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Lacan entziffern

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Lacans Sentenzen
„Das Reale ist das Unmögliche.“
Passagen aus Lacans Seminar über die Identifizierung
Übersetzung und Erläuterung

Lacan entziffern Veröffentlicht am 11. Juli 2017 von Rolf Nemitz21. September 2022
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M. C. Escher, Rela­ti­vi­ty, 1953, Litho­gra­phie, 294 x 282 mm

Das Rea­le ist das Unmög­li­che, sagt Lacan. Und was ist das Unmögliche?

In Semi­nar 12 von 1964/​65, Schlüs­sel­pro­ble­me für die Psy­cho­ana­ly­se, bezieht er das Unmög­li­che zum ers­ten Mal auf das Geschlecht:

„Die Spal­tung zwi­schen dem Sub­jekt und dem Sym­ptom ist die Ver­kör­pe­rung der Ebe­ne, auf der die Wahr­heit ihre Rech­te zurück­holt, in Form die­ses nicht gewuss­ten Rea­len, des Rea­len, des­sen Exhaus­ti­on unmög­lich ist, näm­lich des Rea­len des Geschlechts […].„1

In Semi­nar 17 von 1969/​70, Die Kehr­sei­te der Psy­cho­ana­ly­se, liest man, das Rea­le sei unter der Bedin­gung das Unmögliche,

„dass man dem Wort ‚unmög­lich‘ einen stren­gen Sinn gibt, d.h. dass man es nur von der Ebe­ne unse­rer for­ma­li­sier­ten Wahr­heit her bestimmt. Näm­lich dass es in jedem for­ma­li­sier­ten Feld der Wahr­heit Wahr­hei­ten gibt, die sich nicht bewei­sen las­sen.“2

For­ma­li­sier­te Fel­der der Wahr­heit sind die sym­bo­li­sche Logik und die Mathe­ma­tik. Von hier aus muss man dem Wort „unmög­lich“ einen stren­gen Sinn geben.

In Radio­pho­nie (1970) und L’é­tour­dit (1972)  unter­schei­det Lacan vier Arten der Unmög­lich­keit: das Inkon­sis­ten­te (also das Wider­sprüch­li­che), das Unent­scheid­ba­re, das Unvoll­stän­di­ge und das Unbe­weis­ba­re.3 Er ori­en­tiert sich hier­bei an den Unter­su­chun­gen von Fre­ge, Rus­sell, Whit­ehead und Gödel über die Sack­gas­sen der der Logik und der Men­gen­leh­re und er bemüht sich, zu die­sen Unmög­lich­kei­ten Ent­spre­chun­gen im Feld der Psy­cho­ana­ly­se zu fin­den. In Radio­pho­nie (1970) sagt er, nach einem Hin­weis auf Inkon­sis­tenz, Unvoll­stän­dig­keit, Unbe­weis­bar­keit und Unentscheidbarkeit:

„Die Schnit­te des Unbe­wuß­ten zei­gen die­se Struk­tur, indem sie sie aus ähn­lich ein­zu­krei­sen­den Fäl­len attes­tie­ren.“6

In „Viel­leicht in Vin­cen­nes …“ (1975) cha­rak­te­ri­siert er die Logik als „Wis­sen­schaft vom Rea­len, inso­fern sie den Zugang zum Modus des Unmög­li­chen gestat­tet“7.

Er for­dert die Psy­cho­ana­ly­ti­ker also dazu auf, dem Rea­len im Sin­ne des logisch Unmög­li­chen den Vor­rang zu geben. Die For­meln der Sexu­ie­rung, die er von 1971 bis 1974 aus­ar­bei­tet, sol­len zei­gen, dass das sexu­el­le Ver­hält­nis nicht geschrie­ben wer­den kann und das heißt: dass es logisch unmög­lich ist, also real.

Die The­se „Das Rea­le ist das Unmög­li­che“ wird von Lacan zum ers­ten Mal in Semi­nar 9 von 1961/​62, Die Iden­ti­fi­zie­rung, aus­ge­ar­bei­tet, dort in stän­di­ger Aus­ein­an­der­set­zung mit der tra­di­tio­nel­len, der tran­szen­den­ta­len und der moder­nen Logik. Ein Jahr spä­ter beschreibt er die­ses Semi­nar so:

„Ich unter­stel­le, dass ich mich an Leu­te wen­de, […] die sich […] an das erin­nern, was ich mich im letz­ten Jahr her­aus­zu­ar­bei­ten bemüht habe, bezo­gen auf den so genann­ten all­ge­mei­nen beja­hen­den Satz, dass er näm­lich Sinn nur von der Defi­ni­ti­on des Rea­len als des Unmög­li­chen her hat. […] Wie Sie sehen, hat die Logik seit­her im Wesent­li­chen die heik­le Funk­ti­on, das Rea­le dazu zu ver­dam­men, auf ewig im Unmög­li­chen her­um­zu­tap­pen.“8

Im Iden­ti­fi­zie­rungs­se­mi­nar soll dem­nach gezeigt wer­den, dass die Defi­ni­ti­on des Rea­len als des Unmög­li­chen grund­le­gend dafür ist, dass die uni­ver­sa­le beja­hen­de Aus­sa­ge einen Sinn hat. (Eine uni­ver­sa­le beja­hen­de Aus­sa­ge hat die Form „Alle S sind P“, z.B. „Alle Men­schen sind sterb­lich“; S steht hier­bei für „Sub­jekt“, P für „Prä­di­kat“, bei­de Begrif­fe im Sin­ne der Logik, nicht der Grammatik.)

Wenn man nach­voll­zie­hen will, was das Theo­rem „Das Rea­le ist das Unmög­li­che“ bei sei­nem ers­ten Auf­tre­ten besa­gen will, soll­te man sich also viel­leicht klar­ma­chen, inwie­fern es die uni­ver­sa­le beja­hen­de Aus­sa­ge fun­diert, wie es sich auf wel­che Logik bezieht und war­um das für die Psy­cho­ana­ly­se rele­vant sein könnte.

*

Im Fol­gen­den über­set­ze ich alle Pas­sa­gen aus dem Iden­ti­fi­zie­rungs­se­mi­nar, in denen Lacan sich auf das Rea­le als das Unmög­li­che sowie auf die uni­ver­sa­le beja­hen­de Aus­sa­ge bezieht. Die Stel­len sind chro­no­lo­gisch geord­net. Auf die Über­set­zung einer Pas­sa­ge folgt eine Para­phra­se mit erläu­tern­den Ergän­zun­gen und Fra­gen. Die Ein­lei­tung des Arti­kels infor­miert über die Vor­ge­schich­te der Begrif­fe des Rea­len und des Unmög­li­chen bei Lacan, den Schluss bil­det eine sys­te­ma­ti­sie­ren­de Zusam­men­stel­lung von Para­phra­sen der über­setz­ten Stellen.

Vom Semi­nar Die Iden­ti­fi­zie­rung gibt es weder eine offi­zi­el­le fran­zö­si­sche Aus­ga­be noch eine deut­sche Über­set­zung. Ich über­set­ze nach Ver­si­on Sta­fer­la, Fas­sung vom 15. Novem­ber 2015; die Glie­de­rung in Absät­ze ist von mir. Eine aus­ge­zeich­ne­te kri­ti­sche Aus­ga­be des Iden­ti­fi­zie­rungs­se­mi­nars, die mir bei der Über­set­zung lei­der noch nicht zur Ver­fü­gung stand, ist die von Michel Rous­san (nicht im Buch­han­del, bei Rous­san per E-Mail bestell­bar). Eine eng­li­sche Über­set­zung des Semi­nars, erstellt von Cor­mac Gal­lag­her, fin­det man auf der Web­site Lacan in Ire­land  als PDF hier, als Buch bei Kar­nac books hier. Eine Zusam­men­fas­sung des Semi­nars gibt Mousta­pha Safou­an in: Ders.: Laca­nia­na. Les sémi­n­aires de Jac­ques Lacan. 1953–1963. Fayard, Paris 2001.

Die über­setz­ten Pas­sa­gen haben zusam­men­ge­nom­men den Umfang von etwa drei­ein­halb Semi­nar­sit­zun­gen. Wei­te­re Über­set­zun­gen län­ge­rer Sequen­zen aus die­sem Semi­nar fin­det man auf die­ser Web­site im Arti­kel über den „ein­zi­gen Zug“ sowie in einem Bei­trag zu Lacans Theo­rie des Eigen­na­mens.

Herz­li­chen Dank an Ger­hard Herr­gott für einen Grund­kurs in Sachen Logik (das war 1987 bei der Lek­tü­re von Lacans Iden­ti­fi­zie­rungs­se­mi­nar, vor drei­ßig Jah­ren!) und für groß­zü­gi­ge Hil­fe beim Über­set­zen (vor ein paar Monaten).

Zur Nota­ti­on in den Übersetzungen
*: Wort im Ori­gi­nal deutsch
Aus­drü­cke [in ecki­gen Klam­mern]: nicht von Lacan

Zur Nota­ti­on in den Para­phra­sen mit Ergän­zun­gen sowie in der sys­te­ma­ti­sie­ren­den Zusammenstellung
In ecki­gen Klam­mern und grü­ner Schrift: mei­ne Ergänzungen
In ecki­gen Klam­mern, mit einem ¿ umge­kehr­ten Fra­ge­zei­chen begin­nend und grün unter­legt: mei­ne Fragen

Inhalt

  • Vor­ge­schich­te 
    • Das Rea­le
    • Das Unmög­li­che
  • Die Iden­ti­fi­zie­rung (Semi­nar 9 von 1961/​62). Auszüge
    • Eine Logik des unbe­wuss­ten Denkens
      • Über­set­zung
      • Para­phra­se mit Ergänzungen
    • Miss­trau­en gegen­über Klassen
      • Über­set­zung
      • Para­phra­se mit Ergänzungen
    • Fun­die­rung der uni­ver­sa­len beja­hen­den Aus­sa­ge durch das Nichts
      • Über­set­zung
      • Para­phra­se mit Ergänzungen
    • Buch­sta­ben
      • Über­set­zung
      • Para­phra­se mit Ergänzungen
    • Von der Logik des Begriffs zur Logik des Signi­fi­kan­ten: der ein­zel­ne Zug
      • Über­set­zung
      • Para­phra­se mit Ergänzungen
    • Arten des Nichts
      • Über­set­zung
      • Para­phra­se mit Ergänzungen
    • Nur vom Unmög­li­chen her tritt das Rea­le auf
      • Über­set­zung
      • Para­phra­se mit Ergänzungen
    • Ursprüng­li­che Ver­wer­fung des Subjekts
      • Über­set­zung
      • Para­phra­se mit Ergänzungen
    • Das Begeh­ren des Unmög­li­chen in Zwangs­neu­ro­se und Hysterie
      • Über­set­zung
      • Para­phra­se mit Ergänzungen
    • Todes­trieb als Stre­ben nach dem logisch Unmöglichen
      • Über­set­zung
      • Para­phra­se mit Ergänzungen
    • Das Unmög­li­che in der Zwangsneurose
      • Über­set­zung
      • Para­phra­se mit Ergänzungen
    • Nich­tig­keit als Bedin­gung des Universalen
      • Über­set­zung
      • Para­phra­se mit Ergänzungen
    • Das von der Logik aus­ge­schlos­se­ne Unmögliche
      • Über­set­zung
      • Para­phra­se mit Ergänzungen
    • Klas­se, Pri­va­ti­on und ein­zi­ger Zug
      • Über­set­zung
      • Para­phra­se mit Ergänzungen
    • Zwei Arten der Klassifizierung
      • Über­set­zung
      • Para­phra­se mit Ergänzungen
  • Sys­te­ma­ti­sie­ren­de Zusammenstellung
      • Eine Logik des unbe­wuss­ten Denkens
      • Kei­ne Logik des Begriffs oder der Klasse
      • Eine Logik des ein­zi­gen Zugs und der Innenacht statt des Kreises
      • Eine Logik des Objekts des Begeh­rens statt der Inklusion
      • Aus­ge­sag­tes und Äußerungsvorgang
      • Die uni­ver­sa­le beja­hen­de Aussage
      • Die uni­ver­sa­le beja­hen­de Aus­sa­ge im Qua­dran­ten­sche­ma von Peirce
      • Der lee­re Qua­drant als Feld der Privation
      • Nega­ti­on und Nichts
      • Die Pri­va­ti­on und das Rea­le als das Unmögliche
      • Das Begeh­ren rich­tet sich auf das dem Ande­ren Unmögliche
      • Das Objekt des Begeh­rens als das Nichts
      • Das Unmög­li­che in Zwangs­neu­ro­se und Hysterie
  • Ver­wand­te Beiträge
  • Anmer­kun­gen

Vorgeschichte 

Das Reale

Lacans ers­te Bestim­mung des Rea­len – man fin­det sie in Semi­nar 1 –  hat­te gelau­tet, das Rea­le „ist das, was der Sym­bo­li­sie­rung abso­lut wider­steht“9; an die­ser Defi­ni­ti­on wird er bis zum Schluss fest­hal­ten (vgl. die­sen Blog­ar­ti­kel). In die­sem Semi­nar fin­det man auch einen ers­ten Ver­such, das Ver­hält­nis des Rea­len zum Ima­gi­nä­ren und zum Sym­bo­li­schen topo­lo­gisch dar­zu­stel­len, durch den neben­ste­hen­den Dieder. Er besteht aus zwei Drei­ecks­py­ra­mi­den, die mit der Basis gewis­ser­ma­ßen anein­an­der geklebt sind. Die­se geteil­te Grund­flä­che reprä­sen­tiert das Rea­le.10

Die zwei­te For­mel für das Rea­le war (in Semi­nar 2) „Das Rea­le ist das, was am sel­ben Platz immer wie­der­kehrt“11, anders gesagt: das Rea­le zeigt sich im Wie­der­ho­lungs­zwang. Die nächs­te Bestim­mung des Rea­len lau­te­te (in Semi­nar 6), dass sich das Rea­le im Sym­bo­li­schen als Schnitt mani­fes­tiert, etwa in der Been­di­gung einer psy­cho­ana­ly­ti­schen Sit­zung; vgl. die­sen und die­sen Blog­ar­ti­kel.12 Danach (in Semi­nar 7) trat das Rea­le als „Ding“ auf, genau­er hieß es dort, das „Ding“ sei ein „Loch im Rea­len“13.

In Semi­nar 9 von 1961/​62, Die Iden­ti­fi­zie­rung, trägt Lacan zum ers­ten Mal eine wei­te­re Bestim­mung des Rea­len vor: Das Rea­le ist das Unmög­li­che. Von da an wird er die The­se „Das Rea­le ist das Unmög­li­che“ (in vie­len For­mu­lie­rungs­va­ri­an­ten) bis ein­schließ­lich Semi­nar 24 in jedem Semi­nar auf­grei­fen. In Semi­nar 12 wird er bei­spiels­wei­se sagen, dass „das Rea­le als das Unmög­li­che defi­niert ist“.14 An der anfäng­li­chen Defi­ni­ti­on des Rea­len wird er dabei fest­hal­ten, wonach das Rea­le dar­in besteht, dass etwas nicht sym­bo­li­siert wer­den kann (vgl. die­sen Blog­ar­ti­kel). Man kann das so zusam­men­fü­gen: Das Rea­le ist das, des­sen Sym­bo­li­sie­rung unmög­lich ist. 

Das Unmögliche

Den Begriff des Unmög­li­chen bzw. der Unmög­lich­keit hat­te Lacan zunächst spe­zi­ell auf die Zwangs­neu­ro­se bezo­gen. Dabei knüpft er an Freud an, der in der Stu­die über den soge­nann­ten Rat­ten­mann her­aus­ge­stellt hat­te, dass bei die­sem das Sym­ptom – das kom­pli­zier­te Sze­na­rio bei der Rück­ga­be einer Geld­sum­me – „an eine uner­füll­ba­re absur­de Bedin­gung geknüpft“ war, dass er sich bestraf­te durch „Auf­er­le­gen eines unmög­lich zu erfül­len­den Eides“15. In dem Vor­trag Der indi­vi­du­el­le Mythos des Zwangs­neu­ro­ti­kers (1953) sagt Lacan über den­sel­ben Fall:

„Selbst­ver­ständ­lich ist die­ses Sze­na­rio unmög­lich durch­zu­füh­ren.“ „[D]as Ele­ment der Schuld ist auf zwei Ebe­nen zugleich ange­setzt, und genau in der Unmög­lich­keit, die­se bei­den Ebe­nen zusam­men­zu­brin­gen, spielt sich das gan­ze Dra­ma des Neu­ro­ti­sier­ten ab.“16

Im sel­ben Text heißt es über Goe­the und des­sen Flucht vor dem begehr­ten Objekt:

„Vor dem Ziel sehen wir, wie es von Neu­em zu einer Ver­dop­pe­lung des Objekts kommt, zu sei­ner Ent­frem­dung im Ver­hält­nis zu sich selbst, zu den Manö­vern, mit denen er sich einen Ersatz gibt, auf wel­chen sich die töd­li­chen Bedro­hun­gen bezie­hen müs­sen. Sobald er die­sen Ersatz in sich selbst reinte­griert, ist es unmög­lich, das Ziel zu errei­chen.“17

In einem Selbst­kom­men­tar zu die­sem Vor­trag, drei Jah­re spä­ter, spitzt Lacan den Begriff der Unmög­lich­keit zu:

„Ich habe gar den Fall [des Rat­ten­manns] gemäß einer von Clau­de Lévi-Strauss gege­be­nen For­mel zu for­ma­li­sier­ten ver­mocht, wodurch ein a, zuerst ver­knüpft mit einem b, wäh­rend ein c mit einem d ver­knüpft ist, in der zwei­ten Gene­ra­ti­on mit ihm einen Wech­sel des Part­ners erfährt, doch nicht ohne dass ein irre­du­zi­bler Rest in der Form der Nega­ti­vie­rung eines der vier Ter­me bestehen bleibt, die sich als kor­re­la­tiv zur Trans­for­ma­ti­on der Grup­pe auf­er­legt; wor­an sich able­sen lässt, was ich als das Zei­chen einer Art Unmög­lich­keit der voll­stän­di­gen Lösung des Pro­blems des Mythos behaup­ten wer­de. Der­art, dass der Mythos da wäre, um uns zu zei­gen, wie in einer signi­fi­kan­ten Form in eine Glei­chung eine Pro­ble­ma­tik umge­setzt wird, die aus sich selbst her­aus not­wen­dig etwas Offe­nes übrig las­sen muss, das dem Unlös­ba­ren ent­spricht, inso­fern es die Unlös­bar­keit bedeu­tet, und des­sen Her­vor­tre­ten, wie­der­ge­fun­den in ihren Äqui­va­len­zen, das den Signi­fi­kan­ten des Unmög­li­chen lie­fert (dies wäre dar­an die Funk­ti­on des Mythos).“18

In Die Len­kung der Kur und die Prin­zi­pi­en ihrer Macht (geschrie­ben 1960) kommt Lacan dar­auf zurück:

„Doch das Bes­te ist, dass der Zugang zu die­sem Mate­ri­al nur durch eine Deu­tung eröff­net wur­de, in der Freud zu sehr auf ein Ver­bot abhob, dass der Vater des Rat­ten­manns über die Legi­ti­mie­rung der erha­be­nen Lie­be, die ihm alles bedeu­tet, ver­hängt haben soll, um das Merk­mal des Unmög­li­chen zu erklä­ren, von dem die­se Ver­bin­dung in allen ihren Modi für ihn geprägt scheint.“19

Dem Begeh­ren des Zwangs­neu­ro­ti­kers, das sich dadurch sta­bi­li­siert, dass es auf das Unmög­li­che abzielt, stellt Lacan in die­sem Auf­satz das Begeh­ren der Hys­te­ri­ke­rin gegen­über, die ihr Begeh­ren dadurch sichert, dass es sich dar­auf rich­tet, unbe­frie­digt zu sein.20

Ähn­lich heißt es im Auf­satz über Lag­a­che, im sel­ben Jahr geschrieben:

„Wir len­ken die Auf­merk­sam­keit auf das Begeh­ren zurück, bei dem ver­ges­sen wird, dass weit authen­ti­scher als irgend­ei­ne Suche nach einem Ide­al das Begeh­ren die signi­fi­kan­te Wie­der­ho­lung des Neu­ro­ti­kers als sei­ne Met­ony­mie regu­liert. Nicht in die­ser Bemer­kung wer­den wir dar­le­gen, wie er die­ses Begeh­ren als unbe­frie­digt (das ist die Hys­te­ri­sche) und wie als unmög­lich (das ist der Zwangs­neu­ro­ti­ker) stüt­zen muss.“21

In Sub­ver­si­on des Sub­jekts und Dia­lek­tik des Begeh­rens (geschrie­ben 1962), wird die­se Gegen­über­stel­lung ausgebaut:

„Aber die­ser durch den Neu­ro­ti­ker dem Anspruch ver­lie­he­ne Vor­rang, der für eine in die Bequem­lich­keit umschla­gen­de Ana­ly­se die gan­ze Kur in die Hand­ha­bung der Frus­tra­ti­on hat abrut­schen las­sen, ver­birgt sei­ne Angst vor dem Begeh­ren des Ande­ren, die unmög­lich zu ver­ken­nen ist, wenn sie nur vom pho­bi­schen Objekt ver­deckt wird, die aber für die bei­den ande­ren Neu­ro­sen schwie­ri­ger zu ver­ste­hen ist, wenn man nicht den Faden hat, der es ermög­licht, das Phan­tas­ma als Begeh­ren des Ande­ren zu set­zen. Man fin­det dann davon die bei­den Glie­der gleich­sam aus­ein­an­der­ge­bro­chen vor: das eine beim Zwangs­neu­ro­ti­ker, inso­fern er das Begeh­ren des Ande­ren ver­leug­net, wenn er sein Phan­tas­ma aus­bil­det, um das Unmög­li­che des Ver­schwin­dens des Sub­jekts zu beto­nen, das ande­re bei der Hys­te­ri­schen, inso­fern das Begeh­ren sich dar­in nur durch die Unbe­frie­di­gung auf­recht­erhält, die man dar­in ein­bringt, indem man sich dar­in als Objekt ent­zieht.“22

Die The­se „Das Rea­le ist das Unmög­li­che“ ist, wie man sehen wird, eine Ver­all­ge­mei­ne­rung der The­se über den Zwangs­neu­ro­ti­ker. Nicht nur die Zwangs­neu­ro­ti­ker, auch die Hys­te­ri­ker begeh­ren das Unmögliche.

Die Identifizierung (Seminar 9 von 1961/​62). Auszüge

Eine Logik des unbewussten Denkens

Übersetzung

Zu Beginn der Sit­zung vom 15. Novem­ber 1961 erläu­tert Lacan sein Vor­ha­ben in die­sem Semi­nar: The­ma ist die Iden­ti­fi­zie­rung, und das heißt, es geht um das Ver­hält­nis des Sub­jekts zum Signifikanten.

Das Verb „iden­ti­fi­zie­ren“, sagt er, kommt vom Latei­ni­schen idem face­re, „iden­tisch machen“, des­halb wol­le er sich vor allem damit beschäf­ti­gen, wor­in im Fal­le der Iden­ti­fi­zie­rung das Iden­tisch-Machen besteht. Der Satz der Iden­ti­tät lau­tet A = A, und das wer­fe jede Men­ge Pro­ble­me auf. Aber als Psy­cho­ana­ly­ti­ker müs­se man in Fra­gen der Logik von einer Erfah­rung mit dem Spre­chen aus­ge­hen; von hier aus müs­se man den Begriff der Iden­ti­fi­zie­rung ange­hen, in sei­ner Mehr­deu­tig­keit und sei­ner Ambi­gui­tät. Im Fran­zö­si­schen heißt „das Sel­be“ le même, vom latei­ni­schen metip­sum. In moi-même, „ich selbst“, wer­de das Sel­be mit dem Ich ver­kop­pelt, so wie auch im Deut­schen „selbst“ die Iden­ti­tät bezeichnet.

Dies sei viel­leicht nicht ohne Bezie­hung dazu, dass Des­car­tes das Sein in der berühm­ten For­mel „ich den­ke, also bin ich“ als etwas den­ken konn­te, was dem Sub­jekt inne­wohnt. Die For­mel sei viel­leicht kein schlech­ter Zugang zur Fra­ge der Iden­ti­fi­zie­rung, zur Fra­ge nach der Iden­ti­tät des Sub­jekts. Lacan fährt so fort:

„ ‚Ich den­ke, also bin ich‘, in die­ser Form scheint mir das die übli­chen Ver­wen­dun­gen in sich zu kon­zen­trie­ren, sodass es zu die­ser ‚abge­grif­fe­nen Mün­ze‘ ohne Reli­ef gewor­den ist, auf die Mall­ar­mé sich irgend­wo bezieht.23 Wenn wir das einen Augen­blick lang fest­hal­ten und ver­su­chen, dar­aus die Funk­ti­on des Zei­chens her­aus­zu­fei­len, wenn wir ver­su­chen,  sei­ne Funk­ti­on für unse­ren Gebrauch neu zu bele­ben, dann möch­te ich bemer­ken, dass die­se For­mel – zu der ich Ihnen zum wie­der­hol­ten Male sage, dass man sie bei Des­car­tes in ihrer kon­zen­trier­ten Form nur an einem bestimm­ten Punkt der Abhand­lung über die Metho­de fin­det24 –, dass die­se For­mel kei­nes­wegs so, in die­ser ver­dich­te­ten Form, aus­ge­drückt wird.

Die­ses ‚Ich den­ke, also bin ich‘ stößt auf den fol­gen­den Ein­wand, und ich glau­be, dass er nie vor­ge­bracht wor­den ist, näm­lich dass ‚Ich den­ke‘ kein Gedan­ke ist.

Es ist klar, dass Des­car­tes uns die­se For­mel als Ergeb­nis eines lan­gen Denk­pro­zes­ses vor­legt, und ganz gewiss ist das Den­ken, um das es dabei geht, das Den­ken eines Den­kers. Ich möch­te sogar noch mehr sagen: Das Merk­mal ‚das ist ein Den­ken eines Den­kers‘ ist nicht erfor­der­lich, um vom Den­ken zu spre­chen. Ein Den­ken, um es klar zu sagen, erfor­dert kei­nes­wegs, dass man an das Den­ken denkt.

Ins­be­son­de­re für uns beginnt das Den­ken mit dem Unbewussten.

Man kann sich nur wun­dern über die Zag­haf­tig­keit, die uns, wenn wir ver­su­chen, etwas über das Den­ken zu sagen, zur For­mel der Psy­cho­lo­gen grei­fen lässt, zu der For­mel, dass wir sagen, dass das Den­ken ein skiz­zen­haf­tes, ver­kürz­tes Han­deln ist – das klei­ne öko­no­mi­sche Hand­lungs­mo­dell. Sie wer­den mir sagen, dass man das irgend­wo bei Freud fin­det.25 Aber sicher, bei Freud fin­det man alles, in irgend­ei­nem Absatz hat er mal von die­ser psy­cho­lo­gi­schen Defi­ni­ti­on des Den­kens Gebrauch machen kön­nen. Aber schließ­lich ist es sehr schwie­rig, aus­zu­klam­mern, dass wir bei Freud auch fin­den, dass das Den­ken ein äußerst effek­ti­ver und gewis­ser­ma­ßen selbst­ge­nüg­sa­mer Modus der mas­tur­ba­to­ri­schen Befrie­di­gung ist. Dies um zu sagen, dass wir, bezo­gen auf den Sinn des Den­kens, eine Spann­brei­te haben, die viel­leicht ein biss­chen grö­ßer ist als die der ande­ren Arbeiter.

Das schließt jedoch nicht aus, dass wir sagen kön­nen – bei der Prü­fung der For­mel, um die es geht, ‚Ich den­ke, also bin ich‘ –, dass die For­mel uns, bezo­gen auf den Gebrauch, der davon gemacht wird, nur vor ein Pro­blem stel­len kann. Denn es emp­fiehlt sich, die­se Rede­wei­se zu prü­fen, ‚ich den­ke‘ – wie groß das Feld, dass wir dem Den­ken vor­be­hal­ten haben, auch sein mag –, um zu sehen, ob sie den Merk­ma­len des Den­kens genügt, um zu sehen, ob sie den Merk­ma­len des­sen genügt, was wir ein Den­ken nen­nen können.

Es könn­te sein, das dies eine Rede­wei­se ist, die sich als völ­lig unge­nü­gend erweist, sodass sie in kei­ner Wei­se das stützt, was auch immer wir am Ende von die­ser Prä­senz aus­ma­chen kön­nen: ‚Ich bin‘. Und das ist eben das, was ich behaupte.

Um zu erklä­ren, wor­auf ich hin­aus­will, möch­te ich dar­auf hin­wei­sen, dass ‚Ich den­ke‘ – ganz kurz in die­ser Form genom­men – logisch nicht trag­ba­rer, nicht halt­ba­rer ist als das ‚Ich lüge‘, das bereits für eine gewis­se Anzahl von Logi­kern ein Pro­blem dar­ge­stellt hat, die­ses ‚Ich lüge‘, das sich nur durch das logi­sche Schwan­ken auf­recht­erhält, sicher­lich leer, aber den­noch halt­bar, das die­sen Schein von Sinn ent­fal­tet, der im Übri­gen ganz aus­reicht, um in der for­ma­len Logik sei­nen Platz zu fin­den. ‚Ich lüge‘: wenn ich das sage, ist es wahr – also lüge ich nicht. Aber den­noch lüge ich, da ich, wenn ich ‚Ich lüge‘ sage, das Gegen­teil behaupte.

Es ist sehr leicht, die­se angeb­li­che logi­sche Schwie­rig­keit zu demon­tie­ren und zu zei­gen, dass die angeb­li­che Schwie­rig­keit, auf der die­ses Urteil beruht, auf Fol­gen­dem beruht: Das Urteil, das es ent­hält, kann sich nicht auf sei­ne eige­ne Aus­sa­ge (énon­cé) bezie­hen, das ist ein Kol­laps. Die­se berühm­te Schwie­rig­keit ent­steht durch das Feh­len der Unter­schei­dung zwei­er Ebe­nen, dadurch, dass vom ‚Ich lüge‘ ange­nom­men wird, dass es sich auf die Arti­ku­la­ti­on von ‚Ich lüge‘ selbst bezieht und nicht davon unter­schie­den wird.

Dies, um Ihnen zu sagen, dass es sich man­gels die­ser Unter­schei­dung nicht um eine wirk­li­che Aus­sa­ge handelt.

Die­se klei­nen Para­do­xien, von denen die Logi­ker übri­gens viel her machen, um sie unmit­tel­bar danach aufs rech­te Maß zurück­zu­brin­gen, kön­nen als ein­fa­cher unter­halt­sa­mer Zeit­ver­treib ange­se­hen wer­den. Gleich­wohl sind sie von Inter­es­se; sie müs­sen fest­ge­hal­ten wer­den, um die wah­re Posi­ti­on jeder for­ma­len Logik ins­ge­samt auf­zu­zei­gen, nicht zuletzt die des berühm­ten logi­schen Posi­ti­vis­mus, über den ich vor­hin [zu Beginn der Sit­zung] gespro­chen habe.

Damit mei­ne ich, dass man unse­res Erach­tens von der berühm­ten Apo­rie des Epi­men­i­des kei­nen hin­rei­chen­den Gebrauch gemacht hat, einer Apo­rie, die nur eine ent­wi­ckel­te­re Form des­sen ist, was ich Ihnen gera­de mit dem ‚Ich lüge‘ vor­ge­legt habe: dass alle Kre­ter Lüg­ner sind, wie Epi­men­i­des der Kre­ter sagt. Und Sie sehen sofort das klei­ne Dreh­kreuz, das sich dar­aus ergibt.

Man hat davon kei­nen hin­rei­chen­den Gebrauch gemacht, um die Nich­tig­keit der berühm­ten soge­nann­ten beja­hen­den uni­ver­sa­len Aus­sa­ge A zu bewei­sen. Denn tat­säch­lich, man bemerkt es dabei, liegt hier, wie wir sehen wer­den, die inter­es­san­tes­te Form vor, um die Schwie­rig­keit zu lösen. Denn beach­ten Sie bit­te, was geschieht, wenn man Fol­gen­des sagt, was mög­lich ist, was in der Kri­tik an der berühm­ten uni­ver­sa­len Beja­hung A gesagt wor­den ist, über die näm­lich eini­ge behaup­tet haben, nicht ohne Grund, dass deren Sub­stanz nie eine ande­re gewe­sen ist als die einer nega­ti­ven Exis­tenz­aus­sa­ge: ‚Es gibt kei­nen Kre­ter, der nicht fähig wäre zu lügen.‘26 Wenn man von da aus­geht, gibt es kein Pro­blem mehr.27 Epi­men­i­des kann das aus dem Grun­de sagen, weil er, wenn das so aus­ge­drückt wird, kei­nes­wegs sagt, es gebe jeman­den, näm­lich einen Kre­ter, der ohne Unter­bre­chung lügen könnte.

Vor allem wenn man sich klar­macht, dass fort­dau­ernd zu lügen ein nie erlah­men­des Erin­ne­rungs­ver­mö­gen vor­aus­setzt, das dafür sor­gen wür­de, der Rede letzt­lich eine Rich­tung zu geben, die das Äqui­va­lent eines Geständ­nis­ses wäre, der­art, dass selbst dann, wenn ‚Alle Kre­ter sind Lüg­ner‘ bedeu­tet, dass es kei­nen Kre­ter gibt, der nicht unun­ter­bro­chen lügen will, ihm die Wahr­heit dann doch her­aus­rut­schen wird – je stär­ker die­ser Wil­le ist, umso mehr.

Die plau­si­bels­te Bedeu­tung des Geständ­nis­ses des Kre­ters Epi­men­i­des, dass alle Kre­ter Lüg­ner sind, die­se Bedeu­tung kann nur die sein – und des­sen rühmt er sich –, dass er Sie damit ver­wir­ren will, indem er Sie wahr­heits­ge­mäß vor sei­ner Metho­de warnt. Aber dahin­ter steckt kein ande­rer Wil­le. Das hat den­sel­ben Erfolg wie die­ses ande­re Vor­ge­hen, dass dar­in besteht, anzu­kün­di­gen, das man selbst nicht höf­lich sein wird, dass man abso­lut auf­rich­tig sein wird – das ist eben der Typ, der Sie dazu brin­gen will, ihm sei­nen gan­zen Bluff abzunehmen.

Ich will damit sagen, dass jede Beja­hung einer All­ge­mein­aus­sa­ge, im for­ma­len Sin­ne der Kate­go­rie, die­sel­ben krum­men Absich­ten hat, und es ist sehr hübsch, das sie, die­se Absich­ten, in den klas­si­schen Bei­spie­len deut­lich hervortreten.

Dass ein Aris­to­te­les sich die Mühe macht, zu offen­ba­ren, dass Sokra­tes sterb­lich ist, muss doch ein gewis­ses Inter­es­se bei uns wecken, das heißt Anlass zu etwas bie­ten, was wir unter uns ‚Inter­pre­ta­ti­on‘ nen­nen kön­nen, inso­fern die­ser Aus­druck bean­sprucht, ein biss­chen wei­ter zu gehen als die Funk­ti­on, die man ja sogar im Titel eines der Bücher der Logik von Aris­to­te­les fin­det.28 Denn wenn der­je­ni­ge, den Athen als Sokra­tes bezeich­net, als mensch­li­ches Tier offen­sicht­lich des Todes gewiss ist, so ent­geht er dem Tod in Wirk­lich­keit den­noch: als der­je­ni­ge, der ‚Sokra­tes‘ genannt wird, und dies offen­sicht­lich nicht nur des­halb, weil sein Ruf so lan­ge fort­dau­ern wird, wie die von Pla­ton vor­ge­nom­me­ne sagen­haf­te Über­tra­gungs­ope­ra­ti­on leben­dig ist, son­dern noch genau­er nur des­halb, weil es ihm gelun­gen ist, sich – aus­ge­hend von sei­ner sozia­len Iden­ti­tät – als die­ses Wesen der Ato­pie zu kon­sti­tu­ie­ren, das ihn kenn­zeich­net.29 Nur des­halb konn­te besag­ter Sokra­tes, der­je­ni­ge, den man in Athen so nennt, und des­halb konn­te er nicht ins Exil gehen, konn­te er sich im Begeh­ren nach sei­nem eige­nen Tod soweit stär­ken, dass er dar­aus das acting out sei­nes Lebens gemacht hat. Es wird <von ihm> noch die­se hei­te­re Bemer­kung hin­zu­ge­fügt, dem Askle­pi­os den berühm­ten Hahn zu ent­rich­ten, als gin­ge es dar­um, dass die Emp­feh­lung aus­ge­spro­chen wer­den muss­te, den Maro­nen­ver­käu­fer an der Ecke nicht zu schä­di­gen.30

Es gibt hier bei Aris­to­te­les also etwas, das wir als einen Ver­such deu­ten kön­nen, eine Über­tra­gung aus­zu­trei­ben, die er als Hin­der­nis für die Ent­wick­lung des Wis­sens ansah.

Das war übri­gens von sei­ner Sei­te ein Irr­tum, denn das Schei­tern die­ses Ver­suchs ist offen­kun­dig. Damit die Din­ge einen ande­ren Aus­gang neh­men, muss­te die Ent­na­tu­ra­li­sie­rung des Begeh­rens sicher­lich noch ein biss­chen wei­ter gehen als bei Pla­ton. Die moder­ne Wis­sen­schaft ist aus einem Hyper­pla­to­nis­mus her­aus ent­stan­den und kei­nes­wegs aus der aris­to­te­li­schen Rück­kehr zur Funk­ti­on des Wis­sens als etwas, was den Sta­tus des Begriffs hat. Es war tat­säch­lich das nötig, was wir den „zwei­ten Tod der Göt­ter“ nen­nen kön­nen, näm­lich ihre sche­men­haf­te Wie­der­kehr zum Zeit­punkt der Renais­sance, damit das Wort uns sei­ne wah­re Wahr­heit zeig­te, die­je­ni­ge, die nicht die Illu­sio­nen ver­treibt, son­dern die Fins­ter­nis des Sinns, wor­aus die moder­ne Wis­sen­schaft hervorgeht.

Dem­nach ist der Satz ‚Ich den­ke‘, wir haben es bereits gesagt, inso­fern inter­es­sant, als er uns die wil­lent­li­che Dimen­si­on des Urteils zeigt – das ist das Mini­mum, das wir dar­aus ablei­ten können.

Wir müs­sen dar­über nicht all­zu viel sagen; die bei­den Lini­en <des Gra­phen>, die wir als Äuße­rungs­vor­gang (énon­cia­ti­on) und Aus­ge­sag­tes (énon­cé) unter­schei­den, sind für uns hin­rei­chend, um bestä­ti­gen zu kön­nen, dass wir in dem Maße, wie die­se bei­den Lini­en sich ver­wir­ren und ver­men­gen, vor einer sol­chen Para­do­xie ste­hen kön­nen, die zu der Sack­gas­se des ‚Ich lüge‘ führt, bei der ich Sie einen Augen­blick lang fest­ge­hal­ten habe, und der Beweis dafür, dass es eben dies ist, wor­um es geht, näm­lich, dass ich zugleich lügen und mit der­sel­ben Stim­me sagen kann, dass ich lüge.

Graph des Begehrens

Wenn ich die­se Stim­men unter­schei­de, ist das völ­lig zuläs­sig. Wenn ich sage ‚Er sagt, dass ich lüge‘, ist das ein­fach, dage­gen gibt es kei­nen Ein­wand, genau­so wenig, wie wenn ich sagen wür­de ‚Er lügt‘. Aber ich kann sogar sagen ‚Ich sage, dass ich lüge‘.

Es gibt hier jedoch etwas, wobei wir uns auf­hal­ten müs­sen, näm­lich wenn ich sage ‚Ich weiß, dass ich lüge‘. Das hat dann etwas völ­lig Über­zeu­gen­des, bei dem wir als Ana­ly­ti­ker inne­hal­ten müs­sen, denn als Ana­ly­ti­ker wis­sen wir ja, dass das Ursprüng­li­che, das Leben­di­ge und das Fas­zi­nie­ren­de unse­rer Inter­ven­ti­on dar­in besteht, dass wir sagen kön­nen, dass wir da sind, um zu sagen, um uns in genau der ent­ge­gen­ge­setz­ten, aber streng hier­auf bezo­ge­nen Rich­tung zu bewe­gen, die dar­in besteht, zu sagen ‚Aber nein, du weißt nicht, dass du die Wahr­heit sagst‘ –  was sofort wei­ter­führt. Und mehr noch: ‚Du sagst es nur in dem Maße so gut, wie du zu lügen glaubst, und wenn du nicht lügen willst, dann des­halb, um dich vor die­ser Wahr­heit zu schüt­zen.‘ Es scheint, dass man die­se Wahr­heit nur durch die­ses Fla­ckern ein­krei­sen kann, die Wahr­heit, die inso­fern eine Toch­ter ist – Sie erin­nern sich an unse­re Ter­mi­ni –, als sie ihrem Wesen nach, wie jede ande­re Toch­ter, nur eine Ver­irr­te wäre.31“32

Nach wei­te­ren Hin­wei­sen zum „Ich den­ke, also bin ich“ geht Lacan zum Sujet sup­po­sé savoir über, zum Sub­jekt, dem Wis­sen unter­stellt wird.

Paraphrase mit Ergänzungen

Das Den­ken des Unbewussten 

Lacan bezieht sich auf Des­car­tes’ berühm­ten Satz „Ich den­ke, also bin ich“ [den man in den Media­tio­nen über die ers­te Phi­lo­so­phie (1641) fin­det]. Der Satz ist zu einer „abge­grif­fe­nen Mün­ze“ gewor­den, wie Mall­ar­mé sagt, und Lacan möch­te den Satz für sei­ne Zwe­cke [also für die der Psy­cho­ana­ly­se] neu bele­ben, indem er dar­an die Funk­ti­on des Zei­chens her­aus­ar­bei­tet [gemeint ist: die Funk­ti­on des Signi­fi­kan­ten in der Per­spek­ti­ve des Unbe­wuss­ten]. [In spä­te­ren Semi­na­ren wird Lacan immer wie­der auf Des­car­tes’ For­mel zurückkommen.]

Lacans Ein­wand gegen Des­car­tes’ Satz lau­tet: „Ich den­ke“ ist kein Gedan­ke. Sicher­lich ist die Aus­sa­ge „Ich den­ke, also bin ich“ das Den­ken eines Den­kers, der an das Den­ken denkt. Aber damit ist es noch kein Gedan­ke – dass etwas das Den­ken eines Den­kers ist, dass man an das Den­ken denkt, ist kei­ne not­wen­di­ge  Bedin­gung dafür, dass es sich um ein Den­ken han­delt. Vor allem für „uns“, für die Psy­cho­ana­ly­ti­ker, beginnt das Den­ken mit dem Unbe­wuss­ten. [Freud spricht von „unbe­wuss­ten Gedanken“.]

Die For­mel der Psy­cho­lo­gen, dass das Den­ken ein ver­kürz­tes Han­deln ist [ein Pro­be­han­deln] – eine For­mu­lie­rung, die man auch bei Freud fin­det –, ist zurück­zu­wei­sen. Freud sagt auch, das Den­ken sei eine Form der mas­tur­ba­to­ri­schen Befrie­di­gung. [¿ Mir ist nicht klar, ob Lacan auch die­se Freud’sche The­se zurück­weist oder ob er hier eine Bezie­hung zwi­schen unbe­wuss­tem Den­ken und Genie­ßen andeu­tet, ein Zusam­men­hang, der ihn in spä­te­ren Semi­na­ren stark beschäf­ti­gen wird.] Psy­cho­ana­ly­ti­ker haben, wenn es um das Den­ken geht, zwar eine grö­ße­re Spann­brei­te als ande­re [inso­fern sie „unbe­wuss­te Gedan­ken“ ken­nen und nach der Bezie­hung zur Trieb­be­frie­di­gung fra­gen]; das ändert jedoch nichts dar­an, dass die For­mel „Ich den­ke, also bin ich“ auch sie vor ein Pro­blem stellt. 

Para­do­xien der Aussage

[Um die­ses Pro­blem anzu­ge­hen, wen­det Lacan sich dem ers­ten Bestand­teil von Des­car­tes’ For­mu­lie­rung zu, dem Satz „Ich den­ke“.] Lacan behaup­tet: Die For­mu­lie­rung „ich den­ke“ ist kein Den­ken und sie stützt auch nicht den anschlie­ßen­den Satz „ich bin“; die For­mu­lie­rung „ich den­ke“ ist nicht halt­ba­rer als die Aus­sa­ge „Ich lüge [mit die­sem Satz]“.

Mit der Aus­sa­ge „Ich lüge [mit die­sem Satz]“ haben sich eini­ge Logi­ker beschäf­tigt. Denn der Satz führt zu einem Schwan­ken [zwi­schen Wahr und Falsch]. Wenn ich sage „ich lüge [mit die­sem Satz]“ [und wenn ich anneh­me, dass der Satz wahr ist], dann ist der Satz falsch, da ich ja das Gegen­teil behaup­te, näm­lich dass ich lüge –  wenn der Satz wahr ist, ist er also falsch. [Wenn der Satz aber falsch ist, dann heißt das, dass ich nicht lüge, son­dern die Wahr­heit spre­che, dann ist er also wahr.] Die­se Oszil­la­ti­ons­be­we­gung [zwi­schen Wahr­heit und Falsch­heit] hat dazu geführt, dass der Satz zu einem The­ma der for­ma­len Logik gewor­den ist.

Die Para­do­xie ent­steht dadurch, dass das Urteil [bzw. die Aus­sa­ge, die Pro­po­si­ti­on] sich hier auf sich selbst bezieht, dass also zwei Ebe­nen nicht unter­schie­den wer­den, die Ebe­ne von „Ich lüge“ [wobei das Lügen Gegen­stand einer Aus­sa­ge ist, ein The­ma] und die Ebe­ne der Arti­ku­la­ti­on von „Ich lüge“ [dass also die Ebe­ne des­sen, wor­über gespro­chen wird (énon­cé) und die des aktu­ell voll­zo­ge­nen Sprech­vor­gangs (énon­cia­ti­on) nicht unter­schie­den wer­den]. Da die­se Unter­schei­dung nicht getrof­fen wird, han­delt es nicht um eine wirk­li­che Aus­sa­ge. [?]

Sol­che Para­do­xien sind inso­fern inter­es­sant, als sie die wah­re Posi­ti­on der for­ma­len Logik ins­ge­samt auf­zei­gen, u.a. die des logi­schen Posi­ti­vis­mus [da die Logik über dem Pro­blem einer ähn­li­chen Para­do­xie in eine Kri­se gera­ten ist].

[Der Aus­druck „for­ma­le Logik“ wird in zwei Bedeu­tun­gen ver­wen­det, einer wei­ten und einer engen. Die for­ma­le Logik im wei­te­ren Sinn ist die Logik, die sich mit dem Zusam­men­hang zwi­schen der Form von Aus­sa­gen (von Urtei­len, von Pro­po­si­tio­nen) und ihrer Wahr­heit und Falsch­heit befasst, unter Abse­hung vom Inhalt; so ver­wen­det gehört auch die von Aris­to­te­les begrün­de­te Logik (auch „aris­to­te­li­sche Logik“ oder „tra­di­tio­nel­le Logik“ genannt) zur for­ma­len Logik. Als „for­ma­le Logik“ wird aber auch spe­zi­ell die­je­ni­ge Logik bezeich­net, die den Bruch mit der aris­to­te­li­schen Logik voll­zieht, indem sie sich auf das Vor­bild der Alge­bra stützt und spe­zi­el­le Schrift­zei­chen ver­wen­det; sie wur­de im 19. Jahr­hun­dert von Boole und Fre­ge begrün­det und wird auch als „moder­ne Logik“, „sym­bo­li­sche Logik“ oder „mathe­ma­ti­sche Logik“ bezeich­net. Ich kann nicht erken­nen, wel­che Bedeu­tung hier gemeint ist.] 

Um das zu zei­gen, soll­te man sich beim Umgang mit die­ser Para­do­xie auf den berühm­ten Satz des Kre­ters Epi­men­i­des bezie­hen, „Alle Kre­ter lügen“, das ist eine ent­wi­ckel­te­re Form des Sat­zes „Ich lüge [jetzt gera­de]“. Man hat kei­nen hin­rei­chen­den Gebrauch davon gemacht, um die Nich­tig­keit der beja­hen­den uni­ver­sa­len Aus­sa­ge zu bewei­sen. [Die nach­zu­wei­sen­de „wah­re Posi­ti­on“ der for­ma­len Logik bezieht sich spe­zi­ell auf die uni­ver­sa­le beja­hen­de Aus­sa­ge. „Nich­tig­keit“ könn­te hei­ßen: dass die uni­ver­sa­le Aus­sa­ge sich auf „nichts“ bezieht, das ist die von Lacan im Ver­lauf des Iden­ti­fi­zie­rungs­se­mi­nars ent­wi­ckel­te These.]

Lacan bezeich­net die uni­ver­sa­le beja­hen­de Aus­sa­ge mit dem Buch­sta­ben A [da sie im soge­nann­ten logi­schen Qua­drat der scho­las­ti­schen Logik mit die­sem Buch­sta­ben bezeich­net wird; auf die­ses Qua­drat und die dar­in ver­wen­de­ten Buch­sta­ben kommt er spä­ter zurück].

