objekt des Begehrens des Anderen; er wird zu dem, was vom Realen als unmöglich spezifiziert ist. [¿ Inwiefern wird der Rattenmann in dieser Szene zum Realen als dem Unmöglichen?]
Für diese Umwandlung gibt es ein bestimmtes Instrument, nämlich den Phallus, wie das Beispiel des Rattenmanns zeigt.
Das gilt allerdings nicht für die Phobie, wohl aber für den Zwangsneurotiker.
Die dem Zwangsneurotiker eigene Form des Unmöglichen ist, dass er zu viel ist [und deshalb verschwinden muss, was unmöglich ist].
Und außerdem muss er, wenn er versucht, aus seiner versteckten Position des verborgenen Objekt herauszukommen, das Objekt von nirgendwo sein. Charakteristisch für den Zwangsneurotiker ist der Hauch von Allgegenwart. [„Allgegenwart“ ist eines der klassischen Gottesattribute. Der Zwangsneurotiker versucht, den nicht-ausgestrichenen Anderen zu verkörpern.] Er versucht frenetisch, überall zu sein, genau deshalb, um nirgendwo zu sein. [Das unmögliche Begehren besteht hier also darin, nirgendwo zu sein, es ist „das Unmögliche des Verschwindens des Subjekts“, wie es in Subversion des Subjekts heißt.167] Da er nicht überall sein kann, versucht er zumindest, an mehreren Orten zugleich zu sein, was heißt, dass man ihn nirgendwo fassen kann.
Auch die Hysterikerin kann sich als real im Sinne von unmöglich darstellen, sie hat jedoch einen anderen Modus, der weniger leicht zu verstehen ist. [Damit geht Lacan über die Gegenüberstellung Zwangsneurose: unmögliches Begehren, Hysterie: unbefriedigtes Begehren, hinaus, die er in drei Aufsätzen von 1960 und 1962 entwickelt hatte.168]
Allerdings ist es letztlich derselbe Modus [wie der des Zwangsneurotikers], da er dessen Wurzel ist. [Freud schreibt: „Die Mittel, durch welche die Zwangsneurose ihre geheimen Gedanken zum Ausdruck bringt, die Sprache der Zwangsneurose ist gleichsam nur ein Dialekt der hysterischen Sprache […].„169]
Der Trick der Hysterikerin, sich als real im Sinne von unmöglich darzustellen, besteht darin, dass das Unmögliche dann Bestand haben wird, wenn der Andere sie als Zeichen akzeptiert. Sie stellt sich als Zeichen von etwas dar, woran der Andere glauben könnte. Um dieses Zeichen zu bilden, ist sie höchst real. Es ist unbedingt erforderlich, dass dieses Zeichen sich dem Anderen aufnötigt und ihn markiert.
[Was ist damit gemeint, dass sie sich als Zeichen von etwas darstellt? In Seminar 5 sagt Lacan, dass die Position der Frau in der Hysterie darin besteht, dass sie zur Maske wird, um hinter dieser Maske der Phallus zu sein.170 In Seminar 8 heißt es, dass die Hysterikerin auf das „Zeichen Φ“ trifft (groß Phi, symbolische Phallus), wobei dieses Zeichen auf die Frage „Was bin ich?“ antwortet, weshalb sie auf die Ersatzformen zurückgreife, die sie diesem Zeichen geben kann, indem sie das klein phi (φ) des imaginären Phallus einfließen lässt.171 Also könnte gemeint sein, dass sie sich als imaginärer Ersatz für den symbolischen Phallus darstellt, für das Zeichen groß Phi.]
[Warum spricht Lacan vom „Zeichen“ groß Phi und nicht vom „Signifikanten“ groß Phi? Ich nehme an, weil der Phallus eine „Bedeutung“ hat.]
[¿ Inwiefern wäre sie damit etwas, woran der Andere glauben könnte? Inwiefern hätte das Unmögliche Bestand, wenn der Andere sie als Zeichen akzeptiert, wenn dieses Zeichen sich dem Anderen aufnötigt und ihn markiert?]
Die Verborgenheit in der Beziehung zum Anderen
Dahin führt die Dialektik dieser Struktur. Sie beruht darauf, dass der Anderen als Garantie des Sicheren versagt [sie beruht auf dem Fehlen eines Signifikanten, der die Wahrheit garantiert, S(Ⱥ)].
Darauf [auf diesem Versagen des Anderen als Garantie des Sicheren] bezieht sich die Realität des Begehrens [Anspielung auf Freuds Begriff der „psychischen Realität“].
Als Vermittlung dient hierbei die Dimension des Verborgenen. Diese Dimension kommt ins Spiel, wenn es um Wahrheit geht. [Wahrheit ist, mit Heidegger, aletheia, „Un-Verborgenheit“, „Entbergung“.] Die Dimension des Verborgenen ist widersprüchlich, paradox [wie im Folgenden erläutert wird].
Wenn das Feld der Wahrheit eingeführt wird, bezieht es sich gewissermaßen ganz natürlich auf die Position eines allwissenden Anderen [für den es nichts Verborgenes gibt; „Allwissenheit“ ist in der christlichen Theologie eines der Gottesattribute]. Sodass der schneidendste Philosoph [Descartes] die Dimension der Wahrheit nur dadurch stützen kann, dass er annimmt, dass sie durch die Wissenschaft desjenigen getragen wird, der alles weiß [Grundlage der sicheren Erkenntnis ist für Descartes, dass es einen vollkommenen Gott gibt].
Zur Realität des Menschen gehört das, was er sucht [das Objekt] und das, dem er folgt [¿ das Ichideal?]. Die Realität des Menschen wird durch die Dimension des Verborgenen gestützt [durch den Bezug auf Wahrheit als das, was Verborgen ist und zu „entbergen“ ist].
Aus der Dimension des Verborgenen wird die Garantie abgeleitet, dass es ein existierendes Objekt gibt, insofern nämlich, als diese Garantie durch Reflexion des Verborgenen geliefert wird. [¿ Bezieht sich das auf Descartes’ Meditationen?]
Der Andere ist problematisch; die Dimension des Verborgenen verleiht ihm seine Konsistenz. [Es geht um den Mechanismus, durch den ein anderer, der sich rätselhaft verhält, die Position einer Autorität einnehmen kann. „Er wird sich schon was dabei gedacht haben“, sagt man beispielsweise – was er sich dabei gedacht hat, ist verborgen. Man denke an die Formel vom „unerforschlichen Ratschluss Gottes“ („O welch eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und Erkenntnis Gottes! Wie gar unbegreiflich sind sein Gerichte und unerforschlich seine Wege!“ Römer 11, 33; Lutherbibel 1912).]
Die Quelle jedes Glaubens, vor allem des Glaubens an Gott, besteht darin, dass wir so handeln, als ob Gott vom größten Teil unserer Absichten nichts wüsste – obwohl wir ihm doch Allwissenheit unterstellen. [Nicht nur sind Gottes Absichten für uns unerforschlich, also verborgen; umgekehrt sind auch unsere Absichten für den Anderen verborgen.] „Kein Wort an die Königinmutter!“ ist das Prinzip, von dem aus sich das Subjekt konstituiert [die Andere ist hier diejenige, der gegenüber etwas verborgen gehalten werden soll].
Der Analytiker verkörpert den Ort des Anderen. Insofern am Ende der Analyse das Maß des unbewussten Begehrens in diesem Ort noch enthalten bleibt, kann der Kastrationskomplex mit Freud als irreduzibel aufgefasst werden.
Todestrieb als Streben nach dem logisch Unmöglichen (28. März 1962)
Übersetzung
In der Folgesitzung spricht Lacan über den Unterschied zwischen „nichts Sicheres“ (rien de sûr) und „sicherlich nichts?“ (sûrement rien ?). Er fährt fort:
„So sehen wir also, dass das Subjekt, um Das Ding zu finden, sich zunächst in der entgegengesetzten Richtung engagiert, dass es kein Mittel gibt, um diese ersten Schritte des Subjekts zu artikulieren, außer durch ein Nichts (rien), dass es –; es ist wichtig, das für Sie spürbar zu machen, in dieser Dimension des ersten Signifikantenspiels, die zugleich metaphorisch und metonymisch ist, weil wir Analytiker jedes Mal, wenn wir es mit dem Verhältnis des Subjekts zum Nichts zu tun haben, regelmäßig zwischen zwei Tendenzen ins Rutschen kommen.
Die übliche Neigung, die zu einem Nichts der Zerstörung tendiert, ist die missliche Deutung der Aggressivität, bei der sie als etwas angesehen wird, was sich rein auf das biologische Aggressionsvermögen reduzieren lässt, und was in keiner Weise hinreicht, außer durch Degradierung, um das Streben zum Nichts zu stützen, wie es mit dem Todestrieb in einem bestimmten notwendigen Stadium des Freud’schen Denkens auftaucht, genau bevor er die Identifizierung einführt. Die andere ist eine an die Hegel’sche Negativität angeglichene Vernichtung. Das Nichts, das ich für Sie in diesem anfänglichen Moment in der Einsetzung des Subjekts haltbar zu machen versuche, ist etwas anderes.
Das Subjekt führt das Nichts als solches ein, und dieses Nichts ist zu unterscheiden von irgendeinem Gedankending (être de raison), das heißt von dem der klassischen Negativität; von irgendeinem imaginären Wesen (être), das heißt von dem Wesen, das hinsichtlich seiner Existenz unmöglich ist, dem berühmten Kentaur, der die Logiker – alle Logiker, ja die Metaphysiker – beim Beginn ihres Weges zur Wissenschaft aufhält; das auch nicht das ens privativum ist; sondern das im eigentlichen Sinne das ist, was Kant auf bewundernswerte Weise in seiner Definition der vier Arten des Nichts, aus der er so wenig macht, das nihil negativum nennt, das heißt, um seine eigenen Termini zu verwenden, ‚leerer Gegenstand ohne Begriff‘*, ein leerer Gegenstand, aber fügen wir hinzu: ohne Begriff, ohne dass es möglich ist, ihn mit Händen zu greifen.172
Aus diesem Grunde, um es einzuführen, habe ich Ihnen wieder das Netz des gesamten Graphen vorstellen müssen, also das Netz, das konstitutiv ist für die Beziehung zum Anderen, mit all ihren Rückverweisen.173
Um Sie auf diesen Weg zu führen, möchte ich Ihnen den Weg mit Blumen auslegen. Ich werde mich heute daran versuchen, will sagen, meine Absichten kenntlich machen.
Wenn ich Ihnen sage, dass das Objekt als Objekt des Begehrens ausgehend von der Problematik des Jenseits des Anspruchs konstituiert wird, möchte ich damit sagen, dass das Subjekt deshalb, weil der Andere nicht antwortet – außer dass nichts vielleicht, dass das Schlimmste nicht immer sicher ist –, dass das Subjekt deshalb in einem Objekt die Tugenden seines anfänglichen Anspruchs findet wird.“174
Lacan ziert anschließend ein Liebesgedicht aus Molières Der Menschenfeind, um zu zeigen, dass das Objekt des Begehrens durch die Beziehung zum Anderen konstituiert wird.
Paraphrase mit Ergänzungen
Todestrieb als Streben nach Nichts
Die Konstituierung des Subjekts durch das erste Signifikantenspiel bezieht sich auf ein Nichts (rien).
Wie ist dieses Nichts aufzufassen? Die eine Möglichkeit besteht darin, es als ein Nichts der Zerstörung zu begreifen, beruhend auf einem biologischen Aggressionsvermögen. Das reicht jedoch nicht hin, um das Streben nach Nichts zu stützen, wie Freud es mit dem Konzept des Todestriebs eingeführt hat, und zwar genau ein Jahr vor der Einführung des Begriffs der Identifizierung eingeführt hat. [Vom Todestrieb hatte Freud ab 1920 gesprochen (in Jenseits des Lustprinzips). Was die Identifizierung angeht, bezieht Lacan sich hier auf Freuds Unterscheidung der drei Formen der Identifizierung in Massenpsychologie und Ich-Analyse von 1921. Den Terminus „Identifizierung“ hatte Freud jedoch bereits in der Traumdeutung verwendet, also 1900.]
Die Alternative besteht darin, das Nichts als eine Hegelsche Negativität aufzufassen.
Das Nichts als das logisch Unmögliche
Lacan sagt, er meine weder das eine noch das andere. Vielmehr stützt er sich für seinen Begriff des Nichts auf Kants nihil negativum, auf den „leeren Gegenstand ohne Begriff“ [also auf das Nichts im Sinne einer logischen Unmöglichkeit]. Auf dieses nihil negativum hatte er sich in der vorangehenden Sitzung [hier nicht übersetzt] mit dem Graphen des Begehrens bezogen, also mit dem Graphen, der die Beziehungen zum Anderen darstellt samt deren Rückverweisen.
Kant bezieht sich auf drei weitere Formen des Nichts, die hier aber nicht gemeint sind:
– das Gedankending, was die klassische Negativität ist [ens rationis, „leerer Begriff ohne Gegenstand“, ein Gegenstand, der widerspruchsfrei denkbar ist, etwa das Ding an sich],
– das imaginäre Ding, dessen Existenz unmöglich ist, der Kentaur, der die Logiker und Metaphysiker unnötig beschäftigt hat [nihil imaginarium, „leere Anschauung ohne Gegenstand“, Kants Beispiele sind allerdings die Anschauungsformen Raum und Zeit],
– und schließlich das ens privativum [Kant: nihil privativum, „leerer Gegenstand eines Begriffs“, etwa Kälte, worüber Lacan sich in diesem Seminar schon ausführlich geäußert hatte].
[Mit dem Hinweis auf den Kentaur, der die Logiker und Metaphysik beschäftigt hat, könnte das klassische Problem gemeint sein, ob die Aussage „Alle Kentauren sind Vierbeiner“ mit einer Existenzbehauptung verbunden ist.]
Das Objekt wird als Objekt des Begehrens durch das konstituiert, was jenseits des Anspruchs (demande) ist [was nicht gefordert oder erbeten werden kann, was Gegenstand einer Frage ist, die nicht beantwortet werden kann]. Dieses Objekt wird deshalb gebildet, weil der Andere [auf die Frage, die eine Forderung nach Antwort ist] nicht antwortet; deshalb findet das Subjekt in einem Objekt die Tugenden seines anfänglichen Anspruchs wieder.
Der Andere antwortet nichts, außer „Nichts vielleicht“, außer „Das Schlimmste ist nicht immer sicher“. [Das, was der Andere sagt, wird hier von Lacan anders als in den vorangegangenen Sitzungen formuliert. In den Sitzungen vom 14. und vom 21. März sagte der Andere „Vielleicht nichts“, und Lacan hatte Wert darauf gelegt, dass dies keine Antwort sei, sondern eine Botschaft. Dort war „Nichts vielleicht?“ die Frage des Subjekts.]
Das Unmögliche in der Zwangsneurose (11. April 1962)
Übersetzung
Am 11. April 1962 Lacan spricht über die Briefe des Schweizer Mathematikers und Physikers Leonhard Euler an die Markgräfin Friederike Charlotte von Brandenburg-Schwedt, die 1769 bis 1773 veröffentlicht wurden und in denen Euler das Wissen seiner Zeit zusammenfasste. Er fährt dann fort:
„Davon sind effektiv nur diese kleinen Kreise übriggeblieben, die Eulerkreise, und das sind Kreise wie alle Kreise, es geht einfach darum zu sehen, wie er sie verwendet. Das diente ihm dazu, die Regeln des Syllogismus zu erklären und letztlich die Exklusion, die Inklusion und dann das, was man als die Überschneidung von beiden bezeichnen kann, Überschneidung von was? von beiden Feldern, worauf anwendbar? aber mein Gott, anwendbar auf viele Dinge, anwendbar beispielsweise auf das Feld, in dem eine bestimmte Aussage wahr ist, anwendbar auf das Feld, in dem eine bestimmte Relation existiert, anwendbar ganz einfach auf das Feld, in dem ein Objekt existiert. Sie sehen, dass die Verwendung des Eulerkreises – wenn Sie an die Vielzahl von Logiken gewöhnt sind, wie sie in einer ungeheuren Bemühung entwickelt worden sind und deren größter Teil auf der Aussagenlogik beruht, auf der Relationenlogik und auf der Klassenlogik – sich als etwas außerordentlich Nützliches erwiesen hat. Natürlich kann ich nicht mal daran denken, mich auf die Einzelheiten einzulassen, die erforderlich wären, um die Besonderheiten der verschiedenen Ausarbeitungen darzustellen. Ich möchte hier einfach erkennen lassen, dass Sie sicherlich eine Erinnerung an diesen oder jenen Moment Ihrer Existenz haben, in dem irgendeine logische Beweisführung in Gestalt dieser Stütze zu Ihnen gelangt ist, zu irgendeinem Gegenstand als logischem Gegenstand, ob es sich nun um die Aussage, die Relation, die Klasse oder auch einfach um einen Gegenstand der Existenz handelt.
Nehmen wir ein Beispiel auf der Ebene der Klassenlogik und repräsentieren wir beispielsweise durch einen kleinen Kreis im Inneren eines großen Kreise die Säugetiere im Verhältnis zur Klasse der Wirbeltiere.
Das geht von selbst und umso einfacher, als die Klassenlogik sicherlich das ist, was dieser formalen Ausarbeitung anfangs auf die sehr leichte Weise die Wege gebahnt hat, und dies insofern, als man sich hier auf etwas bezieht, was bereits in einer Signifikanten-Ausarbeitung verkörpert ist, ganz schlicht in derjenigen der zoologischen Klassifikation, die tatsächlich das Modell dafür liefert.
Nur, das ‚Diskursuniversum‘, wie man sich zu Recht ausdrückt, ist kein zoologisches Universum, und wenn man die Eigenschaften der zoologischen Klassifikation auf das gesamte Diskursuniversum ausdehnen will, rutscht man leicht in eine Reihe von Fallen, die Sie zu Fehlern verleiten und die ziemlich schnell das Warnsignal einer Signifikanten-Sackgasse hören lassen.
Eine dieser nachteiligen Folgen ist beispielsweise ein unüberlegter Gebrauch der Negation. Gerade in jüngster Zeit hat sich diese Verwendungsmöglichkeit eröffnet, nämlich in der Zeit, in der man darauf aufmerksam geworden ist, dass bei der Verwendung der Negation dieser äußere Eulerkreis der Inklusion eine wesentliche Rolle spielen muss, das heißt, dass es absolut nicht dasselbe ist, ohne weitere Präzisierung beispielsweise über das zu sprechen, was Nicht-Mensch ist oder über das, was Nicht-Mensch innerhalb der Tiere ist. Anders ausgedrückt, damit die Negation einen einigermaßen gesicherten Sinn hat, der in der Logik verwendbar ist, muss man wissen, im Verhältnis zu welcher Menge etwas negiert wird.
Anders ausgedrückt, wenn Aꞌ als nicht-A bestimmt wird, muss man wissen, in was es nicht-A ist, und hier heißt das: in B.
Die Negation – wenn Sie hierzu Aristoteles öffnen, werden Sie sehen, wie sie alle Arten von Schwierigkeiten mit sich führt. Gleichwohl bleibt unbestreitbar, dass man auf diese Hinweise keineswegs gewartet hat und dass man von dieser formalen Stütze nicht den geringsten Gebrauch gemacht hat, ich meine, dass es nicht normal ist, sie zu verwenden, um sich der Negation zu bedienen, und das heißt, dass das Subjekt in seiner Rede häufig von der Negation Gebrauch macht, in Fällen, in denen es wirklich nicht die geringste Möglichkeit gibt, sie durch diese formale Grundlage abzusichern.
Von daher die Brauchbarkeit der Bemerkungen, die ich zu Ihnen über Negation mache, wenn ich die Negation auf der Ebene des Äußerungsvorgangs (énonciation), oder konstitutive Negation, von der Negation auf der Ebene des Ausgesagten (énoncé) unterscheide.
Das bedeutet, dass die Gesetze der Negation, genau an dem Punkt, an dem sie nicht durch diese absolut entscheidende Einführung gesichert sind, die auf die jüngere Unterscheidung der Relationenlogik von der Klassenlogik zurückgeht, dass für uns gilt, dass wir den Status der Negation letztlich ganz woanders zu definieren haben als dort, wo sie ihre Grundlage gefunden hat. Das ist eine Erinnerung, eine Erinnerung, die dazu bestimmt ist, für Sie rückwirkend die Wichtigkeit dessen aufzuhellen, was ich Ihnen seit Beginn des Diskurses von diesem Jahr nahelege, bezogen auf die ursprüngliche Originalität der Funktion der Negation im Verhältnis zu dieser Unterscheidung.
Sie sehen also, dass es nicht Euler war, der sich dieser Eulerkreise zu diesem Zweck bedient hat, es war erforderlich, dass danach das Werk von Boole und dann das von De Morgan eingeführt wurde, damit das voll artikuliert wurde. Wenn ich auf diese Eulerkreise zurückkomme, dann also nicht deshalb, weil er selbst einen besonders guten Gebrauch davon macht, sondern deshalb, weil mit seinem Material, durch Verwendung dieser Kreise, die späteren Fortschritte gemacht werden konnten, und von denen ich Ihnen zugleich einen derjenigen vorstelle, die nicht die Unbedeutendsten sind und auch nicht die Unbekanntesten, und die jedenfalls besonders faszinierend sind, was einen das direkt spüren lässt. Zwischen Euler und De Morgan hat die Verwendung dieser Kreise eine Symbolisierung erlaubt, die insofern nützlich ist, als sie Ihnen zudem implizit als grundlegend erscheint, und die auf der Position dieser Kreise beruht, die folgendermaßen strukturiert sind:
Das nennen wir zwei sich überschneidende Kreise, die besonders wichtig sind, aufgrund ihres intuitiven Wertes, der jedem als unbestreitbar erscheinen wird, wenn ich Sie darauf aufmerksam mache, dass in Bezug auf diese Kreise zunächst zwei Relationen artikuliert werden können, bei denen es angebracht ist, sie klar herauszustellen. Und das ist zunächst die Relation der Vereinigung.
Egal um was es sich dabei von dem handelt, was ich eben aufgeführt habe, ihre Vereinigung besteht darin, dass nach der Operation der Vereinigung das, was vereinigt ist, diese beiden Felder sind. Die sogenannte Operation der Vereinigung, die für gewöhnlich durch ein ∪ symbolisiert wird – genau hierfür wurde dieses Symbol eingeführt –, ist, wie Sie sehen, etwas, das keineswegs der Addition gleichkommt.
Der Vorteil dieser Kreise besteht darin, einen das spüren zu lassen. Es ist nicht dasselbe, beispielsweise zwei getrennte Kreise zu addieren oder sie in dieser Position zu vereinigen.
Es gibt noch eine weitere Relation, die durch diese sich überschneidenden Kreise veranschaulicht wird, und das ist die des Durchschnitts (intersection), die durch dieses Zeichen ∩ symbolisiert wird, dessen Bedeutung eine ganz andere ist. Das Überschneidungsfeld ist im Feld der Vereinigung enthalten.
In der sogenannten Booleschen Algebra wird gezeigt, dass die Operation der Vereinigung – zumindest bis zu einem bestimmten Punkt – der Addition hinreichend analog ist, sodass man sie durch das Zeichen der Addition symbolisieren kann: +. Man zeigt ebenso, dass der Durchschnitt strukturell hinreichend der Multiplikation analog ist, sodass man ihn durch das Zeichen der Multiplikation symbolisieren kann: x.
Ich versichere Ihnen, ich mache hier einen ultraschnellen Extrakt, der dazu bestimmt ist, Sie dorthin zu führen, wohin ich Sie zu führen habe, und für den ich mich natürlich bei denjenigen entschuldige, für die sich diese Dinge in all ihrer Komplexität darstellen, für die Auslassungen, die all das umfasst, denn wir müssen darüber hinausgehen.
Und bezogen auf genau den Punkt, den ich einzuführen habe, ist das, was uns interessiert, etwas, was bis zu De Morgan – und man kann über eine solche Unterlassung nur erstaunt sein – nicht im eigentlichen Sinne herausgearbeitet worden ist, nämlich als eine der Funktionen, die sich ergeben, die sich aus einem strengen Gebrauch der Logik ergeben müssten, und das ist eben das Feld, das in der Beziehung dieser beiden Kreise durch die Extraktion des Überschneidungsbereiches gebildet wird. Und betrachten Sie, was das Produkt ist, wenn zwei Kreise sich überschneiden, auf der Ebene des so definierten Feldes:
das heißt der Vereinigung abzüglich des Durchschnitts – das ist das, was man als ‚symmetrische Differenz‘ bezeichnet. Diese symmetrische Differenz ist das, was uns noch beschäftigen wird, was für uns, Sie werden sehen warum, von größtem Interesse ist. Der Terminus der symmetrischen Differenz ist hier eine Bezeichnung, die ich Sie einfach als überlieferten Sprachgebrauch hinzunehmen bitte, so nennt man das; versuchen Sie nicht, dieser sogenannten Symmetrie einen grammatisch analysierbaren Sinn zu geben. Die symmetrische Differenz, das bedeutet dies, das bedeutet: diese Felder in den beiden Eulerkreisen, insofern sie als solche ein Oder der Exklusion definieren. Bezogen auf zwei unterschiedliche Felder markiert die symmetrische Differenz das Feld, so wie es dann konstruiert ist, wenn Sie dem Oder nicht den alternativen Sinn geben, der die Möglichkeit einer lokalen Identität zwischen den beiden Termen impliziert, das ist die übliche Verwendung des Terms ‚oder‘, die zur Folge hat, dass der Term ‚oder‘ sich hier tatsächlich sehr gut auf das Feld der Vereinigung anwenden lässt.
Wenn eine Sache ‚A oder B‘ ist, kann das Feld ihrer Ausdehnung so gezeichnet werden, nämlich in der ersten Form, bei der die beiden Felder sich überlagern.
Wenn es hingegen exklusiv ist, ‚entweder A oder B‘, dann können wir es so symbolisieren, das heißt, dass das Überschneidungsfeld ausgeschlossen ist.
Das muss uns zu einer Besinnung führen, zu einem Nachdenken darüber, was durch die Verwendung des Kreises intuitiv als Grundlage unterstellt wird, als Stütze von etwas, was abhängig von einer Grenze formalisiert wird. Das wird hinreichend durch die Tatsache definiert, dass auf einer gebräuchlichen Ebene – was nicht heißt auf einer natürliche Ebene –, auf einer fabrizierbaren Ebene, einer Ebene, die ganz in unser Werkzeug-Universum eingegangen ist, nämlich einem Blatt Papier –. Wir leben viel mehr in Gesellschaft von Papierblättern als in Gesellschaft von Tori. Dafür muss es Gründe geben, aber eben Gründe, die nicht evident sind. Denn schließlich, warum sollte der Mensch nicht mehr Tori fabrizieren als er es tut? Was wir jetzt in Gestalt von Blättern haben, waren übrigens jahrhundertelang Rollen, zu anderen Zeiten als zu unserer Zeit, die eine größere Nähe zum Begriff des Volumens hatten. Nun ja, es gibt sicherlich einen Grund dafür, dass diese plane Fläche etwas ist, was uns genügt, oder genauer, womit wir uns begnügen. Irgendwo muss es diese Gründe geben.
