Jacques Lacan
Seminar XVIII, Über einen Diskurs, der nicht vom Schein wäre
7. Sitzung, 12. Mai 1971: Lituraterre (I)
Übersetzung mit Anmerkungen
Edgar Degas, Monsieur et Madame Manet,
ca. 1868, Öl auf Leinwand, 66 x 71 cm,
Kitakyūshū Municipal Museum of Art, Kitakyūshū (Japan)
Informationen zum Zerschneiden der Leinwand hier
Jacques Lacan:
Seminar 18 (1971): Über einen Diskurs, der nicht vom Schein wäre
Lituraterre (I) – Sitzung vom 12. Mai 1971
Übersetzt von Rolf Nemitz
Vollständige Übersetzung von Seminar 18 auf der Grundlage von Version Staferla, Version Espaces Lacan und einer Tonaufnahme, Teil 7/10
In Millers Version des Seminars ist dies Kapitel VII, „Leçon sur Lituraterre“ („Vorlesung über Lituraterre“), S. 113–127.
Die Übersetzung wird zweimal gebracht, zunächst einsprachig deutsch, dann zweisprachig, Satz für Satz gegenüberstellelnd.
Die zweisprachige Fassung enthält in den Anmerkungen zum französischen Text Hinweise auf Transkriptionsprobleme und auf größere Abweichungen in Millers Version; im deutschen Text findet man Links und Bilder, in den Anmerkungen zum deutschen Text Literaturangaben und inhaltliche Erläuterungen.
Einen Überblick über die verschiedenen Ausgaben von Seminar 18 findet man hier, Links zu Übersetzungen weiterer Sitzungen des Seminars hier.
Eine große Hilfe bei der Übersetzung waren Gerhard Herrgott und Eva Maria Jobst, herzlichen Dank an beide! Nützlich war auch die englische Übersetzung von Seminar 18 durch Cormac Gallagher. Und tausend Dank an Steffen Dietz fürs unverhoffte und gründliche Korrekturlesen!
Zu „Lituraterre“
Dieser Artikel wurde zuerst veröffentlicht am 21. März 2015.
In Lituraterre (1971) erläutert Lacan, was er unter dem Buchstaben (lettre) versteht und wie er ihn vom Signifikanten abgrenzt. Im Folgenden findet man meine Übersetzung, mit ausführlichen Anmerkungen. Dies ist die erste deutsche Übersetzung.
Lituraterre gibt es in zwei Fassungen. Eine erste Fassung trug Lacan am 12. Mai 1971 in seinem Seminar vor, Seminar 18 von 1971, D’un discours qui ne serait pas du semblant („Über einen Diskurs, der nicht vom Schein wäre“). Eine zweite Fassung erschien im selben Jahr in der Zeitschrift Littérature1. Ich nenne die Transkription der im Seminar vorgelesene Fassung Lituraterre (I), die von Lacan zum Druck gebrachte Fassung Lituraterre (II). Im Folgenden wird Lituraterre (I) übersetzt.
Eine Gegenüberstellung der beiden Versionen, von unbekannter Herkunft, findet man auf der Seite von Patrick Valas.
Die Anmerkungen zum deutschen Text in der zweisprachigen Darstellung enthalten Erläuterungen und Parallelstellen. Die meisten Parallelstellen sind aus Seminar 18. Da es von diesem Seminar bislang keine deutsche Fassung gibt, habe ich in den Anmerkungen üppig daraus übersetzt, etwa 20 Druckseiten. Die Übersetzung dieser Passagen bezieht sich auf Millers Version von Seminar 18. Zu beachten ist also, dass ich Seminar 18 nach zwei verschiedenen Versionen übersetze: Lituraterre I wird nach Version Espaces Lacan übersetzt, alle anderen Passagen nach Version Miller. Weitere Parallelstellen sind aus Radiophonie (1970) – in der ersten Sitzung von Seminar 18 hatte Lacan seine Zuhörer aufgefordert, diesen Text zu lesen.
NACHTRAG vom 9. Mai 2019: Eine Übersetzung von Lituraterre (II) findet man jetzt auf dieser Website hier.
Zum deutschen Text
Der Leser wird gebeten, seinen Wortschatz durch fünf Termini zu erweitern: durch den Fachbegriff „Litoral“, durch das lateinische Wort „litura“, durch den Ausdruck „Letter“ in verzerrter Bedeutung und schließich durch die beiden Neologismen „literal“ und „Ratur“.
– „Litoral“: Ein Schlüsselbegriff von Lituraterre ist das französische Wort litoral. Die deutsche Entsprechung ist „Litoral“ (ja, das gibt es) und ein Litoral ist die Zone, wo Land und Wasser aufeinanderstoßen: „Küstenstreifen“, „Uferzone“, „Uferstreifen“, „Strand“ usw.; im Niederdeutschen sagt man „Waterkant“. Das deutsche Adjektiv „litoral“ meint laut Duden: „die Küsten-, Ufer-, Strandzone betreffend“.
– „Litura“: In dem von Lacan erfundenen Wort „Lituraterre“ steckt, wie er selbst sagt, das lateinische Wort litura, „Streichung“, im Sinne der Streichung in einem Text. Das Wort „Lituraterre“ ist nicht nur eine Silbenverdrehung von „Littérature“ (Literatur), sondern auch die Verbindung von litura, „Streichung“, mit terre „Erde“.
– „Letter“: Normalerweise versteht man unter einer Letter ein Element einer Satzschrift aus Blei, also einen materiellen Körper, mit dem ein Schriftzeichen erzeugt wird, sei dies ein Buchstabe, eine Ziffer oder ein Satzzeichen. In Lacans Text ist die Lautähnlichkeit von lettre („Buchstabe“) und littérature („Literatur“) wichtig. Um sie ins Deutsche hinüberzuretten, verwende ich im Folgenden „Letter“ im Sinne von „Buchstabe“ und zugleich „Brief“, also in verschobener Bedeutung. Ich folge damit Rodolphe Gasché, der in seiner Übersetzung von Lacans Poe-Aufsatz in den von N. Haas herausgegebenen Schriften I den französischen Ausdruck lettre aus demselben Grunde bisweilen mit „Letter“ übersetzt.
– „literal“: Das französische Wort littéral meint „buchstäblich“ oder „wörtlich“; da Lacan die Nähe zu lettre, „Buchstabe“ betont, ist „buchstäblich“ die naheliegende Übersetzung. Damit verschwindet jedoch die Anspielung auf littérature („Literatur“) sowie auf das englische Wort litter („Abfall“). Ich führe deshalb ein neues Wort ein und übersetze littéral mit „literal“. „Literal“ meint also „buchstäblich“, mit Anspielung auf „Literatur“ und auf den Abfall.
– „Ratur“: Das französische Wort rature bedeutet „Streichung“, im Sinne der Streichung in einem Text; das lateinische Wort litura kann mit rature ins Französische gebracht werden. Wenn man rature mit „Streichung“ übersetzt, geht verloren, dass Lacan damit spielt, dass rature den zweiten Teil des Wortes littérature bildet, dass littérature also auch so gelesen werden kann: litter-rature. „Abfall-Streichung“. Um diesen Zusammenhang ins Deutschen zu bringen, habe ich einen weiteren Neologismus gebildet: „Ratur“, womit also die Streichung gemeint ist.
Textgrundlage
Lituraterre I gibt es in mehreren Versionen. Die Übersetzung folgt der Version, die man auf der Internetseite „Espaces Lacan“ findet; bei dieser Fassung handelt es sich um die Wort-für-Wort-Transkription einer Tonaufzeichnung.
Ich habe die Version von Espaces Lacan mit drei anderen Versionen verglichen: mit Version Chollet, einer Stenotypie, also einer stenografischen Mitschrift, mit Millers Version dieser Sitzung in der offiziellen Ausgabe von Seminar 18, und außerdem mit Lituraterre II, also mit der von Lacan in der Zeitschrift Littérature veröffentlichten Fassung. Die wichtigsten Abweichungen habe ich in den Anmerkungen zum französischen Text vermerkt.
Die Tonaufnahme findet man auf der Website von Patrick Valas, valas.fr, hier. Millers Version ist: J. Lacan: Le séminaire, livre XVIII. D’un discours qui ne serait pas du semblant. 1971. Textherstellung Jacques-Alain Miller. Le Seuil, Paris 2007.
Wörter mit Sternchen: im Original deutsch.
Der Schrägsstrich / verbindet Übersetzungsvarianten.
Einfügungen in eckigen Klammern sind nicht von Lacan.
Zahlen in eckigen Klammern und grauer Schrift, z.B. [10], verweisen auf die Seiten von Millers Ausgabe des Seminars.
Sitzung vom 12. Mai 1971
Tonaufnahme
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Deutsch
Zahlen in eckigen Klammern und grauer Schrift verweisen auf die Seiten von Millers Ausgabe des Seminars.
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[113] (An der Tafel) Lituraterre
Das Wort, das ich gerade angeschrieben habe, ist der Titel für das, was ich Ihnen heute anbieten möchte; da Sie hier zusammengerufen worden sind, ist es wohl nötig, dass ich Ihnen etwas zuwerfe.
Offensichtlich haben mich dazu aktuelle Ereignisse angeregt: das ist der Titel, mit dem ich mich bemüht habe, auf eine Anfrage zu antworten, die an mich gerichtet worden ist, nämlich eine Zeitschriftennummer, die demnächst erscheinen soll, über Literatur und Psychoanalyse einzuleiten.
Dieses Wort, Lituraterre, das ich erfunden habe, findet seine Rechtfertigung im Ernout und Meillet, es gibt hier ja vielleicht einige, die wissen, was das ist; das ist ein etymologisches Lexikon des Lateinischen, das gar nicht so dumm gemacht ist. Schlagen Sie nach unter lino, litura, Sie werden’s finden, und dann unter liturarius; es wird deutlich darauf hingewiesen, dass das mit littera, mit dem Buchstaben, nichts zu tun hat. Dass das nichts damit zu tun hat, ist mir egal. Ich unterwerfe mich nicht zwangsläufig der Etymologie, wenn ich mich diesem Wortspiel hingebe, aus dem gelegentlich ein Witz gemacht wird; der contrepet, der Schüttelreim, der hier evident ist, kam mir auf die Lippen und die Umstellung zu den Ohren. Es ist nicht von ungefähr, dass Sie, wenn Sie eine Fremdsprache lernen, von dem, was Sie gehört haben, den ersten Konsonanten an die zweite Stelle setzen und den zweiten an die erste.
Dieses Lexikon also, in dem man nachschlagen möge, liefert mir günstige Vorzeichen, da es sich auf denselben départ, auf denselben Ausgangspunkt, gründet wie ich, als ich in einer ersten Bewegung – ich meine départ im Sinne von répartie, Aufteilung – von einer Äquivokation ausgegangen bin, bei der Joyce – ich spreche hier von James Joyce –, bei der James Joyce von a letter zu a litter gleitet, von einem Brief/Buchstaben – übersetzt – zu einem Abfall. Es gab, vielleicht erinnern Sie sich daran, aber sehr wahrscheinlich haben Sie nie etwas davon gehört, es gab eine Mäzenin, die ihm Gutes wollte und ihm eine Psychoanalyse anbot und dass es sogar eine bei Jung war, die sie ihm anbot. Bei dem Spiel, das wir erwähnen, hätte er nichts gewonnen, denn er ging ganz direkt, mit diesem a letter, a litter, ganz direkt auf das Beste dessen zu, was man von einer Psychoanalyse an ihrem Ende erwarten kann.
Wenn er den lettre zu litière macht, den Brief/Buchstaben zu Streu, ist das dann wieder der Heilige Thomas – Sie erinnern sich vielleicht, Sie haben nie davon gehört? –: sicut palea, ist das wieder der Heilige Thomas, der Joyce hier wieder in den Sinn kommt, wie sein Werk es von vorne bis hinten bezeugt?
Oder ist es die Psychoanalyse |[114], die ihre Konvergenz mit dem bekundet, was unsere Zeit als Lockerung des alten Bandes anklagt, durch das in der Kultur die Verschmutzung gezügelt wird? Ich habe das ein bisschen weiter ausgeführt, wie durch Zufall kurz vor dem Mai ’68, um an diesem Tag die Verlorenen dieser Menschenmengen nicht leer ausgehen zu lassen, die ich, wie es aussieht, jetzt verschiebe, wenn ich irgendwo einen Besuch mache; in Bordeaux war das. Die Zivilisation, daran hatte ich dort als Voraussetzung erinnert, ist der Abwasserkanal. Natürlich muss man sagen, dass das war, kurz nachdem mein Vorschlag vom Oktober ’67 auf die Weise aufgenommen worden war, die Ihnen bekannt ist, wozu man natürlich sagen muss, dass ich, als ich damit spielte, sicherlich des Mülleimers ein wenig müde war, mit dem ich mein Schicksal vernietet hatte.
Wie man jedoch weiß, bin ich nicht der Einzige, der, da er es geteilt hat, es einzugestehen hat. Das avouère, das Eingestehen, oder, um es für Sie auf die alte Weise auszusprechen, das avoir, das Haben – das Beckett mit den Freuden all dieser Abfälle unseres Seins in Ausgleich bringt –, dieses avouère rettet die Ehre der Literatur, und es entbindet mich, was mir ganz angenehm ist, von dem Privileg, von dem ich glauben könnte, es durch meinem Platz innezuhaben.
Die Frage ist, ob das, was die Handbücher von dem, was es gibt, zur Schau zu stellen scheinen, ich spreche von den Handbüchern der Literatur, ob es dies ist, dass die Literatur eine Resteverwertung ist. Geht es bei ihr darum, im Geschriebenen das zu ko-notieren, was ursprünglich zunächst Gesang wäre, gesprochener Mythos, Dramenprozession?
Was die Psychoanalyse angeht, dass sie am Ödipus hängt, am Ödipus des Mythos, qualifiziert sie in keiner Weise dazu, mit dem Text des Sophokles zurechtzukommen, das ist nicht dasselbe. Dass Freud sich auf einen Text von Dostojewski bezieht, reicht nicht hin, um zu sagen, die Textkritik, bis dahin Domäne des Universitätsdiskurses, habe durch die Psychoanalyse frischen Wind bekommen.
Wenn mein Unterricht jedoch in einer Veränderung der Konfiguration stattfindet, die sich gegenwärtig, unter den Farben der Aktualität, die sich gegenwärtig mit dem Slogan präsentiert, das Geschriebene zu fördern --; aber diese Veränderung, von der dieses Zeugnis, beispielsweise dass heutzutage endlich Rabelais gelesen wird, zeigt, dass sie vielleicht auf einer Verschiebung im Bereich der Literatur beruht, mit der ich besser zusammenpasse.
