Lacans Formeln
Die Diskursterme S1, S2, a, $, am Beispiel von Freuds Vergessen des Namens Signorelli
Luca Signorelli: Predigt und Taten des Antichristen. Fresko, 1500, Dom von Orvieto, Italien
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In Seminar 17, Die Kehrseite der Psychoanalyse (1969/70), entwickelt Lacan das Schema der vier Diskurse. Im Folgenden erläutere ich zunächst die darin verwendeten Terme. Ich illustriere sie dann an einem Beispiel, an Freuds Vergessen des Eigennamens „Signorelli“, genauer: an einer von Lacans Deutungen von Freuds Vergessen, der aus Seminar 12, Schlüsselprobleme für die Psychoanalyse (1964/65).
Die Terme
Ein Diskurs besteht aus vier Plätzen mit vier Elementen, vier „Termen“, wie Lacan sagt; die Vierzahl der Diskurse ergibt sich dadurch, dass die Terme auf den Plätzen rotieren.1
Die vier Elemente sind:
S1: Herrensignifikant
S2: Wissen
a: Objekt a bzw. Mehrlust
$: Subjekt
Ich ändere die von Lacan verwendete Reihenfolge der Diskurselemente, damit die Beziehungen zwischen ihnen leichter nachzuvollziehen sind, und stelle Beziehungen zu Freud her sowie zu einem älteren Schema von Lacan, dem Graphen des Begehrens.2
S2: Wissen
In dem Kürzel S2 – also S Index 2 – steht der Buchstabe S für „Signifikant“. Das Symbol S2 repräsentiert das „Wissen“ (savoir). Unter „Wissen“ versteht Lacan die Beziehungen zwischen Signifikanten; im einfachsten Fall ist dies ein Signifikantenpaar. S2 kann deshalb auch so gelesen werden: das Signifikantenpaar. Die Beziehung zwischen den Signifikanten ist gleichzeitig, also synchron („Signifikantenbatterie“) oder zeitlich nacheinander, also diachron („Signifikantenkette“).
Bezogen auf das Feld der Psychoanalyse steht S2 für das Unbewusste. Das Unbewusste „ist ein Wissen, von dem das Subjekt nichts weiß„3, sagt Lacan. Es ist eine Verbindung von Signifikanten – in Freuds Begrifflichkeit: eine Verknüpfung von unbewussten Vorstellungen –, wobei die Verbindung auf phonetischer Ähnlichkeit beruht (vgl. diesen Blogartikel).4
Fasst man S2 als synchrone Menge von Signifikanten auf, wird S2 im Graphen des Begehrens durch die Batterie der Signifikanten an den beiden rechten Schnittpunkten repräsentiert; der Schnittpunkt unten rechts (A) repräsentiert das Vokabular des bewussten Sprechens, der Schnittpunkt oben rechts ($ ◊ D) das Vokabular des Unbewussten.5
Versteht man S2 als diachrone Kette, entsprechen dem Wissen die Pfeillinien, die von links nach rechts durch die beiden Kreuzungspunkte laufen; in der unteren Etage des Graphen führt diese Linie, für den bewussten Anspruch, von „Signifikant“ bis „Stimme“, in der oberen Etage, für den unbewussten Liebesanspruch, von „Genießen“ bis „Kastration“.
In der synchronen Achse vollzieht sich im unbewussten Wissen die Ersetzung von Signifikanten, von Lacan „Metapher“ genannt, sie erzeugt eine neue Bedeutung. In der diachronen Kette wird die Bedeutung beständig verschoben; Lacan spricht von „Metonymie“.6
S2 oder „Wissen“ meint also: Signifikanten beziehen sich auf Signifikanten. Da jeder Signifikant sich auf weitere Signifikanten bezieht, hat dies zur Folge, dass es keine stabile Bedeutung gibt, kein bestimmtes Signifikat. Man denke an die frustrierende Erfahrung, die man machen kann, wenn man in einem Lexikon etwas nachschlägt. Man beginnt mit einem Begriff, den man nicht versteht, d..h. mit einem Signifikanten. Von hier aus wird man von Eintrag zu Eintrag weitergeschickt, von Signifikant zu Signifikant. Ohne Ende. Das heißt praktisch: Zur Psychoanalyse geht man, um sich darüber klar zu werden, was man einen eigentlich umtreibt. Hierzu erkunden man das Feld des Unbewussten – und wird von Signifikant zu Signifikant zu Signifikant verwiesen. Es gibt keine Möglichkeit, sich darüber klar zu werden, was man letztlich will.
S1: Herrensignifikant
Auch in dem Symbol S1 steht das S für „Signifikant“. Ein S1 oder Herrensignifikant (signifiant maître) ist ein Signifikant, die die Funktion hat, die Verweisung von Signifikant auf Signifikant auf Signifikant zu einem Halt zu bringen. Ein Beispiel für Herrensignifikanten in der politischen Sphäre sind Termini wie „Freiheit“, „Volk“ oder „Terrorismus“. Sie dienen als letzte Bezugspunkte, und sie erfüllen diese Funktion als Signifikanten, nicht als Signifikate – die Bedeutung dieser Begriffe ist bekanntlich offen und umstritten.
Genauer gesagt: Signifikanten wie „Freiheit“ usw. haben durchaus Signifikate, wir verbinden sie mit einem Sinn. In dem Maße jedoch, indem sie die Funktion von Herrensignifikanten erfüllen, entleert sich ihre Bedeutung; in dem Maße, in dem sie an Bedeutung gewinnen, misslingt es ihnen, die Verweisungsbewegung zu einem Halt zu bringen.
Im Feld der Psychoanalyse geht es beim Herrensignifikanten um das Ichideal (idéal du moi), das als Ergebnis einer bestimmten Form der Identifizierung aufgefasst wird, der symbolischen Identifizierung. Den Begriff des Ichideals übernimmt Lacan von Freud; anders als dieser unterscheidet er es vom Ideal-Ich (moi idéal) und vom Über-Ich (surmoi).7 In früheren Arbeiten hatte Lacan für das Ichideal die Zeichenfolge I(A) verwendet.8 Eine erste Version des Konzepts des Herrensignifikanten ist der Begriff des Polsterstichs oder Stepppunkts, den Lacan in Seminar 3 eingeführt hatte (Die Psychosen, 1955/56).9
Der Herrensignifikant, um den es im Feld der Psychoanalyse letztlich geht, ist der Name-des-Vaters10, die Identifizierung mit dem Vater qua Repräsentant des Inzestverbots.
Mehr über S1 als Symbol für das Ichideal bzw. die symbolische Identifizierung findet man in diesem Blogartikel.