Und, ich haben eben darauf hingewiesen, man kann der Tatsache gar nicht zu viel Gewicht beimessen, dass – im Gegensatz zu allen Bemühungen der Physiker wie der Philosophen, uns vom Gegenteil zu überzeugen –, dass das visuelle Feld, was man auch sagen möge, wesentlich zweidimensional ist. Auf einem Blatt Papier, auf einer einfach zu handhabenden Fläche, grenzt ein gezeichneter Kreis auf ganz klare Weise ein Inneres und ein Äußeres voneinander ab. Das ist das ganze Geheimnis, das ganze Mysterium, die einfache Triebkraft des Gebrauchs, der bei der Euler’schen Illustration der Logik davon gemacht wird.
Ich stelle Ihnen die folgende Frage: Was geschieht, wenn Euler, statt diesen Kreis zu zeichnen, meine umgekehrte Acht zeichnet, diejenige, über die ich heute mit Ihnen sprechen muss?
Das ist scheinbar nur ein Sonderfall des Kreises, mit dem inneren Feld, das er definiert, und der Möglichkeit, einen weiteren Kreis im Inneren zu haben. Einfach, der innere Kreis berührt – dass ist das, was mir beim ersten Anblick möglicherweise einige sagen werden –, der innere Kreis berührt die Grenze, die durch den äußeren Kreis gebildet wird.
Allerdings, so ist es keineswegs, insofern durch die Art, wie ich ihn zeichne, ganz klar ist, dass hier die Linie des äußeren Kreises von der Linie des inneren Kreises fortgesetzt wird, um sich hier wieder mit sich zu treffen.
Und dann, um bei dieser ganz schlichten Form einfach sofort die Relevanz, die Tragweite festzuhalten, möchte ich Ihnen vorschlagen, dass die Bemerkungen, die ich an einem bestimmten Punkt meines Seminars eingebracht habe, als ich die Funktion des Signifikanten eingeführt habe, und die darin bestanden, Sie an die Paradoxie zu erinnern oder die angebliche Paradoxie, die eingeführt wird durch die Klassifikation der Mengen – erinnern Sie sich –, die sich nicht selbst enthalten. Ich erinnere sie an die Schwierigkeit, die sie mit sich führen: Soll man diese Mengen, die sich nicht selbst enthalten, in die Menge der Mengen, die sich nicht selbst enthalten, einschließen oder nicht? Sie sehen hier die Schwierigkeit: Wenn ja, dann heißt das, dass sie sich selbst enthalten – in dieser Menge der Mengen, die sich nicht selbst enthalten; wenn nein, stecken wir in einer ähnlichen Sackgasse.
Das ist leicht gelöst, unter der einfachen Bedingung, dass man zumindest dies sieht – das ist im Übrigen die Lösung, die die Formalisten gegeben haben, die Logiker –, dass man nicht, sagen wir, auf dieselbe Weise von den Mengen sprechen kann, die sich selbst enthalten, und von den Mengen, die sich nicht selbst enthalten. Anders gesagt, dass man sie als solche aus der einfachen Mengendefinition ausschließt, dass man letztlich feststellt, dass die Mengen, die sich nicht selbst enthalten, nicht als Mengen hingestellt werden können.
Ich will sagen, dass – weit davon entfernt, dass diese innere Zone von Objekten, die in der Konstruktion der modernen Logik so bedeutsam sind wie die Mengen, weit davon entfernt, dass eine innere Zone, die durch dieses Bild der umgekehrten Acht definiert ist, durch die Überdeckung, oder durch die Verdoppelung in dieser Überdeckung irgendeiner Klasse oder Relation oder Aussage mit sich selbst, durch ihre Erhebung zur zweiten Potenz, weit davon entfernt, dass dies in einem offenkundigen Fall die Klasse, die Proposition, die Relation, allgemein: die Kategorie im Inneren von sich selbst lässt, auf eine Weise, die gewissermaßen gewichtiger, akzentuierter ist –, dass dies zur Wirkung hat, sie auf die Homogenität mit dem zu reduzieren, was außen ist.
Wie ist das denkbar? Denn schließlich muss man dennoch wohl sagen, dass, wenn die Frage sich so darstellt, nämlich unter allen Mengen eine Menge, die sich selbst abdeckt, dann gibt es keinen apriorischen Grund, daraus nicht eine Menge wie die anderen zu machen. [Müsste heißen: „die sich nicht selbst abdeckt“.]
Sie definieren als Menge beispielsweise alle Arbeiten, die das betreffen, was sich auf die Humaniora (humanités) bezieht, das heißt auf die Künste, die Wissenschaften, die Ethnographie usw. Sie machen eine Liste. Diejenigen Arbeiten, die Arbeiten über die Frage sind, was man zu den Humaniora rechnen soll, gehören zu eben diesem Katalog, das heißt, dass das, was ich eben selbst definiert habe, indem ich den Titel ‚die Werke, die sich auf die Humaniora beziehen‘ formuliert habe, gehört zu dem, was es zu katalogisieren gibt.
Wie können wir begreifen, dass etwas, was so auftritt, als sich in der Würde einer bestimmten Kategorie selbst verdoppelnd, dass dies uns praktisch in eine Antinomie führen kann, in eine logische Sackgasse, derart, dass wir vielmehr gezwungen sind, sie zurückzuweisen?
Das ist nun etwas, was keineswegs so wenig Gewicht hat, wie Sie glauben könnten, da man praktisch gesehen hat, dass die besten Logiker hier eine Art Scheitern sehen, eine Art Aufschlagpunkt, einen Punkt, an dem das gesamte formalistische Gebäude ins Wanken gerät, und nicht ohne Grund. Das ist jedoch etwas, was eine Art größeren Einwand gegen die Anschauung darstellt, die allein schon in der Gestalt dieser beiden Kreise aufgeschrieben, spürbar, sichtbar ist, die sich in der Euler’schen Perspektive so darstellen, dass der eine Kreis in den anderen eingeschlossen ist.
Genau hierbei werden wir sehen, dass die Verwendung der Intuition der Torus-Repräsentation wirklich brauchbar ist.
Und angesichts dessen, dass Sie gut spüren – so stelle ich mir vor –, worum es sich handelt, nämlich um ein bestimmtes Verhältnis des Signifikanten zu sich selbst, habe ich Ihnen gesagt, dass die Definition einer Menge in dem Maße in eine Sackgasse geführt hat, wie sie sich mehr und mehr einer reinen Signifikantenartikulation angenähert hat.
Die Frage, um die es insgesamt geht, bezieht sich darauf, dass es für uns darum geht, in den Vordergrund zu stellen, dass ein Signifikant sich nur dann selbst bezeichnen könnte – das ist wirklich eine äußerst blöde und einfache Sache –, wenn er sich als verschieden von sich selbst setzt. Der ganz wesentliche Punkt, dass der Signifikant – in der Hinsicht betrachtet, dass er dazu dienen kann, sich selbst zu bezeichnen – sich als von sich selbst unterschieden setzen muss, das ist das, was in erster Linie zu symbolisieren ist, denn das ist auch das, was wir – in einem noch zu bestimmenden Ausmaß – in der gesamten subjektiven Struktur wiederfinden werden, bis hin zu dem darin enthaltenen Begehren.
Wenn einer meiner Zwangsneurotiker, noch vor ganz kurzer Zeit, nachdem er das ganze wissenschaftliche Raffinement seiner Übungen gegenüber weiblichen Objekten entwickelt hatte, an die er – wie es auch bei den anderen Zwangsneurotikern üblich ist, wenn ich so sagen kann –, an die er durch das gebunden bleibt, was man als ‚beständige Untreue‘ bezeichnen kann, nämlich die Unmöglichkeit, eines dieser Objekte zu verlassen und zugleich die äußerste Schwierigkeit, sie alle zusammenzuhalten, und wenn er dann hinzufügt, dass doch ganz offensichtlich ist, dass in dieser Beziehung, in dieser so komplizierten Beziehung, die so großes technisches Raffinement, wenn ich so sagen kann, im Aufrechterhalten von Beziehungen verlangt, die prinzipiell einander äußerlich bleiben müssen, die füreinander undurchlässig, wenn man so sagen kann, und gleichwohl miteinander verbunden bleiben müssen, wenn er hinzufügt, dass all dies, wie er mir sagt, kein anderes Ziel hat, als ihn unberührt zu lassen, für eine Befriedigung, die für ihn unerreichbar ist, dann heißt das, dass sie also anderswo gefunden werden muss, nicht nur in einer beständig aufgeschobenen Zukunft, sondern manifest in einem anderen Raum, denn er ist letztlich nicht in der Lage, über diese Unberührtheit und ihren Zweck zu sagen, worauf dies als Befriedigung hinauslaufen kann. Hier ist immerhin etwas spürbar, was für uns auf ganz alltägliche Weise die Frage nach der Struktur des Begehrens aufwirft.“175
Anschließend spricht Lacan über den Torus.
Paraphrase mit Ergänzungen
Negation im Äußerungsvorgang und im Ausgesagten
Eulerkreise werden u.a. dazu verwendet, die Regeln des Syllogismus zu veranschaulichen. Zwei Kreise können in drei Beziehungen zueinander stehen: sie können außerhalb voneinander liegen, der eine kann sich innerhalb des anderen befinden und sie können sich überschneiden.
Im Rahmen der Klassenlogik kann man beispielsweise mit Eulerkreisen darstellen, dass die Klasse der Säugetiere zur Klasse der Wirbeltiere gehört, nämlich dadurch, dass der Kreis der Säugetiere innerhalb des Kreises der Wirbeltiere liegt [im Diagramm oben bezieht sich die Bezeichnung „Wirbeltiere“ also auf die große Kreisfläche insgesamt, nicht nur auf den äußeren Kreisring].
Mit den Eulerkreisen kann man sich auch klarmachen, dass man die Negation häufig unüberlegt verwendet. Es ist etwas anderes, ob ich sage „Nicht-Mensch“ oder „Nicht-Mensch innerhalb der Tiere“; durch Eulerkreise lässt sich dieser Unterschied leicht veranschaulichen.
[Wenn ich in der Logik von „Nicht-Mensch“ spreche, bezieht sich das nicht nur auf die anderen Tiere, sondern auf den Rest der Welt, also etwa auch auf Planeten oder mathematische Beweise oder Gedanken. Im der obigen Darstellung bezieht sich der Buchstabe A auf den kleinen Kreis und die Zeichenfolge Aꞌ auf den äußeren Kreisring (es handelt sich also nicht um Eulerkreise). Der Buchstabe B bezieht sich auf die Fläche, zu der sowohl A als auch Aꞌ gehören. Man kann Kreis A der Menge aller Menschen zuordnen und den Kreisring Aꞌ der Menge aller Nicht-Menschen; die grau gefärbte Fläche repräsentiert die Menge der Tiere, zu denen ja auch die Menschen gehören. Für die Negation kann man also zwei Bezugsgrößen verwenden, eine für das, was negiert wird, und eine andere, die bezeichnet, innerhalb welcher Menge negiert wird.] In der Umgangssprache wird der Unterschied zwischen den beiden Negationsarten nur selten berücksichtigt.
Von daher ist einleuchtend, dass man die Negation auf der Ebene des Äußerungsvorgangs (énonciation) von der Negation auf der Ebene des Ausgesagten (énoncé) unterscheidet [Äußerungsvorgänge und Aussagen sind hier die Mengen, innerhalb derer negiert wird]. [In Seminar 6 hatte Lacan den Unterschied so erläutert: Negation auf der Ebene des Äußerungsvorgangs: „Ich sage nicht, dass ich deine Frau bin“. Negation auf der Ebene des Ausgesagten: „Ich sage, dass ich nicht deine Frau bin“.140]
Die Negation auf der Ebene des Äußerungsvorgangs nennt Lacan auch „konstitutive Negation“. [In Freuds Aufsatz über die Verneinung entspricht der Negation auf der Ebene des Ausgesagten eine Verneinung vom Typ „Die Mutter ist es nicht“, der Negation auf der Ebene des Äußerungsvorgangs annäherungsweise die Verneinung „Das habe ich nicht gedacht“176, sofern sie gedeutet werden kann als „Das sage ich nicht“. Die zweite Art der Negation ist vielleicht insofern konstitutiv, als sich in ihr das gespaltene Subjekt artikuliert.]
Der Gebrauch der Negation ist mit dem Unterschied von Klassenlogik und Relationenlogik verbunden. [Die Klassenlogik ist eine Art erweiterte Mengenlehre. Die Relationenlogik ist eine erweiterte Form der Prädikatenlogik, nämlich eine solche, die mit mehrstelligen Prädikaten arbeitet; ein mehrstelliges Prädikat ist beispielsweise „verheiratet sein mit“. In der Klassenlogik können nur die Prädikate negiert werden, in der Prädikatenlogik auch die Quantoren.] Durch diese Unterscheidung sind die Gesetze der Negation jedoch nicht vollständig gesichert. Deshalb muss der Status der Negation auf andere Weise definiert werden.
[Lacan illustriert das durch ein Euler-Diagramm:]
Die Schnittmenge bzw. der Durchschnitt enthält diejenigen Elemente, die zwei Mengen gemeinsam sind:
Die Vereinigungsmenge besteht aus den Elementen, die entweder zur einen Menge oder zur anderen Menge gehören einschließlich derjenigen Elemente, die zu beiden Mengen gehören:
Die Vereinigungsmenge beruht also auf dem nicht-ausschließenden Oder: Entweder die einen oder die anderen oder beide.
Die Vereinigung ist von der Addition zu unterscheiden:
[Bei der Vereinigung werden diejenigen Elemente, die beiden Mengen gemeinsam sind, nur einmal gezählt, bei der Addition doppelt.]
Die symmetrische Differenz ist die Vereinigungsmenge abzüglich der Elemente, die beiden Mengen gemeinsam sind:
Die symmetrische Differenz beruht auf dem ausschließenden Oder, dem „entweder – oder“, entweder die Elemente, die der einen Menge angehören oder aber die Elemente, die der anderen Menge angehören, nicht jedoch diejenigen Elemente, die beiden Mengen angehören.
Darstellung der Russell’schen Mengenbeziehung durch die Innenacht
Die intuitiv unterstellte Grundlage der Euler-Kreise ist die zweidimensionale plane Fläche. Hier funktioniert ein Kreis so, dass die Kreislinie ein Inneres und ein Äußeres gegeneinander abgrenzt. Diese ebene Fläche materialisiert sich für uns meist in einem Blatt Papier. Man zeichnet Kreise für gewöhnlich nicht auf Tori, wohl deshalb, weil das visuelle Feld wesentlich zweidimensional ist.
Die Frage ist, was passiert, wenn man nicht mit Kreisen arbeitet, sondern mit dem Gebilde, das von Lacan als Innenacht bezeichnet wird [dargestellt durch die Zeichnung oben]. Sie besteht aus einem [verformbaren] äußeren Kreis und einem [ebenfalls verformbaren] inneren Kreis. Die Linie des äußeren Kreises wird von der Linie des inneren Kreises fortgesetzt und trifft dann wieder auf die Linie des äußeren Kreises.
Kreis und Innenacht
Dabei ist zu beachten, dass die Linie sich nicht einfach selbst durchquert, sondern dass sie unter sich hindurchläuft [was dadurch kenntlich gemacht wird, dass die Linie vor und nach der Kreuzungsstelle ein Stück weit gelöscht wird]. [Damit verlässt man die gewöhnliche zweidimensionale Ebene und es stellt sich die Frage, auf welche Art Fläche sich eine solche Linie zeichnen lässt, ohne abzusetzen. Die Antwort wurde von Lacan schon angedeutet: auf einem Torus.]
Lacan verwendet die Innenacht, um sich auf die Russell’sche Paradoxie zu beziehen, also auf die Antinomie, die entsteht, wenn man fragt, ob die Menge aller Mengen, die sich nicht selbst enthalten, sich selbst enthält (vgl. Sitzung vom 24. Januar 1962, oben übersetzt). Die Logiker haben diese Paradoxie dadurch aufgelöst, dass sie Mengen, die sich nicht selbst enthalten, nicht als Mengen auffassen oder zumindest nicht im selben Sinne als Mengen, wie diejenigen Mengen, die sich selbst enthalten. [¿ Stimmt das?]
Man kann diese beiden Mengen in die Zeichnung der Innenacht eintragen. [Die Innenacht zeigt dann, in zweidimensionaler Darstellung, zwei Teilflächen; die eine repräsentiert die Menge aller Mengen, die sich nicht selbst enthalten, die andere die Menge aller Mengen, die sich selbst enthalten.] Wenn man das Verhältnis der beiden Mengen mithilfe der Innenacht darstellt, reduziert das die beiden Mengen auf die Homogenität mit dem, was außen ist. [Damit könnte gemeint sein: Wenn man am Überkreuzungspunkt der Innenacht die obere und die untere Linie unterscheidet, verlässt man die zweidimensionale Fläche und damit gibt es keinen Gegensatz von Innen und Außen mehr, das Innen setzt sich dann gewissermaßen ins Außen hinein fort und umgekehrt. Damit verschwindet die Alternative von Enhaltensein und Nichtenthaltensein, auf der die Paradoxie beruht.]
Lacan erläutert die Mengenparadoxie [wie üblich] durch einen Buchkatalog [ich habe das bei der Sitzung vom 24. Januar 1962 ausgeführt], und er stellt die Frage, wie es sein kann, dass die Paradoxie, die hier entsteht, die formale Logik [im Sinne der modernen symbolischen Logik] in ihren Grundlagen erschüttert, sodass sie sich gezwungen sieht, die Mengen, die sich nicht selbst enthalten, zurückzuweisen.
Von hier aus ergibt sich ein Einwand gegen die Darstellung der Verhältnisse zweier Mengen durch Eulerkreise [hier also der Verhältnisse zwischen der Mengen aller Mengen, die sich selbst enthalten, und der Menge aller Mengen, die sich nicht selbst enthalten]. Bei der Darstellung durch Euler-Kreise erscheint die Beziehung zwischen den beiden Mengen so, dass die eine in der anderen eingeschlossen ist. [¿ Wieso?] Aus diesem Grunde ist die Torus-Repräsentation [d.h. die Eintragung der Innenacht auf einen Torus] brauchbar [da sich dann nicht diese Einschließung ergibt].
Die Russell’sche Paradoxie beruht [wie die Lügenparadoxie] auf einem bestimmten Verhältnis des Signifikanten zu sich selbst [in der Russell’schen Paradoxie hat dieser Selbstbezug die Form des In-sich-selbst-Enthaltenseins bzw. des Nicht-in-sich-selbst-Enthaltenseins]. Die Definition der Menge hat in dem Maße in die Sackgasse [der Russell’schen Paradoxie] geführt, wie sie sich einer reinen Signifikantenartikulation angenähert hat. Ein Signifikant kann sich aber nur dann selbst bezeichnen, wenn er sich als verschieden von sich selbst setzt. Eben das ist in erster Linie zu symbolisieren. Und dies ist das, was wir in der gesamten Struktur des Subjekts wiederfinden, bis hin zu dem darin enthaltenen Begehren. [Die Selbstbezeichnung des Signifikanten, der sich von sich unterscheidet, soll durch die Innenacht dargestellt werden.]
Das unmögliche Ziel des Zwangsneurotikers
Lacan spricht dann über einen seiner Patienten, einem Zwangsneurotiker, der an seine weiblichen Objekte durch eine „beständige Untreue“ gebunden ist, was auch bei anderen Zwangsneurotikern üblich sei: durch die Unmöglichkeit, eines seiner Objekte zu verlassen. Dies führt zu der Schwierigkeit, sie zusammenzuhalten, und verlangt ein beträchtliches technisches Raffinement im Aufrechterhalten von Beziehungen, die einander äußerlich bleiben müssen und die zugleich miteinander verbunden sind. All dies hat das Ziel, sagt der Patient, ihn selbst unberührt zu lassen, für eine Befriedigung, die für ihn unerreichbar ist. Das heißt, dass die Befriedigung anderswo gefunden werden muss, in einer beständig aufgeschobenen Zukunft und in einem anderen Raum. Letztlich kann er nicht sagen, worauf diese Unberührtheit als Befriedigung hinauslaufen kann. [Dies ist offenbar die Allgegenwart des Zwangsneurotikers, von der Lacan in der Sitzung vom 21. März 1962 gesprochen hatte: dass er sich bemüht, bei all seinen Partnerinnen zugleich zu sein. Ein typischer Fall von Allgegenwart wäre dann der Wettermoderator Jörg Kachelmann, der an die Gleichzeitig-Geliebten Rundmails oder Gruppen-SMS schickte.] [¿ Und worin besteht das Nirgendwo-Sein – darin, dass die gesuchte Befriedigung unerreichbar ist?]
[¿ Worin also besteht für diesen Zwangsneurotiker das Reale als das Unmögliche? Darin, dass es ihm unmöglich ist, eines seiner Objekte zu verlassen, oder darin, dass er bestrebt ist, zugleich überall und nirgends zu sein?]
Nichtigkeit als Bedingung des Universalen (23. Mai 1962)
Übersetzung
Die Sitzung vom 23. Mai 1962 beginnt so:
„Warum wird ein Signifikant von der geringsten Sache ‚ergriffen‘, warum kann er die geringste Sache begreifen? Das ist die Frage. Eine Frage, bei der es vielleicht nicht übertrieben ist, wenn man sagt, dass sie überhaupt noch nicht gestellt worden ist, aufgrund der Gestalt, die die Logik klassischerweise angenommen hat.
Denn das Prinzip der Prädikation, das heißt die universale Aussage, impliziert nur eines, nämlich, dass das, was man erfasst, nullifizierbare Wesen sind, dictum de omni et nullo.
Diejenigen, denen diese Termini nicht vertraut sind und die das deshalb nicht gut verstehen, erinnere ich an das, was ich dabei bin, Ihnen immer wieder zu erklären, nämlich an das Folgende. Wenn man sich auf den Eulerkreis stützt, was umso legitimer ist, als das, was zu ersetzen war, etwas anderes ist, auf den Eulerkreis, der, wie jeder, wenn ich so sagen darf, ‚naive‘ Kreis, ein Kreis ist, in Bezug auf den sich nicht die Frage stellt, ob er ein Stück einschließt, einen Fetzen, dann besteht das Eigentümliche des Kreises – löst er einen Fetzen aus dieser hypothetischen implizierten Fläche heraus? – eben darin, dass er zunehmend auf nichts reduziert werden kann.
Die Möglichkeit des Universalen ist die Nichtigkeit.
Alle Professoren, habe ich Ihnen einmal gesagt – denn ich habe dieses Beispiel gewählt, um nicht immer in dieselben Probleme zurückzufallen –, alle Professoren sind gebildet (lettrés).
Nun, falls zufällig irgendwo kein Professor es verdient, als gebildet qualifiziert zu werden, werden wir – was dem nicht im Wege steht – Professoren haben, die Nullen sind. Beachten Sie bitte, dass dies nicht gleichwertig damit ist, zu sagen, dass es keinen Professor gibt. Der Beweis dafür ist, die Null-Professoren, nun ja, wir haben sie gelegentlich.
Wenn ich sage ‚haben‘, nehmen Sie dieses ‚haben‘ bitte im starken Sinne, in dem Sinn, um den es geht, wenn wir vom Sein und vom Haben sprechen. Das ist nicht einfach ein glitschiges Wort, das dazu bestimmt wäre, das Seifenstückchen entwischen zu lassen. Wenn ich sage ‚wir haben sie‘, dann bedeutet das, dass wir daran gewöhnt sind, sie zu haben, so wie wir eine Menge Dinge dieser Art haben. Wir haben die Republik. Wie mir mal ein Bauer gesagt hat, mit dem ich mich vor nicht so langer Zeit mal unterhalten habe: ‚Dieser Jahr hatten wir den Hagel und dann die Pfadfinder.‘ Worin hinsichtlich dieser Meteore für den Bauern die definitorische Unsicherheit auch immer bestanden haben mag, das Verb ‚haben‘ hat hier also durchaus seinen Sinn.177
Wir haben beispielsweise auch die Psychoanalytiker. Und das ist offensichtlich sehr viel komplizierter, denn mit dem Psychoanalytiker fängt es an, dass wir in die Ordnung der Existenzdefinition eintreten. Man tritt hier auf dem Wege der Bedingung ein. Man sagt beispielsweise: ‚Es gibt nicht …‘ ‚Keiner wird sich Psychoanalytiker nennen können, wenn er nicht psychoanalysiert worden ist.‘ Nun, die große Gefahr besteht darin, zu glauben, diese Beziehung sei mit derjenigen homogen, an die wir früher erinnert haben, in dem Sinne, dass es, um uns der Euler’schen Kreise zu bedienen, den Kreis der Psychoanalysierten gäbe, dass aber – da die Psychoanalytiker, wie jeder weiß, psychoanalysiert sein müssen –, dass aber der Kreis der Psychoanalytiker folglich so gezeichnet werden könnte, dass er im Kreis der Psychoanalysierten enthalten wäre.
Ich muss Ihnen nicht sagen, dass unsere Erfahrung mit den Psychoanalytikern uns wahrscheinlich deshalb solche Schwierigkeiten macht, weil die Dinge nicht so einfach sind, nämlich dass es alles in allem – auch wenn es auf der Ebene des Professors nicht evident ist, dass die Tatsache, als Professor zu fungieren, im Inneren des Professors etwas absaugen kann, in der Art eines Saughebers, was ihn von jeder Verbindung mit den Wirkungen des Buchstabens leert –, dass es im Gegensatz hierzu beim Psychoanalytiker völlig offensichtlich ist, dass es so ist.
Es genügt nicht, die Frage auf die Frage zu verschieben ‚Was heißt es, psychoanalysiert zu sein?‘. Denn selbstverständlich, das, was man da zu tun glaubt, und sicherlich, natürlich, wäre nur dies, niemanden davon abzubringen, die Frage in den Vordergrund zu rücken, was es heißt, psychoanalysiert zu sein. Aber in der Beziehung zum Psychoanalytiker ist es nicht das, was es zu erfassen gilt, wenn wir die Konzeption des Psychoanalytikers erfassen wollen, nämlich: was macht es aus ihm, aus dem Psychoanalytiker, psychoanalysiert zu sein, und zwar als Psychoanalytiker und nicht als Teil der Psychoanalysierten?
Ich weiß nicht, ob ich mich gut verständlich mache, aber ich werde Sie ein weiteres Mal zum Abc führen, zum Elementaren.
Wenn immerhin, um das älteste Beispiel der Logik zu Gehör zu bringen, der erste Schritt, den man macht, um Sokrates ins Loch zu stoßen, nämlich ‚Alle Menschen sind sterblich‘ –. Seit welcher Zeit man uns mit dieser Formel in den Ohren liegt! Ich weiß natürlich, dass Sie Zeit hatten, dagegen abzustumpfen, aber für jedes Wesen, das noch ein bisschen frisch ist, kann es nur so sein, dass die Tatsache, dass dieses Beispiel ins Herz der Logik befördert wurde, Quelle eines gewissen Unbehagens ist, des Gefühls, dass hier ein Betrug im Spiel ist. Denn inwiefern interessiert uns eine solche Formel, wenn es der Mensch ist, der zu erfassen ist?
Zumindest insofern, als das, worum es geht – und eben das bringen die konzentrischen Kreise der Euler’schen Inklusion zum Verschwinden –, nicht darin besteht, zu wissen, dass es einen Kreis von Sterblichen gibt und im Inneren dieses Kreises Menschen, was ganz ohne jedes Interesse ist, sondern darum, zu wissen, was es mit ihm, dem Menschen, macht, dass er sterblich ist, darum, den Strudel zu erfassen, der sich irgendwo im Zentrum des Begriffs des Menschen durch die Verbindung dieses Begriffs mit dem Prädikat ‚sterblich‘ herstellt und dass wir eben deshalb hinter etwas her sind. Wenn wir vom Menschen sprechen, dann rühren wir genau an diesen Strudel, an dieses Loch, das sich da irgendwo in der Mitte herstellt.