Als Autor bin ich weniger involviert als man sich vorstellt. Meine Schriften, ein Titel, der ironischer ist, als man glauben mag, da es sich alles in allem entweder um Berichte handelt, die sich auf Kongresse beziehen, oder – sagen wir, ich hätte gern, dass man sie so versteht – um offene Briefe, in denen ich zu einem Stück meines Unterrichts jedes Mal sicherlich Fragen aufwerfe. Aber letztlich gibt das dafür den Ton an. |[115] Statt mich aber auf dieses literarische Geknutsche einzulassen, das den Psychoanalytiker kennzeichnet, dem es an Erfindungsgabe mangelt, verurteile ich darin den unausbleiblichen Versuch, worin er die Wechselhaftigkeit seiner Praxis beweist, auch nur das geringste literarische Urteil zu begründen.
Es ist jedoch auffallend, dass ich diese Sammlung meiner Schriften mit einem Artikel eröffnet habe, den ich dadurch isoliere, dass ich ihn aus seiner Chronologie herausnehme – die Chronologie ist hier die Regel –, und dass es sich dabei um eine Erzählung handelt, die selbst insofern ziemlich speziell ist, muss man sagen, als sie in der geordneten Liste dramatischer Situationen – Sie wissen, dass man so etwas gemacht hat – nicht unterzubringen ist. Aber lassen wir das.
Sie, diese Erzählung, wird durch das bestimmt, was durch das Versenden eines Schreibens geschieht, wer über diese Nachsendungen weiß, und auf welche Elemente sich stützt, dass ich über diese Letter sagen kann, dass ich über sie sagen kann, dass eine Letter immer ihren Bestimmungsort erreicht, und dies nach den Umwegen, der sie in der conte, in der Erzählung, unterworfen wurde; le compte, die Rechnung, wenn ich so sagen kann, wird ohne Rückgriff auf seinen contenu, seinen Inhalt, aufgemacht, auf den Brief. Das ist bemerkenswert an der Wirkung, die er auf diejenigen ausübt, die sich nacheinander zu seinen Besitzern machen, so begierig sie auch auf die Macht sein mögen, die er überträgt, sodass man hier, wie ich es tue, behaupten kann, dass diese Illusionswirkung nur als ein Feminisierungseffekt artikuliert werden kann. Das heißt – ich entschuldige mich, darauf zurückzukommen –, hier die Letter klar vom Herrensignifikanten zu unterscheiden – ich spreche über das, was ich tue –, insofern sie ihn hier mit sich führt, sie führt ihn in ihrem Umschlag mit, denn es handelt sich um eine Letter im Sinne des Wortes Brief. Nun, ich behaupte, dass ich hier von dem Wort Letter keinen metaphorischen Gebrauch mache, da die Erzählung genau darin besteht, dass in ihr wie in einer Taschenspielerei die Botschaft zum Verschwinden gebracht wird, wobei es allein das Geschriebene ist, also der Brief im eigentlichen Sinn, was die Wendepunkte herbeiführt.
Falls meine Kritik Anlass gibt, für Literaturkritik gehalten zu werden, hätte sie sich hier also nur auf das bezogen – und das versuche ich –, was Poe selbst als Schriftsteller getan hat, um eine solche Botschaft über die Letter zu gestalten. Klar ist: wenn er es nicht so sagt, nicht so wie ich es sage, ist das nicht unzureichend, es ist umso strenger, als er es eingesteht.
Nichtsdestoweniger, die Elision, die Elision seiner Botschaft könnte nicht mithilfe irgendeines Zuges seiner Psychobiografie aufgeklärt werden, eher würde sie, diese Elision, dadurch verschüttet werden; eine Psychoanalytikerin, die die anderen Texte von Poe, man erinnert sich vielleicht daran, gründlich abgescheuert hat, steigt hier mit ihrem Putzlappen aus – sie rührt nicht dran, die Marie. |[116] So viel zum Text von Poe.
Was aber meinen eigenen Text angeht, könnte er nicht durch meine eigene Psychobiografie aufgeschlüsselt werden? Beispielsweise durch den Wunsch, den ich bilden würde, nämlich eines Tages auf angemessene Weise gelesen zu werden? Aber damit das einen Wert hätte, dafür wäre zunächst einmal nötig, dass man ausführt, dass derjenige, der eine solche Deutung ausarbeiten würde, ausführt, was ich darunter verstehe, dass die Letter dazu gelangt, dass sie, wie ich sage, immer ihren Bestimmungsort erreicht. Das ist vielleicht der Punkt, wo ich den Verehrern der Schrift im Augenblick nahestehe.
Dass die Psychoanalyse hier wie üblich von der Literatur etwas empfängt, ist sicher; sie könnte von ihr zunächst das Samenkorn nehmen, das in einer weniger psychobiografische Vorstellung von der Triebfeder der Verdrängung bestünde.
Was mich angeht, wenn ich der Psychoanalyse den Text von Poe vorschlage, mit dem, was dahinterliegt, dann eben deshalb, weil sie ihn nur in der Weise angehen kann, dass sie hier ihr Scheitern zeigt. Damit kläre ich sie auf, die Psychoanalyse. Und man weiß es, man weiß, dass ich weiß, dass ich damit – das steht auf dem Rückdeckel meines Bandes – die Aufklärung anrufe. Ich kläre sie jedoch auf, um zu zeigen, wo sie, die Psychoanalyse, ein Loch macht. Daran ist nichts Illegitimes, das hat bereits Frucht getragen, in der Optik weiß man das seit langem, und die neueste Physik, die der Photonen, hat sich damit bewaffnet. Durch diese Methode könnte die Psychoanalyse ihr Eindringen in die Literaturkritik besser rechtfertigen. Das würde heißen, dass die Literaturkritik dazu kommen würde, sich tatsächlich zu erneuern, von daher, dass die Psychoanalyse dazu da wäre, dass die Texte sich an ihr messen, genau von daher, dass das Rätsel auf der Seite der Psychoanalyse bleibt, dass sie sprachlos wäre.
Aber diejenigen Psychoanalytiker, bei denen es keine Verleumdung ist, zu behaupten, dass sie, statt die Psychoanalyse auszuüben, von ihr ausgeübt werden, verstehen meine Behauptungen schlecht, zumindest als Körper genommen. An sie gewendet setze ich Wahrheit und Wissen einander entgegen. Erstere ist das, worin sie ihr Amt sogleich erkennen, während es, auf der Anklagebank, ihre Wahrheit ist, auf die ich warte. Ich beharre darauf – um meinen Schuss damit zu korrigieren –, dass ich sage, savoir en échec, „Wissen im Schach“, das ist das, wo die Psychoanalyse sich den Augen zeigt. Savoir en échec‚ „Wissen im Schach“ – so wie man sagt figure en abyme, „Figur am Abgrund“, Figur, die sich in sich selbst wiederholt –, damit ist nicht das Scheitern des Wissens gemeint. Und sogleich erfahre ich, dass man sich davon dispensiert glaubt, irgendein Wissen unter Beweis zu stellen.
Wäre es dann ein toter Buchstabe, den ich in den Titel eines dieser Stücke gesetzt habe, die ich Schriften genannt habe, des Buchstabens, über das Drängen, als Grund, als Räson des Unbewussten?
Genügt das nicht, um im Buchstaben das zu bezeichnen, was, da es ja insistieren muss, nicht mit vollem Recht da ist, mit wie starker Räson auch immer es vorgebracht wird?
Diese raison, dieses Verhältnis, als raison moyenne oder raison extrême zu bezeichnen, als mittleres oder äußeres Verhältnis, das heißt, wie ich es bei Gelegenheit bereits getan habe, die |[117] Bifidität zu zeigen, in der jede Messung sich vollzieht.
Gibt es aber im Realen nichts, das ohne diese Vermittlung auskommt?
Das könnte die Grenze sein, la frontière. Die Grenze, insofern sie zwei Territorien voneinander trennt, hat nur einen Fehler, aber der ist beträchtlich: sie symbolisiert, dass sie von derselben Sorte sind, wenn ich so sagen darf, in jedem Fall für jeden, der sie überschreitet. Ich weiß nicht, ob Sie sich dabei aufgehalten haben, aber das ist das Prinzip, von dem aus ein gewisser von Uexküll eines Tages den Terminus Umwelt* fabriziert hat. Das beruht auf dem Prinzip, dass sie der Reflex der Innenwelt* ist. Damit wird die Grenze zu einer Ideologie befördert. Dieser Ausgangspunkt ist offenkundig ein Ärgernis, eine Biologie – denn es war eine Biologie, die er, von Uexküll, damit begründen wollte –, eine Biologie, die sich bereits ganz zu Anfang darstellt, vor allem die Tatsache der Anpassung, die für diese Kopplung von Umwelt und Innenwelt den Hintergrund abgibt. Offenkundig ist die Selektion, die Selektion als Typ von Ideologie auch nicht mehr wert; wenn sie sich selbst als natürlich absegnet, ist sie darum nicht weniger ideologisch.
Ich werde Ihnen etwas vorschlagen, einfach so, ganz brutal, um an a letter, a litter anzuschließen.
Ich will Ihnen sagen: Ist die Letter nicht das Literale, das auf das Litoral zu gründen ist? / Ist der Buchstabe nicht das Buchstäbliche, das auf die Uferzone zu gründen ist? Denn das ist etwas anderes als eine Grenze; im Übrigen haben Sie bemerken können, dass man das niemals verwechselt. Das Litoral ist das, was einen Bereich erzeugt, als einen, der in seiner Gänze für einen anderen Bereich eine, wenn Sie so wollen, Grenze bildet, aber eben von daher, dass sie absolut nichts Gemeinsames haben, nicht einmal eine reziproke Beziehung.
Ist der Buchstabe nicht eigentlich litoral, der Rand – le bord – des Lochs im Wissen, den die Psychoanalyse genau dann bezeichnet, wenn sie sich ihr, der Letter, annähert – aborde –, ist es nicht das, was sie bezeichnet?
Es hat etwas Komisches, festzustellen, wie die Psychoanalyse sich gewissermaßen durch ihre eigene Bewegung verpflichtet, den Sinn dessen zu verkennen, was jedoch, so muss man wohl sagen, der Buchstabe buchstäblich sagt, mit seinem Mund, wenn all ihre Deutungen auf die Jouissance hinauslaufen. Zwischen Jouissance und Wissen würde die Letter das Litoral bilden.
All das verhindert nicht, dass das, was ich über das Unbewusste gesagt habe, wenn wir dabei bleiben, dass es gleichwohl den Vorrang hat, ohne welchen das, was ich vorbringe, absolut keinen Sinn hätte. Es bleibt zu wissen, wie das Unbewusste – von dem ich sage, dass es eine Wirkung der Sprache ist, da es deren Struktur als notwendig und hinreichend voraussetzt –, wie es diese Funktion des Buchstabens steuert.
Dass er ein für das Aufschreiben des Diskurses geeignetes Instrument ist, macht ihn keineswegs dafür untauglich, dem, was ich damit mache, zu dienen, wenn ich ihn beispielsweise in Das Drängen des |[118] Buchstabens, worüber ich vorhin zu Ihnen gesprochen habe, dazu verwende, um jenes Spiel zu zeigen, das jemand, nämlich Jean Tardieu, so nennt: das Wort, das für ein anderes genommen wird, ja, das Wort, das durch ein anderes genommen wird, anders gesagt: Metapher und Metonymie als Wirkungen des Satzes. Das symbolisiert also leicht all seine Signifikanteneffekte, aber das nötigt keineswegs dazu, dass er, der Buchstabe, in eben diesen Effekten primär wäre, für die er mir als Instrument dient. Eine Überprüfung nötigt sich weniger hinsichtlich dieses Primats auf, das nicht einmal zu vermuten ist, sondern in Bezug auf das, was in der Sprache das Litorale zum Literalen aufruft. Nichts von dem, was ich mithilfe von Buchstaben über die Bildungen des Unbewussten geschrieben habe, um sie aus dem zurückzugewinnen, was Freud darüber formuliert, aus Aussagen ganz einfach über Sprachtatsachen, nichts erlaubt es, wie es geschehen ist, den Buchstaben mit dem Signifikanten zu verwechseln. Das, was ich mithilfe von Buchstaben über die Bildungen des Unbewussten geschrieben habe, autorisiert nicht dazu, aus dem Buchstaben einen Signifikanten zu machen und ihm darüber hinaus einen Primat gegenüber dem Signifikanten zuzuweisen.
Ein derart verwirrter Diskurs hat nur aus dem auftauchen können, aus dem Diskurs, qui m’importe, der mir wichtig ist. Und der mich in einen anderen Diskurs importiert, den ich zu gegebener Zeit als Universitätsdiskurs bezeichne, nämlich, wie ich seit eineinhalb Jahren hinreichend, so denke ich, herausgestellt habe, nämlich als Diskurs des Wissens, das ausgehend vom semblant, vom Schein, in Gebrauch genommen wird. Das geringste Gefühl, dass die Erfahrung, mit der ich zu tun habe, nur von einem anderen Diskurs her verortet werden kann als von diesem da, ich hätte das Produkt dieses Diskurses vor dem schützen müssen, was ich nicht mehr als meinen bezeichne, ohne es einzugestehen. Man hat mir das erspart, Gott sei Dank, was nicht verhindert, dass man mich belästigt, indem man mich importiert.
Auch wenn ich die Modelle akzeptabel gefunden hätte, die Freud in einem Entwurf artikuliert, in dem er die Bahnung beschreibt, das Ausbohren ungenauer Wege, hätte ich daraus dennoch nicht die Metapher der Schrift übernommen. Und es ist genau dieser Punkt, an dem ich den Entwurf nicht akzeptabel finde. Die Schrift ist nicht impression, nicht Einprägung, auch wenn das allem zuwiderläuft, was an Blabla über den berühmten Wunderblock* geschrieben worden ist.
Wenn ich mich auf den sogenannten zweiundfünfzigsten Brief stütze, dann, weil ich hier lese, was Freud mit einem von ihm gebildeten Ausdruck als Wz bezeichnen konnte, als Wahrnehmungszeichen, und um festzustellen, dass es das ist, was er als das finden konnte, was dem Signifikanten am nächsten kommt, zu einem Zeitpunkt, als Saussure ihn noch nicht wieder zu Tage gefördert hatte, diesen berühmten Signifikanten, der allerdings nicht auf ihn zurückgeht, sondern auf die Stoiker. Dass Freud ihn da mit zwei Buchstaben schreibt, so wie |[119] ich ihn übrigens mit nur einem schreibe, beweist in keiner Weise, dass der Buchstabe primär wäre.