Im Graphen des Begehrens wird das Ichideal durch I(A) am Endpunkt unten links repräsentiert:Lacan unterscheidet also zwei Funktionsweisen von Signifikanten: Wissen und Herrensignifikant. Als Wissen funktionieren Signifikanten, wenn sie sich mit anderen Signifikanten vernetzen. Diese Verweisungsbewegung führt zur Instabilität der Bedeutung. Herrensignifikanten sind Signifikanten dann, wenn sie diese Dynamik zu einem Halt bringen.
$: Subjekt
Das Symbol $ repräsentiert das Subjekt, auf das sich die Psychoanalyse bezieht, d..h. das Subjekt, das sich dadurch auszeichnet, dass es ein Unbewusstes hat. Der Grundgedanke ist doppelt: Die Tatsache, dass das Subjekt ein Unbewusstes hat, beruht auf der Einwirkung der Sprache, „des Signifikanten“, wie Lacan häufig sagt. Jedoch: Das Subjekt kann von Signifikanten nicht erfasst werden.
Das Symbol $ hat mehrere Bedeutungen:
– das von der Sprache geprägte Subjekt;
– das ausgesperrte Subjekt;
– das gespaltene Subjekt;
– der Seinsmangel;
– das Subjekt im Verschwinden.
Wenn man den Zusammenhang dieser Bestimmungen verfolgt, erschließt sich der Gedanke, dass das Subjekt von der Sprache determiniert ist, dass es aber keinen Signifikanten des Subjekts gibt.
Das von der Sprache geprägte Subjekt
Die Tatsache, dass es Subjekte gibt, die ein Unbewusstes haben, ist auf die Einwirkung der Sprache zurückzuführen, auf der Determination durch „den Signifikanten“. Diese Determination durch die Sprache – diese „Markierung“, wie Lacan auch sagt – ist nichts Hinzukommendes. Gäbe es nicht die Determination durch die Sprache, gäbe es auch kein Subjekt im Sinne der Psychoanalyse, kein Subjekt mit einem Unbewussten. Dieses Subjekt wird durch die Sprache nicht einfach determiniert, es wird durch die Determination durch die Sprache überhaupt erst gebildet, hervorgebracht, konstituiert.
Diese These wird durch das Symbol $ veranschaulicht, zu lesen als S barré, „durchgestrichenes S“.11 Der Buchstabe S steht hier für sujet, „Subjekt“ im Sinne des vorsprachlichen oder außersprachlichen Subjekts. Der Schrägstrich (der hier aus technischen Gründen als senkrechter Strich dargestellt wird) symbolisiert den Signifikanten. Die Durchstreichung des S veranschaulicht die Einwirkung der Sprache auf das vorsprachliche Subjekt, die Markierung.
Das ausgesperrte Subjekt
Meist liest Lacan das Symbol $ als sujet barré.12 Das Verb barrer meint „sperren“, „absperren“, „aussperren“ sowie „streichen“, „ausstreichen“, „durchstreichen“. In Seminar 14 von 1966/67, Die Logik des Phantasmas, erläutert Lacan den Ausdruck so:
„Ich erinnere daran, was das $ bedeutet: das durchgestrichene S [le S barré] repräsentiert, vertritt in dieser Formel das, worum es sich bei der Spaltung des Subjekts dreht, die sich am Ursprung der gesamten Freud’schen Entdeckung findet und die darin besteht, dass das Subjekt von dem, wodurch es als Funktion des Unbewussten eigentlich konstituiert wird, zum Teil ausgesperrt [barré] ist.“13
Lacan spielt mit dem Doppelsinn von barré als „durchgestrichen“ und als „ausgesperrt“. Der Buchstabe S ist barré im Sinne von „durchgestrichen“. Dieses Symbol steht für das Subjekt, insofern es barré ist, im Sinne von „ausgesperrt“ – von dem, wodurch es, in Abhängigkeit vom Unbewussten, konstituiert wird. Dieser Doppelsinn lässt sich, soweit ich sehe, im Deutschen nicht nachbilden; die beste Übersetzung für sujet barré ist deshalb wohl „ausgesperrtes Subjekt“ oder „versperrtes Subjekt“.
Freud schreibt in Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten:
„Das Vergessen von Eindrücken, Szenen, Erlebnissen reduziert sich zumeist auf eine ‚Absperrung‘ derselben. Wenn der Patient von diesem ‚Vergessenen‘ spricht, versäumt er selten, hinzuzufügen: das habe ich eigentlich immer gewußt, nur nicht daran gedacht.“22
Das sujet barré ist, so könnte man mit Freud auch übersetzen, das „abgesperrte Subjekt“.
Das gespaltene Subjekt
Dadurch, dass das Subjekt von einem konstituierenden Teil von sich ausgesperrt ist, ist es ein gespaltenes Subjekt – gespalten zwischen dem Teil von ihm, zu dem es, aufgrund der Wirksamkeit des Unbewussten, keinen Zugang hat, und dem Teil, der ihm zugänglich ist. Das Symbol $ meint deshalb auch die „Subjektspaltung“ (refente du sujet, division du sujet) bzw. das „gespaltene Subjekt“ (sujet divisé).14
Lacan begreift die Spaltung des Subjekts häufig als die zwischen Ausgesagtem (énoncé) und der Äußerung (énonciation). Das Ausgesagte (énoncé) ist das am Sinn orientierten Sprechen, das der Sprecher zu kontrollieren glaubt und das unter der Herrschaft des Ichideals steht. Unter der Äußerung (énonciation) versteht Lacan das „Sprechen“ des Unbewussten in Symptomen, Träumen, Versprechern, Fehlleistungen, worin das Subjekt versucht, das wiederzufinden, was es durch die Einwirkung der Sprache verloren hat. Die Äußerung ist den Mechanismen von Verdichtung und Verschiebung unterworfen, in Lacans Begrifflichkeit: von Metapher und Metonymie.
Die Unterscheidung von Ausgesagtem und Äußerung wird von Lacan in Seminar 6 von 1958/59, Das Begehren und seine Deutung, eingeführt und dort auf die beiden Linien des Anspruchs im Grafen des Begehrens bezogen; die untere steht für das Ausgesagte, die obere für die Äußerung.15 In Seminar 7 von 1959/60, Die Ethik der Psychoanalyse, bezieht Lacan die Opposition von Ausgesagtem und Äußerung ausdrücklich auf die Subjektspaltung.16 In den Écrits bezieht Lacan sich auf die Opposition Aussage/Äußerung zuerst im Lagache-Aufsatz, der 1960 geschrieben wurde.17
Für die Unterscheidung von énoncé und énonciation hat Lacan sich von Roman Jakobson und Émile Benveniste anregen lassen: In Seminar 6 referiert er bei der Erläuterung des Unterschieds von énoncé und énonciation, ohne Jakobson zu erwähnen, dessen Analyse der indirekten Rede, die sich wiederum auf eine Arbeit von Benveniste bezieht.18
Der Seinsmangel
Das Subjekt ist weder Ichideal noch Unbewusstes, weder S1 noch S2. Es ist auch nicht der Ort, an dem das synchrone System der unbewussten Signifikanten versammelt ist, anders gesagt, das Subjekt ist nicht das „sujet-supposé-savoir“, nicht das dem Wissen unterstellte Subjekt19; der Ort, an dem die Signifikanten versammelt sind, ist für Lacan nicht das Subjekt, sondern „der Andere“. Es ist genausowenig der Agent, der die unbewussten Gedanken denkt. Und es ist auch nicht das, was von diesen Gedanken gedacht wird.