Ich habe kürzlich ein ausgezeichnetes Buch eines amerikanischen Autors geöffnet, von dem man sagen kann, dass dieses Werk das Erbe des logischen Denkens und der logischen Erklärung erweitert.178 Ich werde Ihnen seinen Namen nicht sagen, denn Sie werden suchen, wer das ist. Und warum tue ich es nicht? Weil ich die Überraschung erlebt habe, auf den Seiten, wo er so gut arbeitet, einen so lebendigen Sinn für die Aktualität des Fortschritts der Logik zu finden, dass eben dort meine Innenacht interveniert. Er macht davon keineswegs denselben Gebrauch wie ich, nichtsdestoweniger hat mich das auf den Gedanken gebracht, dass irgendein Großkopfeter unter meinen Hörern eines Tages dazu kommen könnte, mir zu sagen, dass ich sie dort aufgefischt habe.
Was die Originalität der Passage von Monsieur Jakobson angeht, so habe ich tatsächlich sehr stark Bezug darauf genommen. Man muss sagen, dass in diesem Fall – ich glaube, dass ich angefangen habe, die Metapher und die Metonymie in unserer Theorie in den Vordergrund zu rücken, irgendwo neben dem Romvortrag, der veröffentlicht wurde179 –, als ich mit Jakobson sprach, hat er mir gesagt: ‚Aber sicher, diese Geschichte von Metapher und Metonymie, das haben wir zusammen ausgeheckt, erinnern Sie sich, am 14. Juli 1950.‘
Was den erwähnten Logiker angeht, so ist er bereits seit langem tot, und seine kleine Innenacht geht ihrer Beförderung in diesem Seminar unbestreitbar voraus. Aber wenn er mit raschem Schritt die Untersuchung der universalen Bejahung in Angriff nimmt, verwendet er ein Beispiel, dass das Verdienst hat, nicht überall herumzuliegen. Er sagt: ‚Alle Heiligen sind Menschen, alle Menschen sind leidenschaftlich, also sind alle Heiligen leidenschaftlich.‘ Er bringt das zusammen, da Sie bei einem solchen Beispiel doch wohl spüren müssen, dass das Problem eben darin besteht, wo diese prädikative Leidenschaft ist, in diesem universalen Syllogismus die äußerste180, welche Art von Leidenschaft dem Herzen zukommt, sodass es die Heiligkeit hervorbringt.
An all das habe ich heute früh gedacht, ich meine, daran, es Ihnen so zu sagen, um Sie spüren zu lassen, worum es bei dem geht, was ich ‚eine bestimmte Strudelbewegung‘ genannt habe.
Woran wir hier mit unserem Apparat heranzukommen versuchen, bezogen auf die Flächen181, die Flächen in dem Sinne, dass wir uns bemühen, sie auf eine Weise zu verwenden, die hier vielleicht wenig klassisch ist – um diejenigen unter meinen Zuhörern zu beruhigen, die von meinen Ausflügen beunruhigt sind –, die aber dennoch nichts anderes ist als dies, die Kantische Funktion des Schemas zu erneuern, sie neu zu befragen.182
Ich denke, dass das für die Erfahrung radikal Unlogische des ‚Enthaltenseins‘, der ‚Inklusion‘, das Verhältnis des ‚Umfangs‘ zum ‚Inhalt‘, zu den Euler’schen Kreisen, diese ganze Ausrichtung, in die sich die Logik im Lauf der Zeit verwickelt hat – ist sie nicht, gerade in ihrer Verirrung, die Erinnerung an das, was an ihrem Anfang vergessen wurde? Was an ihrem Anfang vergessen wurde, ist dies, dass das Objekt, um das es geht, und sei es das reinste, dass es das Objekt des Begehrens ist, gewesen ist und sein wird, was auch immer man tun mag, und dass es sich zunächst darum handelt – wenn es darum geht, es einzukreisen, um es logisch, das heißt mit der Sprache einzufangen –, dass es sich zunächst darum handelt, es als Objekt unseres Begehrens zu ergreifen, und, wenn man es ergriffen hat, es zu hüten, was heißt, es einzuzäunen, und dass diese Wiederkehr der Inklusion an die erste Stelle der logischen Formalisierung ihre Wurzel in Folgendem hat, im Bedürfnis zu besitzen, worauf sich unser Verhältnis zum Objekt als dem des Begehrens gründet. Der Begriff* evoziert das Ergreifen, da wir den Begriff* daraus geschmiedet haben, evoziert, dass wir darauf aus sind, ein Objekts unseres Begehrens zu ergreifen. Und jeder weiß, dass alles, was wir besitzen wollen, was Objekt des Begehrens sein soll, dass das, was wir für das Begehren besitzen wollen und nicht für die Befriedigung eines Bedürfnisses, dass dies uns entflieht und sich uns entzieht.“183
Dabei geht es nicht, heißt es weiter, wie in der Moral der Vergänglichkeit um den realen Tod, vielmehr um den Todestrieb, den die Logik aufzuklären hat.
Paraphrase mit Ergänzungen
Das Nichts als Bedingung des Universalen
Lacan stellt die Frage nach dem Verhältnis von Signifikant und Sache: Warum wird der Signifikant von der Sache „ergriffen“, warum „ergreift“ er die Sache? [Im Hintergrund der Frage steht das deutsche Wort „Begriff“. Die traditionelle Logik ist Begriffslogik – wie also funktioniert ein Begriff? Was hat ein Begriff mit dem Ergreifen zu tun?]
Diese Frage ist, aufgrund der Gestalt der traditionellen Logik, nicht gestellt worden.
Wie funktioniert die Prädikation?
[Die Frage nach dem Begriff wird dann in die Frage übersetzt, wie die Prädikation funktioniert, also die Beziehung des Subjektbegriffs zum Prädikatbegriff in der Aussage, sowie in die Frage nach der Inklusion: Ist die Beziehung zwischen Subjektbegriff und Prädikatbegriff zu deuten, dass der Subjektbegriff im Prädikatbegriff enthalten ist?]
Die universale Aussage beruht auf dem Prinzip der Prädikation. [In einer Aussage werden einem logischen Subjekt bestimmte Prädikate (Attribute, Eigenschaften, Merkmale) zu- oder abgesprochen, „prädiziert“; in der Aussage „Alle Menschen sind sterblich“ wird dem Subjekt „Mensch“ das Prädikat „sterblich“ zugesprochen.] Dieses Prinzip impliziert, dass die Wesen [denen Prädikate zugesprochen werden] nullifizierbar sind [wie in der Aussage „Kein Mensch ist sterblich“]. Eben hierauf bezieht sich das dictum de omni et nulli [die „Maxime von allem und keinem“, eine Maxime der aristotelischen Logik]. [Das dictum de omini besagt, dass eine universale bejahende Aussage dann, wenn sie für eine Art gilt, auch für eine Unterart wahr ist. Wenn man sagen kann, „Alle Säugetiere haben eine konstante selbstregulierte Körpertemperatur“, kann man zu Recht auch behaupten, „Alle Menschen haben eine konstante selbstregulierte Körpertemperatur“. Das dictum de nullo behauptet das Entsprechende für die universale verneinende Aussage. Wenn gilt, „Kein Säugetier ist eine Pflanze“, dann gilt auch „Kein Mensch ist eine Pflanze“.]
[Die übliche Veranschaulichung des Universalen ist der Eulerkreis, beispielsweise kann ein Kreis hier „alle Menschen“ veranschaulichen.]
In Bezug auf den Eulerkreis stellt sich nicht die Frage, ob er ein Stück oder einen Fetzen einschließt [es ist klar, dass er ein Stück in sich einschließt]. Der Kreis kann schrittweise verkleinert werden, bis dahin, dass er zu nichts wird [zu einem Punkt, Lacan bezieht sich hier auf eine Grenzwertoperation]. [Der Punkt soll hier offenbar für „nichts“ stehen.]
„Die Möglichkeit des Universalen ist die Nichtigkeit.“ [Das Universale und das Nichtige (der Kreis und der Punkt) existieren nicht getrennt nebeneinander, vielmehr ist das Nichtige die Möglichkeitsbedingung (wie Kant sagen würde) für das Universale, die Nichtigkeit macht das Universale möglich.]
„Alle Professoren sind gebildet“ [das ist eine universale bejahende Aussage, A, analog zu „Alle Striche sind senkrecht“, Felder 1 und 4 im Quadrantenschema].
„Kein Professor ist gebildet“ [= „Alle Professoren sind nicht gebildet“, universale verneinende Aussage, E, analog zu „Kein Strich ist senkrecht“, Felder 3 und 4 im Quadrantenschema].
„Es gibt Professoren, die Nullen sind [die nicht gebildet sind]“ [oder auch „Einige Professoren sind Nullen“, eine partikuläre verneinende Aussage, O, Felder 2 und 3 im Quadrantenschema].
Die Aussage „Es gibt Professoren die Nullen sind“ steht nicht im Widerspruch zu „Kein Professor ist gebildet“ [wenn alle Professoren ungebildet sind, gilt auch, dass einige Professoren gebildet sind].
Die Aussage „Kein Professor ist gebildet“ ist nicht zu verwechseln mit der Aussage „Es gibt keine Professoren“. [„Kein Professor ist gebildet“ ist eine universale verneinende Aussage; im Quadrantenschema entsprechen ihr die beiden rechten Quadranten, „Kein Strich ist senkrecht“. Der Aussage „Es gibt keinen Professor“ entspricht im Quadrantenschema der Quadrant oben rechts, „Es gibt keinen Strich“.]
Ungebildete Professoren gibt es tatsächlich – wir „haben“ gelegentlich ungebildete Professoren.
Dieses „Haben“ ist in starkem Sinne zu nehmen, es geht um „Haben“ im Unterschied zu „Sein“. Wir „haben“ ungebildete Professoren, das meint, wir sind daran gewöhnt, sie zu haben, so wie man sagt, dass wir die Republik haben oder, wie ein Bauer mal zu Lacan gesagt hat, dass wir in diesem Jahr den Hagel und die Pfadfinder hatten. [„Wir haben“ entspricht in der logischen Aussage der Bestandteil „Es gibt“ bzw. „Einige“. „Es gibt“ ist der Existenzquantor.]
Mit dem Psychoanalytiker treten wir in die Ordnung der Existenzdefinitionen ein [der Existenzaussage , d.h. in die Ordnung der Aussagen vom Typ „Es gibt mindestens ein A, das B ist“ oder „Es existiert ein A, das B ist“, etwa „Es gibt Menschen, die Psychoanalytiker sind“ oder „Es existieren Menschen, die Psychoanalytiker sind“ oder „Manche Menschen sind Psychoanalytiker“ – oder alltagssprachlich „Wir haben Psychoanalytiker“].
Ein Psychoanalytiker wird dadurch definiert, dass er bestimmte Bedingungen erfüllt. Diese Bedingungen können so formuliert werden: „Keiner wird sich Psychoanalytiker nennen können, wenn er nicht psychoanalysiert worden ist.“
Die Gefahr besteht darin, die Beziehung zwischen den Psychoanalytikern und den Psychoanalysierten so aufzufassen, als wären die Psychoanalytiker eine Teilmenge der Psychoanalysierten, was sich mithilfe von Euler’schen Kreisen so darstellen ließe, dass der Kreis der Psychoanalytiker im Kreis der Psychoanalysierten enthalten ist.
Bei den Professoren ist keineswegs evident, dass die Tatsache, dass es Leute gibt, die als Professoren fungieren, in sich etwas enthält, was von jeder Verbindung mit dem Buchstaben (lettre) geleert ist [sodass es Professoren gibt, die nicht gebildet (lettrés] sind]. Bei den Psychoanalytikern hingegen ist das offensichtlich. Dafür genügt es jedoch nicht, einfach zu fragen, was es heißt, psychoanalysiert zu sein, denn darum geht es nicht, wenn man wissen will, was beim Psychoanalytiker zu erfassen ist. Die Frage ist hier, was es aus dem Psychoanalytiker macht, dass er psychoanalysiert worden ist – was es aus ihm als Psychoanalytiker macht, nicht als Teil der Psychoanalysierten. [Bei einem Psychoanalytiker meint „er ist psychoanalysiert worden“ etwas anderes als bei einem Nicht-Psychoanalytiker.– Offenbar will Lacan sagen, das Prädikat ist hier nichts Hinzukommendes, es greift in das Subjekt ein.]
Man denke an das berühmteste Beispiel für einen Syllogismus, der so beginnt: „Alle Menschen sind sterblich“, und der damit endet, dass Sokrates ins Loch gestoßen wird [der mit „Sokrates ist sterblich“ endet]. Wer sich noch nicht daran gewöhnt hat, dem bereitet dieses Beispiel ein gewisses Unbehagen. Wenn es darum geht, den Menschen zu erfassen, ihn zu begreifen, interessiert uns nicht, dass es [in der Darstellung durch Euler’sche Kreise] einen Kreis von Sterblichen gibt und darin den kleineren Kreis der Menschen. Vielmehr interessiert uns, was es aus dem Menschen macht, dass er sterblich ist, welchen „Strudel“, welches „Loch“ [welches Nichts] es hierdurch gibt im Inneren [der Aussage „Alle Menschen sind sterblich“, also in] der Verbindung des Begriffs des Menschen mit dem Prädikat „sterblich“.
Lacan hat kürzlich ein Buch eines ausgezeichneten Logikers geöffnet, dessen Namen er ausdrücklich nicht nennt [es ist Charles Sanders Peirce, vermutlich dessen Elements of logic, ein Textsammlung, der Lacan das Quadrantenschema entnommen hat, das er in der Sitzung vom 17. Januar 1962 eingeführt hatte]. Hier hat Lacan zu seiner Überraschung die Innenacht gefunden, von der besagter Autor allerdings einen anderen Gebrauch macht als Lacan. [Die Innenacht hatte Lacan bereits vor seiner Peirce-Lektüre erfunden.] Das ist anders, sagt Lacan, als bei den Begriffen Metapher und Metonymie, bei denen er immer ausdrücklich darauf hingewiesen habe, dass er sie Roman Jakobson verdankt; Jakobson habe ihm, Lacan, gesagt, dass sie beide diese Geschichte von Metapher und Metonymie zusammen ausgeheckt haben. Aber natürlich gehe die Innenacht von Peirce ihrer Beförderung in Lacans Seminar unbestreitbar voraus.
Interessant ist (sagt Lacan), welches Beispiel Peirce für die universale Bejahung verwendet, nämlich den folgenden Syllogismus: „Alle Heiligen sind Menschen, alle Menschen sind leidenschaftlich, also sind alle Heiligen leidenschaftlich.“
Von hier aus kann man sich fragen, durch welche Art von Leidenschaft die Heiligen hervorgebracht werden. [Entsprechend kann man sich fragen, aus welcher Art des Analysiertseins Analytiker hervorgehen. In späteren Seminaren wird Lacan nach dem „Begehren des Analytikers“ fragen und in Radiophonie (1974) vergleicht er den Analytiker mit einem Heiligen.]
Topologie und Kants Schema
An diese Frage versuche er, Lacan, mit seinen [topologischen] Flächen heranzukommen [die er in diesem Seminar eingeführt hatte, Torus und Kreuzhaube]. Er verwendet sie, sagt er, auf eine Weise, die vielleicht nicht gerade klassisch ist; dabei geht es ihm jedoch darum, die Kantische Funktion des Schemas zu erneuern. [Das Schema vermittelt zwischen Anschauung und Begriff; vgl. das Kapitel „Von dem Schematismus der reinen Verstandesbegriffe“ in der Kritik der reinen Vernunft. Ein Anknüpfungspunkt für Lacans Interesse an Topologie ist demnach Kants Begriff des Schemas.]
Das Vergessene des Anfangs der Logik: das Objekt des Begehrens
Die Logik hat sich an der Relation des „Enthaltenseins“ und der „Inklusion“ orientiert, sowie am Verhältnis von „Umfang“ und „Inhalt“ [eines Begriffs], dargestellt mithilfge der Euler’schen Kreise. Lacan hält das für eine Verirrung; er wolle an das erinnern, was in ihrem Anfang vergessen wurde. [„Vergessen des Anfangs“, das ist eine Denkfigur, die man von Heidegger kennt und die Heidegger mit der Psychoanalyse verbindet.] Was am Anfang vergessen wurde, ist dies, dass das Objekt, um das es geht, das Objekt des Begehrens ist, und das wird immer so sein. Dieses Objekt ist in erster Linie logisch zu erfassen, d.h. mit den Mitteln der Sprache [des logos].
Warum nimmt in der Logik die Inklusion diese herausragende Stellung ein? Das ist eine Wiederkehr [des zu Anfang Vergessenen, eine Wiederkehr des Verdrängten], nämlich dass die Beziehung zum Objekt des Begehrens sich auf das Bedürfnis gründet, es zu besitzen.
Der Ausdruck „Begriff*“ erinnert an das Ergreifen – wir sind darauf aus, ein Objekt unseres Begehrens zu ergreifen und es damit zu besitzen. Wir wollen das Objekt des Begehrens nicht für eine Bedürfnisbefriedigung ergreifen. Und jeder weiß, dass dieses Objekt uns entflieht und sich uns entzieht.
Das von der Logik ausgeschlossene Unmögliche (13. Juni 1962)
Übersetzung
Auf der Kreuzhaube, sagt Lacan am 13. Juni 1962, gibt es einen speziellen Punkt, der zugleich einfach und doppelt ist und von dem die Struktur dieser Fläche abhängt; auf der untenstehenden Zeichnung ist er durch einen Pfeil gekennzeichnet.
Dieser Punkt ist der Phallus, insofern von ihm aus ein Objekt a eingesetzt werden kann.184
In der folgenden Passage bezieht Lacan diesen Punkt auf das kleine Viereck in der Formel des Phantasmas, $ ◊ a. Dabei liest er dieses Symbol als „Punze“(poinçon).
„Dieser kleine Doppelpunkt, diese Punze, zeigt uns, dass hier das Feld ist, wo das eingekreist wird, was die wirkliche Triebfeder des Verhältnisses zwischen dem Möglichen und dem Realen ist.
Was den ganzen Charme, die ganze, lange Zeit hindurch ausgeübte Verführungskraft der klassischen Logik ausgemacht hat, den wirklich interessanten Punkt der formalen Logik, ich meine der von Aristoteles, das ist das, was von ihr unterstellt wird, und das, was sie ausschließt und was wirklich ihr Angelpunkt ist, nämlich der Punkt des Unmöglichen, insofern er der des Begehrens ist. Und darauf werde ich zurückkommen. Also könnten Sie sich sagen, dass all das, was ich Ihnen hier gerade erläutere, die Fortsetzung des vorigen Diskurses ist.“185
Danach spricht Lacan über Gott. Die Behauptung „Gott ist tot“ ist für ihn allzu schlicht. Er nennt verschiedene Gottesnamen: Godot, Höchstes Wesen.
Paraphrase mit Ergänzungen
Das von der Logik Ausgeschlossene: das Unmögliche
In der Kreuzhaube gibt es einen speziellen Punkt, der zugleich einfach und doppelt ist.
Der „Doppelpunkt“ in der Kreuzhaube entspricht der „Punze“ (der Raute) in der Formel des Phantasmas ($ ◊ a); er zeigt an, was die Triebfeder des Verhältnisses zwischen dem Realen und dem Möglichen ist [nämlich das Unmögliche].
Die traditionelle Logik schließt das Unmögliche aus sich aus [„Satz vom Widerspruch“: es ist nicht möglich, dass Bejahung und Verneinung einer Aussage (p und nicht-p) zugleich wahr sind]. Das ausgeschlossene Unmögliche ist der Angelpunkt dieser Logik. [Das Reale als das Unmögliche ist die Ausnahme (7. März 1962), und die Ausnahme fundiert die Regel (14. März 1962).]
Der Punkt des Unmöglichen ist der des Begehrens [das Begehren richtet sich auf das dem Anderen Unmögliche (21. März 1962)]. [Das Begehren, insofern es auf das Unmögliche zielt, ist die ausgeschlossene Grundlage der aristotelischen Logik.]
Klasse, Privation und einziger Zug (20. Juni 1962)
Übersetzung
In der nächsten Sitzung spricht Lacan über einen Aufsatz von Serge Leclaire186 und fährt dann fort:
„Nehmen wir also einfach, um es zu zeigen, das ist keine Kritik, diese Arbeit wieder auf. Man könnte viele andere anführen. Und Sie sollten diese Arbeit kennen, sie sollte verbreitet werden, das fände ich wünschenswert.
Die logische Definition des Objekts – das ich mir gestatte, bei dieser Gelegenheit als Lacan’sches Objekt zu bezeichnen, denn das ist nicht dasselbe wie vom verabscheuten Lacanianismus zu sprechen –, des Objekts des Begehrens, seine logische Funktion, die dieses Objekts, beruht nicht –; das ist das, was durch die Neuartigkeit dieses kleinen Kreises bezeichnet wird:
und ich zeige Ihnen, wie Sie ihn eingrenzen, indem ich Ihnen sage, dass er wesentlich durch die Gegenwart dieses Punktes konstituiert ist, der hier ist, entweder in seinem zentralen Feld [1] oder an der Grenze dieses Feldes [2] oder sogar hier [3] – denn diese drei Fälle sind dieselben – als letzte Reduktion dieses Feldes
Innenacht mit Punkt an drei Positionen
–, die logische Funktion dieses Feldes hängt nicht von seinem Umfang ab und auch nicht von seinem Inhalt, denn sein Umfang, wenn man überhaupt etwas mit diesem Ausdruck bezeichnen kann, beruht auf der strukturierenden Funktion dieses Punktes.
Je mehr dieses Feld, wenn ich so sagen kann, punktförmig ist, desto mehr Wirkungen gibt es, und diese Wirkungen bestehen, wenn man so sagen kann, in einer Umkehrung.
Im Lichte dieses Prinzips gibt es kein Problem, gibt es kein Problem mit dem, was Freud uns als Reproduktion des Phantasmas des Wolfsmanns gegeben hat.187 Sie kennen diesen Baum, diesen großen Baum, und die Wölfe, die absolut keine Wölfe sind188, die auf diesem Baum sitzen, fünf an der Zahl, während anderswo von sieben gesprochen wird.189
Wenn wir ein exemplarisches Bild für das bräuchten, was a ist, an der Grenze dieses Feldes [2], wenn seine phallische Radikalität sich in einer Art Singularität als zugänglich manifestiert, dort, wo sie uns einzig erscheinen kann, das heißt, wenn sie sich dem äußeren Feld [3] nähert oder ihm näher kommen kann, dem Felde dessen, was sich reflektieren kann, dem Felde dessen, worin eine Symmetrie den spiegelhaften Irrtum ermöglichen kann, dann haben wir es hier.190 Denn es ist einerseits klar, dass dies natürlich nicht das Spiegelbild des Wolfsmanns ist, der hier davor steht, und dass es dennoch – darauf haben wir übrigens schon ziemlich lange hingewiesen, sodass dies für den Verfasser der Arbeit, über die ich spreche, nichts Neues ist –, dass es dennoch genau das Bild des Augenblicks ist, der vom Subjekt als Urszene erlebt wird. Ich meine damit, dass dies genau die Struktur des Subjekts angesichts dieser Szene ist. Ich meine damit, dass sich das Subjekt angesichts dieser Szene zum blickenden Wolf macht, zu fünf blickenden Wölfen.191 Was sich ihm in dieser Weihnachtsnacht plötzlich eröffnet, ist die Wiederkehr dessen, was es, das Subjekt, im Grundphantasma wesentlich ist.192
Sicherlich ist die Szene, um die es geht, selbst verschleiert – auf diesen Schleier werden wir gleich zurückkommen –, und zwar durch das, was er nur in diesem V auftauchen sieht, das mit den Schmetterlingsflügeln der offenen Beine seiner Mutter schlägt, oder in der römischen V der Uhrzeit, in dem Zeitpunkt von fünf Uhr im heißen Sommer, zu dem die Begegnung sich ereignet zu haben scheint. Wichtige ist jedoch, dass das, was er in seinem Phantasma sieht, das ausgestrichene S selbst ist, insofern es Schnitt von a ist [$ ◊ a]. Die a, das sind die Wölfe.
Und wenn ich das heute beiseitelasse, dann deshalb, weil neben einer schwierigen abstrakten Rede – bei der ich nicht mehr die Hoffnung habe, sie in den Grenzen, die uns hier gesteckt sind, bis zu ihren letzten Einzelheiten führen zu können –, dieses Objekt des Begehrens hier auf eine Weise illustriert wird, die es mir gestattet, sofort zu konkreten Strukturelementen zu gelangen, die ich Ihnen auf deduktivere Weise darlegen sollte, aber ich habe nicht die Zeit und ich nehme diesen Weg.
Dieses nicht-spiegelhafte Objekt, das Objekt des Begehrens, dieses Objekt, das in diesem Grenzbereich gefunden werden kann, abhängig von Bildern des Subjekts, sagen wir – um schneller voranzukommen, auch wenn das eine gewisse Gefahr der Verwirrung mit sich bringt –, sagen wir, in dem Spiegel, den der große Andere bildet, sagen wir, in dem Raum, der vom großen Anderen entwickelt worden ist, denn man muss diesen Spiegel wieder zurücknehmen, außer, um daraus die Art von Spiegel zu machen, die man im Französischen, sicherlich nicht zufällig, als ‚Hexenspiegel‘ bezeichnet, ich meine diese Spiegel mit einer gewissen Konkavität, die in ihrem Inneren eine Reihe weiterer konzentrischer Spiegel haben, in denen Sie Ihr eigenes Bild so oft reflektiert sehen, wie es im großen Spiegel diese kleinen gibt.
Das heißt, dass Folgendes geschieht: Im Phantasma ist Ihnen das gegenwärtig, was vielleicht nur auf den Wegen unserer Erfahrung definierbar ist, zugänglich ist oder vielleicht – darüber weiß ich nichts, außerdem kümmere ich mich wenig darum – auf den Wegen derjenigen Erfahrungen, auf die ich vorhin angespielt habe: das, was von der Natur des Objekts des Begehrens ist.193
Und das ist interessant, weil es ein logischer Bezug ist: Das Objekt, das von den Euler’schen Kreisen konnotiert, eingekreist wird, ist das Objekt derjenigen Funktion, die man als ‚Klasse‘ bezeichnet.
Ich werden Ihnen seine enge strukturelle Beziehung zur Funktion der Privation zeigen, ich meine den ersten dieser drei Termini, die ich als Privation, Frustration, Kastration artikuliert habe – allerdings das, wodurch die wahre Funktion der Privation vollständig verschleiert wird. Obgleich man an sie herankommen kann; von da bin ich ausgegangen, um für Sie das Schema der universalen und der partikulären Aussagen anzufertigen.
Erinnern Sie sich doch bitte: Als ich Ihnen sagte „Jeder Professor ist gebildet“194, bedeutete das nicht, dass es auch nur einen einzigen Professor gibt. Aus diesem Grunde entspricht die Sache immer der Wahrheit.
Der Bereich der Privation, der Privation als einziger Zug, als etwas, was für die Funktion der Klasse konstitutiv ist, wird damit hinreichend angezeigt.