Ich werde heute also versuchen, Ihnen den Kern dessen anzuzeigen, was mir den Buchstaben / die Letter, als Konsequenz zu produzieren scheint, sowie den Kern der Sprache, genau dessen, dass ich sage, dass derjenige sie bewohnt, der spricht. Ich werde die traits davon – die Merkmale, die Züge – dem entlehnen, was es von einer Ökonomie der Sprache her erlaubt, das zu entwerfen, wodurch meiner Meinung nach gestützt wird, dass Literatur dabei sein könnte, in Lituraterre umzuschlagen. Wundern Sie sich nicht, mich hier dabei zu sehen, wie ich in einer literarischen Beweisführung voranschreite, denn das heißt, im selben Schritt zu marschieren wie in dem, in dem die Frage selbst vorankommt. Man wird hier sehen können, wie erkennbar wird, was eine Beweisführung, die ich als literarisch bezeichne, sein kann.
Ich bin immer ein bisschen au bord, am Rande, warum nicht dieses Mal m’y lancer, mich hineinstürzen / an Bord gehen.
Ich komme von einer Reise zurück, die ich nach Japan machen wollte, wegen dem, was ich auf einer ersten, auf einer ersten Reise als Litoral erfahren hatte. Man kann mich von dem her verstehen, was ich eben über die Umwelt* gesagt habe, die ich eben deshalb zurückgewiesen habe, weil sie die Reise unmöglich macht, was, wenn Sie sich an meine Formeln halten, heißen würde, ihr Reales zu sichern. Nur, das ist verfrüht, es ist der Start, den das unmöglich macht, außer dass „abfahren, abfahren“ gesungen wird, was übrigens häufig vorkommt.
Ich möchte nur einen Moment dieser Reise festhalten, einen, den ich wobei aufgenommen habe? Auf einer neuen Flugroute, die ich einfach deshalb nahm, weil sie, als ich das erste Mal flog, schlicht verboten war. Ich muss gestehen, dass es nicht auf dem Hinflug war, entlang dem Polarkreis, den diese Route dem Flugzeug vorzeichnet, dass ich zu lesen begonnen habe, und zwar was? das, was ich von der sibirischen Ebene sah.
Ich bin dabei, für Sie einen Versuch in Sibiriethik zu machen. Dieser Versuch hätte nicht das Tageslicht erblickt, wenn das Misstrauen der Sowjets, nicht mir gegenüber, sondern Flugzeugen gegenüber, mich die Industrieanlagen und die militärischen Einrichtungen hätte sehen lassen, die den Wert von Sibirien ausmachen. Aber dieses Misstrauen ist ja eine Bedingung, die wir als akzidentell bezeichnen möchten, warum nicht gar als okzidentell, wenn man hier ein bisschen occire, töten, hineinlegt. Was vor uns liegt, ist die Aufschichtung von Südsibirien.
Die einzige entscheidende Bedingung ist hier die Bedingung des Litorals. Da ich nun aber ein klein bisschen dickfellig bin, kam sie für mich erst auf dem Rückflug ins Spiel, da sie buchstäblich darin bestand, dass Japan mir durch seine Letter zweifellos diesen ein wenig zu starken Kitzel verschafft hatte, was genau das ist, was es braucht, |[120] damit ich ihn spüre. Ich sage, „dass ich ihn wieder spüre“, weil ich das ja, um ihn zu verorten, um ihn vorauszusehen, bereits hier gemacht hatte, als ich zu Ihnen ein klein wenig über die japanische Sprache sprach, über das, wovon sie, diese Sprache, eigentlich affiziert wird, nämlich von der Schrift; ich habe Ihnen das bereits gesagt.
Dafür war sicherlich nötig, für dieses klein bisschen zu viel war nötig, dass das, was man Kunst nennt, etwas vorstellt. Das beruht darauf, dass die japanische Malerei hier ihre Ehe mit dem Buchstaben demonstriert und zwar genau in Gestalt der Kalligrafie. Das fasziniert mich, diese Sachen, die hängen, Kakemono, so schwatzt man das, diese Sachen, die dort an jeder Museumsmauer hängen und die Inschriften tragen, aus chinesisch gebildeten Schriftzeichen, was ich ein wenig kenne, sehr wenig, aber das Wenige, was ich weiß, ermöglicht es mir, zu ermessen, was in der Kursivschrift getilgt wird, in der das Singuläre der Hand das Universale erdrückt, also eigentlich das, worüber ich Ihnen beibringe, dass es nur vom Signifikanten her einen Wert hat. Ich erinnere Sie daran, ein Strich – ein trait –, der immer vertikal ist, das ist auch dann wahr, wenn es keinen Strich gibt. Also in der Kursivschrift finde ich das [chinesische] Schriftzeichen nicht wieder, weil ich Anfänger bin, das ist jedoch nicht das Wichtige. Denn das, was ich dieses Singuläre nenne, kann eine festere Form stützen.
Das Wichtige ist, was es hier hinzufügt, das ist eine Dimension, oder auch – ich habe Ihnen ja beigebracht, damit zu spielen – eine demansion, wo das wohnt, was ich für Sie bereits im letzten oder vorletzten Seminar, glaube ich, eingeführt habe, ein Wort, das ich, um mich zu amüsieren, als Papeludun schreibe [pas plus d’un, „nicht mehr als einer“]. Das ist die Dimension, von der Sie wissen, dass sie es mir ermöglicht, das ist natürlich leicht gesagt, von Peanos kleinem Mathematikspiel usw. und von der Art, wie Frege vorgehen muss, um die Reihe der „natürlichen Zahlen“, in Anführungszeichen, auf die Logik zu reduzieren --, die Dimension also, von wo aus ich das Subjekt in das einsetze, in das, was ich heute noch nennen werde, weil ich Literatur mache und weil ich guter Laune bin. Sie werden es wiedererkennen, ich schreibe es in einer anderen Form als dieses, das Hun-en-peluce [ähnlich klingend wie un en plus, „eins mehr“], das ist sehr nützlich, nicht wahr, das setzt sich an die Stelle von dem, was ich l’Achose mit großem A nenne, das Unding, und das verstopft sie mit dem klein a. Es ist vielleicht kein Zufall, dass es so, wie ich es bezeichne, auf einen Buchstaben reduziert werden kann.
Auf der Ebene der Kalligrafie ist es dieser Buchstabe, der den Einsatz einer Wette ausmacht, einer Wette, aber welcher? einer Wette, die mit Tinte und Pinsel gewonnen wird.
So also erschien mir unbezwinglich, unter einer Bedingung, die hier festzuhalten ist, nämlich von zwischen den Wolken her, erschien mir das Strömen, was die einzige Spur ist, die sich zeigt, die hier in diesen Breiten die Oberflächengestalt mehr zu erzeugen als anzuzeigen schien, |[121] dessen, was man die sibirische Ebene nennt, eine wirklich verlassene Ebene, verlassen von jedweder Vegetation, jedoch mit Reflexen, Reflexen dieses Strömens, die das, was nicht spiegelt, in den Schatten stoßen.
Was ist das, dieses Strömen? Das ist eine Bündelung.
Das bildet eine Verbindung, das ist das, was ich an anderer Stelle unterschieden habe als ersten trait – als ersten Zug oder Strich –und als das, was ihn auslöscht. Ich habe es bereits früher gesagt, aber man vergisst immer einen Teil der Sache, ich habe es in Bezug auf den unären Zug gesagt: das, wodurch das Subjekt sich bezeichnet, ist das Auslöschen des Zugs. Es markiert sich also in zwei Schritten, sodass sich hier das auszeichnet, was Streichung ist.
Litura – Lituraterre: Streichung jeglicher Spur, die zuvor da war, das ist das, was das Litoral zum Terrain macht. Reine litura, das ist Literales, Buchstäbliches.
Diese Streichung zu reproduzieren, heißt, diese Hälfte zu reproduzieren, diese Hälfte, von der her das Subjekt Bestand hat. Diejenigen, die schon länger da sind – davon muss es immer weniger geben –, müssen sich an das erinnern, was ich mal über die Abenteuer eines halben Huhns erzählt habe.
Die definitive Streichung zu produzieren, eben darin besteht die Leistung der Kalligrafie. Sie können immer versuchen, einfach das zu tun, was ich nicht tun werde, weil es mir misslingen wird, zunächst einmal, weil ich keinen Pinsel habe, Sie können versuchen, diese barre horizontale zu ziehen, diesen horizontalen Strich, dessen Spur von links nach rechts verläuft, um durch einen trait, einen Strich, das unäre Eins als Schriftzeichen bildlich darzustellen. Offen gesagt, Sie werden sehr lange brauchen, um herauszufinden, durch welche Streichung das in Angriff genommen wird und bei welcher Spannung das zu einem Halt kommt, derart, dass das, was Sie tun werden, jämmerlich sein wird; für einen Okzidentalen ist das hoffnungslos. Man braucht hier eine andere Bewegungsführung, die man nur erwischt, wenn man sich von allem löst, was einen durchstreicht (raye), was auch immer das sei.
Zwischen Zentrum und Abwesenheit, zwischen Wissen und Jouissance, liegt ein Litoral, das nur dann ins Literale umschlägt, ins Buchstäbliche, wenn Sie dieses Umschlagen in jedem Moment als dasselbe auffassen können. Nur von daher können Sie sich für den Agenten halten, der es trägt.
Was durch mein Sehen des Strömens enthüllt wird, insofern hier die Streichung dominiert, das ist, dass diese Sicht, indem sie sich zwischen den Wolken herstellt, sich mit der Quelle des Strömens vereint. Aristophanes ruft mich dazu auf, in den Wolken das zu finden, worum es beim Signifikanten geht, nämlich um den Schein par excellence, wenn es durch sein Zerbersten dazu kommt, dass es daraus regnet, Wirkung dessen, dass herabstürzt, was darin Materie in Suspension war.
Es muss gesagt werden, dass die japanische Malerei, von der ich Ihnen eben gesagt habe, dass sie sich so gut mit der Kalligrafie verbindet, davon im Überfluss hat und dass die Wolke |[122] hier nicht fehlt. Von dort, wo ich zu dieser Stunde war, habe ich wirklich begriffen, welche Funktion diese Wolken, diese goldenen Wolken hatten, die einen ganzen Teil der Szenen buchstäblich verstopfen, verstecken, an Orten, an Orten, die Sachen sind, die in einer anderen Richtung ausgerollt werden, diese da, man nennt sie Makimono, die die Aufteilung kleiner Szenen bestimmen. Warum? Wie ist es möglich, dass diese Leute, die zeichnen können, das Bedürfnis verspüren, sie mit diesen Massen von Wolken zu durchsetzen, wenn nicht genau deshalb, weil hierdurch die Dimension des Signifikanten eingeführt wird.
Die Letter, die eine Ratur macht / der Buchstabe, der eine Streichung vollzieht, unterscheidet sich also vom Schein darin, dass er Zerbersten ist, der das auflöst, was eine Form, ein Phänomen, einen Meteor bildete. Das ist die Operation – ich habe es bereits gesagt –, die die Wissenschaft anfangs auf spürbarste Weise an den wahrnehmbaren Gestalten vollzieht.
Aber zugleich muss es auch sein, dass davon das zu verabschieden ist, was durch dieses Zerbersten Jouissance hervorriefe, d.h. daraus das zu vertreiben, was er von dieser Hypothese, um mich so auszudrücken, der Jouissance stützt, durch welche insgesamt die Welt gebildet wird. Denn die Idee der Welt, das ist dies: zu denken, sie sei aus Trieben gemacht, derart, dass von daher auch die Leere vorgestellt wird.
Nun, das, was an Jouissance dazu evoziert wird, dass ein Schein zerbricht, das ist das, was sich im Realen – das ist hier der wichtige Punkt: im Realen – als Auswaschung präsentiert. Damit wird Ihnen definiert, inwiefern die Schrift die Auswaschung des Signifikats im Realen genannt werden kann, nämlich das, was vom Schein geregnet ist / gefallen hat, insofern es das ist, wodurch das Signifikat gebildet wird. Die Schrift paust den Signifikanten nicht ab, sie geht zu ihm nur zurück, um Namen zu nehmen, aber auf genau dieselbe Weise, wie das allen Dingen zustößt, die die Signifikantenbatterie benannt hat, nachdem sie sie gezählt hat.
Da ich mir allerdings nicht sicher bin, dass mein gesamter Diskurs verstanden wird, wird es wohl nötig sein, dass ich eine Opposition fixiere: Die Schrift, der Buchstabe, das ist im Realen, und der Signifikant im Symbolischen. Auf diese Weise werden Sie das runterbeten können. Gut.
Ich komme auf einen späteren Moment im Flugzeug zurück. So werden wir ein bisschen weiterkommen; ich habe Ihnen gesagt, dass das auf der Rückreise war.
Nun, was beeindruckend ist, das ist, sie erscheinen zu sehen: es gibt andere Spuren, von denen man sieht, dass sie sich in Isobaren halten, nur helfen sie sich hin und wieder mit einer Aufschüttung. Also grob gesprochen Isobaren; das macht sie zu Normalen im Verhältnis zu denjenigen, deren Gefälle, das man als das stärkste bezeichnen kann, sich auf der Oberfläche in Kurven abzeichnet. Da, wo ich war, war das sehr klar.
Bereits in Osaka hatte ich gesehen, wie die |[123] Autobahnen vom Himmel herabzukommen schienen, nur dort konnten sie so angeordnet werden, nämlich übereinander. Es gibt eine bestimmte japanische Architektur, die modernste, die sich sehr gut wieder mit der alten verbinden kann. Die japanische Architektur besteht wesentlich aus dem Schlagen eines Vogelflügels. Das hat mir geholfen, zu begreifen, sofort zu sehen, dass der kürzeste Weg von einem Punkt zum anderen sich nie jemandem gezeigt hätte, wenn es nicht die Wolke gäbe. Wie wird eine Straße gebaut? Nie folgt irgendjemand der geraden Linie, weder der Mensch noch die Amöbe, noch die Fliege, noch der Ast, noch sonst etwas. Den neuesten Nachrichten zufolge weiß man, dass auch der Lichtstrahl ihr nicht folgt, in völliger Übereinstimmung mit der Krümmung des Universums. Gleichwohl trägt die Gerade hierin etwas ein, das trägt den Abstand ein, und der Abstand – siehe die Newton’schen Gesetze – ist absolut nichts anderes als ein Wirkungsfaktor in einer Dynamik der Kaskade, wie wir sie bezeichnen möchten. Das ist das, was bewirkt, dass alles, was fällt, einer Parabel folgt. Eine Gerade gibt es also nur durch die Schrift und eine Vermessung nur vom Himmel. Und beide sind als solche, um die Gerade zu stützen, beide sind Artefakte, insofern sie nur die Sprache bewohnen. Das sollte man keinesfalls vergessen, unsere Wissenschaft ist nur durch ein Strömen von kleinen Buchstaben und kombinierten Diagrammen wirksam.