Das Subjekt ist vielmehr der durch die Signifikanteneinwirkung hervorgerufene Verlust, ein Begehren, ein Mangel: manque d’être (Seinsmangel), wie Lacan ab 1955 zunächst mit Sartre sagt20, manque-à-être, wie er es ab 1957 nennt.21 „Manque-à-être“ wird oft mit „Seinsverfehlen“ übersetzt; das ist irreführend, es geht nicht um eine moralische Verfehlung und auch nicht darum, dass das Subjekt etwas verfehlt, sondern darum, dass dem Subjekt etwas fehlt, um einen „Mangel-zu-sein“ (in manque d’être ist „être“ ein Substantiv, in manque-à-être ein Verb). In Freuds Terminologie: das Subjekt ist ein „Objektverlust“, der letztlich eine „Unbefriedigung“ ist, ein „Anwachsen der Bedürfnisspannung“.22 Dieser Verlust ist ein Verlust auf der Ebene der „Bedürfnisse“, wie Lacan zunächst sagt23, auf der Ebene des „Genießens“ (jouissance), wie er es später nennt, d..h. ein Verlust auf der Ebene der körperlichen Erregungen jenseits des Lustprinzips.
Den entscheidenden Verlust hat das Subjekt auf der Ebene der Sexualität erlitten; hierauf bezieht sich, in Lacans Deutung, der Begriff der Kastration.
Das verschwindende Subjekt
Wenn das Subjekt letztlich ein durch die Sprache herbeigeführter Verlust ist, und wenn der psychoanalytische Zugang des Subjekts zu sich selbst auf dem Weg über die Sprache erfolgt, wie kann das Subjekt sich dann auf der symbolischen Ebene als Verlust erfahren? Lacans Antwortet lautet: indem es die Erfahrung macht, dass es keinen Signifikanten des Subjekts gibt. Er nennt dies das „Verschwinden des Subjekts“ oder „die Aphanisis des Subjekts“ oder „das Fading des Subjekts“ (aphanisis ist der griechische Ausdruck für „Verschwinden“, das englische Wort fading meint ebenfalls „Verschwinden“). Das Subjekt ist auf der symbolischen Ebene zwar repräsentiert, vor allem durch Identifikationen (S1), aber in all diesen Repräsentationen ist es entfremdet. Diese Entfremdung ist normalerweise durch eine Täuschung unzugänglich; sie ist jedoch erfahrbar; diese Erfahrung ist, falls ich Lacan richtig verstanden habe, traumatisch; und diese traumatische Erfahrung des Verschwindens auf der symbolischen Ebene ist die „Aphanisis“ des Subjekts, das „Verschwinden“ des Subjekts.24 Das Subjekt ist das Fehlen eines Signifikanten (vgl. diesen und diesen Blogartikel).
+
Insgesamt kann man das Symbol $ so lesen: Die Durchstreichung des S symbolisiert, dass das Subjekt vom Signifikanten markiert ist – das S steht für das Subjekt, der Strich für den Signifikanten und die Durchstreichung des S für die Markierung des Subjekts durch den Signifikanten. Die Markierung durch den Signifikanten hat zur Folge, dass das Subjekt ein sujet barré ist, ein ausgesperrtes oder abgesperrtes Subjekt, ein Subjekt, das zu einem Teil von sich keinen Zugang hat, zu dem Teil, durch den es konstituiert wird, „Unbewusstes“ genannt. Und dies heißt nichts anderes, als dass es ein gespaltenes Subjekt ist, gespalten zwischen dem Teil, zu dem es einen Zugang hat, und dem, von dem es ausgesperrt ist. Die Determination durch die Sprache führt zu einem Verlust, einem Seinsmangel. Das Subjekt erfährt diesen Verlust als Fehlen eines Signifikanten, der das Subjekt repräsentiert, als „Verschwinden (Aphanisis, Fading) des Subjekts“.
Im Graphen des Begehrens findet man das Symbol $ an drei Positionen: unten rechts am Beginn der großen hufeisenförmigen Linie, am Schnittpunkt oben rechts als Bestandteil der Formel ($◊D) und oben links in der Formel ($◊a).
Das $ unten rechts besagt: Ergebnis der Einprägung der Sprache (dargestellt von der unteren Etage des Graphen) ist das von der Sprache geprägte Subjekt. Die obere Etage stellt dar, dass das Subjekt zwei Möglichkeiten hat, sich jenseits der Unterordnung unter die Sprache in seiner Einzigartigkeit wiederzufinden: die Regression auf bestimmte Triebansprüche ($◊D) und das Phantasma ($◊a). In beiden Formeln steht das Symbol $ für „das Subjekt im Verschwinden“.
a: Objekt a bzw. Mehrlust
Das Subjekt ist also ein Wesen, dem etwa fehlt. Wie kann es sich als ein solches erfassen? Dazu benötigt es einen Repräsentanten für das, was ihm fehlt. Dieser Repräsentant des Fehlenden heißt bei Lacan Objekt a.
Unter dem Objekt a versteht er das Partialobjekt, ein Konzept, das auf Karl Abraham und Melanie Klein zurückgeht. Abraham spricht 1924 von der „Partialliebe“, die sich auf einen „Teil des Objektes“ richtet, auf einen „einzelnen Körperteil“, auf die Brust, den Kot oder den Penis.25 Für diesen Körperteil, sofern er libidinös oder aggressiv besetzt ist, prägt Klein 1935 den Terminus „partial object“, also „Teilobjekt“, wie der Ausdruck meist übersetzt wird, oder „Partialobjekt“.26 Ein Anknüpfungspunkt bei Freud ist dessen Konzept der „symbolischen Gleichung“ zwischen Kind, Kot und Penis.27
Lacan deutet die Partialobjekte als Symbole für das durch die Sprache verlorene Genießen, letztlich als Kastrationsmetaphern, und er erweitert die Liste der klassischen Partialobjekte um den Blick und die Stimme.28 Entscheidend an diesen Objekten ist für ihn nicht ihre Partialität, sondern dass es sich um Objekte handelt, von denen das Subjekt sich getrennt hat, die also verloren sind und die aus diesem Grunde als Symbole für die Kastration dienen können. Sie stiften dazu an, das Verlorene wiederzugewinnen und fungieren damit als Ursachen des Begehrens.