Aber so ist die Funktion der Dialektik, der dialektischen Vernunft195 – das dürfte Herrn Lévi-Strauss missfallen, der glaubt, sie sei nur ein Sonderfall der analytischen Vernunft –, dass sie nämlich diese wilden Stadien eben nur ausgehend von den entwickelten Stadien zu erfassen erlaubt.196 Damit soll aber nicht gesagt werden, die Logik der Klassen sei der wilde Zustand der Logik des Objekts des Begehrens. Wenn man eine Klassenlogik hat aufstellen können – ich möchte Sie bitten, diesem Gegenstand unser nächstes Treffen zu widmen –, dann deshalb, weil der Zugang darin bestand, dass man sich einer Logik des Objekts des Begehrens verweigerte.
Anders gesagt, die Fruchtbarkeit des Themas der Privation kann im Lichte der Kastration begriffen werden.
All das lässt mich denken – an dem Punkt, an dem ich mit der Aufhellung unseres Weges bin –, dass ich heute nur auf eine Funktion hinweisen wollte, die ich vor langer Zeit ausgemacht habe, um sie Ihnen als etwas zu zeigen, was für die entscheidendsten, ja für die grausamsten Einwirkungen des Signifikanten auf das menschliche Leben exemplarisch ist, als ich Ihnen sagte, für die Eifersucht, für die sexuelle Eifersucht, sei es erforderlich, dass das Subjekt zählen kann. Die Löwinnen in der kleinen Löwenherde, die ich Ihnen geschildert habe, in irgendeinem Zoo, waren manifest nicht eifersüchtig aufeinander, da sie nicht zählen konnten. Wir rühren hier daran, dass es ziemlich wahrscheinlich ist, dass das Objekt, wie es auf der Ebene des Begehrens konstituiert ist, d.h. das Objekt in Funktion nicht der Privation, sondern der Kastration, dass einzig dieses Objekt wirklich numerisch sein kann. Ich bin mir nicht sicher, dass das hinreicht, um zu behaupten, dass es zählbar ist, aber wenn ich sage, dass es numerisch ist, möchte ich damit sagen, dass es die Zahl wie eine Qualität mit sich führt. Man kann sich nicht sicher sein, welche Zahl, hier sind es im Schema fünf und im Text sieben, aber was soll’s, sicherlich sind es nicht ein Dutzend.“197
Lacan fährt fort mit Bemerkungen über die Zahl als Qualität des Objekts.
Paraphrase mit Ergänzungen
Logische Funktion des Objekts des Begehrens: Reduktion auf einen Punkt der Innenacht
Lacan nennt das Objekt des Begehrens „das Lacan’sche Objekt“ und spricht über dessen logische Funktion. Die logische Funktion dieses Objekts wird durch diesen kleinen Kreis bezeichnet [vermutlich durch den kleineren „Kreis“ der Innenacht].
Dabei wird das Objekt des Begehrens durch einen Punkt gebildet, der – bei zweidimensionaler Darstellung – entweder im Inneren des kleineren Kreises verortet ist oder auf seiner Umrisslinie oder in einem Punkt, auf denen man den kleinen Kreis reduziert hat.
Die logische Funktion des Objekts des Begehrens beruht weder auf seinem Umfang noch auf seinem Inhalt [die logische Funktion des Objekts des Begehrens ist also nicht mit den Kategorien der Begriffslogik zu erfassen, Umfang und Inhalt bzw. Extension und Intension].
Der „Umfang“ – wenn man den Ausdruck verwenden will – ist der eines Punktes, nämlich des auf einen Punkt reduzierten kleineren Kreises der Innenacht.
Je mehr dieses Feld auf einen Punkt reduziert ist, desto mehr Wirkungen hat es, wobei die Wirkungen in einer Umkehrung bestehen. [¿ Inwiefern?]
[ [¿ Worin besteht im Phantasma des Wolfsmanns das ausgestrichene S?]
Blick der Wölfe als Objekt a
Wenn man von hier ausgeht, gibt es mit der Illustration des Phantasmas des „Wolfsmanns“ kein Problem mehr. Das Phantasma wird durch einen Baum illustriert, den der Patient gezeichnet hat, und auf dem fünf Wölfe zu sehen sind. Damit haben wir ein exemplarisches Bild für das Objekt a.
Das Objekt a ist hier an der Grenze von Feld (2), in der Nähe zum äußeren Feld (3). [¿ Ist Feld 2 der kleinere innere Kreis und Feld 3 der größere äußere Kreis?]
Die phallische Radikalität [der phallische Ursprung] dieses Objekts manifestiert sich in einer Art Singularität, nämlich im Übergang zum Punkt. [Unter Singularität versteht man in der Mathematik den Grenzfall einer stetigen Verformung, bei dem Struktureigenschaften des Objekts verloren gehen; hier wäre das der Übergang vom „inneren Kreis“ zum Punkt. Freud betont den Zusammenhang der Urszene mit der Kastration. Der Fundierung des Objekts a durch die Kastration entspricht bei der Innenacht demnach die Reduzierbarkeit des inneren Kreises auf einen Punkt.]
Das äußere Feld ist das, was sich reflektieren kann, worin eine Symmetrie den spiegelhaften Irrtum ermöglichen kann. [Das äußere Feld der Innenacht, Feld (2), steht also für das Imaginäre, für das Ich.]
Die Zeichnung ist natürlich nicht das Spiegelbild des Wolfsmanns. Die Zeichnung ist vielmehr das Bild des Augenblicks, der vom Subjekt als Urszene erlebt wird [die Beobachtung der Eltern bei der Kopulation], das heißt die Zeichnung stellt die Struktur des Subjekts angesichts der Urszene dar. Angesichts dieser Szene macht das Subjekt sich zum blickenden Wolf, zu fünf blickenden Wölfen, es wird zum Blick.
In der Weihnachtsnacht [in der Nacht vor dem Weihnachtstag] eröffnet sich dem Subjekt im Traum von den Wölfen, die im Baum sitzen und es anschauen, die Wiederkehr dessen, was es, das Subjekts, wesentlich ist, was es im Grundphantasma ist [nämlich Blick]. Im Traum von den Wölfen ist es der blickende Wolf, genauer: wird es zu fünf blickenden Wölfen. Das heißt, der Traum ist die Wiederkehr [des verdrängten Blicks]. [Aus dem Blicken wird das Erblicktwerden, es vollzieht sich also eine Aktiv-Passiv-Verkehrung, worauf Freud hinweist.198]
[Eine der Quellen für den Begriff des Blicks, den Lacan in den Seminar 11 und 13 ausarbeiten wird, ist also die Wolfsmann-Fallgeschichte mit dem Anblick der Urszene, worin das Subjekt Blick wird, und der Wiederkehr des verdrängten Blickens im Erblicktwerden durch die Wölfe.]
Dabei ist die Urszene, um die es letztlich geht, verschleiert, sie wird [in den Assoziationen des Patienten zu diesem Traum] durch das wiederkehrende V angedeutet, das auf die Schmetterlingsflügel verweist, auf die offenen Beine seiner Mutter, auf die römische V der Uhrzeit, zu der sich die Konfrontation mit der Urszene ereignet zu haben scheint. [¿ Ist das V also die verdrängte Vorstellungsrepräsentanz des Schautriebs?]
Aber das Wichtige ist, dass das Subjekt in seinem Phantasma eben dies sieht: das ausgestrichene Subjekt, insofern es Schnitt von a ist. [Das entspricht der Formel des Phantasmas, $ ◊ a. Das Subjekt ist insofern Schnitt von a, als es vom Blick getrennt ist und der Blick es von außen trifft.] [¿ Wie erscheint im Traum das ausgestrichene Subjekt?] Das a sind die Wölfe, sie sind das Objekt des Begehrens, und das Objekt des Begehrens wird hier auf eine Weise illustriert, die es ermöglicht, sofort zu konkreten Strukturelementen zu gelangen.
Eigentlich sollte er, Lacan, diese strukturellen Elemente theoretisch ableiten (sagt Lacan), aber dazu habe er nicht die Zeit.
Das Objekt des Begehrens ist ein nicht-spiegelhaftes Objekt [es ist das, was vom Narzissmus ausgeschlossen wird, etwa insofern, als es etwas nicht Beherrschbares ist].
Dieses Objekt kann in dem Grenzbereich gefunden werden, der durch den „Spiegel“ konstituiert wird, den der große Anderen darstellt. [Der große Andere kann als Spiegel aufgefasst werden, jedoch nicht als Spiegel im Sinne des Imaginären. Im sogenannten optischen Modell wurde der Andere von Lacan als Spiegel dargestellt.] Aber natürlich ist der Andere kein Spiegel [der die Illusion einer Ganzheit erzeugt], sondern eher eine Art Hexenspiegel, der eine Reihe von kleineren Spiegel in sich enhält, in denen man das eigene Bild mehrfach reflektiert sieht. [¿ In der Wolfsmann-Analyse schreibt Freud: „Wir werden nur diejenige Wirkung verfolgen, welche dem Traum Ausdruck gibt. Später werden wir uns klarmachen müssen, daß nicht etwa eine einzige Sexualströmung von der Urszene ausgegangen ist, sondern eine ganze Reihe von solchen, geradezu eine Aufsplitterung der Libido.“ (A.a.O., S. 162) Ist mit dem Hexenspiegel die Aufsplitterung der Libido gemeint?]
Im Phantasma ist einem das Objekt des Begehrens gegenwärtig.
Vielleicht ist das Objekt des Begehrens nur auf den Wegen unserer [psychoanalytischen] Erfahrung zugänglich, vielleicht aber auch auf den Wegen einer Erfahrung, auf die er, Lacan, früher in dieser Sitzung angespielt hatte [nämlich auf den Wegen der islamischen Mystik und gewisser hinduistischer Praktiken]. Das ist interessant, weil es ein logischer Bezug ist.
Quadrantenschema: Konstituierung von Klassen durch Privation
Das Objekt, das von den Euler’schen Kreisen eingezirkelt wird, ist das, was man als „Klasse“ bezeichnet.
Die Klasse [im Sinne der Logik] steht in einer strukturellen Beziehung zur Funktion der Privation; Lacan bezieht sich hier wieder auf die Trias von Privation, Frustration und Kastration [die er in Seminar 4 eingeführt hatte, Die Objektbeziehung, 1956/57]. Allerdings wird hierdurch die wahre Funktion der Privation verschleiert. [¿ Dadurch, wie er in Seminar 4 diese Begriffstriade eingeführt hatte?] Davon [von der Dreiheit Privation, Frustration, Kastration] ist er [im aktuellen Seminar über die Identifizierung] ausgegangen, um das Schema der universalen und der partikulären Aussagen anzufertigen.
Eines seiner Beispiele [für die universale Aussage] war: „Jeder Professor ist gebildet“ (Sitzung vom 17. Juni 1962). Daran war entscheidend, dass dies nicht heißt, dass es auch nur einen einzigen Professor gibt. [Lacan hatte das durch die Beziehung zwischen den beiden oberen Quadranten im Peirce’schen Quadrantenschema illustriert; die Aussage „Jeder Professor ist gebildet“ entspricht darin den beiden oberen Segmenten, 1 und 4, und die Aussage „Es gibt keinen Professor“ dem Segment oben rechts, 4.] Und aus diesem Grunde entspricht die Sache [die Behauptung, dass alle Professoren gebildet sind, Quadranten 1 und 4] immer der Wahrheit [auch dann, wenn der Quadrant leer ist, wenn es keinen Professor gibt].
Damit wird der Bereich der Privation [kein Professor] als etwas angezeigt, das für die Funktion der Klasse [alle Professoren] konstitutiv ist. [Für die Aussage „Alle Striche sind senkrecht“ ist konstitutiv, dass sie auch für dasjenige Feld wahr ist, in dem es keinen Strich gibt. Für die Aussage „Alle Professoren sind gebildet“ ist entsprechend konstitutiv, dass es einen Bereich gibt, in dem es keine Professoren gibt. Der Bereich der Privation ist für Lacan demnach im Quadrantenschema das leere Feld oben rechts.]
Dabei geht es um die Privation als einziger Zug. [Im Quadrantenschema von Peirce wird der Zusammenhang zwischen der universalen bejahenden Aussage und der universalen verneinenden Aussage durch senkrechte Striche dargestellt, durch senkrechte „einzelne Züge“. Der Privation des einzigen Zugs entspricht das leere Feld oben rechts.]
[Die Privation besteht in dieser Deutung nicht im Fehlen eines Merkmals (das wäre „nicht senkrecht“), sondern im Fehlen des Objekts (des Strichs), welches das Merkmal haben oder nicht haben kann. Darin liegt möglicherweise der Fehler der Auffassung der Privation in Seminar 4. Dort bezog sich „Privation“ auf die Vorstellung, dass der Mutter der Penis fehlt, dass ihr also ein Merkmal fehlt. Der psychoanalytische Bezug ist jetzt nicht die Mutter, insofern ihr etwas fehlt oder besser: zu fehlen scheint, sondern die Identifizierung (mit dem einzelnen Zug), insofern sie auf dem Fehlen des Objekts beruht, auf der Privation des Objekts (leeres Feld oben rechts).]
Die Dialektik der dialektischen Vernunft besteht darin, dass die wilden Stadien nur ausgehend von den entwickelten Stadien erfasst werden können. Dies im Widerspruch zu Lévi-Strauss, der die dialektische Vernunft für einen Sonderfall der analytischen Vernunft hält [im letzten Kapitel von Das wilde Denken]. Man könnte meinen, Lacan wolle sagen (sagt Lacan über sich), die analytische Vernunft sei eine Art wilde Vernunft, die dialektische Vernunft – die Logik des Objekts des Begehrens – sei ein entwickelteres Stadium der Vernunft. Das soll aber nicht gesagt werden. Am Rande bekräftigt Lacan hier sein Projekt, eine dialektische Logik als Logik des Objekts des Begehrens zu entwickeln.
Die Klassenlogik beruht darauf, dass man sich einer Logik des Objekts des Begehrens verweigert hat. [Die angezielte Logik ist also nicht nur eine Logik des einzigen Zugs, sondern zugleich eine Logik des Objekts des Begehrens.]
Anders gesagt: Die Fruchtbarkeit des Themas der Privation kann im Lichte der Kastration begriffen werden. [Das Objekt des Begehrens ist ein fehlendes Objekt, also ein Objekt, das einer Privation unterliegt, mit Kant: einem nihil privativum. Die Privation muss von der Kastration her begriffen werden.]
Zählbarkeit des Objekts der Kastration
Eine der entscheidendsten und grausamsten Einwirkungen des Signifikanten auf das menschliche Leben ist die Eifersucht. Sie beruht insofern auf dem Signifikanten, als für sie erforderlich ist, dass das Subjekt zählen kann. Die Löwinnen der Löwenherde in einem Zoo sind nicht aufeinander eifersüchtig, und zwar deshalb nicht, weil sie nicht zählen können. Das Objekt, wie es auf der Ebene des Begehrens konstituiert ist, ist das Objekt nicht der Privation, sondern der Kastration [das Begehren wird demnach durch die Kastration gestiftet]. Dieses Objekt kann numerisch sein. Damit soll nicht behauptet werden, dass es zählbar ist, sondern, dass es die Zahl wie eine Qualität mit sich führt. Im Schema [in der Zeichnung des Wolfsmanns] sind es fünf [Wölfe], im Text sieben, aber sicherlich sind es nicht ein Dutzend. [Im Text sind es „sechs oder sieben Stück“, und die Bedeutung von „fünf“, „sechs“ und „sieben“ wird von Freud in dieser Analyse herausgearbeitet.199]
Zwei Arten der Klassifizierung (27. Juni 1962)
Übersetzung
Die letzte Sitzung des Identifizierungs-Seminars beginnt so:
„Heute, im Rahmen des theoretischen Unterrichts, den wir zusammen in diesem Jahr durchlaufen haben werden, weise ich Sie darauf hin, dass ich meine Zielrichtung wählen muss, wenn ich so sagen darf, und ich werde den Akzent auf die Formel setzen, die für die dritte Art der Identifizierung die Stütze bildet200 und auf die ich Sie seit langem, seit der Zeit des Graphen201, hingewiesen habe, in der Form, die Sie inzwischen so lesen können: ausgestrichenes S, Schnitt von klein a [$ ◊ a].
Und <ich will den Akzent> nicht auf das <setzen>, was als Kern hierin enthalten ist, also nicht auf das phi [φ], nicht auf den Punkt, durch den sich die Umkehrung des einen <Terms> in den anderen herstellen kann, durch den die beiden Terme sich, wie Vorder- und Rückseite, als identisch darstellen, aber nicht wie eine beliebige Vorderseite und eine beliebige Rückseite. Sonst wäre es nicht nötig gewesen, dass ich Ihnen das, was dieser Punkt ist, an seinem Ort zeige, wenn er den doppelten Schnitt repräsentiert, auf dieser spezielle Fläche, deren Topologie ich Ihnen mit der Kreuzhaube zu zeigen versucht habe.
Der hier bezeichnete Punkt ist der Punkt φ, durch den der mit diesem Schnitt gezeichnete Kreis für uns das geistige Schema einer ursprünglichen Identifizierung sein kann.
Dieser Punkt – ich glaube, in meinen letzten Vorträgen seine strukturelle Funktion hinreichend betont zu haben –, dieser Punkt kann für Sie, bis zu einem bestimmten Punkt, allzu viele befriedigende Eigenschaften aufweisen: dieser Phallus ist hier mit dieser magischen Funktion ausgestattet, mit derjenigen, die ihm seit langem unser gesamter Diskurs zuschreibt. Es wäre ein bisschen zu einfach, hier unseren Zielpunkt zu finden.
Und darum möchte ich heute den Akzent auf diesen <anderen> Punkt setzen, das heißt auf die Funktion von a, von klein a, insofern es einerseits im strengen Sinne das ist, was es uns gestatten kann, die Funktion des Objekts in der analytischen Theorie zu erfassen, nämlich des Objekts, das in der psychischen Dynamik das ist, was für uns den gesamten progressiv-regressiven Prozess strukturiert, das, womit wir es bei den Beziehungen des Subjekts zu seiner psychischen Realität zu tun haben, was aber auch unser Objekt ist, das Objekt der [psycho]analytischen Wissenschaft.
Und das, was ich in dem, was ich Ihnen heute darüber sagen will, vorbringen möchte, ist Folgendes: Wenn wir dieses Objekt in einer streng logischen – und ich akzentuiere: logisierenden – Perspektive charakterisieren wollen, dann haben wir nichts Besseres darüber zu sagen als dies, dass es das Objekt der Kastration ist. Damit meine ich – ich spezifiziere –, im Verhältnis zu den anderen Funktionen, die bisher als die des Objekts definiert worden sind. Denn wenn man sagen kann, dass das Objekt in der Welt, insofern es hier unterschieden ist, das Objekt einer Privation ist, dann kann man gleichermaßen sagen, dass das Objekt das Objekt der Frustration ist. Und ich werde versuchen, Ihnen genau zu zeigen, worin sich dieses Objekt, nämlich das unsere, davon unterscheidet.202
Es ist ganz klar, wenn dieses Objekt ein Objekt der Logik ist, dann kann es bisher, in all den Versuchen, die gemacht worden sind, um das zu artikulieren, was Logik genannt wird, nicht völlig abwesend oder unnachweisbar gewesen sein.
Die Logik hat nicht immer schon in der gleichen Form existiert, in derjenigen, die uns vollkommen befriedigt hat, die uns ausgefüllt hat bis hin zu Kant, der daran noch sein Vergnügen fand – diese formale Logik, die eines Tages unter der Feder von Aristoteles entstanden ist und die diese Attraktion, diese Faszination ausgeübt hat, bis zu dem Zeitpunkt, in dem man sich im letzten Jahrhundert daran machte, sie im einzelnen wieder aufzunehmen. Man hat [dann] beispielsweise gesehen, dass hier auf der Seite der Quantifizierung viele Dinge fehlten. Was man hier hinzugefügt hat, ist sicherlich nicht das, was interessant ist, aber es ist das, was uns festgehalten hat, und viele Dinge, die man glaubte, hinzufügen zu müssen, gehen nur in eine einzigartig sterile Richtung.
Durch die Reflexion, welche die Analyse uns aufnötigt, bezogen auf die seit langem schon beharrenden Kräfte der aristotelischen Logik, kann sich uns tatsächlich zeigen, was an der Logik von Interesse ist.
Der Blick von jemandem, der all die faszinierenden Einzelheiten der aristotelischen formalen Logik außer Betracht lässt, muss – ich wiederhole es – von dem absehen, was diese Logik in die geistige Welt an Entscheidendem eingebracht hat, davon, welchen Einschnitt sie darstellt, um wirklich zu verstehen, was ihr vorausgegangen ist, etwa die Möglichkeit der gesamten Platon’schen Dialektik, die immer so gelesen wird, als wäre die formale Logik bereits dagewesen, wodurch diese Dialektik in unserer Lektüre völlig verfälscht wird. Aber lassen wir das beiseite.
Das aristotelische Objekt – denn so muss es tatsächlich genannt werden – hat, wenn ich so sagen kann, genau die Eigenschaft, solche Eigenschaften haben zu können, die ihm eigen sind: Attribute. Und sie sind es, wodurch Klassen definiert werden.
Nun, das ist eine Konstruktion, die er nur dem verdankt, dass er das vermengt, was ich, mangels Besserem, die Kategorien des Seins und des Habens nennen möchte. Das würde lange Erläuterungen verdienen, und um Sie diesen Schritt tun zu lassen, bin ich genötigt, mich auf ein Beispiel zu beziehen, das mir als Stütze dienen soll.
Die entscheidende Funktion des Attributs habe ich Ihnen bereits im Quadranten gezeigt:
Sie besteht in der Einführung des einzigen Zugs, durch den der phasische Teil – wo beispielsweise gesagt wird, dass jeder Strich senkrecht ist, was nicht von sich aus die Existenz irgendeines Strichs impliziert – vom lexischen Teil unterschieden ist, in dem es senkrechte Striche geben kann, in dem es aber auch keine geben kann.203 Zu sagen, dass jeder Strich senkrecht ist, muss die ursprüngliche Struktur sein, die Funktion der Allgemeinheit, der Verallgemeinerung, die einer Logik eigen ist, die auf dem Strich/Zug der Privation gegründet ist.
Pas ist das ‚alle‘204. Das ruft ruft irgendein Echo des Gottes Pan in Erinnerung, und das ist hier eine der geistigen Koaleszenzen, bei denen ich Sie bitte, sich zu bemühen, sie aus ihren Papieren zu streichen. Der Name des Gottes Pan hat absolut nichts mit dem ‚alle‘ zu tun, und die panischen Wirkungen, mit denen er bei schlichten ländlichen Gemütern abends sein Spiel treibt, haben nichts mit irgendwelchen mystischen Ergüssen zu tun. Der alkoholische Raptus, der von den alten Autoren ‚pantophobisch‘ genannt wird, trägt [angeblich] insofern eine gute Bezeichnung, als den, der panikos ist205, ebenso etwas umtreibt und verstört und er aus dem Fenster springt. Darauf ist nichts zu geben, es ist ein Irrtum allzu hellenistischer Geister, hier diese Retusche anzubringen, die uns einer meiner alten Lehrer lieferte, den ich jedoch innig geliebt habe, nämlich dass man vom ‚pantophobischen‘ Raptus sprechen müsse. Absolut nicht.
Pas [bzw. pan], das ist tatsächlich ‚alle‘, und wenn sich das auf etwas bezieht, dann auf pasasthai, auf den Besitz.206 Und vielleicht muss ich nochmal darauf zurückkommen, wenn ich das pas an das pos von possidere und von possum annähere207, aber ich zögere keineswegs, das zu tun.
Besitz oder Nicht-Besitz des einzigen Zugs, des charakteristischen Merkmals, darum geht es bei der Einsetzung einer neuen expliziten klassifikatorischen Logik der Quellen des aristotelischen Objekts.
Den Ausdruck ‚klassifikatorisch‘ verwende ich mit Absicht, denn es ist Claude Lévi-Strauss zu verdanken, dass Sie von nun an das Korpus, die dogmatische Artikulation der klassifikatorischen Funktion haben, bezogen auf das, was er selbst – dafür überlasse ich ihm die humoristische Verantwortung – den „wilden Zustand“ nennt: näher an der platonischen als an der aristotelischen Dialektik, die schrittweise Aufteilung der Welt in eine Reihe von Hälften, in Paare von gegensätzlichen Termini, durch die in ihr Typen eingegrenzt werden. Lesen Sie zu diesem Thema Das wilde Denken208, Sie werden sehen, dass das Wesentliche in Folgendem besteht: Was kein Igel ist – was immer sie wollen, Spitzmaus oder Murmeltier –, ist eine andere Sache (autre chose).209 Für die Struktur des aristotelischen Objekts hingegen ist charakteristisch, dass das, was kein Igel ist, Nicht-Igel ist. Darum sage ich, dass dies die Logik des Objekts der Privation ist.210
Das kann uns sehr viel weiter bringen, bis hin zu dieser Art von Ausweichen, durch das sich in dieser Logik auf zugespitzte Weise immer das Problem der Funktion des ausgeschlossenen Dritten stellt, worüber Sie wissen, dass diese Funktion bis ins Innere der am meisten ausgearbeiteten Logik hinein, der mathematischen Logik, Schwierigkeiten macht.211
Aber wir haben es mit einem Anfang zu tun, mit einem Kern, der einfacher ist und den ich für Sie, wie gesagt, durch ein Beispiel verbildlichen möchte. Und ich werde es nicht in der Ferne suchen, sondern in einem Sprichwort, das in der französischen Sprache eine Besonderheit aufweist, die jedoch nicht in die Augen springt, zumindest nicht in die der Frankophonen. Das Sprichwort lautet so: Tout ce qui brille n’est pas or.212 Glauben Sie nicht, dass man sich beispielsweise in der deutschen Kolloquialität213 damit zufriedengeben kann, dies ganz roh folgendermaßen zu transkribieren: ‚Alles, was glänzt, ist kein Gold.‘214 Das wäre keine gute Übersetzung. Ich sehe, dass Fräulein Uberfreit [?], während sie mir zuhört, nickt. Bei Folgendem stimmt sie mir zu: ‚Nicht alles, was glänzt, ist Gold‘215, das kann offenbar, was den Sinn angeht, befriedigender sein, indem die Betonung auf das ‚alles‘216 gelegt wird, mit Hilfe des Voranstellens des ‚nicht‘217, die keineswegs üblich ist, die dem Genie der Sprache Zwang antut und die, wenn Sie darüber nachdenken, den Sinn verfehlt, denn es geht nicht um diese Unterscheidung.
Ich könnte die Eulerkreise verwenden, diejenigen, derer wir uns kürzlich bedient haben, bei der Beziehung des Subjekts zu irgendeinem Fall: ‚Alle Menschen sind Lügner‘.218
Ist es einfach das, was das bedeutet? Liegt – um es hier noch einmal zu machen – ein Teil dessen, was glänzt, im Kreis des Goldes und ein anderer Teil nicht darin? Liegt da der Sinn?
Glauben Sie nicht, dass ich der erste unter den Logikern bin, der bei dieser Struktur innehält, tatsächlich hat sich mehr als ein Autor, der sich mit der Negation befasst hat, bei diesem Problem aufgehalten, nicht so sehr vom Standpunkt der formalen Logik aus, die, wie Sie sehen werden, sich hierbei nur aufhält, um es zu verkennen, sondern vom Standpunkt der grammatischen Form aus, indem man darauf beharrt, dass das ‚alle‘ hier so eingeordnet ist, dass die ‚Goldhaftigkeit‘ gerade in Frage gestellt wird, wenn ich mich so ausdrücken darf; die Goldqualität dessen, was glänzt, geht in die Richtung, dass ihm die Echtheit des Goldes bestritten wird, also in Richtung einer radikalen Infragestellung.