Die Para­do­xie des Epi­men­i­des ist geeig­net, um die Nich­tig­keit der beja­hen­den uni­ver­sa­len Aus­sa­ge zu zei­gen [also die Nich­tig­keit der Aus­sa­gen vom Typ „Alle S sind P“]. [Lacans Argu­ment ist: (a) Grund­la­ge der tra­di­tio­nel­len Logik ist die uni­ver­sa­le beja­hen­de Aus­sa­ge. (b) Eine bestimm­te uni­ver­sa­le beja­hen­de Aus­sa­ge führt in eine Para­do­xie, näm­lich die Aus­sa­ge eines Kre­ters „Alle Kre­ter sind (immer) Lüg­ner“ – wenn sie wahr ist, ist sie falsch. (c) Die­se schein­ba­re Aus­nah­me zeigt, dass es mit der uni­ver­sa­len beja­hen­den Aus­sa­ge ins­ge­samt Schwie­rig­kei­ten gibt, dass sie auf wack­li­gem Grund steht.]

Das Pro­blem, das mit „Ein Kre­ter sagt: ‚Alle Kre­ter sind Lüg­ner‘“ ver­bun­den ist, löst sich auf, wenn man sagt, mit dem Satz des Epi­men­i­des sei die fol­gen­de nega­ti­ve Exis­tenz­aus­sa­ge gemeint „Es gibt kei­nen Kre­ter, der nicht in der Lage wäre zu lügen.“ [Durch die dop­pel­te Ver­nei­nung ist die­se Aus­sa­ge einer uni­ver­sa­len beja­hen­den Aus­sa­ge äqui­va­lent, also der Aus­sa­ge „Alle Kre­ter sind in der Lage zu lügen“. Die Para­do­xie löst sich dadurch auf, das ein Dis­po­si­ti­ons­prä­di­kat ver­wen­det wird („in der Lage sein, etwas zu tun“), nicht durch die Umwand­lung in eine Aus­sa­ge, die mit „Es gibt nicht“ beginnt.]  Epi­men­i­des kann durch­aus sagen, „Es gibt kei­nen Kre­ter der nicht lügen kann“, denn damit sagt er nicht, dass es Kre­ter gäbe, die unun­ter­bro­chen lügen können.

Wenn alle Kre­ter aber tat­säch­lich bestän­dig lügen wür­den [statt dass sie nur in der Lage wären, bestän­dig zu lügen], dann wür­de dies ein bestän­di­ges Erin­ne­rungs­ver­mö­gen erfor­dern [an den Beschluss, fort­wäh­rend zu lügen]. Damit aber wür­de die lüg­ne­ri­sche Rede zum Äqui­va­lent eines Geständ­nis­ses, denn je stär­ker der Wil­le ist, zu lügen, des­to eher rutscht einem die Wahr­heit her­aus. [Lacan bezieht sich auf eine Urer­fah­rung der Psy­cho­ana­ly­se: dass die Wahr­heit etwas ist, was einem im Gespräch her­aus­rutscht, etwa in Gestalt eines Ver­spre­chers oder einer Mehrdeutigkeit.]

Man kann sich fra­gen, war­um der Kre­ter Epi­men­i­des auf die Idee kommt, einem das Geständ­nis zu machen „Alle Kre­ter sind Lüg­ner“. Die plau­si­bels­te Erklä­rung ist, dass er einen damit ver­wir­ren will – und zwar durch Ankün­di­gung sei­ner Metho­de, wobei die­se Ankün­di­gung der Wahr­heit ent­spricht. [Das könn­te hei­ßen: Er sagt dies, damit ich das, was er an Wah­rem sagt, für falsch hal­te.] Lacan ver­gleicht das mit dem umge­kehr­ten Vor­ge­hen, dass jemand mir sagt, er wer­de auf­rich­tig sein und er wer­de sich die Höf­lich­kei­ten spa­ren – er sagt mir das, damit ich ihm sei­ne Täu­schun­gen abneh­me [damit ich das, was er an Fal­schem sagt, für wahr halte].

Lacan geht nun, wie ange­kün­digt, von die­sem Son­der­fall einer uni­ver­sa­len Beja­hung – von „Alle Kre­ter sind Lüg­ner“ – zur uni­ver­sa­len Beja­hung schlecht­hin über.

Sei­ne The­se lau­tet: Jede uni­ver­sa­le Beja­hung [jede Aus­sa­ge vom Typ „Alle S sind P“] ver­folgt eine krum­me Absicht, ist ein Täu­schungs­ma­nö­ver [so wie im Fal­le von Epi­men­i­des, der mich mit der uni­ver­sal beja­hen­den Aus­sa­ge „Alle Kre­ter sind Lüg­ner“ ver­wir­ren will]. 

„Alle Men­schen sind sterblich“

Aris­to­te­les ver­wen­det in sei­ner Logik den Satz „Sokra­tes ist sterb­lich“. War­um sagt er das? Als Psy­cho­ana­ly­ti­ker soll­te man die­se Aus­sa­ge deuten.

[Mit „Sokra­tes ist sterb­lich“ sind wir bei einer sin­gu­lä­ren beja­hen­den Aus­sa­ge, bei einer Aus­sa­ge über ein Indi­vi­du­um, nicht bei einer uni­ver­sa­len beja­hen­den Aus­sa­ge. Indi­rekt geht es jedoch auch hier um eine uni­ver­sa­le beja­hen­den Aus­sa­ge, denn „Sokra­tes ist sterb­lich“ ist die Schluss­fol­ge­rung in einem berühm­ten logi­schen Schluss (oder Syl­lo­gis­mus oder Argu­ment), bei dem aus der Prä­mis­se „Alle Men­schen sind sterb­lich“ und der Prä­mis­se „Sokra­tes ist ein Mensch“ die Schluss­fol­ge­rung gezo­gen wird, „Also ist Sokra­tes sterb­lich“. Der sin­gu­lä­re beja­hen­de Satz „Sokra­tes ist sterb­lich“ funk­tio­niert vor dem Hin­ter­grund der uni­ver­sa­len beja­hen­den Aus­sa­ge „Alle Men­schen sind sterblich“.] 

Dass Aris­to­te­les den Satz „Sokra­tes ist sterb­lich“ ver­wen­det, soll­te Anlass für eine Inter­pre­ta­ti­on sein, wobei man sich nicht auf die Inter­pre­ta­ti­on in dem Sin­ne beschrän­ken soll­te, wie man das im Titel eines der Bücher von Aris­to­te­les fin­det. [Lacan bezieht sich auf das Werk, das im Latei­ni­schen De inter­pre­ta­tio­ne heißt (im Deut­schen meist Leh­re vom Satz); in die­ser Schrift wird die Unter­schei­dung von uni­ver­sa­len und par­ti­ku­lä­ren sowie von beja­hen­den und ver­nei­nen­den Aus­sa­gen ein­ge­führt.] Viel­mehr geht es um eine Deu­tung im Sin­ne der Psychoanalyse.

Bei die­ser Deu­tung soll­te man sich dar­auf bezie­hen, dass Sokra­tes kei­nes­wegs, wie alle Men­schen­tie­re, sterb­lich ist, son­dern dass er [auf der sym­bo­li­schen Ebe­ne] unsterb­lich ist. Ers­tens, weil sein Ruf solan­ge fort­dau­ern wird, wie die Über­tra­gungs­be­zie­hung, die Pla­ton zu Sokra­tes her­ge­stellt hat, fort­dau­ern wird [durch die Wirk­sam­keit von Pla­tons Dia­lo­gen, in denen Sokra­tes die Haupt­fi­gur ist]. Außer­dem ist Sokra­tes des­halb unsterb­lich, weil es ihm gelun­gen ist, sich aus­ge­hend von sei­ner sozia­len Iden­ti­tät [als Bür­ger von Athen] als ein Wesen der Ato­pie zu kon­sti­tu­ie­ren [der Ort­lo­sig­keit, als jemand, der nicht ein­zu­ord­nen ist]. [Die „Ato­pie“ des Sokra­tes wur­de von Lacan in Semi­nar 7, Die Ethik der Psy­cho­ana­ly­se (1959/​60), unter­sucht, die Über­tra­gungs­be­zie­hung gegen­über Sokra­tes war The­ma von Semi­nar 8, Die Über­tra­gung (1960/​61).– Die Deu­tungs­tech­nik besteht hier dar­in, dass ange­nom­men wird, dass der unbe­wuss­te Sinn der Aus­sa­ge ihr Gegen­teil ist. Das, was mit dem Satz „Sokra­tes ist sterb­lich“ abge­wehrt wird, ist Sokra­tes’ Unsterblichkeit.]

[Wor­in bestand die „Ato­pie“ des Sokra­tes? Dar­in, dass er bestän­dig nach Begriffs­de­fi­ni­tio­nen frag­te, selbst aber kei­ne Lösung hat­te? Und inwie­fern ist er gera­de auf­grund sei­ner „Ato­pie“ unsterb­lich? Ver­mut­lich inso­fern, als das Begeh­ren sich auf ein „ato­pi­sches“ Objekt stützt, auf das Objekt des Begeh­rens als Ursa­che des Begeh­rens, wie es ab dem fol­gen­den Semi­nar hei­ßen wird (Semi­nar 10, Die Angst, 1962/​63).]

Die­se Ort­lo­sig­keit beruht auf sei­ner sozia­len Iden­ti­tät [als Bür­ger Athens], wobei die­se sozia­le Iden­ti­tät so stark war, dass er nicht ins Exil gehen konn­te [um so der Exe­ku­ti­on zu ent­ge­hen]. Die­se Ort­lo­sig­keit hat das Begeh­ren von Sokra­tes nach sei­nem eige­nen Tod gestärkt [sei­nen „Todes­wunsch“, sei­nen „Todes­trieb“, in der Ter­mi­no­lo­gie von Freud], sodass er dar­aus das acting out sei­nes Lebens gemacht hat [indem er die Hin­rich­tung gelas­sen akzep­tier­te (statt ins Exil zu gehen) und auf die­se Wei­se sein Leben „aus­agier­te“]. [Es geht um die Sub­jekt­spal­tung, um die Spal­tung zwi­schen der Iden­ti­fi­zie­rung und dem Begeh­ren: Sokra­tes iden­ti­fi­ziert sich mit der Posi­ti­on des athe­ni­schen Bür­gers, das ist die eine Sei­te der Spal­tung. Die Kehr­sei­te ist sein Begeh­ren, ein Objekt zu sein, das in der sozia­len Ord­nung gera­de kei­nen Platz hat; er rea­li­siert die­ses Begeh­ren, indem er sich hin­rich­ten lässt.] Sei­ne letz­ten Wor­te bezie­hen sich dar­auf, dass man dem Askle­pi­os [dem Gott der Heil­kunst] noch einen Hahn schul­det, ein Opfer, und er sagt das, als gin­ge es um eine gewöhn­li­che sozia­le Pflicht [er ist also zugleich in der sozia­len Ord­nung tief ver­an­kert, es ist ihm wich­tig, sei­ne Schul­den (gegen­über irgend­ei­nem Tem­pel) zu bezah­len, auch noch nach sei­nem Tod].

[War­um also setzt Aris­to­te­les mit­ten in sei­ne Logik des Satz „Sokra­tes ist sterb­lich“?] Um die von Pla­ton auf­ge­bau­te Über­tra­gung [im Ver­hält­nis zu Sokra­tes] aus­zu­trei­ben [die Bin­dung an Sokra­tes und an des­sen Begriffs­kri­tik]. War­um war Aris­to­te­les das wich­tig? Weil er in die­ser Über­tra­gung [in die­ser Bin­dung an Sokra­tes] ein Hin­der­nis für die Ent­wick­lung des Wis­sens sah. [Das ist viel­leicht eine Anspie­lung auf den Begriff des epis­te­mo­lo­gi­schen Hin­der­nis­ses von Gas­ton Bachel­ard.] 

Jen­seits der Begriffslogik

Aller­dings hat Aris­to­te­les sich geirrt. Die moder­ne Wis­sen­schaft hat sich nicht aus­ge­hend von Aris­to­te­les ent­wi­ckelt, nicht aus­ge­hend von der Rück­kehr zum Wis­sen als Begriff. [Die Aris­to­te­li­sche Logik ist eine Begriffs­lo­gik, das heißt, für sie sind die grund­le­gen­den Ele­men­te Begrif­fe, und sie unter­sucht die Bezie­hun­gen zwi­schen Begrif­fen. In „Alle Men­schen sind sterb­lich“ fun­giert „Alle Men­schen“ als Begriff, man kann dafür ein­set­zen „Men­schen sind sterb­lich“. Und auch das Prä­di­kat wird als Begriff auf­ge­fasst, „Alle Men­schen sind sterb­lich“ wird umfor­mu­liert in „Men­schen sind Sterb­li­che“. Für die moder­ne Logik hin­ge­gen sind nicht Begrif­fe die Grund­ele­men­te, son­dern vor allem Aus­sa­gen (Boole, Fre­ge) oder Prä­di­ka­te (Fre­ge, Peirce). Aus­sa­gen im Sin­ne der Logik (Urtei­le, Pro­po­si­tio­nen) sind Sät­ze wie z.B. „Men­schen sind sterb­lich“, die Aus­sa­gen­lo­gik unter­sucht die Bezie­hun­gen zwi­schen Aus­sa­gen. Prä­di­ka­te sind Aus­sa­gen mit Leer­stel­len und Quan­to­ren, z.B. „Alle  … sind sterb­lich“ (der Quan­tor ist hier­bei „alle“); die Prä­di­ka­ten­lo­gik wird auch als Quan­to­ren­lo­gik bezeich­net. In den soge­nann­ten For­meln der Sexu­ie­rung (Semi­na­re 18 bis 20) wird Lacan an die Prä­di­ka­ten­lo­gik anknüpfen.]

Für die Ent­ste­hung der moder­nen Wis­sen­schaft muss­te die Ent­na­tu­ra­li­sie­rung des Begeh­rens noch wei­ter gehen als bei Pla­ton. Die moder­ne Wis­sen­schaft ist aus einem Hyper­pla­to­nis­mus her­aus ent­stan­den. Dazu war der „zwei­te Tod der Göt­ter“ nötig, ihre sche­men­haf­te Wie­der­kehr in der Renais­sance. Die­ser zwei­te Tod der Göt­ter besteht in der Ver­trei­bung der „Fins­ter­nis des Sinns“ [mög­li­cher­wei­se ist gemeint: in der Geo­me­tri­sie­rung der Astro­no­mie in der Renais­sance].

[Inwie­fern geht es um einen Hyper­pla­to­nis­mus? Kenn­zeich­nend für die moder­ne Wis­sen­schaft ist, wie Lacan immer wie­der sagt, die Ver­wen­dung von For­meln nach dem Vor­bild der Alge­bra und in die­sem Sin­ne die Ver­trei­bung des Sinns bzw. des Begriffs. Mög­li­cher­wei­se will Lacan andeu­ten, dass für die Ori­en­tie­rung am mathe­ma­ti­schen For­ma­lis­mus die pla­to­ni­sche Tren­nung von sinn­lich wahr­nehm­ba­rer Welt und geis­tig zugäng­li­chen Ideen eine ent­schei­den­de Vor­aus­set­zung war und dass die­se Tren­nung durch die Rezep­ti­on des Neu­pla­to­nis­mus in der Renais­sance (Fici­no) mög­lich wur­de. Den Zusam­men­hang von Rezep­ti­on des Neu­pla­to­nis­mus und Ent­ste­hung der moder­nen Wis­sen­schaft hat Alex­and­re Koy­ré unter­sucht, auf den Lacan sich hier ver­mut­lich stützt.]

[In der Renais­sance gibt es eine Wie­der­kehr der anti­ken Göt­ter; inso­fern kann man die Wen­dung zu den mathe­ma­ti­schen For­meln als zwei­ten Tod der Göt­ter bezeich­nen. Den Begriff des „zwei­ten Todes“ hat­te Lacan in Semi­nar 7 von 1959/​60 ein­ge­führt, Die Ethik der Psy­cho­ana­ly­se, vgl. die­sen Blog­bei­trag.] 

Aus­ge­sag­tes und Äußerungsvorgang

Lacan kommt auf den Satz „Ich den­ke“ zurück. Die­ser Satz hat eine wil­lent­li­che Dimen­si­on, das ist das Min­des­te, was man aus den vor­an­ge­hen­den Dar­le­gun­gen ablei­ten kann. [Der Satz „ich den­ke“ beruht auf einem Wil­len, so wie der Satz „Alle Kre­ter lügen“ auf dem Wunsch beruht, mich zu ver­wir­ren, und der Satz „Sokra­tes ist sterb­lich“ auf einem Todes­wunsch gegen­über Sokrates.]

Die Para­do­xie des Sat­zes „Ich lüge [gera­de]“ ergibt sich dar­aus, dass das Aus­ge­sag­te (énon­cé)  und der Äuße­rungs­vor­gang (énon­cia­ti­on) ver­mengt wer­den. [In „Ich lüge (gera­de)“ ist das Lügen des Ichs etwas, wor­über gespro­chen wird, was the­ma­ti­siert wird (ähn­lich wie in „er lügt“); dies liegt auf der Ebe­nes des Aus­ge­sag­ten. Die For­mu­lie­rung „Ich lüge (gera­de)“ bezieht sich zugleich auf das aktu­ell voll­zo­ge­ne Spre­chen (damit das ein­deu­tig ist, muss man „gera­de“ hin­zu­fü­gen), inso­fern liegt „ich lüge (gera­de)“ auf der Ebe­ne des Äußerungsvorgangs.]

Im Gra­phen des Begeh­rens hat­te Lacan die­se bei­den Ebe­nen unter­schie­den und ihnen zwei Lini­en zuge­ord­net. [Die unte­re von links nach rechts ver­lau­fen­de Quer­li­nie (in der end­gül­ti­gen Ver­si­on des Gra­phen führt sie von „Signi­fi­kant“ bis „Stim­me“) ent­spricht dem Aus­ge­sag­ten (énon­cé), die obe­re von links nach rechts ver­lau­fen­de Linie (von „Genie­ßen“ bis „Kas­tra­ti­on“) dem Äuße­rungs­vor­gang (énon­cia­ti­on).33]

Graph des Begehrens

Die Unter­schei­dung der bei­den Stim­men für das Aus­ge­sag­te (enon­cé) und für den Äuße­rungs­vor­gang (enon­cia­ti­on) ist völ­lig zuläs­sig. [Ein und die­sel­be Laut­fol­ge, z.B. „ich lüge“, hat zwei „Stim­men“, in ihr wird über etwas gespro­chen, und zugleich ist sie ein Sprechvorgang.]

Wenn ich sage „Er sagt, dass ich lüge“, ist das ein­fach. [Das, wor­über gespro­chen wird, das Aus­ge­sag­te, bezieht sich nicht auf den lau­fen­den Sprech­vor­gang, sowohl das „sagen“ von „er“ als auch das „lügen“ von „ich“ sind hier ein­fach nur etwas, wor­über gespro­chen wird.] Das ist so ein­fach, wie wenn ich sage, „Er lügt“. Und ich kann sogar sagen „Ich sage, dass ich lüge“ [der Bestand­teil „ich sage“ bezieht sich zwar auf den Sprech­vor­gang, aber das „ich lüge“ wird hier nur zitiert, und damit wird die Ver­men­gung ver­hin­dert].

Wahr­heit

[Die Logik betrach­tet Aus­sa­gen (im Sin­ne der Logik) unter dem Gesichts­punkt von Wahr­heit und Falsch­heit. Also fragt sich, wie der Begriff der Wahr­heit sich für die Psy­cho­ana­ly­se darstellt.]

Etwas ande­res ist es, wenn ich sage „Ich weiß, dass ich lüge“. 

Einem Ana­ly­ti­ker fällt die­se For­mu­lie­rung des­halb auf, weil er sei­nem Pati­en­ten gewis­ser­ma­ßen das Gegen­teil sagt: „Du weißt nicht, dass du die Wahr­heit sagst.“ [Du weißt nicht, dass du die Wahr­heit in dei­nen Träu­men sagst und in dei­nen Sym­pto­men, z.B. in einem Ver­spre­cher oder einer Mehrdeutigkeit.]

[Lacan ent­fal­tet die Dia­lek­tik von Wahr­heit und Lügen in der Psy­cho­ana­ly­se:] Der Pati­ent sagt genau in dem Maße die Wahr­heit, wie er zu lügen glaubt. Wenn er nicht lügen will, dann nur des­halb, um sich vor der Wahr­heit zu schüt­zen [Freuds Begriff der Ratio­na­li­sis­erung]. Nur auf die­se Wei­se ist die Wahr­heit zugäng­lich. Die Wahr­heit ist immer etwas Ver­irr­tes. [Die Wahr­heit kann, in psy­cho­ana­ly­ti­scher Per­spek­ti­ve, nicht inten­tio­nal ange­gan­gen wer­den, sie ist für die Psy­cho­ana­ly­se immer etwas, was sich über­ra­schend zeigt, die Auf­de­ckung von etwas Ver­dräng­tem.] Die Wahr­heit ist wie eine Toch­ter, inso­fern jede Toch­ter eine Ver­irr­te ist. [¿ Mir ist nicht klar, wor­auf Lacan hier anspielt.]

Misstrauen gegenüber Klassen

Übersetzung

Am 13. Dezem­ber 1961 ver­weist Lacan auf die Hete­ro­ge­ni­tät von Freuds Unter­schei­dung zwi­schen drei For­men der Iden­ti­fi­zie­rung in Mas­sen­psy­cho­lo­gie und Ich-Ana­ly­se und fährt dann fort:

„Die­se Beschränkt­heit des Zugangs, die­ser Zugang zum Pro­blem von der Sei­te her, wenn ich so sagen kann – ich habe das Gefühl, wenn ich Sie dar­auf hin­wei­se, dass es dann ange­bracht ist, dass ich sie heu­te recht­fer­ti­ge; und ich hof­fe, das ganz schnell tun zu kön­nen, um mich ohne all­zu gro­ße Umwe­ge ver­ständ­lich zu machen, indem ich Sie an etwas erin­ne­re, was für uns ein Metho­den­prin­zip ist, dass wir näm­lich ange­sichts unse­res Plat­zes, unse­rer Funk­ti­on bei der Bah­nung des Weges Fol­gen­des sein müs­sen, dass wir miss­trau­isch sein müs­sen, sagen wir, gegen­über dem All­ge­mei­nen (géné­ral), und trei­ben Sie das so weit wie Sie wol­len: gegen­über der Gat­tung (gen­re) und selbst gegen­über der Klasse.

Es mag Ihnen eigen­ar­tig vor­kom­men, dass jemand, der bei der Arti­ku­la­ti­on der Phä­no­me­ne, mit denen wir es zu tun haben, Ihnen gegen­über die Prä­gnanz der Funk­ti­on der Spra­che betont, dass er sich hier von einem Bezie­hungs­mo­dus abgrenzt, der im Bereich der Logik wirk­lich grund­le­gend ist. Wie auf eine Logik ver­wei­sen, von ihr spre­chen, die im ers­ten anfäng­li­chen Schritt das Miss­trau­en gegen­über dem Begriff der Klas­se beto­nen muss, ein Miss­trau­en, das ich als ganz ursprüng­lich anset­zen möch­te? Das ist genau das, wor­in das Feld, das wir hier zu arti­ku­lie­ren ver­su­chen, sei­ne Ori­gi­na­li­tät gewinnt und sei­ne Spezifik.

Das, was mich dazu ver­an­lasst, ist kein prin­zi­pi­el­les Vor­ur­teil. Es ist die Not­wen­dig­keit unse­res eige­nen Gegen­stan­des, die uns zu dem drängt, was sich im Lau­fe der Jah­re, Abschnitt für Abschnitt, tat­säch­lich ent­wi­ckelt: eine logi­sche Arti­ku­la­ti­on, die mehr tut, als nur etwas anzu­deu­ten, die sich – vor allem in die­sem Jahr, so hof­fe ich – immer mehr dem annä­hert, Algo­rith­men aus­zu­ar­bei­ten, die es mir ermög­li­chen, die­ses Kapi­tel als Logik zu bezeich­nen, die­ses Kapi­tel, das wir den von der Spra­che aus­ge­üb­ten Funk­tio­nen wer­den hin­zu­fü­gen müs­sen, Funk­tio­nen in einem bestimm­ten Feld des Rea­len, in dem­je­ni­gen, in dem wir, spre­chen­de Wesen, die Füh­rer sind. Sei­en wir also höchst miss­trau­isch gegen­über jeder koi­no­nia tōn genōn, um einen Platon’schen Ter­mi­nus zu ver­wen­den34, miss­trau­isch gegen­über all dem, was bei irgend­ei­ner Gat­tung die Figur der Gemein­schaft ist, und ins­be­son­de­re bei den­je­ni­gen, die für uns die ursprüng­lichs­ten sind.

Die drei Iden­ti­fi­zie­run­gen bil­den wahr­schein­lich kei­ne Klas­se.35 Wenn sie den­noch den­sel­ben Namen tra­gen kön­nen, der hier den Schat­ten eines Begriffs bei­steu­ert, wer­den wir sicher­lich auch das berück­sich­ti­gen müs­sen. Wenn wir auf exak­te Wei­se ope­rie­ren, ist das wohl kei­ne Auf­ga­be, die unse­re Kräf­te übersteigt.

Tat­säch­lich wis­sen wir bereits, dass das, was für uns eine uni­ver­sa­le Funk­ti­on ist, immer auf dem Niveau des Beson­de­ren auf­taucht. Und auf dem Niveau des Fel­des, auf dem wir uns bewe­gen, dür­fen wir uns nicht zu sehr dar­über wun­dern. Denn bezo­gen auf die Funk­ti­on der Iden­ti­fi­zie­rung ken­nen wir bereits – wir haben genü­gend zusam­men­ge­ar­bei­tet, um das zu wis­sen –, ken­nen wir bereits den Sinn der For­mel, dass das, was geschieht, wesent­lich auf dem Niveau der Struk­tur geschieht. Und die Struk­tur – muss man dar­an erin­nern? ja, ich glau­be, dass ich heu­te, bevor ich einen Schritt wei­ter gehe, dar­an erin­nern muss –, die Struk­tur ist das, was wir als Spe­zi­fi­zie­rung ins­be­son­de­re <in das> Regis­ter des Sym­bo­li­schen ein­ge­führt haben.“36

Anschlie­ßend betont Lacan, dass die Unter­schei­dung zwi­schen dem Sym­bo­li­schen, dem Ima­gi­nä­ren und dem Rea­len kei­ne onto­lo­gi­sche Unter­schei­dung sei, kei­ne Unter­schei­dung von Seins­ar­ten. Viel­mehr han­de­le es sich, was das Sym­bo­li­sche angeht, um ein Feld der psy­cho­ana­ly­ti­schen Erfah­rung, das bis­lang nicht hin­rei­chend unter­schie­den wor­den sei, wobei die­ses Erfah­rungs­feld durch die psy­cho­ana­ly­ti­sche Tech­nik kon­sti­tu­iert werde.

Paraphrase mit Ergänzungen

Miss­trau­en gegen­über Klassen

Psy­cho­ana­ly­ti­ker müs­sen miss­trau­isch sein gegen­über dem All­ge­mei­nen (géné­ral). Das heißt auch, dass sie gegen­über der Gat­tung (gen­re) und der Klas­se miss­trau­isch sein müs­sen, gegen­über allem, was bei einer Gat­tung die Figur der Gemein­schaft ist, dass sie miss­trau­isch gegen­über dem sein müs­sen, was Pla­ton im Sophis­tes als koi­no­nia tōn genōn bezeich­net, als Gemein­schaft der Klas­sen. [Weder die Begriffs­lo­gik noch die Klas­sen­lo­gik sind dem­nach ein unpro­ble­ma­ti­scher Aus­gangs­punkt für die Ent­wick­lung einer Logik des unbe­wuss­ten Den­kens.] Psy­cho­ana­ly­ti­ker müs­sen also gegen­über einer Bezie­hungs­art miss­trau­isch sein, die für die Logik grund­le­gend ist. Die­ses Miss­trau­en ist ganz ursprüng­lich, hier­durch bekommt das Feld der Psy­cho­ana­ly­se sei­ne Ori­gi­na­li­tät. Das Miss­trau­en gegen­über dem Begriff der Klas­se hat kei­nes­wegs prin­zi­pi­el­len Cha­rak­ter, es beruht viel­mehr auf der Not­wen­dig­keit des Gegen­stan­des der Psychoanalyse.

Der Gegen­stand der Psy­cho­ana­ly­se drängt Lacan dazu, sagt er, Schritt für Schritt eine logi­sche Arti­ku­la­ti­on zu ent­wi­ckeln, die auf „Algo­rith­men“ abzielt [auf For­meln], die es gestat­ten, ein bestimm­tes Kapi­tel als „Logik“ zu bezeichnen.

Die drei For­men der Iden­ti­fi­zie­rung [von denen Freud in Mas­sen­psy­cho­lo­gie und Ich-Ana­ly­se spricht], bil­den wahr­schein­lich kei­ne Klas­se. [Die drei Iden­ti­fi­zie­rungs­ar­ten sind dort: pri­mä­re Iden­ti­fi­zie­rung mit dem idea­li­sier­ten Vater, Iden­ti­fi­zie­rung mit dem unzu­gäng­li­chen Lie­bes­ob­jekt, hys­te­ri­sche Iden­ti­fi­zie­rung mit dem Begeh­ren von anderen.]

Die Iden­ti­fi­zie­rung ist für den Ana­ly­ti­ker eine „uni­ver­sa­le Funk­ti­on“ [wohl im Sin­ne von: er stößt bestän­dig dar­auf]. Aber wir [als Ana­ly­ti­ker] wis­sen, dass die­se „uni­ver­sa­le Funk­ti­on“ immer auf dem Niveau des Beson­de­ren auftaucht.

Man muss [bei der Rekon­struk­ti­on der ver­schie­de­nen Iden­ti­fi­zie­rungs­ar­ten] von der Struk­tur aus­ge­hen, und die Struk­tur ist eine Spe­zi­fi­zie­rung im Regis­ter des Symbolischen.

Fundierung der universalen bejahenden Aussage durch das Nichts

Übersetzung

Drei Sit­zun­gen spä­ter, am 17. Janu­ar 1962, spricht Lacan über die ver­schie­de­nen For­men der Nega­ti­on im Fran­zö­si­schen, ins­be­son­de­re über das soge­nann­te „exple­ti­ve ne“ (wie in je crains qu’il ne vien­ne, „ich fürch­te, dass er kommt“, „ich fürch­te, dass er viel­leicht kommt“). Er knüpft an Pich­on an, der die­ses ne als „dis­kor­d­an­ti­el­les ne“ bezeich­net – als ne, das eine Nicht-Über­ein­stim­mung anzeigt –, und er führt die­sen Gedan­ken fort: Das soge­nann­te exple­ti­ve ne ist für Lacan der Signi­fi­kant des Sub­jekts des Äuße­rungs­vor­gangs (énon­cia­ti­on) im Unter­schied zum Aus­ge­sag­ten (énon­cé).37 Danach heißt es:

„Pas un hom­me qui ne men­te (kein Mensch, der nicht lügt /​ der nicht lügen wür­de) zeigt sei­nen Unter­schied im Ver­hält­nis zu die­sem Zusam­men­spiel von Arten des Feh­lens: etwas, das auf einer ganz ande­ren Ebe­ne liegt und das hin­rei­chend durch die Ver­wen­dung des Sub­junk­tivs [men­te] ange­zeigt wird. Die­ses ‚Kein Mensch, der nicht lügt‘ liegt auf der­sel­ben Ebe­ne wie das, was die ganz und gar dis­kor­d­an­ti­el­len For­men moti­viert und defi­niert – um den Ter­mi­nus von Pich­on zu ver­wen­den –, wie wir dem ne zuschrei­ben könn­ten: vom je crains qu’il ne vien­ne (ich fürch­te, dass er viel­leicht kommt) bis zum avant qu’il ne vien­ne (bevor er kommt), bis zum plus petit que je ne le croya­is (klei­ner als ich geglaubt habe /​ als ich glau­ben moch­te) oder auch il y a long­temps que je ne l’ai vu (es ist lan­ge her, dass ich ihn gese­hen habe), die, das sage ich Ihnen am Ran­de, alle mög­li­chen Fra­gen auf­wer­fen, die ich im Augen­blick über­ge­hen muss. Am Ran­de wei­se ich Sie dar­auf hin, was von einer For­mu­lie­rung wie il y a long­temps que je ne l’ai vu gestützt wird – Sie kön­nen das nicht über einen Toten sagen und nicht über einen Ver­miss­ten, il y a long­temps que je ne l’ai vu unter­stellt, dass eine wei­te­re Begeg­nung immer mög­lich ist. Sie sehen, mit wel­cher Vor­sicht die Prü­fung, die Unter­su­chung die­ser Aus­drü­cke vor­ge­nom­men wer­den muss.

Und des­halb, in dem Moment, in dem wir ver­su­chen, nicht die Dicho­to­mie vor­zu­brin­gen, son­dern eine all­ge­mei­ne Tabel­le der unter­schied­li­chen Cha­rak­te­re der Nega­ti­on, für deren Fel­der uns unse­re Erfah­rung Ein­trä­ge lie­fert, die weit­aus rei­cher sind als alles, was, auf der Ebe­ne der Phi­lo­so­phen von Aris­to­te­les bis  Kant gemacht wor­den ist –; und Sie wis­sen, wie die­se Feld­ein­trä­ge hei­ßen: Pri­va­ti­on, Frus­tra­ti­on, Kas­tra­ti­on.38

Wir wer­den ver­su­chen, sie wie­der auf­zu­neh­men, um sie mit der Signi­fi­kan­ten­stüt­ze der Nega­ti­on zu kon­fron­tie­ren, so wie wir ver­su­chen kön­nen, sie zu identifizieren.

‚Kein Mensch, der nicht lügt.‘ Was gibt die­se For­mu­lie­rung uns zu verstehen?

‚Homo mend­ax‘ [latei­nisch, ‚Der Mensch (ist) ein Lüg­ner‘], die­ses Urteil, die­se Aus­sa­ge, die ich Ihnen in Form des Typus der uni­ver­sa­len Beja­hung prä­sen­tie­re, wor­über Sie viel­leicht wis­sen, dass ich in mei­ner ers­ten Semi­nar­sit­zung in die­sem Jahr bereits dar­auf ange­spielt habe, bezo­gen auf die klas­si­sche Ver­wen­dung des Syl­lo­gis­mus ‚Jeder Mensch ist sterb­lich‘, ‚Sokra­tes ist ein Mensch‘ usw., mit dem, was ich am Ran­de zu sei­ner Über­tra­gungs­funk­ti­on ange­merkt habe.

Ich glau­be, dass es uns wei­ter­bringt, beim Zugang zu die­ser Funk­ti­on der Nega­ti­on, auf der Ebe­ne ihres ursprüng­li­chen radi­ka­len Gebrauchs, wenn wir das for­ma­le Sys­tem der Aus­sa­gen betrach­ten, wie es von Aris­to­te­les klas­si­fi­ziert wor­den ist, mit den Kate­go­rien, die als uni­ver­sa­le Beja­hun­gen [A] und als uni­ver­sa­le Ver­nei­nun­gen [E] bezeich­net wer­den, und den par­ti­ku­lä­ren Aus­sa­gen, die eben­falls als beja­hend [I] und als ver­nei­nend [O] bezeich­net wer­den.39

Sagen wir es gleich: Das The­ma der soge­nann­ten Ent­ge­gen­set­zung von Aus­sa­gen, dass sei­nen Ursprung bei Aris­to­te­les hat, in sei­ner gesam­ten Ana­ly­se, in sei­ner gesam­ten Mecha­nik des Syl­lo­gis­mus, ist, auch wenn es anders aus­sieht, nicht ohne zahl­rei­che Schwierigkeiten.

Wenn man sagen wür­de, dass die Ent­wick­lun­gen der moderns­ten Logik die­se Schwie­rig­kei­ten erhellt haben, wür­de man ganz sicher etwas sagen, dem die gesam­te Geschich­te wider­spricht. Ganz im Gegen­teil, das ein­zi­ge, was in die­ser Geschich­te erstaun­lich her­vor­tritt, ist der Ein­druck der Ein­heit­lich­keit in der Zustim­mung, der die­se soge­nann­ten aris­to­te­li­schen For­meln bis hin zu Kant begeg­net sind, denn Kant heg­te die Illu­si­on, die­ses Gebäu­de sei unan­greif­bar. Gewiss, es ist schon etwas, dass man bei­spiels­wei­se dar­auf hin­wei­sen kann, dass dar­in die Akzen­tu­ie­rung der beja­hen­den und der ver­nei­nen­den Funk­ti­on nicht von Aris­to­te­les selbst arti­ku­liert wor­den ist und dass man deren Ursprung erst viel spä­ter anset­zen soll­te, wahr­schein­lich mit Aver­roes. Dies, um Ihnen zu sagen, dass die Din­ge, wenn es dar­um geht, sie ein­zu­schät­zen, nicht so ein­fach sind.

Die­je­ni­gen, denen die Funk­ti­on die­ser Aus­sa­gen in Erin­ne­rung gebracht wer­den muss, möch­te ich kurz dar­an erinnern.

– A40 –

Homo mend­ax, weil es das ist, was ich gewählt habe, um die­se Erin­ne­rung ein­zu­füh­ren, neh­men wir also dies, homo [Mensch] und sogar omnis homo [jeder Mensch], omnis homo mend­ax: Jeder Mensch ist ein Lüg­ner.41

Bei Aris­to­te­les die Kon­no­ta­ti­on von pas [grie­chisch „alle“], um die Funk­ti­on des Uni­ver­sa­len zu bezeichnen.

– E42 –

Was ist die ver­nei­nen­de For­mel? Einer Form ent­spre­chend, die trägt, und zwar in vie­len Spra­chen, kann omnis homo non mend­ax [Alle Men­schen sind kei­ne Lüg­ner] genü­gen. Ich mei­ne, dass omnis homo non mend­ax bedeu­tet, dass für jeden Men­schen wahr ist, dass er kein Lüg­ner ist. Doch um der Klar­heit wil­len ver­wen­den wir den Aus­druck nul­lus [kein]: nul­lus homo mend­ax [kein Mensch ist ein Lüg­ner].

Das ist das, was übli­cher­wei­se mit dem Buch­sta­ben A bzw. E kon­no­tiert wird, für die beja­hen­de Uni­ver­sal­aus­sa­ge und für die ver­nei­nen­de Uni­ver­sal­aus­sa­ge.43

Was geschieht auf der Ebe­ne der par­ti­ku­lä­ren Beja­hun­gen?44

Da wir uns für die ver­nei­nen­de Aus­sa­ge inter­es­sie­ren, wer­den wir die par­ti­ku­lä­re Aus­sa­ge hier in ver­nei­nen­der Form einführen.

– O45 –

Non omnis homo mend­ax: Nicht jeder Mensch ist ein Lüg­ner. Anders gesagt, ich wäh­le aus und ich stel­le fest, dass es Men­schen gibt, die kei­ne Lüg­ner sind.46

– I –

Kurz, das bedeu­tet nicht, das irgend­je­mand, ali­quis, kein Lüg­ner sein kann: ali­quis homo mend­ax [jemand ist Lüg­ner], das ist die beja­hen­de Par­ti­ku­lä­re, die in der klas­si­schen Nota­ti­on gemein­hin mit dem Buch­sta­ben I bezeich­net wird.

[– O –]

Hier wird die ver­nei­nen­de par­ti­ku­lä­re Aus­sa­ge so sein – wobei das non omnis durch <non> nul­lus ersetzt wird –: non nul­lus homo non mend­ax: es gibt nicht kei­nen Men­schen, der kein Lüg­ner ist. Anders aus­ge­drückt, ganz wie wir gewählt hat­ten, zu sagen, dass nicht jeder Mensch kein Lüg­ner ist [O], drückt dies es auf ande­re Wei­se aus, näm­lich dass es nicht kei­nen gibt, für den gäl­te, kein Lüg­ner zu sein.47

Die so orga­ni­sier­ten Ter­mi­ni unter­schei­den sich in der klas­si­schen Theo­rie durch die fol­gen­den For­meln, durch die sie rezi­prok in soge­nann­te kon­trä­re und sub­kon­trä­re Posi­tio­nen gebracht wer­den.48

Logi­sches Quadrat

Das heißt, dass die uni­ver­sa­len Pro­po­si­tio­nen A und E auf ihrer eige­nen Ebe­ne inso­fern im Gegen­satz zuein­an­der ste­hen, als sie nicht zugleich wahr sein kön­nen: Es kann nicht zugleich wahr sein, dass jeder Mensch ein Lüg­ner sein kann [A] und dass kein Mensch ein Lüg­ner sein kann [E], wäh­rend alle ande­ren Kom­bi­na­tio­nen mög­lich sind.49

Es kann nicht zugleich falsch sein, dass es Men­schen gibt, die Lüg­ner sind [I] und Men­schen, die kei­ne Lüg­ner sind [O].50

Der kon­tra­dik­to­ri­sche Gegen­satz ist der­je­ni­ge, für den die Aus­sa­gen, die in jedem die­ser Qua­dran­ten ver­or­tet sind, sich inso­fern dia­go­nal gegen­über­ste­hen [A↔O und E↔I], als jede, wenn sie wahr ist, die Wahr­heit der­je­ni­gen aus­schließt, die ihr als kon­tra­dik­to­risch gegen­über­steht, und wenn sie falsch ist, die Falsch­heit der­je­ni­gen aus­schließt, die ihr als kon­tra­dik­to­risch gegen­über­steht. Wenn es lüg­ne­ri­sche Men­schen gibt [I], ist das nicht damit ver­ein­bar, dass kein Mensch ein Lüg­ner ist [E]. Umge­kehrt ist die Bezie­hung die­sel­be bei der ver­nei­nen­den par­ti­ku­lä­ren Aus­sa­ge [O] im Ver­hält­nis zur beja­hen­den [uni­ver­sa­len] Aus­sa­ge [A].

Was wer­de ich Ihnen anbie­ten, um Sie spü­ren zu las­sen, was sich auf der Ebe­ne des aris­to­te­li­schen Tex­tes immer als das dar­stellt, was sich im Ver­lauf der Geschich­te, bezo­gen auf die Defi­ni­ti­on der Uni­ver­sal­aus­sa­ge, an Unsi­cher­heit ent­wi­ckelt hat?

Beach­ten Sie zunächst, wenn ich hier für Sie das non omnis homo mend­ax [O] ein­ge­bracht habe, dass das ‚nicht alle‘ – wobei der Aus­druck ‚nicht‘ sich auf den Begriff ‚alle‘ bezieht –, dass das „nicht alle‘ das ist, was das Par­ti­ku­lä­re definiert.

Das ist kei­nes­wegs legi­tim, denn gera­de Aris­to­te­les wider­setzt sich dem, und das in einer Wei­se, die im Gegen­satz zur gesam­ten Ent­wick­lung steht, die die Spe­ku­la­ti­on über die for­ma­le Logik danach neh­men konn­te, das heißt zu einer Ent­wick­lung, einer Erläu­te­rung durch Exten­si­on51, die einen Appa­rat ein­grei­fen ließ, der durch einen Kreis sym­bo­li­siert wer­den kann, durch eine Zone, in der die Gegen­stän­de ver­sam­melt sind, die sei­ne Trä­ger bil­den. Aris­to­te­les – und zwar genau vor der Ers­ten Ana­ly­tik, zumin­dest in dem Werk, dass ihr in der Grup­pie­rung sei­ner Wer­ke vor­aus­geht, das ihr aber offen­kun­dig auch logisch, wenn nicht chro­no­lo­gisch, vor­aus­geht, und wel­ches Leh­re vom Satz heißt52 –, Aris­to­te­les weist dar­auf hin, nicht ohne das Erstau­nen der His­to­ri­ker her­vor­ge­ru­fen zu haben, dass die Nega­ti­on sich nicht auf die Qua­li­fi­zie­rung der Uni­ver­sa­li­tät bezie­hen soll. Wor­um es geht, ist also viel­mehr ein ‚irgend­ein Mensch‘, ali­quis, ein ‚irgend­ein Mensch‘, das wir als sol­ches befra­gen müssen.

Was hier in Fra­ge steht, ist also die Qua­li­fi­zie­rung als omnis, von omni­tu­de53, der Umfang der Kate­go­rie des Universalen.

Liegt das auf der­sel­ben Ebe­ne, auf der Ebe­ne der Exis­tenz des­sen, wovon die Beja­hung oder die Ver­nei­nung getra­gen oder nicht getra­gen wer­den kann? Gibt es zwi­schen die­sen bei­den Ebe­nen eine Homogenität?

Anders gesagt, geht es beim Unter­schied zwi­schen dem Uni­ver­sa­len und dem Par­ti­ku­lä­ren dar­um, dass ein­fach ange­nom­men wird, dass die Samm­lung abge­schlos­sen ist?

Um dem, was ich Ihnen soeben zu erklä­ren ver­su­che, eine ganz neue Trag­wei­te zu geben, wer­de ich Ihnen etwas vor­stel­len, etwas, was in gewis­ser Wei­se dazu gemacht ist, dar­auf zu ant­wor­ten. Wor­auf zu ant­wor­ten? Auf die Fra­ge, durch die die Defi­ni­ti­on des Sub­jekts [der logi­schen Aus­sa­ge] mit der Ord­nung der Beja­hung und Ver­nei­nung ver­bun­den ist, in die das Sub­jekt bei der Auf­tei­lung in die­se Aus­sa­ge­ar­ten eintritt.

Im Unter­richt der klas­si­schen for­ma­len Logik wird gesagt – und für den Fall, dass man recher­chiert, auf wen das zurück­geht, möch­te ich Ihnen sagen, dass das nicht ohne einen gewis­se Poin­te ist –, wird also gesagt, dass das Sub­jekt [durch das Prä­di­kat] unter dem Gesichts­punkt der Qua­li­tät genom­men wird und dass das Attri­but, dass Sie hier im Aus­druck mend­ax ver­kör­pert sehen, [durch das Sub­jekt] unter dem Gesichts­punkt der Quan­ti­tät auf­ge­fasst wird, anders gesagt, bezo­gen auf ein Prä­di­kat sind sie alle, sind sie meh­re­re oder aber es gibt einen.54 Das wird noch von Kant bei­be­hal­ten, auf der Ebe­ne der Kri­tik der rei­nen Ver­nunft, in der Drei­tei­lung.55 Nicht ohne dass dies mas­si­ve Ein­wän­de von Sei­ten der Lin­gu­is­ten her­vor­ge­ru­fen hät­te.56

Wenn man die Din­ge his­to­risch betrach­tet, wird man gewahr, dass die Unter­schei­dung Qua­li­tät – Quan­ti­tät einen Ursprung hat. Sie erscheint zum ers­ten Mal in einer klei­nen Abhand­lung, para­do­xer­wei­se über die Leh­ren Pla­tons, und dies – das steht im Gegen­satz zur aris­to­te­li­schen Aus­sa­ge der for­ma­len Logik, die in abge­kürz­ter Form wie­der­ge­ge­ben wird, jedoch nicht ohne didak­ti­sche Peri­ode57, und der Autor ist kein Gerin­ge­rer als Apu­lei­us, Autor einer Abhand­lung über Pla­ton –, und dies hat hier eine ein­zig­ar­ti­ge his­to­ri­sche Funk­ti­on, näm­lich die, eine Kate­go­rien­bil­dung ein­ge­führt zu haben, die von Quan­ti­tät und Qua­li­tät, über die man zumin­dest Fol­gen­des sagen kann, näm­lich dass sie von daher, dass sie ein­ge­führt wur­de und so lan­ge in der Ana­ly­se der logi­schen For­men geblie­ben ist, dass man sie hier ein­ge­führt hat –.58

Dies hier schließ­lich ist das Modell, auf das ich Sie bit­te, für heu­te ihr Nach­den­ken zu kon­zen­trie­ren.59

Qua­dran­ten­sche­ma von Peirce

Hier ist ein Kreis­vier­tel [1], in das wir senk­rech­te Stri­che set­zen wollen.

Die Funk­ti­on ‚Strich‘ (trait) wird die Funk­ti­on des Sub­jekts über­neh­men und die Funk­ti­on ‚senk­recht‘, die im Übri­gen ein­fach als Stüt­ze gewählt ist, die des Attri­buts.60

Ich hät­te gut sagen kön­nen, dass ich als Attri­but den Aus­druck ‚unär‘ genom­men habe61, aber für den reprä­sen­ta­ti­ven und vor­stell­ba­ren Aspekt des­sen, was ich Ihnen zu zei­gen habe, set­ze ich sie senkrecht.

Hier [2] haben wir ein Seg­ment der Kreis­flä­che, in dem es sowohl senk­rech­te als auch schrä­ge Stri­che gibt, hier [3] gibt es nur schrä­ge Stri­che, und hier [4] gibt es kei­nen Strich.

Das soll ver­an­schau­li­chen, dass die Unter­schei­dung universal/​partikulär, inso­fern sie ein Paar bil­det, das sich vom Gegen­satz bejahend/​verneinend unter­schei­det, als ein Regis­ter auf­zu­fas­sen ist, das völ­lig anders ist als das­je­ni­ge, das Kom­men­ta­to­ren, aus­ge­hend von Apu­lei­us, geglaubt haben, mit mehr oder weni­ger Geschick ent­wi­ckeln zu müs­sen, mit die­sen so mehr­deu­ti­gen, glei­ten­den und ver­wor­re­nen For­meln, die als Qua­li­tät und Quan­ti­tät bezeich­net wer­den, die geglaubt haben, sie mit die­sen Aus­drü­cken ein­an­der ent­ge­gen­set­zen zu müssen.