Diese Objekte sind keine Signifikanten; sie manifestieren sich im Sprechen vor allem in Affekten, am deutlichsten in der Angst.
Ab Seminar 16 bezeichnet Lacan das Objekt a auch als „Mehrlust“, und zwar mit diesem deutschen Wort.29 Unter „Mehrlust“ versteht er den durch die Einwirkung der Sprache hervorgerufenen Genussverlust, der durch einen Lustgewinn repräsentiert wird.
Mit „Mehrlust“ übersetzt er Freuds Ausdruck „Lustgewinn“. 30 Der mit dem Symptom verbundene Lustgewinn ist, in Freuds Terminologie, eine „Ersatzbefriedigung“ 31 für den verdrängten Trieb; der kleine Gewinn repräsentiert den großen Verlust. Marx begreift den „Gewinn“ als Erscheinungsform des „Mehrwerts“, und den Mehrwert (in Lacans Rekonstruktion) als doppelten Verlust: als den Wert, den der Arbeiter verliert und der vom Kapitalisten angeeignet wird (da er den Wert der Arbeitskraft bezahlt, nicht den vom Arbeiter geschaffene Wert), aber auch als Wert, der dem Kapitalisten zum größten Teil verloren geht, da er ihn reinvestieren muss. Also repräsentiert der Mehrwert (sagt Lacan) den Verzicht auf das volle Genießen, den Genussverlust. Der Gewinn ist Verlust.
„Mehrwert“ heißt auf französisch plus-value; Lacan übersetzt deshalb den von ihm selbst erfundenen deutschen Terminus „Mehrlust“ mit plus-de-jouir.32
Im Graphen erscheint das Objekt a an zwei Stellen: in der unteren Etage als „Stimme“ am Ende der unteren Signifikanten-Querlinie, in der oberen als Bestandteil der Formel des Phantasmas ($ ◊ a).
Das Begehren ist die Strebung, die darauf aus ist, das verlorene Genießen wiederzugewinnen. Als ich klein war, schrieb man sich diesen Spruch von Christian Fürchtegott Gellert ins Poesiealbum: „Genieße, was dir Gott beschieden, / entbehre gern, was du nicht hast. / Ein jeder Stand hat seinen Frieden, / ein jeder Stand hat seine Last.“ Anders gesagt: Nur nicht begehren!
Beziehungen
Begreift man S1 als Symbol für die Identifizierung mit dem „einzigen Zug„und a als Symbol für das verlorene Objekt, ist die Beziehung zwischen S1 und a die zwischen Identifizierung mit dem einzigen Zug und verlorenem Objekt. Freud zufolge beruht das neurotische Symptom darauf, dass die Identifizierung mit einem einzigen Zug an die Stelle der Objektwahl tritt33, sie ist also die Kehrseite des Objektverlusts, der Konstituierung des verlorenen Objekts (mit dem sich das Subjekt dann wiederum identifizieren kann). Die Verbindung zwischen den vier Termen kann deshalb unter anderem so gelesen werden, dass die Subjektspaltung ($) darin besteht, dass die Identifizierung mit dem einzigen Zug (S1) einhergeht mit der Herausbildung des Unbewussten (S2) und mit der phantasmatischen Bindung an ein verlorenes Objekt (a), mit dem das Subjekt sich wiederum identifizieren kann.
Zusammen
Um es als Geschichte zu erzählen: Die Sprache wirkt auf das kleine Menschenwesen ein, das noch nicht sprechen kann. Dabei prägt sie sich primär von der Lautseite her ein, als Signifikanten, aus denen sekundär Bedeutungen gebildet werden, Signifikate. Die Sprache wirkt auf zwei Weisen ein: in Gestalt phonetisch miteinander vernetzter Signifikanten (S2), das führt zur Herausbildung des Unbewussten als Signifikantenapparat, und außerdem in Gestalt von Signifikanten, die eine Stopp-Funktion haben (S1), das entspricht der symbolischen Identifizierung und damit der Herausbildung des Ichideals. Das Ergebnis ist das, was Lacan in Seminar 11 „Entfremdung“ nennt: das Subjekt ist in den Signifikanten entfremdet.
Aber nicht nur, daneben gibt es die „Trennung“ von der Signifikantenkette durch die Beziehung zum Objekt a.34 Die Signifikanten wirken auf den Körper ein: nicht auf den biologischen Körper, sondern auf den Körper als Sitz von „Erregungen“, wie Freud sich ausdrückt, der jouissance, wie Lacan sagt, der Lust, des Genießens. Die Einwirkung der Signifikanten auf den Körper führt zu einem Genuss-Verlust; das Subjekt ($) ist nichts anderes als dieser Verlust. Der entscheidende Verlust betrifft die Sexualität; hierauf bezieht sich der Begriff der Kastration. In den Objekten a findet das Subjekt Repräsentanten des (unwiederbringlichen) Verlusts; dies ermöglicht es ihm, zu begehren und darüber hinaus einen bescheidenen Ersatz für das verlorene Genießen zu realisieren, die „Ersatzbefriedigungen“, wie Freud sagt (vgl. etwa: S. Freud: Das Unbehagen in der Kultur. In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 9. Fischer Taschenbuch Verlag Frankfurt am Main 2000, S. 191–270, hier: 237)
Die Konstruktion lässt sich durch Bezug auf Sartre verdeutlichen. Sartre schreibt:
„Ein Mangel setzt eine Dreiheit voraus: das, was mangelt, oder das Mangelnde [ce qui manque ou manquant], das, dem das Mangelnde mangelt, oder das Existierende, und eine Totalität, die durch den Mangel aufgelöst wurde und durch die Synthese des Mangelnden und der Existierenden wieder hergestellt würde: das Verfehlte.„35
Man muss Sartres Schema durch eine weitere Instanz ergänzen: das, was den Mangel hervorruft. Bei Lacan ist dies die Sprache, S1 und S2.
Das, was mangelt – das Mangelnde also – ist bei Lacan das Genießen. Im Objekt a findet das Mangelnde einen (illusionären) Repräsentanten. Das Mangelnde wird von Lacan also aufgespalten in das Mangelnde (das Genießen) und in dessen Symbol (das Partialobjekt).
Das, dem das Mangelnde mangelt oder das Existierende ist bei Lacan das Subjekt – das Subjekt als Seinsmangel.