Das Gold steht hier symbolisch für das, wodurch das Glänzen hervorgerufen wird, und für das – wenn ich das so sagen darf, um mich verständlich zu machen, ich akzentuiere –, für das, was dem Objekt die faszinierende Farbe des Begehrens verleiht. Was in einer solchen Formel wichtig ist – wenn ich mich so ausdrücken kann, entschuldigen Sie bitte das Wortspiel –, das ist le point d’orage, der Punkt der Vergoldung / des Gewitters, um den sich die Frage dreht, wodurch das Glänzen denn hervorgerufen wird, und, um es klar zu sagen, die Frage danach, was es in diesem Glänzen an Wahrem gibt. Und von da aus wird natürlich kein Gold hinreichend echt / wahr (véritable) sein, um den Punkt zu sichern, um den herum die Funktion des Begehrens sich aufrechterhält.
Das ist das radikale Charakteristikum dieser Art von Objekten, die ich a nenne, das ist das in Frage gestellte Objekt, insofern man sagen kann, dass es das ist, was uns interessiert, uns Analytiker, wie auch den Zuhörer eines jeden Unterrichts.“219
Lacan fährt damit fort, dass er die Bemerkung eines seiner Zuhörer kommentiert, der gesagt hatte: „Warum sagt er nicht das Wahre über das Wahre?“
Paraphrase mit Ergänzungen
Logische Rekonstruktion des Objekts a als Objekt der Kastration
Lacan bezieht sich auf die Formel $ ◊ a [also auf die Formel für das Phantasma], die er zusammen mit dem Graphen des Begehrens [in den Seminaren 5 und 6] eingeführt hatte, dabei liest er die Raute als „Schnitt“.
Diese Formel bildet die Stütze für die dritte Art der Identifizierung [im Kapitel über Identifizierung von Freuds Massenpsychologie und Ich-Analyse, die Grundlage für die Identifizierung mit dem Begehren des Anderen durch Imitiation von dessen Symptom]. Diese Art der Identifizierung stützt sich also auf ein Phantasma [das mit anderen geteilt wird].
In dieser Formel ist implizit das phi [φ] enthalten, also der Phallus. [Sowohl das ausgestrichene Subjekt als auch das Objekt a fungieren im Phantasma als Phallus-Ersatz.] Dies hat zur Folge, dass die beiden Terme der Formel [also $ und a, Subjekt und Objekt] sich wie Vorder- und Rückseite als identisch zueinander verhalten [als zwei Formen des Phallus-Ersatzes].
Diese Identität von Vorder- und Rückseite wird durch den doppelten Schnitt auf der Kreuzhaube dargestellt [durch die „Innenacht“ auf der Kreuzhaube, die dem Rand eines Möbiusbandes entspricht].
Auf diesem doppelten Schnitt gibt es einen Punkt φ, den Punkt des Phallus [die auf einen Punkt reduzierte innere Schlinge der Innenacht]. Durch diesen Punkt φ kann der doppelte Schnitt das Schema einer ursprünglichen Identifizierung sein.
Heute möchte Lacan jedoch den Akzent auf etwas anderes setzen, auf die Funktion von a.
a ist einerseits das Objekt, um das es dem Subjekt in der Dynamik von Progression und Regression geht. [Regression: Die Regression, um die es in der Psychoanalyse geht, ist Lacan zufolge, die Wiederbelebung von Ansprüchen (d.h. Forderungen), die mit oralen oder analen Triebregungen verbunden sind.] [¿ Was meint hier „Progression“?]
Das Objekt a strukturiert die Beziehungen des Subjekts zu seiner psychischen Realität [„psychische Realität“ meint hier offenbar das unbewusste Phantasma]. Das Objekt a ist aber auch das Objekt der [psycho-]analytischen Wissenschaft.
Das Objekt a soll in einer logischen und logisierenden Perspektive charakterisiert werden. Lacan betont den Ausdruck „logisierend“ [das könnte heißen: in der Perspektive einer Logik, die erst noch zu entwickeln ist].
In dieser logisierenden Perspektive ist das Objekt a das Objekt der Kastration. Dabei ist zu beachten ist, das dies nicht die einzige Funktion des Objekts a ist. Das Objekt hat mehrere Funktionen, es ist Objekt der Frustration, Objekt der Privation und Objekt der Kastration.
Zwei Arten der Klassifizierung
Wenn das Objekt a als Objekt der Kastration ein Objekt der Logik ist, muss es in dem, was Logik genannt wird, auf irgendeine Weise bereits anwesend gewesen sein. [Die Frage lautet also: Wie war das Objekt a als Objekt der Kastration bereits in der traditionellen Logik präsent?]
Diese Logik – die formale Logik – wurde von Aristoteles begründet. [Die formale Logik, im weiteren Sinne des Ausdrucks, ist diejenige Logik, die den Zusammenhang zwischen der Wahrheit von Aussagen und der Form von Aussagen untersucht, unabhängig von ihrem Inhalt.] Wenn man begreifen will, welchen Einschnitt sie darstellt, darf man die Platon’sche Dialektik, die ihr vorausging, nicht durch die Brille von Aristoteles betrachten.
Das Objekt der aristotelischen Logik ist ein Objekt, das Eigenschaften haben kann, Attribute; durch diese Attribute werden Klassen definiert. [Beispielsweise wird in „Alle Menschen sind sterblich“ die Klasse „Mensch“ (der Begriff „Mensch“) dadurch definiert, dass ihre Elemente die Eigenschaft haben, sterblich zu sein.]
Wie also funktioniert bei Aristoteles die Beziehung zwischen einer Klasse und einem Attribut? Das beruht auf der Vermengung der Kategorien des Seins und des Habens. Lacan betont, dass dies keine guten Termini sind, und begründet seine Wortwahl damit, dass ihm Besseres nicht zur Verfügung steht.
Er erläutert seine These am Beispiel des Quadrantenschemas von Peirce. [Das Objekt ist hier „Strich“, die Attribute sind „senkrecht“ und „schräg“.] Es gibt hier einen Teil, für den gilt, dass alle Striche senkrecht sind [nämlich die Quadranten 1 und 4]. [Es geht um die Klasse derjenigen Striche, die die Eigenschaft haben, senkrecht zu sein. Die Beziehung der Klasse zur Eigenschaft „senkrecht“ ist eine Beziehung des Habens – die Klasse hat diese Eigenschaft.] Das impliziert keineswegs, dass es einen Strich gibt. [In Quadrant 4 gibt es keinen Strich, trotzdem ist auch für diesen Quadranten die Behauptung wahr, dass alle Striche senkrecht sind; alle Striche – sofern es Striche gibt – sind senkrecht. Damit kommt das Sein ins Spiel, die Alternative von „es gibt“ und „es gibt nicht“.] Davon ist der Teil zu unterscheiden, in dem es senkrechte Striche geben kann oder nicht geben kann [für die Quadranten 1 und 2 ist wahr „Es gibt senkrechte Striche“ (bzw. „Einige Striche sind senkrecht“), für die Quadranten 3 und 4 ist wahr „Es gibt keine senkrechten Striche“]. Lacan bezeichnet diese beiden Teile mit den Termini von Peirce als phasis und lexis. [Ich denke, dass Peirce diese Termini anders zuordnet, aber das spielt hier keine Rolle.]
Die Aussage „Jeder Strich ist senkrecht“ [also die universale bejahende Aussage mit „Strich“ als Klasse und „senkrecht“ als ihrem Attribut] – die Allgemeinheit, die Verallgemeinerung – muss die ursprüngliche Struktur einer Logik sein, die sich auf den Strich der Privation / auf den Zug der Privation gründet. [Dies ist also Lacans These: Die universale bejahende Aussage – etwa „Alle Striche sind senkrecht“ – gründet sich auf das Merkmal der Privation, d.h. darauf, dass es keinen Strich gibt, dass der Strich fehlt.]
„Alle“ heißt im Griechischen pas [wenn es um das Maskulinum geht, im Neutrum heißt „alle“ pan]. Das hat nichts mit dem Gott „Pan“ zu tun hat und nichts mit „Panik“. Eher lässt sich pas mit dem lateinischen Verb possidere, „besitzen“, in Verbindung bringen, denn beim Objekt der klassifikatorischen Logik – als Quelle des Objekts der aristotelischen Logik – geht es um den Besitz oder Nicht-Besitz eines charakteristischen Merkmals [wie „sterblich“ oder „senkrecht“, also geht es um das Haben].
Mit dem Ausdruck „klassifikatorisch“ spielt Lacan, wie er ausdrücklich sagt, auf Claude Lévi-Strauss an, der in Das wilde Denken den „wilden Zustand“ der Logik ausarbeitet. Dieser Typ des Klassifizierens ist näher bei Platon als bei Aristoteles. Es geht hier um Gegensatzpaare, die schrittweise aufeinander aufbauen; beispielsweise wird der Igel mit anderen Tierarten konfrontiert, etwa mit der Spitzmaus oder dem Murmeltier [und das ähnelt der Dihairesis in Platons Sophistes]. Das, was kein Igel ist, ist hier ein anderes Tier, eine andere Sache (autre chose).
In der aristotelischen Logik funktioniert die Klassifizierung anders. Hier wird das Objekt mit dem konfrontiert, was nicht das Objekt ist, der Igel mit dem Nicht-Igel. [Ein Nicht-Igel kann alles sein, beispielsweise ein Gedanke oder eine mathematische Formel; dieses Sammelsurium reduziert sich letztlich auf das Negationsverhältnis gegenüber dem Igel. „Wilde“ Logik: Igel versus Murmeltier, aristotelische Klassifikation: Igel versus Nicht-Igel.] Deswegen sagt Lacan, die aristotelische Logik sei eine Logik der Privation [der Nicht-Igel ist die Privation des Igels, an die Stelle des Igels kommt „nichts“]. [Mit der These, die aristotelische Logik beruhe auf der Vermengung von Sein und Heben, könnte gemeint sein: Die Beziehung des Klassenelements zur Eigenschaft ist eine des Habens, das Element „hat“ die Eigenschaft. Die Beziehung zur Nicht-Klasse ist eine von Sein und Nicht-Sein (Igel-Sein versus Nicht-Igel-Sein), also eine des Seins.]
Diese Logik der Privation führt zum Problem des ausgeschlossenen Dritten [also zur Frage, ob im Rahmen dieser Logik die Welt ohne Rest in zwei Teile zerfällt, beispielsweise Igel und Nicht-Igel, wobei etwas Drittes (beispielsweise „Igelähnliches“ oder „Unbekanntes“) ausgeschlossen ist].
„Tout ce qui brille n’est pas or“
Lacan illustriert die Logik der Privation durch das französische Sprichwort Tout ce qui brille n’est pas or. Übersetzt man das wörtlich ins Deutsche, erhält man „Alles was glänzt, ist nicht Gold“, sagt Lacan, aber das sei nicht gemeint; man müsse es mit „Nicht alles, was glänzt, ist Gold“ ins Deutsche bringen [die übliche Formulierung ist „Es ist nicht alles Gold, was glänzt“]. [Ein Vorfahr des Quantors „nicht-alle“, den Lacan in den Seminar 18 und 19 entwickeln wird, versteckt sich demnach in dem deutschen Sprichwort „Es ist nicht alles Gold, was glänzt“.]
Das Voranstellen des „nicht“ in der deutschen Formulierung „nicht alles“ sei nicht üblich, sagt Lacan und tue dem Genie der Sprache Zwang an. [Er irrt sich.]
Das Voranstellen des „nicht“ verfehlt den Sinn, es geht nicht um diese Unterscheidung [er begreift hier „nicht alles“ als „einiges“, wie der anschließende Verweis auf die Eulerkreise zeigt, es geht nicht darum, dass „einiges“, was glänzt, nicht Gold ist]. Dabei geht es nicht um das Verhältnis, das man mit Eulerkreisen darstellten könnte, also nicht darum, dass die Menge dessen, was Gold ist, und die Menge dessen, was glänzt, sich nur teilweise überlappen.
Vielmehr besagt der Satz, dass das, was als Gold erscheint, nicht unbedingt echtes Gold ist – der Goldcharakter wird tendenziell in Frage gestellt. Das Gold steht für das, wodurch das Glänzen hervorgerufen wird, gewissermaßen für das [Objekt a], was dem Objekt die faszinierende Farbe des Begehrens verleiht. [Man sollte sich hier an Freuds These über die symbolische Gleichung von „Kot“ und „Gold“ erinnern. Das, was ein Objekt zu einem begehrten Objekt macht (zu einem glänzenden Objekt), ist das Objekt a, das in es eingeschlossen ist, etwa das agalma (das Kleinod), das für Alkibiades in Sokrates enthalten ist; das war Thema des vorangehenden Seminars 8, Die Übertragung. Dieses in ihm enthaltene Objekt a ist beispielsweise der Kot, er bringt das Objekt gewissermaßen zum glänzen.]
Es geht darum, was es in diesem Glänzen an Wahrem gibt [an Echtem]. Kein Gold wird hinreichend wahr [bzw. echt] sein, um den Punkt zu sichern, um den herum das Begehren sich stabilisiert. Darum geht es letztlich beim Objekt a. [¿ Das Objekt a und das Begehren werden hier auf den Begriff der Wahrheit bezogen. Steht hier im Hintergrund Sartres weiter oben referierte These, dass es drei Arten des Nichts gibt, das Nichts des Fragenden, das Nichts der Antwort und das Nichts der Wahrheit?220]
[Tout ce qui brille n’est pas or meint also nicht, wie im Deutschen, „Es ist nicht alles Gold, was glänzt“ oder „Eigenes, was glänzt, ist nicht Gold“, sondern „Ist das, was glänzt, echtes Gold?“ und „Ist das, was glänzt, in Wahrheit Gold?“.]
Das, was dem Gold den faszinierenden Charakter verleiht, ist, dass es möglicherweise fehlt, und das ist die Logik der Privation.
Das geht nicht nur die Analytiker an, sondern auch jeden Zuhörer eines Unterrichts [insofern, als sich auch in Bezug auf den Unterricht die Frage der Wahrheit stellt, ob das, was der Lehrende sagt, möglicherweise nur Talmi ist].
Systematisierende Zusammenstellung
Es folgen Paraphrasen der übersetzten Stellen, zerlegt und nach Themen geordnet. Formulierungen in eckigen Klammern sind meine erläuternden Ergänzungen. Die Anmerkungen verweisen auf die entsprechenden Sitzungen. RN.
Eine Logik des unbewussten Denkens
Für die Psychoanalyse beginnt das Denken mit dem Unbewussten.221
In diesem Jahr betreibt Lacan Logik. Das hält er für unvermeidlich. Die Frage ist, welche Logik, und wie sie sich zur formalen Logik verhält222, es geht aber auch um die Beziehung zu dem, was man seit Kant als transzendentale Logik bezeichnet [zur Logik des apriorischen Denkens in Begriffen].222
Bei der theoretischen Rekonstruktion der Identifizierungsarten muss man von der Struktur ausgehen, und die Struktur ist eine Spezifizierung des Symbolischen.223
Keine Logik des Begriffs oder der Klasse
[Die traditionelle Logik ist Begriffslogik.]
Die zu entwickelnde Logik ist keine Logik des Begriffs. Im Funktionieren der psychoanalytischen Kategorien ist der Terminus des Begriffs abwesend. Es geht um eine Logik des Funktionierens des Signifikanten – der Bezug des Subjekts zum Signifikanten ist primär.222
Die Funktion der Klasse und ihr Verhältnis zum Universalen sind Kehrseite und Gegenteil von Lacans gesamtem Diskurs (sagt Lacan).224
Analytiker müssen gegenüber dem Allgemeinen (général) misstrauisch sein, gegenüber der Gattung (genre) und gegenüber der Klasse. Durch das Misstrauen gegenüber dem Allgemeinen gewinnt das Feld der Psychoanalyse seine Originalität.223
Die moderne Wissenschaft hat sich nicht ausgehend vom Wissen als Begriff entwickelt.221
Ohne eine Logik des Funktionierens des Signifikanten kann es einem nicht gelingen, den Irrtum zu verorten, in den die Psychoanalyse sich verstrickt hat, und der darauf beruht, dass sie es versäumt hat, die transzendentale Logik einer Kritik zu unterziehen.222
Kant setzt den Schlusspunkt hinter das, wovon das philosophische Denken seit Platon beherrscht wurde, hinter die Funktion der Einheit, er setzt den Schlusspunkt hinter das große Ein. Bei Kant ist das große Ein die „Synthesis a priori“, wobei Kant so weit geht, dass für ihn jede einzelne apriorische Kategorie diese synthetische Funktion hat.222
Die drei Identifizierungen [von denen Freud in Massenpsychologie und Ich-Analyse spricht] bilden wahrscheinlich keine Klasse.223
Eine Logik des einzigen Zugs und der Innenacht statt des Kreises
Einziger Zug
Bei der Analyse der Identifizierung geht er, Lacan, von Freuds zweiter Form der Identifizierung in Massenpsychologie und Ich-Analyse aus, von der Identifizierung mit dem „einzelnen Zug“.222
Das Ein, um das es bei der Identifizierung geht, wie sie von Freud analysiert wurde, ist nicht das Ein der Einheit, sondern das Ein des trait unaire [des einzigen Zugs, des einzelnen Zugs, des Einzelstrichs, des Unärstrichs], also nicht der Kreis, der versammelt, nicht der Euler’sche Kreis. [Der Strich (trait) widersetzt sich also dem Kreis.]222
Je mehr man diesen einzelnen Zug reduziert, desto mehr reduziert er sich auf ein Ein. Und je mehr er Ein wird, um so mehr wird er die Differenz als solche. Also gehen wir von der kantischen Einheit zur Einzigkeit* über, zur unicité, die als solche ausgedrückt wird.222
Beim „einzigen Zug“ geht es um das, was Freud den „Narzissmus der kleinen Differenzen“ nennt. Der einzige Zug ist die absolute Differenz.225
Die Identifizierung lässt sich mit 1 symbolisieren. Ihr steht die Nicht-Identifizierung gegenüber, der man das Symbol (–1) zuordnen kann.225
Bezogen auf den Torus entsprechen die kleinen Kreise um den Schlauch den Ansprüchen, den Forderungen. Das Begehren ist die nicht mitgezählte Runde um die zentrale Leere. Der nicht mitgezählte Kreis kann als (–1) symbolisiert werden. Dieses (–1) ist die logische Grundlage der Möglichkeit der universalen Bejahung.226
Die Nicht-Identifizierung ist die Bedingung dafür, dass es das Fehlen des Objekts geben kann, symbolisiert durch (–a). Mit dem fehlenden Objekt kann das Subjekt sich wiederum identifizieren.225
Von hier aus können die Begriffe der Privation, der Frustration und der Kastration neu bestimmt werden; dabei geht es letztlich um das Verhältnis der Signifikanten zum Sexualtrieb.225
Von der Norm zur Ausnahme
Wenn man das Ein nicht mehr als Einheit, sondern als Einzigkeit begreift, geht man über von den Tugenden der Norm zu den Tugenden der Ausnahme, und eben darin besteht die Neuartigkeit der Analyse.222
Bei Kant gibt es Ansatzpunkte dazu. In der Kritik der reinen Vernunft unterscheidet er das einzelne Urteil vom allgemeinen Urteil sowie vom besonderen Urteil. Er zeigt, dass das einzelne Urteil seine Unabhängigkeit hat, und das ist ein Ansatzpunkt für die Umkehrung, von der Lacan spricht.222
Lacans Beispiel für die Fundierung der universalen Aussage durch eine Ausnahme ist der Satz: „Es gibt keinen Menschen, der nicht sterblich wäre.“ [Die Aussage über die Klasse der Sterblichen stützt sich auf die Ausschließung der Nicht-Sterblichen.]226
Von der Mengenparadoxie zur Innenacht
[Innenacht = topologische Darstellung des „einzigen Zugs“]
Mengen unterscheiden sich von Klassen dadurch, dass Mengen durch Formeln definiert sind, die mit Buchstaben notiert werden; der entscheidende Unterschied der symbolischen Logik gegenüber der traditionellen Logik ist die Reduktion auf Buchstaben.227
Die Reduktion auf Buchstaben hatte für die Entwicklung der Mathematik beträchtliche Folgen. Man muss sich also fragen: Worin besteht die Kraft des Buchstabens?227
Und genau an diesem Punkt sind diejenigen, die die Mathematik durch die symbolische Logik fundieren wollten, auf die die sogenannte Russell’sche Antinomie gestoßen. Sie bezieht sich auf ein Problem, das entsteht, wenn man von der Menge aller Mengen spricht, die sich nicht selbst enthalten: Sie enthält sich selbst und sie enthält nicht sich selbst. Die Logiker, die sich damit befasst haben, haben nicht gesehen, dass diese Paradoxie dadurch ermöglicht wird, dass Buchstaben dazu verwendet werden, um auf ihrer systematischen Verwendung das gesamte Gebäude der Logik zu errichten.227
[Aussagen werden in der klassischen Logik als Beziehungen zwischen Begriffen aufgefasst (Verbindung des Subjektbegriffs mit dem Prädikatsbegriff), und die Begriffsbeziehung wird häufig durch Euler-Kreise dargestellt.]