Wir wer­den den Gegen­satz universal/​partikulär als Gegen­satz von der Ord­nung der Lexis bezeich­nen62, das für uns – legō, ‚ich lese‘, und auch ‚ich wäh­le aus‘ – eben ver­bun­den ist mit der Funk­ti­on der Extrak­ti­on, der Signi­fi­kan­ten­aus­wahl, die das ist – das Gebiet, der Steg –, wor­über wir uns im Augen­blick vor­wärts­be­we­gen.63

Dies, um sie von der Pha­sis zu unter­schei­den, das heißt von etwas, was sich hier als ein Spre­chen mit ent­we­der Ja oder Nein dar­stellt, womit ich mich hin­sicht­lich der Exis­tenz des­sen enga­gie­re, was die ers­te Lexis ins Spiel bringt.64

Denn wie Sie sehen wer­den, wor­über wer­de ich sagen kön­nen, ‚Jeder Strich ist senkrecht‘?

Natür­lich über das ers­te Seg­ment [1], aber, auf­ge­passt, auch über das lee­re Seg­ment [4]. Wenn ich sage ‚jeder Strich ist ver­ti­kal‘ bedeu­tet das: Wenn es nichts Senk­rech­tes gibt, gibt es auch kei­nen Strich. Jeden­falls wird dies durch das lee­re Seg­ment der Schei­be illus­triert. Der Beja­hung ‚Jeder Strich ist senk­recht‘ wider­spricht das lee­re Seg­ment nicht nur nicht, steht zu ihr nicht nur nicht im Gegen­satz, son­dern es ver­an­schau­licht sie: In die­sem Seg­ment der Schei­be gibt es kei­nen Strich, der nicht senk­recht ist. Die uni­ver­sa­le Beja­hung [A] wird hier also durch die ers­ten bei­den Seg­men­te [1 und 4] veranschaulicht.

Die uni­ver­sa­le Ver­nei­nung [E] wird von den bei­den rech­ten Seg­men­ten illus­triert [3 und 4], und das, wor­um es dabei geht, wird durch die fol­gen­de For­mu­lie­rung arti­ku­liert: ‚Kein Strich ist senk­recht.‘ Hier, in die­sen bei­den Seg­men­ten [3 und 4], gibt es kei­nen ver­ti­ka­len Strich.

Zu beach­ten ist das gemein­sa­me Seg­ment [4], das von die­sen bei­den Aus­sa­gen [A und E] abge­deckt wird, die nach der klas­si­schen For­mel, der klas­si­schen Leh­re, schein­bar nicht zugleich wahr sein kön­nen.65

Was wer­den wir fin­den, wenn wir unse­rer Dreh­be­we­gung fol­gen, die als For­mel so gut begon­nen hat, was wer­den wir hier [I] wie auch hier [O] fin­den, um die bei­den ande­ren mög­li­chen Zwei­er­grup­pie­run­gen der Qua­dran­ten zu bezeichnen?

Hier [I] wer­den wir das Wah­re die­ser bei­den Kreis­vier­tel in beja­hen­der Form sehen: ‚Es gibt …‘. Ich sage es auf pha­si­sche Wei­se, ich kon­sta­tie­re die Exis­tenz ver­ti­ka­ler Stri­che: ‚Es gibt senk­rech­te Stri­che‘, ‚es gibt eini­ge senk­rech­te Stri­che‘, die ich ent­we­der hier [1] fin­den kann, und zwar immer, oder hier [2], in den pas­sen­den Fäl­len.66

Hier [O] sehen wir, wenn wir ver­su­chen, die Unter­schei­dung des Uni­ver­sa­len und des Par­ti­ku­lä­ren zu defi­nie­ren, wel­ches die bei­den Seg­men­te sind, die hier­bei der par­ti­ku­lä­ren Äuße­rung ent­spre­chen, dem ‚es gibt nicht-senk­rech­te Stri­che‘, non­nul­li non ver­ti­cal­es [eini­ge Nicht-Senk­rech­te] [2 und 3].

Genau­so wie uns eben die Mehr­deu­tig­keit die­ser Wie­der­ho­lung der Nega­ti­on einen Moment lang fest­ge­hal­ten hat, ent­spricht das ‚non – non‘, die vor­geb­li­che Annul­lie­rung der ers­ten Nega­ti­on durch die zwei­te, kei­nes­wegs zwangs­läu­fig einem Ja, und das ist etwas, wor­auf wir im wei­te­ren Ver­lauf noch zurück­kom­men müssen.

Lexis und Phasis

Lexis und Phasis

Was bedeu­tet das? War­um ist es für uns inter­es­sant, uns einer sol­chen Appa­ra­tur zu bedie­nen? War­um ver­su­che ich für Sie, die Ebe­ne der Lexis von der Ebe­ne der Pha­sis zu tren­nen?67 Ich wer­de sofort dar­auf zu spre­chen kom­men und nicht um die Sache her­um­re­den, und ich wer­de es veranschaulichen.

Was kön­nen wir sagen, wir Ana­ly­ti­ker? Was lehrt uns Freud?

Weil die Bedeu­tung des­sen, was man ‚uni­ver­sa­le Aus­sa­ge‘ nennt, völ­lig ver­lo­ren gegan­gen ist, und zwar genau seit einer For­mu­lie­rung, die man als Kapi­tel­über­schrift ver­wen­den kann, für die Euler’sche For­mu­lie­rung, der es gelingt, uns sämt­li­che Funk­tio­nen des Syl­lo­gis­mus durch eine Rei­he von klei­nen Krei­sen dar­zu­stel­len, die sich aus­schlie­ßen, über­lap­pen oder über­de­cken, anders aus­ge­drückt und im eigent­li­chen Sin­ne: dem Begriffsumfang nach, dem man den Begriffsinhalt (com­pré­hen­si­on) ent­ge­gen­setzt, der ein­fach durch irgend­ei­ne unver­meid­li­che Art des Ver­ste­hens (com­prend­re) gekenn­zeich­net wäre. Was zu ver­ste­hen? Dass das Pferd weiß ist? Was gibt es da zu verstehen?

Was wir ein­brin­gen und wodurch die Fra­ge erneu­ert wird, ist Fol­gen­des. Ich sage, dass Freud die fol­gen­de For­mel ver­kün­det, vor­bringt: ‚Der Vater ist Gott‘ oder ‚Jeder Vater ist Gott‘.In Version rue CB des Seminars (Website gaogoa.free.fr) findet man hier diese Tabelle, ebenfalls ohne Angabe des Autors: """>68

Dar­aus ergibt sich, wenn wir an die­ser Aus­sa­ge auf der uni­ver­sa­len Ebe­ne fest­hal­ten, auf der­je­ni­gen, dass es kei­nen ande­ren Vater gibt als Gott, und die­ser ande­rer­seits hin­sicht­lich der Exis­tenz in der Freud’schen Refle­xi­on viel­mehr auf­ge­ho­ben* ist, viel­mehr in der Schwe­be gehal­ten wird, ja radi­kal in Zwei­fel gezo­gen wird.

Es geht dar­um, dass die Funk­ti­ons­ord­nung, die wir mit dem Namen-des-Vaters ein­füh­ren, etwas ist, was einen uni­ver­sa­len Wert hat, was aber zugleich Ihnen – dem ande­ren – die Auf­ga­be über­lässt, fest­zu­stel­len, ob es einen Vater die­ser Art gibt oder nicht.

Wenn es kei­nen gibt, ist immer noch wahr, dass der Vater Gott ist. Ganz ein­fach – durch den lee­ren Abschnitt der Kreis­flä­che [4] wird die For­mel nur bestätigt.

Dadurch haben wir <in der par­ti­ku­lä­ren Aus­sa­ge> auf der Ebe­ne der  Pha­sis: Es gibt Väter, die die­je­ni­ge sym­bo­li­sche Funk­ti­on mehr oder weni­ger erfül­len, die wir gera­de als sol­che geäu­ßert haben, näm­lich als die­je­ni­ge des Namens-des-Vaters, ‚Es gib wel­che, die …‘[I], und: ‚Es gibt wel­che, die nicht …‘ [O].

Dass es aber wel­che gibt, ‚die nicht …‘, die in allen Fäl­len ‚nicht … sind‘, was hier durch die­sen Abschnitt [3] gestützt wird, das ist genau das­sel­be wie das, was uns die Stüt­ze und die Grund­la­ge für die uni­ver­sa­le Funk­ti­on des Namens-des-Vaters gibt. Denn mit dem­je­ni­gen Abschnitt zusam­men genom­men, in dem es nichts gibt [4], sind es genau die­se bei­den Abschnit­te [1 und 4], auf der Ebe­ne der Lexis erfasst, die auf­grund des­sen, auf­grund die­ses gestütz­ten Abschnitts, der den ande­ren ver­voll­stän­digt, die dem, was wir als uni­ver­sa­le Beja­hung äußern kön­nen, sei­ne vol­le Trag­wei­te geben.

Ich möch­te das anders ver­an­schau­li­chen, weil ja bis zu einem bestimm­ten Punkt die Fra­ge nach ihrem Wert  gestellt wer­den konn­te – ich mei­ne, in Bezug auf einen tra­di­tio­nel­len Unter­richt –, der das sein muss, was ich das letz­te Mal zum klei­nen i ein­ge­bracht habe.69

Hier dis­ku­tie­ren die Pro­fes­so­ren: ‚Was sol­len wir sagen?‘ Was soll der Pro­fes­sor unter­rich­ten? Das, was ande­re vor ihm unter­rich­tet haben. Das heißt, dass er sich wor­auf grün­det? Auf das, was bereits eine bestimm­te Lexis erfah­ren hat.70 Das, was sich aus jeder Lexis ergibt, ist genau das, wor­auf es uns hier ankommt, und auf des­sen Ebe­ne ich Sie heu­te zu hal­ten ver­su­che: der Buch­sta­be (lett­re).

Der Pro­fes­sor ist lett­ré, gebil­det, lite­rat; sei­nem uni­ver­sa­len Cha­rak­ter nach ist er der­je­ni­ge, der sich auf den Buch­sta­ben stützt, auf die Let­ter, auf der Ebe­ne einer bestimm­ten Aus­sa­ge.71

Wir kön­nen jetzt sagen, dass er es halb und halb sein kann: es kann nicht ganz lite­rat sein, wor­aus sich ergibt, dass man immer­hin nicht sagen kann, dass irgend­ein Pro­fes­sor illi­te­rat wäre, in sei­nem Fall wird es immer ein wenig Lite­ra­li­tät geben.

Falls es aber zufäl­lig einen Gesichts­punkt gäbe, unter dem wir sagen könn­ten, dass es mög­li­cher­wei­se, unter einem bestimm­ten Gesichts­punkt, sol­che gibt, die dadurch cha­rak­te­ri­siert sind, hin­sicht­lich des Buch­sta­bens einem bestimm­ten Nicht­wis­sen statt­zu­ge­ben, dann gilt trotz­dem, dass dies uns kei­nes­wegs dar­an hin­dern wür­de, den Kreis zu schlie­ßen und zu sehen, dass die Wie­der­kehr und die Grund­la­ge, wenn man so sagen kann, der uni­ver­sa­len Defi­ni­ti­on des Pro­fes­sors ganz streng dar­in besteht, dass die Iden­ti­tät der For­mel, dass der Pro­fes­sor der­je­ni­ge ist, der sich mit dem Buch­sta­ben iden­ti­fi­ziert, den Kom­men­tar auf­nö­tigt und sogar erfor­der­lich macht, dass es analpha­be­ti­sche Pro­fes­so­ren geben kann.

Der nega­ti­ve Fall, als wesent­li­che Ent­spre­chung zur Defi­ni­ti­on der Uni­ver­sa­li­tät, ist etwas, was auf der Ebe­ne der ursprüng­li­chen Lexis grund­le­gend ver­bor­gen ist. Das bedeu­tet etwas in Bezug auf die Mehr­deu­tig­keit der par­ti­ku­lä­ren Stüt­ze, die wir im Enga­ge­ment unse­res Spre­chens dem Namen-des-Vaters geben können.

Den­noch gilt, dass wir nicht bewir­ken kön­nen, dass irgend­je­mand, der sich – von der Atmo­sphä­re des Mensch­li­chen ange­saugt, wenn ich mich so aus­drü­cken darf –, der sich als jemand auf­fas­sen könn­te, wenn man so sagen darf, der vom Namen-des-Vaters völ­lig abge­löst ist, den­noch gilt, dass selbst hier, wo es nur Väter gibt, für die die Funk­ti­on des Vaters, wenn ich mich so aus­drü­cken darf, rei­ner Ver­lust ist – der Nicht-Vater Vater, die ‚ver­lo­re­ne Sache‘ (cau­se per­due72), mit der ich letz­tes Jahr mein Semi­nar been­det habe73 –, den­noch gilt, dass selbst hier, abhän­gig von die­sem Ver­lust, die­se par­ti­ku­lä­re Kate­go­rie im Ver­hält­nis zu einer ers­ten Lexis beur­teilt wird, näm­lich der­je­ni­gen des Namens-des-Vaters.

Der Mensch kann nicht bewir­ken, dass sei­ne Beja­hung oder sei­ne Ver­nei­nung – mit allem, was sie mit sich führt: ‚der da ist mein Vater‘ oder ‚der da ist sein Vater‘ – nicht völ­lig von einer ursprüng­li­chen Lexis abhän­gig ist, bei der es natür­lich nicht um den übli­chen Sinn geht, nicht um das Signi­fi­kat des Vaters, son­dern um etwas, bei dem wir hier vor der Her­aus­for­de­rung ste­hen, ihm sei­ne wahr­haf­te Stüt­ze zu geben, einer Lexis, die es recht­fer­tigt, selbst in den Augen von Pro­fes­so­ren – die, wie Sie sehen wer­den, in gro­ßer Gefahr wären, wenn sie, was ihre rea­le Funk­ti­on angeht, immer in einer gewis­sen Schwe­be gehal­ten wür­den –, die es selbst in den Augen von Pro­fes­so­ren recht­fer­ti­gen muss, dass ich mich bemü­he – sogar auf ihrer Ebe­ne als Pro­fes­sor –  ihrer Exis­tenz als Sub­jekt eine algo­rith­mi­sche Stüt­ze zu geben.“74

Ende der Sitzung.

Paraphrase mit Ergänzungen

Nega­ti­on

[In einer frü­he­ren Sit­zung, am 15. Novem­ber 1961, hat­te Lacan über die uni­ver­sa­le beja­hen­de Aus­sa­ge gespro­chen, sein Bei­spiel war „Alle Men­schen sind Lüg­ner“. Dar­auf kommt er jetzt zurück.]

Pas un hom­me qui ne men­te, „Kein Mensch, der nicht lügt /​ der nicht lügen wür­de“. [Der Aus­druck ist gleich­wer­tig mit „Alle Men­schen sind Lüg­ner“, aber nur bei logi­scher Betrach­tung, nicht unter gram­ma­ti­schem oder seman­ti­schem Aspekt.] Lacan macht dar­auf auf­merk­sam, dass hier der Sub­junk­tiv ver­wen­det wird, men­te. Das ne (nicht) liegt damit auf der­sel­ben Ebe­ne wie das dis­kor­d­an­ti­el­le ne [ist aber damit kei­nes­wegs zu ver­wech­seln, das ne in Pas un hom­me qui ne men­te funk­tio­niert als voll­wer­ti­ge Nega­ti­on – wenn man es weg­lässt, ver­kehrt sich der Sinn des Sat­zes ins Gegen­teil].

[Das, was Lacan hier mit Pich­on als „dis­kor­d­an­ti­el­les ne“ bezeich­net, heißt in den Gram­ma­ti­ken „exple­ti­ves ne“, Füll­wort-ne. Das exple­ti­ve ne ist nicht mit pas (oder einem ande­ren Nega­ti­ons­aus­druck) ver­klam­mert ist und wird in der Regel nicht mit­über­setzt: Je crains qu’il ne vien­ne  heißt „ich fürch­te, dass er kommt“. Die­ses ne kann weg­fal­len, ohne dass der Sinn sich ver­än­dert – sagen die Gram­ma­ti­ker; Pich­on und Lacan sind damit nicht ein­ver­stan­den. Man kann aber auch über­set­zen mit „ich fürch­te, dass er viel­leicht kommt“, und damit ist man dem Unter­schied auf der Spur, um den es Pich­on und Lacan geht. Lacan zufol­ge ist die­ses spe­zi­el­le ne der Signi­fi­kant des Sub­jekts des Äuße­rungs­vor­gangs (énon­cia­ti­on), im Gegen­satz zum Sub­jekt des Aus­ge­sag­ten (énon­cé), also der Signi­fi­kant des Sub­jekts, inso­fern es in die­ser Äuße­rung spricht, und nicht des Sub­jekts, über das in ihr gespro­chen wird, nicht des the­ma­ti­sier­ten Sub­jekts. Das ne unter­bricht das Aus­ge­sag­te und ist schein­bar über­flüs­sig, in ihm schwingt jedoch Begeh­ren und Hoff­nung mit; durch die Über­set­zung mit „viel­leicht“ lässt sich das andeu­tungs­wei­se wiedergeben.]

[Eine gro­be Ent­spre­chung im Deut­schen ist das „nicht“ in For­mu­lie­run­gen wie „Ist das nicht schön?“. Gemeint ist damit nicht, dass der Gegen­stand, über den gespro­chen wird, häss­lich ist; das „nicht“ bezieht sich nicht auf das Aus­ge­sag­te (énon­cé). Viel­mehr bringt der Spre­cher sich mit dem „nicht“ in den Satz ein, und zwar als Spre­cher, so als wür­de er sagen „Ich möch­te wirk­lich sagen, dass das schön ist“; das „nicht“ liegt hier auf der Ebe­ne des Äuße­rungs­vor­gangs (énon­cia­ti­on). Er bringt sich als Spre­cher ein, der etwas begehrt und der mög­li­cher­wei­se befürch­tet, dass das Schö­ne sich als trü­ge­risch erwei­sen könnte.]

[Wenn Lacan sagt, in Pas un hom­me qui ne men­te lie­ge das ne auf der­sel­ben Ebe­ne wie das exple­ti­ve bzw. dis­kor­d­an­ti­el­le ne in Je crains qu’il ne vien­ne, ist also gemeint, dass in bei­den Fäl­len das ne der Signi­fi­kant des Sub­jekts des Äuße­rungs­vor­gangs ist.]

Lacan beschreibt eines der Vor­ha­ben, die er in die­sem Semi­nar zu rea­li­sie­ren ver­sucht: Die Tabel­le „Kas­tra­ti­on – Frus­tra­ti­on – Pri­va­ti­on“ [die er in Semi­nar 4 von 1956/​57, Die Objekt­be­zie­hung, aus­ge­ar­bei­tet hat­te] soll auf die unter­schied­li­chen For­men der Nega­ti­on bezo­gen werden.

Tabel­le Kas­tra­ti­on – Frus­tra­ti­on – Pri­va­ti­on aus Semi­nar 4

AGENTMANGELOBJEKT
Rea­ler VaterSym­bo­li­sche KastrationIma­gi­nä­rer Phallus
Sym­bo­li­sche MutterIma­gi­nä­re FrustrationRea­le Brust
Ima­gi­nä­rer VaterRea­le PrivationSym­bo­li­scher Phallus

Die Arten der Aussage

Lacan erläu­tert die uni­ver­sa­le beja­hen­de Aus­sa­ge durch einen latei­ni­schen Satz: Homo mend­ax [„Der Mensch (ist) ein Lüg­ner“, anders gesagt „Alle Men­schen lügen“]. [Der Wech­sel ins Latei­ni­sche soll viel­leicht andeu­ten, dass dies ein Bei­spiel der scho­las­ti­schen Logik ist.] Er erin­nert dar­an, dass er in die­sem Semi­nar für die uni­ver­sa­le beja­hen­de Aus­sa­ge bereits den Satz „Alle Men­schen sind sterb­lich“ ver­wen­det hat­te und dass die­se Aus­sa­ge zum berühm­tes­ten aller Syl­lo­gis­men gehört und dort mit der Aus­sa­ge „Sokra­tes ist ein Mensch“ [sowie „Sokra­tes ist sterb­lich“] ver­bun­den ist.

Lacan inter­es­siert sich also, sagt er, für die Funk­ti­on der Nega­ti­on [wie schon Freud in dem Auf­satz Die Ver­nei­nung], und von daher befas­se er sich mit dem Sys­tem der Aus­sa­ge-Arten, wie es in der klas­si­schen Logik sche­ma­ti­siert wor­den ist: uni­ver­sa­le beja­hen­de Aus­sa­gen (A), uni­ver­sa­le ver­nei­nen­de Aus­sa­gen (E), par­ti­ku­lä­re beja­hen­de Aus­sa­gen (I) und par­ti­ku­lä­re ver­nei­nen­de Aus­sa­gen (O). [Die Buch­sta­ben A, E, I, O sind die Sym­bo­le, mit denen die­se Aus­sa­ge­ty­pen in der scho­las­ti­schen Logik bezeich­net wor­den sind.]

Die­ses Sys­tem der Aus­sa­gen­ar­ten macht Pro­ble­me. Bis hin zu Kant war man der Auf­fas­sung, es sei unangreifbar.

Bemer­kens­wert ist, dass die tra­di­tio­nel­le Ent­ge­gen­set­zung von beja­hen­den und ver­nei­nen­den Aus­sa­gen so nicht von Aris­to­te­les stammt, sie ist jün­ger und geht wahr­schein­lich auf Aver­roes zurück [12. Jh.].

A: Homo mend­ax, „Der Mensch (ist) ein Lüg­ner“ oder Omnis homo mend­ax, „Alle Men­schen (sind) Lüg­ner“, „Jeder Mensch ist ein Lüg­ner“.  Das ist eine uni­ver­sal beja­hen­de Aus­sa­ge. [Alle S sind P.] „Alle“ heißt im Grie­chi­schen, also bei Aris­to­te­les, pas.

E: Omnis homo non mend­ax, „Jeder Mensch (ist) kein Lüg­ner“. Das ist eine uni­ver­sa­le ver­nei­nen­de Aus­sa­ge. [Alle S sind nicht P.] Man kann statt­des­sen auch sagen Nul­lus homo mend­ax, „Kein Mensch ist ein Lügner“.

O: Non omnis homo mend­ax, „Nicht jeder Mensch (ist) ein Lüg­ner“ oder „Es gibt Men­schen, die kei­ne Lüg­ner sind“.  Dies ist eine par­ti­ku­lä­re ver­nei­nen­de Aus­sa­ge. [Eini­ge S sind nicht P.]

I: Ali­quis homo mend­ax, „Man­cher Mensch (ist) eiun Lüg­ner“. Das ist die par­ti­ku­lä­re beja­hen­de Aus­sa­ge. [Eini­ge S sind P.]

Lacan zufol­ge beruht die Par­ti­ku­la­ri­tät  auf einer Wahl [wobei die Wahl eine Aus­wahl ist]. [Die Fun­die­rung der Oppo­si­ti­on von uni­ver­sa­len und par­ti­ku­lä­ren Aus­sa­gen durch eine Wahl­ope­ra­ti­on über­nimmt Lacan von Charles San­ders Peirce, wie spä­ter noch klar wer­den wird.]

Die par­ti­ku­lä­re ver­nei­nen­de Aus­sa­ge kann auch so aus­ge­drückt wer­den: Non nul­lus homo non mend­ax, „Eini­ge Men­schen (sind) kei­ne Lüg­ner“, wört­lich „Nicht kein Mensch (ist) kein Lügner“.

[Mög­li­cher­wei­se kom­men­tiert Lacan hier, indi­rekt, Freuds Auf­satz über die Ver­nei­nung: Es stimmt, scheint er zu Freud zu sagen, die Urteils­funk­ti­on hat die Auf­ga­be, zu beja­hen oder zu ver­nei­nen. Es fehlt bei Freud jedoch der Gegen­satz zwi­schen dem Uni­ver­sa­len und dem Par­ti­ku­lä­ren, er ist für das Urteil eben­so wichtig.]

Die Bezie­hun­gen zwi­schen die­sen vier Aus­sa­ge-Arten wer­den in der klas­si­schen [mit­tel­al­ter­li­chen] Logik durch das soge­nann­te logi­sche Qua­drat dargestellt.

Logi­sches Quadrat

Es zeigt, dass es zwi­schen den Aus­sa­ge­for­men ver­schie­de­ne Arten des Gegen­sat­zes gibt, die als „kon­trä­rer“, „sub­kon­trä­rer“ [und „kon­tra­dik­to­ri­scher“] Gegen­satz bezeich­net wer­den. [Die Bezie­hung zwi­schen A und E ist kon­trär, die zwi­schen I und O ist sub­kon­trär, und die zwi­schen A und O sowie zwi­schen E und I ist kontradiktorisch.]

[Die Gegen­satz­ar­ten wer­den durch ihre Wahr­heits­be­din­gun­gen unter­schie­den. Man kann nicht nur nach der Wahr­heit einer ein­zel­nen Aus­sa­ge fra­gen, son­dern auch nach der Wahr­heit einer Aus­sa­gen­kom­bi­na­ti­on ins­ge­samt. Ange­nom­men, es gibt zwei Aus­sa­gen A und B, so kann man fra­gen: Kann es wahr sein, dass A wahr ist und zugleich B falsch ist? Kann es wahr sein, dass A und B zugleich wahr sind? Usw.]

Der Gegen­satz zwi­schen A [uni­ver­sal beja­hend] und E [uni­ver­sal ver­nei­nend] ist kon­trär, und das heißt: bei­de Aus­sa­gen kön­nen nicht zugleich wahr sein [sie „schlie­ßen sich aus“, wie das in der All­tags­spra­che heißt]. Es kann nicht zugleich wahr sein, dass alle Men­schen Lüg­ner sind und dass kein Mensch ein Lüg­ner ist. [Wenn A wahr ist und wenn zugleich E wahr ist, ist die Behaup­tung „A ist wahr und zugleich ist E wahr“ falsch.]

[Das ist die nega­ti­ve Bestim­mung. Posi­tiv for­mu­liert heißt dies, dass fol­gen­de Aus­sa­gen­kom­bi­na­tio­nen ver­ein­bar sind, also wahr können:
- Es ist wahr, dass alle Men­schen Lüg­ner sind, und es ist zugleich falsch, dass kein Mensch ein Lüg­ner ist.
- Es ist falsch, dass alle Men­schen Lüg­ner sind, und es ist zugleich wahr, dass kein Mensch ein Lüg­ner ist.
- Es ist falsch, dass alle Men­schen Lüg­ner sind und es ist zugleich falsch, dass kein Mensch ein Lüg­ner ist. Wahr ist in die­sem Fal­le, dass eini­ge Men­schen Lüg­ner sind und dass eini­ge Men­schen kei­ne Lüg­ner sind.]

[Der kon­trä­re Gegen­satz zeich­net sich also dadurch aus, dass (a) bei­de Sei­ten nicht zugleich wahr sein könn­ten und dass es (b) drei Kom­bi­na­tio­nen von wah­ren und fal­schen Aus­sa­gen gibt, die ins­ge­samt wahr sein kön­nen. Der kon­trä­re Gegen­satz teilt die Welt nicht voll­stän­dig auf, etwas ande­res ist möglich.]

[Der sub­kon­trä­re Gegen­satz ist der zwi­schen I und O], zwi­schen „Es gibt Men­schen, die Lüg­ner sind“ (I), und „Es gibt Men­schen, die kei­ne Lüg­ner sind“. Hier­für gilt, dass nicht bei­des zugleich falsch sein kann.

[Im Fal­le des sub­kon­trä­ren Gegen­sat­zes sind die fol­gen­den Kom­bi­na­tio­nen mög­lich, d.h. kön­nen die fol­gen­den Aus­sa­gen­ver­bin­dun­gen ins­ge­samt wahr sein:
- Es ist wahr, dass es eini­ge Men­schen gibt, die Lüg­ner sind, und es ist zugleich wahr, dass es eini­ge Men­schen gibt, die kei­ne Lüg­ner sind. (Ein­fa­cher gesagt: Eini­ge Men­schen sind Lüg­ner, eini­ge nicht.)
- Es ist wahr, dass es eini­ge Men­schen gibt, die Lüg­ner sind, und es ist zugleich falsch, dass es eini­ge Men­schen gibt, die kei­ne Lüg­ner sind. (Dies gilt für „Alle Men­schen sind Lüg­ner“ – wenn alle Men­schen Lüg­ner sind, sind auch eini­ge Men­schen Lügner.)
- Es ist falsch, dass es eini­ge Men­schen gibt, die Lüg­ner sind, und es ist zugleich wahr, dass es eini­ge Men­schen gibt, die kei­ne Lüg­ner sind. (Dies gilt für „Alle Men­schen sind kei­ne Lüg­ner“ – wenn dies wahr ist, gilt auch „Eini­ge Men­schen sind kei­ne Lügner“.)] 

[Der sub­kon­trä­re Gegen­satz zeich­net sich dadurch aus, dass (a) bei­de Sei­ten nicht zugleich falsch sein kön­nen und dass es (b) drei mög­li­che wah­re Kom­bi­na­tio­nen gibt: ent­we­der ist die eine Sei­te des Gegen­sat­zes wahr oder die ande­re Sei­te des Gegen­sat­zes ist wahr oder bei­de Sei­ten des Gegen­sat­zes sind wahr. Auch der sub­kon­trä­re Gegen­satz teilt die Welt nicht voll­stän­dig auf, es gibt wei­te­re Aus­sa­gen­ver­bin­dun­gen, die wahr sein können.] 

Zwi­schen den Aus­sa­gen, die sich im logi­schen Qua­drat schräg gegen­über­ste­hen, A und O sowie E und I, gibt es einen kon­tra­dik­to­ri­schen Gegen­satz. Das heißt: wenn die eine wahr ist, muss die ande­re falsch sein.

[Beim kon­tra­dik­to­ri­schen Gegen­satz gibt es nur zwei Aus­sa­gen­kom­bi­na­tio­nen, die ins­ge­samt wahr sein kön­nen: ent­we­der ist eine wahr und die ande­re falsch oder umge­kehrt – etwas Drit­tes ist nicht mög­lich, wei­te­re Aus­sa­gen­ver­bin­dun­gen kön­nen nicht wahr sein.]

Nach die­sem Logik-Refe­rat geht Lacan zu dem Punkt über, der ihn inter­es­siert: In Bezug auf die Defi­ni­ti­on der Uni­ver­sal­aus­sa­ge gibt es bei Aris­to­te­les eine Unsicherheit.

[Lacan nähert sich die­ser Schwach­stel­le auf einem Umweg, auf dem Weg über die par­ti­ku­lä­re Aus­sa­ge.] Lacans Bei­spiel für die par­ti­ku­lä­re [beja­hen­de] Aus­sa­ge war „Nicht alle Men­schen sind Lüg­ner“. In die­ser Aus­sa­ge bezieht sich die Nega­ti­on auf das „alle“ – der Satz beginnt mit  „nicht alle“ –, und die­ses „nicht alle“ sorgt dafür, dass die Aus­sa­ge par­ti­ku­lä­ren Cha­rak­ter hat.

Das ist jedoch nicht legi­tim, denn Aris­to­te­les weist die­se For­mu­lie­rung zurück. In der Leh­re vom Satz (De inter­pre­ta­tio­ne) sagt er, dass die Nega­ti­on sich nicht auf das Merk­mal der Uni­ver­sa­li­tät bezie­hen soll [also nicht auf das „alle“]. Die Par­ti­ku­la­ri­tät eines Aus­sa­ge wer­de viel­mehr dadurch fest­ge­legt, dass die Aus­sa­ge sich auf „irgend­ein“ bezieht, im Latei­ni­schen auf ali­quis: „Irgend­ein Mensch ist Lüg­ner“ [statt „Nicht alle Men­schen sind Lüg­ner“]. [„Irgend­ein“ ist hier nicht im Sin­ne von „nur ein ein­zi­ger“ gemeint; viel­mehr kann sich „irgend­ein“ durch­aus auch auf meh­re­re bezie­hen; „ali­quis homo“ meint, obwohl es ein Sin­gu­lar ist, „irgend­wel­che Men­schen, min­des­tens einer“. Die Streit­fra­ge ist dem­nach, wie die par­ti­ku­lä­re Aus­sa­ge zu for­mu­lie­ren ist, durch „Nicht alle S sind P“ oder durch „Irgend­ein S ist P“. Soll man sagen „Nicht alle Men­schen sind Lüg­ner“ oder „Eini­ge Men­schen sind Lüg­ner“? Dies ist, soweit ich sehe, der ers­te Auf­tritt des „nicht alle“ bei Lacan, das spä­ter, in den For­meln der Sexu­ie­rung (Semi­na­re 18 bis 20), eine wich­ti­ge Rol­le spie­len wird.]

Die Lösung, die Aris­to­te­les wählt, steht im Gegen­satz zur spä­te­ren Ent­wick­lung der for­ma­len Logik, für wel­che die Exten­si­on [und die Inten­si­on] eines Begriffs wesent­lich sind [Umfang und Inhalt], und in der die Exten­si­on durch einen Kreis sym­bo­li­siert wird, der die Gegen­stän­de ver­sam­melt, die zum Begriff gehören.

[Unter dem Umfang oder der Exten­si­on eines Begriffs ver­steht man die Gesamt­heit der Din­ge, die unter einen Begriff fal­len, unter dem Inhalt eines Begriffs oder sei­ner Inten­si­on (nicht zu ver­wech­seln mit „Inten­ti­on“) die gemein­sa­men Merk­ma­le der Din­ge, die unter den Begriff fallen.]

Bei der Streit­fra­ge um die par­ti­ku­lä­re Aus­sa­ge [„nicht alle“ ver­sus „eini­ge“] geht es um das „alle“ [also um das, wodurch eine Aus­sa­ge als Uni­ver­sal­aus­sa­ge bestimmt wird].

Wie ist der Unter­schied zwi­schen einer uni­ver­sa­len und einer par­ti­ku­lä­ren Aus­sa­ge auf­zu­fas­sen? Liegt er auf der­sel­ben Ebe­ne wie Beja­hung und Ver­nei­nung einer Aussage?

Besteht der Unter­schied zwi­schen der uni­ver­sa­len und der par­ti­ku­lä­ren Aus­sa­ge dar­in, dass im Fal­le der uni­ver­sa­len Aus­sa­ge die Samm­lung abge­schlos­sen ist [und dass im Fal­le der par­ti­ku­lä­ren Aus­sa­ge die Samm­lung unab­ge­schlos­sen ist – dass bei­spiels­wei­se das Merk­mal, Lüg­ner zu sein, nur für eine Teil­men­ge zutrifft]? [Lacan signa­li­siert mit sei­ner Fra­ge, dass er es anders sieht: bei der Uni­ver­sa­li­tät einer Aus­sa­ge geht es nicht dar­um, dass eine Samm­lung kom­plett ist.]

Er ver­bin­det die bei­den letz­ten Fra­gen durch „anders gesagt“ – die Fra­ge, ob die Unter­schei­dung universal/​partikulär auf der­sel­ben Ebe­ne liegt wie die Unter­schei­dung bejahend/​verneinend, ist für ihn die­sel­be Fra­ge wie die, ob die Uni­ver­sa­li­tät dar­in besteht, dass eine Samm­lung abge­schlos­sen ist. [Wor­in besteht der Zusam­men­hang zwi­schen die­sen bei­den Fra­gen? Dar­in, dass die Nega­ti­on, wie Lacan annimmt, für die Uni­ver­sa­li­tät grund­le­gend ist. Das wird in die­ser und den fol­gen­den Sit­zun­gen ausgeführt.]

Es stellt sich die Fra­ge, wie in einer Aus­sa­ge die Defi­ni­ti­on des Sub­jekts [des Sub­jekts der Aus­sa­ge] mit der Beja­hung oder Ver­nei­nung der Aus­sa­ge ver­bun­den ist. [Das Sub­jekt der Aus­sa­ge ist die­je­ni­ge Grö­ße, der das Prä­di­kat (oder Attri­but) zu- oder abge­spro­chen wird, das „S“ in „S ist P“ oder „S ist nicht P“, z.B. „Men­schen“ in „Men­schen sind Säugetiere“.]

[In der tra­di­tio­nel­len Logik wird die Merk­ma­le uni­ver­sal oder par­ti­ku­lär als „Quan­ti­tät“ des Urteils bezeich­net, die Merk­ma­le beja­hend oder ver­nei­nend als „Qua­li­tät“ des Urteils.] Im Unter­richt der klas­si­schen Logik wird gesagt, das Sub­jekt [das Sub­jekt des Urteils, das logi­sche Sub­jekt, das z.B. in der Aus­sa­ge „Men­schen sind Lüg­ner“ durch den Aus­druck „Men­schen“ reprä­sen­tiert wird], das Sub­jekt wer­de [durch das Prä­di­kat] unter dem Aspekt der Qua­li­tät genom­men [inso­fern das Prä­di­kat zu- oder abge­spro­chen wird], das Attri­but [oder Prä­di­kat, also z.B. „Lüg­ner“] wer­de [durch das Sub­jekt] unter dem der Quan­ti­tät auf­ge­fasst, das heißt, bezo­gen auf ein bestimm­tes Prä­di­kat, etwa „Lüg­ner“, sind die Sub­jek­te alle, meh­re­re oder eins. Die­se Drei­tei­lung fin­det man noch bei Kant. [Kant unter­schei­det drei Kate­go­rien der Quan­ti­tät: All­heit, Viel­heit und Ein­heit, und drei Kate­go­rien der Qua­li­tät: Rea­li­tät, Nega­ti­on und Limi­ta­ti­on. Kants Kate­go­rien beru­hen auf der Struk­tur des Urteils bzw., wie man heu­te sagt, der Aus­sa­ge, der Pro­po­si­ti­on. Die Unter­schei­dung der Kate­go­rien der All­heit und der Viel­heit beruht auf der Unter­schei­dung des uni­ver­sa­len und des par­ti­ku­lä­ren Urteils, die Kate­go­rien von Rea­li­tät und Nega­ti­on auf dem Unter­schied von beja­hen­dem und ver­nei­nen­dem Urteil.] Das hat von Sei­ten der Lin­gu­is­ten mas­si­ve Ein­wän­de her­vor­ge­ru­fen. [Lacan bezieht sich auf Jes­per­sens Arbeit über Nega­ti­on; in einer spä­te­ren Sit­zung wird er dar­auf näher ein­ge­hen (die Pas­sa­ge ist Teil die­ser Übersetzung).]

Die Unter­schei­dung von Quan­ti­tät und Qua­li­tät einer Aus­sa­ge geht auf Apu­lei­us zurück, man fin­det sie bei ihm in einer Abhand­lung über Pla­ton. 

Das Qua­dran­ten­sche­ma von Peirce

Qua­dran­ten­sche­ma von Peirce

Lacan erläu­tert dies [das Ver­hält­nis von universal/​partikulär zu bejahend/​verneinend] am Qua­dran­ten­sche­ma von Charles San­ders Peirce [wobei er des­sen Namen nicht nennt].

Der Strich steht für das Sub­jekt [für das Sub­jekt der Aus­sa­ge im Sin­ne der Logik], die Nei­gung des Strichs für das Attri­but [also für das Prä­di­kat der Aus­sa­ge]. [Die Nei­gung ist ent­we­der senk­recht oder schräg; das Prä­di­kat bzw. Attri­but ist „senk­recht“ oder „schräg“; die Schräg­stel­lung des Strichs lässt sich als Nega­ti­on des Prä­di­kats deu­ten, als „nicht senkrecht“.]

Lacan merkt an, dass er statt „senk­recht“ auch hät­te „unär“ sagen kön­nen [und damit erin­nert er an die Kon­zep­ti­on des trait unaire, des „ein­zi­gen Zugs“ oder „ein­zel­nen Zugs“ oder „Ein­zel­strichs“ oder „Unärs­trichs“, wie er sie in die­sem Semi­nar zu ent­wi­ckeln begon­nen hat – es geht um die Iden­ti­fi­zie­rung mit dem ein­zi­gen Zug]. Aber damit die Sache anschau­li­cher wird, sagt er statt „unä­rer Strich“ lie­ber „senk­rech­ter Strich“.

[Im Qua­dran­ten 1 (oben links) gibt es nur senk­rech­te Striche.]

Im Qua­dran­ten 2 [unten links] gibt es senk­rech­te und schrä­ge [nicht senk­rech­te] Striche.

Im Qua­dran­ten 3 [unten rechts] gibt es nur schrä­ge [nur nicht-senk­rech­te] Striche.

Im Qua­dran­ten 4 [oben rechts] gibt es kei­nen Strich [weder senk­rech­te noch nicht-senk­rech­te Striche].

Das Dia­gramm soll zei­gen, dass die Unter­schei­dung zwi­schen uni­ver­sa­len und par­ti­ku­lä­ren Aus­sa­gen einer­seits und beja­hen­den und ver­nei­nen­den Aus­sa­gen ande­rer­seits nicht so funk­tio­niert, dass es dabei um den Gegen­satz von Quan­ti­tät [universal/​partikulär] und Qua­li­tät [bejahend/​verneinend] geht.

Lexis und Phasis

Lacan bezeich­net den Unter­schied zwi­schen universalen/​partikulären Aus­sa­gen einer­seits und bejahenden/​verneinenden Aus­sa­gen ande­rer­seits viel­mehr [mit Peirce] als Unter­schied von Lexis und Pha­sis. Unter lexis [grie­chisch für „Wort“, „Spre­chen“] ver­steht er einen Wahl­vor­gang zwi­schen Signi­fi­kan­ten, gestützt auf das latei­ni­sche Wort lege­re, „lesen“ oder „aus­wäh­len“; Lexis meint also die Oppo­si­ti­on zwi­schen uni­ver­sa­len und par­ti­ku­lä­ren Aus­sa­gen. Den Gegen­satz zwi­schen beja­hen­den und ver­nei­nen­den Aus­sa­gen bezeich­net er als Unter­schied auf der Ebe­ne der pha­sis, was hier „Spre­chen“ bedeu­tet soll; die­ses Spre­chen enga­giert sich hin­sicht­lich der Exis­tenz des­sen, was die lexis ins Spiel gebracht hat­te. [Das Sagen, die Pha­sis, besteht dar­in, dass im Spre­chen die Exis­tenz eines Merk­mals bejaht oder ver­neint wird.] 

Das lee­re Feld als Stüt­ze der uni­ver­sa­len Bejahung

[Lacan kommt nun zu dem, was für ihn die Poin­te des Dia­gramms ist.] Über wel­ches Kreis­vier­tel kann man die Aus­sa­ge machen „Jeder Strich ist ver­ti­kal“ bzw. „Alle Stri­che sind ver­ti­kal“? Nicht nur über den Qua­dran­ten oben links (1), son­dern auch über den Qua­dran­ten oben rechts (4), also über den Qua­dran­ten, in dem es kei­ner­lei Stri­che gibt, weder ver­ti­ka­le noch schrä­ge, weder ver­ti­ka­le noch nicht-ver­ti­ka­le. Wenn etwas nicht senk­recht ist, gibt es auch kei­nen Strich. Der lee­re Qua­drant (4) steht zur Aus­sa­ge „Jeder Strich ist senk­recht“ also nicht im Gegen­satz. Der lee­re Qua­drant (4) ver­an­schau­licht sogar die Aus­sa­ge „Jeder Strich ist senk­recht“ – indem es hier kei­nen Strich gibt, der nicht senk­recht ist.

Also wird die uni­ver­sa­le beja­hen­de Aus­sa­ge [A] „Jeder Strich ist senk­recht“ durch die obe­ren bei­den Seg­men­te (1 und 4) veranschaulicht.

Die uni­ver­sa­le ver­nei­nen­de Aus­sa­ge „Kein Strich ist senk­recht“ [E] wird durch die bei­den rech­ten Qua­dran­ten illus­triert [3 und 4]. Anders gesagt: in die­sen bei­den Seg­men­ten gibt es kei­nen senk­rech­ten Strich.

Zu beach­ten ist, dass die uni­ver­sa­le beja­hen­de Aus­sa­ge [A: 1, 4] und die uni­ver­sa­le ver­ei­nen­de Aus­sa­ge [E: 3, 4] sich ein Feld tei­len, das lee­re Feld oben rechts (4), obwohl sie doch, der klas­si­schen Leh­re zufol­ge, nicht zugleich wahr sein können.

Die par­ti­ku­lä­re beja­hen­de Aus­sa­ge „Es gibt eini­ge senk­rech­te Stri­che“ (oder auch „Es gibt senk­rech­te Stri­che“) [I] wird durch die bei­den lin­ken Qua­dran­ten, 1 und 2, veranschaulicht.

Dann gibt es noch die par­ti­ku­lä­re ver­nei­nen­de Aus­sa­ge [O], „es gibt nicht-senk­rech­te Stri­che“. Ihr ent­spre­chen die bei­den unte­ren Seg­men­te, 2 und 3 [Qua­drant 2 ent­hält sowohl senk­rech­te als auch nicht-senk­rech­te Stri­che, Qua­drant 3 ent­hält nur nicht-senk­rech­te Stri­che].

Auf Latei­nisch kann man die par­ti­ku­lä­re ver­nei­nen­de Aus­sa­ge [O] so for­mu­lie­ren: „non­null­li non ver­ti­cal­es“. [„Non­nul­li“ meint „eini­ge“ (die wört­li­che Bedeu­tung ist „nicht kei­ne“); „non­nul­li non ver­ti­cal­es“ heißt also „eini­ge (sind) nicht-senkrechte“.]

Das „non – non“ [in „non nul­li non ver­ti­cal­es“] ist eine dop­pel­te Nega­ti­on. Wird die ers­te Nega­ti­on durch die zwei­te annul­liert? Ist die dop­pel­te Nega­ti­on zwangs­läu­fig ein Ja? [Das wird so gesagt, aber] Lacan bestrei­tet es; er kün­digt an, spä­ter dar­auf zurückzukommen.

[Kurz: Im Qua­dran­ten­sche­ma ste­hen die bei­den obe­ren Kreis­vier­tel (1 und 4) für die uni­ver­sa­le beja­hen­de Aus­sa­ge (A): „Alle Stri­che sind senkrecht.“
Die bei­den rech­ten Kreis­vier­tel (3 und 4) reprä­sen­tie­ren die uni­ver­sa­le ver­nei­nen­de Aus­sa­ge (E): „Kein Strich ist senk­recht“ oder „Alle Stri­che sind nicht senkrecht“.
Die bei­den lin­ken Kreis­vier­tel (1 und 2) ver­an­schau­li­chen die par­ti­ku­lä­re beja­hen­de Aus­sa­ge (I): „Eini­ge Stri­che sind senkrecht.“
Und die bei­den unte­ren Kreis­vier­tel (2 und 3) illus­trie­ren die par­ti­ku­lä­re ver­nei­nen­de Aus­sa­ge (O): „Eini­ge Stri­che sind nicht senkrecht.“]

War­um ist es für uns [für Psy­cho­ana­ly­ti­ker] inter­es­sant, die Lexis von der Pha­sis zu tren­nen? [Ich habe den Ein­druck, dass Lacan unter „Lexis“ an die­ser Stel­le nicht die Oppo­si­ti­on Universalität/​Partikularität ver­steht, son­dern nur das Uni­ver­sa­le, und eben­so unter Pha­sis nicht die Oppo­si­ti­on Bejahen/​Verneinen, son­dern spe­zi­ell die Nega­ti­on. Dann wäre gemeint: War­um ist es für Psy­cho­ana­ly­ti­ker inter­es­sant, das Uni­ver­sa­le von der Nega­ti­on zu trennen?]

Es geht um die Bedeu­tung des­sen, was man als „uni­ver­sa­le Aus­sa­ge“ bezeich­net. Die­se Bedeu­tung ist völ­lig ver­lo­ren gegan­gen [und zwar dadurch, dass die Uni­ver­sa­li­tät als Quan­ti­tät begrif­fen wur­de].

Die­ser Ver­lust kam durch die Euler’sche For­mu­lie­rung des Syl­lo­gis­mus zustan­de [und beruht auf der Unter­schei­dung zwi­schen der Exten­si­on und der Inten­si­on von Begrif­fen]. Hier­bei wer­den die Bezie­hun­gen zwi­schen den Begrif­fen eines Syl­lo­gis­mus durch Krei­se dar­ge­stellt, die sich aus­schlie­ßen oder über­lap­pen oder voll­stän­dig über­de­cken; die­se Rela­tio­nen sol­len sich auf den Begriffs­um­fang bezie­hen [auf die Exten­si­on]. [Bei­spiels­wei­se wird „Alle Men­schen sind sterb­lich“ mit Euler­krei­sen so dar­ge­stellt, dass der Kreis der Men­schen inner­halb des grö­ße­ren Krei­ses der Sterb­li­chen liegt; „Kein Mensch ist sterb­lich“ dadurch, dass der Kreis der Men­schen außer­halb des Krei­ses der Sterb­li­chen liegt“; „Eini­ge Men­schen sind sterb­lich“ und „Eini­ge Men­schen sind nicht sterb­lich“ dadurch, dass die Krei­se der Men­schen und der Sterb­li­chen sich teil­wei­se überlappen.]

Der Begriffs­um­fang, die Exten­si­on, wird vom Begriffs­in­halt [von der Inten­si­on] unter­schie­den und es wird ange­nom­men, dass der Begriffs­in­halt (com­pré­hen­si­on) durch eine unver­meid­li­che Art des Ver­ste­hens (com­pren­de) cha­rak­te­ri­siert sei. [Lacan macht sich über den Aus­druck „ver­ste­hen“ lus­tig:] Was ist bei­spiels­wei­se dar­an zu ver­ste­hen, dass das Pferd weiß ist? [Lacan wech­selt hier vom Begriff zur Aus­sa­ge. „Das Pfer­de ist weiß“ ist eine beja­hen­de Aus­sa­ge mit „Pferd“ als Sub­jekt­be­griff und „weiß“ als Prä­di­kats­be­griff. Die Exten­si­on des Begriffs „Pferd“ ist die Gesamt­heit aller Gegen­stän­de, die unter die­sen Begriff fal­len, also die Gesamt­heit aller Pfer­de. Die Inten­si­on die­ses Begriffs ist etwa „Säu­ge­tier mit einem Zeh“. Bei „weiß“ ist die Exten­si­on „alles, was weiß ist“, die Inten­si­on viel­leicht „hells­te unbun­te Farbe“.]