Dies setzt eine Totalität voraus, die durch den Mangel aufgelöst wurde, bei Lacan ist dies die Koordination der Geschlechter durch das Imaginäre bei den nicht-sprechenden Tieren.
Der Vorstellung, dass die Totalität durch Synthese des Mangelnden und der Existierenden wieder hergestellt werden würde, entspricht bei Lacan das Phantasma.
Auch die Totalität wird von Lacan also aufgespalten: in die tatsächlich ursprünglich existierende Totalität und in das illusionäre Phantasma der Wiederherstellung der Einheit. (Womit sich die Frage aufdrängt, ob Lacans Auffassung von der Sexualität unter den nicht-menschlichen Tieren möglicherweise ein Phantasma ist.)
Freuds Vergessen des Eigennamens „Signorelli“
Zu den Gründungsereignissen der Psychoanalyse gehört Freuds Vergessen des Eigennamens „Signorelli“. 1898 hatte er hierüber einen Artikel veröffentlicht, Zum psychischen Mechanismus der Vergesslichkeit36, den er 1904, in überarbeiteter Form, in die Psychopathologie des Alltagslebens aufnahm.37 Bevor ich Lacans Rekonstruktion dieser Deutung darlege, muss ich die hierfür entscheidenden Punkte von Freuds Eigenanalyse referieren.
Ausgehend von Ragusa – dem heutigen Dubrovnik – unternimmt Freud eine Wagenfahrt nach einer benachbarten Stadt in der Herzegowina. Mit seinem Begleiter (einem Juristen, wie Freud-Historiker herausgefunden haben) spricht er über den Zustand von Bosnien und Herzegowina und über den Charakter ihrer Einwohner. Freud erzählt von den Eigentümlichkeiten der dort lebenden „Türken“ – der Muslime –, wie sie ihm von einem Kollegen geschildert worden waren. Anschließend kommt das Gespräch auf Italien und auf Bilder, und Freud empfiehlt seinem Reisegefährten, nach Orvieto zu fahren, um sich dort im Dom die Fresken vom Weltuntergang und vom jüngsten Gericht anzuschauen. An den Namen des Malers kann er sich jedoch nicht erinnern. Dabei sieht er die Bilder deutlich vor sich; besonders scharf steht vor seinen Augen das Selbstbildnis des Malers, das dieser auf einem der Fresken in einer Ecke untergebracht hatte, mit ernstem Gesicht und verschränkten Händen. Statt des richtigen Namens fallen Freud Ersatznamen ein: Botticelli, Boltraffio. Auch später kommt ihm der Name nicht in den Sinn, jemand muss ihm den Maler nennen: Signorelli.
Freud fragt sich, wie dieses Vergessen funktioniert. Zuvor hatte er seinem Reisegefährten erzählt, was er von dem erwähnten Kollegen über die bosnischen Muslime gehört hatte: Sie behandeln den Arzt mit besonderer Achtung, so hatte dieser berichtet, und sie fügen sich ergeben in den Tod. Wenn ein Arzt nicht helfen kann und ein Angehöriger stirbt, sagen sie: „Herr, was ist da zu sagen? Ich weiß, wenn er zu retten wäre, würdest du ihm helfen.“ Während dieses Gespräches war Freud durch den Kopf gegangen, dass der Kollege ihm außerdem berichtet hatte, welch überragende Bedeutung für die Bosnier der Sexualgenuss habe; die Mitteilung darüber hatte Freud jedoch bewusst unterdrückt.
Das Vergessen, so vermutet Freud, muss mit dieser Wertschätzung von Sexualität und Tod zu tun haben, denn diese beiden Themen hatten ihn kurz zuvor, als er sich an einem Ort namens Trafoi aufhielt und eine bestimmte Nachricht erhielt, stark beschäftigt. Der Eigenname ist verdrängt worden, so nimmt Freud an, und er rekonstruiert die Vorstellungen, die bei dieser Verdrängung im Spiel sind, sowie die Verbindungen zwischen ihnen. Er zeichnet dazu ein Diagramm, in dem er die lautlichen Beziehungen zwischen den beteiligten Vorstellungen hervorhebt.
Lacans Rekonstruktion von Freuds Vergessen
Lacan hat sich immer wieder zu Freuds Vergessen des Namens „Signorelli“ geäußert.38 Besonders ausführlich befasst er sich damit in Seminar 12 von 1964/65, Schlüsselprobleme für die Psychoanalyse; der Kontext ist hier die Frage nach der Funktionsweise von Eigennamen. Ich übersetze im Folgenden Lacans Re-Analyse aus Seminar 12 und ordne sie den vier Termen zu, die später in Seminar 17 auf den Diskursplätzen rotieren werden.39
Wörter mit Sternchen sind im Original deutsch, Einschübe in spitzen Klammern sind meine Ergänzungen.
S2: Wissen
Der Eigenname „Signorelli“ verschwindet in einem Loch, sagt Lacan.
„Was verschwindet bei diesem Vergessen, das man ‚Vergessen‘ nennt, Sie sehen hier gut, dass man von den ersten Schritten an seine Aufmerksamkeit immer auf die Bedeutung richten muss, denn sicherlich ist das kein Vergessen, vielmehr ist das Freudsche Vergessen eine Form der Erinnerung, sogar ihre genaueste Form, und da wäre es besser, Worten wie Vergessen* zu misstrauen. Sagen wir: ein Loch.
Was ist in diesem Loch verschwunden? Das sind Phoneme.“40
Das, was verschwunden ist, sind Phoneme, also nicht Signifikate, sondern Signifikanten ohne Signifikat.
Etwas später heißt es zur Ersetzung von „Signorelli“ durch „Botticelli“ und „Boltraffio“:
„Es stellt sich eine Metapher her, es stellen sich Ersetzungen her. Aber das ist eine ziemlich einzigartige Metapher, denn diese Metapher ist gerade das Gegenteil von derjenigen, deren Funktion ich für Sie artikuliert habe, die Funktion der Schöpfung von Sinn, von Bedeutung, <hier hingegen:> Ersetzungen von Lauten, von reinen Lauten, die sich einstellen.
Und warum bizarrerweise dieses Bo von Botticelli, ein Ausdruck, der so nahe bei Signorelli ist, so nahe, dass es sogar noch mehr davon gibt, als Freud gesagt hat. Es ist nicht nur das elli, das an der Oberfläche schwimmt, es ist auch das o von Signorelli-Boltraffio. Sicherlich wird hier der andere Teil durch Trafoi geliefert, aber es gibt auch dieses Bo, und Freud findet dieses Bo sofort, er weiß sehr gut, wo es herkommt, es kommt von einem anderen Paar von Eigennamen, nämlich von Bosnien-Herzegowina.“41
Dies ist, so denke ich, das unbewusste Wissen: die in Freuds Diagramm dargestellten Wörter „Botticelli“, „Bosnien“ usw., insofern sie Beziehungen der Verkettung und der Ersetzung eingehen, die auf phonetischen Ähnlichkeiten beruhen, insofern es sich also um Beziehungen zwischen Signifikanten handelt, S2.