Intuitiv wird unterstellt, dass Euler-Kreise auf eine zweidimensionale plane Fläche eingezeichnet sind. Dort funktioniert ein Kreis so, dass er ein Inneres von einem Äußeren abgrenzt. Eine Alternative besteht darin, einen „Kreis“ (eine geschlossene Linie) auf einen Torus einzutragen; hierdurch erhält man [wenn die Linie auf bestimmte Weise gezogen wird] die Figur, die Lacan als „Innenacht“ bezeichnet. In der zweidimensionalen Darstellung der Innenacht wird kenntlich gemacht, dass die eine Linie die andere nicht schneidet, sondern unter ihr hindurch läuft.228
Die Russell’sche Paradoxie bezieht sich auf zwei Mengen: auf die Menge aller Mengen, die sich nicht selbst enthalten, und auf die Menge aller Mengen, die sich selbst enthalten. Die Darstellung der Beziehung dieser beiden Mengen durch Eulerkreise führt in Schwierigkeiten, die eine Menge erscheint als eine, die in die andere eingeschlossen ist.228
Lacan schlägt vor, das Verhältnis zwischen den beiden Mengen durch eine Innenacht auf einem Torus darzustellen: [Die Antinomie beruht auf der Opposition von zwei Relationen: „enthalten sein in etwas“ und „nicht enthalten sein in etwas“. In Lacans Vorschlag sind diese Relationen außer Kraft gesetzt und damit auch ihre Opposition.]228
[Warum gerade die Innenacht?] Die Russell’sche Paradoxie beruht auf einem Selbstverhältnis des Signifikanten. Ein Signifikant kann sich nur selbst bezeichnen, wenn er sich als von sich verschieden setzt. [Offenbar soll die Selbstbezeichnung des Signifikanten, der sich von sich unterscheidet, durch die Innenacht dargestellt werden.]228
Bei einem exzellenten Logiker, dessen Name von Lacan ausdrücklich nicht genannt wird [bei Charles Sanders Peirce] hat Lacan, wie er sagt, zu seinem Erstaunen die Innenacht gefunden, wobei dieser Logiker sie jedoch auf andere Weise verwendet.229
Eine Logik des Objekts des Begehrens statt der Inklusion
Objekt des Begehrens
Die Logik orientiert sich an der Relation des Enthaltenseins, der Inklusion, sowie am Verhältnis von Umfang und Inhalt [eines Begriffs]. Lacan hält das für eine Verirrung, er möchte an das erinnern, was am Anfang der Logik vergessen wurde, nämlich dass das Objekt, um das es geht, das Objekt des Begehrens ist. Dieses Objekt soll mit den Mitteln der Logik erfasst werden, das heißt mit den Mitteln der Sprache.229
Warum nimmt in der Logik die Inklusion diese herausragende Stellung ein? Das ist eine Wiederkehr [des Verdrängten], nämlich dass die Beziehung zum Objekt des Begehrens sich auf das Bedürfnis gründet, es zu besitzen. Der Ausdruck „Begriff“ erinnert an das Ergreifen. Wir wollen ein Objekt unseres Begehrens ergreifen und es damit besitzen; wir wollen es aber nicht für die Bedürfnisbefriedigung ergreifen. Und jeder weiß, dass dieses Objekt sich uns entzieht.229
Die Brust als Merkmal der Klasse der Säugetiere und als Objekt des Begehrens
Das metonymische Objekt des Begehrens wird von Lacan als klein a geschrieben. In der metonymischen Serie der Ansprüche löst sich das Subjekt auf, synkopiert es sich. Wenn dieses Objekt metaphorisch ans Licht kommt, d.h. wenn es sich an die Stelle des Subjekts setzt, konzentriert es alle Ansprüche des Subjekts in sich. Das lässt sich so schreiben: a (I + I + I …); die senkrechten Striche stehen hier für die einzelnen Ansprüche, und das Objekt a nimmt sie gewissermaßen in seine Klammer. Melanie Klein nennt das Objekt in dieser Funktion „gutes Objekt“, Freud spricht von der „Mutterbrust“, Lacan sagt mamme [offenbar eine Verdichtung von lateinisch mamma (weibliche Brust) und französisch maman (Mama), also „Mutterbrust“].227
Die weibliche Brust dient auch zur Definition der Klasse der Säugetiere, der Mammalia, sie ist hier das die Klasse definierende gemeinsame Merkmal. Die Verwendung der Brust in der Psychoanalyse unterscheidet sich davon, sie erinnert eher an die Mengenparadoxie. Zu unterscheiden ist in der Psychoanalyse die latente Brust: die Brust als Objekt der oralen Fixierung, und die aktuelle Brust: die Wiederkehr der verdrängten Brust, etwa in einem Symptom oder in einer Perversion. Diese aktuelle Brust ist nicht die Brustdrüse, sondern eine Phallusmetapher, sie fungiert nämlich in der Beziehung von Abwesenheit und Anwesenheit.227
Lacan stellt den Zusammenhang durch diese Formel dar:Der Wechsel von Anwesenheit und Abwesenheit des Objekts a steht wiederum in Beziehung zu der Form der Identifizierung, die durch das Verhältnis des ausgestrichenen Subjekts, $, zu I(A), zum Ichideal bestimmt ist. Denn das Subjekt, das diese Art der Identifizierung vollzieht, ist das Subjekt der Frustration [es identifiziert sich mit dem allmächtigen Anderen, der den Anspruch erfüllen oder verweigern kann], und die Frustration bezieht sich auf die Anwesenheit und Abwesenheit des Objekts, auf das Auftauchen und Verschwinden der Brust.227
Das Produkt dieses Wechsels von (+a) und (– a) ist (–a2). Damit ist gemeint: Es geht jetzt nicht mehr nur um die Abwesenheit des Objekts oder um seine Anwesenheit, sondern um die Verbindung von beiden, d.h. um den „Schnitt“, d.h. um die Verbindung von Konjunktion und Disjunktion. Wenn man aus –a2 die Wurzel zieht, kommt man zur imaginären Zahl, zu i. [Die imaginäre Zahl i ist eines von Lacans Symbolen für das Subjekt.]227
An diesem Punkt gelangt das Subjekt dazu, sich mit dem Objekt des Begehrens zu identifizieren [nämlich an dem Punkt, an dem es nicht mehr entweder anwesend oder abwesend ist, sondern an dem es als Einheit von Anwesenheit und Abwesenheit fungiert, als Schnitt, als Phallusmetapher].227
Die Klasse der Säugetiere beruht darauf, dass aus den Wirbeltieren zunächst etwas ausgeschlossen wird, durch die mamme [die Mutterbrust] als einzigen Zug. Die ursprüngliche Tatsache besteht darin, dass dieses Merkmal, dieser einzige Zug, fehlen kann (–1). Im zweiten Schritt wird eine Klasse definiert, bei der es universal keine Abwesenheit des Merkmals „Brust“ geben kann, minus minus Eins, –(–1). [Das Merkmal, etwa „Mutterbrust“, ist demnach das Ergebnis einer doppelten Negation.]224
Das Verhältnis von Einheit und Ganzheit wird üblicherweise so gedacht, dass die Ganzheit aus Einheiten besteht und sie auf ein Ganzes bezieht. Hiernach beruht die Klasse auf Einschließung. Lacan plädiert dafür, die Einschließung durch die Ausschließung zu ersetzen. Das sieht man dann, sagt er, wenn man begreift, dass die Grundlage der Klasse nicht ihr Umfang ist und nicht ihr Inhalt, sondern die Klassifizierung [d.h. eine Klasse ist nicht in sich zu betrachten, sondern als Ergebnis einer Ausdifferenzierung]. Diese These ist nicht Lacans Entdeckung (sagt Lacan), sie liegt in Reichweite „eines Logikers der Mittelklasse“. [¿ Wer ist damit gemeint?]224
Man kann verschiedene Arten der Klassifizierung unterscheiden. Die von Lévi-Strauss untersuchte „wilde“ Logik klassifiziert so, dass das, was kein Igel ist, ein anderes Tier ist, also eine Sache. In der aristotelischen Logik funktioniert die Klassifizierung anders – das, was kein Igel ist, ist hier ein Nicht-Igel [und dazu kann alles gehören, das einzige gemeinsame Merkmal ist das Nicht-Igel-Sein]. Das zeigt: Die aristotelische Logik ist eine Logik der Privation [dem Igel wird das Fehlen des Igels gegenübergestellt].230
Ausgesagtes und Äußerungsvorgang
Das „Ich denke“ ist nicht haltbarer als das „Ich lüge“, das ja zu logischen Schwierigkeiten führt: Wenn der Satz „ich lüge“ wahr ist, lüge ich nicht, aber dennoch gilt, dass ich lüge.221
Die Paradoxie von „ich lüge“ beruht auf der Vermengung des Ausgesagten mit dem Äußerungsvorgang. Diese beiden Ebenen werden von Lacan [im Graphen des Begehrens] unterschieden [das sind hier die beiden von links nach rechts verlaufenden Linien].221
Auf den Satz „Ich weiß, dass ich lüge“ muss ein Psychoanalytiker antworten: „Aber nein, du weißt nicht, dass du die Wahrheit sagst“ [dass die Wahrheit des unbewussten Begehrens in Symptomen artikuliert wird]. Und er muss sagen, dass das Sagen der Wahrheit dazu dient, sich vor der Wahrheit zu schützen [Freuds Begriff der Rationalisierung].221
Die universale bejahende Aussage
Das System der Aussage-Arten
Ein Ausgangspunkt von Lacan ist das formale System der Aussagen, wie es ausgehend von Aristoteles formuliert worden ist: universale versus partikuläre Aussagen, bejahende versus verneinende Aussagen, was vier Aussagearten ergibt, die in der scholastischen Logik mit den Buchstaben A, E, I und O bezeichnet werden:
– universale Bejahungen (A), z.B. „Alle Menschen sind Lügner“,
– universale Verneinungen (E), z.B. „Alle Menschen sind keine Lügner“, „Kein Mensch ist ein Lügner“,
– partikuläre Bejahungen (I), z.B. „Einige Menschen sind Lügner“, „Manche Menschen sind Lügner“, „Es gibt Menschen, die Lügner sind“,
– partikuläre Verneinungen (O), z.B. „Einige Menschen sind keine Lügner“, „Manche Menschen sind keine Lügner“.231
Zwischen diesen Aussagen gibt es verschiedene Arten von Gegensätzen, kontradiktorische, konträre und subkonträre; die scholastischen Logiker haben das durch das logische Quadrat dargestellt.231
Dieses Schema ist mit zahlreichen Schwierigkeiten verbunden.231
Paradoxie des Epimenides
Eine entwickeltere Form der Paradoxie „Ich lüge“ ist die Aporie des Epimenides: Der Kreter Epimenides sagt, dass alle Kreter Lügner sind; wenn er die Wahrheit spricht, lügt er. Hieran lässt sich die wahre Position jeder formalen Logik aufzeigen.221
Der Satz des Epimenides hat die Form einer universalen bejahenden Aussage. Die Paradoxie verschwindet, wenn man sagt, Epimenides habe gemeint „Es gibt keinen Kreter, der nicht in der Lage wäre, zu lügen“ [wenn man ein Dispositionsprädikat verwendet].221
Als Psychoanalytiker muss man sich fragen, welche „krummen Absichten“ hinter einer universalen bejahenden Aussage stecken [welches Begehren].221
„Alle Menschen sind sterblich“
Eine universale bejahende Aussage ist der Satz „Alle Menschen sind sterblich“, er gehört zu dem zuerst von Aristoteles formulierten Syllogismus „Alle Menschen sind sterblich“ – „Sokrates ist ein Mensch“ – „Also ist Sokrates sterblich“. Warum ist es Aristoteles so wichtig, dass Sokrates sterblich ist? Deshalb, weil Sokrates auf der symbolischen Ebene unsterblich ist, unter anderem wegen der Übertragungsbeziehung, die Platon gegenüber Sokrates hatte. Man kann den Syllogismus so deuten, dass Aristoteles versuchte, die Übertragung gegenüber Sokrates auszutreiben, und zwar mithilfe einer Logik, die sich auf den Begriff stützt, mithilfe einer Begriffslogik also, für die das Wissen den Status des Begriffs hat [im Gegensatz zur Problematisierung der Begriffe durch Sokrates].221
Die partikuläre Aussage
Ein weiteres Problem stellt sich im Verhältnis zur partikulären Aussage. Wie soll man sie bilden? Erste Möglichkeit „Nicht alle Menschen sind P“, zweite Möglichkeit: „Einige Menschen sind P“. Im ersten Fall wird die Universalität negiert, im zweiten Fall das Prädikat. Aristoteles erklärt, dass die partikuläre Aussage nicht dadurch gewonnen wird, dass die Universalität negiert wird, vielmehr beziehe sie sich auf „irgendeinen“ Menschen [dem ein bestimmtes Prädikat zu- oder abgesprochen wird]. Bei partikulären Aussage geht es für Aristoteles nicht darum, dass die Sammlung nicht abgeschlossen ist [dass sie „nicht-alle“ ist.] [Hier bezieht sich Lacan zum ersten Mal, soweit ich sehe, auf das „nicht alle“.]231
Die universale bejahende Aussage im Quadrantenschema von Peirce
Wenn das Objekt a ein Objekt der Logik werden soll, muss es in der Logik bereits enthalten gewesen sein.230
Lacan stützt sich auf eine abgewandelte Form des logischen Quadrats, auf ein Quadrantenschema. [Es ist von Charles Sanders Peirce, dessen Name von Lacan in diesem Seminar ausdrücklich nicht genannt wird.]231
Jede der vier Aussagearten wird durch zwei nebeneinanderliegende Kreisviertel illustriert.231
Die Opposition universal versus partikulär wird traditionell als „Quantität“ einer Aussage bezeichnet, die Opposition bejahend versus verneinend als „Qualität“ einer Aussage. Lacan bezeichnet die Opposition universal/partikulär stattdessen als Lexis, (Signifikanten-)„Wahl“, die Opposition bejahend/verneinend als Phasis, was „Sprechen“ heißen soll (mit Ja oder Nein antworten). [Dieses Begriffspaar übernimmt er, ohne es zu sagen, von Peirce. Ich bin mir nicht sicher, ob Lacan Lexis und Phasis tatsächlich so wie Peirce verwendet.]231
Die Bezeichnung des Gegensatzes universal/partikulär als Lexis und des Gegensatzpaares bejahend/verneinend als Phasis richtet sich gegen die Darstellung der Beziehungen zwischen den Aussagearten im Syllogismus durch Eulerkreise, also durch Kreise, die sich ausschließen, überlappen oder überdecken, und die sich damit auf dem „Umfang“ von Begriffen beziehen, im Gegensatz zum „Inhalt“, auf die „Quantität“ [alle/einige] von Begriffen sowie auf ihre „Qualität“ [bejahend/verneinend].231
Auf das Kreisviertel oben links kann man sich mit der [universalen bejahenden] Aussage „Alle Striche sind senkrecht“ beziehen. Aber auch für das Kreisviertel oben rechts, in dem es keine Striche gibt, gilt diese Aussage „Alle Striche sind senkrecht“, denn wenn es nichts Senkrechtes gibt, gibt es auch keinen Strich. [Sofern es Striche gibt, sind sie senkrecht. Deshalb kann man über beide Segmente „A“ schreiben, das Symbol für die universale bejahende Aussage.]231
Die Ausnahme bestätigt nicht etwas die Regel; vielmehr ist es so, dass die Regel durch die Ausnahme gefordert wird, die Ausnahme ist das Prinzip der Regel.226
Dies soll das Quadrantenschema zeigen: Die universale Bejahung [repräsentiert durch die beiden oberen Quadranten, A] beruht auf der Ausschließung in Gestalt eines „negativen Strichs“ [Quadrant (–1) oben rechts ohne Strich].226Im Quadrantenschema geht es darum, die Rechte des oben stehenden „nichts“ zu wahren [des Quadranten oben rechts ohne Elemente].224
Die universale Aussage beruht auf der Prädikation, und die Prädikation impliziert, dass die Wesen [denen das Prädikat zu- oder abgesprochen wird] nullifizierbar sind. Bei einem Kreis lässt sich das so darstellen, dass er schrittweise verkleinert werden kann, bis er sich auf nichts reduziert [auf einen Punkt]. „Die Möglichkeit des Universalen ist die Nichtigkeit.“ [Die Reduzierbarkeit auf einen Punkt ist die Möglichkeitsbedingung für den Kreis.]229
Das Objekt der aristotelischen Logik ist die Klasse; die Klasse ist dadurch bestimmt, dass sie bestimmte Eigenschaften bzw. Attribute haben kann. Die Beziehung zwischen der Klasse und dem Attribut beruht bei Aristoteles auf der Vermengung von Sein und Haben. Das [Peirce’sche] Quadrantenschema stellt dar, dass eine Klasse bestimmte Eigenschaften hat [Striche haben die Eigenschaft, senkrecht oder schräg zu sein – Haben], dies impliziert keineswegs, dass es einen Strich gibt [Sein, Quadrant 4 oben rechts].230
Die partikulären Aussagen, ob bejahend oder verneinend, beruhen auf der universalen bejahenden Aussage, und diese wiederum auf der Klasse ohne Elemente [im Quadrantenschema auf dem Viertel oben rechts].224
Das oben stehende „nichts“ erschafft unten das „vielleicht“, also die Möglichkeit. [¿ Unten im Quadrantenschema?]224
„Alle Väter sind Gott / erfüllen die Funktion Name-des-Vaters“
Für Psychoanalytiker ist die folgende universale bejahende Aussage relevant: „Jeder Vater ist Gott“ oder „Der Vater ist Gott“ (A). Anders gesagt: Die Funktionsordnung, die er, Lacan, mit dem Konzept „Name-des-Vaters“ eingeführt hatte, hat einen universalen Wert [„Alle Väter sind Gott“]. Zugleich wird die Funktion von Gott als Vater durch Freud in Frage gestellt [was der Aussage entspricht „Kein Vater ist Gott“]. Die Funktion „Name-des-Vaters“ hat universellen Wert, überlässt es aber zugleich „dem anderen“, festzustellen, ob es einen Vater dieser Art gibt oder nicht.231
Angenommen, es gibt keinen Vater, der Gott ist [universal verneinend, E], dann entspricht dies dem leeren Abschnitt der Kreisfläche [Segment 4 oben rechts], und dann gilt immer noch, dass alle Väter Gott sind. [Lacan bringt hier etwas durcheinander. Segment 4 entspricht nicht der Aussage „Es gibt keinen Vater, der Gott ist“, sondern der Aussage „Es gibt keinen Vater“. Der Aussage „Es gibt keinen Vater, der Gott ist“ (universale verneinende Aussage) entsprechen die Segment 3 und 4 (hier gibt es keinen Strich, der senkrecht ist).]231
Auf der Ebene der partikulären Aussage funktioniert es analog. Hier haben wir die Aussagen „Es gibt Väter, die die Funktion Name-des-Vaters erfüllen“ (I) und „Es gibt Väter, die die Funktion Name-des-Vaters nicht erfüllen“ (O). Die Aussage „Es gibt einige Väter, die die Funktion Name-des-Vaters nicht erfüllen“ wird durch Segment 3 gestützt.231
Auf der Ebene der Lexis gibt es im Quadrantenschema zwei Abschnitte, die der universalen Bejahung erst ihre volle Tragweite geben. [¿ Was versteht Lacan hier unter „Lexis“ und welche beiden Abschnitte sind gemeint?]231
„Alle Professoren sind literat“
Lacan wechselt vom Vater zum professeur, zum Professor oder Lehrer. Universal bejahende Aussage: „Alle Professoren sind literat“ (oder „gebildet“). Außerdem kann man behaupten, „Alle Professoren sind halb literat“ [ebenfalls universal bejahend], das heißt, dass es keinen Professor gibt, der illiterat ist. Angenommen, man könnte unter bestimmten Aspekt sagen: „Es gibt Professoren, die nicht literat sind“ [partikulär verneinend], würde das nichts daran ändern, dass die Definition des Professors darin besteht, dass er gebildet ist. Der negative Fall ist die wesentliche Entsprechung zur Definition der Universalität. [Die universale bejahende Aussage wird demnach durch die partikuläre verneinende Aussage gestützt. Lacan wechselt damit, wie beim Satz über den Vater, von der Stützungsfunktion des leeren Feldes (4) zur Stützungsfunktion der partikulären verneinenden Aussage (Felder 2 und 3).]231
Selbst wenn man sich vom Namen-des-Vaters abgelöst hat [wenn für einen gilt „Kein Vater erfüllt die Funktion ‚Name-des-Vaters‘“ (universal verneinend), Felder 3 und 4], beruht dies auf einer ersten Lexis [auf der Aussage „Alle Väter erfüllen die Funktion „Name-des-Vaters“].231
Man muss unterscheiden: „Es gibt Professoren, die Nullen sind [die nicht gebildet sind].“ „Kein Professor ist gebildet“ und „Es gibt keine Professoren.“ [Das sind drei verschiedene Formen der Verneinung.]229
„Alle Psychoanalytiker sind psychoanalysiert“
Wie funktioniert die Beziehung zwischen Subjekt und Prädikat in der Aussage „Keiner wird sich Psychoanalytiker nennen können, wenn er nicht psychoanalysiert worden ist“? Es sieht so aus, als würden damit die Psychoanalytiker als Teilmenge der Psychoanalysierten bestimmt, aber das verfehlt die Stoßrichtung der Aussage. Die Frage ist, was es aus dem Psychoanalytiker als Psychoanalytiker macht, dass er psychoanalysiert worden ist, nicht als Teil der Psychoanalysierten.229
„Alle Menschen sind sterblich“
Wie funktioniert die Beziehung zwischen Subjekt und Prädikat in der Aussage „Alle Menschen sind sterblich“? Dabei interessiert man sich nicht dafür, dass die Menschen eine Teilmenge der Sterblichen sind, sondern dafür, was es aus dem Menschen macht, dass er sterblich ist.229
Der leere Quadrant als Feld der Privation
Die Privation besteht darin, dass ein Objekt an seinem Platz fehlt; Lacan symbolisiert die Privation durch (–a). Im Realen kann jedoch nichts fehlen. [Es muss also das Symbolische bzw. der Signifikant hinzukommen, damit das Konzept „ein Objekt, das an seinem Platz fehlt“ sinnvoll ist.]225
Die Privation ist zunächst eine reale Privation. Lacan stellt das so dar, dass er den Quadranten oben rechts vom Mittelpunkt weg etwas nach außen verschiebt:Damit ist gemeint: das (–1) ist noch nicht subjektiviert, es geht hier noch nicht um ein Wissen oder Nicht-Wissen.226
Für den Begriff der Privation orientiert sich Lacan an Kant [an dessen Begriff nihil privativum (privatives Nichts), Begriff vom Mangel eines Gegenstandes, von Lacan als ens privativum gedeutet (privatives Seiendes), das Fehlen ist auf der Seite des Gegenstandes]. Jedoch sucht er nach einer besseren Grundlage für diesen Schematismus [wobei die bessere Grundlage offenbar durch das Schema von Peirce geliefert werden soll].226
Eine Klasse [im Sinne der Logik] steht in einer strukturellen Beziehung zur Privation. Die [universale bejahende] Aussage „Jeder Professor ist gebildet“ setzt nicht voraus, dass es einen einzigen Professor gibt [im Quadrantenschema entspricht der Nichtexistenz auch nur eines einzigen Professors das Segment 4 oben rechts]. Das zeigt, dass für die Klasse [alle Professoren] die Privation [kein Professor] konstitutiv ist.232
Dabei geht es um die Privation als einzigen Zug. [Mit Freud: Der Objektverlust führt zur Identifizierung mit dem einzelnen Zug.]232
Die Klassenlogik beruht darauf, dass man sich einer Logik des Objekts des Begehrens verweigert hat. Anders gesagt: Die Fruchtbarkeit des Themas der Privation kann im Lichte der Kastration begriffen werden.232
Negation und Nichts
Negation
Die Erfahrung der Psychoanalyse mit der Negation ist reicher als das, was die Philosophen von Aristoteles bis Kant über die Negation gesagt haben. Lacan verfolgt das Ziel, sagt er, eine Tabelle der unterschiedlichen Arten von Negation zu erstellen, die von der psychoanalytischen Erfahrung aus zugänglich sind. Ausgangspunkt ist die Tabelle „Privation – Frustration – Kastration“, die er in Seminar 4 entwickelt hatte [und bei der es um drei Arten des Fehlens geht]. Diese Begriffe sollen jetzt von der Negation her theoretisch rekonstruiert werden. [Ein weiterer Ausgangspunkt von Lacan ist Kants Tabelle der vier Arten des Nichts in der Kritik der reinen Vernunft, B 348.]231]
Das sogenannte expletive ne (wie in je crains qu’il ne vienne, „ich fürchte, dass er kommt“ oder „ich fürchte, dass er kommen könnte“) ist, wie Pichon zu Recht sagt, ein „diskordantielles ne“. Es ist nämlich der Signifikant des Subjekts des Äußerungsvorgangs (énonciation), im Unterschied zum Ausgesagten (énoncé) [es bezieht sich nicht auf das, worüber gesprochen wird, sondern auf das Sprechen des Satzes].231
Ein weiterer Anknüpfungspunkt bei Kant besteht darin, dass dieser die Negation unter den Kategorien der Qualität aufführt, neben Realität und Limitation [in der Kategorientafel, B 106]. Die Negation ist für Kant also keine Kategorie der Quantität, sie entspricht nicht der Null. Die Etymologie der Negation zeigt, dass die Negation sich immer auf das „Ein“ stützt„ sie geht auf ein „nicht ein“ zurück, auf eine Überbietung [auf eine Zurückweisung des Ein]. In lateinischen non („nicht“) steckt ne unum, „nicht ein“.222
Die Geschichte der Negation ist die Geschichte der Aufzehrung des fundierenden Ein, und eben darin besteht die Geschichte des Subjekts. [Das erinnert an Freuds These über die Verneinung, wonach die Verneinung sich auf einen Gedanken bezieht, der verdrängt ist.]222
In der Klassenlogik kann man die Beziehungen zwischen Klassen durch Eulerkreise darstellen: außerhalb, innerhalb, sich überschneidend. Das hilft, sich den Unterschied zwischen zwei Arten von Negation klar zu machen: Negation überhaupt (z.B. Nicht-Mensch) und Negation innerhalb einer Klasse (z.B. Nicht-Mensch innerhalb der Tiere). Lacan verwendet den zweiten Typ der Negation, um die Negation auf der Ebene des Äußerungsvorgangs [z.B. „ich sage nicht, dass …“] von der Negation auf der Ebene des Ausgesagten zu unterscheiden [z.B. „ich sage, dass nicht ….“]. Er nennt die Negation auf der Ebene des Äußerungsvorgangs „konstitutive Negation“.228
Nichts
Wie lässt sich das Streben nach Nichts stützen, wie Freud es mit dem Begriff des Todestriebs eingeführt hat? Die Konstituierung des Subjekts durch das erste Signifikantenspiel bezieht sich auf ein Nichts.233
Von wo aus bezieht sich das Subjekt auf das fehlende Objekt? Um das zu beschreiben, stützt Lacan sich auf Kants Unterscheidung von vier Formen des Nichts (Kritik der reinen Vernunft, B 348).225
Das Subjekt entspricht dem ens rationis, Kant: „leerer Gegenstand ohne Begriff“ [widerspruchsfrei denkbar, etwa „Ding an sich“]. Dies ist das Subjekt als Möglichkeit [also (–1), jenseits der Identifizierung].225
Das Objekt entspricht dem ens privativum, Kant: „Begriff vom Mangel eines Gegnstands“ [etwa Kälte als Fehlen von Wärme]. [Kant sagt nihil privativum.]225
Die Beziehung zwischen beiden ist: Das Subjekt als ens rationis bezieht sich auf das Objekt als ens privativum.225
Das nihil negativum wird von Kant definiert als leerer Gegenstand ohne Begriff [d.h. als Gegenstand eines in sich widersprüchlichen Begriffs, etwa „geradlinige Figur von zwei Seiten“]. Das ist, Lacan zufolge, die einzige der vier Definitionen, die streng haltbar ist. [Ich nehme an, dass dies ein Punkt ist, von dem sich Lacan zu seiner Definition hat anregen lassen, das Reale sei das Unmögliche.]225
Die Privation und das Reale als das Unmögliche
Das von der aristotelischen Logik Ausgeschlossene: das Unmögliche
Man kann nicht sagen, alles Reale sei möglich; darin bestand der Irrtum der Deduktion des Transzendentalen [bei Kant]. Nur vom nicht möglich her tritt das Reale auf.224
Die aristotelische Logik schließt das Unmögliche aus sich aus [Satz vom Widerspruch]. Das ausgeschlossene Unmögliche ist der Angelpunkt dieser Logik.234
In Schnitt auf der Kreuzhaube wird das ausgeschlossene Unmögliche durch einen sogenannten Doppelpunkt repräsentiert; in der Formel des Phantasmas durch die Punze, also durch ◊.234
Der Punkt des Unmöglichen ist der des Begehrens.234
„Könnte es sein, dass es nicht mamme gibt? Nicht möglich – nichts, vielleicht.“
Die Privation wird vom Subjekt durch den Äußerungsvorgang eingeführt, nämlich durch die Äußerung: „Könnte es sein, dass es nicht mamme gibt (qu’il n’y ait mamme)?“224
[„Könnte es sein“: Möglichkeit, entspricht also in Kants Tabelle der Nichts-Arten (in Lacans Deutung) vielleicht dem ens rationis, dem Gedankending, dem widerspruchsfrei Denkbaren. ]
Das „nicht“ in „Könnte es sein, dass es nicht mamme gibt?“, liegt auf der Ebene des Äußerungsvorgangs [es bezieht sich auf das Sprechen dieses Satzes, auf die Erwartung des Subjekts].224
„Nicht möglich“: Das Subjekt sucht [mit seiner Frage-Äußerung] das Reale, insofern es nicht möglich ist [also, mit Kant, das nihil negativum, das Unding]. [Mit der Frage, „Könnte es sein, dass es nicht mamme gibt?“ sucht das Subjekt das „nicht möglich“, das Reale.]224
„Könnte es sein, dass es nicht mamme gibt? Nicht möglich – nichts, vielleicht.“: Am Ursprung jedes Äußerungsvorgangs gibt es ein „nicht möglich“ [eine Unmöglichkeit im Sprechen]. Das sieht man aber nur von daher, dass sie vom Ausgesagten eines „nichts“ ausgeht [also vom dritten Bestandteil der Äußerung, von „nichts, vielleicht“]. [Das Subjekt hat einen Zugang zum Realen („nicht möglich“, nihil negativum) auf dem Weg über das „nichts [„nichts, vielleicht“, ens privativum).]224
„Könnte es sein, dass es nicht mamme gibt? Nicht möglich – nichts, vielleicht.“: „Das ist der Beginn einer jeden Äußerung des Subjekts, die sich auf das Reale bezieht“. [Dieser Satz ist Lacans erste Annäherung an die spätere Formel „Das Reale ist das Unmögliche“.]224
Das Reale, insofern es nicht möglich ist, ist die Ausnahme [im Sinne des Ausgeschlossenen].224
Dieses Reale existiert. [¿ Was ist hier mit „existiert“ gemeint?]224
Lacan sagt, dass er das, was er hier ausgeführt hat, bereits in der Tabelle „Privation – Frustration – Kastration“ dargestellt habe [in Seminar 4]. [Ich vermute, dass man das so zuordnen kann:
– „Könnte es sein, dass es nicht mamme gibt?“ Frustration
– „Nicht möglich.“ Kastration
– „Nichts, vielleicht.“ Privation.]224
„Nichts vielleicht?“ „Vielleicht nichts.“
Die Frage lautet „Nichts vielleicht?“ Die Botschaft ist: „Vielleicht nichts.“ Zwischen dieser Frage und dieser Botschaft gibt es eine Kluft.235
Man muss von der Frage ausgehen, die das Subjekt an den Anderen stellt, von der Frage nach dem Begehren des Anderen. Im Graphen des Begehren ist dies die Beziehung zwischen der Frage des Subjekts [Que vuoi?] und der vom Anderen kommenden Botschaft [S(Ⱥ)].235
In der Frage „Nichts vielleicht?“ ist das Mögliche vom Subjekt her aufzufassen, es geht dabei um eine Eventualität, die durch eine Erwartung des Subjekts gebildet wird, die wiederum durch eine Situation des Begehrens konstituiert wird.235
„Vielleicht nichts“ ist die Botschaft, nicht aber die Antwort. Es ist nicht sicher, dass man zu einem Beschluss kommen kann. Das wäre der Fortbestand der Frage mit der Unmöglichkeit des Schließens. [Die Unmöglichkeit besteht hier also darin, dass es nicht möglich ist, die Frage des Subjekts abschließend zu beantworten.] Die Bestimmung besteht darin, dass das reine Fortbestehen der Frage benannt wird, die unendliche Verweisung; dies ist das Nichts auf der Ebene der Frage.235
In der Botschaft „Vielleicht nichts“ geht die Möglichkeit – das „vielleicht“ – dem Nichts voraus.235
Der Andere antwortet nichts / antwortet „nichts“, außer, dass nichts sicher ist, das heißt, er gibt die Antwort der Skepsis, und das heißt, dass er von der Frage nichts wissen will.235
Die Botschaft öffnet sich auf eine Öffnung hin, die dadurch gebildet wird, dass das Subjekt [durch seine Frage] in das Reale eintritt. [Die Botschaft ist eine Botschaft über das Reale, sie wird dadurch möglich, dass das Subjekt mit seiner Frage nach der Privation einen Schritt in Richtung auf das Reale geht.]235
Das „vielleicht“ [der Frage „Nichts vielleicht?“] kommt in eine Position, die strukturähnlich ist zum „vielleicht“ [der Botschaft „Vielleicht nichts“].235
Das Objekt des Begehrens ist das, was jenseits des Anspruchs ist. Es wird gebildet, weil der Andere nicht antwortet [seine Erwiderung ist eine Botschaft, keine Antwort].233
Psychoanalytiker strukturieren die Verweisungsbewegung auf zwei Ebenen, auf der Ebene der Metapher und auf der der Metonymie. Die Metapher oder Verdichtung ist die Überschneidung der Kette der Semanteme mit der Kette der Phoneme, und zwar so, dass auf unerwartete Weise eins Botschaft in Erscheinung tritt, etwa in „er behandelte mich ganz famillionär“, hier bricht in die Frage [des Subjekts] die [vom Anderen, vom Unbewussten kommende] Botschaft ein; die Wahrheit tritt in der Frage selbst zutage, etwa in einem Versprecher. Die Frage gehört zum Ausgesagten (énoncé) [das Subjekt spricht darin über sich wie über ein Objekt]; der Einbruch der Botschaft, der Versprecher, gehört zum Äußerungsvorgang (énonciation). Die Allgegenwart der Kluft zwischen Ausgesagtem und Äußerungsvorgang bildet den Ursprung für jede Artikulation, die wirklich subjektiv ist.235
Diese Kluft ist auch die zwischen Zeichen [mit bestimmtem Sinn] und Signifikant [der auf eine unendliche Kette von andern Signifikanten verweist]. Der Signifikant repräsentiert bei einem anderen Signifikanten das Subjekt, und das in einer unendlichen Verweisung von Signifikant auf Signifikant. Darin repräsentiert der Signifikant beim anderen Signifikanten das Subjekt als nichts.235
Unvermögen und Unmögliches
Das Unvermögen des Anderen [eine Antwort zu geben] ist in einem Unmöglichen verwurzelt [im Realen]. Nicht möglich war die Leere [mit Freud: traumatisch war der Verlust des Liebesobjekts], wo es dazu kam, dass der einzige Zug [die Identifizierung] in seinem spaltenenden Wert auftauchte [Spaltung von Identifizierung und Begehren]. Hier [¿ wo?] verkörpert sich das Unmögliche; das Unmögliche verbindet das, worauf Freud sich bezieht, wenn er sagt, das Begehren werde durch das ursprüngliche Verbot konstituiert. [An die Stelle von „Das Begehren richtet sich auf das Verbotene“ tritt hier offenbar „Das Begehren richtet sich auf das Unmögliche“.]235
Das Begehren richtet sich auf das dem Anderen Unmögliche
Das Unvermögen des Anderen, eine Antwort zu geben, beruht auf einer Sackgasse, auf der Begrenztheit des Wissens des Anderen. Der Andere verlangt (demande), nicht zu wissen. Und das weiß gewissermaßen das Subjekt. Es gibt also zwei verschiedene Ansprüche/Fragen (demandes), die Frage des Subjekts und die Forderung des Anderen [nicht zu wissen]. Das Begehren ist die Überschneidung dessen, was in beiden Fragen/Forderungen nicht gesagt werden kann.235
Das dem Anderen Unmögliche wird zum Begehren des Subjekts.235
Das Objekt des Begehrens als das Nichts
Der Andere als Ort des Sprechens garantiert nichts [er garantiert nicht die Wahrheit], von daher gewinnt er seine erhebende Wirkung [wird er idealisiert], und damit wird er zum Schleier, hinter dem das Objekt des Begehrens in Deckung gebracht wird. Sicher ist nur, dass der Andere etwas verbirgt, nämlich das Objekt. Das Objekt des Begehrens existiert als das Nichts [der vom Anderen kommenden Botschaft „Vielleicht nichts“]; der Andere kann nicht wissen, dass dieses Nichts alles ist, woraus das Objekt besteht, dieses Nichts wird zur Hülle für jedes Objekt.235
Vor dem Objekt hält die Frage des Subjekts inne, und damit wird das Subjekt imaginär.235
Das Unmögliche in Zwangsneurose und Hysterie
Die Frage/Forderung (demande) des Subjekts befreit sich in dem Maße von der Frage/Forderung des Anderen, wie das Subjekt das Nichtwissen des Anderen ausschließt. Dieses Ausschließen kann darin bestehen, dass ihm gleichgültig ist, ob der Andere weiß oder nicht weiß, und es unabhängig davon handelt. Das Ausschließen kann aber auch darin bestehen, dass es für das Subjekt absolut notwendig ist, dass der Andere weiß. Letzteres ist der Weg des Neurotikers, und das führt ihn in die Psychoanalyse.235
Ein Beispiel dafür, dass der Neurotiker darauf aus ist, dass der Andere weiß, ist der Fall des „Rattenmanns“. Er erhebt sich nachts und öffnet dem Gespenst seines toten Vaters die Tür, um ihm seine Erektion zu zeigen.235
Der Neurotiker verschließt sich dem doppelten Ausgang von Frage und Botschaft, er will zwischen „Nichts vielleicht?“ und „Vielleicht nichts“ entscheiden [zwischen der Frage und der Botschaft]. Hierfür stellt er sich angesichts des Anderen als real dar, das heißt als unmöglich, das heißt als Objekt des Begehrens des Anderen; er wird zu dem, was vom Realen als unmöglich spezifiziert ist.235
Dafür, sich dem Anderen als real darzustellen, gibt es im Falle der Zwangsneurose ein Instrument, den Phallus, wie das Beispiel des „Rattenmanns“ zeigt.235
Die dem Zwangsneurotiker eigene Form des Unmöglichen ist, dass er zu viel ist [und deshalb verschwinden muss, was unmöglich ist]. Er muss das Objekt von nirgendwo sein, deshalb versucht er frenetisch, überall zu sein – um nirgendwo zu sein [was unmöglich ist].235
Ein Patient von Lacan, ein Zwangsneurotiker, ist durch „beständige Untreue“ an seine Partnerinnen gebunden – es ist ihm unmöglich, eines seiner Objekte zu verlassen, und mit beträchtlicher technischer Raffinesse hält er mehrere Beziehungen aufrecht, die einander äußerlich bleiben müssen [dies dürfte die Allgegenwart des Zwangsneurotikers sein (vgl. 21. März 1962)]. Das hat zum Ziel, sagt der Patient, ihn selbst unberührt zu lassen, für eine Befriedigung, die für ihn unerreichbar ist, und die in einer beständig aufgeschobenen Zukunft und in einem anderen Raum gefunden werden soll [also im Nirgendwo – der Zwangsneurotiker ist Utopist].228
Die Hysterikerin kann sich ebenfalls als real im Sinne von unmöglich darstellen. Sie hat einen anderen Modus, der jedoch dieselbe Wurzel hat wie bei der Zwangsneurose. Ihr Trick besteht darin, dass das Unmögliche dann Bestand haben wird, wenn der Andere sie als Zeichen akzeptiert [vermutlich: als Zeichen des Phallus], als Zeichen von etwas, woran der Andere glauben kann; um dieses Zeichen zu bilden, ist sie höchst real.235
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- Das Reale: früh, konstant, einfach
- Das Imaginäre, das Symbolische und, vor allem, das Reale
- Der Schnitt: die Einschreibung des Realen in das Symbolische
- Es gibt kein sexuelles Verhältnis
- Das Genießen des Realen und das Reale des Genießens
- Ein Loch im Zentrum des Realen
Anmerkungen
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Vgl. Seminar 10, Sitzung vom 19. Dezember 1962, Version Miller/Haas S. 103; Seminar 11, Sitzung vom 6. Mai 1964, Version Miller/Haas S. 175 f.