„Unter der Mirabeau-Brücke …“, sicherlich, wie unter der Brücke einer Zeitschrift, die meine war, da, wo ich als Aushängeschild eine Ohrenbrücke gemacht hatte, Horus Apollo entnommen, „Unter der Mirabeau-Brücke fließt die Seine“, la scène primitive, die Urszene. Das ist eine Szene von der Art, dass – vergessen Sie nicht, Freud wiederzulesen –, dass hier die römische V der fünften Stunde schlagen kann, das ist im Wolfsmann. Aber man genießt es nur, wenn die Deutung darauf regnet.
Dass das Symptom die Ordnung errichtet, aus der sich unsere Politik erweist, das ist der Schritt, den sie getan hat. Er impliziert andererseits, dass alles, was von dieser Ordnung artikuliert wird, der Deutung unterzogen werden kann. Darum hat man durchaus recht, wenn man die Psychoanalyse der Politik voranstellt. Und dies könnte nicht ganz einfach sein, aufgrund dessen, was es mit der Politik auf sich hat, und wegen all dem, was hier gemacht wird, wenn die Psychoanalyse sich als beschlagener erwiese.
Es würde also vielleicht das genügen – um unsere Hoffnung auf anderes zu setzen –, was die Literaten tun, falls ich sie zu meinen Gefährten machen kann, es würde also genügen, dass wir von der Schrift einen anderen Gebrauch machten als den der Tribüne oder des Tribunals, damit darin andere Worte ins Spiel kommen, wobei wir den Tribut zu zahlen hätten.
[124] Ich habe es gesagt, und ich vergesse es niemals, es gibt keine Metasprache; jede Logik ist darin verfälscht, dass sie von der Objektsprache ausgeht, wie sie es bis heute unausbleiblich tut. Es gibt also keine Metasprache, aber das Geschriebene, das aus Sprache verfertigt wird, könnte vielleicht das Material sein, das die Kraft hätte, dass sich hierin unsere Behauptungen ändern. Ich sehe keine andere Hoffnung als das, was sich gegenwärtig zuspitzt.
Ist es möglich, insgesamt vom Litoral aus einen Diskurs zu bilden, der dadurch gekennzeichnet wäre – das ist die Frage, die ich dieses Jahr stelle –, nicht vom Schein ausgesendet zu werden? Das ist offenkundig die Frage, die man sich in der sogenannten Avantgardeliteratur stellt, die selbst eine Sache des Litorals ist und sich also nicht auf den Schein stützt, die aber nichts beweist, außer, dass sie den Bruch anzeigt, den einzig ein Diskurs produzieren kann – ich sage produzieren, mit Produktionswirkung herausstellen, das ist das Schema meiner Quadripoden vom letzten Jahr. Das, worauf die Ambition einer Literatur gerichtet zu sein scheint, ist das, was ich als Betreten von lituraterrir, von Lituraterrain, festhalte, nämlich sich von einer Bewegung her zu ordnen, die sie als wissenschaftlich bezeichnet.
Und es ist eine Tatsache, dass in der Wissenschaft die Schrift Wunder gewirkt hat, und dieses Wunder steht nicht davor zu versiegen. Allerdings wird die physikalische Wissenschaft dazu gebracht oder dazu gebracht werden, in den Tatsachen das Symptom zu bedenken, aufgrund der Verschmutzung – es gibt Leute, Wissenschaftler, die dafür sensibel sind –, aufgrund der Verschmutzung dessen, was man bei der Erde, ohne jede Kritik, als Umwelt bezeichnet. Das ist die Idee von Uexküll: Umwelt*, aber behaviorisiert, das heißt völlig verdummt.
Um selbst Lituraterrain zu betreten, möchte ich wieder von diesem Auswaschungseffekt ausgehen, das ist sicherlich ein Bild, jedoch keine Metapher: diese Auswaschung ist die Schrift. Was ich da geschrieben habe, ist darin enthalten, und wenn ich von Jouissance spreche, berufe ich mich zu Recht auf das, was ich an Zuhörerschaft akkumuliere, und natürlich nicht weniger auf das, dessen ich mich beraube. Das hält mich auf Trab, ihr Andrang. Die Auswaschung habe ich vorbereitet.
Dass in der japanischen Sprache, um darauf zurückzukommen, eine Wirkung der Schrift enthalten ist, daran ist das Wichtige das, was uns hier ein Mittel bietet, um ein Beispiel für lituraterrir zu geben. Das Wichtige ist, dass die Wirkung der Schrift an die Schrift gebunden bleibt, dass der Träger der Schriftwirkung hier eine Spezialschrift ist, insofern diese Spezialschrift im Japanischen mit zwei unterschiedlichen Aussprachen gelesen werden kann, in On-Yomi – ich bin nicht dabei Ihnen Staub in die Augen zu werfen […] –, On-Yomi, so nennt sich das, das ist ihre Aussprache als Schriftzeichen, |[125] als Schriftzeichen wird das auf besondere Weise ausgesprochen, und in Kun-Yomi, was die Art ist, wie auf Japanisch gesagt wird: das, was das Schriftzeichen bedeutet.
Aber natürlich werden Sie sich dabei gewaltig vertun, d.h. unter dem Vorwand, dass das Schriftzeichen Buchstabe ist, werden Sie glauben, dass ich dabei bin, zu sagen, dass im Japanischen das Strandgut des Signifikanten auf dem Fluss des Signifikats treibt. Es ist der Buchstabe und nicht das Zeichen, der hier den Signifikanten stützt, aber wie jedes beliebige andere – dem Gesetz der Metapher folgend, in Bezug auf das ich die letzten Male daran erinnert habe, dass es das Wesen der Sprache ausmacht – ist es immer von anderswo her als von dort, wo sie ist, die Sprache, nämlich vom Diskurs her, dass sie, was es auch sei, im Netz des Signifikanten fängt, also die Schrift selbst.
Nur wird der Buchstabe von da in die Funktion eines Referenten befördert, der genauso wesentlich ist für jedes Ding, eben das verändert den Status des Subjekts. Daher kommt es, dass es sich für seine grundlegende Identifizierung auf einen bestirnten Himmel stützt und nicht nur auf den unären Zug. Nun ja, es gibt eben zu viel davon. Zu viele Stützen, das ist dasselbe, wie keine zu haben.
Und darum stützt es sich auf etwas anderes, auf das Du. Im Japanischen ist es so, dass man für die geringste Aussage sämtliche grammatischen Formen sieht; wenn man etwas sagen will, einfach so, was auch immer, gibt es mehr oder weniger höfliche Arten, es zu sagen, je nach der Art, wie ich ihn in das Du einbeziehe. Ich beziehe ihn ein, wenn ich Japaner bin; wenn ich kein Japaner bin, tue ich das nicht, es würde mich ermüden. Wenn Sie könnten – Japanisch zu lernen, ist wirklich in Reichweite eines jeden –, wenn Sie gesehen haben werden, dass die geringste Angelegenheit solchen Variationen der Aussage unterworfen ist, die Variationen der Höflichkeit sind, dann werden Sie etwas gelernt haben, dann werden Sie gelernt haben, dass im Japanischen die Wahrheit die Struktur der Fiktion, die ich darin bezeichne, genau dadurch verstärkt, dass sie hier die Gesetze der Höflichkeit hinzufügt.
Eigenartigerweise scheint dies zu dem Ergebnis zu führen, dass vom Verdrängten nichts abzuwehren ist, da das Verdrängte gerade durch diesen Bezug auf den Buchstaben seinen Ort findet. Anders gesagt, das Subjekt ist wie überall durch die Sprache gespalten, aber einem seiner Register kann durch den Bezug auf die Schrift Genüge getan werden und dem anderen durch die Ausübung des Sprechens.
Sicherlich ist es das, was meinem lieben Freund Roland Barthes dieses berauschte Gefühl gegeben hat, dass das japanische Subjekt mit all seinen guten Manieren insgesamt nichts macht. Zumindest ist es das, was er in einem Buch sagt, das ich Ihnen empfehle, denn das ist ein sensationelles Werk; er hat ihm den Titel Das Reich der Zeichen |[126] gegeben. Bei Titeln macht man von den Termini oftmals einen unpassenden Gebrauch; naja, das macht man für die Verleger. Was er offenkundig sagen will, ist, dass es das Reich des semblants ist, der Formen des Scheins; es genügt, den Text zu lesen, um das mitzubekommen.
Nun, der mythische Japaner, der kleine Normal-Japaner, so hat man mir gesagt, findet es schlecht. Zumindest ist es das, was ich da drüben gehört habe. Und tatsächlich, wie hervorragend auch immer Roland Barthes es geschrieben haben mag, möchte ich gegen ihn doch das einwenden, was ich heute sage, nämlich dass sich nichts von der Leere, die durch die Schrift ausgehöhlt worden ist, stärker unterscheidet als der Schein, zuallererst insofern, als er der erste der Becher ist, immer bereit, die Jouissance in Empfang zu nehmen oder sie mit seinem Kunstgriff zumindest aufzurufen.
Unserer Gewohnheit nach kommuniziert nichts von sich weniger als ein solches Subjekt, das letztlich nichts verbirgt, dem nur bleibt, uns zu manipulieren, und ich versichere Ihnen, dass es darauf keineswegs verzichtet. Das war für mich eine Wonne, denn letztlich bete ich das an. In der Zeremonie, in der das Subjekt eben daraus zusammengesetzt ist, dass es sich zersetzen kann, sind Sie ein Element unter anderen.
Das Bunraku, vielleicht haben Sie das gesehen, einige unter Ihnen, als sie nach Paris gekommen sind, das Bunraku habe ich mir da drüben wieder angeschaut, bereits beim ersten Mal hatte ich es mir angeschaut, nun, das Bunraku, seine Triebfeder ist hier: es lässt diejenigen die ganz gewöhnliche Struktur sehen, denen diese Struktur ihre Sitten gibt. Sie wissen, dass man neben der Puppe unverdeckt genau die Leute sieht, die hier tätig sind. Genauso könnte, wie im Bunraku, alles, was in einem japanischen Gespräch gesagt wird, ebenso gut von einem Rezitator gelesen werden. Das ist das, was Barthes sicherlich erleichtert hat.
Japan ist der Ort, wo es das Natürlichste ist, sich zu stützen […] auf die Hilfe d’une interprète, einer Dolmetscherin, die ebenso ein Dolmetscher hätte sein können, man ist völlig entspannt, man kann sich durch eine Interpretin verdoppeln, eine Interpretation ist in keinem Fall erforderlich.
Sie begreifen, wenn ich erleichtert war, das Japanische ist die beständige Übersetzung der Tatsachen der Sprache.
Was mir gefällt, um damit zu enden, ist dies, dass die einzige Kommunikation, die ich dort gehabt habe – außer mit den Europäern natürlich, mit denen ich mich gemäß den Missverständnissen unserer Kultur zu verständigen weiß –, die einzige, die ich mit einem Japaner gehabt habe, auch die einzige ist, die da unten wie anderswo eine Kommunikation sein könnte, kein Dialog, nämlich eine wissenschaftliche Kommunikation. Ich habe einen bedeutenden Biologen aufgesucht, den ich aufgrund von Regeln der japanischen Höflichkeit nicht nennen werde und aufgrund von dem, was ich sagen werde, und das hat ihn dazu gebracht, mir seine Arbeiten vorzuführen, natürlich dort, wo so etwas gemacht wird, an der Tafel. Die Tatsache, dass ich dabei mangels Information nichts begriffen habe, schließt keineswegs aus, dass das, was er |[127] geschrieben hat, seine Formeln, völlig gültig ist – wie die meinigen, da wo sie es sind –, gültig für die Moleküle, zu deren Subjekt sich meine Nachkommen machen werden, ohne dass ich je hätte wissen müssen, wie ich sie an sie übertrage, was es plausibel macht, dass ich mich zu den Lebewesen zähle.
Eine Askese der Schrift, das nimmt den Vorteilen, die wir aus der Literaturkritik gewinnen können, nicht das Geringste.
Dies scheint mir – um mit etwas zu schließen, was durch das, was ich bereits vorgebracht habe, kohärent ist –, dies scheint mir nur dann geschehen zu können, wenn es wieder an dieses unmögliche es steht geschrieben anschließt, von dem her vielleicht eines Tages das sexuelle Verhältnis eingesetzt werden wird.
Französisch/deutsch mit Anmerkungen
Zahlen in eckigen Klammern und grauer Schrift verweisen auf die Seiten von Millers Ausgabe des Seminars.
[113] (An der Tafel) Lituraterre
Ce mot que je viens d’écrire intitule ce que je vais vous offrir aujourd’hui, parce qu’il faut bien, puisque vous êtes convoqués là, que je vous lance quelque chose.
(An der Tafel) Lituraterre
Das Wort, das ich gerade angeschrieben habe, ist der Titel für das, was ich Ihnen heute anbieten möchte; da Sie hier zusammengerufen worden sind, ist es wohl nötig, dass ich Ihnen etwas zuwerfe.
Il m’est évidemment inspiré par l’actualité : c’est le titre dont je me suis efforcé de répondre à une demande qui m’a été faite d’introduire un numéro qui va paraître sur „Littérature et psychanalyse“.
Offensichtlich haben mich dazu aktuelle Ereignisse angeregt: das ist der Titel, mit dem ich mich bemüht habe, auf eine Anfrage zu antworten, die an mich gerichtet worden ist, nämlich eine Zeitschriftennummer, die demnächst erscheinen soll, über Literatur und Psychoanalyse einzuleiten.2
Ce mot „Lituraterre“, que j’ai inventé, se légitime de l’Ernout et Meillet comme il y en a peut-être ici qui savent ce que c’est, c’est un dictionnaire étymologique du latin qui n’est pas trop bêtement fait.
Dieses Wort, Lituraterre, das ich erfunden habe, findet seine Rechtfertigung im Ernout und Meillet, es gibt hier ja vielleicht einige, die wissen, was das ist; das ist ein etymologisches Lexikon des Lateinischen, das gar nicht so dumm gemacht ist.3
Cherchez à lino, litura, vous trouverez, et puis liturarius; il est bien précisé que ça n’a rien à faire avec littera, la lettre.