S1: Herrensignifikant
Lacan fährt so fort:
„Und das Her von Herzegowina, was ist in dieser Geschichte dieses Herr*, dieses Herr*, um das sich also etwas dreht? Ist es nicht da, hier verlasse ich den Text, den Text von Freud, denn was ich Ihnen zeigen will, ist, dass sich hier alles so abspielt, als ob aufgrund der Akkomodation des Subjekts an das Herr* – das durch das Gespräch eine starke Erklärung findet und das das größte Gewicht erhält, indem daraus eine vertrauliche Mitteilung des einen Subjekts gegenüber dem anderen gemacht wird –, als ob das Bo irgendwo da seinen Platz gefunden hätte, an einer Randstelle.
Und was bezeichnet es, wenn nicht den Platz, wo das Herr*, sagt Freud (…).
Was Freud bei diesem ersten Tasten nicht sagt, weil er es noch nicht sehen, noch nicht artikulieren kann, weil der Begriff noch gar nicht ans Licht gekommen ist, weil er in der analytischen Theorie noch nicht voll aufgetaucht ist, was er nicht sieht, ist, dass die Verwirrung, um die es hier geht, wesentlich an die Identifizierung gebunden ist.
Dieser Herr*, um den es geht, und dieser Herr*, der hierbei sein ganzes Gewicht und seine ganze Schärfe bewahrt hat, der sich bei diesem einfachen kleinen Mann des Gesetzes nicht so weit gehen lassen will, es mit ärztlichen Vertraulichkeiten allzu weit zu treiben, das ist hier der Arzt. Der Herr*, das ist also Freud, der sich hier mit der Figur eines Arztes identifiziert, der einem anderen gegenüber vorsichtig ist.“42
Freud identifiziert sich mit der Figur des Arztes. Diese Identifizierung hat die Funktion, bestimmte Mitteilungen zu „unterdrücken“, wie Freud sagt, den Signifikantenfluss unter Kontrolle zu bringen. Der Signifikant „Her“ bzw. „Herr“ fungiert als Herrensignifikant, als S1.
$: Subjekt
Danach:
„Aber was verliert er hier? Er verliert hier als seinen Schatten, als sein Double das, was vielleicht nicht so sehr, wie der Text <von Freud> sagt, der Signor ist. Es heißt vielleicht, zu weit gehen, wie es in der Übersetzung immer geschieht, in der Richtung, zu geben (…). Was mich angeht, so käme ich vielleicht darauf, zu sehen, dass das o von Signor keineswegs verloren ist und in Boltraffio sogar verdoppelt wird und in diesem Botticelli, und ich käme darauf, zu denken, dass das Sig sowohl signans ist wie Sigmund Freud. Es ist der Platz seines Begehrens im eigentlichen Sinne, insofern er der wahre Platz seiner Identifizierung ist, die hier am Punkt des Skotoms verortet ist, dort, wo das Auge gewissermaßen einen blinden Fleck hat.“43
Der Signifikant, der verloren geht, ist nicht „Signorelli“, sondern „Sig“, und „Sig“ ist sowohl der Anfang des lateinischen Wortes „signans“ (Signifikant) als auch der Anfang von Freuds Vorname „Sigmund“. Das, was verloren geht, ist Freuds Eigenname.
In Seminar 12 entwickelt Lacan die folgende These über den Eigennamen: Der Eigenname ist eine spezielle Form der Identifizierung. Der Eigenname hat die Funktion, das Loch zu vernähen, welches darin besteht, dass es keinen Signifikanten des Subjekts gibt. Als Naht verweist der Eigenname aber auf das Loch, das er vernähen soll, auf das Subjekt als Fehlen eines Signifikanten (vgl. diesen Blogartikel).
Das Vergessen von „Signorelli“ ist die Aphanisis des Subjekts, das Subjekt als fehlender Signifikant, $.
a: Objekt a
Lacan fährt so fort:
„Und weil all das sehr viel mit dem zu tun hat, was ich Ihnen letztes Jahr hinsichtlich der Funktion des Blicks bei der Identifizierung in Erinnerung gerufen habe, übergehen Sie bitte nicht das, was im Text steht und was auch kraftvoll artikuliert wird und was nicht aufgelöst wird, nämlich dass Freud bemerkt, dass sich in mehreren Fällen, die er so aufgezeigt hat, etwas einstellt, was ganz und gar einzigartig ist.
Sogar in dem Augenblick, in dem es ihm nicht gelingt, den Namen dieses von ihm so bewunderten Signorelli wiederzufinden, was hört da nicht auf, lassen Sie mich meiner eigenen Rede vorgreifen, was hört da nicht auf, ihn ohne Unterlass anzuschauen? Ich sage ‚ich nehme vorweg‘, weil es nicht das ist, was Freud uns sagt. Er sagt uns, dass in diesem Moment, während der ganzen Zeit, in der er den Namen von Signorelli gesucht hat, bis er ihn schließlich wiedergefunden hat – jemand hat ihm diesen Namen gegeben, er hat ihn nicht selbst wiedergefunden –, dass also während dieser ganzen Zeit das Gesicht von Signorelli, der auf den Fresken von Orvieto dargestellt ist, irgendwo unten links und mit verschränkten Händen, dass das Gesicht von Signorelli nicht aufgehört hat, ihm gegenwärtig zu sein, mit besonderer Brillanz ausgestattet.“44
Als Kompensation für den fehlenden Namen von Signorelli fungiert der Blick von Signorelli. Als Objekt a fungiert hier der Blick.
Das entspricht der Struktur des Phantasmas, $ ◊ a.
– $, das Subjekt im Fading, im Verschwinden: das „Vergessen“ des Eigennamens Sig(norelli).
– a, der Blick als Objekt a: der Blick von Signorelli.
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- Das Subjekt als Fehlen eines Signifikanten
- Lacan über Mehrlust und Mehrwert (Übersetzung von Seminar 16, Sitzung vom 13. November 1968)
- Lacans Schema von Auge und Blick
- Jacques Lacan über den Eigennamen (II): Seminar 12
Anmerkungen
- Diagramm nach Seminar 17, Sitzung vom 11. Februar 1970; Version Miller, S. 79.