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Seminar 11, Sitzung vom 4. März 1964, meine Übersetzung (RN), vgl. Version Miller/Haas S. 109.
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Seminar 11, Sitzung vom 6. Mai 1964, meine Übersetzung (RN) nach Version Miller, vgl. Version Miller/Haas S. 109.
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Seminar 12, Sitzung vom 13. Januar 1965, meine Übersetzung nach Version Michel Roussan.
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Seminar 12, Sitzung vom 19. Mai 1965, meine Übersetzung nach Version Michel Roussan.
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Seminar 12, Sitzung vom 2. Juni 1965, meine Übersetzung nach Version Michel Roussan.
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Zuerst in Seminar 16, Von einem Anderen zum anderen, in der Sitzung vom 12. März 1969.
Sitzung vom 20. Mai 1970; Übersetzung von Gerhard Schmitz nach Version Miller, S. 190.
Vgl. J. Lacan: Radiophonie (1970). Übersetzt von Hans-Joachim Metzger. In: J.L.: Radiophonie. Television. Quadriga, Berlin 1988, S. 5–54, hier: S. 30.– Ähnlich in: J.L., L’étourdit (1972), a.a.O., S. 452.
Radiophonie, a.a.O., S. 30.11
Zwei Jahre später heißt es im Seminar … oder schlimmer, nach einer Bemerkung über Gödels Satz der Unentscheidbarkeit:
„Das heißt, wenn das Reale, was sicherlich leicht zugänglich ist, als das Unmögliche definiert werden kann, als das Unmögliche, insofern es sich als etwas erweist, das vom Logikerdiskurs erfasst wird, dann muss eben dieses Unmögliche, eben dieses Reale von uns privilegiert werden. Von uns – von wem? Von den Analytikern.“11
Seminar 19 von 1971/72, Sitzung vom 12. Januar 1972, meine Übersetzung nach Version Staferla; vgl. Version Miller S. 42.
J. Lacan: Peut-être à Vincennes …: In: Ders.: Autres écrits. Seuil, Paris 2001, S. 314.
Seminar 12, Sitzung vom 16. Juni 1965, meine Übersetzung (RN) nach Version Staferla, Interpunktion geändert.
Lacans Bemerkungen zu den Modalkategorien findet man hier:
– Seminar 19, … oder schlimmer, Sitzungen vom 8. Dezember 1971 und vom 12. Januar 1972;
– Vortragsreihe Das Wissen des Psychoanalytikers, Sitzung 1. Juni 1972 (Zuordnung zu den Formeln der Sexuierung);
– L’étourdit (1972). In: Ders.: Autres écrits. Seuil, Paris 2000, S. 449-495, hier: S. 490;
– Seminar 20. Encore, Sitzungen vom 13. Februar, 20. März und 26. Juni 1973;
– Television (1973). Übers. v. Jutta Prasse und Hinrich Lühmann: In: J.L.: Radiophonie. Television. Quadriga, Berlin 1988, S. 55–95, hier: S. 89 f.;
– Seminar 21, Les non-dupes errent, Sitzungen vom 20. November 1973, 8. Januar, 15. Januar, 12. Februar und 19. Februar 1974;
– Vorwort zur deutschen Ausgabe meiner ausgewählten Schriften (1975). In: J. L: Schriften II. Hg. v. Norbert Haas. Walter-Verlag, Olten 1975, S.7–14, hier: S. 14;Seminar 1, Sitzung vom 17. Februar 1954; Version Miller/Hamacher S. 89.
Vgl. Seminar 1, Sitzung vom 30. Juni 1954; Version Miller/Hamacher S. 339 f.
Zuerst in Seminar 2 von 1954/55, Das Ich in der Theorie Freuds und in der Technik der Psychoanalyse, wo es heißt, die Sterne seien real, da man sie immer am selben Platz wiederfindet (Sitzung vom 25. Mai 1955; Version Miller/Metzger S. 303). Als Formel zuerst in Seminar 6 von 1958/59, Das Begehren und seine Deutung, in der Sitzung vom 1. Juli 1959; Version Miller S. 565.
Diese These wird von Lacan in Seminar 6 von 1958/59 entwickelt, Das Begehren und seine Deutung, in den Sitzungen vom 20. Mai 1959 bis zum 1. Juli 1959.
Seminar 7 von 1959/60, Die Ethik der Psychoanalyse, Sitzung vom 27 Januar 1960, Version Miller/Haas S. 151.
Seminar von 1964/65, Schlüsselprobleme für die Psychoanalyse, Sitzung vom 19. Mai 1965.
S. Freud: Bemerkungen über einen Fall von Zwangsneurose (1909). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 7. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 31–103, hier: S. 80 f.
J. Lacan: Der individuelle Mythos des Zwangsneurotikers oder Dichtung und Wahrheit in der Neurose. In: Ders.: Der individuelle Mythos des Zwangsneurotikers oder Dichtung und Wahrheit in der Neurose. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien 2008, S. 9–41, hier: S. 22 und 25, Fettschreibung hier und im Folgenden von mir.
J. Lacan: Wortmeldung nach einem Vortrag von Claude Lévi-Strauss vor der Société Française de Philosophie „Über die Bezüge zwischen der Mythologie und dem Ritual“ mit einer Antwort von selbigem (1956), In: Der individuelle Mythos, a.a.O., S. 81–91, hier: S. 84 f., Übersetzung geändert.
Aufschlussreich hierzu ist: Darian Leader: Some notes on obsessional neurosis (Vortrag von 1992). Im Internet hier.
J. Lacan: Die Lenkung der Kur und die Prinzipien ihrer Macht. In: Ders.: Schriften. Band II. Vollständiger Text. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien 2015, S. 72–145, hier: 87.
J. Lacan: Anmerkung zum Bericht von Daniel Lagache „Psychoanalyse und Struktur der Persönlichkeit“. In: Ders.: Schriften. Band II. Vollständiger Text, a.a.O., S. 146–191, hier: S. 188.
J. Lacan: Subversion des Subjekts und Dialektik des Begehrens im Freud’schen Unbewussten (1962). In: Ders.: Schriften. Band II. Vollständiger Text, a.a.O., S. 325–368, hier: S. 363.
Seminar 10 von 1962/63, Die Angst, Sitzung vom 19. Dezember 1962; Version Miller/Gondek S. 103, Übersetzung geändert, RN.
Mallarmé verwendet die Metapher der abgegriffenen Münze, um damit die nicht-poetische Sprache zu bezeichnen.
„Narrer, enseigner, même décrire, cela va et encore qu’à chacun suffirait peut-être pour échanger la pensée humaine, de prendre ou de mettre dans la main d’autrui en silence une pièce de monnaie, l’emploi élémentaire du discours dessert l’universel reportage dont, la littérature exceptée, participe tout entre les genres d’écrits contemporains.“
(Stéphane Mallarmé: Crise de vers (1886-1896). In: Ders.: Œuvres complètes. Gallimard, Paris 1945, S 368, 857; im Internet hier.)
Der Hinweis auf diese Mallarmé-Stelle findet sich zweimal in den Écrits. Vgl. J. Lacan: Funktion und Feld des Sprechens und der Sprache in der Psychoanalyse. In: Ders.: Schriften. Band I. Vollständiger Text. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien u.a. 2016, S. 278–381, hier: S. 296.– J.L.: Subversion des Subjekts und Dialektik des Begehrens im Freud’schen Unbewussten. In: Ders.: Schriften. Band II. Vollständiger Text. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien u.a. 2015, S. 325–368, hier: S. 335.
S. Freud:
„Das Denken ist ein probeweises Handeln mit kleinen Energiemengen, ähnlich wie die Verschiebungen kleiner Figuren auf der Landkarte, ehe der Feldherr seine Truppenmassen in Bewegung setzt.“
(Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (1933). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 1. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 448-608, hier: 32. Vorlesung, „Angst und Triebleben“, S. 524)
Lacan verwendet eine doppelte Negation, damit verwandelt sich die negative Existenzaussage in eine universale bejahende Aussage: „Alle Kreter sind fähig zu lügen.“
Das liegt am Dispositionsprädikat (fähig sein zu etwas), nicht an der angeblichen negativen Existenzaussage.
Lacan bezieht sich auf die Schrift De interpretatione von Aristoteles; der griechische Titel ist Perí hermēneías, der deutsche Lehre vom Satz. Die Schrift De interpretatione ist eines der sechs Bücher über Logik, die von Aristoteles überliefert sind und die zusammen als Organon bezeichnet werden. Die Unterscheidung von bejahenden und verneinenden sowie von universalen und partikulären Aussagen geht auf De interpretatione zurück.
Die „Atopie“ (Ortlosigkeit) des Sokrates war ein wichtiges Thema im vorangegangenen Seminar 8, Die Übertragung (1960/61).
Nachdem Sokrates den Schierlingsbecher getrunken hat, sagt er:
„O Kriton, wir sind dem Asklepios einen Hahn schuldig, entrichtet ihm den und versäumt es ja nicht.“
(Platon, Phaidon, 118a, Schleiermacher-Übersetzung)
Dann stirbt er. Asklepios (oder Äskulap) ist der Gott der Heilkunst.
Ich habe nicht herausfinden können, worauf diese Anspielung sich bezieht.
Vgl. Seminar 6, Sitzung vom 3. Dezember 1958; Version Miller S. 93.
Platon, Sophistes, 254b, „Gemeinschaft der Begriffe/Klassen“.
Gemeint sind die drei Formen der Identifizierung, die Freud in Massenpsychologie und Ich-Analyse unterscheidet, im Kapitel „Die Identifizierung“: primäre Identifizierung mit dem idealisierten Vater; Identifizierung mit dem Liebesobjekt, das nicht zugänglich ist; hysterische Identifizierung mit einem anderen Begehren.
Zuerst in Seminar 6 von 1958/59, Das Begehren und seine Deutung, Sitzungen vom 3. und 10. Dezember 1958; Version Miller S. 96 f., 105 f.
Lacan bezieht sich auf die Tabelle, die er in Seminar 4 von 1956/57, Die Objektbeziehung, erarbeitet hatte, in den Sitzungen vom 12. Dezember 1956, 6. März 1957 und 3. April 1957; vgl. Version Miller/Gondek S. 67, 235, 317.
Außerdem spielt er hier auf Freuds Aufsatz über die Verneinung an, der von Lacan ausführlich kommentiert worden war. Vgl. S. Freud: Die Verneinung (1925). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 3. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 371–377.
Aristoteles, De interpretatione, §§ 6 und 7
Der Buchstabe A steht in der scholastischen Logik für die universale bejahende Aussage.
In den Lehrbüchern wird die bejahende universale Aussage meist so geschrieben: „Alle S sind P“, mit „S“ als Variable für das logische Subjekt und „P“ als Variable für das logische Prädikat. Bezogen auf Lacans Beispiel also: „Alle Menschen sind Lügner“.
E ist das Symbol für die universale verneinende Aussage.
In den Lehrbüchern wird die universale verneinende Aussage meist so geschrieben: „Alle S sind nicht P“. Hier also: „Alle Menschen sind keine Lügner.“
„Partikuläre“ Aussagen beziehen sich auf „einige“ oder „manche“, z.B. „Einige Menschen sind Lügner“. Diese Aussageform ist äquivalent mit der Es-gibt-Aussage, mit der Existenzbehauptung „Es gibt Menschen, die Lügner sind“.
O ist das Symbol für die verneinende partikuläre Aussage.
Die Lehrbuch-Formeln für die partikuläre verneinende Aussage ist „Einige S sind nicht P“ oder „Es gibt S, die nicht P sind“. Also: „Einige Menschen sind keine Lügner“ oder „Es gibt Menschen, die keine Lügner sind“.
Non omnis: „nicht alle“; nullus: „kein“; non nullus : „einige“ (wörtlich „nicht kein“).
Die verneinende partikuläre Aussage kann demnach diese Formen annehmen: „Einige Menschen sind keine Lügner“, „Nicht alle Menschen sind keine Lügner“ und „Es ist nicht der Fall, dass kein Mensch kein Lügner ist“.
Dies ist Lacans erster Bezug auf non omnis, „nicht alle“, das ab 1971 bei der Entwicklung der Formeln der Sexuierung eine entscheidende Rolle spielen wird
Die folgende Abbildung zeigt das sogenannte logische Quadrat der scholastischen Logik. Es unterscheidet drei Arten von Gegensätzen zwischen den vier Aussageformen: den konträren, den subkonträren und den kontradiktorischen Gegensatz.
Gemeint ist: Es kann nicht zugleich wahr sein, dass jeder Mensch ein Lügner ist und dass kein Mensch ein Lügner ist.
Die Kombinationen, die zugleich wahr sein können, sind: „Alle Menschen sind Lügner“ ist wahr und „Kein Mensch ist ein Lügner“ ist falsch; „Alle Menschen sind Lügner“ ist falsch und „Kein Mensch ist ein Lügner“ ist wahr; „Alle Menschen sind Lügner“ ist falsch und „kein Mensch ist ein Lügner“ ist falsch.
Der Gegensatz von I und O ist „subkonträr“, was heißen soll: Beide Aussagen können zugleich wahr sein, nicht jedoch zugleich falsch sein.
Lacan bezieht sich hier auf den Gegensatz von Extension und Intension eines Begriffs. Unter der Extension oder dem Umfang eines Begriffs versteht man traditionell die Gesamtheit der Dinge, die unter den Begriff fallen, unter der Intension (nicht zu verwechseln mit „Intention“, Absicht) oder dem Inhalt eines Begriffs die gemeinsamen Merkmale der Dinge, die unter den Begriff fallen.
Griechisch perí hermēneías, lateinisch De interpretatione.
Das englische Wort omnitude meint „Allheit“, hier vielleicht als französischer Neologismus für „Allheit“ oder ein Schreibfehler für omnitudo, lateinisch für „alle“.
Die Quantität bezieht sich auf das Subjekt (alle, einige), die Qualität auf das Prädikat (Bejahung, Verneinung).
Kant unterscheidet in der Kategorientafel der Kritik der reinen Vernunft (B 106) drei Kategorien der Quantität: Allheit, Vielheit und Einheit, sowie drei Kategorien der Qualität: Realität, Negation und Limitation.
Lacan meint hier Otto Jespersen: Negation in English and other languages. Høst, Kopenhagen 1917. In der Sitzung vom 21. Februar 1962 wird er auf diese Arbeit näher eingehen.
Als Terminus der Grammatik bezeichnet „Periode“ einen langen, mehrfach zusammengesetzten Satz.
Das folgende Kreisschema und seine Beschreibung ist aus: Charles Sanders Peirce: Collected papers of Charles Sanders Peirce. Hg. v. Charles Hartshorne u. Paul Wiss. Band 2, Elements of logic. Belknap Press of the Harvard University Press, Cambridge, Mass. (1932), 2. Aufl. 1960, darin „The quadrant“, S. 279–283, das Schema ist dort auf S. 280. PDF-Datei von „The quadrant“ hier.
Die Buchstaben A, E, O, I beziehen sich auf die verschiedenen Aussagearten:
A = allgemeine bejahende Aussage, „alle S sind P“ (im Schema von Peirce die Quadranten 1 und 4)
E = allgemeine verneinende Aussage, „kein S ist P“ (Quadranten 3 und 4)
I = partikuläre bejahende Aussage, „einige S sind P“ (Quadranten 1 und 2)
O = partikuläre verneinende Aussage, „einige S sind nicht P“ (Quadranten 2 und 3).Lacan bezieht sich auf die Aussage „Die Striche sind senkreicht“. „Die Striche“ ist hier das logische Subjekt, „senkrecht“ ist das Attribut, die Eigenschaft, das Prädikat.
Zu ergänzen ist: die Eigenschaft „schräg“ repräsentiert die Negation des Attributs „senkrecht“. Der schräge Strich steht für die Aussage „Der Strich ist nicht senkrecht.“
Lacan bezieht sich auf den Begriff trait unaire (einzelner Zug/Strich), den er in diesem Seminar früher eingeführt hatte (am 6. Dezember 1961) .
Das griechische Wort lexis meint „Sprechen“, „Wort“, „Satz“.
Lacan übernimmt die Zuordnung von universal/partikulär zu lexis von Peirce.
Die Zuordnung der Opposition von Bejahung und Verneinung zum Begriff „Phasis“ ist ebenfalls von Peirce. Das griechische Wort phasis bedeutet meinem Lexikon zufolge „Erscheinung“, „Anschein“. Peirce zufolge meint phasis „sagen“ im Sinne von „Was sagen Sie? Ja oder nein?“ Peirce verweist hierfür auf kataphasis (Bejahung) und metaphasis (Umstellung der Laute zweier Wörter in einem Satz).
Im logischen Quadrat stehen A und E in konträrem Gegensatz zueinander.
Unter „phasisch“ scheint Lacan hier nicht mehr den Gegensatz von Bejahung und Verneinung zu verstehen, sondern speziell die Bejahung.
Wie sind die Pfeile mit „lexis“ und „physis“ zuzuordnen? Ich vermute, dass sich der Ausdruck „lexis“ über der Pfeillinie, der von rechts oben nach links unten führt, auf die Quadranten 4 und 2 und deren Schrägstellung bezieht und dass der Ausdruck „phasis“ über der Pfeilllinie, der von links oben nach rechts unten zeigt, auf die Quadranten 1 und 3 verweist, die ebenfalls schräg einander gegenüberstehen.
Hier meine Begründung: Bei Peirce bezieht sich „Lexis“ auf die Opposition zwischen der allgemeinen und der partikulären Aussage, das heißt auf den Gegensatz zwischen, einerseits, den beiden Quadrantenpaaren A (1-4) und E (3-4) (allgemeine Aussagen) und, andererseits, den beiden Quadrantenpaaren I (1-2) und O (2-3) (partikuläre Aussagen). Den Quadrantenpaaren des Allgemeinen ist Abschnitt 4 gemeinsam, den Quadrantenpaaren des Partikulären ist Abschnitt 2 gemeinsam. Also kann der Gegensatz von Universalem und Partikulärem – die Lexis – durch die Gegenüberstellung der Quadranten 4 und 2 repräsentiert werden.
„Phasis“ bezieht sich auf den Gegensatz zwischen bejahender und verneinender Aussage. Die Bejahung wird durch die beiden Quadrantenpaare A (1-4) und I ( (1-2) repräsentiert, die Verneinung durch die beiden Quadrantenpaare E (3-4) und O (2-3). Den beiden Quadrantenpaaren der Bejahung ist Quadrant 1 gemeinsam, die beiden Quadrantenpaare der Verneinung teilen sich Quadrant 3. Also lässt sich die „Phasis“ – der Gegensatz von Bejahung und Verneinung – durch die Gegenüberstellung der Quadranten 1 und 3 darstellen.
In Version Staferla gibt es an dieser Stelle die folgende Tabelle, ohne einen Hinweis zur Autorschaft; in Version J.L. ist sie nicht enthalten:
In Version rue CB des Seminars (Website gaogoa.free.fr) findet man hier diese Tabelle, ebenfalls ohne Angabe des Autors:
Lacan bezieht sich hier auf seine Ausführungen in der Sitzung vom 10. Januar 1962: Das Subjekt lässt sich durch die imaginäre Zahl symbolisieren; das Symbol für eine imaginäre Zahl ist der Buchstabe i.
Auf das, was eine bestimmte Signifikantenselektion erfahren hat.
Das französische Wort caractère bedeutet nicht nur „Charakter“, sondern auch „Schriftzeichen“, „Buchstabe“, „Letter“.
Die erste Silbe von perdue, „verloren“, ist lautgleich mit père, „Vater“.
Das bezieht sich vermutlich auf Lacans Analyse von Paul Claudels Coûfontaine-Trilogie Die Geisel, (1911), Das harte Brot (1916) und Der gedemütigte Vater (1918). Für Sygne ist die verlorene Sache die des Adels und des Königs, für Lumîr ist es Polen.
Die Principia Mathematica von Russell und Whitehead umfassen tatsächlich drei Bände.