Schlagen Sie nach unter lino, litura, Sie werden’s finden, und dann unter liturarius4; es wird deutlich darauf hingewiesen, dass das mit littera, mit dem Buchstaben, nichts zu tun hat.
Que ça n’ait rien à faire, moi je m’en fous !
Dass das nichts damit zu tun hat, ist mir egal.
Je ne me soumets pas forcément à l’étymologie quand je me laisse aller à ce jeu de mots, dont on fait à l’occasion le mot d’esprit, le contre-pêt, en l’occasion évident, m’en revenant aux lèvres et le renversement à l’oreille.
Ich unterwerfe mich nicht zwangsläufig der Etymologie, wenn ich mich diesem Wortspiel hingebe, aus dem gelegentlich ein Witz gemacht wird; der contrepet, der Schüttelreim, der hier evident ist, kam mir auf die Lippen und die Umstellung zu den Ohren.5
Ce n’est pas pour rien que, quand vous apprenez une langue étrangère, vous mettez la première consonne de ce que vous avez entendu la seconde, et la seconde, la première.
Es ist nicht von ungefähr, dass Sie, wenn Sie eine Fremdsprache lernen, von dem, was Sie gehört haben, den ersten Konsonanten an die zweite Stelle setzen und den zweiten an die erste.
Donc, ce dictionnaire, qu’on s’y reporte, m’apporte auspices d’être fondé du même départ que je prenais d’un premier mouvement, j’entends départ au sens de répartie, départ d’une équivoque dont Joyce, c’est James Joyce dont je parle, dont James Joyce glisse de a letter à a litter : d’une lettre traduite à une ordure.
Dieses Lexikon also, in dem man nachschlagen möge, liefert mir günstige Vorzeichen, da es sich auf denselben départ, auf denselben Ausgangspunkt, gründet wie ich, als ich in einer ersten Bewegung – ich meine départ im Sinne von répartie, Aufteilung – von einer Äquivokation ausgegangen bin, bei der Joyce – ich spreche hier von James Joyce –, bei der James Joyce von a letter zu a litter gleitet, von einem Brief/Buchstaben – übersetzt – zu einem Abfall.6
Il y avait, vous vous en souvenez peut-être, mais très probablement vous n’en avez jamais rien su, il y avait une mécène qui lui voulait du bien et qui lui offrait une psychanalyse, et même que c’était de Jung qu’elle la lui offrait.
Es gab, vielleicht erinnern Sie sich daran, aber sehr wahrscheinlich haben Sie nie etwas davon gehört, es gab eine Mäzenin, die ihm Gutes wollte und ihm eine Psychoanalyse anbot und dass es sogar eine bei Jung war, die sie ihm anbot.7
Au jeu que nous évoquons, il n’y eût rien gagné, puisqu’il allait tout droit avec ce a letter, a litter, tout droit au mieux de ce que l’on peut attendre de la psychanalyse à sa fin.
Bei dem Spiel, das wir erwähnen, hätte er nichts gewonnen, denn er ging ganz direkt, mit diesem a letter, a litter, ganz direkt auf das Beste dessen zu, was man von einer Psychoanalyse an ihrem Ende erwarten kann.
A faire litière de la lettre, est-ce Saint-Thomas encore, vous vous souvenez peut-être, vous n’avez jamais su, sicut palea, Saint-Thomas encore qui revient à Joyce, comme son œuvre en témoigne tout au long ?
Wenn er den lettre zu litière macht, den Brief/Buchstaben zu Streu, ist das dann wieder der Heilige Thomas – Sie erinnern sich vielleicht, Sie haben nie davon gehört? –: sicut palea, ist das wieder der Heilige Thomas, der Joyce hier wieder in den Sinn kommt, wie sein Werk es von vorne bis hinten bezeugt?8
Ou bien est-ce la |[114] psychanalyse qui atteste sa convergence avec ce que notre époque accuse d’un débridement du lien, du lien antique dont se contient la pollution dans la culture ?
Oder ist es die Psychoanalyse, die ihre Konvergenz mit dem bekundet, was unsere Zeit als Lockerung des alten Bandes anklagt, durch das in der Kultur die Verschmutzung gezügelt wird?
J’avais brodé là-dessus comme par hasard, un peu avant le Mai de 68, pour ne pas faire défaut, ce jour-là, aux paumés de ces affluences que je me trouve maintenant déplacer quand je fais visite quelque part : c’était à Bordeaux.
Ich habe das ein bisschen weiter ausgegeführt, wie durch Zufall kurz vor dem Mai ʼ68, um an diesem Tag die Verlorenen dieser Menschenmengen nicht leer ausgehen zu lassen, die ich, wie es aussieht, jetzt verschiebe, wenn ich irgendwo einen Besuch mache; in Bordeaux war das.9
La civilisation, y rappelais-je en prémisses, c’est l’égout.
Die Zivilisation, daran hatte ich dort als Voraussetzung erinnert, ist der Abwasserkanal.10
Il faut dire sans doute que c’était peu après que ma proposition d’octobre 67 avait été accueillie comme on le sait, il faut vous dire sans doute que, en jouant de ça, j’étais un peu las de la poubelle à laquelle j’ai rivé mon sort.
Natürlich muss man sagen, dass das war, kurz nachdem mein Vorschlag vom Oktober ’67 auf die Weise aufgenommen worden war, die Ihnen bekannt ist, wozu man natürlich sagen muss, dass ich, als ich damit spielte, sicherlich des Mülleimers ein wenig müde war, mit dem ich mein Schicksal vernietet hatte.11
Pourtant on sait que je ne suis pas le seul qui a pour partage l’avouère.12
Wie man jedoch weiß, bin ich nicht der Einzige, der, da er es geteilt hat, es einzugestehen hat.
L’avouère pour vous le prononcer à l’ancienne, l’avoir13 dont Beckett fait balance aux joies de tous ces déchets de notre être, l’avouère sauve l’honneur de la littérature et, ce qui m’agrée assez, me relève du privilège que je pourrais croire tenir de ma place.
Das avouère, das Eingestehen, oder, um es für Sie auf die alte Weise auszusprechen, das avoir, das Haben – das Beckett mit den Freuden all dieser Abfälle unseres Seins in Ausgleich bringt14 –, dieses avouère rettet die Ehre der Literatur, und es entbindet mich, was mir ganz angenehm ist, von dem Privileg, von dem ich glauben könnte, es durch meinem Platz innezuhaben.
La question est de savoir si ce dont les manuels semblent faire étal de ce qui existe, je parle des manuels de littérature, soit que la littérature soit accommodation des restes.
Die Frage ist, ob das, was die Handbücher von dem, was es gibt, zur Schau zu stellen scheinen, ich spreche von den Handbüchern der Literatur, ob es dies ist, dass die Literatur eine Resteverwertung ist.
Est-ce affaire de connotation dans l’écrit de ce qui d’abord primitivement serait chant, mythe parlé, procession dramatique ?
Geht es bei ihr darum, im Geschriebenen das zu ko-notieren, was ursprünglich zunächst Gesang wäre, gesprochener Mythos, Dramenprozession?
Pour la psychanalyse, qu’elle soit appendue à l’Œdipe, à l’Œdipe du mythe, ne la qualifie en rien pour s’y retrouver dans le texte de Sophocle : ce pas pareil.
Was die Psychoanalyse angeht, dass sie am Ödipus hängt, am Ödipus des Mythos, qualifiziert sie in keiner Weise dazu, mit dem Text des Sophokles zurechtzukommen, das ist nicht dasselbe.15
L’évocation par Freud d’un texte de Dostoïevski ne suffit pas pour dire que la critique du texte, jusqu’ici chasse gardée du discours universitaire, ait reçu de la psychanalyse plus d’air.
Dass Freud sich auf einen Text von Dostojewski bezieht, reicht nicht hin, um zu sagen, die Textkritik, bis dahin Domäne des Universitätsdiskurses, habe durch die Psychoanalyse frischen Wind bekommen.16
Si pourtant mon enseignement17 a place dans un changement de configuration, qui actuellement sous des couleurs d’actualité, actuellement s’affiche d’un slogan de promotion de l’écrit… mais ce changement, dont ce témoignage, par exemple que ce soit de nos jours qu’enfin Rabelais soit lu, montre qu’il repose peut-être sur un déplacement littéraire à quoi je m’accorde mieux.
Wenn mein Unterricht jedoch in einer Veränderung der Konfiguration stattfindet, die sich gegenwärtig, unter den Farben der Aktualität, die sich gegenwärtig mit dem Slogan präsentiert, das Geschriebene zu fördern - -; aber diese Veränderung, von der dieses Zeugnis, beispielsweise dass heutzutage endlich Rabelais gelesen wird, zeigt, dass sie vielleicht auf einer Verschiebung im Bereich der Literatur beruht, mit der ich besser zusammenpasse.18
Je suis comme auteur moins impliqué qu’on imagine.
Als Autor bin ich weniger involviert als man sich vorstellt.
Mes Ecrits, un titre plus ironique qu’on ne croit, puisqu’il s’agit en somme soit de rapports qui sont fonction de congrès, soit, disons, j’aimerais bien qu’on les entende comme ça : des lettres ouvertes où je fais sans doute question chaque fois d’un vent de mon enseignement.
Meine Schriften, ein Titel, der ironischer ist, als man glauben mag, da es sich alles in allem entweder um Berichte handelt, die sich auf Kongresse beziehen, oder – sagen wir, ich hätte gern, dass man sie so versteht – um offene Briefe, in denen ich zu einem Stück meines Unterrichts jedes Mal sicherlich Fragen aufwerfe.19
Mais enfin ça en donne le ton… |[115]
Aber letztlich gibt das dafür den Ton an.
Loin en tout cas de me commettre dans ce frotti-frotta littéraire dont se dénote le psychanalyste en mal d’invention, j’y dénonce la tentative immanquable à démontrer l’inégalité de sa pratique à motiver le moindre jugement littéraire.
Statt mich aber auf dieses literarische Geknutsche einzulassen, das den Psychoanalytiker kennzeichnet, dem es an Erfindungsgabe mangelt, verurteile ich darin den unausbleiblichen Versuch, worin er die Wechselhaftigkeit seiner Praxis beweist, auch nur das geringste literarische Urteil zu begründen.
Il est pourtant frappant que, ce recueil de mes Ecrits, je l’ai ouvert d’un article que j’isole en l’extrayant de sa chronologie, la chronologie fait règle, et que là il s’agisse d’un conte, lui-même, il faut le dire, bien particulier de ne pouvoir rentrer dans la liste ordonnée, vous savez qu’on l’a faite, des situations dramatiques.
Es ist jedoch auffallend, dass ich diese Sammlung meiner Schriften mit einem Artikel eröffnet habe, den ich dadurch isoliere, dass ich ihn aus seiner Chronologie herausnehme – die Chronologie ist hier die Regel –, und dass es sich dabei um eine Erzählung handelt, die selbst insofern ziemlich speziell ist, muss man sagen, als sie in der geordneten Liste dramatischer Situationen – Sie wissen, dass man so etwas gemacht hat – nicht unterzubringen ist.20
Enfin, laissons cela.
Aber lassen wir das.
Lui, le conte, il se fait de ce qu’il advient de la poste d’une missive, au su de qui se passent ses faire-suivre et de quels termes s’appuie que je puisse, moi, dire de cette lettre, dire à propos d’elle qu’une lettre toujours en vient à sa destination, et ceci après les détours qu’elle y a subis dans le conte, le compte, si je puis dire, soit rendu, sans aucun recours à son contenu, à la lettre.
Sie, diese Erzählung, wird durch das bestimmt, was durch das Versenden eines Schreibens geschieht, wer über seine Nachsendungen weiß, und auf welche Elemente sich stützt, dass ich über diese Letter sagen kann, dass ich über sie sagen kann, dass eine Letter immer ihren Bestimmungsort erreicht21, und dies nach den Umwegen, der sie in der conte, in der Erzählung, unterworfen wurde; le compte, die Rechnung, wenn ich so sagen kann, wird ohne Rückgriff auf seinen contenu, seinen Inhalt, aufgemacht, auf den Brief.22
C’est ça qui rend remarquable l’effet qu’elle porte sur ceux qui tour à tour s’en font les détenteurs, tous ardents qu’ils puissent être du pouvoir qu’elle confère, pour y prétendre que cet effet d’illusion ne puisse s’articuler, ce que je fais moi, que d’un effet de féminisation.
Das ist bemerkenswert an der Wirkung, die er auf diejenigen ausübt, die sich nacheinander zu seinen Besitzern machen, so begierig sie auch auf die Macht sein mögen, die er überträgt, sodass man hier, wie ich es tue, behaupten kann, dass diese Illusionswirkung nur als ein Feminisierungseffekt artikuliert werden kann.23
C’est là, je m’excuse d’y revenir, bien distinguer, je parle de ce que je fais, la lettre du signifiant maître24, en tant qu’ici elle l’emporte dans son enveloppe, puisqu’il s’agit d’une lettre au sens du mot épistole.
Das heißt – ich entschuldige mich, darauf zurückzukommen –, hier die Letter klar vom Herrensignifikanten zu unterscheiden – ich spreche über das, was ich tue –, insofern sie ihn hier mit sich führt, sie führt ihn in ihrem Umschlag mit, denn es handelt sich um eine Letter im Sinne des Wortes Brief.
Or je prétends que je ne fais pas là du mot lettre usage métaphorique, puisque justement le conte consiste en ce qu’y passe comme muscade le message dont c’est l’écrit, donc proprement la lettre qui fait seule péripétie.25
Nun, ich behaupte, dass ich hier von dem Wort Letter keinen metaphorischen Gebrauch mache, da die Erzählung genau darin besteht, dass in ihr wie in einer Taschenspielerei die Botschaft zum Verschwinden gebracht wird, wobei es allein das Geschriebene ist, also der Brief im eigentlichen Sinn, was die Wendepunkte herbeiführt.26
Ma critique, si elle a lieu d’être tenue pour littéraire, n’aurait là donc porté, je m’y essaie, que sur ce que Poe a fait, d’être écrivain lui-même , pour former un tel message sur la lettre.
Falls meine Kritik Anlass gibt, für Literaturkritik gehalten zu werden, hätte sie sich hier also nur auf das bezogen – und das versuche ich –, was Poe selbst als Schriftsteller getan hat, um eine solche Botschaft über die Letter zu gestalten.
Il est clair qu’à ne pas le dire tel quel tel que je le dis, moi, ce n’est pas insuffisamment, c’est d’autant plus rigoureusement qu’il l’avoue.