- Den Graphen des Begehrens hatte Lacan entwickelt in: Seminar 5 von 1957/58 (Die Bildungen des Unbewussten), Seminar 6 von 1958/59 (Das Begehren und seine Deutung), Subversion des Subjekts und Dialektik des Begehrens (Vortrag von 1960, geschrieben 1962, veröffentlicht 1966; zur Datierung vgl. den Hinweis von Jacques-Alain Miller in seiner Ausgabe von Seminar 5 von 1957/58, Die Bildungen des Unbewussten, Version Miller/Gondek, S. 602.).
- Seminar 16, Sitzung vom 25. Juni 1969; Version Miller, S. 400.
- Die Bezeichnung des Unbewussten als „Wissen“ findet man erstmals in Seminar 12 von 1964/65, Schlüsselprobleme für die Psychoanalyse (Sitzung vom 19. Mai 1965), die Zuordnung von S2 zu „Wissen“ zuerst in Seminar 16 von 1968/69, Von einem Anderen zum anderen. In Seminar 16 spricht Lacan vom „Wissen“ zuerst in der Sitzung vom 20. November 1968 (vgl. Version Miller, S. 39 ff.). Die Zeichenfolge S2 als Symbol für das Wissen wird von ihm erstmals in der Sitzung vom 27. November 1968 verwendet (vgl. Version Miller, S. 55).
- Abbildung des Graphen aus: J. Lacan: Subversion des Subjekts und Dialektik des Begehrens im Freud’schen Unbewussten. In: J. Lacan: Schriften. Band II. Vollständiger Text. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien u.a. 2015, S. 325–368, hier: S. 355.
- Vgl. Das Drängen des Buchstabens im Unbewußten oder die Vernunft seit Freud (1957). Übersetzt von Norbert Haas. In: J.L.: Schriften II. Hg. v. Norbert Haas. Walter-Verlag, Olten u.a. 1975, S. 15–55.
- Vgl. Freud: Das Ich und das Es (1923). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 3. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 273–330, v.a. Teil III „Das Ich und das Über-Ich (Ichideal)“, S. 296–306.
- Das Symbol S1 wird von Lacan erstmals in Seminar 17 als Kürzel für den Herrensignifikanten benutzt, in der Sitzung vom 18. Februar 1970 (vgl. Seminar 17, Version Miller, S. 101).
Das Kürzel I(A) findet man ab Seminar 5 von 1957/58, Die Bildungen des Unbewussten. - Vgl. den Hinweis auf diese Vorläuferschaft in Seminar 17, Sitzung vom 17. Juni 1970; Version Miller, S. 219.
- Vgl. Seminar 18, Über einen Diskurs der nicht vom Schein wäre, 1971, Sitzung vom 16. Juni 1971; Version Miller, S. 172 f.
- Diese Zuordnung findet man zuerst in Seminar 5 von 1957/58, Die Bildungen des Unbewussten. In der Sitzung vom 26. März 1958 wird das Zeichen $ vorgestellt und auf das Subjekt bezogen (Seminar 5, Version Miller/Gondek, S. 359, 369).
- Vom sujet barré spricht Lacan ebenfalls zuerst in Seminar 5, in der Sitzung vom 11. Juni 1958 (vgl. Version Miller/Gondek, S. 518, dort mit „versperrt“ übersetzt). Die ausdrückliche Zuordnung zwischen dem Symbol $ und dem sujet barré findet man zuerst, im selben Seminar, in der Sitzung vom 25. Juni 1958 (vgl. Version Miller/Gondek, S. 560, hier wird barré mit „gesperrt“ übersetzt.
- Seminar 14, Sitzung vom 16. November 1966, meine Übersetzung (RN) nach Version Staferla.
- In den Écrits findet man die Rede von der refente des Subjekts in fast allen klassischen Lacan-Aufsätzen: Die Ausrichtung der Kur, Die Bedeutung des Phallus, Subversion des Subjekts und Dialektik des Begehrens, Die Position des Unbewussten, Die Wissenschaft und die Wahrheit. Auf die Wendung division du sujet stößt man in den Écrits etwa in Subversion des Subjekts und Dialektik des Begehrens (Écrits, S. 825; Schriften II, S. 202, dort mit „Teilung des Subjekts“ übersetzt) sowie in Die Stellung des Unbewussten (Écrits, S. 840; Schriften II, S. 219, auch hier „Teilung des Subjekts“). Die Formulierung sujet divisé findet man in Die Bedeutung des Phallus (Écrits, S. 693; Schriften II, S. 129), in den Seminaren verwendet Lacan die Wortfolge sujet divisé erstmals in Seminar 12.
- Die Opposition von Ausgesagtem und Äußerung wird eingeführt in Seminar 6, in der Sitzung vom 3. Dezember 1958.
- Vgl. Seminar 7, Version Miller/Haas, S. 364.
- Vgl. Anmerkung zum Bericht von Daniel Lagache „Psychoanalyse und Struktur der Persönlichkeit“, in: Schriften. Band II. Vollständiger Text. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien 2015, S. 146–191, hier: S. 166; énoncé/énonciation wird hier mit „Ausgesagtes“/„Aussagen“ übersetzt.
- Vgl. J. Lacan, Seminar 6, Sitzung vom 14. Januar 1959; Version Miller, S. 165.
Lacan stützt sich hier auf Roman Jakobson: Shifters, verbal categories, and the Russian verb (1957). In: Ders.: Selected Writings, Vol. II: Word and Language. Den Haag: Mouton 1972. S. 130-147, in Internet hier; zur indirekten Rede vgl. S. 130 f.– Jakobson spricht von utterances (was bei Lacan den énonciations entspricht). Deutsche Übersetzung: R. Jakobson: Verschieber, Verbkategorien und das russische Verb. In: Ders.: Form und Sinn: Sprachwissenschaftliche Betrachtungen. Fink, München 1974, S. 35–54; utterance wird hier mit “Äußerung” übersetzt.
Jakobson bezieht er sich auf einen Aufsatz von Émile Benveniste, in dem Benveniste die Termini énoncé und énonciation verwendet (vgl. É. Benveniste: La nature des pronoms (1956). In: Ders.: Problèmes de linguistique générale. Tome 1. Gallimard, Paris 1966, S. 251–257); énoncé und énonciation findet man in Benvenistes Aufsatz auf S. 252. - Lacan verwendet den Terminus sujet-supposé-savoir erstmals in Seminar 9, in der Sitzung vom 15. November 1961.
- Den Terminus manque d’être verwendet Lacan zuerst in Seminar 2 von 1954/55, Das Ich in der Theorie Freuds und in der Technik der Psychoanalyse, in der Sitzung vom 19. Mai 1955; Version Miller/Metzger S. 283 f. In den Schriften wird dieser Ausdruck von Lacan nicht verwendet.