Freud hat die fol­gen­de For­mel ver­kün­det (sagt Lacan): „Der Vater ist Gott“, anders aus­ge­drückt „Jeder Vater ist Gott“ oder „Es gibt kei­nen ande­ren Vater als Gott“. [In „Der Vater ist Gott“ meint der Arti­kel „der“ nicht „die­ser Vater da“ son­dern „der Vater schlecht­hin“, „alle Väter“, „jeder Vater“; es geht also um die uni­ver­sa­le beja­hen­de Aus­sa­ge „Alle Väter sind Gott“. Wir sind hier bei Freuds pri­mä­rer Iden­ti­fi­zie­rung, bei der Iden­ti­fi­zie­rung mit dem idea­li­sier­ten Vater, und Lacan rekon­stru­iert die­se Iden­ti­fi­zie­rung als Bezie­hung zu einer uni­ver­sa­len beja­hen­den Aus­sa­ge.] Lacan for­mu­liert die­se uni­ver­sa­le beja­hen­de Aus­sa­ge auch so: „Es gibt kei­nen ande­ren Vater als Gott“ [was man auch durch eine dop­pel­te Nega­ti­on aus­drü­cken kann: „Es gibt kei­nen Vater, der nicht Gott ist“].

Zugleich aber hat Freud die Exis­tenz Got­tes auf­ge­ho­ben*, in der Schwe­be gehal­ten, sogar radi­kal in Zwei­fel gezo­gen [man den­ke an Freuds Auf­satz Die Zukunft einer Illu­si­on]. [Dem ent­spricht die Aus­sa­ge: „Kein Vater ist Gott.“]

Anders for­mu­liert: Die Funk­ti­ons­ord­nung, die Lacan als „Name-des-Vaters“ bezeich­net [der Vater in sei­ner Got­tes­funk­ti­on] hat einen uni­ver­sa­len Wert [sie kann so arti­ku­liert wer­den: „Alle Väter erfül­len die Funk­ti­on Name-des-Vaters“]. Zugleich aber bleibt es „dem ande­ren“ über­las­sen, fest­zu­stel­len, ob es einen Vater die­ses Schla­ges gibt oder nicht [damit sind wir auf der Ebe­ne der par­ti­ku­lä­ren beja­hen­den Aus­sa­ge „Es gibt einen Vater der Gott ist“ und der uni­ver­sa­len ver­nei­nen­den Aus­sa­ge „Es gibt kei­nen Vater, der Gott ist“].

Wenn es kei­nen Vater gibt, der Gott ist, ist den­noch stets wahr, dass der Vater Gott ist. [Lacan bezieht hier die uni­ver­sa­le affir­ma­ti­ve Aus­sa­ge auf die uni­ver­sa­le ver­nei­nen­de Aussage.]

Zur Begrün­dung bezieht Lacan sich auf das Qua­dran­ten­sche­ma. [Im Qua­dran­ten­sche­ma muss man jetzt für „Strich“ den Aus­druck „Vater“ ein­set­zen (logi­sches Sub­jekt), für das Merk­mal „senk­recht“ das Merk­mal „ist Gott“ bzw. „ erfüllt die Funk­ti­on ‚Name-des-Vaters‘“ und für das Merk­mal „schräg“ das Merk­mal „ist nicht Gott“ bzw. „erfüllt nicht die Funk­ti­on ‚Name-des-Vaters‘“.] Die For­mel „Alle Väter sind Gott“ [A] wird durch den lee­ren Abschnitt der Kreis­flä­che [4] nur bestä­tigt. [Lacan bringt hier etwas durch­ein­an­der Der lee­ren Kreis­flä­che 4 ent­spricht nicht die Aus­sa­ge „Es gibt kei­nen Vater, der Gott ist“, son­dern die Aus­sa­ge „Es gibt kei­nen Vater“. Die Aus­sa­ge „Es gibt kei­nen Vater, der Gott ist“ wird durch die Kreis­flä­chen 3 und 4 reprä­sen­tiert (uni­ver­sa­le ver­nei­nen­de Aus­sa­ge); für sie gilt, dass es kei­nen Strich gibt, der senk­recht ist.]

Lacan wech­selt [zur par­ti­ku­lä­ren Aus­sa­ge und hier] zur Ebe­ne der Pha­sis [also zum Gegen­satz bejahend/​verneinend]. Hier haben wir „Es gibt Väter, die die sym­bo­li­sche Funk­ti­on ‚Name-des-Vaters‘ erfül­len“ [par­ti­ku­lär beja­hend, I, Seg­men­te 1 und 2] und „Es gibt Väter, die die sym­bo­li­sche Funk­ti­on ‚Name-des-Vaters‘ nicht erfül­len“ [par­ti­ku­lär ver­nei­nend, O, Seg­men­te 2 und 3].

Dabei gibt es sol­che, die in allen Fäl­len die Funk­ti­on „Name-des-Vaters“ nicht erfül­len, und dies ent­spricht Abschnitt [3] des Sche­mas [bei dem die Stri­che in allen Fäl­len nicht senk­recht sind, son­dern schräg].

Dass es Väter gibt, die in allen Fäl­len die sym­bo­li­sche Funk­ti­on „Name-des-Vaters“ nicht erfül­len, was dem Abschnitt [3] ent­spricht, ist das­sel­be wie das, was der uni­ver­sa­len Funk­ti­on des Namens-des-Vaters die Grund­la­ge gibt. [Abschnitt 3 ver­hält sich zu O (2 und 3) wie Abschnitt 4 zu A (1 und 4).]

Denn die uni­ver­sa­le Beja­hung [A, Abschnit­te 1 und 4] erhält durch den Abschnitt, in dem es nichts gibt [Abschnitt 4] ihre vol­le Tragweite.

Die bei­den frag­li­chen Abschnit­te wer­den, sagt Lacan, „auf der Ebe­ne der Lexis erfasst“. [Unter „Lexis“ scheint er hier spe­zi­ell das Uni­ver­sa­le zu ver­ste­hen – die bei­den frag­li­chen Abschnit­te gehö­ren zur uni­ver­sa­len (beja­hen­den) Aussage.]

Lacan erläu­tert das Pro­blem der uni­ver­sa­len Beja­hung durch ein wei­te­res Bei­spiel, das des Pro­fes­sors oder Leh­rers [pro­fes­seur meint, wie in Öster­reich das Wort „Pro­fes­sor“, sowohl den Gym­na­si­al­leh­rer als auch den Hoch­schul­leh­rer]. [Der Wech­sel vom Vater zum Leh­rer ori­en­tiert sich ver­mut­lich an Freuds The­se, dass die Iden­ti­fi­zie­rung mit dem Leh­rer häu­fig ein Ersatz oder Nach­fol­ger für die Iden­ti­fi­zie­rung mit dem Vater ist.]

Der Wert des tra­di­tio­nel­len Unter­richts muss das sein, was Lacan in der vor­an­ge­gan­ge­nen Sit­zung zum i [zur ima­gi­nä­ren Zahl] gesagt hat­te. [Das Sub­jekt (so hieß es in dort), kann durch die ima­gi­nä­re Zahl dar­ge­stellt wer­den, also durch i.]

Die Pro­fes­so­ren dis­ku­tie­ren, was sie sagen sol­len, was sie unter­rich­ten sol­len [sie dis­ku­tie­ren über das Cur­ri­cu­lum]. Sie sol­len unter­rich­ten, was ande­re vor ihnen unter­rich­tet haben [ihre Funk­ti­on ist die Tra­die­rung der Kul­tur]. Damit grün­den sie sich auf das, was bereits eine bestimm­te Lexis erfah­ren hat [eine bestimm­te Signi­fi­kan­ten­se­lek­ti­on, deren Ergeb­nis für gewöhn­lich als „Kanon“ bezeich­net  wird], und die­se Bil­dung stützt sich auf den Buch­sta­ben [auf die Schrift]. Der Bezug auf die­se Lexis [auf den geschrie­be­nen Kanon] ermög­licht es zu sagen: „Der Pro­fes­sor ist lett­ré, gebil­det, literat.“

Von daher lässt sich die fol­gen­de uni­ver­sa­le [und beja­hen­de] Aus­sa­ge for­mu­lie­ren: „Der Pro­fes­sor ist lite­rat“ [im Sin­ne von „Alle Pro­fes­so­ren sind lite­rat“].

Als nächs­tes kann man behaup­ten, dass der Pro­fes­sor halb gebil­det sein kann, halb lite­rat. [Die Aus­sa­ge lau­tet dann: „Es ist mög­lich, dass alle Pro­fes­so­ren halb lite­rat sind“. Die Moda­li­tät der Mög­lich­keit spielt im Gang der Argu­men­ta­ti­on kei­ne Rol­le, des­halb ist wohl gemeint: „Alle Pro­fes­so­ren sind halb lite­rat.“ Auch dies ist eine uni­ver­sa­le beja­hen­de Aus­sa­ge, das Prä­di­kat ist jetzt „halb­li­te­rat“.] Das impli­ziert, dass es kei­nen Pro­fes­sor gibt, der nicht lite­rat ist.

Aber viel­leicht gibt es doch einen Gesichts­punkt, unter dem man behaup­ten kann, „Es gibt Pro­fes­so­ren, die nicht lite­rat sind“ [das wäre die par­ti­ku­lä­re ver­nei­nen­de Aus­sa­ge]. Dies wür­de nichts dar­an ändern, dass die Defi­ni­ti­on eines Pro­fes­sors dar­in besteht, dass er lite­rat ist, dass er sich mit dem Buch­sta­ben iden­ti­fi­ziert –  der nega­ti­ve Fall ist die wesent­li­che Ent­spre­chung zur Defi­ni­ti­on der Uni­ver­sa­li­tät. [Als stüt­zen­den nega­ti­ven Fall bezieht sich Lacan hier, wie bei zuvor bei den Vätern, auf die ver­nei­nen­de par­ti­ku­lä­re Aus­sa­ge, im Qua­dran­ten­sche­ma sind das die Fel­der 2 und 3. Dem lee­ren Feld 4 wür­de die Aus­sa­ge „Es gibt kei­nen Pro­fes­sor“ entsprechen.]

[An die­ser Stel­le erfährt man, dass Lacan die Bezie­hung zwi­schen dem Sub­jekt und dem Prä­di­kat als Iden­ti­fi­zie­rung deu­tet: „Alle Pro­fes­so­ren sind lite­rat“ meint: „Alle Pro­fes­so­ren iden­ti­fi­zie­ren sich mit dem Buchstaben.“]

Lacan para­phra­siert dies mit der Aus­sa­ge „Es kann analpha­be­ti­sche Pro­fes­so­ren geben“. [Durch die Ein­füh­rung der Moda­li­tät der Mög­lich­keit ver­än­dert sich die Logik der Aus­sa­ge, das scheint Lacan auch an die­ser Stel­le nicht wich­tig zu sein.]

Der nega­ti­ve Fall ist die wesent­li­che Ent­spre­chung zur Defi­ni­ti­on der Uni­ver­sa­li­tät, und das ist „auf der Ebe­ne der ursprüng­li­chen Lexis grund­le­gend ver­bor­gen“. [Das könn­te hei­ßen: „das ist auf der Ebe­ne der uni­ver­sa­len Aus­sa­ge ver­bor­gen“; offen­bar setzt er hier „Lexis“ mit „uni­ver­sal beja­hend“ gleich.]

„Das bedeu­tet etwas in Bezug auf die Mehr­deu­tig­keit der par­ti­ku­lä­ren Stüt­ze, die wir im Enga­ge­ment unse­res Spre­chens dem Namen-des-Vaters geben kön­nen.“ [Unter der par­ti­ku­lä­ren Stüt­ze, die wir dem Namen-des-Vaters geben kön­nen, ver­steht er, wie zwei Sät­ze spä­ter klar wird, dass wir sagen „der da ist mein Vater“ oder „der da ist sein Vater“.]

Lacan spricht dann über einen Men­schen, der sich als jemand auf­fas­sen kann, der vom Namen-des-Vaters völ­lig abge­löst ist, für den die Funk­ti­on des Vaters rei­ner Ver­lust ist, für den er ein Vater ist, der kein Vater ist, für den die Funk­ti­on des Vaters eine ver­lo­re­ne Sache ist. [Das ent­spricht der uni­ver­sa­len ver­nei­nen­den Aus­sa­ge „Kein Vater erfüllt die Funk­ti­on Name-des-Vaters“; im Qua­dran­ten­sche­ma sind dies die Fel­der 3 und 4.]

Selbst die par­ti­ku­lä­re Kate­go­rie wird im Ver­hält­nis zu einer ers­ten Lexis beur­teilt, der­je­ni­gen des Namens-des-Vaters.  [Ver­mut­lich ist gemeint: Selbst die Aus­sa­gen „Es gibt Väter, die die Funk­ti­on ‚Name-des-Vaters‘ erfül­len“ und „Es gibt Väter, die die Funk­ti­on ‚Name-des-Vaters‘ nicht erfül­len“ setz­ten die uni­ver­sa­le Aus­sa­ge „Alle Väter erfül­len die Funk­ti­on ‚Name-des-Vaters‘ “ voraus.]

Die Aus­sa­ge „der da ist mein Vater“ oder „der da ist sein Vater“ ist von einer ursprüng­li­chen Lexis abhän­gig. [Unter „Lexis“ ver­steht Lacan hier offen­bar wie­der exklu­siv die All­ge­mein­heit. „Die­ser da ist mein Vater“ ist abhän­gig von einer uni­ver­sa­len beja­hen­den Aus­sa­ge über den Vater, näm­lich „Alle Väter sind Gott“.]

Pro­fes­so­ren wären in gro­ßer Gefahr, wenn sie hin­sicht­lich ihrer rea­len Funk­ti­on in der Schwe­be gehal­ten wür­den. [Ich neh­me an, dass gemeint ist: Pro­fes­so­ren wären in Gefahr, wenn sie nicht vor dem Hin­ter­grund der Aus­sa­ge wahr­ge­nom­men wür­den, dass alle Pro­fes­so­ren lite­rat sind.]

Buchstaben

Übersetzung

In der Fol­ge­sit­zung spricht Lacan über das Ver­hält­nis des Sub­jekts zum Signi­fi­kan­ten und dar­über, was die­se Bezie­hung mit der Schrift zu tun hat, mit dem Buch­sta­ben. Es sei offen­sicht­lich, dass der Zwangs­neu­ro­ti­ker es mit dem Buch­sta­ben zu tun hat, man sehe das am Mecha­nis­mus des „Unge­sche­hen­ma­chens“: Der Zwangs­neu­ro­ti­ker hat eine Art Buch­hal­tung, und es geht ihm dar­um, Signi­fi­kan­ten aus­zu­lö­schen. Zur Ver­deut­li­chung des Ver­hält­nis­ses von Spra­che und Schrift ver­weist er auf die chi­ne­si­sche Schrift (die ihn in Semi­nar 18 wie­der beschäf­ti­gen wird, Über einen Dis­kurs, der nicht vom Schein wäre, 1971).

Die for­ma­le Logik, heißt es wei­ter, hält sich streng an den Buch­sta­ben und klam­mert den Sinn aus (Lacan ver­steht hier unter „for­ma­ler Logik“ die auch „sym­bo­li­sche Logik“ genann­te alge­brai­sier­te Logik, die an Boole und Fre­ge anknüpft). In den Prin­ci­pia Mathe­ma­ti­ca haben Bert­rand Rus­sell und Alfred North Whit­ehead den Ver­such gemacht, die Mathe­ma­tik mit­tels der Men­gen­leh­re auf die sym­bo­li­sche Logik zu grün­den. Dabei stie­ßen sie auf die soge­nann­te Russell’sche Para­do­xie (oder Russell’sche Anti­no­mie), durch die sie das gesam­te Unter­neh­men bedroht sahen, auf eine Para­do­xie, die den Wert der Men­gen­leh­re in Fra­ge zu stel­len schien. Lacan fährt fort:

„Wor­in sich eine Men­ge von einer Defi­ni­ti­on der Klas­se unter­schei­det, ist in einer gewis­sen Mehr­deu­tig­keit geblie­ben, denn das, was ich Ihnen sagen wer­de – und was am häu­figs­ten akzep­tiert wird, von jedem belie­bi­gen Mathe­ma­ti­ker –, dass näm­lich das, was eine Men­ge von der Form der­je­ni­gen Defi­ni­ti­on unter­schei­det, die als Klas­se bezeich­net wird, nichts ande­res ist als dies, dass die Men­ge durch For­meln defi­niert wird, die man Axio­me nennt, die man auf der Tafel mit Sym­bo­len notiert, die auf Buch­sta­ben redu­ziert sind, zu denen eini­ge ergän­zen­de Signi­fi­kan­ten hin­zu­kom­men, die die Rela­tio­nen anzei­gen. Es gibt abso­lut kei­ne ande­re Spe­zi­fi­zie­rung die­ser soge­nann­ten sym­bo­li­schen Logik im Ver­gleich zur tra­di­tio­nel­len Logik, außer die­ser Reduk­ti­on auf Buch­sta­ben. Ich garan­tie­re es Ihnen; Sie kön­nen es mir glau­ben, ohne dass ich mich wei­ter auf Bei­spie­le ein­las­sen muss.

Wor­in also besteht die Kraft – die ja zwangs­läu­fig irgend­wo ist –, die dazu führt, dass auf­grund die­ses ein­zi­gen Unter­schieds zahl­rei­che Kon­se­quen­zen ent­wi­ckelt wer­den konn­ten, zu denen ich Ihnen ver­si­che­re, dass die Aus­wir­kung auf die Ent­wick­lung des­sen, was sich Mathe­ma­tik nennt, kei­nes­wegs gering ist, ver­gli­chen mit dem Appa­rat, über den man seit Jahr­hun­der­ten ver­fügt hat und bei dem das Kom­pli­ment, das man ihm gemacht hat, näm­lich dass er sich zwi­schen Aris­to­te­les und Kant nicht bewegt hat, ins Gegen­teil umschlägt?

Das ist eben –; wenn die Din­ge den­noch so ins Lau­fen gekom­men sind, wie es gesche­hen ist, denn die Prin­ci­pia Mathe­ma­ti­ca bestehen aus zwei sehr, sehr dicken Bän­den75 und sie sind nur von sehr gerin­gem Inter­es­se76, aber wenn das Kom­pli­ment schließ­lich ins Gegen­teil umschlägt, dann des­halb, weil der frü­he­re Appa­rat aus irgend­ei­nem Grun­de unge­mein sta­gniert hat.

Nun, wie kom­men die Autoren von hier aus dazu, über etwas in Erstau­nen zu gera­ten, was man als Russell’sche Para­do­xie bezeich­net?77 Die Russell’sche Para­do­xie beruht dar­auf, dass man von der Men­ge aller Men­gen spricht, die sich nicht selbst ent­hal­ten (com­pren­nent).

Ich muss die­se Geschich­te ein biss­chen auf­hel­len, die Ihnen beim ers­ten Zugang eher als tro­cken erschei­nen mag. Ich wei­se Sie sofort dar­auf hin: Wenn ich Sie dafür inter­es­sie­re – zumin­dest hof­fe ich das –, dann mit der Stoß­rich­tung, dass es die engs­te Bezie­hung gibt – und nicht nur hom­ony­misch, genau des­halb, weil es um Signi­fi­kan­ten geht und folg­lich dar­um, nicht zu ver­ste­hen (com­prend­re) –, dass es die engs­te Bezie­hung gibt zur Posi­ti­on des ana­ly­ti­schen Sub­jekts, inso­fern auch es, in einem ande­ren Sin­ne des Wor­tes ‚ver­ste­hen‘ –; und wenn ich Ihnen sage, ‚nicht zu ver­ste­hen‘, dann, damit Sie auf jede Wei­se ver­ste­hen kön­nen, dass auch das Sub­jekt ‚sich nicht selbst versteht/​enthält‘.78 Hier hin­durch­zu­ge­hen ist kei­nes­wegs nutz­los, sie wer­den es sehen, denn auf die­sem Wege wer­den wir die Funk­ti­on unse­res Objek­tes kri­ti­sie­ren können.

Aber hal­ten wir einen Moment lang bei die­sen Men­gen inne, die sich nicht selbst enthalten.

Um zu erfas­sen, wor­um es sich han­delt, muss man offen­sicht­lich aus­ge­hen –; denn in der Kom­mu­ni­ka­ti­on kön­nen wir schließ­lich ande­res tun als  Kon­zes­sio­nen an intui­ti­ve Bezü­ge zu machen, denn die intui­ti­ven Bezü­ge, die haben Sie bereits, man muss sie also ins Wan­ken brin­gen, um ande­re an ihre Stel­le zu setzen.

Da Sie die Vor­stel­lung haben, dass es eine Klas­se gibt und dass es eine Klas­se der Säu­ge­tie­re gibt, muss ich Ihnen wohl zu zei­gen ver­su­chen, dass man sich auf etwas ande­res bezie­hen muss.

Wenn man anfängt, sich mit der Kate­go­rie der Men­ge zu befas­sen, soll­te man sich auf die biblio­gra­phi­sche Klas­si­fi­ka­ti­on bezie­hen, die von eini­gen geschätzt wird, ob sie nun aus Dezi­mal­zah­len besteht oder aus etwas ande­rem; aber wenn man etwas Geschrie­be­nes hat, muss das irgend­wo ein­ge­ord­net sein, man muss wis­sen, wie man es auto­ma­tisch wiederfindet.

Also, neh­men wir eine Men­ge, die sich selbst ent­hält. Neh­men wir bei­spiels­wei­se in einer biblio­gra­phi­schen Klas­si­fi­ka­ti­on das Stu­di­um der Huma­ni­o­ra (l’étude des huma­ni­tés).79 Es ist klar, dass man hier­zu die Arbei­ten der Huma­nis­ten über die Huma­ni­o­ra rech­nen muss.80 Die Men­ge ‚Stu­di­um der Huma­ni­o­ra‘ muss alle Arbei­ten ent­hal­ten, die sich auf das Stu­di­um der Huma­ni­o­ra als sol­che beziehen.

Betrach­ten wir nun aber die­je­ni­gen Men­gen, die sich nicht selbst ent­hal­ten – das ist nicht weni­ger gut fass­bar, das ist sogar der gewöhn­lichs­te Fall.

Und da wir Men­gen­theo­re­ti­ker sind, und da bereits eine Klas­se der Men­ge aller Men­gen, die sich selbst ent­hal­ten, exis­tiert, gibt es wirk­lich kei­nen Ein­wand dage­gen, dass wir die ent­ge­gen­ge­setz­te Klas­se bil­den – ich ver­wen­de hier den Aus­druck ‚Klas­se‘, da eben hier­in die Mehr­deu­tig­keit bestehen wird: die Klas­se der­je­ni­gen Men­gen, die sich nicht selbst ent­hal­ten: die Men­ge aller Men­gen, die sich nicht selbst enthalten.

Und da fan­gen die Logi­ker an, sich den Kopf zu zer­bre­chen, das heißt, sie fra­gen sich: Die­se Men­ge aller Men­gen, die sich nicht selbst ent­hal­ten – ent­hält sie sich selbst oder ent­hält sie sich nicht selbst?

In bei­den Fäl­len ver­wi­ckelt sie sich in einen Wider­spruch. Denn wenn sie sich selbst ent­hält, wie es zunächst erscheint, befin­den wir uns im Wider­spruch zum Aus­gangs­punkt, der uns sag­te, es han­de­le sich um Men­gen, die sich nicht selbst enthalten.

Ande­rer­seits, wenn sie sich nicht selbst ent­hält, wie genau soll man sie dann von dem aus­neh­men, was uns von der Defi­ni­ti­on gelie­fert wird, näm­lich dass sie sich nicht selbst ent­hält?81

Das mag Ihnen ziem­lich kin­disch vor­kom­men, aber die Tat­sa­che, dass sie, die Logi­ker, das so sehr über­rascht, dass sie sich dabei auf­hal­ten, die Logi­ker, die wirk­lich nicht Leu­te von der Art sind, dass sie sich bei einer nich­ti­gen Schwie­rig­keit auf­hal­ten –; und wenn sie hier etwas spü­ren, was sie einen Wider­spruch nen­nen kön­nen, der ihr gesam­tes Gebäu­de in Fra­ge stellt82, dann ist das des­halb so, weil es etwas gibt, das gelöst wer­den muss und was – dass Sie mich recht ver­ste­hen – nichts ande­res betrifft als dies, was die ein­zi­ge Sache betrifft, die die betref­fen­den Logi­ker nicht genau gese­hen haben, näm­lich dass der Buch­sta­be, des­sen sie sich bedie­nen, etwas ist, was an sich selbst Kräf­te hat, eine Trieb­kraft, an die sie über­haupt nicht gewöhnt zu sein scheinen.

Denn wenn wir dies in Anwen­dung des­sen illus­trie­ren, dass wir gesagt haben, dass es um nichts ande­res geht als um den sys­te­ma­ti­schen Gebrauch eines Buch­sta­bens – den Buch­sta­ben zu redu­zie­ren, ihm sei­ne Signi­fi­kan­ten­funk­ti­on zu reser­vie­ren, um auf ihn und ein­zig auf ihn das gesam­te Gebäu­de der Logik zu grün­den –, dann kom­men wir zu etwas sehr Ein­fa­chem: dass es wirk­lich ganz ein­fach auf das hin­aus­läuft, was geschieht, wenn wir dann – wenn wir uns dar­an­ma­chen, über das Alpha­bet zu spe­ku­lie­ren – bei­spiels­wei­se dem Buch­sta­ben a die Funk­ti­on zu geben, als Buch­sta­be a alle ande­ren Buch­sta­ben des Alpha­bets zu repräsentieren.

Ent­we­der – oder. Ent­we­der wir rech­nen die ande­ren Buch­sta­ben des Alpha­bets von b bis z dazu, wobei der Buch­sta­be a sie unzwei­deu­tig reprä­sen­tie­ren soll, ohne sich jedoch selbst zu enthalten.

Ande­rer­seits ist jedoch klar, dass er, indem er als Buch­sta­be die­se Buch­sta­ben des Alpha­bets reprä­sen­tiert, ganz natür­lich dazu gelangt – an der Stel­le, von der wir ihn bezo­gen haben, ihn aus­ge­schlos­sen haben –, die Rei­he der Buch­sta­ben, ich möch­te nicht ein­mal sagen zu berei­chern, son­dern zu ver­voll­stän­di­gen, und dies ein­fach inso­fern als, wenn wir davon aus­ge­hen, dass a – das ist hier bei der Iden­ti­fi­zie­rung unser Aus­gangs­punkt – grund­le­gend kei­nes­wegs a ist, und es hier kei­ne Schwie­rig­keit gibt: Der Buch­sta­be a ist im Inne­ren der Klam­mer – in der alle Buch­sta­ben auf­ge­reiht sind, die er sym­bo­lisch unter sich sub­su­miert – nicht das­sel­be a und zugleich dasselbe.

Es gibt hier kei­ner­lei Schwie­rig­keit. Es soll­te hier umso weni­ger eine geben, als die­je­ni­gen, die hier eine sehen, eben die­je­ni­gen sind, die den Begriff der Men­ge erfun­den haben, um die Män­gel des Begriffs der Klas­se aus­zu­glei­chen, und die folg­lich die Ver­mu­tung haben, dass es bei der Funk­ti­on der Men­ge etwas ande­res geben muss als bei der Funk­ti­on der Klasse.

Das inter­es­siert uns jedoch, denn was heißt das? Wie ich Ihnen ges­tern Abend gezeigt habe: Das met­ony­mi­sche Objekt des Begeh­rens, das, wel­ches unter allen Objek­ten die­ses bevor­zug­te klein a reprä­sen­tiert, wo das Sub­jekt sich ver­liert, wenn die­ses Objekt meta­pho­risch ans Licht kommt, wenn wir dazu kom­men, es an die Stel­le des Sub­jekts zu set­zen, das im Anspruch dazu gelangt ist, sich zu syn­ko­pie­ren, sich auf­zu­lö­sen – kei­ne Spur: $ –, dann ent­hül­len wir ihn, den Signi­fi­kan­ten die­ses Sub­jekts, dann geben wir ihm sei­nen Namen: das gute Objekt, die Mut­ter­brust, die mam­me.83

Da haben wir die Meta­pher, in der, sagen wir, alle arti­ku­lier­ten Iden­ti­fi­zie­run­gen des Anspruchs des Sub­jekts erfasst sind. Sein Anspruch ist oral, und die Brust der Mut­ter nimmt sie in ihre Klam­mer. Es ist das a, das all die­sen Ein­hei­ten ihren Wert gibt, die sich in der Signi­fi­kan­ten­ket­te addie­ren wer­den: a (I + I + I …).

Die Fra­ge, die wir zu stel­len haben, bezieht sich dar­auf, den Unter­schied zu bestim­men zwi­schen der Ver­wen­dung, die wir von der mam­me machen, und der Funk­ti­on, die sie bei der Defi­ni­ti­on bei­spiels­wei­se der Klas­se der Säu­ge­tie­re hat, der Mammalia.

Die Mamma­lia sind dar­an zu erken­nen, dass sie mam­mes haben. Es ist, unter uns gesagt, ziem­lich selt­sam, dass wir so wenig dar­über unter­rich­tet sind, was bei jeder Art damit tat­säch­lich gemacht wird. Die Etho­lo­gie der Säu­ge­tie­re ist noch stark zurück­ge­blie­ben, da wir bei die­sem The­ma, wie bei der for­ma­len Logik, kaum wei­ter sind als auf dem Niveau von Aris­to­te­les – aus­ge­zeich­ne­tes Werk: die Tier­kun­de!

Aber was uns angeht: Ist es das, was für uns der Signi­fi­kant mam­me bedeu­tet, inso­fern er das Objekt ist, um das her­um wir dem Sub­jekt Sub­stanz ver­lei­hen, in einer bestimm­ten, als ‚prä­ge­ni­tal‘ bezeich­ne­ten Beziehungsart?

Es ist ganz klar, dass wir davon einen völ­lig ande­ren Gebrauch machen, viel näher an der Mani­pu­la­ti­on des Buch­sta­bens E in unse­rer Men­gen­pa­ra­do­xie84, und um Ihnen das zu zei­gen, möch­te ich Sie auf Fol­gen­des auf­merk­sam machen: a (I + I + I …), also unter die­sen I des Anspruchs, deren kon­kre­te Signi­fi­kanz wir auf­ge­deckt haben, gibt es da die Brust selbst oder nicht?85

Anders aus­ge­drückt, wenn wir von ora­ler Fixie­rung spre­chen, von der laten­ten Brust, ist dann die aktu­el­le Brust – die­je­ni­ge, nach der Ihr Sub­jekt ‚ah!, ah!, ah!‘ macht – etwas von der Art der Brust­drü­se? Es ist ganz offen­sicht­lich, dass sie das nicht ist, denn Ihre Ora­len, die für Brüs­te schwär­men, sie schwär­men des­halb für Brüs­te, weil die­se Brüs­te ein Phal­lus sind. Und eben des­halb, weil es mög­lich ist, dass die Brust auch ein Phal­lus ist, lässt Mela­nie Klein ihn sofort genau­so früh wie die Brust auf­tre­ten, von Beginn an, indem sie uns sagt, dass er letzt­lich eine klei­ne Brust ist, nur beque­mer, trag­ba­rer, netter.

Sie sehen also, wenn wir die­se struk­tu­ra­len Unter­schei­dun­gen ein­füh­ren, kann uns das irgend­wo­hin füh­ren – in dem Maße, in dem die ver­dräng­te Brust wie­der­auf­taucht, wie­der­erscheint, im Sym­ptom oder sogar ein­fach in einem Schlag, den wir nicht anders qua­li­fi­ziert haben: die Funk­ti­on in der per­ver­sen Ska­la –, um etwas von die­sem ande­ren her­vor­zu­ru­fen, näm­lich das Her­auf­be­schwö­ren des phal­li­schen Objekts.

Die Sache schreibt sich so:Was ist das a? Set­zen wir an sei­ne Stel­le den klei­nen Ping­pong­ball, das heißt nichts, irgend­was, irgend­ei­ne Stüt­ze für das Alter­nier­spiel des Sub­jekts im Fort-Da.86

Da sehen Sie, dass es sich strikt um nichts ande­res han­delt als um den Über­gang des Phal­lus vom a plus zum a minus und dass wir dadurch in der Iden­ti­fi­zie­rungs­be­zie­hung sind, da wir wis­sen, dass in dem, was das Sub­jekt assi­mi­liert – das ist das Sub­jekt selbst in sei­ner Frus­tra­ti­on –, wir wis­sen, dass dar­in das Ver­hält­nis des $ zu die­sem I(A)87 – zum Ein, inso­fern es die Bedeu­tung des Ande­ren als sol­chen annimmt – die engs­te Bezie­hung zur Rea­li­sie­rung die­ses Wech­sels von a mal minus a hat, zu die­sem Pro­dukt von a und –a, was for­mal ein minus a im Qua­drat ergibt: –a2. Wir wer­den näher bestim­men, war­um eine Nega­ti­on irre­du­zi­bel ist – wenn es Affir­ma­ti­on und Nega­ti­on gibt, bil­det die Affir­ma­ti­on der Nega­ti­on eine Nega­ti­on, und eben­so die Nega­ti­on der Affir­ma­ti­on. Wir sehen, wie sich das in der For­mel –a2 zeigt; wir fin­den die Not­wen­dig­keit wie­der, bei der Wur­zel aus die­sem Pro­dukt die Wur­zel aus minus eins ins Spiel zu brin­gen, \sqrt {-1}.

Es geht nicht ein­fach um die Anwe­sen­heit oder die Abwe­sen­heit des klein a, son­dern um die Kon­junk­ti­on von bei­den, um den Schnitt (cou­pu­re), wor­um es geht, ist die Dis­junk­ti­on von a und minus a.88

Und das ist der Punkt, wo das Sub­jekt dazu gelangt, sich als sol­ches zu ver­or­ten, wo sich die Iden­ti­fi­zie­rung mit die­sem Etwas her­zu­stel­len hat, mit dem Objekt des Begehrens.

Dar­um ist der Punkt, an den ich Sie heu­te geführt habe, Sie wer­den es sehen, eine Arti­ku­la­ti­on, die Ihnen spä­ter noch hel­fen wird.“89

Ende der Sitzung

Paraphrase mit Ergänzungen

Men­gen­theo­rie und moder­ne Logik beru­hen auf dem Buchstaben

[Nach­dem Lacan in der Sit­zung vom 15. Novem­ber 1961 über die Lüg­ner­pa­ra­do­xie gespro­chen hat­te, bezieht er sich jetzt auf die soge­nann­te Russell’sche Anti­no­mie bzw., wie er sagt, Russell’sche Para­do­xie; die­se Anti­no­mie oder Para­do­xie zeigt sich im Rah­men eines bestimm­ten Typs der sym­bo­li­schen Logik, näm­lich der Klas­sen­lo­gik im enge­ren Sin­ne, in wel­cher Klas­sen als Men­gen auf­ge­fasst werden.]

Wodurch unter­schei­det sich eine Men­ge von einer Klas­se? Men­gen wer­den durch For­meln defi­niert, genau­er: durch Axio­me. Die­se Axio­me wer­den in schrift­li­chen Sym­bo­len notiert, durch Buch­sta­ben sowie durch Gra­phe­me für Rela­tio­nen. Die Reduk­ti­on auf Buch­sta­ben ist cha­rak­te­ris­tisch für die sym­bo­li­sche Logik [auch mathe­ma­ti­sche Logik genannt], dar­in unter­schei­det sie sich von der tra­di­tio­nel­len Logik [die auf Aris­to­te­les zurück­geht]. [Die „Sym­bo­le“, auf die sich der Aus­druck „sym­bo­li­sche Logik“ bezieht, sind Schrift­zei­chen nach dem Vor­bild der Alge­bra, des „Buch­sta­ben­rech­nens“.]

War­um konn­te durch die Ver­wen­dung des Buch­sta­bens die Sta­gnie­rung der Logik über­wun­den wer­den? Wor­in besteht die beson­de­re Kraft des Buch­sta­bens?  

Auch die Russell’sche Anti­no­mie beruht auf dem Buchstaben

War­um stau­nen die Autoren über die Russell’sche Para­do­xie? Die Para­do­xie bezieht sich hier auf die Men­ge aller Men­gen, die sich nicht selbst ent­hal­ten. In Bezug auf die­se Men­ge wird gefragt, ob sie sich selbst enthält.

Ein Bei­spiel für eine Men­ge, die sich selbst ent­hält, ist die Klas­se „Huma­ni­o­ra“ in einer biblio­gra­phi­schen Klas­si­fi­ka­ti­on, wobei die­se Klas­se außer­dem Wer­ke über die Klas­se der Huma­ni­o­ra ent­hält [oder, sagen wir, eine Biblio­gra­phie zu einem bestimm­ten The­ma, in der die­se Biblio­gra­phie selbst auf­ge­führt wird].

Eine Men­ge, die sich nicht selbst ent­hält, ist der Normalfall.

Ange­nom­men, die Men­ge aller Men­gen, die sich nicht selbst ent­hal­ten, ent­hält sich selbst, dann steht sie zu ihrer Defi­ni­ti­on im Wider­spruch, Ange­nom­men, sie ent­hält sich nicht selbst, ergibt sich eben­falls ein Wider­spruch, da sie ja alle Men­gen ent­hal­ten soll, die sich nicht selbst enthalten.

[Ange­nom­men, wir wäh­len als Ele­men­te die Freud-Biblio­gra­phien. Bei der Abfas­sung einer jeden Biblio­gra­phie stand der Autor vor der Ent­schei­dung, ob er die von ihm selbst erstell­te Biblio­gra­phie in sei­ne Biblio­gra­phie der Freud-Biblio­gra­phien mit auf­neh­men soll.  Neh­men wir wei­ter­hin an, dass die­ses Pro­blem unter­schied­lich gelöst wur­de. Eini­ge haben den Titel der von ihnen erstell­ten Biblio­gra­phie mit in ihre Freud-Biblio­gra­phie auf­ge­nom­men, ande­re nicht. Die auf sich selbst ver­wei­sen­den Biblio­gra­phien bil­den eine Men­ge, die sich selbst ent­hält, die ande­ren eine Men­ge, die sich nicht selbst enthält.]

[Stel­len wir uns als nächs­tes vor, dass jemand den Auf­trag erhält, von die­sen Biblio­gra­phien eine Biblio­gra­phie zwei­ter Ord­nung zu erstel­len, also eine Biblio­gra­phie der Freud-Biblio­gra­phien. Ange­nom­men, es soll zwei Meta­bi­blio­gra­phien geben. Die eine, Freud-Meta­bi­blio­gra­phie I,  soll alle selbst­re­fe­ren­ti­el­len Biblio­gra­phien ent­hal­ten, also die­je­ni­gen, die sich selbst ent­hal­ten. Die ande­re, Freud-Meta­bi­blio­gra­phie II, soll alle zurück­hal­ten­den Biblio­gra­phien umfas­sen, all die­je­ni­gen, die sich nicht selbst enthalten.] 

[In die ers­te Freud-Meta­bi­blio­gra­phie nimmt der Autor die  Titel auf, die sich selbst ent­hal­ten. Zum Schluss fragt er sich, ob er er den Titel Freud-Meta­bi­blio­gra­phie I eben­falls auf­neh­men soll. Er kommt schnell zum Ergeb­nis, dass die­ser Titel hin­ein­ge­hört: Die­se Meta­bi­blio­gra­phie soll ja alle Titel ent­hal­ten, die sich selbst ent­hal­ten und durch die Auf­nah­me des Titels Freud-Meta­bi­blio­gra­phie I in das Titel­ver­zeich­nis ent­hält die Freud-Meta­bi­blio­gra­phie I sich selbst. Durch die Auf­nah­me des Titels in sich selbst erfüllt die Freud-Meta­bi­blio­gra­phie I gewis­ser­ma­ßen rück­wir­kend die Aufnahmebedingung.]

[Die Freud-Meta­bi­blio­gra­phie II soll die zurück­hal­ten­den Biblio­gra­phien erfas­sen, all die­je­ni­gen, die sich nicht selbst ent­hal­ten. Also nimmt der Autor den Titel „Freud-Meta­bi­blio­gra­phie II“ nicht dar­in auf. Er denkt: Wenn er ihn auf­neh­men wür­de, wür­de die­se Biblio­gra­phie sich ja selbst ent­hal­ten, und ein Titel, der sich selbst ent­hält, soll dar­in nun gera­de nicht auf­ge­führt wer­den. Doch dann gerät er ins Grü­beln. Er hat­te ja den Auf­trag, in die zwei­te Meta­bi­blio­gra­phie alle Biblio­gra­phien auf­zu­neh­men, die sich nicht selbst ent­hal­ten, und er hat­te soeben dafür gesorgt, dass dass sei­ne­e­ige­ne Meta­bi­blio­gra­phie sich nicht selbst ent­hält. Mit die­sem Merk­mal gehört der Titel „Freud-Meta­bi­blio­gra­phie II“ ganz klar in das Titel­ver­zeich­nis. Also kor­ri­giert er sei­ne Ent­schei­dung, und nimmt den Titel „Freud-Meta­bi­blio­gra­phie II“ dann doch in sei­ne Titel­lis­te auf. Dann wird ihm klar, dass er einen Feh­ler began­gen hat, denn nun ent­hält sei­ne  Meta­bi­blio­gra­phie den Titel einer Biblio­gra­phie, die sich selbst ent­hält, obwohl sie doch nur sol­che Biblio­gra­phien ver­zeich­nen soll, die sich nicht selbst ent­hal­ten. Und so weiter.] 

Lacan macht ein Wort­spiel mit se com­prend­re (sich ent­hal­ten /​ sich ver­ste­hen): auch das Sub­jekt ent­hält sich nicht /​ ver­steht sich nicht. [Es geht aber nicht nur um ein Wort­spiel, son­dern um die para­do­xe Posi­ti­on des Objekts a.]

[Lacan stellt sich die Fra­ge, wie es mög­lich war, dass die­se Para­do­xie der Selbst­be­züg­lich­keit, obwohl sie in den Grund­zü­gen seit der Anti­ke bekannt war, erst für die moder­ne Mathe­ma­tik eine grund­le­gen­de Rol­le gespielt hat und hier zur soge­nann­ten Grund­la­gen­kri­se führ­te.] Die Logi­ker, die sich wegen die­ser Para­do­xie den Kopf zer­bro­chen haben, haben nicht gese­hen, dass die Para­do­xie auf der sys­te­ma­ti­schen Ver­wen­dung des Buch­sta­bens beruht, auf der Reduk­ti­on von Buch­sta­ben auf ihre Signi­fi­kan­ten­funk­ti­on [auf der rigo­ro­sen Abs­trak­ti­on vom Sinn]. [Erst in dem Moment, in dem man eine sym­bo­li­sche Logik aus­ar­bei­tet, eine Logik, die auf der Mani­pu­la­ti­on von Schrift­zei­chen beruht, ähn­lich der Alge­bra, gewinnt die para­do­xe Dimen­si­on der Selbst­be­züg­lich­keit eine umwäl­zen­de Kraft.]

Wenn man dem Buch­sta­ben a die Funk­ti­on gibt, alle ande­ren Buch­sta­ben des Alpha­bets zu reprä­sen­tie­ren, dann reprä­sen­tiert er sie ent­we­der ohne a, also von b bis z. Und zugleich gelangt er „ganz natür­lich“ dazu, die Buch­sta­ben ein­schließ­lich a zu reprä­sen­tie­ren, indem wir die Buch­sta­ben, die er reprä­sen­tiert, ver­voll­stän­di­gen. Dann ist der Buch­sta­be a, der die Buch­sta­ben reprä­sen­tiert, der­sel­be wie der inner­halb der Klas­se, die er reprä­sen­tiert, und zugleich nicht der­sel­be. Denn a ist nicht gleich a, das ist bei der Iden­ti­fi­zie­rung der Aus­gangs­punkt [Lacan hat­te dies in die­sem Semi­nar in der Sit­zung vom 12. Dezem­ber 1961 erläu­tert; vgl. die Über­set­zung hier]. [Ich kann die­ses Argu­ment nicht nachvollziehen.]

Die­je­ni­gen, die den Begriff der Men­ge erfun­den habe, müs­sen ver­mu­tet haben, dass es einen Man­gel im Begriff der Klas­se gibt. [¿ Wel­chen?]   

Die Brust als Merk­mal der Säu­ge­tie­re und als Objekt des Begehrens

Das met­ony­mi­sche Objekt des Begeh­rens [das Objekt, um das die Ansprü­che krei­sen] wird von Lacan durch klein a repräsentiert.

Im Anspruch gelangt das Sub­jekt dazu, sich zu syn­ko­pie­ren, sich auf­zu­lö­sen. Das Sub­jekt ver­liert sich dann, wenn sich das Objekt an die Stel­le des Sub­jekts setzt, wenn also eine Meta­pher gebil­det wird [wenn eine Erset­zung statt­fin­det].

Die Psy­cho­ana­ly­ti­ker ent­hül­len die­sen Signi­fi­kan­ten des Sub­jekts und sie geben ihm einen Namen: gutes Objekt  [Mela­nie Klein],  Mut­ter­brust [Freud],  mam­me [Lacans Ver­dich­tung aus dem latei­ni­schen Wort mam­ma, „weib­li­che Brust“, und dem fran­zö­si­schen Wort maman, „Mama“, also in etwa „Mut­ter­brust“].

Der Anspruch ist bei­spiels­wei­se oral. Die Serie der Ansprü­che [die Met­ony­mie] wird durch eine Strich­lis­te dar­ge­stellt: (I+I+I ….). Die­se Serie erhält ihren Wert durch den Bezug auf das a, was sich so dar­stel­len lässt: a (I + I + I …).

Von hier aus stellt Lacan die Fra­ge, wie sich die Brust als Objekt a, also in der ora­len Bezie­hungs­art des Sub­jekts, zu der Brust ver­hält, durch wel­che die Klas­se der Säu­ge­tie­re defi­niert ist, die Klas­se der Mamma­lia. Es ist klar, dass die Brust als Objekt a anders funk­tio­niert, dass sie näher an der Mani­pu­la­ti­on des Buch­sta­bens E in der Men­gen­pa­ra­do­xie ist. [¿ Was ist mit dem Buch­sta­ben E in der Men­gen­pa­ra­do­xie gemeint?]

Aus­gangs­punkt ist a (I + I + I …). Gibt es unter den I des sich wie­der­ho­len­den Anspruchs die Brust selbst oder nicht? [Lacan spielt auf die Fra­ge an, ob die Men­ge sich selbst ent­hält.] Anders aus­ge­drückt, wenn wir von ora­ler Fixie­rung des Sub­jekts spre­chen, dann müs­sen wir die laten­te Brust von der aktu­el­len Brust unter­schei­den als der Wie­der­kehr der ver­dräng­ten Brust. [Die laten­te Brust ist die Brust, auf die sich die prä­ge­ni­tale ora­le Fixie­rung bezieht.] Die aktu­el­le Brust ist die Brust, nach der das Sub­jekt „ah! ah! ah!“ macht [auf die sich sein Begeh­ren rich­tet]. Sie sind kei­nes­wegs das­sel­be, die Ora­len schwär­men des­halb für Brüs­te, weil die Brust für sie ein Phal­lus ist [im Phan­tas­ma ist das Objekt a eine Phal­lus­me­ta­pher, die aktu­el­le Brust ist also nicht prä­ge­ni­tal, son­dern die durch den Kas­tra­ti­ons­kom­plex trans­for­mier­te Brust]. Wie Mela­nie Klein sagt: Der Phal­lus ist eine klei­ne Brust.

Die mani­fes­te Brust ist die Wie­der­kehr der ver­dräng­ten Brust im Sym­ptom oder in der per­ver­sen Ska­la; die mani­fes­te Brust dient dazu, das phal­li­sche Objekt heraufzubeschwören.

Lacan stellt die Bezie­hung zwi­schen der laten­ten und der mani­fes­ten Brust durch die­se For­mel dar:

[Links unten]: die laten­te Brust, Gegen­stand der Fixie­rung [prä­ge­ni­tale ora­le Bezie­hung]; [rechts oben:] die Wie­der­kehr der ver­dräng­ten Brust, etwa in einem Sym­ptom oder in einer Per­ver­si­on. [Brust (a) fun­giert als Phallusmetapher.]

Inwie­fern bezieht sich das Sub­jekt auf die [mani­fes­te] Brust als Phal­lus? Inso­fern die [mani­fes­te] Brust [rech­te Sei­te] wie eine Art Ping­pong­ball funk­tio­niert, d.h. im Alter­nie­ren von Abwe­sen­heit und Anwe­sen­heit. Und hin­ter die­ser Ping­pong­funk­ti­on steckt der Phal­lus als Über­gang vom (a+) zum (a–) [der sym­bo­li­sche Phal­lus im Sin­ne des Gegen­sat­zes von Anwe­sen­heit und Abwe­sen­heit (vgl. Semi­nar 4 von 1956/​57, Die Objekt­be­zie­hung und die­sen Blog­ar­ti­kel)].