Klar ist: wenn er es nicht so sagt, nicht so wie ich es sage, ist das nicht unzureichend, es ist umso strenger, als er es eingesteht.
Néanmoins l’élision, l’élision de son message n’en saurait être élucidée au moyen de quelque trait que ce soit de sa psychobiografie, bouchée plutôt qu’elle en serait, cette élision ! une psychanalyste qui, on s’en souvient peut-être, a récuré les autres textes de Poe, ici déclare forfait de sa serpillière : elle n’y touche pas, la Marie !
Nichtsdestoweniger, die Elision, die Elision seiner Botschaft könnte nicht mithilfe irgendeines Zuges seiner Psychobiografie aufgeklärt werden, eher würde sie, diese Elision, dadurch verschüttet werden; eine Psychoanalytikerin, die die anderen Texte von Poe, man erinnert sich vielleicht daran, gründlich abgescheuert hat, steigt hier mit ihrem Putzlappen aus – sie rührt nicht dran, die Marie.27
Voilà pour le texte de Poe.
So viel zum Text von Poe.
Mais, pour le mien, de texte, est-ce qu’il ne pourrait pas se résoudre par ma psychobiografie à moi ?
Was aber meinen eigenen Text angeht, könnte er nicht durch meine eigene Psychobiografie aufgeschlüsselt werden?
Le vœu que je formerais, par exemple, c’est d’être lu un jour convenablement.
Beispielsweise durch den Wunsch, den ich bilden würde, nämlich eines Tages auf angemessene Weise gelesen zu werden?
Mais pour ça, pour que ça vaille, il faudrait d’abord qu’on développe, que celui qui s’y emploierait à cette interprétation développe ce que j’entends que la lettre porte pour arriver toujours, je le dis, à sa destination.28
Aber damit das einen Wert hätte, dafür wäre zunächst einmal nötig, dass man ausführt, dass derjenige, der eine solche Deutung ausarbeiten würde, ausführt, was ich darunter verstehe, dass die Letter dazu gelangt, dass sie, wie ich sage, immer ihren Bestimmungsort erreicht.
C’est là peut-être que je suis pour l’instant en cheville avec les dévots de l’écriture.
Das ist vielleicht der Punkt, wo ich den Verehrern der Schrift im Augenblick nahestehe.
Il est certain que, comme d’ordinaire, la psychanalyse ici reçoit de la littérature, elle pourrait d’abord en prendre cette graine qui serait du ressort du refoulement, une idée moins psychobiographique. |[116]
Dass die Psychoanalyse hier wie üblich von der Literatur etwas empfängt, ist sicher29, sie könnte von ihr zunächst das Samenkorn nehmen, das in einer weniger psychobiografische Vorstellung von der Triebfeder der Verdrängung bestünde.30
Pour moi, si je propose le texte de Poe, avec ce qu’il y a derrière, à la psychanalyse, c’est justement de ce qu’elle ne puisse l’aborder qu’à y montrer son échec.
Was mich angeht, wenn ich der Psychoanalyse den Text von Poe vorschlage, mit dem, was dahinterliegt, dann eben deshalb, weil sie ihn nur in der Weise angehen kann, dass sie hier ihr Scheitern zeigt.
C’est par là que je l’éclaire, la psychanalyse.
Damit kläre ich sie auf, die Psychoanalyse.
Et on le sait, on le sait que je sais, que j’invoque ainsi, c’est au dos de mon volume, j’invoque ainsi les lumières.
Und man weiß es, man weiß, dass ich weiß, dass ich damit – das steht auf dem Rückdeckel meines Bandes – die Aufklärung anrufe.31
Pourtant, je l’éclaire de démontrer où elle fait trou, la psychanalyse.32
Ich kläre sie jedoch auf, um zu zeigen, wo sie, die Psychoanalyse, ein Loch macht.
Ça n’a rien d’illégitime, ça a déjà porté son fruit, on le sait depuis longtemps en optique et la plus récente physique, celle du photon, s’en arme.
Daran ist nichts Illegitimes, das hat bereits Frucht getragen, in der Optik weiß man das seit langem, und die neueste Physik, die der Photonen, hat sich damit bewaffnet.33
C’est par cette méthode que la psychanalyse pourrait mieux justifier son intrusion dans la critique littéraire.
Durch diese Methode könnte die Psychoanalyse ihr Eindringen in die Literaturkritik besser rechtfertigen.
Cela voudrait dire que la critique littéraire viendrait effectivement à se renouveler de ce que la psychanalyse soit là, pour que les textes se mesurent à elle, justement de ce que l’énigme reste de son côté, qu’elle soit coite.
Das würde heißen, dass die Literaturkritik dazu kommen würde, sich tatsächlich zu erneuern, von daher, dass die Psychoanalyse dazu da wäre, dass die Texte sich an ihr messen, genau von daher, dass das Rätsel auf der Seite der Psychoanalyse bleibt, dass sie sprachlos wäre.34
Mais ceux des psychanalystes, dont ce n’est pas médire que d’avancer que plutôt qu’ils ne l’exercent, la psychanalyse, ils en sont exercés, entendent mal mes propos, à tout le moins d’être pris en corps.
Aber diejenigen Psychoanalytiker, bei denen es keine Verleumdung ist, zu behaupten, dass sie, statt die Psychoanalyse auszuüben, von ihr ausgeübt werden, verstehen meine Behauptungen schlecht, zumindest als Körper genommen.35
J’oppose à leur adresse vérité et savoir.
An sie gewendet setze ich Wahrheit und Wissen einander entgegen.36
C’est la première où aussitôt ils reconnaissent leur office, alors que, sur la sellette, c’est leur vérité que j’attends.37
Erstere ist das, worin sie ihr Amt sogleich erkennen, während es, auf der Anklagebank, ihre Wahrheit ist, auf die ich warte.
J’insiste à corriger mon tir de dire : savoir en échec, voilà où la psychanalyse se montre aux yeux.38
Ich beharre darauf – um meinen Schuss damit zu korrigieren –, dass ich sage, savoir en échec, „Wissen im Schach“, das ist das, wo die Psychoanalyse sich den Augen zeigt.
Savoir en échec, comme on dit figure en abyme, ça ne veut pas dire échec du savoir.
Savoir en échec‚ „Wissen im Schach“ – so wie man sagt figure en abyme, „Figur am Abgrund“, Figur, die sich in sich selbst wiederholt –, damit ist nicht das Scheitern des Wissens gemeint.
Aussitôt j’apprends qu’on s’en croit dispensé de faire preuve d’aucun savoir.
Und sogleich erfahre ich, dass man sich davon dispensiert glaubt, irgendein Wissen unter Beweis zu stellen.
Serait-ce lettre morte que j’ai mis au titre d’un de ces morceaux, que j’ai dit Ecrits, de la lettre de l’instance comme raison de l’inconscient ?
Wäre es dan ein tote Buchstabe, den ich in den Titel eines dieser Stücke gesetzt habe, die ich Schriften genannt habe, über den Buchstabens, über das Drängen als Grund, als Räson des Unbewussten?39
N’est-ce pas désigner assez, dans la lettre, ce qui, à devoir insister, n’est pas là de plein droit si fort de raison que ça s’avance.
Genügt das nicht, um im Buchstaben das zu bezeichnen, was, da es ja insistieren muss, nicht mit vollem Recht da ist, mit wie starker Räson auch immer es vorgebracht wird?
Dire cette raison moyenne ou extrême, c’est bien montrer, je l’ai fait déjà à l’occasion, la |[117] bifidité où s’engage toujours toute mesure.
Diese raison, dieses Verhältnis, als raison moyenne oder raison extrême zu bezeichnen, als mittleres oder äußeres Verhältnis, das heißt, wie ich es bei Gelegenheit bereits getan habe, die Bifidität zu zeigen, in der jede Messung sich vollzieht.40
Mais n’y a-t-il rien dans le réel, qui se passe de cette médiation ?
Gibt es aber im Realen nichts, das ohne diese Vermittlung auskommt?41
Ce pourrait être la frontière.
Das könnte die Grenze sein, la frontière.
La frontière à séparer deux territoires n’a qu’un défaut, mais il est de taille, elle symbolise qu’ils sont de même tabac, si je puis dire en tout cas pour quiconque la franchit.
Die Grenze, insofern sie zwei Territorien voneinander trennt, hat nur einen Fehler, aber der ist beträchtlich: sie symbolisiert, dass sie von derselben Sorte sind, wenn ich so sagen darf, in jedem Fall für jeden, der sie überschreitet.
Je ne sais pas si vous vous y êtes arrêtés, mais c’est le principe dont, un jour, un nommé von Uexküll a fabriqué le terme d’Umwelt.
Ich weiß nicht, ob Sie sich dabei aufgehalten haben, aber das ist das Prinzip, von dem aus ein gewisser von Uexküll eines Tages den Terminus Umwelt* fabriziert hat.
C’est fait sur le principe qu’il est le reflet de l’Innenwelt.
Das beruht auf dem Prinzip, dass sie der Reflex der Innenwelt* ist.
C’est la promotion de la frontière à l’idéologie.
Damit wird die Grenze zu einer Ideologie befördert.
C’est évidemment un départ fâcheux. Une biologie, car c’était une biologie qu’il voulait avec ça fonder, Uexküll, une biologie qui se donne déjà tout au départ, le fait de l’adaptation notamment qui fait le fond de ce couplage Umwelt et Innenwelt.
Dieser Ausgangspunkt ist offenkundig ein Ärgernis, eine Biologie – denn es war eine Biologie, die er, von Uexküll, damit begründen wollte –, eine Biologie, die sich bereits ganz zu Anfang darstellt, vor allem die Tatsache der Anpassung, die für diese Kopplung von Umwelt und Innenwelt den Hintergrund abgibt.
Evidemment, la sélection, la sélection, ça ne vaut pas mieux comme type de l’idéologie. Ce n’est pas parce qu’elle se bénit elle-même d’être naturelle qu’elle l’est moins.
Offenkundig ist die Selektion, die Selektion als Typ von Ideologie auch nicht mehr wert; wenn sie sich selbst als natürlich absegnet, ist sie darum nicht weniger ideologisch.42
Je vais vous proposer quelque chose comme ça brutalement pour venir après a letter, a litter.
Ich werde Ihnen etwas vorschlagen, einfach so, ganz brutal, um an a letter, a litter anzuschließen.
Moi je vais vous dire : la lettre n’est-elle pas le littéral à fonder dans le littoral ?
Ich will Ihnen sagen: Ist die Letter nicht das Literale, das auf das Litoral zu gründen ist? / Ist der Buchstabe nicht das Buchstäbliche, das auf die Uferzone zu gründen ist?43
Car ça c’est autre chose qu’une frontière, d’ailleurs vous avez pu remarquer que ça ne se confond jamais.
Denn das ist etwas anderes als eine Grenze; im Übrigen haben Sie bemerken können, dass man das niemals verwechselt.
Le littoral, c’est ce qui pose un domaine tout entier comme faisant à un autre, si vous voulez, frontière, mais justement de ceci, de ce qu’ils n’ont absolument rien en commun, même pas une relation réciproque.
Das Litoral ist das, was einen Bereich erzeugt, als einen, der in seiner Gänze für einen anderen Bereich eine, wenn Sie so wollen, Grenze bildet, aber eben von daher, dass sie absolut nichts Gemeinsames haben, nicht einmal eine reziproke Beziehung.
La lettre n’est-elle pas proprement littoral, le bord du trou dans le savoir que la psychanalyse désigne justement quand elle aborde la lettre, voilà-t-il pas ce qu’elle désigne ?
Ist der Buchstabe nicht eigentlich litoral, der Rand – le bord – des Lochs im Wissen, den die Psychoanalyse genau dann bezeichnet, wenn sie sich ihr, der Letter, annähert – aborde –, ist es nicht das, was sie bezeichnet?
Le drôle, c’est de constater comment la psychanalyse s’oblige en quelque sorte de son mouvement même à méconnaître44 le sens de ce que pourtant la lettre dit à la lettre, c’est le cas de le dire, de sa bouche, quand toutes ses interprétations se résument à la jouissance.
Es hat etwas Komisches, festzustellen, wie die Psychoanalyse sich gewissermaßen durch ihre eigene Bewegung verpflichtet, den Sinn dessen zu verkennen, was jedoch, so muss man wohl sagen, der Buchstabe buchstäblich sagt, mit seinem Mund, wenn all ihre Deutungen auf die Jouissance hinauslaufen.
Entre la jouissance et le savoir la lettre ferait le littoral.
Zwischen Jouissance und Wissen würde die Letter das Litoral bilden.45
Tout ça n’empêche pas que ce j’ai dit de l’inconscient nous restant là ait quand même la précédence, sans quoi ce que j’avance n’aurait absolument aucun sens.
All das verhindert nicht, dass das, was ich über das Unbewusste gesagt habe, wenn wir dabei bleiben, dass es gleichwohl den Vorrang hat, ohne welchen das, was ich vorbringe, absolut keinen Sinn hätte.46
Il reste à savoir comment l’inconscient que je dis être effet de langage de ce qu’il en suppose la structure comme nécessaire et suffisante, comment il commande cette fonction de la lettre.
Es bleibt zu wissen, wie das Unbewusste – von dem ich sage, dass es eine Wirkung der Sprache ist, da es deren Struktur als notwendig und hinreichend voraussetzt –, wie es diese Funktion des Buchstabens steuert.
Qu’elle soit instrument propre à l’inscription du discours, ne la rend pas du tout impropre à servir à ce que j’en fais, comme dans L’instance de |[118] la lettre, par exemple, dont je vous parlais tout à l’heure, où je l’emploie à montrer le jeu de ce que l’autre appelle, Jean Tardieu, le mot pris pour un autre, voire le mot pris par un autre, autrement dit la métaphore et la métonymie comme effets de la phrase.
Dass er ein für das Aufschreiben des Diskurses geeignetes Instrument ist, macht ihn keineswegs dafür untauglich, dem, was ich damit mache, zu dienen, wenn ich ihn beispielsweise in Das Drängen des Buchstabens, worüber ich vorhin zu Ihnen gesprochen habe, dazu verwende, um jenes Spiel zu zeigen, das jemand, nämlich Jean Tardieu, so nennt: das Wort, das für ein anderes genommen wird, ja, das Wort, das durch ein anderes genommen wird, anders gesagt: Metapher und Metonymie als Wirkungen des Satzes.47
Ça symbolise donc aisément tous ses effets de signifiant, mais ça n’impose nullement qu’elle soit, elle, la lettre, dans ses effets-mêmes, pour lesquels elle me sert d’instrument, qu’elle soit primaire.