Die Quelle für manque d’être ist: Jean-Paul Sartre: Das Sein und das Nichts. Versuch einer phänomenologischen Ontologie (1943). Übersetzt von Hans Schöneberg und Traugott König. Rowohlt, Reinbek 1994, darin v.a. Teil 2, Kapitel 1, Teil 2: „Die Faktizität des Für-sich“. - In den Schriften verwendet Lacan manque-à-être zuerst in Das Drängen des Buchstaben im Unbewußten oder die Vernunft seit Freud (1957). Übersetzt von Norbert Haas. In: J.L.: Schriften II. Hg. v. Norbert Haas. Walter-Verlag, Olten u.a. 1975, S. 15–55, hier: S. 48. In den Seminaren findet man den Terminus zuerst in Seminar 5 von 1957/58, Die Bildungen des Unbewussten, Sitzung vom 18. Juni 1958; Version Miller/Gondek, S. 546 (an beiden Stellen mit „Seinsverfehlen“ übersetzt).
- Vgl. S. Freud: Hemmung, Symptom und Angst (1926). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 6. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 227–310, hier: S. 277 f.
- Von der „Modifikation“ der „Bedürfnisse“ durch die Sprache spricht Lacan in Seminar 5 von 1957/58, Die Bildungen des Unbewussten, und im Aufsatz Die Bedeutung des Phallus (Vortrag von 1958, veröffentlicht 1966).
- Zuerst in Seminar 6 von 1958/59, Das Begehren und seine Deutung und in Die Lenkung der Kur und die Prinzipien ihrer Macht (geschrieben 1960).
- Karl Abraham: Versuch einer Entwicklungsgeschichte der Libido, auf Grund der Psychoanalyse seelischer Störungen (1924). In: Ders.: Gesammelte Schriften in zwei Bänden. Hg. v. J. Cremerius. Bd. II. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1982, S. 32–102, darin vor allem der zweite Teil, Anfänge und Entwicklung der Objektliebe, S. 83–102.
- Melanie Klein: A contribution to the psychogenesis of manic-depressiv states. In: International Journal of Psycho-Analysis, 16. Jg. (1935), S. 145–174.– Dt.: Zur Psychogenese der manisch-depressiven Zustände. Übersetzt von Hans A. Thorner. In: Dies.: Das Seelenleben des Kleinkindes und andere Beiträge zur Psychoanalyse. Hg. von Hans A. Thorner. Klett-Cotta, Stuttgart 2. Aufl. 1983, S. 55–94. Den Ausdruck „Teilobjekt“ findet man auf hier den Seiten 58, 59, 63, 69, 88, 90, 91 und 92.
- Freud: „Ausgangspunkt dieser Erörterungen kann der Anschein werden, daß in den Produktionen des Unbewußten – Einfällen, Phantasien und Symptomen – die Begriffe Kot (Geld, Geschenk), Kind und Penis schlecht auseinandergehalten und leicht miteinander vertauscht werden.“ (S. Freud: Über Triebumsetzungen, insbesondere der Analerotik (1917). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 7. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 123–131, hier: 126) In einem späteren Aufsatz schreibt Freud: „Das Mädchen gleitet – man möchte sagen: längs einer symbolischen Gleichung – vom Penis auf das Kind hinüber, sein Ödipuskomplex gipfelt in dem lange festgehaltenen Wunsch, vom Vater ein Kind als Geschenk zu erhalten, ihm ein Kind zu gebären.“ (S. Freud: Der Untergang des Ödipuskomplexes (1924). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 5. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 243–252, hier: 250)
- Eingeführt wird das Objekt a in dieser speziellen Bedeutung ausführlich in Seminar 10 von 1962/63, Die Angst. Eine erste Skizze findet man in den letzten Sitzungen von Seminar 6 von 1958/59, Das Begehren und seine Deutung.
- Zur Gleichsetzung von a mit „Mehrlust“ vgl. Seminar 17, Sitzung vom 11. Februar 1970, Version Miller S. 91, und öfter. – J.L.: Radiophonie (1970). Übersetzt von Hans-Joachim Metzger. In: J.L.: Radiophonie. Television. Quadriga, Berlin 1988, S. 5–54, hier: S 49.– J.L.: Seminar 20, Encore (1972/73). Übersetzt von Norbert Haas, Vreni Haas und Hans-Joachim Metzger. Quadriga, Berlin 1986, Sitzung vom 19. Dezember 1972, S. 21.
- Beispielsweise sagt Freud, das Wertvolle des Witzes sei der „Lustgewinn“, den er bringe (S. Freud: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten (1905). In: Ders.: Gesammelte Werke. Chronologisch geordnet. Bd. 6. Imago, London 1940, S. 27).
- Vgl. etwa S. Freud: Die „kulturelle“ Sexualmoral und die moderne Nervosität (1908). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 9. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 9–32, hier: S.17.
- Den Terminus plus-de-jouir gebraucht Lacan erstmals in Seminar 16, Sitzung vom 13. November 1968; Version Miller, S. 17. Das deutsche Wort „Mehrlust“ verwendet er in der Sitzung vom 20. November 1968; vgl. Version Miller, S. 29.
- Vgl. S. Freud: Massenpsychologie und Ich-Analyse (1921). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 9. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 61–134, hier: S. 99.
- Die Begriffe „Entfremdung“ und „Trennung“ werden von Lacan am Schluss von Seminar 11 entwickelt (Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse, 1964).
- Sartre, Das Sein und das Nichts, a.a.O., S. 184.
- In: S. Freud: Gesammelte Werke. Chronologisch geordnet. Erster Band. Werke aus den Jahren 1892–1899. Imago, London 1952, S. 517–527.
- In: S. Freud: Gesammelte Werke. Chronologisch geordnet. Vierter Band. Imago, London 1941, „I. Vergessen von Eigennamen“, S. 5–12.
- Vgl. etwa:
– Seminar 1, Version Miller/Hamacher, S. 63–66, 71 f., 337;
– Seminar 3, Version Miller/Turnheim, S. 283;
– Seminar 5, Version Miller/Gondek, S. 40–47, 59 f., 64–69;
– Seminar 11, Version Miller/Haas, S. 33;
– Einführung zum Kommentar von Jean Hyppolite über die „Verneinung“ von Freud (1956), Schriften III, hg. v. N. Haas, S. 189;
– La psychanalyse et son enseignement (1957), Écrits 1966, S. 447. - Eine Übersetzung aller Passagen über den Eigennamen in Seminar 12 findet man in diesem Blogartikel.
- Seminar 12, Sitzung vom 6. Januar 1965; meine Übersetzung (RN), nach Version Staferla.
- 6. Januar 1965.
- 6. Januar 1965.
- 6. Januar 1965.
- 6. Januar 1965.