Und damit sind wir in der Bezie­hung der Iden­ti­fi­zie­rung, bei der es um das Ver­hält­nis des aus­ge­stri­che­nen Sub­jekts [$] zu I(A) geht [zum Ichide­al], zum Ein [zum ein­zi­gen Zug], inso­fern das Ein die Bedeu­tung des Ande­ren als sol­chen annimmt. Das Sub­jekt, um das es bei die­ser Iden­ti­fi­zie­rung  geht, ist das Sub­jekt der Frus­tra­ti­on. [In der Frus­tra­ti­ons­be­zie­hung ist der Ande­re der all­mäch­ti­ge Ande­re, inso­fern er die Befrie­di­gung des Anspruchs erfül­len oder ver­wei­gern kann, das Sub­jekt ant­wor­tet hier­auf mit dem Lie­bes­an­spruch und mit der Iden­ti­fi­zie­rung (vgl. hier­zu aus­führ­lich Semi­nar 4).]

Das, was das Sub­jekt durch die­se Form der Iden­ti­fi­zie­rung assi­mi­liert, näm­lich die Frus­tra­ti­on, steht in enger Bezie­hung zum Wech­sel von a plus und a minus [zum Erschei­nen und Ver­schwin­den der Mut­ter­brust]. Lacan stellt die­sen Wech­sel als Pro­dukt von +a und –a dar, als –a2. Hier­bei ist die Nega­ti­on [bzw. das Minus] irre­du­zi­bel: Die Affir­ma­ti­on der Nega­ti­on ist eine Nega­ti­on, aber auch die Nega­ti­on der Affir­ma­ti­on ist eine Nega­ti­on [das Ent­spre­chen­de gilt für Plus und Minus].

Wenn man aus –a2 die Wur­zel zieht, kommt man zur ima­gi­nä­ren Zahl, zu  i. [Die ima­gi­nä­re Zahl, i, ist für Lacan ein Sym­bol für das aus­ge­stri­che­ne Sub­jekt90.]

Es geht [bei –a2] nicht um die Abwe­sen­heit oder um die Anwe­sen­heit des klein a, son­dern um die Kon­junk­ti­on von bei­den, um den Schnitt, es geht um die Dis­junk­ti­on von a und minus a. [Im fran­zö­si­schen Ori­gi­nal fin­det man hin­ter „Schnitt“ einen Punkt, was dazu führt, dass man Kon­junk­ti­on mit Schnitt mehr oder weni­ger gleich­setzt und bei­den die Dis­junk­ti­on gegen­über­stellt. Ich neh­me an, dass Lacan hier unter „Schnitt“ die Ver­bin­dung von Kon­junk­ti­on und Dis­junk­ti­on ver­steht und setz­te des­halb nach „Schnitt“ ein Kom­ma. Unter „Schnitt“ ver­steht Lacan ab dem Auf­satz Die Len­kung der Kur und die Prin­zi­pi­en ihrer Macht (1960) das Sym­bol der Rau­te, ◊, auf­ge­fasst als Ver­bin­dung von Kon­junk­ti­on und Dis­junk­ti­on, von Und, ∧, und Oder, ∨.91]

[Unter dem sym­bo­li­schen Phal­lus ver­steht Lacan die Ein­heit von Anwe­sen­heit und Abwe­sen­heit, ihr Auf­ein­an­der-Bezo­gen­sein. Wenn das Objekt als Ver­bin­dung und Tren­nung von Anwe­sen­heit und Abwe­sen­heit exis­tiert, fun­giert es als Phallusmetapher.] 

Eben das ist der Punkt, wo das Sub­jekt sich ver­or­ten kann, wo sich die Iden­ti­fi­zie­rung mit dem Objekt des Begeh­rens her­stellt [näm­lich an dem Punkt, an dem das Objekt als Phal­lus­me­ta­pher wirk­sam ist].

Von der Logik des Begriffs zur Logik des Signifikanten: der einzelne Zug

Übersetzung

Am 21. Febru­ar 1962 erin­nert Lacan zu Beginn der Sit­zung dar­an, dass er in der vor­an­ge­gan­ge­nen Sit­zung über das met­ony­mi­sche Objekt gespro­chen hat­te, bei­spiels­wei­se das des Oral­triebs, sowie dar­über, dass der Signi­fi­kant den Wider­spruch stützt, etwa in der Russell’schen Anti­no­mie. Danach heißt es:

„Dar­aus ergab sich, dass, bezo­gen auf die­ses Objekt des Oral­triebs, inso­fern wir es als die ursprüng­li­che Brust auf­fas­sen, dass sich zu die­ser gene­ri­schen mam­me der psy­cho­ana­ly­ti­schen Objekt­kon­sti­tu­ie­rung die fol­gen­de Fra­ge stel­len konn­te: Hat, unter die­sen Bedin­gun­gen, die rea­le Brust ‚mamma­len‘ Cha­rak­ter? Nein, habe ich Ihnen gesagt. Was ganz offen­kun­dig ist, denn wenn die Brust in der Oral­ero­tik ero­ti­siert ist, ist sie das, inso­fern sie etwas ganz ande­res ist als eine Brust – wie Ihnen nicht unbe­kannt ist.

Und nach der letz­ten Sit­zung hat jemand sich mir genä­hert und gesagt: ‚Ist, unter die­sen Bedin­gun­gen, der Phal­lus phal­lisch?‘ Natür­lich nicht!

Oder genau­er muss man Fol­gen­des sagen: Inso­fern in einem bestimm­ten Sta­di­um der Phal­lus-Signi­fi­kant zu einem Fak­tor für die Ent­hül­lung des Sinns der Signi­fi­kan­ten­funk­ti­on wird, inso­fern der Phal­lus, bezo­gen auf die sym­bo­li­sche Funk­ti­on, an eben den Platz gelangt, an dem die Brust war; inso­fern das Sub­jekt sich als phal­lisch kon­sti­tu­iert, ist der Penis – der im Inne­ren der Klam­mer ist, die die Men­ge der Objek­te ent­hält, die dem Sub­jekt im phal­li­schen Sta­di­um zuge­kom­men sind –, ist der Penis, so kann man sagen, genau­so wenig phal­lisch wie die Brust ‚mamma­lisch‘ ist; aller­dings geht es auf die­ser Ebe­ne um sehr viel schwer­wie­gen­de­re Din­ge, näm­lich dar­um, dass der Penis, Teil des rea­len Kör­pers, der Dro­hung aus­ge­setzt ist, die als Kas­tra­ti­on bezeich­net wird. Auf­grund der Signi­fi­kan­ten­funk­ti­on des Phal­lus wird der rea­le Penis dem aus­ge­setzt, was zuerst in der ana­ly­ti­schen Erfah­rung als Dro­hung erfasst wor­den ist, näm­lich der Kastrationsdrohung.

Das ist also der Weg, auf den ich Sie füh­re, ich zei­ge Ihnen hier sei­nen Zweck und sein Ziel. Jetzt geht es dar­um, ihn Schritt für Schritt zu durch­lau­fen, anders gesagt, auf das zurück­zu­kom­men, was ich, seit wir die­ses Jahr begon­nen haben, vor­be­rei­te und nach und nach ange­he, näm­lich die beson­de­re Funk­ti­on des Phal­lus bei der Iden­ti­fi­zie­rung des Subjekts.

Dass wir uns recht ver­ste­hen, bei all dem, das heißt dabei, dass wir in die­sem Jahr über die Iden­ti­fi­zie­rung spre­chen, das heißt dabei, dass von einem bestimm­ten Moment des Freud’schen Wer­kes an die Fra­ge der Iden­ti­fi­zie­rung an die ers­te Stel­le rückt, dass sie zu domi­nie­ren beginnt, dass sie die gesam­te Freud’sche Theo­rie umzu­ar­bei­ten beginnt, bei all dem geht es dar­um – man errö­tet fast, es sagen zu müs­sen –, dass von einem bestimm­ten Moment an, für uns nach Freud, für Freud vor uns, sich die Fra­ge nach dem Sub­jekt als sol­chem stellt, näm­lich: Wer ist? Wer ist da? Wer funk­tio­niert? Wer spricht? Wer – noch vie­les andere.

Und des­halb muss­te man tat­säch­lich damit rech­nen – bei einer Tech­nik, die grob gesagt eine Kom­mu­ni­ka­ti­ons­tech­nik ist, eine Tech­nik, bei wel­cher der eine sich an den ande­ren wen­det, und, um es klar zu sagen, eine Bezie­hungs­tech­nik –,  muss­te man tat­säch­lich wis­sen, wer da spricht und mit wem.

Und aus die­sem Grun­de betrei­ben wir in die­sem Jahr Logik.

Ich kann nichts dafür, es geht nicht dar­um, ob mir das gefällt oder ob mir das miss­fällt. Das miss­fällt mir nicht. Es mag ande­re geben, denen das nicht miss­fällt. Aber eins ist sicher: dass es unver­meid­lich ist. Es geht dar­um, zu wel­cher Logik uns das führt. Sie haben ja sehen kön­nen, dass ich Ihnen bereits gezeigt habe – ich bemü­he mich, die Sache so knapp wie mög­lich zu hal­ten, ich ver­si­che­re Ihnen, dass ich hier nicht die Schu­le schwän­ze –, wo wir uns im Ver­hält­nis zur for­ma­len Logik ver­or­ten und dass es sicher­lich nicht so ist, dass wir dazu kein eige­nes Wort zu sagen hätten.

Ich erin­ne­re Sie an die klei­ne Kreis­schei­be, die ich zu aller­lei nütz­li­chen Zwe­cken für Sie kon­stru­iert habe und auf die zurück­zu­kom­men wir viel­leicht mehr als ein­mal die Gele­gen­heit haben wer­den, damit dies zumin­dest – auf­grund des Tem­pos, zu dem wir gezwun­gen sind, um in die­sem Jahr unser Ziel zu errei­chen –, damit dies nicht noch eini­ge Mona­te oder Jah­re lang eine Aus­sa­ge blei­ben muss, die in der Schwe­be bleibt, für den Ein­falls­reich­tum der­je­ni­gen, die sich die Mühe machen, auf das, was ich Sie leh­re, zurückzukommen.

Aber sicher­lich han­delt sich kei­nes­wegs nur um for­ma­le Logik. Geht es um das, ist es das, was man seit Kant – ich mei­ne seit Kant auf gut aus­ge­ar­bei­te­te Wei­se – als tran­szen­den­ta­le Logik bezeich­net? Anders gesagt, geht es um die Logik des Begriffs? Sicher­lich auch das nicht. Es ist sogar ziem­lich erstaun­lich, zu sehen, wie sehr der Ter­mi­nus des Begriffs im Funk­tio­nie­ren unse­rer Kate­go­rien offen­sicht­lich abwe­send ist.

Was wir aus­ar­bei­ten – im Augen­blick geht es kei­nes­wegs dar­um, dass wir uns groß bemü­hen, dem ein genaue­res Eti­kett zu geben –, ist eine Logik, über die eini­ge sogleich sagen, dass ich mich bemüht habe, eine Art elas­ti­sche Logik zu kon­sti­tu­ie­ren. Aber nun ja, das genügt nicht, um etwas zu kon­sti­tu­ie­ren, das für den Geist wirk­lich beru­hi­gend wäre.

Wir arbei­ten eine Logik des Funk­tio­nie­rens des Signi­fi­kan­ten aus. Denn ohne die­sen als pri­mär, als grund­le­gend kon­sti­tu­ier­ten Bezug des Sub­jekts zum Signi­fi­kan­ten ist das, was ich hier vor­brin­ge, dies, dass es eigent­lich undenk­bar ist, dass es einem gelingt, den Irr­tum zu ver­or­ten, in den die gesam­te Ana­ly­se sich zuneh­mend ver­strickt hat und der eben dar­auf beruht, dass sie nicht die Kri­tik der tran­szen­den­ta­len Logik im kan­ti­schen Sin­ne durch­ge­führt hat, die von den neu­en Tat­sa­chen, die sie, die Psy­cho­ana­ly­se, mit­bringt, streng auf­ge­nö­tigt wird.

Dies – ich will Ihnen etwas anver­trau­en, was an sich kei­ne his­to­ri­sche Bedeu­tung hat, was ich aber glau­be, Ihnen den­noch als Anre­gung mit­tei­len zu kön­nen –, dies hat mich dazu gebracht, wäh­rend der Zeit, in der ich, kurz oder lang, von Ihnen und unse­ren wöchent­li­chen Begeg­nun­gen getrennt war, die Nase wie­der, nicht, wie ich es vor zwei Jah­ren getan habe, in die Kri­tik der prak­ti­schen Ver­nunft zu ste­cken, son­dern in die Kri­tik der rei­nen Vernunft.

Da es durch Zufall dazu kam, dass ich auf­grund eines Ver­ges­sens nur mein deut­sches Exem­plar mit­ge­nom­men hat­te, habe ich sie nicht voll­stän­dig wie­der­ge­le­sen, son­dern nur das Kapi­tel, das „Ein­füh­rung in die tran­szen­den­ta­le Ana­ly­tik“ heißt.92

Und obgleich es bedau­er­lich ist, dass die etwa zehn Jah­re, seit denen ich mich an Sie wen­de, hin­sicht­lich der Ver­brei­tung des Deutsch­ler­nens unter Ihnen, wie ich glau­be, nicht viel Wir­kung gehabt haben – was mich immer wie­der in Erstau­nen ver­setzt, was eine die­ser klei­nen Tat­sa­chen ist, die mich manch­mal dazu brin­gen, mir mein eige­nes Bild als das einer Figur aus einem gut bekann­ten sur­rea­lis­ti­schen Film wider­zu­spie­geln, einem Film mit dem Titel Ein anda­lu­si­scher Hund, das Bild eines Man­nes, der mit­hil­fe von zwei Sei­len einen Flü­gel hin­ter sich her­zieht, auf dem, das soll jetzt kei­ne Anspie­lung sein, zwei tote Esel lie­gen93 –, bis auf dies, dass zumin­dest die­je­ni­gen, die bereits Deutsch kön­nen, nicht zögern soll­ten, das Kapi­tel der Kri­tik der rei­nen Ver­nunft, das ich ihnen ange­be, wie­der zu öff­nen, das wird ihnen sicher­lich hel­fen, die Art der Umkeh­rung, die ich in die­sem Jahr für Sie zu arti­ku­lie­ren ver­su­che, rich­tig einzuordnen.

Aber in gewis­sem Sin­ne glau­be ich, Sie ganz ein­fach dar­an erin­nern zu kön­nen – das ist kein Uni­ver­sal­schlüs­sel, son­dern ein Hin­weis –, dass das Wesent­li­che in der radi­kal ande­ren, exzen­tri­schen Wei­se besteht, in der ich ver­su­che, Sie dazu zu brin­gen, einen Begriff auf­zu­fas­sen, der bei Kant die gesam­te Struk­tu­rie­rung der Kate­go­rien beherrscht. Wobei er nichts ande­res tut, als hin­ter das, wovon das phi­lo­so­phi­sche Den­ken beherrscht wur­de, den gerei­nig­ten Punkt zu set­zen, den Punkt der Voll­endung, den End­punkt, und zwar soweit, dass er es hier in gewis­ser Wei­se abschließt, bezo­gen auf die Funk­ti­on der Ein­heit*, die Grund­la­ge jeder Syn­the­se ist, der ‚Syn­the­sis a prio­ri‘, wie er sich aus­drückt, und die sich tat­säch­lich, seit der Zeit, in der sie sich aus­ge­hend von der pla­to­ni­schen Mytho­lo­gie ent­wi­ckelt hat, als der not­wen­di­ge Weg auf­zu­drän­gen scheint: das Ein, das gro­ße Ein, wel­ches das gesam­te Den­ken von Pla­ton bis Kant beherrscht, das Ein, das für Kant als syn­the­ti­sche Funk­ti­on sogar das Modell für das ist, was in jeder Kate­go­rie a prio­ri, wie er sagt, die Funk­ti­on einer Norm mit sich führt, ver­ste­hen Sie das recht: einer uni­ver­sa­len Regel.

Nun, sagen wir also, um dem, was ich seit Beginn des Jah­res für Sie arti­ku­lie­re, eine spür­ba­re Zuspit­zung hin­zu­zu­fü­gen: Wenn es wahr ist, dass die Funk­ti­on des Ein in der Iden­ti­fi­zie­rung, wie sie von der Ana­ly­se der Freud’schen Erfah­rung struk­tu­riert und dekom­po­niert wird, nicht die der Ein­heit* ist, son­dern die­je­ni­ge, die ich seit Beginn des Jah­res ver­sucht habe, Sie kon­kret spü­ren zu las­sen, als der ursprüng­li­che Akzent des­sen, was ich hier den ein­zi­gen Zug /​ den Unärstrich (trait unaire) genannt habe – das heißt, etwas ganz ande­res als der Kreis, der ver­sam­melt, wor­in auf der Ebe­ne einer ima­gi­nä­ren sum­ma­ri­schen Anschau­ung die gesam­te logi­sche For­ma­li­sie­rung letzt­lich mün­det, nicht der Euler’sche Kreis, son­dern etwas ganz ande­res, näm­lich das, was ich hier ein Ein genannt habe, die­ser Zug oder Strich (trait), die­se unver­ort­ba­re Sache, die­se Apo­rie für das Den­ken, die genau dar­in besteht, dass er, je mehr er gerei­nigt und ver­ein­facht wird, je mehr er durch hin­rei­chen­de Ver­kür­zung sei­ner Anhäng­sel auf irgend­et­was redu­ziert wird –, des­to mehr kann er damit enden, dass er sich auf dies redu­ziert: auf ein Ein.

Das, was es an Wesent­li­chem gibt, an Ori­gi­na­li­tät, bei der Exis­tenz die­ses ein­zel­nen Zugs und sei­ner Funk­ti­on und sei­ner Ein­füh­rung – wie es dazu gekom­men ist, das ist genau das, was ich offen las­se, denn es ist nicht so klar, dass es durch den Men­schen dazu kam, wenn es näm­lich unter bestimm­tem Aspekt mög­lich ist, wahr­schein­lich ist, jeden­falls wird das von uns als Fra­ge auf­ge­wor­fen, dass von hier der Mensch aus­ge­gan­gen ist –, also, die Para­do­xie die­ses Ein besteht genau in Fol­gen­dem: Je mehr es sich ähnelt, ich mei­ne, je mehr all das, was zur Ver­schie­den­heit der Erschei­nun­gen gehört, aus­ge­löscht wird, umso mehr stützt es, umso mehr ein-kar­niert es (il un-car­ne), möch­te ich sagen, wenn Sie mir die­ses Wort gestat­ten, die Dif­fe­renz als solche.

Die Umkeh­rung der Posi­ti­on in Bezug auf das Ein führt dazu, dass wir dar­auf ach­ten, von der kan­ti­schen Ein­heit zur Ein­zig­keit* über­zu­ge­hen, zur uni­ci­té, die als sol­che aus­ge­drückt wird.

Wenn ich damit, wenn ich so sagen kann, ver­su­che – um einem Titel einen Aus­druck zu ent­leh­nen, einem Titel, der Ihnen, so hof­fe ich, bekannt ist, einer lite­ra­ri­schen Impro­vi­sa­ti­on von Picas­so94 –, wenn ich mich damit in die­sem Jahr ent­schie­den habe, das zu tun zu ver­su­chen, was Sie, wie ich hof­fe, dazu brin­gen wird, es auch zu tun, näm­lich ‚das Begeh­ren beim Schwanz zu erwi­schen‘, wenn ich mich dar­auf bezie­he, das heißt nicht auf die pri­mä­re Iden­ti­fi­zie­rung, die Freud defi­niert hat, die nicht leicht zu hand­ha­ben ist, die der Ein­ver­lei­bung, die des Ver­zehrs des Fein­des, des Geg­ners, des Vaters, wenn ich von der zwei­ten Form der Iden­ti­fi­zie­rung aus­ge­gan­gen bin, näm­lich von die­ser Funk­ti­on des ein­zi­gen Zugs, dann offen­sicht­lich mit die­sem Ziel.95

Lacan (ganz links) nach der Lesung von Picas­sos „Le désir attra­pé par la queue“, März 1944

Aber Sie sehen, wo hier die Umkeh­rung ist, sie besteht dar­in, dass, wenn die­se Funk­ti­on – ich glau­be, das ist der bes­te Aus­druck, den wir des­halb neh­men müs­sen, weil er der abs­trak­tes­te ist, weil er der bieg­sams­te ist, weil er der im eigent­li­chen Sin­ne signi­fi­kan­tes­te ist, das ist ein­fach ein gro­ßes F –, wenn die Funk­ti­on, die wir die­sem Ein geben, nicht mehr die der Ein­heit* ist, son­dern die der Ein­zig­keit*, dann bedeu­tet das – wir soll­ten nicht ver­ges­sen, wor­in die Neu­ar­tig­keit der Ana­ly­se besteht – , dass wir von den Tugen­den der Norm zu den Tugen­den der Aus­nah­me über­ge­gan­gen sind. Etwas, das Sie immer­hin ein klein wenig behal­ten haben, und das mit Grund.

Die Span­nung des Den­kens arran­giert sich damit, indem sie sagt: „Die Aus­nah­me bestä­tigt die Regel.‘ Auch das ist, wie vie­le Dumm­hei­ten, eine tie­fe Dumm­heit; es genügt ein­fach, dass man in der Lage ist, sie frei­zu­schä­len. Hät­te ich nichts ande­res getan, als die­se Dumm­heit ganz zum Leuch­ten zu brin­gen, wie einen die­ser klei­nen Schein­wer­fer, die man auf dem Dach von Poli­zei­wa­gen sieht, dann wäre das auf der Ebe­ne der Logik wohl bereits ein klei­ner Vor­teil. Aber offen­kun­dig ist das ein Nebengewinn.

Sie wer­den es sehen, vor allem dann, wenn eini­ge von Ihnen –; viel­leicht könn­ten eini­ge so weit gehen, sich dem zu wid­men, so weit, eines Tages an mei­ner Stel­le eine klei­ne Zusam­men­fas­sung zu geben, dar­über, wie man die Kant’sche Ana­ly­tik neu inter­punk­tie­ren muss.

Sie gehen recht in der Annah­me, dass es für all dies Ansatz­punk­te dar­in gibt, dass Kant das all­ge­mei­ne Urteil und das beson­de­re Urteil unter­schei­det96 und das ein­zel­ne Urteil davon iso­liert97, womit er die tie­fen Ver­wandt­schaf­ten mit dem all­ge­mei­nen Urteil zeigt, ich mei­ne das, was bereits alle vor ihm gese­hen haben, aber indem er zeigt, dass es nicht genügt, sie zu ver­sam­meln, inso­fern das ein­zel­ne Urteil eben sei­ne Unab­hän­gig­keit hat, ist es als Gelenk­stück da, als Ansatz­punkt für die Umkeh­rung, über die ich zu Ihnen spreche.

Das ist nur ein Bei­spiel. Es gibt bei Kant vie­le ande­re Din­ge, die die­se Umkeh­rung anbah­nen. Merk­wür­dig ist, dass man das nicht bereits frü­her getan hat.

Es ist offen­kun­dig, dass das, wor­auf ich vor Ihnen beim vor­letz­ten Mal am Ran­de ange­spielt habe, näm­lich die Sei­te, die Mon­sieur Jes­per­sen, Sprach­wis­sen­schaft­ler, so empört hat98 – was beweist, dass die Sprach­wis­sen­schaft­ler kei­nes­wegs mit irgend­ei­ner Unfehl­bar­keit aus­ge­stat­tet sind –, näm­lich dass eine Para­do­xie dar­in läge, dass Kant die Nega­ti­on unter die Rubrik der­je­ni­gen Kate­go­rien stellt, die die Qua­li­tät bezeich­nen, näm­lich als zwei­te Pha­se, wenn man so sagen kann, der Kate­go­rien der Qua­li­tät, wobei die ers­te die Rea­li­tät ist, die zwei­te die Nega­ti­on und die drit­te die Limi­ta­ti­on.99

Die­se Sache, die über­rascht, und bei der er uns damit über­rascht, dass es die­sen Sprach­wis­sen­schaft­ler so sehr über­rascht, näm­lich Mon­sieur Jes­per­sen in die­ser umfang­rei­chen Arbeit über die Nega­ti­on, die er in den Anna­len der däni­schen Aka­de­mie ver­öf­fent­licht hat, man ist umso mehr über­rascht, als die­ser lan­ge Arti­kel über die Nega­ti­on eben dazu da ist – alles in allem, von einem Ende zum ande­ren –, um uns zu zei­gen, dass die Nega­ti­on, lin­gu­is­tisch gese­hen, etwas ist, was, wenn ich so sagen darf, nur durch eine bestän­di­ge Über­bie­tung (suren­c­hè­re per­pé­tu­el­le) Bestand hat. Das ist also nichts so Ein­fa­ches, dass sie unter die Rubrik der Quan­ti­tät zu brin­gen wäre100, wo sie sich schlicht und ein­fach mit dem ver­men­gen wür­de, was sie der Quan­ti­tät nach ist, das heißt mit der Null. Aber ich habe Ihnen bereits genü­gend Hin­wei­se dar­auf gege­ben; den­je­ni­gen, die das inter­es­siert, gebe ich den Beleg – die gro­ße Arbeit von Jes­per­sen ist wirk­lich etwas Bemerkenswertes.

Aber wenn Sie das Dic­tion­n­aire d’étymologie lati­ne von Ern­out und Meil­let auf­schla­gen101 und sich ein­fach auf den Arti­kel „ne“ bezie­hen, wer­den Sie der his­to­ri­schen Kom­ple­xi­tät des Pro­blems des Funk­tio­nie­rens der Nega­ti­on gewahr wer­den, näm­lich der tie­fen Mehr­deu­tig­keit, die dazu führt, dass die Nega­ti­on – nach­dem sie die­se ursprüng­li­che Funk­ti­on der Dis­kor­danz gewe­sen ist, auf die ich immer wie­der hin­ge­wie­sen habe wie zugleich auf ihre ursprüng­li­che Natur –, dass die Nega­ti­on sich immer auf etwas stüt­zen muss, was eben von der Natur des Ein ist, so wie wir hier näher zu erfas­sen ver­su­chen, dass die Nega­ti­on kei­ne Null ist, lin­gu­is­tisch gese­hen nie­mals, son­dern ein ’nicht ein‘.

Der­art, dass bei­spiels­wei­se das allein­ste­hen­de latei­ni­sche non [nicht] – um etwas zu ver­an­schau­li­chen, was Sie in die­sem Werk fin­den kön­nen, das bei der däni­schen Aka­de­mie wäh­rend des Ers­ten Welt­kriegs erschie­nen ist und des­halb sehr schwer zu fin­den ist –, dass bei­spiels­wei­se das latei­ni­sche non selbst, das den Anschein erweckt, die aller­ein­fachs­te Form der Nega­ti­on zu sein, bereits ein ne oinom ist, in der Form von unum, das ist bereits ein ‚nicht ein‘. Und nach eini­ger Zeit ver­gisst man, dass das ein ‚nicht ein‘ ist, und in der Fol­ge setzt man an die Stel­le wie­der ein ‚ein‘.102

Und die gesam­te Geschich­te der Nega­ti­on ist die Geschich­te die­ser Auf­zeh­rung durch etwas, was wo ist? Das ist genau das, was wir ein­zu­krei­sen ver­su­chen: die Funk­ti­on des Sub­jekts als solchem.

Und aus die­sem Grun­de sind die Bemer­kun­gen von Pich­on sehr inter­es­sant, die uns zei­gen, dass man im Fran­zö­si­schen das Ope­rie­ren der bei­den Ele­men­te der Nega­ti­on beson­ders gut sieht – die Bezie­hung des ‚ne‘ zum ‚pas‘ –, sodass man sagen kann, dass das Fran­zö­si­sche tat­säch­lich die Son­der­stel­lung hat, übri­gens kei­nes­wegs ein­zig unter den Spra­chen, zu zei­gen, dass es im Fran­zö­si­schen kei­ne wirk­li­che Nega­ti­on gibt.103

Es ist übri­gens eigen­ar­tig, dass er nicht bemerkt, dass dies – wenn die Din­ge so ste­hen – über das Feld der fran­zö­si­schen Domä­ne, wenn man sich so aus­drü­cken kann, ein biss­chen hin­aus­ge­hen muss.104 Denn es ist sehr leicht, sich über alle Arten von For­men hin­weg klar­zu­ma­chen, dass damit zwangs­läu­fig über­all das­sel­be ist, ange­sichts des­sen, dass die Funk­ti­on des Sub­jekts nicht bis in ihre Wur­zel hin­ein von der Ver­schie­den­heit der Spra­chen abhängt.

Es ist sehr leicht, sich klar­zu­ma­chen, dass das ‚not‘ in einem bestimm­ten Moment der Ent­wick­lung der eng­li­schen Spra­che etwas wie ‚naught‘ [Nichts] ist.105“106

Danach spricht Lacan über das Semi­nar des vor­an­ge­hen­den Jah­res – das Semi­nar zur Über­tra­gung – und erklärt dann, dass es dar­um geht, die logi­sche Funk­ti­on der 1 mit dem The­ma des Begeh­rens zu verbinden.

Paraphrase mit Ergänzungen

Phal­lus und Kastration

Das Objekt des Oral­triebs ist die ursprüng­li­che Brust, die gene­ri­sche mam­me. Hat die rea­le Brust [die weib­li­che Brust als Organ, die Brust­drü­se] „mamma­len“ Cha­rak­ter, fun­giert sie als mam­me? [Ist das Brust­or­gan Gegen­stand des Oral­triebs, ist sie mam­me?] Nein. Die Brust, die in der Oral­ero­tik ero­ti­siert ist [also die mam­me], ist etwas ande­res als die rea­le Brust [als das Brust­or­gan].

Von daher kann man sich die Fra­ge stel­len, ob der Phal­lus [im Sin­ne des Pen­is­or­gans] phal­lisch ist [ob der Penis also der „Phal­lus“ im Sin­ne der Psy­cho­ana­ly­se ist]? Eben­falls nicht. [Damit geht Lacan von der Pri­va­ti­on (Brust) zur Kas­tra­ti­on über.] In einer bestimm­ten Ent­wick­lungs­pha­se [auf der „phal­li­schen Stu­fe“, wie Freud sagt] wird der Phal­lus-Signi­fi­kant zu einem Fak­tor, der eine bestimm­te Signi­fi­kan­ten­funk­ti­on ent­hüllt, näm­lich die Funk­ti­on des Sinns. [Viel­leicht ist gemeint: Der Phal­lus-Signi­fi­kant wird zu dem Fak­tor, der dafür sorgt, dass sich das Kind die Fra­ge stellt „Was bedeu­tet das?“ im Sin­ne von „Was will der Ande­re mit sei­nem rät­sel­haf­ten Ver­hal­ten?“]. Der Phal­lus gelangt, bezo­gen auf die sym­bo­li­sche Funk­ti­on, an den Platz, an dem die Brust war. Wenn das Sub­jekt sich als phal­lisch kon­sti­tu­iert [wenn es auf der „phal­li­schen Stu­fe“ ist], ist der Phal­lus im Inne­ren der Klam­mer, in der die Objek­te ent­hal­ten sind, auf die sich das Sub­jekt wäh­rend der phal­li­schen Stu­fe bezieht [die Bezie­hung zum ora­len und zum ana­len Objekt wird vom Phal­lus-Objekt her reor­ga­ni­siert].

Dabei gilt für den Penis, dass er nicht phal­lisch ist, so wie für die Brust gilt, dass sie nicht „mamma­lisch“ ist. Aber es geht auf die­ser Ebe­ne um mehr, näm­lich dar­um, dass der Penis, als Teil des rea­len Kör­pers, der von der Psy­cho­ana­ly­se ent­deck­ten Kas­tra­ti­ons­dro­hung aus­ge­setzt wird. [Die phal­li­sche Stu­fe ist die Stu­fe des Kastrationskomplexes.]

Die­ser Dro­hung wird der Penis auf­grund der Signi­fi­kan­ten­funk­ti­on des Phal­lus aus­ge­setzt. [Die Bezie­hungs­ket­te ist also: (a) der Penis bekommt Signi­fi­kan­ten­funk­ti­on, und dies führt zu (b), näm­lich dazu dass der Penis in Signi­fi­kan­ten­funk­ti­on der Kas­tra­ti­ons­dro­hung aus­ge­setzt wird.] 

Iden­ti­fi­zie­rung

Bei der Iden­ti­fi­zie­rung des Sub­jekts spielt der Phal­lus eine Son­der­rol­le, und dar­um soll es im Fol­gen­den gehen.

The­ma die­ses Semi­nars ist die Iden­ti­fi­zie­rung. Freud hat die­ses Kon­zept in einem bestimm­ten Moment ein­ge­führt [vor allem mit dem Kapi­tel über Iden­ti­fi­zie­rung in Mas­sen­psy­cho­lo­gie und Ich-Ana­ly­se von 1921] und von hier aus sei­ne Theo­rie umge­ar­bei­tet. Bei der Iden­ti­fi­zie­rung geht es um das Sub­jekt: Wer ist das Sub­jekt? Wer spricht?

Die Psy­cho­ana­ly­se ist, grob gesagt, eine Tech­nik der Kom­mu­ni­ka­ti­on, d.h. eine Tech­nik, bei der es dar­um geht, dass sich der eine [spre­chend] an den ande­ren wen­det; von daher muss­te man damit rech­nen, dass die Fra­ge auf­tauch­te: Wer spricht mit wem?  

Logik des Signifikanten

Und aus eben die­sem Grun­de betreibt Lacan in die­sem Jahr Logik. Er hält das für unver­meid­lich. [Bei Lacans Beschäf­ti­gung mit der Logik geht es also dar­um, das The­ma des Sub­jekts anzu­ge­hen, dar­um, die Fra­ge zu beant­wor­ten, wer mit wem spricht.] [¿ Was hat Logik mit Kom­mu­ni­ka­ti­on zu tun? Wel­che Ant­wort gibt hier­auf die Logik?]

Die nächs­te Fra­ge ist dann, zu wel­cher Logik uns das führt. Lacans Ant­wort: es geht um eine „Logik des Funk­tio­nie­rens des Signi­fi­kan­ten“. um eine Logik, bei der es um den „als pri­mär, als grund­le­gend kon­sti­tu­ier­ten Bezug des Sub­jekts zum Signi­fi­kan­ten“ geht.

Für die Aus­ar­bei­tung die­ser Logik bezieht Lacan sich [kri­tisch, pro­ble­ma­ti­sie­rend] auf zwei eta­blier­te Arten der Logik, auf die for­ma­le Logik und auf die tran­szen­den­ta­le Logik. [Die „tran­szen­den­ta­le Logik“ ist ein Teil von Kants Kri­tik der rei­nen Ver­nunft. Die­se Logik fragt, wodurch das Den­ken in Begrif­fen ermög­licht wird, und zwar „a prio­ri“, d.h. unab­hän­gig von der Erfah­rung. Kants tran­szen­den­ta­le Logik knüpft an die aris­to­te­li­sche Logik an; das Haupt-Ver­bin­dungs­stück ist die soge­nann­te Urteils­ta­fel (B 95).]

Die Logik, die Lacan ins Auge fasst, ist kei­ne Logik des Begriffs, im Funk­tio­nie­ren der Kate­go­rien der Psy­cho­ana­ly­se ist der Ter­mi­nus des Begriffs abwe­send. [Sowohl in der aris­to­te­li­schen Logik als auch in der kan­ti­schen tran­szen­den­ta­len Logik ist die ele­men­ta­re Grö­ße der Begriff: Begrif­fe wer­den zum Urteil zusam­men­ge­setzt; Urtei­le zum  Schluss.]

Die Psy­cho­ana­ly­se hat es ver­säumt, die Kri­tik der tran­szen­den­ta­len Logik im kan­ti­schen Sin­ne durch­zu­füh­ren, die ihr von den neu­en Tat­sa­chen, die sie mit­bringt, jedoch auf­ge­nö­tigt wird [vgl. Sit­zung vom 13. Dezem­ber 1961, Miss­trau­en gegen­über dem Uni­ver­sa­len]. [Die Psy­cho­ana­ly­se hat sich von der Ord­nung des Begriffs – des Signi­fi­kats und der Ganz­heit – nicht eman­zi­piert, sie ist nicht zur Ord­nung der Signi­fi­kan­ten und des Ein­zel­nen übergegangen.]

Bei Kant wer­den die Kate­go­rien vom Begriff her struk­tu­riert. Für Kant ist der Begriff die Grund­la­ge der Syn­the­se, der „Syn­the­sis a prio­ri“, wie Kant sich aus­drückt, des „Ein“ [im Sin­ne der Ganz­heit]. Die­ses gro­ße Ein beherrscht das gesam­ten Den­ken von Pla­ton bis zu Kant. [Begrif­fe die­nen, Kant zufol­ge, der Syn­the­se, der „Syn­the­sis“, und die Syn­the­se ist für ihn eine Norm, eine uni­ver­sa­le Regel.] 

Ein­zi­ger Zug ver­sus Kreis

Freud hat jedoch gezeigt, sagt Lacan, dass der Begriff exzen­trisch bestimmt wer­den muss [von außer­halb des Krei­ses her].

Freud hat gezeigt, dass die Funk­ti­on des „Ein“ in der Iden­ti­fi­zie­rung besteht, und hier hat das „Ein“ nicht die Funk­ti­on der Ein­heit, son­dern des ein­zi­gen Zugs /​ des ein­zel­nen Zugs /​ des Unärs­trichs /​ des Ein­zel­strichs (trait unaire). Bei der Iden­ti­fi­zie­rung geht es nicht um den Kreis, der ver­sam­melt [als Ver­an­schau­li­chung des Begriffs] – bei die­sem Kreis endet die logi­sche For­ma­li­sie­rung, wenn sie den Syl­lo­gis­mus [den logi­schen Schluss] durch Euler’sche Krei­se dar­stellt. Nicht um den Kreis geht es, son­dern um den Zug oder Strich (trait). Je mehr die­ser Zug redu­ziert und ver­ein­facht wird, des­to mehr redu­ziert er sich auf das Ein [im Sin­ne des Ein­zel­nen]. [Der trait, der Zug/​Strich, steht für Lacan also im Gegen­satz zum Kreis.]

Das „Ein“ ist eine Apo­rie für das Den­ken. [¿ Wor­in besteht die Apo­rie des Ein?]

Wie kam es his­to­risch zur Ein­füh­rung des ein­zi­gen Zugs /​ des Ein­zel­strichs? Wur­de er durch den Men­schen ein­ge­führt? Lacan wirft die Fra­ge auf, ob nicht viel­mehr umge­kehrt der Mensch durch den ein­zel­nen Zug ein­ge­führt wor­den ist.

Je mehr beim ein­zel­nen Zug die Ver­schie­den­heit der Erschei­nun­gen aus­ge­löscht wird, je mehr er also redu­ziert wird, des­to mehr ver­kör­pert der ein­zel­ne Zug die Dif­fe­renz als solche.

Es geht also dar­um, einen Über­gang zu voll­zie­hen: vom kan­ti­schen Ein im Sin­ne der Ein­heit [der Syn­the­se, der Ganz­heit, der Tota­li­tät] zum Ein im Sin­ne der Ein­zig­keit* [der „Ein­zeln­heit“, wenn man so sagen könn­te].

In die­sem lau­fen­den Semi­nar über die Iden­ti­fi­zie­rung geht es, mit einer For­mu­lie­rung von Picas­so, dar­um, sagt Lacan, das „Begeh­ren beim Schwanz zu erwi­schen“. [Die Ein­wir­kung des Signi­fi­kan­ten auf das Sub­jekt in Form der Iden­ti­fi­zie­rung hat das Begeh­ren zur Folge.]

Dabei geht es Lacan nicht um den Typ der Iden­ti­fi­zie­rung, den Freud [in Mas­sen­psy­cho­lo­gie und Ich-Ana­ly­se] als „pri­mä­re Iden­ti­fi­zie­rung“ bezeich­net, also nicht um die Ein­ver­lei­bung des Fein­des, des [idea­li­sier­ten] Vaters. Viel­mehr geht Lacan von der­je­ni­gen Form der Iden­ti­fi­zie­rung aus,  die [in Mas­sen­psy­cho­lo­gie und Ich-Ana­ly­se] die zwei­te Form der Iden­ti­fi­zie­rung ist, von der Iden­ti­fi­zie­rung mit dem „ein­zel­nen Zug“ [des ver­lo­re­nen Lie­bes­ob­jekts]. Hier­bei hat das Ein nicht mehr die Funk­ti­on der „Ein­heit*“, son­dern der „Ein­zig­keit*“. 

Von der Norm zur Ausnahme

Der Wech­sel von der Ein­heit* zur Ein­zig­keit bedeu­tet, dass man von den Tugen­den der Norm zu den Tugen­den der Aus­nah­me über­geht, eben dar­in besteht die Neu­ar­tig­keit der Ana­ly­se. [Lacan spielt damit viel­leicht auf Freuds The­se an, dass das Nor­ma­le vom Patho­lo­gi­schen her zu begrei­fen ist.] Das Ver­hält­nis von Regel und Aus­nah­me erzeugt eine Span­nung, und man arran­giert sich damit, indem man sagt: „Die Aus­nah­me bestä­tigt die Regel.“ Das ist eine Dumm­heit [da sie das Ver­hält­nis von Regel und Aus­nah­me durch den Vor­rang der Regel har­mo­ni­siert], eine Dumm­heit, die jedoch etwas Tie­fes ent­hält, und Lacan ist es wich­tig, die­ses Tie­fe auf der Ebe­ne der Logik zum Leuch­ten zu brin­gen [mög­li­cher­wei­se ist gemeint: als Ver­hält­nis von uni­ver­sal beja­hen­der Aus­sa­ge und lee­rem Feld im Qua­dran­ten­sche­ma]. Aber das ist nur ein Nebengewinn.

[¿ Wor­in besteht der Zusam­men­hang zwi­schen dem „ein­zel­nen Zug“ und der Ausnahme?]

Einen Ansatz­punkt [für den Wech­sel vom Einen als Tota­li­tät bzw. als Ganz­heit zum Einen als „ein­zi­gem Zug“] fin­det man bei Kant, und zwar dar­in, dass Kant [in der Urteils­ta­fel der Kri­tik der rei­nen Ver­nunft bei der Quan­ti­tät des Urteils] nicht nur das all­ge­mei­ne und das beson­de­re Urteil von­ein­an­der unter­schei­det, son­dern außer­dem das ein­zel­ne Urteil. Das ein­zel­ne Urteil ist der Ansatz­punkt für die Umkeh­rung [der Logik], auf die Lacan abzielt [also ein Anknüp­fungs­punkt für eine Logik des Signi­fi­kan­ten als Logik des „ein­zi­gen“ bzw. „ein­zel­nen Zugs“].

Nega­ti­on

Ein ande­rer Anknüp­fungs­punkt bei Kant ist des­sen Auf­fas­sung von der Negation.

Von Kant wird die Nega­ti­on zu den Kate­go­rien der Qua­li­tät gerech­net; Kant zufol­ge gibt es drei Kate­go­rien der Qua­li­tät: Rea­li­tät, Nega­ti­on und Limi­ta­ti­on (B 106). [Der Gegen­satz von beja­hen­dem und ver­nei­nen­dem Urteil gilt in der tra­di­tio­nel­len Logik als ein Gegen­satz der Qualität.]

Der däni­sche Sprach­wis­sen­schaft­ler Otto Jes­per­sen hin­ge­gen rech­net in sei­ner gro­ßen Arbeit über Nega­ti­on (1917) die Nega­ti­on zur Quan­ti­tät, das heißt Jes­per­sen begreift die Nega­ti­on als Null. Das zeigt, dass Sprach­wis­sen­schaft­ler nicht unfehl­bar sind [da die Nega­ti­on kei­nes­wegs als eine Art Null zu deu­ten ist].

Dabei weist Jes­per­sen aller­dings dar­auf hin, dass die Nega­ti­on kom­pli­zier­ter ist, dass sie nur durch eine „bestän­di­ge Über­bie­tung“ (suren­c­hè­re per­pé­tu­el­le) Bestand hat. Und das zeigt, dass die Nega­ti­on nicht ein­fach eine Quan­ti­tät ist, kei­ne Null.

Die Ety­mo­lo­gie des „ne“ zeigt näm­lich, dass die Nega­ti­on  [nicht von der Null her, son­dern] von „Ein“ her zu begrei­fen ist: die Nega­ti­on ist ein „nicht ein“. Bei­spiels­wei­se ent­steht das latei­ni­sche non aus ne oinom bzw. ne unum, also aus „nicht ein“; spä­ter fällt das „ein“ weg. [Die „Über­bie­tung“ dürf­te also dar­in bestehen, dass das „ein“ vom „nicht“ über­bo­ten wird; das ers­te Gebot (im Sin­ne einer Ver­stei­ge­rung) wäre das „ein“ und das zwei­te Gebot, die Über­bie­tung, wäre das „nicht ein“.]

Die Ety­mo­lo­gie der Nega­ti­on zeigt, dass ihre ursprüng­li­che Funk­ti­on die der Dis­kor­danz ist [der Zurück­wei­sung von etwas], dass sie sich also immer auf etwas bezie­hen muss, was ein „Ein“ ist, dass sie also, lin­gu­is­tisch gese­hen, „nicht ein“ ist und kei­nes­wegs eine Null. Nach eini­ger Zeit ver­gisst man, dass das „nicht“ ein „nicht ein“ ist und fügt zu „nicht“ ein „ein“ wie­der hin­zu. Die Geschich­te der Nega­ti­on ist die Geschich­te die­ser Auf­zeh­rung [des fun­die­ren­den „ein“]. Damit stellt sich die Fra­ge, wodurch die­se Auf­zeh­rung bewirkt wird. Lacans Ant­wort lau­tet: durch das Sub­jekt. Eben das ver­su­che er ein­zu­krei­sen: die Funk­ti­on des Sub­jekts. [Das erin­nert an Freuds Auf­satz über die Ver­nei­nung, wonach die Ver­nei­nung sich auf einen Gedan­ken bezieht, der ver­drängt ist.]

Das Fran­zö­si­sche, in dem die Nega­ti­on mit  „ne … pas“ gebil­det wird, zeigt beson­ders gut das Funk­tio­nie­ren der Nega­ti­on. Das zeigt, dass es im Fran­zö­si­schen kei­ne wirk­li­che Nega­ti­on gibt. [¿ Sinn?] Aber das gibt es auch in ande­ren Spra­chen, denn die Funk­ti­on des Sub­jekts hängt nicht von der Ver­schie­den­heit der Spra­chen ab. In einem bestimm­ten Moment der eng­li­schen Spra­che ist das „not“ etwas wie „naught“ [nichts]. [Damit geht es um das Ver­hält­nis zwi­schen „nicht“ und „nichts“, zwi­schen sprach­li­cher Nega­ti­on und onto­lo­gi­schem Nichtsein.]

Arten des Nichts

Übersetzung

In der nächs­ten Sit­zung spricht Lacan wie­der über den trait unaire, den ein­zi­ge Zug, ein­zel­nen Zug, Ein­zel­strich, Unärstrich. Er merkt an, dass zwei Logi­ker, Jevons und Schrö­der, das­sel­be Gewicht dar­auf gelegt haben wie er. Er wol­le den Gegen­satz von Ein­heit und Ein­zig­keit* aus­ar­bei­ten und über die Rol­le des Sexu­al­triebs bei der Kon­sti­tu­ie­rung des Sub­jekts spre­chen. Dann heißt es:

„Bezo­gen auf die ers­te Tat­sa­che, die Ver­bin­dung des Sub­jekts mit die­sem ein­zi­gen Zug (trait unaire), wer­de ich heu­te – da ich den­ke, dass der Weg hin­rei­chend arti­ku­liert ist – den End­punkt set­zen, indem ich Sie dar­an erin­ne­re, dass die­se Tat­sa­che, die in unse­rer Erfah­rung so wich­tig ist und die von Freud her­aus­ge­stellt wur­de, in Bezug auf das, was er als den Nar­ziss­mus der klei­nen Dif­fe­ren­zen bezeich­net107, dass dies das­sel­be ist wie das, was ich die Funk­ti­on des ein­zel­nen Zugs nenne.

Denn das ist nichts ande­res als die Tat­sa­che, dass sich, aus­ge­hend von einer klei­nen Dif­fe­renz – und ‚klei­ne Dif­fe­renz‘ zu sagen, bedeu­tet nichts anders als die­se abso­lu­te Dif­fe­renz, über die ich zu Ihnen spre­che, die­se Dif­fe­renz, die von jedem mög­li­chen Ver­gleich abge­löst ist –, dass sich an die­se klei­ne Dif­fe­renz, inso­fern sie das­sel­be ist wie das gro­ße I, das Ichide­al, die gesam­te nar­ziss­ti­sche Aus­rich­tung anpas­sen kann, das Sub­jekt, das als Trä­ger die­ses ein­zi­gen Zugs kon­sti­tu­iert ist oder nicht.

Das erlaubt es uns heu­te, den ers­ten Schritt in Rich­tung auf das zu tun, was Gegen­stand unse­rer nächs­ten Sit­zung sein wird, näm­lich die Wie­der­auf­nah­me der Funk­tio­nen Pri­va­ti­on, Frus­tra­ti­on und Kastration.

Wenn wir sie gleich wie­der­auf­zu­neh­men, wer­den wir ahnen kön­nen, wo und wie sich die­se Fra­ge stellt, näm­lich die, wie sich die Welt des Signi­fi­kan­ten zu dem ver­hält, was wir als Sexu­al­trieb bezeich­nen – Pri­vi­leg, Prä­va­lenz der ero­ti­schen Funk­ti­on des Kör­pers bei der Kon­sti­tu­ie­rung des Subjekts.