Das symbolisiert also leicht all seine Signifikanteneffekte, aber das nötigt keineswegs dazu, dass er, der Buchstabe, in eben diesen Effekten primär wäre, für die er mir als Instrument dient.48
L’examen s’impose, moins de cette primarité qui n’est même pas à supposer, mais de ce qui du langage appelle le littoral au littéral.
Eine Überprüfung nötigt sich weniger hinsichtlich dieses Primats auf, das nicht einmal zu vermuten ist, sondern in Bezug auf das, was in der Sprache das Litorale zum Literalen aufruft.
Rien de ce que j’ai inscrit, à l’aide de lettres, des formations de l’inconscient pour les récupérer de ce dont Freud les formule, des énoncés, plus simplement des faits de langage, rien ne permet de confondre, comme il s’est fait, la lettre avec le signifiant.
Nichts von dem, was ich mithilfe von Buchstaben über die Bildungen des Unbewussten geschrieben habe, um sie aus dem zurückzugewinnen, was Freud darüber formuliert, aus Aussagen ganz einfach über Sprachtatsachen, nichts erlaubt es, wie es geschehen ist, den Buchstaben mit dem Signifikanten zu verwechseln.
Ce que j’ai inscrit à l’aide de lettres des formations de l’inconscient n’autorise pas à faire de la lettre un signifiant et à l’affecter, qui plus est, d’une primarité au regard du signifiant.
Das, was ich mithilfe von Buchstaben über die Bildungen des Unbewussten geschrieben habe, autorisiert nicht dazu, aus dem Buchstaben einen Signifikanten zu machen und ihm darüber hinaus einen Primat gegenüber dem Signifikanten zuzuweisen.
Un tel discours confusionnel n’a pu surgir que de celui, du discours qui m’importe.
Ein derart verwirrter Diskurs hat nur aus dem auftauchen können, aus dem Diskurs, qui m’importe, der mir wichtig ist.49
Et justement qui m’importe dans un autre discours que j’épingle le temps venu du discours universitaire, soit, comme je l’ai souligné assez depuis un an et demi, je pense, soit du savoir mis en usage à partir du semblant.
Und der mich in einen anderen Diskurs importiert, den ich zu gegebener Zeit als Universitätsdiskurs bezeichne, nämlich, wie ich seit eineinhalb Jahren hinreichend, so denke ich, herausgestellt habe, nämlich als Diskurs des Wissens, das ausgehend vom semblant, vom Schein in Gebrauch genommen wird.50
Le moindre sentiment que l’expérience à quoi je pare ne peut se situer que d’un autre discours que de celui-là, j’eus dû le garder51, le produit de ce discours, de ce que je ne désigne pas plus, sans l’avouer, de moi.
Das geringste Gefühl, dass die Erfahrung, mit der ich zu tun habe, nur von einem anderen Diskurs her verortet werden kann als von diesem da, ich hätte das Produkt dieses Diskurses vor dem schützen müssen, was ich nicht mehr als meinen bezeichne, ohne es einzugestehen.
On me l’a épargné, Dieu merci, n’empêche qu’à m’importer au sens que j’ai dit tout à l’heure, on m’importune !
Man hat mir das erspart, Gott sei Dank, was nicht verhindert, dass man mich belästigt, indem man mich importiert.
Si j’avais trouvé recevables les modèles que Freud articule dans une Esquisse d’où décrire le frayage, le forage de routes imprécises52, je n’en aurais pas pour autant pris la métaphore de l’écriture.
Auch wenn ich die Modelle akzeptabel gefunden hätte, die Freud in einem Entwurf artikuliert, in dem er die Bahnung beschreibt, das Ausbohren ungenauer Wege, hätte ich daraus dennoch nicht die Metapher der Schrift übernommen.53
Et justement c’est sur ce point précis que je ne la trouve pas recevable.
Und es ist genau dieser Punkt, an dem ich den Entwurf nicht akzeptabel finde.
L’écriture n’est pas l’impression, n’en déplaise à tout ce qui s’est fait comme bla-bla sur le fameux Wunderblock.
Die Schrift ist nicht die impression, nicht Einprägung auch wenn das allem zuwiderläuft, was an Blabla über den berühmten Wunderblock* geschrieben worden ist.
Que je tire parti de la lettre appelée 52ème, c’est d’y lire ce que Freud ne pouvait qu’énoncer sous le terme qu’il forge du Wz : Wahrnehmungszeichen, et de repérer que c’est ce qu’il pouvait trouver de plus proche du signifiant à la date où Saussure ne l’avait pas encore remis au jour, ce fameux signifiant, qui ne date quand même pas de lui, puisqu’il date des Stoïciens.
Wenn ich mich auf den sogenannten zweiundfünfzigsten Brief stütze54, dann, weil ich hier lese, was Freud mit einem von ihm gebildeten Ausdruck als Wz bezeichnen konnte, als Wahrnehmungszeichen55, und um festzustellen, dass es das ist, was er als das finden konnte, was dem Signifikanten am nächsten kommt, zu einem Zeitpunkt, als Saussure ihn noch nicht wieder zu Tage gefördert hatte, diesen berühmten Signifikanten, der allerdings nicht auf ihn zurückgeht, sondern auf die Stoiker.
Que Freud l’écrive là de deux lettres, comme |[119] moi d’ailleurs je ne l’écris que d’une, cela ne prouve en rien que la lettre soit primaire.
Dass Freud ihn da mit zwei Buchstaben schreibt, so wie ich ihn übrigens mit nur einem schreibe, beweist in keiner Weise, dass der Buchstabe primär wäre.
Je vais donc essayer pour vous aujourd’hui d’indiquer le vif de ce qui me paraît produire la lettre comme conséquence, et du langage, précisément de ce que je dis que l’habite qui parle.
Ich werde heute also versuchen, Ihnen den Kern dessen anzuzeigen, was mir den Buchstaben / die Letter, als Konsequenz zu produzieren scheint, sowie den Kern der Sprache, genau dessen, dass ich sage, dass derjenige sie bewohnt, der spricht.56
J’en emprunterai les traits à ce que d’une économie de langage permet de dessiner ce que promeut à mon idée que littérature peut être en train de virer à lituraterre.
Ich werde die traits davon – die Merkmale, die Züge – dem entlehnen, was es von einer Ökonomie der Sprache her erlaubt, das zu entwerfen, wodurch meiner Meinung nach gestützt wird, dass Literatur dabei sein könnte, in Lituraterre umzuschlagen.57
N’allez pas vous étonner de m’y voir procéder d’une démonstration littéraire puisque c’est là marcher d’un même pas dont la question elle-même s’avance.
Wundern Sie sich nicht, mich hier dabei zu sehen, wie ich in einer literarischen Beweisführung voranschreite, denn das heißt, im selben Schritt zu marschieren wie in dem, in dem die Frage selbst vorankommt.
On pourra y voir s’affirmer ce que peut être une telle démonstration que j’appelle littéraire.
Man wird hier sehen können, wie erkennbar wird, was eine Beweisführung, die ich als literarisch bezeichne, sein kann.
Je suis toujours un peu au bord, pourquoi pas, cette fois-ci m’y lancer.
Ich bin immer ein bisschen au bord, am Rande, warum nicht dieses Mal m’y lancer, mich hineinstürzen / an Bord gehen.
Je reviens d’un voyage que j’attendais de faire au Japon, de ce que d’un premier, d’un premier voyage, j’avais éprouvé de littoral.
Ich komme von einer Reise zurück, die ich nach Japan machen wollte, wegen dem, was ich auf einer ersten, auf einer ersten Reise als Litoral erfahren hatte.58
On peut m’entendre de ce que j’ai dit tout à l’heure de l’Umwelt que j’ai répudié justement de ça, de rendre le voyage impossible, ce qui si vous suivez mes formules, serait assurer son réel.
Man kann mich von dem her verstehen, was ich eben über die Umwelt* gesagt habe, die ich eben deshalb zurückgewiesen habe, weil sie die Reise unmöglich macht, was, wenn Sie sich an meine Formeln halten, heißen würde, ihr Reales zu sichern.59
Seulement voilà, c’est prématuré : c’est le départ que ça rend impossible, sauf à chanter : „partons ! partons !“ ça se fait d’ailleurs beaucoup !
Nur, das ist verfrüht, es ist der Start, den das unmöglich macht, außer dass „fort nun, fort nun“ gesungen wird, was übrigens häufig vorkommt.60
Je ne noterai qu’un moment de ce voyage, celui qu’il se trouve que j’ai recueilli de quoi ? D’’une route nouvelle qu’il s’est trouvé que j’ai prise simplement de ceci que la première fois que j’y suis allé, elle était simplement interdite.
Ich möchte nur einen Moment dieser Reise festhalten, einen, den ich wobei aufgenommen habe? Auf einer neuen Flugroute, die ich einfach deshalb nahm, weil sie, als ich das erste Mal flog, schlicht verboten war.
Il faut que j’avoue que cela ne fut pas à l’aller, le long du cercle arctique que trace cette route pour l’avion, que je fis lecture de quoi ? De ce que je voyais de la plaine sibérienne.
Ich muss gestehen, dass es nicht auf dem Hinflug war, entlang dem Polarkreis, den diese Route dem Flugzeug vorzeichnet, dass ich zu lesen begonnen habe, und zwar was? das, was ich von der sibirischen Ebene sah.
Je suis en train de vous faire un essai de Sibériéthique.
Ich bin dabei, für Sie einen Versuch in Sibiriethik zu machen.
Cet essai n’aurait pas vu le jour si la méfiance des Soviétiques, ce n’était pas pour moi, c’était pour les avions, m’avait laissé voir les industries, les installations militaires qui font le prix de la Sibérie.
Dieser Versuch hätte nicht das Tageslicht erblickt, wenn das Misstrauen der Sowjets, nicht mir gegenüber, sondern Flugzeugen gegenüber, mich die Industrieanlagen und die militärischen Einrichtungen hätte sehen lassen, die den Wert von Sibirien ausmachen.
Mais enfin de cette méfiance, c’est là une condition que nous appellerons accidentelle, pourquoi même pas occidentelle, si l’on y met de l’occire un peu.
Aber dieses Misstrauen ist ja eine Bedingung, die wir als akzidentell bezeichnen möchten, warum nicht gar als okzidentell, wenn man hier ein bisschen occire, töten, hineinlegt.
L’amoncellement du Sud Sibérien, c’est ça qui nous pend au nez.
Was vor uns liegt, ist die Aufschichtung von Südsibirien.
La seule condition décisive est ici la condition du littoral.
Die einzige entscheidende Bedingung ist hier die Bedingung des Litorals.
Justement pour moi, parce que je suis un petit peu dur de la feuille, elle n’a joué qu’au retour d’être littéralement ce que le Japon de sa lettre m’ait sans doute fait ce petit peu trop de chatouillements, qui est juste ce qu’il faut pour |[120] que je le ressente.
Da ich nun aber ein klein bisschen dickfellig bin, kam sie für mich erst auf dem Rückflug ins Spiel, da sie buchstäblich darin bestand, dass Japan mir durch seine Letter zweifellos diesen ein wenig zu starken Kitzel verschafft hatte, was genau das ist, was es braucht, damit ich ihn spüre.61
Je dis que je le ressens, parce que bien sûr pour le repérer, pour le prévoir, j’avais déjà fait ça ici quand je vous ai parlé un petit peu de la langue japonaise, de ce qui, cette langue, proprement l’affecte, c’est l’écriture, je vous ai déjà dit ça.
Ich sage, „dass ich ihn wieder spüre“, weil ich das ja, um ihn zu verorten, um ihn vorauszusehen, bereits hier gemacht hatte, als ich zu Ihnen ein klein wenig über die japanische Sprache sprach, über das, wovon sie, diese Sprache, eigentlich affiziert wird, nämlich von der Schrift; ich habe Ihnen das bereits gesagt.62
Il a fallu sans doute pour ça, pour ce petit peu trop, il a fallu que ce que l’on appelle l’art représente quelque chose.
Dafür war sicherlich nötig, für dieses klein bisschen zu viel war nötig, dass das, was man Kunst nennt, etwas vorstellt.63
Cela tient dans le fait de ce que la peinture japonaise y démontre de son mariage à la lettre, et très précisément sous la forme de la calligraphie.
Das beruht darauf, dass die japanische Malerei hier ihre Ehe mit dem Buchstaben demonstriert und zwar genau in Gestalt der Kalligrafie.
Cela me fascine ces choses qui pendent, kakemono, c’est comme ça que ça se jaspine, ces choses qui pendent au mur de tout musée là-bas portant inscrits des caractères, chinois de formation, que je sais un peu, très peu, mais qui, si peu que je les sache, me permettent de mesurer ce qu’il s’en élide dans la cursive où le singulier de la main écrase l’universel, soit proprement64 ce que je vous apprends ne valoir que du signifiant.
Das fasziniert mich, diese Sachen, die hängen, Kakemono, so schwatzt man das, diese Sachen, die dort an jeder Museumsmauer hängen und die Inschriften tragen, aus chinesisch gebildeten Schriftzeichen, was ich ein wenig kenne 65, sehr wenig, aber das Wenige, was ich weiß, ermöglicht es mir, zu ermessen, was in der Kursivschrift getilgt wird, in der das Singuläre der Hand das Universale erdrückt, also eigentlich das, worüber ich Ihnen beibringe, dass es nur vom Signifikanten her einen Wert hat.66,
Je vous le rappelle un trait toujours vertical c’est toujours vrai s’il n’y a pas de trait.
Ich erinnere Sie daran, ein Strich – ein trait –, der immer vertikal ist, das ist auch dann wahr, wenn es keinen Strich gibt.67
Donc, dans la cursive, le caractère, je ne l’y retrouve pas parce que je suis novice, mais c’est pas l’important.
Also in der Kursivschrift finde ich das [chinesische] Schriftzeichen nicht wieder, weil ich Anfänger bin, das ist jedoch nicht das Wichtige.68
Car ce que j’appelle ce singulier peut appuyer une forme plus ferme.
Denn das, was ich dieses Singuläre nenne, kann eine festere Form stützen.
L’important, c’est ce qu’il y ajoute, c’est une dimension, ou encore comme je vous ai appris à jouer de ça, une demansion, là où demeure ce que je vous ai déjà introduit, je crois dans quelque avant ou avant-dernier séminaire, d’un mot que j’écris pour m’amuser le papludun.