Lacan bezieht sich hier möglicherweise darauf, dass Kurt Gödel 1931 zeigen konnte, dass axiomatische Begründungen der Mathematik vom Typ der Principia Mathematica notwendig unvollständig sind (Über formal unentscheidbare Sätze der Principia Mathematica und verwandter Systeme I, 1931).
Im Deutschen ist die Bezeichnung als „Russell’sche Antinomie“ häufiger.
Wortspiel mit dem Doppelsinn von se comprendre: „sich enthalten“ und „sich verstehen“.
Unter l’étude des humanités wird normalerweise der Unterricht in Latein und Griechisch verstanden (vgl. im Deutschen den Ausdruck „humanistisches Gymnasium“). Aus einer Bemerkung in der Sitzung vom 11. April 1962 geht jedoch hervor, dass Lacan zu den humanités die Künste, die Wissenschaften und die Ethnographie rechnet. Ich übersetze l‘étude des humanités deshalb mit „das Studium der Humaniora“, wobei man den Ausdruck „Humanioria“ genauso weit fassen muss wie Lacan den Terminus „humanités“.
Womit gesagt werden soll, dass auf diese Weise die Menge „Studium der Humanioria“ sich selbst enthält.
Wenn „die Menge aller Mengen, die sich nicht selbst enthalten“ sich nicht selbst enthielte, enthielte sie nicht alle Mengen, die sich nicht selbst enthalten.
Die Entdeckung der Russell’schen Antinomie führte zur sogenannten Grundlagenkrise der Mathematik.
In Version J.L., einer Stenotypie, findet man an dieser Stelle „mam“, in den Versionen Rue CB und Staferla steht hier mamme, was demnach [mam] auszusprechen ist. Der Ausdruck mamme erscheint in keinem Französischlexikon, es handelt sich um einen Neologismus. Mamme entsteht durch Abtrennung der ersten Silbe von mammifère (Säugetier), vermutlich soll sich der Ausdruck zugleich auf mamma (das lateinische Wort für die weibliche Brust) beziehen und auf maman (frz. für „Mama“).
Mir ist nicht klar, was es mit dem Buchstaben E auf sich hat.
In Version Staferla findet man hier a (1 + 1 + 1 …), ich übernehme die Schreibweise a (I + I + I …) aus Version rue CB (auf der Seite Gaogoa). Die Symbole innerhalb der Klammer stehen für die Wiederholung des einzigen Zugs, und dieser wird besser durch den Strich als durch die Zahl eins dargestellt, besser durch das „Ein“ als durch die „Eins“.
Anspielung auf das Fort-Da-Spiel eines Säuglings mit einer Spule, auf das Freud sich in Jenseits des Lustprinzips (1920) bezieht.
In Version Staferla findet man hier „I/A“; ich ändere zu „I(A)“ entsprechend dem Zeichen für die symbolische Identifizierung im Graphen des Begehrens.
Unter dem „Schnitt“ versteht Lacan ab 1960 die Verbindung von Konjunktion und Disjunktion. Das Symbol für den Schnitt ist die Raute, ◊, sie setzt sich zusammen aus dem Symbol für die Konjunktion, , und dem für die Disjunktion, ˅ (vgl. J. Lacan: Die Lenkung der Kur und die Prinzipien ihrer Macht (geschrieben 1960, veröffentlicht 1961). In: Ders.: Schriften II. Vollständiger Text. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien 2015, S. 72–145, hier: S. 132 Fn. 16).
Sitzung vom 24. Januar 1962, Version Staferla, unter Berücksichtigung von Version rue CB auf der Website Gaogoa.
Vgl. Subversion des Subjekts und Dialektik des Begehrens im Freud’schen Unbewussten. In: Ders.: Schriften. Band II. Vollständiger Text, a.a.O., S. 325–368, hier: S. 358.
Vgl. J. Lacan: Die Lenkung der Kur und die Prinzipien ihrer Macht (geschrieben 1960, veröffentlicht 1961). In: Ders.: Schriften. Band II. Vollständiger Text. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien 2015, S. 72–145, hier: S. 132 Fn. 16.
Lacan bezieht sich mit dieser Bezeichnung vermutlich auf das Kapitel („Hauptstück“), das bei Kant „Von dem Leitfaden der Entdeckung aller reinen Verstandesbegriffe“ heißt, B 91 ff.
Un chien andalou, 1929, Regie: Luis Buñuel, Drehbuch: Luis Buñuel und Salvador Dalí. Genau gesagt, zieht der Mann zwei Flügel hinter sich her, und auf jedem liegt ein Esel; siehe hier.
Pablo Picasso, Le Désir attrapé par la queue, Theaterstück, geschrieben 1941, erste Lesung 1944. Einer der Zuhörer der ersten Lesung war Lacan. Auf dem untenstehenden Foto, das nach der Lesung aufgenommen wurde, sieht man ihn ganz links; der fünfte von links, mit verschränkten Armen, ist Picasso. Vgl. Elisabeth Roudinesco: Jacques Lacan. Bericht über ein Leben, Geschichte eines Denksystems. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Kiepeneuer und Witschh, Köln 1996, S. 260 f.
Vgl. S. Freud: Massenpsychologie und Ich-Analyse (1921). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 9. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 61-134, darin Kapitel VII, „Die Identifizierung“, S. 98-103.
Das allgemeine Urteil entspricht der universalen Aussage, das besondere Urteil der partikulären Aussage.
Vgl die Urteilstafel in der Kritik der reinen Vernunft, B 95. Kant unterscheidet hier Quantität, Qualität, Relation und Modalität von Urteilen; das Urteil kann drei Quantitäten habe: Allgemeine, Besondere und Einzelne.
Otto Jespersen: Negation in English and other languages. Høst, Kopenhagen 1917 (= Det Kgl. Danske Videnskabernes Selskab. Historisk-filologiske Meddelelser. I.5); zu Kants Kategorie der Negation: S. 69-71, 92.
Lacan spricht jetzt über die Kategorientafel in der Kritik der reinen Vernunft, B 106. Kant unterscheidet hier drei Kategorien der Qualität: Realität, Negation und Limitation. Der Gegensatz von bejahendem und verneinendem Urteil gilt in der traditionellen Logik als ein Gegensatz der Qualität.
Alfred Ernout, Antoine Meillet: Dictionnaire étymologique de la langue latine. Histoire des mots Klincksieck, Paris 1931, zahlreiche Auflagen.
Man fügt ein „ein“ hinzu, weil man vergisst, dass das „ein“ bereits im „nicht“ steckt.
Auf Pichons Auffassung der Negation hatte Lacan sich ausführlicher in Seminar 6 bezogen, in der Sitzung vom 10. Dezember 1958, Version Miller S. 105 f.)
Lacan bezieht sich vermutlich auf: Jacques Damourette, Édouard Pichon: Des mots à la pensée. Essai de grammaire de la langue française. 8 Bde. D’Artrey, Paris 1927–1956 (Nachdruck Slatkine, Genf 1968–1983).
Vielleicht eine Anspielung auf den Nationalismus von Pichon (Linguist und Psychoanalytiker), der, als Anhänger von Maurras, politisch zur extremen Rechten gehörte.
Vgl. S. Freud: Massenpsychologie und Ich-Analyse (1921). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 9. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 61–134, hier: S. 95. Ders.: Das Unbehagen in der Kultur (1930). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 9. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 191–270, hier: S. 242 f.
So zuerst in Seminar 4, Sitzung vom 28. November 1956; Version Miller/Gondek S. 42 f.
Vgl. Kant, Kritik der reinen Vernunft, A 228 f.
Kant entwickelt hier das dritte Postulat des empirischen Denkens, wonach gilt: das, dessen „Zusammenhang mit dem Wirklichen nach allgemeinen Bedingungen der Erfahrung bestimmt ist, (existiert) notwendig“.
Kant erläutert die vier Formeln so: In mundo non datur casus: „nichts geschieht durch ein blindes Ohngefähr“; non datur fatum: „keine Notwendigkeit in der Natur ist blinde, sondern bedingte, mithin verständliche Notwendigkeit“; in mundo non datur saltus: das „Prinzip der Kontinuität verbot in der Reihe der Erscheinungen (Veränderungen) allen Absprung“; non datur hiatus: das Prinzip der Kontinuität verbot aber auch „in dem Inbegriff aller empirischen Anschauungen im Raume alle Lücke oder Kluft zwischen zwei Erscheinungen“. (Die Einfügungen in Klammern sind von Kant.)
Vgl. S. Freud: Jenseits des Lustprinzips (1920). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 3. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 213–272, hier: S. 224–227.
Lacan bezieht sich hier und in den nächsten Sätzen auf die Tabelle des Nichts in Kants Kritik der reinen Vernunft, B 347 f. (vgl. auch B 209, B 267).
Allerdings spricht Kant vom nihil privativum (von dem durch Fehlen charakterisiertes Nichts), Lacan hingegen spricht hier und auch in einer späteren Sitzung dieses Seminars vom ens privativum (von dem durch Fehlen charakterisierten Seienden).
Kant entwickelt seine vier Begriffe des Nichts ausgehend von den vier Gruppen von Kategorien (Kategorien der Quantität, der Qualität, der Relation und der Modalität); jeder Gruppe entspricht eine bestimmte Art des Nichts.
– 1. Leerer Begriff ohne Gegenstand: ens rationis (auch „Gedankending“), ein Begriff, dem keine Anschauung entspricht, z.B. das Ding an sich.
(Entspricht den Kategorien der Quantität, vielleicht insofern, als keine der drei Quantitätskategorien – Einheit, Vielheit, Allheit – hier ins Spiel gebracht werden kann.)
– 2. Leerer Gegenstand eines Begriffs: nihil privativum, der Begriff vom Mangel eines Gegenstands, z.B. Kälte als Fehlen von Wärme, Schatten als Fehlen von Licht.
(Entspricht den Kategorien der Qualität, insofern das Nichts hier in einer Negation besteht; Negation ist eine Kategorie der Qualität.)
– 3. Leere Anschauung ohne Gegenstand: ens imaginarium, die Anschauungsformen Raum und Zeit.
(Entspricht den Kategorien der Relation, insofern das Nichts hier im Fehlen einer Substanz besteht; Substanz ist eine Kategorie der Relation.)
– 4. Leerer Gegenstand ohne Begriff: nihil negativum (auch „Unding“), der Gegenstand eines sich widersprüchlichen Begriffs, z.B. geradlinige Figur von zwei Seiten.
(Entspricht den Kategorien der Modalität, insofern das Nichts hier in einer Unmöglichkeit besteht; Unmöglichkeit ist eine Kategorie der Modalität.)Die Tabelle zu Kastration, Frustration und Privation hatte Lacan im Verlauf von Seminar 4 entwickelt (Die Objektbeziehungen, 1956/57). Vgl. diesen Blogartikel.
Anspielung auf die Formel „Was wirklich ist, ist auch möglich“. In der aristotelischen Metaphysik ist das Mögliche (dynamis) das, was unter bestimmten Bedingungen in das Wirkliche (energeia) übergeht, woraus sich umgekehrt ergibt, dass das Wirkliche auch möglich ist.
Lacan bezieht sich auf die Sitzungen vom 13. Dezember 1961 und vom 24. Januar 1962.
William Rowan Hamilton (1805–1865).
Tout-venant, wörtlich „alles kommend“: unsortierte Menge, große Masse. Der Ausdruck wird hier von Lacan für das verwendet, was gerade nicht alles ist, sondern nur einiges.
Tout valant (grob gesagt: „alles“) hier im Gegensatz zu tout venant (grob gesagt: „einiges“).
Das sogenannte expletive ne repräsentiert, Lacan zufolge, das Subjekt der Äußerung. Mit Pichon bezeichnet er es auch als „diskordantielles ne“. Vgl. zuerst Seminar 6, Sitzungen vom 3. und 10. Dezember 1958; Version Miller S. 96 f., 105 f. In Seminar 9 hatte Lacan sich hierauf bereits in der Sitzung vom 17. Januar 1962 bezogen.
Die Trias Privation – Frustration – Kastration wird von Lacan ausführlich in Seminar 4 von 1956/57 entwickelt, Die Objektbeziehung; vgl. diesen Blogartikel. In Seminar 9 hatte sich Lacan hierauf in den Sitzungen vom 17. Januar 1962 und vom 28. Februar 1962 bezogen.
Vgl. Seminar 6, Sitzungen vom 3. und 10. Dezember 1958; Version Miller S. 96 f., 105 f.– Vgl. auch J. Lacan: Subversion des Subjekts und Dialektik des Begehrens (geschrieben 1962). In: Ders.: Schriften. Band II. Vollständiger Text. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien u.a. 2015, S. 325–368, hier: S. 333 f.
Vgl. J.-P. Sartre: Das Sein und das Nichts (1943). Übersetzt von Hans Schöneberg und Traugott König. Rowohlt, Reinbek 1994, darin: Erster Teil: Das Problem des Nichts, Erstes Kapitel: Der Ursprung der Negation, I. Die Frage, II. Die Negationen.
Vgl. S. Freud: Die Ichspaltung im Abwehrvorgang (1940). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 3. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 389–394.
Das Torus-Diagramm veranschaulicht, dass das Subjekt wenn es die Kreise des Anspruchs durchlaufen hat (die dünnen lila Kreise um den „Schlauchumfang“), einen weiteren Kreis vollzogen hat, den es dabei gewissermaßen nicht mitgezählt hat: den Kreis des Begehrens (den Kreis um den Torus insgesamt, die dicke rote Linie, d für désir, „Begehren“).
Das bezieht sich vermutlich auf den Begriff des nihil privativum in Kants Kritik der reinen Vernunft, B 348; vgl. Sitzung vom 28. Februar 1962.
Vgl. den Begriff des Schematismus in Kants Kritik der reinen Vernunft („Von dem Schematismus der reinen Verstandesbegriffe“, B 176 ff.).
Lacan bezieht sich auf Parmenides’ Sentenz „To gar auto noein estin te kai einai“, „Dasselbe aber ist Denken und Sein“.
Vgl. Seminar 6, Sitzung vom 10. Dezember 1958; Version Miller S. 106.
Das bezieht sich auf den sogenannten „Graphen des Begehrens“, den Lacan in Seminar 5 von 1957/58, Die Objektbeziehung, und in Seminar 6 von 1958/59, Die Bildungen des Unbewussten, ausgearbeitet hatte.
Non-lieu (juristischer Terminus): Einstellung des Verfahrens.
Anspielung auf einen von Heinrich Heine in Die Bäder von Lucca (1830) erzählten Witz: Der Lotteriekollekteur Hirsch-Hyazinth sagt, „ich saß neben Salomon Rothschild, und er behandelte mich ganz wie seinesgleichen, ganz famillionär“.
Freud analysiert diesen Versprecher in Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten (1905). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 4. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 9-219, hier: 16 f., 20-23, 25, 47, 132-134.
Lacan hatte diesen Lapsus in Seminar 5 kommentiert (1957/58, Die Bildungen des Unbewussten), in den Sitzungen vom 6. bis zum 27. November 1957 (vgl. Version Miller/Gondek S. 24–27, 30–32, 38 f., 46–50, 59–64, 66, 79–82).
Anspielung auf einen von Freud analysierten Traum. Vgl. S. Freud: Die Traumdeutung (1900). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 2. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 416.
Lacan hat diesen Traum ausführlich analysiert in Seminar 6 von 1958/59, Das Begehren und seine Deutung, in den Sitzungen vom 26. November 1958, 10. Dezember 1958, 17. Dezember 1958, 7. Januar 1959 und 4. März 1959.
Vgl. Georges Courteline: Théodore cherche des allumettes. Einakter, Uraufführung Paris 1897. Text hier, Video hier.
Vgl. S. Freud: Bemerkungen über einen Fall von Zwangsneurose (1909). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 7. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 31-103, hier: S. 71.
Vgl. Lacan hierzu in Seminar 8, Sitzung vom 19. April 1961; Version Miller/Gondek S. 307 f.
Pas un mot à la reine mère ist der Titel eines Films von 1947, Regie: Maurice Cloche.
Lacan bezieht sich auf Freuds Bemerkung, der Kastrationskomplex – der Peniswunsch der Frau und der „männliche Protest“ des Mannes (die Weigerung, sich einem Vaterersatz zu unterwerfen) – sei vielleicht der „gewachsene Fels“, der von einer Analyse nicht bewältigen werden könne (vgl.: S. Freud: Die endliche und die unendliche Analyse (1937). In: Ders.: Studienausgabe. Schriften zur Behandlungstechnik. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 351–392, hier: 391 f.).
Eine Zeichnung mit M und C an allen vier Überschneidungspunkten findet man nicht in den Lacan-Ausgaben. Die Zuordnung von M und C zu den vier Überkreuzungsstellen ergibt sich aus Lacans Erläuterungen in den Seminaren 5 und 6 sowie aus den veröffentlichten Zeichnungen.
Vgl. Seminar 5, Version Miller/Gondek, S. 105, 179, 224, 235, 237, 261, 393, 608.
In Seminar 6 findet man die Bezeichnung der beiden Kreuzungspunkte mit M und C, dort sowohl für den elementaren, einstöckigen Graphen (vgl. Version Miller, S. 21), als auch bei der dritten Konstruktionsstufe des Graphen (dem mit dem Fragezeichen) (vgl. Version Miller, S. 163).
Vgl. Seminar 2, Version Miller/Metzger, S. 358–360, 389, 410.
Vgl. Sein und Zeit, etwa: § 54, „Das Problem der Bezeugung einer eigentlichen existenziellen Möglichkeit“ oder § 65, zum Tod als „eigenste Möglichkeit“.
Vgl. Seminar 11, Sitzung vom 4. März 1964, Version Miller/Haas S. 110.
Vgl. S. Freud: Die endliche und die unendliche Analyse (1937). In: Ders.: Studienausgabe, Schriften zur Behandlungstechnik. Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main 2000, S. 351–392.
Vgl. J. Lacan: Das Drängen des Buchstabens im Unbewussten oder die Vernunft seit Freud (1957). In: Ders.: Schriften. Band I.Vollständiger Text. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien 2016, S. 582–626.
Seminar 5, Sitzung vom 6. November 1957; Version Miller/Gondek, S. 19.
Vgl. R. Jakobson: Das Nullzeichen (1939). In: Ders.: Aufsätze zur Linguistik und Poetik. Ullstein, Frankfurt am Main u.a. 1979, S. 44–53.
Vgl. Seminar 17, Sitzung vom 10. Juni 1970, und die graphische Darstellung in J. Lacan: Radiophonie. Übersetzt von Hans-Joachim Metzger. In: Ders.: Radiophonie. Television. Quadriga, Weinheim u.a. 1988, S. 5–54, hier: S. 49.
Vgl. S. Freud: Massenpsychologie und Ich-Analyse (1921). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 9. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 61–134, S. 99 f.
Freud, Bemerkungen über einen Fall von Zwangsneurose, a.a.O., S. 71.
Vgl. Sitzung vom 19. April 1961; Version Miller/Gondek S. 307 f.
Die Lenkung der Kur (1960), Lagache-Aufsatz (1960), Subversion des Subjekts (1962).
S. Freud: Bemerkungen über einen Fall von Zwangsneurose (1909). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 7. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 31–103, hier: S. 35.
Vgl. Seminar 5, Sitzung vom 7. Mai 1958; Version Miller/Gondek S. 447.
Vgl. Seminar 8, Sitzung vom 19. April 1961, Version Miller/Gondek S. 305 f.
Lacan bezieht sich auf die Tabelle des Nichts in der Kritik der reinen Vernunft, B 348. Kant unterscheidet dort vier Arten des Nichts:
1. Leerer Begriff ohne Gegenstand (ens rationis), das „Gedankending“, das bloß „Erdichtung“ ist, aber logisch möglich ist.
2. Leerer Gegenstand eines Begriffs (nihil privativum); Kants Beispiel ist hier die Finsternis.
3. Leere Anschauung ohne Gegenstand (ens imaginarium): die Anschauungsformen, also Raum und Zeit.
4. Leerer Gegenstand ohne Begriff (nihil negativum), das „Unding“, das logisch unmöglich ist.Entes imaginaria sind die Anschauungsformen des Raumes und der Zeit – leere Formen, mit deren Hilfe die Anschauung (die Imagination) strukturiert wird.
Ein nihil negativum, ein „Unding“ ist eine in sich widersprüchliche Vorstellung, etwa die von einem Glas, das zugleich voll und leer ist, also eine Vorstellung, bei der einem Subjektbegriff ein Prädikat in derselben Hinsicht zugleich zu- und abgesprochen wird und damit der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch verletzt wird.
Hält man sich an Kants Definitionen, wäre der Kentaur nicht als être imaginaire, als ens imaginarium zu bezeichnen, sondern als ens rationis.
Seminar 9, Sitzung vom 11. April 1962, meine Übersetzung nach Version Staferla.
Vgl. S. Freud: Die Verneinung (1925). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 3. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 371–377.
Ein Meteor – nicht zu verwechseln mit einem Meteoriten – ist eine Himmelserscheinung, und dazu gehört auch der Hagel.
Gemeint ist Charles Sanders Peirce: Elements of logic. Hg. v. Charles Hartshorne u. Paul Wiss. Belknap Press of the Harvard University Press, Cambridge, Mass. 1932, 2. Aufl. 1960 (= Collected papers of Charles Sanders Peirce, Band 2.).
Aus diesem Band ist auch das Quadrantenschema, das Lacan früher in diesem Seminar vorgestellt hatte.
Lacans Ausarbeitung der Theorie von Metapher und Metonymie findet man in Das Drängen des Buchstabens oder die Vernunft seit Freud (a.a.O.), der Romvortrag hat den Titel Funktion und Feld des Sprechens und der Sprache in der Psychoanalyse (a.a.O.). Beide Texte wurden zuerst in der Zeitschrift La psychanalyse veröffentlicht, der Romvortrag im Jahr 1956, der Aufsatz über Metapher und Metonymie ein Jahr später.
Wenn man Heilige, Menschen und Leidenschaftliche durch drei konzentrische Kreise darstellt, bilden die Leidenschaftlichen den größten – den „äußersten“ – Kreis.
Gemeint sind die in diesem Seminar zuvor behandelten topologischen Flächen wie Torus und Kreuzhaube.
Das Kantische Schema vermittelt zwischen Anschauung und Begriff; vgl. in der Kritik der reinen Vernuft das Kapitel „Von dem Schematismus der reinen Verstandesbegriffe“, B 176 ff.
Serge Leclaire: Les éléments en jeu dans une psychanalyse, in: Les Cahiers pour l’analyse, n° 5, Le Seuil, Paris 1966, S. 7–40.
Vgl. S. Freud: Aus der Geschichte einer infantilen Neurose (1918). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 8. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 125–232, hier: S. 150.
Im Bericht über den Traum des Wolfsmanns heißt es: „Die Wölfe waren ganz weiß und sahen eher aus wie Füchse oder Schäferhunde, denn sie hatten große Schwänze wie Füchse und ihre Ohren waren aufgestellt wie bei den Hunden, wenn sie auf etwas passen.“ (A.a.O., S. 150).
Der Wolfsmann spricht davon, dass im Traum sechs oder sieben Wölfe saßen, und zeichnet einen Baum mit fünf Wölfen.
Unter Singularität versteht man in der Mathematik den Grenzfall einer stetigen Verformung, bei dem Struktureigenschaften des Objekts verloren gehen; das wäre hier der Übergang vom „inneren Kreis“ zum Punkt.
Freud: „Das aufmerksame Schauen, das im Traum den Wölfen zugeschrieben wird, ist vielmehr auf ihn [nämlich auf den Wolfsmann] zu schieben.“ (A.a.O., S. 154)
Der Patient träumte den Traum mit den Wölfen in der Nacht vor dem Weihnachtstag; der Traum ist die Wiederkehr des Verdrängten.
Lacan hatte sich in dieser Sitzung auf die islamische Mystik und auf hinduistische Praktiken bezogen.
Vgl. Seminar 9, Sitzung vom 17. Januar 1962, oben übersetzt.
Sartres Kritik der dialektischen Vernunft erschien 1960, also etwa zwei Jahre vor dem Identifizierungsseminar.
Vgl. Claude Lévi-Strauss: Das wilde Denken (1962). Suhrkamp, Frankfurt am Main 1973, Kapitel IX, „Geschichte und Dialektik“; Lévi-Strauss setzt sich hier mit Sartres Kritik der dialektischen Vernunft auseinander.
Vgl. Aus der Geschichte einer infantilen Neurose, a.a.O., S. 154 f.
Gemeint ist die dritte Identifizierung im Kapitel „Die Identifizierung“ von S. Freud: Massenpsychologie und Ich-Analyse (1921). In.: Ders.: Studienausgabe, Bd. 9. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 61–134, hier: S. 100.
Anspielung auf den sogenannten Graphen des Begehrens, den Lacan in den Seminaren 5 und 6 ausgearbeitet hatte.
Lacan bezieht sich hier auf die Dreiheit von Privation, Kastration und Frustration, die er in Seminar 4 von 1956/57, Die Objektbeziehung, eingeführt hatte. Vgl. hierzu diesen Blogartikel.
Lacan verwechselt hier, denke ich, den Gegensatz von Phasis und Lexis mit dem von universaler und partikulärer Aussage.
Lacan beschreibt hier faktisch den Gegensatz von universaler und partikulärer Aussage. In der universalen Aussage wird beispielsweise gesagt, dass jeder Strich senkrecht ist („Alle Striche sind senkrecht“), in der partikulären Aussage wird gesagt, dass es senkrechte Striche geben kann („Einige Striche sind senkrechte“), was impliziert, dass möglicherweise einige Striche nicht senkrecht sind.
Gemeint ist das griechische Wort pas, „alle“. Pas ist das Maskulinum, im Neutrum heißt „alle“ pan.
Das griechische Verb pasasthai meint „erwerben“, „besitzen“.
Das lateinische Verb possidere bedeutet „besitzen“; possum meint „ich besitze“.
Vgl. Claude Lévi-Strauss: Das wilde Denken (1962). Übersetzt von Hans Naumann. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1973, Kapitel II, „Die Logik der totemistischen Klassifikationen“.
Bei den letzten drei Sätzen folge ich Version rue CB auf der Seite gaogoa.free.fr.
Mit der Platon’schen Logik, die der „wilden“ Logik näher ist als der aristotelischen Logik, ist die Dihairesis gemeint, die Platon im Sophistes vorführt.
Der Satz vom ausgeschlossenen Dritten besagt, dass eine Aussage entweder wahr oder nicht wahr ist und dass es keine dritte Möglichkeit gibt (etwa „halb wahr“ oder „unbekannt“). In De interpretatione problematisiert Aristoteles diesen Satz, bezogen auf Aussagen, die sich auf die Zukunft beziehen. Zu den modernen Kritikern des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten gehört Luitzen Brouwer, der Begründer des Intuitionismus.
Lacan sagt colloquialité, ein Neologismus, der auf das lateinische Verb colloquor zurückgeht, „reden mit“, „sich unterhalten“. Die Bedeutung ist also in etwa „Umgangssprachlichkeit“.
Der Satz „Alles, was glänzt, ist kein Gold“ ist im Original deutsch.
Im Original auf Deutsch. Die übliche Formulierung ist: „Es ist nicht alles Gold, was glänzt.“
Anders formuliert: Meint „Nicht alles, was glänzt, ist Gold“ dasselbe wie „Einiges, was glänzt, ist kein Gold“. Zum Verhältnis von „nicht alle“ und „einige“ hatte Lacan sich zuerst in der Sitzung vom 17. Januar 1962 geäußert.