Gehen wir ein wenig dar­auf zu, schnei­den wir sie an, die­se Fra­ge, indem wir von der Pri­va­ti­on aus­ge­hen, da dies das Ein­fachs­te ist. Es gibt minus a [–a] in der Welt, es gibt ein Objekt, das an sei­nem Platz fehlt, was wohl die absur­des­te Auf­fas­sung von der Welt ist, wenn man dem Wort ‚real‘ sei­nen Sinn gibt. Was kann im Rea­len denn feh­len?108

Da dies eine schwie­ri­ge Fra­ge ist, sehen Sie selbst noch bei Kant, wie er, weit jen­seits der rei­nen Anschau­ung, die­se alten Res­te von Theo­lo­gie mit sich schleppt, die ihn behin­dern und die unter dem Namen der kos­mo­lo­gi­schen Auf­fas­sung geführt wer­den. In mun­do non est casus, erin­nert er uns: [in der Welt ist] nichts Zufäl­li­ges, Gele­gent­li­ches. In mun­do non est fatum, nichts ist von einer Fata­li­tät, die jen­seits einer ratio­na­len Not­wen­dig­keit wäre. In mun­do non est sal­tus: es gibt kei­nen Sprung. In mun­do non est hia­tus [in der Welt gibt es kei­ne Lücke].109

Und der gro­ße Wider­le­ger der meta­phy­si­schen Unvor­sich­tig­kei­ten über­nimmt die­se vier Ver­nei­nun­gen, zu denen ich Sie fra­ge, ob sie uns in unse­rer Per­spek­ti­ve anders erschei­nen kön­nen als etwas, was genau umge­kehrt ver­fasst ist wie das, womit wir es immer zu tun haben: mit Fäl­len (cas) im eigent­li­chen Sin­ne des Wor­tes, um es klar zu sagen; mit einem Fatum, da unser Unbe­wuss­tes ein Ora­kel ist; mit eben­so vie­len Lücken, wie es unter­schied­li­che Signi­fi­kan­ten gibt; mit eben­so vie­len Sprün­gen, wie sich Met­ony­mi­en herstellen.

Da es ein Sub­jekt gibt, das selbst vom ein­zi­gen Zug mar­kiert oder nicht mar­kiert ist, das 1 oder –1 ist, kann es hier ein –a geben,  kann das Sub­jekt sich mit dem klei­nen Ball von Freuds Enkel iden­ti­fi­zie­ren110, und zwar spe­zi­ell in der Kon­no­ta­ti­on sei­nes Feh­lens: ‚es gibt nicht‘, ens pri­va­ti­vum.111

Natür­lich gibt es eine Lee­re, und davon wird das Sub­jekt aus­ge­hen: lee­rer Gegen­stand ohne Begriff. Von den vier Defi­ni­tio­nen des Nichts, die Kant auf­stellt, und die wir das nächs­te Mal wie­der auf­neh­men wer­den, ist dies die ein­zi­ge, die streng halt­bar ist, es gibt hier ein Nichts.

Beach­ten Sie bit­te, dass in der Tabel­le, die ich Ihnen von den drei Ter­mi­ni Kas­tra­ti­on, Frus­tra­ti­on und Pri­va­ti­on gege­ben habe, das Gegen­stück – der mög­li­che Agent, das im stren­gen Sin­ne ima­gi­nä­re Sub­jekt, von dem die Pri­va­ti­on aus­ge­hen kann, der Äuße­rungs­vor­gang der Pri­va­ti­on  –, dass dies das Sub­jekt der ima­gi­nä­ren All­macht ist, das heißt das umge­kehr­te Bild der Ohn­macht.112

Tabel­le „Kas­tra­ti­on – Frus­tra­ti­on – Pri­va­ti­on“ aus Semi­nar 4

AGENTMANGELOBJEKT
Rea­ler VaterSym­bo­li­sche KastrationIma­gi­nä­rer Phallus
Sym­bo­li­sche MutterIma­gi­nä­re FrustrationRea­le Brust
Ima­gi­nä­rer VaterRea­le PrivationSym­bo­li­scher Phallus

Ens ratio­nis, lee­rer Begriff ohne Gegen­stand, rei­ner Begriff der Mög­lich­keit, das ist der Rah­men, in dem das ens pri­va­ti­vum ver­or­tet ist und erscheint.

Kant ver­säumt es gewiss nicht, den rein for­ma­len Gebrauch der For­mel zu iro­ni­sie­ren, die sich von selbst zu ver­ste­hen scheint: ‚Alles Rea­le ist mög­lich‘.113 Wer wird das Gegen­teil sagen? Zwangsläufig!

Er macht aber einen wei­te­ren Schritt, indem er uns dar­auf auf­merk­sam macht, dass etwas Rea­les also mög­lich ist, dass dies aber auch hei­ßen kann, dass etwas Mög­li­ches nicht real ist, dass es Mög­li­ches gibt, das nicht real ist. Was Kant hier kri­ti­siert, ist sicher­lich nicht weni­ger als der phi­lo­so­phi­sche Miss­brauch, der damit getrie­ben wer­den kann. Für uns ist wich­tig, dass wir uns klar­ma­chen, dass die Mög­lich­keit, um die es geht, nur die Mög­lich­keit des Sub­jekts ist. Nur das Sub­jekt kann die­ses nega­ti­ve Rea­le sein, einer Mög­lich­keit, die nicht real ist.

Wie sehen auf die­se Wei­se das –1, das für das ens pri­va­ti­vum kon­sti­tu­tiv ist, mit der ursprüng­lichs­ten Struk­tur unse­rer Erfah­rung des Unbe­wuss­ten ver­bun­den, inso­fern sie nicht die des Ver­bots ist, auch nicht des ’sagt, dass nicht‘, son­dern die des ‚nicht-gesagt‘, des Punk­tes, wo das Sub­jekt nicht mehr da ist, um zu sagen, wenn es nicht mehr Herr die­ser Iden­ti­fi­zie­rung mit 1 ist oder die­ser plötz­li­chen Abwe­sen­heit des 1, die ihn kenn­zeich­nen könn­te.“114

Lacan been­det die Sit­zung mit der Ankün­di­gung des The­mas, über das er beim nächs­ten Mal spre­chen will: topo­lo­gi­sche Flächen.

Paraphrase mit Ergänzungen

Ein­zi­ger Zug als abso­lu­te Differenz

Beim „ein­zi­gen Zug“ (trait unaire) geht es um das, was Freud als „Nar­ziss­mus der klei­nen Dif­fe­ren­zen“ bezeich­net. Die klei­ne Dif­fe­renz ist die abso­lu­te Dif­fe­renz, die Dif­fe­renz, die von jedem Ver­gleich los­ge­löst ist. Die klei­ne Dif­fe­renz ist also der „ein­zi­ge Zug“, das Ichide­al, sym­bo­li­siert durch ein gro­ßes I [bzw. im Gra­phen des Begeh­rens durch den Buch­sta­ben groß I von A,  I(A)]. Aus­ge­hend von die­ser klei­nen Dif­fe­renz [von die­sem „ein­zi­gen Zug“, von die­sem Ichide­al] kann die gesam­te nar­ziss­ti­sche Ori­en­tie­rung des Sub­jekts reor­ga­ni­siert wer­den. 

Kei­ne Pri­va­ti­on im Realen

Von hier aus kön­nen die Funk­tio­nen der Pri­va­ti­on, der Frus­tra­ti­on und der Kas­tra­ti­on wie­der auf­ge­nom­men wer­den. Dabei geht es um das Ver­hält­nis der Welt des Signi­fi­kan­ten zum Sexu­al­trieb und um die Son­der­stel­lung der ero­ti­schen Funk­ti­on des Kör­pers bei der Kon­sti­tu­ie­rung des Subjekts.

Das lässt sich am ein­fachs­ten von der Pri­va­ti­on aus ange­hen. Pri­va­ti­on besagt: es gibt ein Objekt, das an sei­nem Platz fehlt; Lacan sym­bo­li­siert das durch „minus a“, bzw.  durch „–a“. Das ist jedoch eine absur­de Auf­fas­sung von der Welt, denn im Rea­len kann nichts fehlen.

Das Pro­blem zeigt sich etwa bei Kant Erläu­te­run­gen [zum drit­ten Pos­tu­lat des empi­ri­schen Den­kens, wonach gilt, dass das, des­sen Zusam­men­hang mit dem Wirk­li­chen nach all­ge­mei­nen Bedin­gun­gen der Erfah­rung bestimmt ist, not­wen­dig exis­tiert (KrV A 228 f.)]. Kant über­nimmt hier vier Behaup­tun­gen der Meta­phy­sik, näm­lich dass es in der Welt kei­nen „casus“ gibt – nichts Zufäl­li­ges – , kein Fatum, kei­nen Sprung und kei­ne Lücke. [Dies ist Kants Ver­si­on der The­se, dass im Rea­len nichts feh­len kann.] In der Per­spek­ti­ve der Psy­cho­ana­ly­se gilt das Gegen­teil: hier hat man es immer mit Fäl­len (cas) zu tun, immer mit einem Fatum, da das Unbe­wuss­te ein Ora­kel ist, immer mit Lücken, näm­lich mit Signi­fi­kan­ten, und immer mit Sprün­gen, das heißt mit Met­ony­mi­en. [Wenn im Rea­len nichts feh­len kann, muss das Feh­len also aus­ge­hend vom Signi­fi­kan­ten begrif­fen wer­den.] 

Kants For­men des Nichts

Das Sub­jekt zeich­net sich dadurch aus, dass es vom ein­zi­gen Zug mar­kiert ist oder nicht mar­kiert ist. [Dies ist die Spal­tung des Sub­jekts, zwi­schen der Iden­ti­fi­zie­rung und dem, was jen­seits der Iden­ti­fi­zie­rung ist.]

Die Mar­kie­rung des Sub­jekts durch den ein­zi­gen Zug wird durch 1 sym­bo­li­siert, die Nicht-Mar­kie­rung durch den ein­zi­gen Zug durch –1. [Das Sym­bol – 1 ent­spricht der Apha­ni­sis des Sub­jekts, wie es in Semi­nar 6 heißt, dem Ver­schwin­den des Sub­jekts, dem, dass es kei­nen Signi­fi­kan­ten des Sub­jekts gibt.]

Die Iden­ti­fi­zie­rung bzw. Nicht-Iden­ti­fi­zie­rung mit dem ein­zi­gen Zug ist die Bedin­gung dafür, dass es ein –a geben kann, ein feh­len­des Objekt, mit dem das Sub­jekt sich dann wie­der­um iden­ti­fi­zie­ren kann, etwa im Fort-da-Spiel von Freuds Enkel. [Lacan spitzt hier eine Bemer­kung von Freud über die zwei­te Form der Iden­ti­fi­zie­rung zu (in Mas­sen­psy­cho­lo­gie und Ich-Ana­ly­se), wonach die Iden­ti­fi­zie­rung mit dem ver­lo­re­nen Objekt immer die mit einem ein­zel­nen Zug ist.]

[Zu unter­schei­den ist also die Iden­ti­fi­zie­run­g/­Nicht-Iden­ti­fi­zie­rung mit dem ein­zel­nen Zug (1 oder –1) und die Iden­ti­fi­zie­rung mit dem feh­len­den Objekt (–a). Die Iden­ti­fi­zie­rung bzw. Nicht­iden­ti­fi­zie­rung mit dem ein­zel­nen Zug ist die Bedin­gung für die Iden­ti­fi­zie­rung mit dem feh­len­den Objekt.]

[Lacan beginnt nun, das „ver­lo­re­ne Objekt“ mit­hil­fe von Kants Unter­schei­dung der vier For­men des Nichts in der Kri­tik der rei­nen Ver­nunft zu beschrei­ben (B 348).]

[Kants vier Begrif­fe des Nichts sind:
– 1. Lee­rer Begriff ohne Gegen­stand, ens ratio­nis (auch „Gedan­ken­ding“): ein Begriff, der wider­spruchs­frei denk­bar ist, dem aber kei­ne Anschau­ung ent­spricht, z.B. das Ding an sich
– 2. Lee­rer Gegen­stand eines Begriffs, nihil pri­va­ti­vum: der Begriff vom Man­gel eines Gegen­stands, z.B. Käl­te als Feh­len von Wär­me, Schat­ten als Feh­len von Licht
– 3. Lee­re Anschau­ung ohne Gegen­stand, ens ima­gi­na­ri­um: die Anschau­ungs­for­men Raum und Zeit ohne Gegen­stän­de (in der Sekun­där­li­te­ra­tur fin­de ich auch „Ein­horn“, also ein fik­ti­ver Gegenstand)
– 4. Lee­rer Gegen­stand ohne Begriff, nihil nega­ti­vum (auch „Unding“): der Gegen­stand eines in sich wider­sprüch­li­chen Begriffs, z.B. gerad­li­ni­ge Figur von zwei Seiten.]

Das Objekt, sofern es fehlt, ist ein „es gibt nicht“, ein ens pri­va­ti­vum [ein Sei­en­des, des­sen Nega­ti­vi­tät oder Nich­tig­keit dar­in besteht, das es fehlt].

[Lacan ord­net das feh­len­de Objekt also Kants zwei­ter Form des Nichts zu, dem nihil pri­va­ti­vum, dem  Man­gel eines Gegenstandes.]

[Kant spricht vom nihil pri­va­ti­vum (von dem durch Feh­len gekenn­zeich­ne­tes Nichts), nicht, wie Lacan, vom ens pri­va­ti­vum (von dem durch Feh­len gekenn­zeich­ne­ten Sei­en­den). Ist Lacans Abwei­chung – ens pri­va­ti­vum statt nihil pri­va­ti­vum – Absicht? Mög­li­cher­wei­se; auf jeden Fall hilft ihm das, den kan­ti­schen Begriff an den des Objekt­man­gels anzu­nä­hern – ein „ens“ (ein Sei­en­des) ist ein Objekt.]

[Den Begriff der Pri­va­ti­on hat­te Lacan in Semi­nar 4 ein­ge­führt, für die Abwe­sen­heit von etwas an einem Platz; der psy­cho­ana­ly­ti­sche Bezugs­punkt für „Pri­va­ti­on“ war dort die Ent­de­ckung der Penis­lo­sig­keit der Mut­ter durch das Kind. Hier, in Semi­nar 9, hat „Pri­va­ti­on“ einen ande­ren Bezug, den des Objekt­ver­lusts, ins­be­son­de­re geht es um den Ver­lust der Brust, also um das Trau­ma der Entwöhnung.]

[Lacan wech­selt dann zu Kants vier­ter Form des Nichts.] Das Sub­jekt wird von einer Lee­re aus­ge­hen, vom lee­ren Gegen­stand ohne Begriff. [Kant nennt den begriffs­lo­sen lee­ren Gegen­stand auch „Unding“, und Kants Ter­mi­nus für die­se Art des Nichts ist nihil nega­ti­vum. Der lee­re Gegen­stand ohne Begriff ist ein logisch unmög­li­cher Gegen­stand, etwa eine gerad­li­ni­ge Figur von zwei Sei­ten. Die Nega­ti­vi­tät besteht hier dar­in, dass die­ser Gegen­stand nur so gedacht wer­den kann, dass das Den­ken sich in einen Wider­spruch ver­wi­ckelt.] Die­se Defi­ni­ti­on des Nichts ist, Lacan zufol­ge, die ein­zi­ge der vier Defi­ni­tio­nen, die streng halt­bar ist. Hier gibt es ein Nichts.

[Ich neh­me an, dass Kants „lee­rer Gegen­stand ohne Begriff“ (nihil nega­ti­vum) ein Aus­gangs­punkt für Lacans spä­te­re For­mel ist, „das Rea­le ist das logisch Unmögliche“.]

[Lacan kehrt zur Pri­va­ti­on zurück und damit indi­rekt zu Kants zwei­ter Form des Nichts, zum nihil pri­va­ti­vum.] Der Agent der Pri­va­ti­on, der­je­ni­ge, von dem der Äuße­rungs­vor­gang der Pri­va­ti­on aus­ge­hen kann, ist ein Sub­jekt, dem eine ima­gi­nä­re All­macht zuge­schrie­ben wird [dies ist der ima­gi­nä­re Vater, Lacan hat­te das in Semi­nar 4 aus­führ­lich ent­wi­ckelt, im Zusam­men­hang der Tabel­le „Kas­tra­ti­on – Frus­tra­ti­on – Pri­va­ti­on“]. Das Bild der All­macht ist das umge­kehr­te Bild der Ohn­macht. [Mög­li­cher­wei­se spielt Lacan mit dem Hin­weis auf die ima­gi­nä­re All­macht des Agen­ten der Pri­va­ti­on auf das ens ima­gi­na­ri­um von Kants Tabel­le an, auf die drit­te Form des Nichts.]

Tabel­le Kas­tra­ti­on – Frus­tra­ti­on – Pri­va­ti­on aus Semi­nar 4

AGENTMANGELOBJEKT
Rea­ler VaterSym­bo­li­sche KastrationIma­gi­nä­rer Phallus
Sym­bo­li­sche MutterIma­gi­nä­re FrustrationRea­le Brust
Ima­gi­nä­rer VaterRea­le PrivationSym­bo­li­scher Phallus

[Lacan wech­selt dann zu Kants ers­tem Begriff des Nichts, zum ens ratio­nis.] Ens ratio­nis, lee­rer Begriff ohne Gegen­stand [etwas wider­spruchs­frei Denk­ba­res, zu dem es kei­ne Anschau­ung gibt, Kants Bei­spiel ist das Ding an sich]. Dies ist der rei­ne Begriff der Mög­lich­keit [des Denk-Mög­li­chen].

[Im nächs­ten Schritt stellt Lacan eine Bezie­hung zwi­schen Kants ers­ter und zwei­ter Form des Nichts her, zwi­schen dem ens ratio­nis und dem nihil/​ens pri­va­ti­vum.] Das ens ratio­nis, der lee­re Begriff ohne Gegen­stand, das bloß [Denk-]Mög­li­che [das bloß wider­spruchs­frei Denk­ba­re], lie­fert den „Rah­men“, in dem das ens pri­va­ti­vum ver­or­tet ist, das Feh­len eines Gegen­stan­des. [Vom (Denk-)Möglichen aus stößt das Sub­jekt dar­auf, dass etwas fehlt.]

Kant iro­ni­siert die [klas­si­sche aris­to­te­li­sche] For­mel „Alles Rea­le ist mög­lich“ [alles, was wirk­lich ist, ist auch mög­lich], und for­dert indi­rekt [mit dem nihil nega­ti­vum] dazu auf, das Gegen­teil zu sagen [viel­leicht im Sin­ne von „Alles Rea­le ist unmög­lich“]; und Kant macht dar­auf auf­merk­sam, dass, wenn etwas Rea­les mög­lich ist, dies auch hei­ßen kann, dass es etwas Mög­li­ches gibt, das nicht real ist. [Das ist viel­leicht das ens ratio­nis, das „Gedan­ken­ding“, etwa das Ding an sich.] Kant kri­ti­siert den Miss­brauch, der damit getrie­ben wird [ver­mut­lich die Behand­lung des Gedan­ken­dings „Ding an sich“, als sei es eine Erschei­nung].

[Lacan bezieht nun das ens ratio­nis, das bloß mög­li­che „Gedan­ken­ding“, auf die Psy­cho­ana­ly­se.] Das Mög­li­che, das nicht real ist, das nega­ti­ve Rea­le, ist die Mög­lich­keit des Sub­jekts. [Ich neh­me an, dass hier das begeh­ren­de Sub­jekt gemeint ist, das Sub­jekt jen­seits der Identifizierung.]

[Lacan wech­selt vom ens ratio­nis (Kants ers­ter Form des Nichts, Gedan­ken­ding, Sub­jekt) zum ens pri­va­ti­vum (Kants zwei­ter Form des Nichts, feh­len­des Objekt), also zur Pri­va­ti­on, und er ori­en­tiert sich dabei an sei­ner The­se, dass das ens ratio­nis den Rah­men für das ens pri­va­ti­vum liefert.]

Das (–1) ist kon­sti­tu­tiv für das ens pri­va­ti­vum. [Das Sym­bol (–1) steht für die Nicht-Iden­ti­fi­zie­rung mit dem „ein­zi­gen Zug“, so hieß es zu Beginn. Die Nicht-Iden­ti­fi­zie­rung des Sub­jekts ist grund­le­gend für die Bezie­hung zum ver­lo­re­nen Objekt, zum ens pri­va­ti­vum.]

Das (–1) ist mit der ursprüng­lichs­ten Struk­tur unse­rer Erfah­rung des Unbe­wuss­ten ver­bun­den. Zur ursprüng­lichs­ten Struk­tur des Unbe­wuss­ten gehört nicht nur das Ver­bot, nicht nur das „sagt, dass nicht“,

Zur ursprüng­lichs­ten Struk­tur des Unbe­wuss­ten gehört auch das „nicht-gesagt“, näm­lich der Punkt, wo das Sub­jekt nicht da ist, um zu sagen, wenn es [näm­lich] nicht Herr die­ser Iden­ti­fi­zie­rung mit 1 ist, wenn es die plötz­li­che Abwe­sen­heit des 1 gibt, die ihn kenn­zeich­nen könn­te. [Das (–1) steht für die Nicht-Iden­ti­fi­zie­rung, für das, was in Semi­nar 6 als „Apha­ni­sis des Sub­jekts“ bezeich­net wird, womit gemeint ist das Feh­len eines Signi­fi­kan­ten des Sub­jekts; vgl. die­sen Bei­trag.]

[Damit lässt sich ahnen, inwie­fern das ens ratio­nis – das bloß Denk­ba­re – der Rah­men sein könn­te, in dem das ens pri­va­ti­vum erscheint, der Man­gel eines Gegen­stands: Das ens ratio­nis ent­spricht dem begeh­ren­den Sub­jekt jen­seits der Iden­ti­fi­zie­rung, und das ens pri­va­ti­vum ist das ver­lo­re­ne Objekt. Die­ses Objekt erscheint im Rah­men des begeh­ren­den Sub­jekts. Es geht um die Sub­jekt-Objekt-Bezie­hung im Phan­tas­ma, $ ◊ a.]

[Die Argu­men­ta­ti­on scheint so auf­ge­baut zu sein:
(a) Es gibt die Iden­ti­fi­zie­rung mit dem „ein­zi­gen Zug“, sym­bo­li­siert durch (1).
(b) Die Iden­ti­fi­zie­rung mit dem ein­zi­gen Zug ist nicht aus­fül­lend, es gibt eine Sub­jek­ti­vi­tät ohne Iden­ti­fi­zie­rung mit dem ein­zi­gen Zug, sym­bo­li­siert durch (–1), grob gesagt: das Sub­jekt als begeh­ren­des, die Apha­ni­sis des Subjekts.
(c) Bei­des zusam­men, die Iden­ti­fi­zie­rung mit dem ein­zi­gen Zug und die Nicht-Iden­ti­fi­zie­rung mit dem ein­zi­gen Zug ist das Sub­jekt (gespal­ten in Iden­ti­fi­zie­rung und Jen­seits-der-Iden­ti­fi­zie­rung, in Iden­ti­fi­zie­rung und Begeh­ren bzw. Apha­ni­sis); das Sub­jekt ist dem­nach, könn­te man auch sagen, ±1.
(d) Die dem Sub­jekt qua (–1) zuge­ord­ne­te kan­ti­sche Form des Nichts ist das ens ratio­nis, der lee­re Begriff ohne Gegen­stand, das wider­spruchs­frei Denk­ba­re ana­log zum Ding an sich.
(e) Die Nicht-Iden­ti­fi­zie­rung mit dem ein­zi­gen Zug, also die eine Sei­te der Sub­jekt­spal­tung, ist grund­le­gend für das ens pri­va­ti­vum, für das ver­lo­re­ne Objekt. Anders gesagt: das Begeh­ren (das Sub­jekt in der Apha­ni­sis) bezieht sich auf das feh­len­de Objekt, ent­spre­chend der Struk­tur des Phan­tas­mas, $ ◊ a.]

Nur vom Unmöglichen her tritt das Reale auf

Übersetzung

Die Wie­der­ho­lung, heißt es in der nächs­ten Sit­zung, dient dem Sub­jekt dazu, ein ursprüng­li­ches Unä­res wie­der­auf­tau­chen zu las­sen. Hier­bei ver­zählt sich das Sub­jekt gewis­ser­ma­ßen, und die­ser Zähl­feh­ler ist für das Sub­jekt kon­sti­tu­tiv.  Das hat Aus­wir­kun­gen auf das, was man als „Den­ken“ bezeich­net. Und weiter:

„Es ist wohl klar, dass es kei­nes­wegs ohne Bedeu­tung ist, dass ich mich hier mehr als ein­mal in der Wei­se vor­wärts­be­wegt habe, unver­meid­li­cher­wei­se, dass ich die Funk­ti­on der Klas­se und ihr Ver­hält­nis zum Uni­ver­sa­len in Fra­ge gestellt habe, und dies seit Beginn mei­ner Rede von die­sem Jahr, sodass dies sogar in gewis­ser Wei­se die Kehr­sei­te und das Gegen­teil der gesam­ten Rede ist, die ich Ihnen hier vor­zu­tra­gen suche.115

Erin­nern Sie sich doch bit­te an die­ser Stel­le ein­fach nur an das, was ich Ihnen mit der klei­nen exem­pla­ri­schen Kreis­flä­che zu zei­gen ver­sucht habe, mit der ich mich bemüht habe, vor Ihnen das Ver­hält­nis des Uni­ver­sa­len zum Par­ti­ku­lä­ren neu zu arti­ku­lie­ren sowie das Ver­hält­nis der beja­hen­den bezie­hungs­wei­se ver­nei­nen­den Aussagen.

Qua­dran­ten­sche­ma von Peirce

Ein­heit (unité) und Ganz­heit (tota­li­té) erschei­nen hier tra­di­tio­nell als eng mit­ein­an­der ver­bun­den, und es ist kein Zufall, dass ich immer wie­der dar­auf zurück­kom­me, um von dort aus die Grund­ka­te­go­rie dazu zu brin­gen, sich aufzuspalten.

Ein­heit und Ganz­heit, zugleich zusam­men­ge­hö­rend, anein­an­der gebun­den, in einem Ver­hält­nis, das man als Ver­hält­nis der Ein­schlie­ßung bezeich­nen kann, wobei die Ganz­heit eine Ganz­heit im Ver­hält­nis zu Ein­hei­ten ist, die Ein­heit aber das ist, wor­auf die Ganz­heit als sol­che sich grün­det, indem sie die Ein­heit in die­se ande­re Rich­tung zieht, ent­ge­gen­ge­setzt zu der­je­ni­gen, die ich davon unter­schei­de, inso­fern sie die Ein­heit eines Gan­zen (tout) ist.

Um die­sen Punkt her­um setzt sich in der soge­nann­ten Klas­sen­lo­gik das Miss­ver­ständ­nis fort, das säku­la­re Miss­ver­ständ­nis über Exten­si­on und Inten­si­on, wor­auf die Tra­di­ti­on, wie es scheint, tat­säch­lich immer grö­ße­ren Wert gelegt hat, wenn es stimmt – um die Din­ge in der Per­spek­ti­ve zu neh­men, wie sie bei­spiels­wei­se Mit­te des 19. Jahr­hun­derts erschie­nen sind, aus der Feder eines Hamil­ton116 –, wenn es denn stimmt, dass man das erst aus­ge­hend von Des­car­tes ein­deu­tig for­mu­liert hat und dass die Logik von Port-Roy­al, wie Sie wis­sen, an die Leh­re von Des­car­tes anschließt.

Oben­drein stimmt das nicht ein­mal! Denn es gibt ihn bereits ziem­lich lan­ge, und zwar seit Aris­to­te­les, die­sen Gegen­satz von Umfang und Inhalt.

Man kann sagen, dass er uns beim Umgang mit Klas­sen Schwie­rig­kei­ten berei­tet, die immer weni­ger gelöst sind; daher rüh­ren all die Bemü­hun­gen, die die Logik gemacht hat, um den Kern des Pro­blems zu ver­la­gern, etwa hin zur Quan­ti­fi­zie­rung der Aussagen.

Aber war­um kann man nicht sehen, dass uns in der Struk­tur der Klas­se selbst, der Klas­se als sol­cher, ein neu­er Aus­gangs­punkt gege­ben wird, näm­lich dann, wenn wir, als grund­le­gen­des Ver­hält­nis, das Ver­hält­nis der Ein­schlie­ßung durch ein Ver­hält­nis der Aus­schlie­ßung ersetzen?

Anders gesagt, wenn wir hin­sicht­lich des Sub­jekts als logisch ursprüng­lich das Fol­gen­de anse­hen – was nicht mei­ne Ent­de­ckung ist, was in der Reich­wei­te eines Logi­kers der Mit­tel­klas­se liegt –, näm­lich dass die wah­re Grund­la­ge der Klas­se weder ihr Umfang ist noch ihr Inhalt, dass die Klas­se viel­mehr immer die Klas­si­fi­zie­rung voraussetzt.

Anders gesagt, die Mamma­lia bei­spiels­wei­se, die Säu­ge­tie­re – um sofort klar­zu­ma­chen, wor­um es mir geht –, das ist das, was man aus den Wir­bel­tie­ren aus­schließt, durch die mam­me als ein­zi­gen Zug. Was heißt das? Das heißt, die ursprüng­li­che Tat­sa­che besteht dar­in, dass der ein­zi­ge Zug feh­len kann, dass es zunächst Abwe­sen­heit der mam­me gibt und dass man <dann> sagt: Da kann es nicht vor­kom­men, dass die mam­me feh­len. Das ist das, wodurch die Klas­se der Mamma­lia, der Säu­ge­tie­re, kon­sti­tu­iert wird.

Betrach­ten Sie die Din­ge dort, wo die Schwie­rig­kei­ten lie­gen, das heißt, öff­nen Sie wie­der die Trak­ta­te, um die­se tau­send klei­nen Apo­rien durch­zu­ge­hen, die Ihnen von der for­ma­len Logik ange­bo­ten wer­den, und Sie wer­den fest­stel­len, dass dies die ein­zig mög­li­che Defi­ni­ti­on einer Klas­se ist – wenn Sie ihr wirk­lich ihren uni­ver­sa­len Sta­tus sichern wol­len –, inso­fern die­ser Sta­tus zugleich mit die­ser Klas­se, nach einer Sei­te hin, die Mög­lich­keit ihrer Nicht­exis­tenz kon­sti­tu­iert, ihre mög­li­che Nicht­exis­tenz. Denn Sie kön­nen mit glei­cher Gül­tig­keit, als dem Uni­ver­sa­len feh­lend, die­je­ni­ge Klas­se defi­nie­ren, zu der kein Indi­vi­du­um gehört, das wird von daher nicht weni­ger eine uni­ver­sal kon­sti­tu­ier­te Klas­se sein.

Wobei die­se äußers­te Mög­lich­keit mit dem nor­ma­ti­ven Wert jeden uni­ver­sa­len Urteils ver­söhnt wird, möch­te ich sagen, inso­fern es über jeden Schluss hin­aus­geht, der induk­tiv ist, der also aus der Erfah­rung her­vor­ge­gan­gen ist.

Eben das ist der Sinn der klei­nen Kreis­flä­che, die ich Ihnen vor­ge­führt hat­te, bezo­gen auf die Klas­se, die unter den ande­ren zu bil­den ist, näm­lich der senk­rech­te Strich.

Durch das Sub­jekt wird zunächst die Abwe­sen­heit eines sol­chen Strichs kon­sti­tu­iert; als sol­ches ist es das Vier­tel oben rechts.

Der Zoo­lo­ge, wenn Sie mir gestat­ten, so weit zu gehen, bil­det die Klas­se der Mamma­lia, der Säu­ge­tie­re, nicht aus der Ganz­heit, von der ange­nom­men wird, dass sie durch die müt­ter­li­che mam­me gebil­det wird, son­dern gera­de des­halb, weil er sich von der mam­me ablöst, kann er die Abwe­sen­heit der mam­me iden­ti­fi­zie­ren. Das Sub­jekt als sol­ches ist hier­bei –1 [Qua­drant oben rechts].

Von daher, aus­ge­hend vom ein­zi­gen Zug, inso­fern er aus­ge­schlos­sen ist, legt er dann fest, dass es eine Klas­se gibt, bei der es uni­ver­sal kei­ne Abwe­sen­heit der mam­me geben kann: –(–1) [Qua­drant oben links].

Von da aus ord­net sich alles, nament­lich in den par­ti­ku­lä­ren Fäl­len, in dem Aller­lei [tout ven­ant] auf der unte­ren Ebe­ne: Es gibt wel­che [Qua­drant unten links mit +1] oder es gibt nicht wel­che [Qua­drant unten rechts mit –1].117

Logi­sches Quadrat

Ein kon­tra­dik­to­ri­scher Gegen­satz stellt sich in der Dia­go­na­len her, und das ist der ein­zi­ge wah­re Wider­spruch, der auf der Ebe­ne der Her­stel­lung der Dia­lek­tik uni­ver­sal – par­ti­ku­lär sowie ver­nei­nend – beja­hend Bestand hat: durch den ein­zi­gen Zug.

Damit ord­net sich alles in dem Aller­lei auf der unte­ren Ebe­ne: Es gibt wel­che oder es gibt nicht wel­che, und dies kann nur inso­fern exis­tie­ren, als auf der obe­ren Eta­ge durch Aus­schlie­ßung des Strichs die Eta­ge der Alles­gel­tens (tout valant) bzw. des­sen, was als alles gilt, kon­sti­tu­iert ist.118

Wie zu erwar­ten war, ist es also das Sub­jekt, durch das die Pri­va­ti­on ein­ge­führt wird, und zwar durch den Äuße­rungs­vor­gang, der im Wesent­li­chen so for­mu­liert wird: „Se pour­rait-il qu’il n’y ait mam­me?“, „Könn­te es  sein, dass es nicht mam­me gibt?“, ein „ne“, ein „nicht“, das nicht nega­tiv ist, ein „nicht“, das ganz streng von der­sel­ben Natur ist wie das, was man in der fran­zö­si­schen Gram­ma­tik als „exple­ti­ves ne“ bezeich­net.119

„Könn­te es sein, dass es nicht mam­me gibt? Pas pos­si­ble … rien, peut-être“, „Nicht mög­lich – nichts, kann sein /​ viel­leicht“. Das ist der Beginn einer jeden Äuße­rung des Sub­jekts, die sich auf das Rea­le bezieht.

Im ers­ten Qua­dran­ten [1] geht es dar­um, die Rech­te des oben ste­hen­den „nichts“ zu wah­ren [4], denn es ist die­ses „nichts“, das unten das peut-être erschafft, das „viel­leicht“ bzw. „kann sein“, das heißt die Möglichkeit.

Es ist kei­nes­wegs so, dass man als Axi­om sagen könn­te – und dar­in besteht der ver­blüf­fen­de Irr­tum der gesam­ten abs­trak­ten Deduk­ti­on des Tran­szen­den­ta­len –, es ist kei­nes­wegs so, dass man sagen könn­te, alles Rea­le ist mög­lich, viel­mehr ist es so, dass nur vom „nicht mög­lich“ her das Rea­le auftritt.

Was das Sub­jekt sucht, ist die­ses Rea­le, inso­fern es gera­de nicht mög­lich ist – das ist die Ausnahme.

Und die­ses Rea­le exis­tiert sicherlich.

Man kann sagen, dass es am Ursprung jedes Äuße­rungs­vor­gangs nur ein „nicht mög­lich“ gibt, aber das sieht man von daher, dass es das Aus­ge­sag­te des „nichts“ ist, wovon sie ausgeht.

Dies, um es klar zu sagen, wird bereits in mei­ner drei­glied­ri­gen Auf­zäh­lung Pri­va­ti­on – Frus­tra­ti­on – Kas­tra­ti­on gesi­chert und erhellt, so wie ich kürz­lich ange­kün­digt habe, dass wir sie ent­wi­ckeln wür­den 120.“121

Das Sub­jekt ist also ursprüng­lich ver­wor­fen*, fährt Lacan fort; danach spricht er über die Sphä­re als Form der Totalität.

Paraphrase mit Ergänzungen

Klas­sen

Lacan beginnt mit einem Rück­blick auf frü­he­re Sit­zun­gen. Er erin­nert dar­an, dass er im lau­fen­den Iden­ti­fi­zie­rungs-Semi­nar die Funk­ti­on der Klas­se und ihr Ver­hält­nis zum Uni­ver­sa­len mehr­fach in Fra­ge gestellt hat (vgl. Sit­zun­gen vom 13. Dezem­ber 1961 und vom 24. Janu­ar 1962). Das sei sogar die Kehr­sei­te und das Gegen­teil von Lacans gesam­tem Diskurs.

Das Qua­dran­ten­sche­ma von Peirce

Qua­dran­ten­sche­ma von Peirce

Danach kommt er auf das Qua­dran­ten­sche­ma [von Peirce] zurück, bei dem es dar­um geht, das Ver­hält­nis von uni­ver­sa­len und par­ti­ku­lä­ren Aus­sa­gen sowie von beja­hen­den und ver­nei­nen­den Aus­sa­gen neu zu arti­ku­lie­ren. (Das Sche­ma hat­te er in der Sit­zung vom 17. Janu­ar eingeführt.)

Ein­heit und Ganz­heit erschei­nen tra­di­tio­nell als eng mit­ein­an­der ver­bun­den, und Lacan bemüht sich, die­se Ver­bin­dung auf­zu­spal­ten [in, einer­seits, das Eine als ein­zi­gen Zug und, ande­rer­seits, die Tota­li­tät oder Ganz­heit als Klas­se]. (Dies war ein The­ma der Sit­zung am 21. Febru­ar 1962.)

Das Ver­hält­nis von Ein­heit und Ganz­heit wird übli­cher­wei­se als Ein­schlie­ßung auf­ge­fasst, näm­lich so, dass die Ganz­heit aus Ein­hei­ten besteht [eine Klas­se aus Ele­men­ten]; das heißt, die Ganz­heit grün­det sich auf Ein­hei­ten und bezieht die­se auf ein Gan­zes [auf eine Tota­li­tät].

Die Klas­sen­lo­gik setzt das Miss­ver­ständ­nis fort, dass der Begriff nach Exten­si­on und Inten­si­on zu unter­schei­den ist, anders for­mu­liert, nach Umfang und Inhalt. [Die Klas­sen­lo­gik ist eine Logik, deren Objek­te „Klas­sen“ sind, sie ist eine Erwei­te­rung der klas­si­schen aris­to­te­li­schen Begriffs­lo­gik, d.h. Begrif­fe wer­den hier als Klas­sen auf­ge­fasst. Die Klas­sen­lo­gik im enge­ren Sinn beschreibt Klas­sen durch die Eigen­schaf­ten ihrer Ele­men­te und ist damit eine Ver­all­ge­mei­ne­rung der Men­gen­leh­re. Unter der Exten­si­on eines Begriffs ver­steht man tra­di­tio­nell die Gesamt­heit der Din­ge, die unter einen Begriff fal­len, unter der Inten­si­on eines Begriffs (nicht zu ver­wech­seln mit „Inten­ti­on“, Absicht) die Merk­ma­le die­ser Din­ge.] Das geht angeb­lich auf die Logik von Port-Roy­al zurück, die an Des­car­tes anknüpft, jedoch fin­det man die­sen Gegen­satz bereits bei Aristoteles.

Der Umgang mit Klas­sen hat zuneh­mend grö­ße­re Schwie­rig­kei­ten ver­ur­sacht; die Wen­dung zur Quan­ti­fi­zie­rung der Aus­sa­gen [also die Ent­wick­lung der Quan­to­ren­lo­gik mit den Quan­to­ren „alle“ und „es gibt min­des­tens ein“] ist ein Ver­such, den Kern des Pro­blems zu ver­la­gern [also eine Ver­schie­bung]. 

Von der Ein­schlie­ßung zur „Aus­schlie­ßung“

Tat­säch­lich ist uns aber in der Struk­tur der Klas­se ein neu­er Aus­gangs­punkt gege­ben, der es ermög­licht, das Ver­hält­nis der Ein­schlie­ßung durch eines der Aus­schlie­ßung zu erset­zen. [Das erin­nert an die The­se, die Neu­ar­tig­keit der Ana­ly­se bestehe dar­in, dass sie von den Tugen­den der Norm zu den Tugen­den der Aus­nah­me über­ge­gan­gen sei (Sit­zung vom 21. Febru­ar 1962). Lacans „Logik des Signi­fi­kan­ten“ ist eine Logik, die sich auf die Aus­schlie­ßung grün­det, auf die Ausnahme.]

Das ist dann mög­lich, wenn man begreift, dass die wah­re Grund­la­ge der Klas­se nicht ihr Umfang ist und auch nicht ihr Inhalt [also weder Exten­si­on noch Inten­si­on], son­dern die Klas­si­fi­zie­rung [und dass die Klas­si­fi­zie­rung auf einer Aus­schlie­ßung beruht]. Dass die Grund­la­ge der Klas­se die Klas­si­fi­zie­rung ist, das ist, wie Lacan sagt, nicht etwa sei­ne Ent­de­ckung, sie lie­ge in Reich­wei­te „eines Logi­kers der Mit­tel­klas­se“. [¿ Auf wel­chen Logi­ker spielt Lacan hier an?]

Die Klas­si­fi­zie­rung ist „hin­sicht­lich des Sub­jekts“ logisch ursprüng­lich – es geht um die Kon­sti­tu­ie­rung des Subjekts.

Bei­spiels­wei­se beruht die Klas­se der Säu­ge­tie­re, der Mamma­lia, dar­auf, dass aus den Wir­bel­tie­ren etwas aus­ge­schlos­sen wird, durch die mam­me als ein­zi­gen Zug. Die weib­li­che Brust, die Mam­ma, kann als ein­zel­ner Zug begrif­fen wer­den, als trait unaire.

[Lacan sagt /​mam/​; das Wort fin­det man in kei­nem Fran­zö­sisch­le­xi­kon, es erin­nert an das latei­ni­sche Wort mam­ma, „weib­li­che Brust“, und an das fran­zö­si­sche Wort maman, „Mama“, bedeu­tet also ver­mut­lich „Mut­ter­brust“.]

Die ursprüng­li­che Tat­sa­che besteht dar­in, dass die weib­li­che Brust feh­len kann [bei den Wir­bel­tie­ren kann sie feh­len]. Zunächst gibt es Abwe­sen­heit der Brust. [Das ist eine irre­füh­ren­de For­mu­lie­rung, bei den Wir­bel­tie­ren fehlt ja kei­nes­wegs die Brust – sie kann feh­len, es kann Abwe­sen­heit geben.] Im nächs­ten Schritt sagt man: Hier kann die Brust nicht feh­len, und damit hat man die Klas­se der Säu­ge­tie­re definiert.

Eine Klas­se wird also durch ihre mög­li­che Nicht­exis­tenz kon­sti­tu­iert [durch die mög­li­che Nicht­exis­tenz des sie defi­nie­ren­den Merk­mals].

[Bei der Bil­dung einer Klas­se geht man dem­nach von außen nach innen vor. Den Aus­gangs­punkt bil­det eine umfas­sen­de­re Men­ge (etwa „Wir­bel­tie­re“) und aus die­ser Men­ge wird dann eine klei­ne­re Men­ge aus­ge­grenzt (etwa „Säu­ge­tie­re“). Auf die­se Wei­se ist die Klas­se der Säu­ge­tie­re von Anfang an eine Klas­se-inner­halb-der-Säu­ge­tie­re, sie ist dif­fe­ren­ti­ell arti­ku­liert. Säu­ge­tie­re sind zugleich Wir­bel­tie­re; wenn Lacan sagt, aus der Klas­se der Wir­bel­tie­re wer­de die der Säu­ge­tie­re „aus­ge­grenzt“, ist damit nicht gemeint, dass Säu­ge­tie­re kei­ne Wir­bel­tie­re sind, son­dern dass inner­halb einer Men­ge eine Teil­men­ge „aus­ge­grenzt“ wird, aus­ge­fil­tert wird. Die „Aus­gren­zung“ die­ser Teil­men­ge beruht auf der Defi­ni­ti­on eines bestimm­ten Merk­mals, in Lacans Bei­spiel ist dies die Mam­ma. In der grö­ße­ren Men­ge, der der Wir­bel­tie­re, kann die­ses Merk­mal feh­len, für die­se umfas­sen­de­re Men­ge gilt, dass sein kann, dass es kei­ne Brust gibt. Die Klas­se der Säu­ge­tie­re beruht auf der Mög­lich­keit der Nicht­exis­tenz des sie kon­sti­tu­ie­ren­den Merk­mals, d.h. auf der Klas­se der Wir­bel­tie­re, bei der es kei­ne Mam­ma geben muss.]

Der Sta­tus einer Klas­se ist dadurch bestimmt, dass es „ihre mög­li­che Nicht­exis­tenz“ gibt.

„Denn Sie kön­nen mit glei­cher Gül­tig­keit, als dem Uni­ver­sa­len feh­lend, die­je­ni­ge Klas­se defi­nie­ren, zu der kein Indi­vi­du­um gehört, das wird von daher nicht weni­ger eine uni­ver­sal kon­sti­tu­ier­te Klas­se sein.“

[Lacan voll­zieht hier einen Über­gang vom Ver­hält­nis zwi­schen Wir­bel­tie­ren und Säu­ge­tie­ren zu einem ande­ren Ver­hält­nis, zur Bezie­hung zwi­schen einer Klas­se mit einem bestimm­ten Merk­mal, etwa Säu­ge­tie­re, und einer Klas­se ohne Indi­vi­du­en. Mit dem zwei­ten Ver­hält­nis bezieht er sich auf das Qua­dran­ten­sche­ma und dort auf die Seg­men­te 1 (oben links) und 4 (oben rechts). Offen­bar sieht er in bei­den Ver­hält­nis­sen die­sel­be Struk­tur. Ich den­ke, dass er sich irrt und dass es sich um zwei unter­schied­li­che Struk­tu­ren han­delt – die Klas­se der Wir­bel­tie­re ist kei­ne Klas­se ohne Individuen.]

Jedes uni­ver­sa­le Urteil hat einen nor­ma­ti­ven Aspekt, inso­fern es nicht induk­tiv gewon­nen wer­den kann, nicht aus Erfah­rung her­vor­ge­hen kann. [Zwi­schen der erfah­rungs­ge­stütz­ten Aus­sa­ge „Vie­le Men­schen sind Säu­ge­tie­re“ und der uni­ver­sa­len Aus­sa­ge „Jeder Mensch ist ein Säu­ge­tier“, liegt ein Sprung; der Über­gang von „vie­le“ zu „alle“ kann nicht durch Erfah­rung begrün­det wer­den kann – das war die The­se von Hume, an die Karl Pop­per anknüpf­te, um von hier aus sei­nen Kri­ti­schen Ratio­na­lis­mus zu entwickeln.]

Im Qua­dran­ten­sche­ma von Peirce ist die Klas­se des senk­rech­ten Strichs zu bil­den [Qua­dran­ten oben links, 1]. Sie ist „unter den ande­ren“ zu bil­den, sie ist dif­fe­ren­ti­ell artikuliert.

„Durch das Sub­jekt wird zunächst die Abwe­sen­heit eines sol­chen Strichs kon­sti­tu­iert; als sol­ches ist es das Vier­tel oben rechts.“
[Nicht ganz. Das Vier­tel oben rechts ist nicht nur die Abwe­sen­heit eines senk­rech­ten Strichs, es ist die Abwe­sen­heit eines Strichs über­haupt. Lacan setzt hier drei Struk­tu­ren mit­ein­an­der gleich, die unter­schied­lich funk­tio­nie­ren: (a) das Feh­len von Ele­men­ten über­haupt (Qua­drant 4 oben rechts), (b) das Feh­len eines bestimm­ten Merk­mals bei den Ele­men­ten (das wäre Qua­drant 3 unten rechts, wo das Merk­mal „senk­recht“ fehlt), (c) das mög­li­che Feh­len eines Merk­mals (das wäre Qua­drant 2 unten links, wo das Merk­mal „senk­recht“ feh­len kann).]
 
[Fest­zu­hal­ten ist, dass Lacan hier wie­der vom Sub­jekt spricht: Das Sub­jekt kon­sta­tiert die Abwe­sen­heit eines Strichs; das Sub­jekt ist eine Instanz, die ein Feh­len konstatiert.]

Lacan wie­der­holt sei­ne The­se zur Klas­si­fi­zie­rung. Der Zoo­lo­ge bil­det die Klas­se der Säu­ge­tie­re, der Mamma­lia, nicht, indem er sich auf die Ganz­heit der Tie­re bezieht, bei denen die Weib­chen Brüs­te haben, son­dern so, dass er zum Merk­mal „Mam­ma“ zunächst ein­mal auf Abstand geht [sein Aus­gangs­punkt sind die Wir­bel­tie­re]; dies ermög­licht es ihm, im ers­ten Schritt die Abwe­sen­heit der Brust zu iden­ti­fi­zie­ren.  [Das ist nicht halt­bar, bei den Wir­bel­tie­ren fehlt die Brust kei­nes­wegs - sie kann feh­len. Im ers­ten Schritt ist die Anwe­sen­heit oder Abwe­sen­heit der Brust irrele­vant, sie fehlt als defi­nie­ren­des Merk­mal.]

Das Sub­jekt [das sich durch die Abwe­sen­heit des Merk­mals  aus­zeich­net, hier des Merk­mals „Mam­ma“] ist hier­bei „minus Eins“ (–1). [Aus die­sem Grun­de sind im Sche­ma die bei­den rech­ten Qua­dran­ten mit (–1) gekenn­zeich­net. Die­se bei­den Qua­dran­ten ent­spre­chen dem Urteil „Kein Strich ist senk­recht“ bzw. „Kein Weib­chen hat Brüs­te“ (in mei­ner refor­mier­ten Fas­sung: „Brüs­te die­nen nicht als defi­nie­ren­des Merkmal“).]

In einem zwei­ten logi­schen Schritt legt der Zoo­lo­ge fest, dass es eine Klas­se gibt, bei der es uni­ver­sal kei­ne Abwe­sen­heit der weib­li­chen Brust geben kann, minus minus Eins, –(–1). [Dies ist dann die Klas­se der Säu­ge­tie­re. Ihr ent­spricht der Qua­drant oben links, der mit –(–1) gekenn­zeich­net ist. Die Abwe­sen­heit der Mam­ma kann es „uni­ver­sal“ nicht geben, das heißt sie ist für alle (weib­li­chen) Mit­glie­der die­ser Klas­se ausgeschlossen.]

[Boole ver­wen­det das Zei­chen 0 (Null) für den Begriff, unter den nichts fällt, und das Zei­chen 1 (Eins) für den uni­ver­sa­len Begriff, unter den alles fällt; an die Stel­le der 0 setzt Lacan hier (–1); das erlaubt es ihm die 1 als Ergeb­nis einer dop­pel­ten Nega­ti­on zu deuten.]

Von daher ord­net sich alles in den par­ti­ku­lä­ren Fäl­len [in den Fäl­len, in denen es „eini­ge“ Stri­che gibt]. Es gibt wel­che [„Eini­ge Stri­che sind senk­recht“ gilt für die Qua­dran­ten oben links und unten links, beja­hen­des par­ti­ku­lä­res Urteil, I] oder es gibt nicht wel­che [„Eini­ge Stri­che sind nicht senk­recht“ gilt für die Qua­dran­ten unten links und unten rechts, ver­nei­nen­des par­ti­ku­lä­res Urteil, O].

[Lacan bezieht sich dann wie­der auf das logi­sche Qua­drat, das ja dem Peirce’schen Qua­dran­ten­sche­ma zugrun­de liegt:]

Logi­sches Quadrat

[A: Beja­hen­des uni­ver­sa­les Urteil (Alle Stri­che sind senkrecht)
I: Beja­hen­des par­ti­ku­lä­res Urteil (Eini­ge Stri­che sind senkrecht)
E: Ver­nei­nen­des uni­ver­sa­les Urteil (Alle Stri­che sind nicht senk­recht = Kein Strich ist senkrecht)
O: Ver­nei­nen­des par­ti­ku­lä­res Urteil (Eini­ge Stri­che sind nicht senkrecht)]

Einen kon­tra­dik­to­ri­schen Gegen­satz gibt es [im logi­schen Qua­drat] in der Dia­go­na­le [also bei­spiels­wei­se zwi­schen (A) „Alle Indi­vi­du­en haben Müt­ter mit Brüs­ten“ und (O) „Eini­ge Indi­vi­du­en haben kei­ne Müt­ter mit Brüs­ten“ sowie zwi­schen (E): „Kein Indi­vi­du­um hat eine Mut­ter mit Brüs­ten“ und (I) „Eini­ge Indi­vi­du­en haben Müt­ter mit Brüs­ten“.] Dies ist der ein­zi­ge wah­re Wider­spruch in der Dia­lek­tik von uni­ver­sa­len, par­ti­ku­lä­ren, ver­nei­nen­den und beja­hen­den Aus­sa­gen, die Lacan [mit­hil­fe der Stri­che von Peirce’s Qua­dran­ten­sche­ma] vom ein­zi­gen Zug her zu rekon­stru­ie­ren ver­sucht.  [Inwie­fern ist nur der kon­tra­dik­to­ri­sche Gegen­satz ein wah­rer Gegen­satz? Viel­leicht inso­fern, als in den andern bei­den Gegen­satz­ar­ten - kon­trär und sub­kon­trär - eine drit­te Mög­lich­keit gege­ben ist.]

Damit ord­net sich alles in dem Aller­lei auf der unte­ren Ebe­ne [damit ist ver­mut­lich die unte­re Ebe­ne des logi­schen Qua­drats gemeint, mit der par­ti­ku­lä­ren beja­hen­den Aus­sa­ge (I) und der par­ti­ku­lä­ren ver­nei­nen­den Aus­sa­ge (O)]. Es gibt wel­che [par­ti­ku­lä­re beja­hen­de Aus­sa­ge] und es gibt nicht wel­che [das ist aller­dings die uni­ver­sa­le ver­nei­nena­de Aus­sa­ge, die par­ti­ku­lä­re ver­nei­nen­de Aus­sa­ge wäre „es gibt wel­che, die nicht…“].

[Es folgt eine The­se zur Bezie­hung zwi­schen den Aussage-Arten:]

„dies kann nur inso­fern exis­tie­ren, als auf der obe­ren Eta­ge durch Aus­schlie­ßung des Strichs die Eta­ge des Alles­gel­tens (tout valant) bzw. des­sen, was als alles gilt, kon­sti­tu­iert ist“.

[Anders gesagt: Die bei­den For­men der par­ti­ku­lä­ren Aus­sa­ge, ob beja­hend oder ver­nei­nend, set­zen die uni­ver­sa­le Aus­sa­ge vor­aus, und die uni­ver­sa­le beja­hen­de Aus­sa­ge wie­der­um beruht auf der „Aus­schlie­ßung des Strichs“, auf der Klas­se ohne ein Ele­ment, in Qua­dran­ten­sche­ma auf dem Vier­tel oben rechts.]

„Könn­te es sein, dass es nicht mam­me gibt?“

Es ist das Sub­jekt, wodurch die Pri­va­ti­on ein­ge­führt wird, und es führt sie durch den Äuße­rungs­akt ein (l’acte d’énonciation) ein.

Es war zu erwar­ten, dass es das Sub­jekt ist, das die Pri­va­ti­on ein­führt. [Inwie­fern war das zu erwar­ten? Viel­leicht nur inso­fern, als Lacan dar­auf anspie­len möch­te, dass „Könn­te es sein, dass es nicht mam­me gibt?“ eine Erwar­tung ist.]

Der Äuße­rungs­akt, durch den das Sub­jekt die Pri­va­ti­on ein­führt, lautet:

„Se pour­rait-il qu’il n’y ait mamme?“
„Könn­te es sein, dass es nicht mam­me gibt?“

Das ne in qu’il n’y ait mam­me ist kei­ne gewöhn­li­che Nega­ti­on, es han­delt sich viel­mehr um ein exple­ti­ves ne, um das ne als Füll­wort. [Lacan begreift das soge­nann­te exple­ti­ve „ne“ nicht als Füll­wort, son­dern als den Signi­fi­kan­ten des Sub­jekts des Äuße­rungs­vor­gangs, wie er in einem frü­he­ren Semi­nar aus­ge­führt hat­te.122 Eine deut­sche Ent­spre­chung zur die­ser Art des „nicht“ fin­det man in Wen­dun­gen wie „Ist das nicht schön?“ Damit wird nicht gefragt, ob das häss­lich ist, es wird eher gesagt: „Ach wie ist das schön, meinst du nicht auch?“ Man muss das „nicht“ in „Könn­te es sein, dass es nicht mam­me gibt?“ dem­nach so auf­fas­sen wie das „nicht“ in „Gibts hier nicht mam­me?“, als Signi­fi­kant einer posi­ti­ven Erwar­tung des Sprechers.]

[Der die Pri­va­ti­on kon­sti­tu­ie­ren­de Äuße­rungs­akt hat nicht die Form des Kon­sta­tie­rens („x fehlt“), son­dern einer Fra­ge: „könn­te es sein, dass es (nicht) x gibt?“. Das Sub­jekt ist eine Fra­ge, schreibt Lacan irgend­wo. Die Fra­ge arti­ku­liert das Erwar­ten der Mut­ter­brust und in die­ser Erwar­tung klingt die Mög­lich­keit des Feh­lens an.] 

[Die Ein­füh­rung der Pri­va­ti­on auf dem Weg über die Fra­ge ist viel­leicht von Sart­re inspi­riert, der in Das Sein und das Nichts die Begrif­fe der Nega­ti­on und des Nichts aus­ge­hend von der Fra­ge ent­wi­ckelt.123]

[Die Fra­ge des Sub­jekts bezieht sich auf die Mög­lich­keit des Feh­lens. Das erin­nert an die Klas­si­fi­zie­rung: Bei der Bil­dung der Klas­se der Säu­ge­tie­re aus­ge­hend von den Wir­bel­tie­re ist das Merk­mal „Brust“ etwas, was zunächst feh­len kann – bei den Wir­bel­tie­ren kann sie feh­len.]

„Nicht mög­lich – nichts, kann sein /​ viel­leicht.“

Der Äuße­rungs­akt des Sub­jekts beginnt mit „Könn­te es sein, dass es nicht mam­me gibt?“ und er wird so fortgesetzt:

„Pas pos­si­ble  … rien, peut-être.“
„Nicht mög­lich – nichts, kann sein /​ viel­leicht.“

[Peut-être wird übli­cher­wei­se mit „viel­leicht“ über­setzt, wört­lich bedeu­tet es „kann sein“ oder „mag sein“. Da Lacan auf die­se wört­li­che Bedeu­tung abhebt, auf das Sein­kön­nen, über­set­ze ich mit „kann sein /​ viel­leicht“.]

[In einer Art Kom­bi­na­to­rik spielt Lacan durch, wie drei Arten der Mög­lich­keit mit drei Arten der Nega­ti­vi­tät ver­bun­den wer­den kön­nen. Die ers­te Mög­lich­keits­form ist das se pour­rait-il ?, „könn­te es sein ?“,  bei die­ser Art der Mög­lich­keit geht es dar­um, dass ein Erwar­tungs­ho­ri­zont auf­ge­spannt wird. Die zwei­te Mög­lich­keit, in pas pos­si­ble, „nicht mög­lich“, liegt in der Nähe einer Modal­ka­te­go­rie. Das peut-être, „kann sein“, hat durch das „sein“ onto­lo­gi­schen Cha­rak­ter, es erin­nert an Heid­eg­gers Begriff des „Sein­kön­nens“.]

[Die ers­te Form der Nega­ti­on ist das „nicht“ in „Könn­te es sein, dass nicht“; die Mög­lich­keit („könn­te es sein“) wird hier mit dem exple­ti­ven oder dis­kor­d­an­ti­el­len ne ver­knüpft, in dem sich die  Erwar­tung des spre­chen­den Sub­jekts arti­ku­liert. In der Wen­dung „nicht mög­lich“ hat das „nicht“ zurück­wei­sen­den Cha­rak­ter; die Ver­bin­dung „nicht mög­lich“ erin­nert an die moda­le Kate­go­rie der Unmög­lich­keit. Mit „nichts, viel­leicht“ erfolgt ein Wech­sel von der Nega­ti­on zum Nichts, von der Logik zur Onto­lo­gie; die Wen­dung rien, peut-être asso­zi­iert das Nichts und das Sein.]

[Sart­re hat­te den Begriff der Fra­ge auf drei Arten des Nichts bezo­gen: auf das Nicht-Wis­sen des Fra­gen­den, auf das Nichts der Ant­wort und auf das Nichts der Wahr­heit, mit dem Nichts der Wahr­heit meint er, „so ist es und nicht anders“.124 Das passt gut zu Lacans For­mu­lie­rung. Das wür­de hei­ßen: Das „nicht“ in „Könn­te es sein, dass es nicht mam­me gibt“ bezieht sich auf das Nicht­wis­sen des Fra­gen­den. „Nicht mög­lich“ wür­de dann bedeu­ten: Eine Ant­wort ist nicht mög­lich. Und „nichts, kann sein /​ viel­leicht“ wür­de sich auf das Wahr­heits­pro­blem bezie­hen, auf dem Weg über die Anglei­chung von „Wahr­heit“ und „Sein“.]    

[Die Struk­tur die­ses Äuße­rungs­akts erin­nert auch an Freuds Kon­zept der Ich­spal­tung im Abwehr­vor­gang.125 Vor dem Hin­ter­grund der Kas­tra­ti­ons­dro­hung reagiert der Jun­ge auf gespal­te­ne Wei­se auf den Anblick der Penis­lo­sig­keit der Mut­ter (der Pri­va­ti­on im Sin­ne von Semi­nar 4) . Einer­seits, indem er (als Ersatz für den feh­len­den Penis der Mut­ter) einen Fetisch erschafft, also durch eine Ver­leug­nung. Zugleich ent­wi­ckelt er ein Sym­ptom, eine inten­si­ve Angst vor Bestra­fung durch den Vater, und das beweist, dass er die Gefahr doch aner­kennt. Das „Nicht mög­lich“ könn­te der Kas­tra­ti­ons­angst ent­spre­chen, das „nichts, kann sein /​ viel­leicht“ der Schaf­fung des Fetischs. ?]

Ich ver­voll­stän­di­ge das Zitat:

„‚Könn­te es sein, dass es nicht mam­me gibt? Nicht mög­lich – nichts, kann sein /​ viel­leicht‘ – das ist der Beginn einer jeden Äuße­rung des Sub­jekts, die sich auf das Rea­le bezieht.“

Die Äuße­rung des Sub­jekts bezieht sich auf das Rea­le. [Der Begriff des Rea­len muss von der Äuße­rung des Sub­jekts her rekon­stru­iert wer­den.]

]Der Äuße­rungs­vor­gang, der sich auf das Rea­le bezieht, besteht aus drei Komponenten:
(a) „Könn­te es sein, dass es nicht mam­me gibt?“ Fra­gen­de Erwar­tung der Anwe­sen­heit des Objekts. 
(b) „Nicht mög­lich.“ Auf die Erwar­tung folgt gewis­ser­ma­ßen die logi­sche Unmöglichkeit.
(c) „Nichts, kann sein /​ viel­leicht.“ Auf die logi­sche Unmög­lich­keit folgt die onto­lo­gi­sche Mög­lich­keit des Nichts.]

[Das ist, wenn ich recht sehe, Lacans ers­te Annä­he­rung an die For­mel „Das Rea­le ist das Unmög­li­che“. Der Begriff des Unmög­li­chen wird aus der Bin­dung an die Zwangs­neu­ro­se gelöst (wie man sie etwa in der Wort­mel­dung von 1956 fin­det, die ich zu Beginn die­ses Arti­kels zitiert habe), und er wird defi­ni­to­risch mit dem Rea­len ver­knüpft. Das Rea­le als das Unmög­li­che ist ein­ge­bet­tet in eine Erwar­tung des Sub­jekts und ihm folgt eine Onto­lo­gi­sie­rung, der Wech­sel von der Unmög­lich­keit zum Nichts.]

Lacan bezieht dies dann wie­der auf das Qua­dran­ten­sche­ma. Im ers­ten Qua­dran­ten (oben links) geht es dar­um, die Rech­te des oben ste­hen­den „nichts“ zu wah­ren [ich neh­me an: die Rech­te des „nichts“ im Qua­dran­ten oben rechts, des Qua­dran­ten ohne Stri­che]. [¿ Soll das „nichts“ von „Nicht mög­lich – nichts viel­leicht“ durch den Qua­dran­ten oben rechts reprä­sen­tiert werden?]

Das oben ste­hen­de „nichts“ erschafft unten das „viel­leicht“, das heißt die Mög­lich­keit. [Was ist hier mit „unten“ gemeint? Mög­li­cher­wei­se die bei­den unte­ren Qua­dran­ten, 2 und 3, sie ste­hen zusam­men für die par­ti­ku­lä­re ver­nei­nen­de Aus­sa­ge („Eini­ge S sind nicht P“ oder „Es gibt S, die nicht P sind“). Das „Es gibt eini­ge“ wür­de dann von Lacan (ohne dies zu begrün­den) mit der Kate­go­rie der Mög­lich­keit gleich­ge­setzt. Das könn­te man plau­si­bel machen, indem man die Bezie­hung zu einem Qua­dran­ten als Aus­wahl­vor­gang deu­tet, wie bei einer Los­trom­mel: Wenn das Sub­jekt aus dem Qua­dran­ten unten links ein Ele­ment wählt,  ist es mög­lich, dass das Ele­ment senk­recht ist. Das gilt aller­dings nicht für den Qua­dran­ten unten rechts.]

Man kann nicht sagen, alles Rea­le sei mög­lich, dar­in bestand der Irr­tum der gesam­ten abs­trak­ten Deduk­ti­on des Tran­szen­den­ta­len. [Mit „Alles Rea­le ist mög­lich“ spielt Lacan auf einen Satz der klas­si­schen Meta­phy­sik an, „Was wirk­lich ist, ist auch mög­lich“. Die­ses Prin­zip stützt sich letzt­lich auf Aris­to­te­les, auf des­sen Begriffs­op­po­si­ti­on von dyna­mis (Mög­li­ches) und ener­geia (Wirk­li­ches): unter bestimm­ten Bedin­gun­gen geht das Mög­li­che in das Wirk­li­che über, des­halb ist das Wirk­li­che auch das Mögliche.]

[Die „Deduk­ti­on des Tran­szen­den­ta­len“ (oder bes­ser die „tran­szen­den­ta­le Deduk­ti­on“) ist die nicht-empi­ri­sche Begrün­dung der Kate­go­rien von Kants Kate­go­rien­ta­fel in der Kri­tik der rei­nen Ver­nunft.  Dabei geht es um die Fra­ge, wie sich die Kate­go­rien auf Anschau­un­gen bezie­hen kön­nen, auf Wahr­neh­mun­gen. Die Begrün­dung erfolgt so, dass die Kate­go­rien aus der Urteils­ta­fel abge­lei­tet wer­den, sie beruht damit letzt­lich auf der Unter­schei­dung von all­ge­mei­nen und par­ti­ku­lä­ren, beja­hen­den und ver­nei­nen­den Urteilen.]

[¿ Lacan zufol­ge ist der Satz „Alles Wirk­li­che ist auch mög­lich“ auch in der tran­szen­den­ta­len Deduk­ti­on der Kate­go­rien am Werk. Mir ist nicht klar, wor­auf er sich damit bezieht. Etwa auf Kants Lehr­satz „Die Bedin­gun­gen der Mög­lich­keit der Erfah­rung über­haupt sind zugleich Bedin­gun­gen der Mög­lich­keit der Gegen­stän­de der Erfah­rung, und haben dar­um objek­ti­ve Gül­tig­keit in einem syn­the­ti­schen Urtei­le a prio­ri.“ (B 197) –?]

Lacan fährt so fort:

 „… viel­mehr ist es so, dass nur vom ‚nicht mög­lich‘ her das Rea­le auftritt“.

[Anders gesagt: Nur vom Unmög­li­chen her tritt das Rea­le auf. Das ist die zwei­te For­mu­lie­rung, in der Lacan den Begriff der Unmög­lich­keit auf das Rea­le bezieht. Nach die­sen bei­den Anläu­fen wird er zwei Sit­zun­gen spä­ter (am 21. März 1962) das Rea­le aus­drück­lich mit dem Unmög­li­chen gleich­set­zen. Von nun an wird die For­mel „Das Rea­le ist das Unmög­li­che“ (in vie­len For­mu­lie­rungs­va­ri­an­ten) in jedem Semi­nar auf­ge­grif­fen wer­den, bis ein­schließ­lich Semi­nar 24.]

[Der Satz „Das Rea­le ist das Unmög­li­che“ wen­det sich also gegen die klas­si­sche Meta­phy­sik, für die das Rea­le das Mög­li­che ist. Einen Stütz­punkt hat der Satz in Kants nihil nega­ti­vum, dem „lee­ren Gegen­stand ohne Begriff“, dem „Unding“, wie Lacan in der vor­an­ge­gan­ge­nen Sit­zung ange­deu­tet hat­te (28. Febru­ar 1962).]

Das Sub­jekt sucht das Rea­le, inso­fern es nicht mög­lich ist

Und wie­der direkt anschlie­ßend heißt es:

„Was das Sub­jekt sucht, ist die­ses Rea­le, inso­fern es gera­de nicht mög­lich ist (…).“

[Die­ser Satz ver­bin­det das Rea­le im Sin­ne des Unmög­li­chen mit dem Suchen des Sub­jekts. Die Fra­ge des Sub­jekts („Könn­te es sein, dass es nicht mam­me gibt?“) zielt letzt­lich auf das „nicht mög­lich“, auf das Rea­le als das Unmögliche.]

[Nicht spe­zi­ell der Zwangs­neu­ro­ti­ker sucht das Unmög­li­che, wie Lacan bis­lang gesagt hat­te, son­dern das Sub­jekt über­haupt. Die­se The­se wird hier von ihm zum ers­ten Mal vorgetragen.]

Ich wie­der­ho­le und ver­voll­stän­di­ge das Zitat:

„Was das Sub­jekt sucht, ist die­ses Rea­le, inso­fern es gera­de nicht mög­lich ist, das ist die Ausnahme.“

[Damit bringt Lacan wie­der das Kon­zept der Aus­nah­me ins Spiel, das er in die­sem Semi­nar bereits ein­ge­führt hat­te. Die Neu­ar­tig­keit der Ana­ly­se bestehe dar­in, dass sie von den Tugen­den der Norm zu den Tugen­den der Aus­nah­me über­ge­gan­gen ist, hieß es in der Sit­zung vom 21. Febru­ar 1962. Zugleich knüpft er an eine frü­he­re Bemer­kung in die­ser Sit­zung an, wonach es dar­um gehe, die Klas­se nicht von der Ein­schlie­ßung, son­dern von der Aus­schlie­ßung her auf­zu­fas­sen; die Klas­se der Säu­ge­tie­re ent­steht dadurch, dass sie aus der Klas­se der Wir­bel­tie­re „aus­ge­schlos­sen“ wird, aus­ge­son­dert wird. Jetzt wird die Aus­nah­me als das Rea­le bestimmt, inso­fern es unmög­lich ist. Das lässt an die Logik den­ken, die den Wider­spruch aus­schließt (es ist unmög­lich, dass A und nicht-A zugleich wahr sind). Das Rea­le wäre hier also, dass A und nicht-A zugleich wahr sind. Die Psy­cho­ana­ly­se geht dem­nach inso­fern zu den Tugen­den der Aus­nah­me über, als sich für sie das Sub­jekt auf das Rea­le bezieht, inso­fern es unmög­lich ist.]

Der nächs­te Satz lautet:

„Und die­ses Rea­le exis­tiert sicherlich.“

Mir ist nicht klar, was hier mit „exis­tie­ren“ gemeint ist.

Danach heißt e:

„Man kann sagen, dass es am Ursprung jedes Äuße­rungs­vor­gangs nur ein ‚nicht mög­lich‘ gibt, aber das sieht man von daher, dass es das Aus­ge­sag­te des ‚nichts‘ ist, wovon sie ausgeht.“

Am Ursprung jedes Äuße­rungs­vor­gangs gibt es ein „nicht mög­lich“. [Die Äuße­rung „Könn­te es sein, dass es nicht mam­me gibt?“ beruht dem­nach letzt­licFh auf der Bezie­hung des Sub­jekts zu einer Unmög­lich­keit auf der Ebe­ne des Äuße­rungs­vor­gangs, zu einer Unmög­lich­keit im Sprechen.]

Das sieht man jedoch nur, wenn man vom „nichts“ aus­geht [in „nichts, viel­leicht“], und das „nichts“ liegt nicht auf der Ebe­ne des Äuße­rungs­akts, son­dern auf der des Aus­ge­sag­ten [das onto­lo­gi­sie­ren­de „nichts“ ist etwas, wor­über gespro­chen wird, kei­ne Unmög­lich­keit im Spre­chen].

[Letzt­lich bezieht sich das Sub­jekt auf eine Unmög­lich­keit im Spre­chen (auf ein Trau­ma als etwas Unsym­bo­li­sier­ba­res, auf eine urver­dräng­te Vor­stel­lungs­re­prä­sen­tanz). Dort­hin kommt es jedoch nur auf dem Weg, dass es über ein Nichts spricht, dar­über, dass etwas fehlt, und zwar auf der Ebe­ne des­sen, wor­über gespro­chen wird.]

Am Schluss der zitier­ten Pas­sa­ge erklärt Lacan, dass er das, was er hier aus­führt, bereits in sei­nem drei­glied­ri­gen Sche­ma Pri­va­ti­on – Frus­tra­ti­on – Kas­tra­ti­on dar­ge­stellt hat­te [in Semi­nar 4]. [Wie sind die Kom­po­nen­ten der  Äuße­rung zuzu­ord­nen, der Äuße­rung „Könn­te es sein, dass es nicht mam­me gibt? Nicht mög­lich – nichts, kann sein /​ viel­leicht.“ ?  Mei­ne Vermutung:
- Frus­tra­ti­on: „Könn­te es sein, dass es nicht mam­me gibt?“
- Kas­tra­ti­on: „Nicht möglich“.
- Pri­va­ti­on: „nichts, kann sein /​ viel­leicht“.]

Ursprüngliche Verwerfung des Subjekts

Übersetzung

Zu Beginn der Fol­ge­sit­zung spricht Lacan über einen Vor­trag, den Dani­el Lag­a­che am Vor­abend über das The­ma der Sub­li­ma­ti­on gehal­ten hat­te. Dann wen­det er sich wie­der dem The­ma des Semi­nars zu.

„Neh­men wir die Din­ge dort wie­der auf, wo wir sie das letz­te Mal haben lie­gen las­sen, auf der Ebe­ne der Privation.

Ich hof­fe, dass ich mich, bezo­gen auf die­ses The­ma, ver­ständ­lich gemacht habe, indem ich sie durch die­ses minus Eins, (–1), sym­bo­li­siert habe, die­se Run­de, die zwangs­läu­fig nicht gezählt wird, die bes­ten­falls als Minus gezählt wird, näm­lich wenn es [das Sub­jekt] die Run­de der Run­den gedreht hat, die Run­de des Torus.126

Torus mit dem nicht mit­ge­zähl­ten Kreis d des Begehrens

Die Tat­sa­che, dass ich sofort den Faden gefasst hielt, der die Funk­ti­on die­ses minus Eins, –1, auf die logi­sche Grund­la­ge jeder Mög­lich­keit einer uni­ver­sa­len Beja­hung bezieht, der Mög­lich­keit also, die Aus­nah­me zu begrün­den – und das ist es im Übri­gen, wovon die Regel gefor­dert wird, die Aus­nah­me bestä­tigt nicht die Regel, wie man so nett sagt, sie for­dert die Regel, sie ist deren wirk­li­ches Prin­zip –, kurz, dadurch, dass ich Ihnen mei­ne klei­ne Kreis­flä­che gezeich­net habe, dass ich Ihnen also gezeigt habe, dass die ein­zig wirk­li­che Siche­rung der uni­ver­sa­len Beja­hung die Aus­schlie­ßung eines nega­ti­ven Strichs ist, ‚es gibt kei­nen Men­schen, der nicht sterb­lich wäre‘ (il n’y a pas d’homme qui ne soit mor­tel), habe ich zu einer Ver­wir­rung Anlass geben kön­nen, die ich jetzt berich­ti­gen möch­te, damit Sie wis­sen, im Rah­men wel­cher Prin­zi­pi­en ich Sie vor­an­schrei­ten lasse.

Ich habe Ihnen die­sen Bezug gelie­fert, aber es ist klar, dass man ihn nicht für eine Ablei­tung des gan­zen Pro­zes­ses aus­ge­hend vom Sym­bo­li­schen hal­ten darf. Den lee­ren Teil, wo es in mei­ner Kreis­schei­be nichts gibt, muss man auf die­ser Ebe­ne noch als abge­löst auffassen.

Das minus Eins, –1, wel­ches auf die­ser Ebe­ne das Sub­jekt ist, ist an sich kei­nes­wegs sub­jek­ti­viert, es geht hier nicht bereits um die Fra­ge von Wis­sen oder Nicht-Wis­sen. Damit sich etwas von die­ser Art her­stellt, muss ein gan­zer Zyklus durch­lau­fen sein, wovon die Pri­va­ti­on also nur der ers­te Schritt ist.

Die Pri­va­ti­on, um die es geht, ist rea­le Pri­va­ti­on, wofür ich – mit der Stüt­ze der Anschau­ung, bei der Sie mir dar­in zustim­men wer­den, dass man mir wohl das Recht dar­auf zuge­ste­hen kann –, wofür ich hier nur den Spu­ren der Tra­di­ti­on fol­ge, und zwar der reins­ten.127 Man gesteht Kant das Wesent­li­che sei­nes Vor­ge­hens zu, und was die­se Grund­la­ge des Sche­ma­tis­mus angeht, suche ich eine bes­se­re, um zu ver­su­chen, sie für sie spür­bar zu machen, anschau­lich zu machen.128

Die Trieb­fe­der die­ser rea­len Pri­va­ti­on habe ich geschmiedet.

Erst nach einem lan­gen Umweg also kann dem Sub­jekt das Wis­sen von sei­ner ursprüng­li­chen Ver­wer­fung (rejet) zukom­men. Aber auf die­sem Wege, ich sage es Ihnen sofort, wer­den genü­gend Din­ge gesche­hen sein, sodass das Sub­jekt dann, wenn es ans Licht kommt, nicht nur weiß, dass es von die­sem Wis­sen ver­wor­fen ist, son­dern auch, dass die­ses Wis­sen selbst zu ver­wer­fen ist, inso­fern es sich als etwas erwei­sen wird, was immer ent­we­der jen­seits oder dies­seits des­sen ist, was das Sub­jekt zur Ver­wirk­li­chung des Begeh­rens errei­chen muss.

Anders gesagt, wenn das Sub­jekt jemals – was seit der Zeit von Par­men­i­des sein Ziel ist – zu der Iden­ti­fi­zie­rung gelangt, zu der Beja­hung, dass noein kai ein­ai, dass Den­ken und Sein, to auto ist, das­sel­be ist129, wird es sich in die­sem Moment zwi­schen sei­nem Begeh­ren und sei­nem Ide­al unheil­bar gespal­ten fin­den.“130

Danach erläu­tert Lacan wie­der den Torus.

Paraphrase mit Ergänzungen

Die Aus­nah­me fun­diert die Regel

Lacan greift das The­ma der Pri­va­ti­on auf.

Er fasst zusam­men, wie er mit­hil­fe des Torus das Ver­hält­nis zwi­schen Anspruch und Begeh­ren dar­ge­stellt hat­te: Wenn der Anspruch sei­ne Run­den um den Torus dreht (die klei­nen lila Krei­se um den Schlauch), wird hier­bei eine Run­de nicht mit­ge­zählt (der gro­ße rote Kreis um den Torus insgesamt).

Torus mit dem nicht mit­ge­zähl­ten Kreis d des Begehrens

Die­ser nicht-mit­ge­zähl­te Kreis ist die Funk­ti­on (–1).

Lacan sym­bo­li­siert die­sen nicht mit­ge­zähl­ten Kreis durch (–1), und er begreift die­ses (–1) als logi­sche Grund­la­ge der Mög­lich­keit der uni­ver­sa­len Beja­hung. [Damit stellt er einen Über­gang von der Topo­lo­gie zur Logik her.] Die uni­ver­sa­le Beja­hung stützt sich auf die Aus­nah­me. [Die Aus­nah­me wird im Sche­ma von Peirce dem­nach durch den Qua­dran­ten oben rechts reprä­sen­tiert, den Qua­dran­ten ohne Striche.]

[Im Qua­dran­ten­sche­ma ent­spricht der Qua­drant oben rechts also dem Begehren.]

Das Ver­hält­nis von Aus­nah­me und Regel muss umge­dreht wer­den. Nor­ma­ler­wei­se sagt man: Die Aus­nah­me bestä­tigt die Regel [dabei gilt die Regel als das Fun­die­ren­de]. Es muss jedoch hei­ßen: Die Aus­nah­me for­dert die Regel, anders gesagt: die Aus­nah­me ist das Prin­zip der Regel [die Aus­nah­me ist die Grund­la­ge, der Ursprung der Regel].

Eben dies soll durch das Qua­dran­ten­sche­ma gezeigt wer­den. Grund­la­ge der [uni­ver­sa­len] Beja­hung [die bei­den obe­ren Qua­dran­ten] ist die Aus­schlie­ßung in Gestalt eines „nega­ti­ven Strichs“ [Qua­drant oben rechts, Feh­lens von Stri­chen über­haupt, ob nun senk­recht oder schräg].

Lacan ver­deut­licht die Aus­schlie­ßung, die durch den nega­ti­ven Strich, den feh­len­den Strich, ange­zeigt wird, durch die Aus­sa­ge „Es gibt kei­nen Men­schen, der nicht sterb­lich wäre“  (il n’y a pas d’homme qui ne soit mor­tel). [Anders gesagt: „Alle Men­schen sind sterb­lich“. In der von Lacan gewähl­ten For­mu­lie­rung ist jedoch der Bezug auf die Unsterb­lich­keit ent­hal­ten („nicht sterb­lich“), eine Ent­spre­chung wäre der Satz „Kei­ner ist unsterb­lich“. Das alle der Sterb­li­chen, also die Bil­dung der Klas­se der Sterb­li­chen, stützt sich auf die Aus­nah­me, sie beruht dar­auf, dass sie die Unsterb­li­chen von sich aus­schließt.] 

Rea­le Privation

Lacan sagt, dass er mit dem Qua­dran­ten­sche­ma zu einer Ver­wir­rung bei­getra­ge habe. Es sehe so aus, als wol­le er den gan­zen Pro­zess [der Kon­sti­tu­ie­rung des Sub­jekts] aus dem Sym­bo­li­schen ablei­ten. Das sei jedoch nicht gemeint. [Die Pri­va­ti­on ist zunächst eine rea­le Pri­va­ti­on, wie er wenig spä­ter sagen wird.]

Um die Ver­wir­rung auf­zu­lö­sen, modi­fi­ziert er das Qua­dran­ten­sche­ma. Das Vier­tel oben rechts (das ohne Strich) muss im ers­ten Schritt so auf­ge­fasst wer­den, dass es abge­trennt ist, dass es noch nicht mit dem Kreis ver­bun­den ist.

Das (–1) ist auf die­ser Ebe­ne das Sub­jekt [das Qua­dran­ten­sche­ma stellt also die Struk­tur des Sub­jekts dar].

Die Ablö­sung des Kreis­vier­tels oben rechts soll ver­an­schau­li­chen, dass das (–1) nicht sub­jek­ti­viert ist; es geht hier noch nicht um Wis­sen oder Nicht-Wis­sen. [Die „Sub­jek­ti­vie­rung“ hat dem­nach die Form des Erwerbs von Wis­sen oder auch von Nicht-Wissen.]

Um das (–1) zu sub­jek­ti­vie­ren, muss ein Zyklus durch­lau­fen wer­den, in dem die Pri­va­ti­on nur der ers­te Schritt ist. Unter Pri­va­ti­on ver­steht Lacan hier die „rea­le Pri­va­ti­on“, womit er, wie er sagt, an die „reins­te“ Tra­di­ti­on anknüpft, an Kant [an die Tra­di­ti­on der „rei­nen Ver­nunft“]. [Die „rea­le Pri­va­ti­on“ ent­spricht dem­nach Kants Begriff des nihil pri­va­ti­vum (pri­va­ti­ves Nichts) in der Kri­tik der rei­nen Ver­nunft (B 348), der bei Lacan zum ens pri­va­ti­vum wird (pri­va­ti­ves Sei­en­des). Das nihil pri­va­ti­vum ist der Begriff vom Man­gel eines Gegen­stan­des.] Man gesteht Kant das Wesent­li­che sei­nes Vor­ge­hens zu. [Die Pri­va­ti­on, um die es Lacan geht, ist eine Pri­va­ti­on auf der Sei­te des Gegen­stan­des (etwa das Feh­len der Brust), eine Pri­va­ti­on, die erst in einem zwei­ten Schritt sym­bo­li­siert wird, in Wis­sen oder Nicht­wis­sen ver­wan­delt wird.]

[Lacan hat­te frü­her mehr­fach betont, dass im Rea­len nichts feh­len kann. Wie passt das zusam­men? Offen­bar, wie man gleich sehen wird, durch Ver­zeit­li­chung: Die Pri­va­ti­on ist zunächst Pri­va­ti­on im Rea­len und wird dann auf der Ebe­ne des Wis­sens subjektiviert.]

Jedoch sucht Lacan – sagt er – nach einer bes­se­ren Grund­la­ge für die­sen Sche­ma­tis­mus. [„Sche­ma­tis­mus“ ist ein Begriff von Kant in der Kri­tik der rei­nen Ver­nunft, im Kapi­tel „Von dem Sche­ma­tis­mus der rei­nen Ver­stan­des­be­grif­fe“ (B 176 ff.). Das Sche­ma ist das, was zwi­schen Begriff und Anschau­ung ver­mit­telt.– Wor­in besteht die bes­se­re Grund­la­ge für die­sen Sche­ma­tis­mus? In der Topologie.]

Der nächs­te Satz lautet:

„Die Trieb­fe­der die­ser rea­len Pri­va­ti­on habe ich geschmiedet.“

[¿ Mir ist nicht klar, was damit gemeint ist.]

Ursprüng­li­che Ver­wer­fung des Subjekts

Nächs­ter Satz:

„Erst nach einem lan­gen Umweg also kann dem Sub­jekt das Wis­sen von sei­ner ursprüng­li­chen Ver­wer­fung (rejet) zukom­men.“

[Dem­nach ist die „rea­le Pri­va­ti­on“ die „ursprüng­li­che Ver­wer­fung (rejet)“ des Sub­jekts. Die Pri­va­ti­on des Objekts ist zugleich die Rejek­ti­on des Sub­jekts.] [ [¿ Wor­in besteht im Phan­tas­ma des Wolfs­manns das aus­ge­stri­che­ne S?]     Lässt sich das wie­der auf die Mut­ter­brust bezie­hen? Besteht die ursprüng­li­che Ver­wer­fung des Sub­jekts in der Entwöhnung?]

Erst auf lan­gen Umwe­gen wird das Sub­jekt ein Wis­sen von sei­ner ursprüng­li­chen Ver­wer­fung haben. [Lacan unter­schei­det hier also die rea­le Pri­va­ti­on und deren Sub­jek­ti­vie­rung durch ein Wis­sen.] [¿ Was ist der lan­ge Umweg, die Wie­der­be­le­bung der Pri­va­ti­ons­er­fah­rung im Ver­lauf der Lebens­ge­schich­te? Oder die psy­cho­ana­ly­ti­sche Kur? Das Ende der Kur wäre dann das Wis­sen des Sub­jekts über sei­ne ursprüng­li­che Verwerfung.]

Das Sub­jekt wird dann wis­sen, dass es von die­sem Wis­sen ver­wor­fen ist. [Die Sub­jek­ti­vie­rung der rea­len Pri­va­ti­on besteht also nicht dar­in, dass das Sub­jekt ein Wis­sen von der Pri­va­ti­on hat und damit von sei­ner Ver­wer­fung, son­dern sie besteht in einem Wis­sen über die­ses Wis­sen: die Ver­wer­fung ist eine Ver­wer­fung durch ein Wis­sen.] [¿ Ist dies das Nicht-Wis­sen, von dem Lacan vor­her gespro­chen hat­te, die Apha­ni­sis des Sub­jekts (wie er in Semi­nar 6 gesagt hat­te), die Rea­li­sie­rung des­sen, dass es kei­nen Signi­fi­kan­ten des Sub­jekts gibt?]

Das Sub­jekt wird dann auch wis­sen, dass die­ses Wis­sen selbst zu ver­wer­fen ist, inso­fern das Wis­sen immer dies­seits oder jen­seits des­sen ist, was es errei­chen muss, um sein Begeh­ren zu ver­wirk­li­chen. [Bezo­gen auf die Torus-Run­den spricht Lacan nicht von „Wis­sen“, son­dern von „Anspruch“ bzw. „For­de­rung“ (deman­de). Das Begeh­ren ist immer dies­seits oder jen­seits des Anspruchs.]

Anders gesagt, das Sub­jekt strebt nach Iden­ti­tät von Den­ken und Sein, wie man mit Par­men­i­des sagen kann, tat­säch­lich aber fin­det es sich zwi­schen Ide­al und Begeh­ren [Seins­man­gel] unheil­bar gespal­ten. [Dem Den­ken ent­spricht hier offen­bar das Ide­al und das Wis­sen, dem Sein das Begeh­ren und das Nicht­wis­sen – das Begeh­ren ist Seins­man­gel.] [¿ Besteht das Wis­sen, dass das Wis­sen zu ver­wer­fen ist, in der Distan­zie­rung vom Ideal?]

Das Begehren des Unmöglichen in Zwangsneurose und Hysterie

Übersetzung

Zu Beginn der nächs­ten Sit­zung erin­nert Lacan dar­an, dass er in der vor­an­ge­gan­ge­nen Stun­de das Ver­hält­nis des Sub­jekts zum Ande­ren in der Neu­ro­se durch die Bezie­hung zwi­schen zwei Tori dar­ge­stellt hat­te, die sich gegen­sei­tig in der „zen­tra­len Lee­re“ durchdringen:

Zwei inein­an­der­grei­fen­de Tori

Der „klei­ne Kreis“, den man auf dem Torus­schlauch ein­tra­gen kann, ent­spricht dem Anspruch, der „gro­ße Kreis“, den man um den Torus ins­ge­samt dre­hen kann, dem Begeh­ren. Die Zeich­nung ver­an­schau­licht, dass sich das Begeh­ren des Sub­jekts (zen­tra­le Lee­re) auf den Anspruch des Ande­ren rich­tet (die zen­tra­le Lee­re des einen Torus wird durch den Schlauch­um­fang des ande­ren Torus aus­ge­füllt). Das ent­spricht der Neu­ro­se, inso­fern das Sub­jekt hier ver­sucht, sein Begeh­ren in der Abhän­gig­keit vom Anspruch des Ande­ren zu fun­die­ren. In der hier dar­ge­stell­ten Ver­kno­tung des Sub­jekts mit dem Ande­ren gibt es „eine Bezie­hung zu einer Attrap­pe (leur­re)“, wie die Etho­lo­gen sagen, zu einem Trug­bild, einem Köder. Lacan fährt so fort:

„Das Feld, um das es geht, könn­te also auf kei­ne Wei­se auf das Feld des Bedürf­nis­ses redu­ziert wer­den, auf das Feld eines Objekts, das sich im Grenz­fall dem Orga­nis­mus, auf­grund der Riva­li­tät mit sei­nes­glei­chen, als Objekt der Sub­sis­tenz auf­nö­ti­gen könn­te, denn das wäre hier der Aspekt, auf den sich für uns die Riva­li­tät letzt­lich stüt­zen würde.

Die­ses ande­re Feld, das wir defi­nie­ren und für das unser Torus­bild gemacht ist, ist ein ande­res Feld, ein Signi­fi­kan­ten­feld, ein Feld der Kon­no­ta­ti­on von Anwe­sen­heit und Abwe­sen­heit, wo das Objekt nicht mehr Objekt des Sub­sis­tenz, son­dern der Ex-sis­tenz des Sub­jekts ist.

Damit wir dazu kom­men, das zu demons­trie­ren – letzt­lich han­delt es sich ja um einen bestimm­ten not­wen­di­gen Platz der Ex-sis­tenz des Sub­jekts und dar­um, dass hier die Funk­ti­on ist, zu der das klei­ne a der ers­ten Riva­li­tät erho­ben wird, geführt wird –, haben wir den Weg vor uns, den wir noch durch­lau­fen müs­sen, aus­ge­hend von dem Höhe­punkt, zu dem ich Sie das letz­te Mal geführt habe, näm­lich der Domi­nanz des Ande­ren bei der Her­stel­lung der frus­trie­ren­den Beziehung.

Der zwei­te Teil die­ses Weges muss uns von der Frus­tra­ti­on zu der noch zu defi­nie­ren­den Bezie­hung füh­ren, durch die das Sub­jekt im Begeh­ren kon­sti­tu­iert wird, und Sie wis­sen, dass wir nur hier die Kas­tra­ti­on auf ange­mes­se­ne Wei­se arti­ku­lie­ren kön­nen. Was die­ser Platz der Ex-sis­tenz bedeu­tet, wer­den wir also letzt­lich erst dann wis­sen, wenn die­ser Weg durch­lau­fen ist.“131 

Danach spricht Lacan über die dop­pel­te Nega­ti­on. In der fran­zö­si­schen All­tags­spra­che funk­tio­niert sie anders als in der Logik. In der Logik ist die dop­pel­te Nega­ti­on eine Beja­hung, in der Umgangs­spra­che hin­ge­gen dient sie häu­fig dazu, die Ver­nei­nung zu ver­stär­ken. [Eine Ent­spre­chung fin­det man in vie­len deut­schen Dia­lek­ten, in denen man bei­spiels­wei­se sagen kann „Das tut kein Mensch nicht“, womit gemeint ist „Das tut nun wirk­lich kein Mensch“.] Die Ver­stär­kungs­funk­ti­on der dop­pel­ten Nega­ti­on im Fran­zö­si­schen beruht auf einer „topo­lo­gi­schen Dupli­zi­tät“. Die­se Dupli­zi­tät sorgt dafür, dass die bei­den Nega­tio­nen nicht auf der­sel­ben Ebe­ne lie­gen – die eine Nega­ti­on liegt auf der Ebe­ne des Aus­ge­sag­ten (énon­cé), also des­sen, wor­über gespro­chen wird, die ande­re auf der Ebe­ne des Äuße­rungs­vor­gangs (énon­cia­ti­on), sie bezieht sich auf das aktu­ell voll­zo­ge­ne Spre­chen. [Die bei­den Ebe­nen las­se sich an dem Satz „Ich sage, dass  p“ ver­an­schau­li­chen.  Negiert man den Satz auf der Ebe­ne des Aus­ge­sag­ten, erhält man „Ich sage, dass nicht p“; negiert man ihn auf der Ebe­ne des Äuße­rungs­vor­gangs, ergibt sich „Ich sage nicht, dass p“.132]

Etwas spä­ter heißt es:

„Das führt uns zu unse­rem Aus­gangs­punkt zurück, zum Ver­hält­nis zum Ande­ren, inso­fern ich über die­ses Ver­hält­nis gesagt habe, es beru­he auf einem Köder, wobei es jetzt dar­um geht, es anders zu arti­ku­lie­ren als durch die­ses natür­li­che Ver­hält­nis, da wir ja auch sehen, wie sehr es sich dem Den­ken ent­zieht, wie sehr es vom Den­ken zurück­ge­wie­sen wird.

Wir müs­sen von einem ande­ren Punkt aus­ge­hen, näm­lich von der Fra­ge, die an den Ande­ren gestellt wird, von der Fra­ge nach sei­nem Begeh­ren und des­sen Befriedigung.

Wenn es einen Köder gibt, muss er an dem teil­ha­ben, was ich vor­hin die radi­ka­le Dupli­zi­tät der Posi­ti­on des Sub­jekts genannt habe.

Und das möch­te ich Sie spü­ren las­sen, auf der für den Signi­fi­kan­ten cha­rak­te­ris­ti­schen Ebe­ne, inso­fern sie durch die Dupli­zi­tät der sub­jek­ti­ven Posi­ti­on gekenn­zeich­net ist, und es ist das, wobei ich Sie im Augen­blick bit­ten möch­te, mir zu fol­gen, bei etwas, was man letzt­lich die Dif­fe­renz nen­nen kann, derent­we­gen der Graph, mit dem ich Sie wäh­rend einer gewis­sen Zeit mei­nes Dis­kur­ses fest­ge­hal­ten habe, eigent­lich kon­stru­iert  wor­den ist.133 Die­se Dif­fe­renz nennt sich: Unter­schied zwi­schen der Bot­schaft und der Frage.

Die­ser Graph, der sich hier so gut in genau die Kluft ein­schreibt, durch die das Sub­jekt in dop­pel­ter Wei­se mit der Ebe­ne des uni­ver­sa­len Dis­kur­ses ver­bun­den ist – ich wer­de hier heu­te die vier Über­schnei­dungs­punk­te ein­tra­gen, die­je­ni­gen, die Sie bereits kennen:

– A,

– s(A), die Bedeu­tung der Bot­schaft, inso­fern sie auf der Rück­kehr des Signi­fi­kan­ten beruht, der im Ande­ren ange­sie­delt ist,

– hier: ($◊D), das Ver­hält­nis des Sub­jekts zum Anspruch, inso­fern hier der Trieb spe­zi­fi­ziert wird,

– hier: das S(Ⱥ), der Signi­fi­kant des Ande­ren, inso­fern der Ande­re letzt­lich nur for­ma­li­siert oder signi­fi­kan­ti­siert wer­den kann als selbst vom Signi­fi­kan­ten mar­kiert, anders gesagt, inso­fern er uns den Ver­zicht auf jede Meta­spra­che aufnötigt.

Die Kluft, die hier zu arti­ku­lie­ren ist, ist gänz­lich in einer Form auf­ge­spannt, die letzt­lich dar­in besteht, dass die For­de­rung (deman­de) an den Ande­ren, zu ant­wor­ten, in einer Serie von Rück­läu­fen bestän­dig wech­selt, bestän­dig pen­delt, zwi­schen dem ‚Nichts viel­leicht?‘ (‚Rien peut-être?‘) und dem ‚Viel­leicht nichts‘ (‚Peut-être rien‘), das hier eine Bot­schaft ist.

Sie öff­net sich auf das hin, was uns als die Öff­nung erschie­nen ist, die dadurch gebil­det wird, dass ein Sub­jekt in das Rea­le eintritt.

Wir stim­men hier mit der zuver­läs­sigs­ten Aus­ar­bei­tung des Begriffs der Mög­lich­keit* über­ein. Das Mög­li­che ist nicht von der Sach­sei­te her <auf­zu­fas­sen>, son­dern von der Sei­te des Sub­jekts her. Die Bot­schaft öff­net sich auf den Begriff der Even­tua­li­tät hin, der durch eine Erwar­tung in der kon­sti­tu­ie­ren­den Situa­ti­on des Begeh­rens gebil­det wird, so wie wir sie hier fest­zu­ma­chen ver­su­chen. ‚Peut-être‘, ‚viel­leicht‘ [wört­lich ‚kann sein‘]: die Mög­lich­keit geht dem Nomi­na­tiv ‚rien‘, ‚nichts‘, vor­aus, der im Extrem­fall den Wert eines Ersat­zes für die Posi­ti­vi­tät annimmt.

Das ist ein Punkt [des Gra­phen], und ein Punkt, das ist alles.

Hier ist der Platz des ein­zi­gen Zugs, in der Lee­re auf­be­wahrt, die auf die Erwar­tung des Begeh­rens ant­wor­ten kann.

Das ist etwas ganz ande­res als die Fra­ge, inso­fern sie mit ‚Nichts viel­leicht?‘ arti­ku­liert wird, etwas ande­res als das ‚viel­leicht?‘, auf der Ebe­ne des in Fra­ge gestell­ten Anspruchs ‚Was will ich?‘, wobei zum Ande­ren gespro­chen wird, etwas ande­res als das ‚viel­leicht?‘, das hier in eine Posi­ti­on gelangt, die homo­log zu der­je­ni­gen ist, durch die auf der Ebe­ne der Bot­schaft die even­tu­el­le Ant­wort kon­sti­tu­iert wurde.

‚Viel­leicht nichts‘, das ist die ers­te For­mu­lie­rung der Bot­schaft. ‚Viel­leicht: nichts‘, das kann eine Ant­wort sein. Aber ist das die Ant­wort auf die Fra­ge ‚Nichts viel­leicht?‘? Gera­de nicht! Hier nimmt das Aus­sa­ge­par­ti­kel ‚nichts‘ (rien) – inso­fern es die Mög­lich­keit auf­wirft, dass es nicht zu einem Beschluss kommt (non lieu de con­clure134), als vor­gän­gig gegen­über der Sei­te der Exis­tenz, gegen­über der Potenz des Seins –, hier, auf der Ebe­ne der Fra­ge, nimmt die­ses Aus­sa­ge­par­ti­kel sei­nen vol­len Wert an, den einer Sub­stan­zia­li­sie­rung des Nichts (néant) der Fra­ge selbst.

Der Satz ‚Nichts viel­leicht?‘ öff­net sich für die Wahr­schein­lich­keit, dass nichts ihn als Fra­ge deter­mi­niert, dass über­haupt nichts deter­mi­niert ist, dass es mög­lich bleibt, dass nichts sicher ist, dass es mög­lich ist, dass man – außer im Rück­griff auf die unend­li­che Vor­gän­gig­keit des Kafka’schen Pro­zes­ses – nicht zu einem Beschluss kom­men kann, dass es ein rei­nes Fort­be­stehen der Fra­ge gibt, mit der Unmög­lich­keit des Schlie­ßens. Ein­zig die Even­tua­li­tät des Rea­len gestat­tet es, etwas zu bestim­men, und die Benen­nung des Nichts (néant) des rei­nen Fort­be­stehens der Fra­ge, damit haben wir es auf der Ebe­ne der Fra­ge selbst zu tun.

‚Viel­leicht nichts‘ könn­te auf der Ebe­ne der Bot­schaft eine Ant­wort sein, aber die Bot­schaft war gera­de kei­ne Fra­ge. ‚Nichts viel­leicht?‘ lie­fert auf der Ebe­ne der Fra­ge nur eine Meta­pher, näm­lich dass die Potenz des Sein jen­seits liegt. Jede Even­tua­li­tät ist da bereits ver­schwun­den und eben­so jede Sub­jek­ti­vi­tät. Es gibt nur Sin­n­ef­fekt, unend­li­che Ver­wei­sung von Sinn auf Sinn, abge­se­hen davon, dass wir Ana­ly­ti­ker uns durch Erfah­rung dar­an gewöhnt haben, die­se Ver­wei­sung auf zwei Ebe­nen zu struk­tu­rie­ren und dass sich hier­durch alles ändert.

Dass näm­lich für uns die Meta­pher eine Ver­dich­tung ist, das heißt, zwei Ket­ten, und dass sie, die Meta­pher, auf uner­war­te­te Wei­se mit­ten in der Bot­schaft in Erschei­nung tritt; dass sie auch mit­ten in der Fra­ge zur Bot­schaft wird, dass die Fra­ge ‚Fami­lie‘ anfängt, arti­ku­liert zu wer­den und dass mit­ten­drin die Mil­li­on des Mil­lio­närs auf­taucht135; dass das Ein­bre­chen der Fra­ge in die Bot­schaft dar­in besteht, dass uns ent­hüllt wird, dass die Bot­schaft sich inmit­ten der Fra­ge mani­fes­tiert; dass sie auf dem Wege zuta­ge tritt, auf dem wir zur Wahr­heit auf­ge­ru­fen sind; dass ver­mit­tels unse­rer Fra­ge nach der Wahr­heit die Bot­schaft zuta­ge tritt, ich mei­ne in der Fra­ge selbst und nicht in der Ant­wort auf die Frage.

Genau an die­sem Punkt also, der für die Arti­ku­la­ti­on des Unter­schie­des zwi­schen Äuße­rungs­vor­gang  (énon­cia­ti­on) und Aus­ge­sag­tem (énon­cé) von Wert ist, genau hier muss­ten wir einen Moment lang innehalten.

Wenn die­se Mög­lich­keit des ‚nichts‘ (‚rien‘) nicht bewahrt wird, hin­dert uns das dar­an, die­se Kluft zu sehen – trotz die­ser All­ge­gen­wart –, die den Ursprung für jede mög­li­che Arti­ku­la­ti­on bil­det, die wirk­lich sub­jek­tiv ist, die­se Kluft, die sehr genau eben­so durch den Über­gang vom Zei­chen zum Signi­fi­kan­ten ver­kör­pert wird, wo wir das erschei­nen sehen, wodurch sich in die­ser Dif­fe­renz das Sub­jekt auszeichnet.

Ist es letzt­lich Zei­chen oder Signi­fi­kant? Zei­chen ? Zei­chen von was? Es ist genau das Zei­chen von nichts. Der Signi­fi­kant defi­niert sich dadurch, bei einem ande­ren Signi­fi­kan­ten das Sub­jekt zu reprä­sen­tie­ren: unend­li­che Ver­wei­sung des Sinns. Und wenn das etwas bedeu­tet, dann des­halb, weil der Signi­fi­kant beim ande­ren Signi­fi­kan­ten die­se beson­de­re Sache bedeu­tet, die das Sub­jekt als nichts ist.

Hier ermög­licht uns unse­re Erfah­rung, die Not­wen­dig­keit des Weges her­aus­zu­stel­len, durch den jede Rea­li­tät gestützt wird, in der Struk­tur, die dadurch iden­ti­fi­zier­bar ist, dass sie es ist, die es uns gestat­tet, wei­ter­hin unse­re Erfah­rung zu machen.

Der Ande­re ant­wor­tet also nichts, außer, dass nichts sicher ist; das hat jedoch nur eine Bedeu­tung, näm­lich dass es etwas gibt, wovon er nichts wis­sen will, näm­lich genau von die­ser Frage.

Auf die­ser Ebe­ne ist das Unver­mö­gen des Ande­ren in einem Unmög­li­chen ver­wur­zelt, in dem Unmög­li­chen, auf des­sen Weg uns bereits die Fra­ge des Sub­jekts geführt hatte.

‚Nicht mög­lich‘ war die­se Lee­re, wo es dazu kam, dass der ein­zi­ge Zug in sei­nem spal­ten­den Wert auftauchte.

Hier sehen wir, wie die­ses Unmög­li­che Gestalt annimmt (prend corps) und das zusam­men­fügt, wovon wir vor­hin gese­hen haben, wie es von Freud defi­niert wird, über die Kon­sti­tu­ie­rung des Begeh­rens durch das ursprüng­li­che Verbot.

Das Unver­mö­gen des Ande­ren zu ant­wor­ten rührt von einer Sack­gas­se her, und die­se Sack­gas­se – wir ken­nen sie – wird als Begrenzt­heit sei­nes Wis­sens bezeich­net. ‚Er wuss­te nicht, dass er tot war‘136, dass er zu die­ser Abso­lut­heit des Ande­ren nur durch den Tod gelangt ist, der nicht akzep­tiert, son­dern erlit­ten wur­de, durch das Begeh­ren des Sub­jekts erlit­ten wurde.

Dies weiß das Sub­jekt, wenn ich so sagen kann: dass der Ande­re es nicht wis­sen darf, dass der Ande­re for­dert (deman­de), nicht zu wissen.

Das ist hier der spe­zi­el­le Bereich in die­sen bei­den nicht mit­ein­an­der ver­meng­ten For­de­run­gen (deman­des), der­je­ni­gen des Sub­jekts und der­je­ni­gen des Ande­ren, näm­lich dass das Begeh­ren eben als Über­schnei­dung des­sen defi­niert wird, was in bei­den For­de­run­gen nicht zu sagen ist.

Zwei inein­an­der­grei­fen­de Tori

Nur von da aus befrei­en sich die For­de­run­gen, die über­all anders­wo for­mu­lier­bar sind, nicht jedoch im Fel­de des Begehrens.

Das Begeh­ren kon­sti­tu­iert sich auf die­se Wei­se zunächst als das, was sei­ner Natur nach dem Ande­ren struk­tu­rell ver­bor­gen ist. Es ist genau das dem Ande­ren Unmög­li­che, das zum Begeh­ren des Sub­jekts wird. Das Begeh­ren kon­sti­tu­iert sich als der Teil des Anspruchs, der dem Ande­ren ver­bor­gen ist.

Die­ser Ande­re, der gera­de als Ande­rer, als Ort des Spre­chens, nichts garan­tiert, gewinnt hier sei­ne erbau­li­che Wir­kung. Er wird der Schlei­er, die Abde­ckung, das Prin­zip der Ver­dun­ke­lung des Plat­zes des Begeh­rens, und eben hier wird das Objekt in Deckung gebracht.

Wenn es eine Exis­tenz gibt, die sich zuerst kon­sti­tu­iert, dann ist es die­se hier, und sie setzt sich an die Stel­le der Exis­tenz des Sub­jek­tes selbst, da das Sub­jekt, inso­fern es vom Ande­ren abhängt, glei­cher­ma­ßen davon abhän­gig bleibt, dass auf der Sei­te des Ande­ren nichts sicher ist, außer eben, dass er etwas ver­birgt, dass er etwas ver­deckt, näm­lich die­ses Objekt, die­ses Objekt, das noch ‚viel­leicht nichts‘ ist, inso­fern es zum Objekt des Begeh­rens wer­den wird.

Das Objekt des Begeh­rens exis­tiert als eben die­ses Nichts, wovon der Ande­re nicht wis­sen kann, dass dies alles ist, wor­aus es besteht. Die­ses Nichts, inso­fern es dem Ande­ren ver­bor­gen ist, gewinnt Kon­sis­tenz, es wird zur Hül­le für jedes Objekt, vor dem die Fra­ge des Sub­jekts inne­hält, inso­fern das Sub­jekt dann nur noch ima­gi­när wird.

Die For­de­rung (deman­de) ist von der For­de­rung des Ande­ren in dem Maße befreit, wie das Sub­jekt das Nicht­wis­sen des Ande­ren aus­schließt. Es gibt jedoch zwei mög­li­che For­men des Aus­schlus­ses. ‚Bezo­gen auf das, was Sie wis­sen oder was Sie nicht wis­sen, wasche ich mei­ne Hän­de in Unschuld und hand­le.‘ ‚Sie wis­sen nur all­zu gut‘ bedeu­tet, dass mir völ­lig gleich­gül­tig ist, ob Sie wis­sen oder nicht wissen.

Es gibt jedoch auch die ande­re Form: ‚Es ist abso­lut not­wen­dig, dass Sie wis­sen‘, und das ist der Weg, den der Neu­ro­ti­ker wählt, und dar­um ist er, wenn ich so sagen kann, von vorn­her­ein dazu bestimmt, Ihr Opfer zu sein. Für den Neu­ro­ti­ker ist die gute Art und Wei­se, das Pro­blem die­ses Fel­des des Begeh­rens zu lösen – inso­fern es durch die­ses zen­tra­le Feld der For­de­run­gen kon­sti­tu­iert wird, die sich nun mal über­schnei­den und des­halb aus­ge­schlos­sen wer­den müs­sen –, besteht sie dar­in, dass er fin­det, dass die gute Art und Wei­se dar­in besteht, dass Sie wis­sen. Wenn es nicht so wäre, wür­de er kei­ne Psy­cho­ana­ly­se machen.

Was tut der Rat­ten­mann, wenn er sich wie Theo­dor nachts erhebt137? Er schleppt sich in Pan­tof­feln zum Haus­flur, um dem Gespenst sei­nes toten Vaters die Tür zu öff­nen – und um ihm was zu zei­gen? Dass er gera­de einen Stän­der hat.138

Ist das nicht die Ent­hül­lung eines grund­le­gen­den Ver­hal­tens? Der Neu­ro­ti­ker will, dass der Ande­re – man­gels Kön­nen, denn es erweist sich, dass der Ande­re nichts kann – zumin­dest weiß.

Vor­hin habe ich zu Ihnen über das Enga­ge­ment gespro­chen; im Gegen­satz zu dem, was man glaubt, ist der Neu­ro­ti­ker jemand, der sich als Sub­jekt enga­giert. Er ver­schließt sich dem dop­pel­ten Aus­gang von Bot­schaft und Fra­ge, er wirft sich selbst in die Waag­scha­le, um zwi­schen dem ‚Nichts viel­leicht?‘ und dem ‚Viel­leicht nichts‘ zu ent­schei­den, er stellt sich gegen­über dem Ande­ren als real dar, das heißt als unmög­lich. Das wird für Sie sicher­lich deut­li­cher, wenn Sie wis­sen, wie das zustan­de kommt.

Es ist nicht ohne Bedeu­tung, dass ich heu­te die­ses Bild des ‚Freud’schen Theo­dors‘ habe auf­tau­chen las­sen, mit sei­ner nächt­li­chen phan­tas­ma­ti­schen Exhi­bi­ti­on, denn das heißt, dass es für die­se unglaub­li­che Umwand­lung des Objekts des Begeh­rens in die Exis­tenz des Sub­jekts durch­aus ein bestimm­tes Medi­um gibt, bes­ser gesagt, ein bestimm­tes Instru­ment, und dass eben dies der Phal­lus ist. Aber das ist für unse­ren nächs­ten Vor­trag reserviert.

Heu­te kon­sta­tie­re ich ein­fach, dass der Neu­ro­ti­ker – ob Phal­lus oder nicht – in dem Feld als das ankommt, was vom Rea­len als unmög­lich spe­zi­fi­ziert wird.

Das ist nicht erschöp­fend, denn auf die Pho­bie wer­den wir die­se Defi­ni­ti­on nicht anwen­den kön­nen. Wir wer­den das erst beim nächs­ten Mal tun kön­nen, aber wir kön­nen das sehr gut auf den Zwangs­neu­ro­ti­ker anwen­den. Vom Zwangs­neu­ro­ti­ker wer­den Sie nichts ver­ste­hen, wenn Sie sich nicht an die Dimen­si­on erin­nern, die er, der Zwangs­neu­ro­ti­ker, ver­kör­pert, er, inso­fern er zu viel ist, das ist die ihm eige­ne Form des Unmög­li­chen, und dass er, wenn er ver­sucht, aus sei­ner ver­steck­ten Posi­ti­on des ver­bor­ge­nen Objekts her­aus­zu­kom­men, dass er dann das Objekt von nir­gend­wo sein muss. Von daher beim Zwangs­neu­ro­ti­ker die­se Art fast wil­der Gier, der­je­ni­ge zu sein, der über­all ist, näm­lich um gera­de nir­gend­wo zu sein. Der Hauch von All­ge­gen­wart, der den Zwangs­neu­ro­ti­ker umgibt, ist gut bekannt, und wenn Sie ihn nicht aus­fin­dig machen, wer­den Sie von den meis­ten sei­ner Ver­hal­tens­wei­sen nichts begrei­fen. Das Min­des­te ist jeden­falls, da er nicht über­all sein kann, an meh­re­ren Orten zugleich zu sein, was auf jeden Fall heißt, dass man ihn nir­gend­wo fas­sen kann.

Die Hys­te­ri­ke­rin hat einen ande­ren Modus, der natür­lich der­sel­be ist, da er des­sen Wur­zel ist, auch wenn er weni­ger leicht, weni­ger unmit­tel­bar zu ver­ste­hen ist. Auch die Hys­te­ri­ke­rin kann sich als real im Sin­ne von unmög­lich dar­stel­len, wobei ihr Trick dar­in besteht, dass die­ses Unmög­li­che dann Bestand haben wird, wenn der Ande­re sie als Zei­chen akzep­tiert. Die Hys­te­ri­ke­rin stellt sich als Zei­chen von etwas dar, wor­an der Ande­re glau­ben könn­te, aber um die­ses Zei­chen zu bil­den, ist sie höchst real, und es ist unbe­dingt erfor­der­lich, dass die­ses Zei­chen sich dem Ande­ren auf­nö­tigt und ihn markiert.

Das also ist es, wohin die­se Struk­tur führt, die­se grund­le­gen­de Dia­lek­tik, die ganz und gar dar­auf beruht, dass der Ande­ren als Garan­tie des Siche­ren letzt­lich ver­sagt. Hier wird die Rea­li­tät des Begeh­rens ein­ge­setzt und hier ereig­net sie sich, durch Ver­mitt­lung von etwas, des­sen Para­do­xie wir nie­mals hin­rei­chend kenn­zeich­nen wer­den: durch Ver­mitt­lung der Dimen­si­on des Ver­bor­ge­nen, d.h. der­je­ni­gen Dimen­si­on, die wohl die wider­sprüch­lichs­te ist, die der Geist kon­stru­ie­ren kann, sobald es um Wahr­heit geht.

Was ist bei der Ein­füh­rung die­ses Fel­des der Wahr­heit natür­li­cher als die Posi­ti­on eines all­wis­sen­den Ande­ren? So sehr, dass der schärfs­te, der schnei­dends­te Phi­lo­soph die Dimen­si­on der Wahr­heit nur dadurch stüt­zen kann, dass er annimmt, dass das, was es ihr ermög­licht, sich zu hal­ten, die Wis­sen­schaft des­je­ni­gen ist, der alles weiß. Und den­noch, nichts von der Rea­li­tät des Men­schen, nichts von dem, was er sucht, noch von dem, dem er folgt, wird auf ande­re Wei­se gestützt als durch die­se Dimen­si­on des Ver­bor­ge­nen, inso­fern sie es ist, wor­aus sich die Garan­tie her­lei­tet, dass es tat­säch­lich ein exis­tie­ren­des Objekt gibt, und inso­fern sie durch Refle­xi­on die­se Dimen­si­on des Ver­bor­ge­nen lie­fert. Letzt­lich ist ein­zig sie es, die die­sem pro­ble­ma­ti­schen Ande­ren sei­ne Kon­sis­tenz ver­leiht. Die Quel­le jeden Glau­bens, vor allem des Glau­bens an Gott, besteht eben dar­in, dass wir uns genau in der Dimen­si­on bewe­gen, dass wir so han­deln, als ob er von neun Zehn­teln unse­rer Absich­ten nie etwas wüss­te, obwohl das Wun­der, dass er alles wis­sen soll, ihm ins­ge­samt sei­ne gesam­te Sub­sis­tenz ver­leiht. ‚Kein Wort an die Köni­gin­mut­ter!“, das ist das Prin­zip, von dem aus jede Kon­sti­tu­ie­rung des Sub­jekts sich ent­fal­tet und sich bewegt.139

[…]

Inso­fern am Ende der Ana­ly­se das Maß des unbe­wuss­ten Begeh­rens in die­sem Ort des Ande­ren, den wir  als Ana­ly­ti­ker ver­kör­pern, noch ent­hal­ten bleibt,  kann Freud am Ende sei­nes Wer­kes den Kas­tra­ti­ons­kom­plex als irre­du­zi­bel cha­rak­te­ri­sie­ren, als etwas, was vom Sub­jekt nicht akzep­tiert wer­den kann.140“141

Lacan schließt damit, dass er das The­mas der nächs­ten Sit­zung ankündigt.

Paraphrase mit Ergänzungen

Fra­ge des Sub­jekts und Bot­schaft des Anderen

Lacan erin­nert an das The­ma der vor­an­ge­gan­ge­nen Sit­zung. Es ging um das Ver­hält­nis des Sub­jekts zum Ande­ren, inso­fern die­ses Ver­hält­nis auf einer Attrap­pe (leur­re) beruht [wie die Etho­lo­gen sagen], auf einem Trug­bild, auf einem Köder. Das soll jetzt auf ande­re Wei­se arti­ku­liert wer­den, nicht durch die­ses natür­li­che [von den Etho­lo­gen unter­such­te] Verhältnis.

Das Feld, um das es jetzt geht, kann nicht auf das Feld des Bedürf­nis­ses redu­ziert wer­den, das Objekt ist hier nicht das Objekt der Sub­sis­tenz [der Selbst­er­hal­tung]. In der Bezie­hung zum Ande­ren geht es nicht um Riva­li­tät in Bezug auf das Objekt der Sub­sis­tenz [nicht um Kon­kur­renz um knap­pe Mit­tel]. Viel­mehr han­delt  es sich jetzt um das Feld der Signi­fi­kan­ten, und dies soll der Torus ver­an­schau­li­chen [das Bild der bei­den inein­an­der ver­schränk­ten Tori].

Zwei inein­an­der ver­schlun­ge­ne Tori

In die­sem Feld geht es um Anwe­sen­heit und Abwe­sen­heit. Das Objekt ist das der „Ex-sis­tenz“ des Sub­jekts [das Sub­jekt kon­sti­tu­iert sich durch den Bezug auf ein Außen, ein Ex; das, was außen ist, „sis­tiert“, es ver­harrt im Außen].

Es dreht sich jetzt nicht mehr um die Frus­tra­ti­on [bei der Bedürf­nis­be­frie­di­gung], son­dern um die Kas­tra­ti­on und damit um die Kon­sti­tu­ie­rung des begeh­ren­den Sub­jekts [die Kon­sti­tu­ie­rung des begeh­ren­den Sub­jekts voll­zieht sich dem­nach durch die Kas­tra­ti­on]. In der Frus­tra­ti­ons­be­zie­hung ist der Ande­re domi­nant [da er die Bedürf­nis­be­frie­di­gung gewäh­ren oder ver­wei­gern kann]. [Die Fra­ge ist also: Wel­che Rol­le spielt der Ande­re bei der Kastration?]

Dabei muss man von der Fra­ge aus­ge­hen, die das Sub­jekt an den Ande­ren stellt, von der Fra­ge des Sub­jekts nach dem Begeh­ren des Ande­ren und nach der Befrie­di­gung die­ses Begehrens.

Das Trug­bild, von dem Lacan soeben gespro­chen hat­te, steht im Zusam­men­hang mit der radi­ka­len Dupli­zi­tät der Posi­ti­on des Sub­jekts, auf die er sich zu Beginn der Sit­zung bezo­gen hatte.

Bei die­ser Dupli­zi­tät geht es um die Dif­fe­renz, derent­we­gen Lacan [in den Semi­na­ren 5 und 6] den Gra­phen [des Begeh­rens] kon­stru­iert hat­te, näm­lich um die Dif­fe­renz zwi­schen der Fra­ge [des Sub­jekts] und der Bot­schaft [die vom Ande­ren kommt, hier wohl vom Ande­ren im Sin­ne des Unbe­wuss­ten, das ja der Dis­kurs des Ande­ren ist].

Graph des Begeh­rens mit der Fra­ge „Che vuoi?“

[Die Fra­ge des Sub­jekts wird im Gra­phen durch die Lini­en reprä­sen­tiert, die vom Schnitt­punkt rechts unten aus­ge­hen, A, und zu ($ ◊ a) füh­ren, zur For­mel für das Phan­tas­ma. Im Auf­satz Sub­ver­si­on des Sub­jekts und Dia­lek­tik des Begeh­rens, den Lacan im sel­ben Jahr schreibt, wird die Fra­ge des Sub­jekts von ihm wie unten als drit­te Kon­struk­ti­ons­stu­fe dar­ge­stellt und als „Que vuoi?“ bezeich­net, ita­lie­nisch für „Was willst du?“; die Form der bei­den Pfeil­li­ni­en soll an ein Fra­ge­zei­chen erinnern.]

[Im Gra­phen des Begeh­rens wird die Bot­schaft durch die bei­den lin­ken Schnitt­punk­te dar­ge­stellt, s(A) und S(Ⱥ). Die bei­den rech­ten Schnitt­punk­te sind der Code. Ich habe das in der unte­ren Zeich­nung in die end­gül­ti­ge Fas­sung des Gra­phen ein­ge­tra­gen, mit „M“ für mes­sa­ge, „Bot­schaft“, „Nach­richt“.142]

Graph des Begeh­rens mit Code (C) und Bot­schaft (M)

[Im aktu­el­len Zusam­men­hang ist die Bot­schaft gemeint, die durch den obe­ren lin­ken Schnitt­punkt gebil­det wird, also durch S(Ⱥ) – dem Ande­ren fehlt ein Signi­fi­kant, die Fra­ge kann nicht beant­wor­tet werden.]

Wegen der Dif­fe­renz zwi­schen der Fra­ge und der Bot­schaft hat­te er den Gra­phen kon­stru­iert, sagt Lacan über sich. [In der Ver­si­on von Sub­ver­si­on des Sub­jekts und Dia­lek­tik des Begeh­rens ist die Poin­te des Gra­phen dem­nach der Über­gang von der drit­ten Kon­struk­ti­ons­stu­fe mit „Que vuoi?“ zur vier­ten Kon­struk­ti­ons­stu­fe mit dem Sym­bol S(Ⱥ) am Platz der Bot­schaft. Wenn man Fra­ge und (unbe­wuss­te) Bot­schaft in die vier­te Kon­struk­ti­ons­stu­fe des Gra­phen ein­trägt, ergibt sich das fol­gen­de Bild (Fra­ge: gelb, Bot­schaft: grün):]

Graph des Begeh­rens mit Fra­ge (gelb) und Bot­schaft (grün)

Der Graph zeigt die Kluft an, durch die das Sub­jekt mit der Ebe­ne des uni­ver­sa­len Dis­kur­ses auf dop­pel­te Wei­se ver­bun­den ist. [Unter dem „uni­ver­sa­len Dis­kurs“ ver­steht Lacan das Spre­chen aller Ande­ren (Eltern, Groß­el­tern usw.).143 Im Gra­phen wird der uni­ver­sa­le Dis­kurs durch die bei­den Lini­en des Anspruchs reprä­sen­tiert; die unte­re beginnt bei D (links unten) und endet bei Stim­me (rechts unten), die obe­re beginnt in Sub­ver­si­on des Sub­jekts mit „Genie­ßen“ (oben links)  und endet mit „Kas­tra­ti­on“ (oben rechts).]

Das Sub­jekt [das reprä­sen­tiert wird durch die unten rechts begin­nen­de Pfeil­li­nie, die über die Kreu­zungs­punk­te A, ($◊D), S(Ⱥ) und s(A) zu I führt] ist mit der Ebe­ne des uni­ver­sa­len Dis­kur­ses durch vier Schnitt­punk­te verbunden:
– [unten rechts] A [Ande­rer],
– [unten links] s(A) [das vom ande­ren kom­men­de Signi­fi­kat], die Bedeu­tung der Bot­schaft, die dar­auf beruht, dass die Signi­fi­kan­ten, die im Ande­ren ange­sie­delt sind [in A] [auf die unte­re Linie des Anspruchs] zurück­kom­men [die­se Bezie­hung wird durch den Pfeil ange­zeigt, der von A aus­geht, anfangs schräg nach links oben zeigt und in s(A) endet],
– [oben rechts] ($◊D), das Ver­hält­nis des Sub­jekts ($) zum Anspruch [D für deman­de], inso­fern hier der Trieb spe­zi­fi­ziert wird [die unter­schied­li­chen Trie­bar­ten – oral, anal – beru­hen auf unter­schied­li­chen Ver­hält­nis­sen des Sub­jekts zum Anspruch, näm­lich dar­auf, ob der Anspruch vom Sub­jekt aus­geht (oral) oder vom Ande­ren (anal); vgl. hier­zu die­sen Blog­ar­ti­kel].
– [oben links] S(Ⱥ), der Signi­fi­kant des Ande­ren, inso­fern der Ande­re selbst vom Signi­fi­kant mar­kiert ist, inso­fern er uns den Ver­zicht auf jede Meta­spra­che auf­nö­tigt [vgl. zu S(Ⱥ) die­sen Blog­ar­ti­kel und zum Gra­phen ins­ge­samt die­sen Arti­kel].

„Nichts viel­leicht?“ „Viel­leicht nichts.“

Die Kluft [zwi­schen der Fra­ge und der Bot­schaft] beruht dar­auf, dass an den Ande­ren eine Fra­ge (deman­de) gestellt wird [eine Fra­ge ist eine For­de­rung (deman­de) nach einer Ant­wort]. Die Fra­ge lau­tet „Nichts viel­leicht?“ [Rien peut-être, man könn­te auch über­set­zen mit „Nichts mög­li­cher­wei­se?“ oder wört­lich mit „Nichts kann-sein?“.]

Auf der ande­ren Sei­te der Kluft ist die Bot­schaft in Gestalt von „Viel­leicht nichts“. [Peut-être rien, „Mög­li­cher­wei­se nichts“ oder wört­lich „Kann-sein nichts“. Dies For­mu­lie­rung ist eine Bot­schaft, d.h. im Gra­phen an einem der bei­den lin­ken Schnitt­punk­te zu ver­or­ten; gemeint ist hier der Schnitt­punkt oben links, S(Ⱥ), den ich wei­ter oben grün mar­kiert habe.]

[In der Sit­zung vom 7. März 1962 ging es um die Äußerung:

„Se pour­rait-il qu’il n’y ait mam­me? Pas pos­si­ble … rien, peut-être.“
„Könn­te es  sein, dass es nicht mam­me gibt? Nicht mög­lich – nichts, kann sein /​ nichts, vielleicht.“

Statt­des­sen heißt es jetzt:

„Rien peut-être?‘“ „Peut-être rien.“
„Nichts kann-sein? /​ Nichts viel­leicht?“ „Kann sein nichts /​ viel­leicht nichts.“]

[Die Haupt­un­ter­schie­de sind: In der frü­he­ren Fas­sung gab es zwei For­men der Nega­ti­on und ein­mal das „nichts“, jetzt gibt es kei­ne Nega­ti­on, statt­des­sen zwei­mal das „nichts“. Die Kom­po­nen­te „nicht mög­lich“, der Bezug auf das Unmög­li­che, ist nicht ent­hal­ten. In bei­den Rede­tei­len geht es jetzt ver­mut­lich um die Pri­va­ti­on, ein­mal als erwar­te­te Pri­va­ti­on, das ande­re mal als Privationsbotschaft.]

[Fra­ge und Bot­schaft ent­hal­ten die Kom­po­nen­ten „nichts“ und „viel­leich­t/­kann-sein“ in ent­ge­gen­ge­setz­ter Anord­nung – die Bot­schaft ist die Fra­ge in umge­kehr­ter Form. Lacan knüpft hier an eine The­se aus sei­nem Rom-Vor­trag von 1953 an, „Der Sen­der erhält vom Emp­fän­ger sei­ne eige­ne Bot­schaft in umge­kehr­ter Form“, vgl. die­sen Blogartikel.]

Zwi­schen die­ser Fra­ge und die­ser Bot­schaft gibt es einen bestän­di­gen Wech­sel. [Das spielt mög­li­cher­wei­se dar­auf an, dass es im Gra­phen zwi­schen den Kreu­zungs­punk­ten eine Zir­ku­la­ti­ons­be­zie­hung gibt.]

Die Bot­schaft öff­net sich auf die Öff­nung hin, die dadurch gebil­det wird, dass das Sub­jekt [durch sei­ne Fra­ge] in das Rea­le eintritt.

[Der Zugang zum Rea­len erfolgt vom „nicht mög­lich“ her, hat­te Lacan in der Sit­zung vom 7. März 1962 gesagt. Ich neh­me des­halb an, dass gemeint ist: Durch die Fra­ge „Nichts viel­leicht?“, durch den Bezug auf die mög­li­che Pri­va­ti­on, tritt das Sub­jekt in das Rea­le ein, in das „nicht mög­lich“, das hier jedoch aus­ge­las­sen ist. Das Rea­le als das Unmög­li­che ver­schwin­det gewis­ser­ma­ßen in der Kluft zwi­schen Pri­va­tions-Fra­ge und Privations-Botschaft.]

[Der Begriff der Mög­lich­keit (in Gestalt des peut-être, des „kann-sein“, des Sein­kön­nens) wird sowohl in der Fra­ge als auch in der Bot­schaft ins Spiel gebracht: „Nichts mög­li­cher­wei­se?“ „Mög­li­cher­wei­se nichts.“ Was also ist unter Mög­lich­keit zu ver­ste­hen?] Das Mög­li­che ist nicht von der Sei­te der Sache her auf­zu­fas­sen [etwa als Wahr­schein­lich­keit eines Ereig­nis­ses], son­dern von der Sei­te des Sub­jekts. Lacan beruft sich hier­für auf die „zuver­läs­sigs­te Aus­ar­bei­tung“ des Ter­mi­nus der Mög­lich­keit. [Er ver­wen­det hier das deut­sche Wort „Mög­lich­keit“, meint also wohl einen deut­schen Autor, ver­mut­lich Heid­eg­ger.144]

Bei der Mög­lich­keit geht es um eine Even­tua­li­tät, die durch eine Erwar­tung des Sub­jekts gebil­det wird. [Auch „Erwar­tung“ ist ein Heidegger’scher Ter­mi­nus.145 Aber stär­ker noch erin­nert das Fol­gen­de an Sar­tres Das Sein und das Nichts; „die Fra­ge“, so heißt es dort, ist „eine Vari­an­te der Erwar­tung: ich erwar­te eine Ant­wort von dem befrag­ten Sein“146; es „ist evi­dent, dass das Nicht-Sein immer in den Gren­zen einer mensch­li­chen Erwar­tung erscheint“147.] Die Bot­schaft „Viel­leicht nichts“ bzw. „Mög­li­cher­wei­se nichts“ bezieht sich auf eine Even­tua­li­tät, und die­se Even­tua­li­tät wird durch die Erwar­tung des Sub­jekts gebil­det [wobei die­se Erwar­tung durch die Fra­ge „Nichts viel­leicht?“ arti­ku­liert wird]. [Auch den Begriff der Even­tua­li­tät in Ver­bin­dung mit dem Nichts fin­det man bei Sart­re. „Und wenn ich eine Sein­sent­hül­lung erwar­te, so des­halb, weil ich gleich­zei­tig auf die Even­tua­li­tät der Ent­hül­lung eines Nicht-seins vor­be­rei­tet bin.“148]

Die Erwar­tung des Sub­jekts wird durch eine Situa­ti­on des Begeh­rens konstituiert.

In der Bot­schaft Peut-être rien, „Viel­leicht nichts“, geht die Mög­lich­keit [das „viel­leicht“ bzw. „kann-sein“, das Sein­kön­nen] dem rien vor­aus, dem „nichts“, das Lacan hier als „Nomi­na­tiv“ bezeich­net. [Damit könn­te das Nomen gemeint sein, rien wäre dann als „das Nichts“ aufzufassen.]

Das „nichts“ [oder „Nichts“] kann im Extrem­fall den Wert eines Ersat­zes für die Posi­ti­vi­tät anneh­men. [Zwei Jah­re spä­ter, in Semi­nar 11, wird Lacan sagen, dass im Fal­le der Mager­sucht das Kind das Nichts ver­speist; auf der Ebe­ne der Kas­tra­ti­on kön­ne das Objekt der Ent­wöh­nung als Pri­va­ti­on fun­gie­ren.149]

„Das ist ein Punkt, und ein Punkt, das ist alles.“

[Die Bot­schaft ist ein Kreu­zungs­punkt im Gra­phen, der Kreu­zungs­punkt oben links, S(Ⱥ).]

„Hier ist der Platz des ein­zi­gen Zugs, in der Lee­re auf­be­wahrt, die auf die Erwar­tung des Begeh­rens ant­wor­ten kann.“

[Lacan zeigt bei „hier“ ver­mut­lich auf den Gra­phen. Dar­in ist der Platz des ein­zi­gen Zugs der End­punkt ganz unten links, der mit I(A) bezeich­net ist, sym­bo­li­sches Ichide­al; das I reprä­sen­tiert hier­in den ein­zi­gen Zug. Die Lee­re, in der der ein­zi­ge Zug auf­be­wahrt wird, ist, mit Freud, der Ver­lust des Liebesobjekts.]

Dies [¿ die Iden­ti­fi­zie­rung mit dem ein­zi­gen Zug?] ist etwas ande­res als die Fra­ge „Nichts viel­leicht?“, d.h. etwas ande­res als die Fra­ge „Was will ich?“, die an den Ande­ren gerich­tet wird [in der Form „Was willst du?“], etwas ande­res [also] als das „viel­leicht“.

Das „viel­leicht“ [der Fra­ge „Nichts viel­leicht?“] kommt in eine Posi­ti­on, die struk­tur­ähn­lich ist zum „viel­leicht“ [der Bot­schaft „Viel­leicht nichts“].

„Viel­leicht nichts“ ist die ers­te For­mu­lie­rung der Bot­schaft. Aber ist es auch die Ant­wort auf die Fra­ge „Nichts viel­leicht?“ Gera­de nicht. [Die Bezie­hung zwi­schen „Nichts viel­leicht?“ und „Viel­leicht nichts“ ist ein Ver­hält­nis von Fra­ge und Bot­schaft, nicht von Fra­ge und Ant­wort; wäre die Bot­schaft eine Ant­wort, gäbe es zwi­schen Fra­ge und Bot­schaft kei­ne Kluft. Hier weicht Lacan von Sart­re ab, der die Nega­ti­on als Ant­wort begreift.]

Auf der Ebe­ne der Fra­ge, also von Rien peut-être? („Nichts kann-sein?“, „Nichts viel­leicht?“) hat das Wort rien („nichts“) sei­nen vol­len Wert, es wirft die Mög­lich­keit auf, dass es nicht zu einem Beschluss kommt (non-lieu de con­clure) [nicht zu einem „so ist es und nicht anders“] und dass die­se Mög­lich­keit vor­gän­gig ist gegen­über der Exis­tenz, gegen­über der Potenz des Seins. [In der For­mu­lie­rung der Fra­ge Rien peut-être? („Nichts kann sein?“) geht die Mög­lich­keit des Nichts (fra­gen­des rien) der Mög­lich­keit des Seins, dem peut-être („kann sein“), vor­aus.] [Non-lieu ist ein juris­ti­scher Ter­mi­nus, der in etwa „Ein­stel­lung des Ver­fah­rens“ bedeu­tet; die juris­ti­sche Meta­pho­rik wird im nächs­ten Satz wei­ter ausgearbeitet.]

Das „nichts“ (rien) der Fra­ge „Nichts viel­leicht?“ kann sub­stan­zia­li­siert wer­den [und wird dann zu „dem Nichts“ (néant) wie in Sar­tres Buch­ti­tel „Das Sein und das Nichts“]; und dies [also das Nichts] ist eine Sub­stan­zia­li­sie­rung des Nichts der Fra­ge [der Begriff des Nichts muss von der Fra­ge des Sub­jekts aus rekon­stru­iert wer­den, aus­ge­hend von Sar­tres ers­ter Form des Nichts].

Die Fra­ge „Nichts vielleicht?“öffnet sich dafür, dass es wahr­schein­lich ist, dass „nichts ihn als Fra­ge deter­mi­niert“, und damit ist gemeint, dass es mög­lich ist, dass man nicht zu einem Beschluss kom­men kann. [Das ist eine Umschrei­bung der Funk­ti­ons­wei­se des Sym­bols S(Ⱥ) im Gra­phen des Begeh­rens, also der Bot­schaft im obe­ren Stock­werk. Das Sym­bol S(Ⱥ) meint, dass es kei­nen Signi­fi­kan­ten gibt, der die Wahr­heit garan­tiert.] Was bleibt, ist die „unend­li­che Vor­gän­gig­keit des Kafka’schen Pro­zes­ses“ [also die Ver­wei­sung von Instanz zu Instanz, ohne dass es eine letz­te Instanz gäbe]. Dies wäre ein Fort­be­stehen der Fra­ge „mit der Unmög­lich­keit des Schlie­ßens“, mit der Unmög­lich­keit zu einem Beschluss zu kom­men, zu einem Abschluss [zu einem end­gül­ti­gen Urteil].

[An die­ser Stel­le ist Lacan von der Kate­go­rie der Mög­lich­keit zur Kate­go­rie der Unmög­lich­keit über­ge­gan­gen, auf dem Weg über die Nega­ti­on der Mög­lich­keit. In der Sit­zung vom 7. März 1962 hat­te er gesagt, das Rea­le tre­te nur vom „nicht mög­lich“ her auf. Das wird jetzt sub­stan­ti­viert und prä­zi­siert: Es gibt eine „Unmög­lich­keit“, die wor­in besteht? Dar­in, die Fra­ge des Sub­jekts abschlie­ßend zu beantworten.]

[Im Hin­ter­grund steht hier viel­leicht das Pro­blem der „unend­li­chen Ana­ly­se“, wie Freud es genannt hat.150]

„Ein­zig die Even­tua­li­tät des Rea­len gestat­tet es, etwas zu bestimmen“.

[Anders for­mu­liert, ein­zig die Mög­lich­keit der Unmög­lich­keit (der Unmög­lich­keit, die Fra­ge zu einem Abschluss zu brin­gen) erlaubt es, etwas zu „bestim­men“.]

Die Bestim­mung besteht dar­in, dass das rei­ne Fort­be­stehen der Fra­ge benannt wird. Das Fort­be­stehen der Fra­ge ist ein bestimm­tes Nichts (néant), näm­lich das Nichts, mit dem wir es auf der Ebe­ne der Fra­ge zu tun haben [also Sar­tres ers­te Form des Nichts, neben dem Nichts der Ant­wort und dem Nichts der Wahr­heit].

[Damit zeich­net sich auch ab, war­um „Viel­leicht nichts“ kei­ne „Ant­wort“ ist, son­dern eine „Bot­schaft“: Weil die Fra­ge des Sub­jekts damit nicht beant­wor­tet, son­dern als unbe­ant­wort­bar zurück­ge­wie­sen wird.]

„ ‚Viel­leicht nichts‘ könn­te auf der Ebe­ne der Bot­schaft eine Ant­wort sein, aber die Bot­schaft war gera­de kei­ne Frage.“

[Ich neh­me an, dass Lacan hier sagen woll­te: „… aber die Bot­schaft war gera­de kei­ne Ant­wort auf die Frage“.]

Auf der Ebe­ne der Fra­ge haben wir das „Nichts viel­leicht?“. Die­ses „Nichts viel­leicht?“ [„Nichts kann-sein?“, „Nichts mög­li­cher­wei­se?“] ist nur eine Meta­pher, und zwar dafür, „dass die Potenz [die Mög­lich­keit] des Seins jen­seits ist“.

„Jede Even­tua­li­tät ist hier bereits ver­schwun­den und eben­so jede Subjektivität.“

Hier [beim anfäng­li­chen „Nichts (…)?“] ist jede Even­tua­li­tät [die Bezie­hung zur Mög­lich­keit des Seins und des Nicht-seins] bereits ver­schwun­den und damit jede Sub­jek­ti­vi­tät [jede Erwar­tung]; hier gibt es nur die unend­li­che Ver­wei­sung von Sinn auf Sinn.

Ana­ly­ti­ker haben sich durch Erfah­rung dar­an gewöhnt, die­se Ver­wei­sungs­be­we­gung auf zwei Ebe­nen zu struk­tu­rie­ren. Damit ändert sich alles. Die Meta­pher ist für sie eine Ver­dich­tung [Freuds Begriff der Ver­dich­tung war von Lacan mit Jakobson als Meta­pher rede­fi­niert wor­den151.] Die Meta­pher bzw. die Ver­dich­tung beruht auf zwei Ket­ten. [In Semi­nar 5 rekon­stru­iert Lacan die Meta­pher als Über­schnei­dung zwei­er Ket­ten. Die eine Ket­te ist die der Seman­te­me mit fes­ten Bedeu­tun­gen, die ande­re Ket­te ist die der Pho­ne­me, die den Mecha­nis­men von Ver­dich­tung und Ver­schie­bung unter­lie­gen. Die­se bei­den Ket­ten haben zwei Schnitt­punk­te, und einer der Schnitt­punk­te ist die Bot­schaft, die aus einer Ver­dich­tung besteht, aus einer Meta­pher.] Die Meta­pher tritt auf uner­war­te­te Wei­se in der Bot­schaft in Erschei­nung [anders gesagt: die Bot­schaft hat die Form einer Meta­pher, einer über­ra­schen­den Signi­fi­kan­ten­sub­sti­tu­ti­on].

[Lacan erläu­tert das in Semi­nar 5 an einem von Freuds Bei­spie­len für die Ver­dich­tung, an einem Ver­spre­cher. Hei­ne lässt in den Bädern von Luc­ca den Lot­te­rie­kol­lek­teur Hirsch-Hya­c­in­th auf­tre­ten, der erzählt, er habe neben Salo­mon Roth­schild geses­sen und die­ser habe ihn ganz „famil­lio­när“ behan­delt. In Der Witz und sei­ne Bezie­hung zum Unbe­wuss­ten (1905) hat­te sich Freud immer wie­der hier­auf bezo­gen und Lacan hat­te die­sen Ver­spre­cher in den ers­ten Sit­zun­gen von Semi­nar 5 aus­führ­lich als Bot­schaft ana­ly­siert.] Er [Hirsch-Hya­c­in­th] beginnt damit, die Fra­ge der Fami­lie zu arti­ku­lie­ren [die Fra­ge nach sei­ner sozia­len Zuge­hö­rig­keit, „er behan­del­te mich ganz famil-“, anders gesagt: Wel­che Stel­lung habe ich in der Fami­lie?]. Dar­in taucht mit­ten­drin die Mil­li­on des Mil­lio­närs auf [in Gestalt von „-mil­lio­när“]. [Bringt man das mit einer Bemer­kung zusam­men, die Lacan zu Beginn die­ser Sit­zung gemacht hat­te, ist die Fra­ge des Sub­jekts nach sei­ner Posi­ti­on in der Fami­lie letzt­lich die Fra­ge nach dem Begeh­ren des Ande­ren, also viel­leicht eine Umwand­lung der Fra­ge „Was bedeu­te ich Vater und Mutter?“.]

Hier gibt es das Ein­bre­chen der Fra­ge in die Bot­schaft [gemeint ist ver­mut­lich: das Ein­bre­chen der Bot­schaft in die Fra­ge], es besteht dar­in, dass sich in der Fra­ge die Bot­schaft manifestiert.

Die Bot­schaft tritt auf dem Wege zuta­ge, auf dem wir zur Wahr­heit auf­ge­ru­fen sind: Ver­mit­tels unse­rer Fra­ge nach der Wahr­heit tritt die Bot­schaft in der Fra­ge selbst zuta­ge, nicht etwa in der Ant­wort auf die Fra­ge. [Wenn das Sub­jekt nach sei­ner Posi­ti­on in der Fami­lie fragt, nach dem Begeh­ren des Ande­ren, fragt es nach der Wahr­heit jen­seits der illu­sio­nä­ren Deu­tung die­ser Bezie­hung, und die­se Wahr­heit kommt dadurch an Licht, dass sich in der Fra­ge selbst die Bot­schaft mani­fes­tiert.  In Semi­nar 5 hat­te Lacan es so for­mu­liert: „In der Bot­schaft kommt der Sinn ans Licht. Die Wahr­heit, die es zu ver­kün­den gilt, wenn es denn Wahr­heit gibt, ist dar­in.“152] Die Wahr­heit tritt in der Fra­ge selbst zuta­ge, etwa in einem Ver­spre­cher, nicht in der Ant­wort auf die Frage.

Die­ser Punkt ist wich­tig für die Arti­ku­la­ti­on des Unter­schieds zwi­schen Äuße­rungs­vor­gang (énon­cia­ti­on) und Aus­ge­sag­tem (énon­cé). [Im Bei­spiel „famil­lio­när“ zielt das Fra­gen – ein Spre­chen, ein Äuße­rungs­vor­gangs – auf etwas Aus­ge­sag­tes; die Stel­lung inner­halb der Fami­lie ist etwas, wor­über gespro­chen wird, sie gehört zur dis­kur­siv erzeug­ten gemein­sa­men Rea­li­tät, wie Lacan in Semi­nar 5 sagt.153 Der Ein­bruch des Signi­fi­kan­ten „Mil­lio­när“ in die­se Fra­ge liegt auf der Ebe­ne des Äuße­rungs­vor­gangs, der Sprech­vor­gang gerät hier ins Stolpern.]

Wenn die Mög­lich­keit des „nichts“ („rien“) nicht bewahrt wird, hin­dert uns das dar­an, die Kluft zu sehen, die den Ursprung für jede wirk­lich sub­jek­ti­ve Arti­ku­la­ti­on bil­det [die Kluft zwi­schen der Fra­ge und der Bot­schaft].

Dabei ist die Kluft [zwi­schen der Fra­ge und der Bot­schaft] all­ge­gen­wär­tig [etwa in Gestalt des Ver­spre­chers].

Die All