Das Wichtige ist, was es hier hinzufügt, das ist eine Dimension, oder auch – ich habe Ihnen ja beigebracht, damit zu spielen – eine demansion69, wo das wohnt, was ich für Sie bereits im letzten oder vorletzten Seminar, glaube ich, eingeführt habe, ein Wort, das ich, um mich zu amüsieren, als Papludun schreibe [pas plus d’un, „nicht mehr als einer“].70
C’est la dimension71 dont vous savez qu’elle me permet, on a beau dire comme ça… du petit jeu des mathématiques de Péano… etc. et de la façon dont il faut que Frege s’y prenne pour réduire la série des nombres „naturels“, entre guillemets, à la logique, celle donc dont j’instaure le sujet dans ce que je vais appeler aujourd’hui encore puisque je fais de la littérature et que je suis gai, vous allez le reconnaître, je l’écris sous une autre forme que celle-ci le hun-en-peluce… ça sert beaucoup, hun, ça se met à la place de ce que j’appelle „l’Achose“ avec un grand A et ça la bouche… du petit a.
Das ist die Dimension, von der Sie wissen, dass sie es mir ermöglicht, das ist natürlich leicht gesagt, von Peanos kleinem Mathematikspiel usw. und von der Art, wie Frege vorgehen muss, um die Reihe der „natürlichen Zahlen“, in Anführungszeichen, auf die Logik zu reduzieren72 --, die Dimension also, von wo aus ich das Subjekt in das einsetze, in das, was ich heute noch nennen werde, weil ich Literatur mache und weil ich guter Laune bin. Sie werden es wiedererkennen, ich schreibe es in einer anderen Form als dieses, das Hun-en-peluce [ähnlich klingend wie un en plus, „eins mehr“]73, das ist sehr nützlich, nicht wahr, das setzt sich an die Stelle von dem, was ich l‘Achose mit großem A nenne, das Unding, und das verstopft sie mit dem klein a.74
Ce n’est peut-être pas par hasard qu’il peut se réduire comme cela, comme je le désigne à une lettre.
Es ist vielleicht kein Zufall, dass es so, wie ich es bezeichne, auf einen Buchstaben reduziert werden kann.
Au niveau de la calligraphie, c’est cette lettre qui fait l’enjeu d’un pari, d’un pari, mais lequel ? D’un pari qui se gagne avec de l’encre et du pinceau.
Auf der Ebene der Kalligrafie ist es dieser Buchstabe, der den Einsatz einer Wette ausmacht, einer Wette, aber welcher? einer Wette, die mit Tinte und Pinsel gewonnen wird.
Voilà c’est comme ça qu’invinciblement m’apparut dans une circonstance qui est à y retenir, à savoir d’entre les nuages, m’apparut le ruissellement qui est seule trace à apparaître y opérer plus encore que |[121] d’en indiquer le relief, sous cette latitude, de ce que l’on appelle la plaine sibérienne, plaine vraiment désolée au sens propre d’aucune végétation, mais de reflets, reflets de ce ruissellement, lesquels poussent à l’ombre ce qui n’en miroite pas.
So also erschien mir unbezwinglich, unter einer Bedingung, die hier festzuhalten ist, nämlich von zwischen den Wolken her, erschien mir das Strömen, was die einzige Spur ist, die sich zeigt, die hier in diesen Breiten die Oberflächengestalt mehr zu erzeugen als anzuzeigen schien, dessen, was man die sibirische Ebene nennt, eine wirklich verlassene Ebene, verlassen von jedweder Vegetation, jedoch mit Reflexen, Reflexen dieses Strömens, die das, was nicht spiegelt, in den Schatten stoßen.75
Qu’est-ce que c’est que ça le ruissellement ?
Was ist das, dieses Strömen?
C’est un bouquet.
Das ist eine Bündelung.
Ca fait bouquet, c’est ce qu’ailleurs j’ai distingué du trait premier et de ce qui l’efface.76
Das bildet eine Verbindung, das ist das, was ich an anderer Stelle unterschieden habe als ersten trait – als ersten Zug oder Strich –und als das, was ihn auslöscht.
Je l’ai dit, en son temps, mais on oublie toujours une partie de la chose, je l’ai dit à propos du trait unaire, c’est de l’effacement du trait que se désigne le sujet.
Ich habe es bereits früher gesagt, aber man vergisst immer einen Teil der Sache, ich habe es in Bezug auf den unären Zug gesagt: das, wodurch das Subjekt sich bezeichnet, ist das Auslöschen des Zugs.77
Ça se marque donc en deux temps78 pour que s’y distingue ce qui est rature.
Das wird also in zwei Phasen markiert, sodass sich hier das auszeichnet, was Streichung ist.
Litura… lituraterre, rature d’aucune trace qui soit d’avant, c’est ce qui fait terre du littoral.
Litura – Lituraterre: Streichung jeglicher Spur, die zuvor da war, das ist das, was das Litoral zum Terrain macht.79
Litura pure80 : c’est du littéral.
Reine litura, das ist Literales, Buchstäbliches.
La reproduire, cette rature, c’est reproduire cette moitié, cette moitié dont le sujet subsiste.
Diese Streichung zu reproduzieren, heißt, diese Hälfte zu reproduzieren, diese Hälfte, von der her das Subjekt Bestand hat.
Ceux qui sont là depuis un bout de temps, il doit y en avoir de moins en moins, doivent se souvenir de ce qu’un jour j’ai fait récit des aventures d’une moitié de poulet.
Diejenigen, die schon länger da sind – davon muss es immer weniger geben –, müssen sich an das erinnern, was ich mal über die Abenteuer eines halben Huhns erzählt habe.81
Produire la rature définitive, c’est cela l’exploit de la calligraphie.
Die definitive Streichung zu produzieren, eben darin besteht die Leistung der Kalligrafie.82
Vous pouvez toujours essayer de faire simplement, ce que je ne vais pas faire, parce que je la raterai, d’abord parce que je n’ai pas de pinceau, essayer de faire cette barre horizontale qui se trace de gauche à droite pour figurer d’un trait l’Un unaire comme caractère.
Sie können immer versuchen, einfach das zu tun, was ich nicht tun werde, weil es mir misslingen wird, zunächst einmal, weil ich keinen Pinsel habe, Sie können versuchen, diese barre horizontale zu ziehen, diesen horizontalen Strich, dessen Spur von links nach rechts verläuft, um durch einen trait, einen Strich, das unäre Eins als Schriftzeichen bildlich darzustellen.83
Franchement, vous mettrez très longtemps à trouver de quelle rature ça s’attaque84 et à quel suspens ça s’arrête, de sorte que ce que vous ferez sera lamentable, c’est sans espoir pour un occidenté.
Offen gesagt, Sie werden sehr lange brauchen, um herauszufinden, durch welche Streichung das in Angriff genommen wird und bei welcher Spannung das zu einem Halt kommt, derart, dass das, was Sie tun werden, jämmerlich sein wird; für einen Menschen des Abendlands ist das hoffnungslos.
Il y faut un train différent qui ne s’attrape qu’à se détacher de quoi que ce soit qui vous raye.
Man braucht hier eine andere Bewegungsführung, die man nur erwischt, wenn man sich von allem löst, was einen durchstreicht (raye), was auch immer das sei.
Entre centre et absence, entre savoir et jouissance, il y a un littoral qui ne vire au littéral qu’à ce que ce virage vous puissiez le prendre le même à tout instant.
Zwischen Zentrum und Abwesenheit85, zwischen Wissen und Jouissance, liegt ein Litoral, das nur dann ins Literale umschlägt, ins Buchstäbliche, wenn Sie dieses Umschlagen in jedem Moment als dasselbe auffassen können.86
C’est de cela seulement que vous pouvez vous tenir pour agent qui le soutienne.
Nur von daher können Sie sich für den Agenten halten, der es trägt.87
Ce qui se révèle de ma vision du ruissellement, à ce qui domine la rature, c’est qu’à se produire d’entre les nuages, elle se conjugue à sa source, et c’est bien aux nuées qu’Aristophane me hèle, de trouver ce qu’il en est du signifiant, soit le semblant par excellence… si c’est de sa rupture qu’en pleut l’effet de ce qui s’en précipite, de ce qui y était88 matière à suspension.
Was durch mein Sehen des Strömens enthüllt wird, insofern hier die Streichung dominiert, das ist, dass diese Sicht, indem sie sich zwischen den Wolken herstellt, sich mit der Quelle des Strömens vereint89. Aristophanes ruft mich dazu auf, in den Wolken das zu finden, worum es beim Signifikanten geht, nämlich um den Schein par excellence, wenn es durch sein Zerbersten dazu kommt, dass es daraus regnet, Wirkung dessen, dass herabstürzt, was darin Materie in Suspension war.90
Il faut vous dire que la peinture japonaise dont tout à l’heure je vous ai dit qu’elle s’entremêle si bien de calligraphie, elle en regorge 91 et que là le nuage, |[122] il n’y manque pas.
Es muss gesagt werden, dass die japanische Malerei, von der ich Ihnen eben gesagt habe, dass sie sich so gut mit der Kalligrafie verbindet, davon im Überfluss hat und dass die Wolke hier nicht fehlt.92
C’est de là où j’étais à cette heure que j’ai vraiment bien compris quelle fonction avaient ces nuages, ces nuages d’or qui littéralement bouchent, cachent toute une partie des scènes, dans des lieux, des lieux qui sont des choses qui se déroulent dans un autre sens, celles-là, on les appelle makemono, qui président à la répartition des petites scènes.
Von dort, wo ich zu dieser Stunde war, habe ich wirklich begriffen, welche Funktion diese Wolken, diese goldenen Wolken hatten, die einen ganzen Teil der Szenen buchstäblich verstopfen, verstecken, an Orten, an Orten, die Sachen sind, die in einer anderen Richtung ausgerollt werden, diese da, man nennt sie Makimono93, die die Aufteilung kleiner Szenen bestimmen.
Pourquoi ? Comment se peut-il que ces gens, qui savent dessiner, éprouvent le besoin de les entremêler de ces amas de nuages, si ce n’est précisément que c’est ça qui y introduit la dimension du signifiant ?
Warum? Wie ist es möglich, dass diese Leute, die zeichnen können, das Bedürfnis verspüren, sie mit diesen Massen von Wolken zu durchsetzen, wenn nicht genau deshalb, weil hierdurch die Dimension des Signifikanten eingeführt wird.
La lettre, qui fait rature, s’y distingue d’être rupture donc du semblant qui dissout ce qui faisait forme, phénomène, météore, c’est ça, je l’ai déjà dit, que la science opère, au départ, de la façon la plus sensible sur des formes perceptibles.
Die Letter, die eine Ratur macht / der Buchstabe, der eine Streichung vollzieht, unterscheidet sich also vom Schein darin, dass er Zerbersten ist, der das auflöst, was eine Form, ein Phänomen, einen Meteor bildete. Das ist die Operation – ich habe es bereits gesagt –, die die Wissenschaft anfangs auf spürbarste Weise an den wahrnehmbaren Gestalten vollzieht.94
Mais du même coup ça doit être aussi que ce soit d’en congédier ce qui de cette rupture ferait jouissance, c’est-à-dire d’en dissiper ce qu’elle soutient de cette hypothèse, pour m’exprimer ainsi de la jouissance, qui fait le monde en somme.
Aber zugleich muss es auch sein, dass davon das zu verabschieden ist, was durch dieses Zerbersten Jouissance hervorriefe, d.h. daraus das zu vertreiben, was er von dieser Hypothese, um mich so auszudrücken, der Jouissance stützt, durch welche insgesamt die Welt gebildet wird.
Car l’idée de monde, c’est ça : penser qu’il soit fait de pulsions telles qu’aussi bien s’en figure le vide95.
Denn die Idee der Welt, das ist dies: zu denken, sie sei aus Trieben gemacht, derart, dass von daher auch die Leere vorgestellt wird.
Et bien, ce qui de jouissance s’évoque à ce que se rompe un semblant, voilà ce qui, dans le réel, c’est là le point important, dans le réel, se présente comme ravinement.
Nun, das, was an Jouissance dazu evoziert wird, dass ein Schein zerbricht, das ist das, was sich im Realen – das ist hier der wichtige Punkt: im Realen – als Auswaschung präsentiert.96
C’est là vous définir par quoi l’écriture peut être dite dans le réel le ravinement du signifié, soit ce qui a plu du semblant en tant que c’est ça qui fait le signifié.
Damit wird Ihnen definiert, inwiefern die Schrift die Auswaschung des Signifikats im Realen genannt werden kann, nämlich das, was vom Schein geregnet ist / gefallen hat, insofern es das ist, wodurch das Signifikat gebildet wird.97
L’écriture ne décalque pas le signifiant, elle n’y remonte qu’à prendre nom, mais exactement de la même façon que ça arrive à toute chose que vient à dénommer la batterie signifiante après qu’elle les a dénombrées.
Die Schrift paust den Signifikanten nicht ab, sie geht zu ihm nur zurück, um Namen zu nehmen, aber auf genau dieselbe Weise, wie das allen Dingen zustößt, die die Signifikantenbatterie benannt hat, nachdem sie sie gezählt hat.
Bien entendu, comme je ne suis pas sûr que tout mon discours s’entende, il va falloir quand même que je fasse épingle d’une opposition. L’écriture, la lettre, c’est dans le réel, et le signifiant, dans le symbolique.
Da ich mir allerdings nicht sicher bin, dass mein gesamter Diskurs verstanden wird, wird es wohl nötig sein, dass ich eine Opposition fixiere: Die Schrift, der Buchstabe, das ist im Realen, und der Signifikant im Symbolischen.98
Comme ça, ça pourra faire pour vous ritournelle. Bon.
Auf diese Weise werden Sie das runterbeten können. Gut.
J’en reviens à un moment plus tard dans l’avion.
Ich komme auf einen späteren Moment im Flugzeug zurück.
On va avancer un peu, comme ça, je vous ai dit que c’était sur ce voyage de retour.
So werden wir ein bisschen weiterkommen; ich habe Ihnen gesagt, dass das auf der Rückreise war.
Alors là, c’est ça qui est frappant, c’est de les voir apparaître, il y a d’autres traces qu’on voit se soutenir en isobares, elles, seulement elles s’aident de temps en temps d’un remblai.
Nun, was beeindruckend ist, das ist, sie erscheinen zu sehen: es gibt andere Spuren/Trassen, von denen man sieht, dass sie sich in Isobaren halten, nur helfen sie sich hin und wieder mit einer Aufschüttung.99
Enfin en gros, isobares, ça les fait normales à celles dont une pente qu’on peut appeler suprême du relief se marque des courbes.100
Also grob gesprochen Isobaren; das macht sie zu Normalen im Verhältnis zu denjenigen, deren Gefälle, das man als das stärkste bezeichnen kann, sich auf der Oberfläche in Kurven abzeichnet.
Là d’où j’étais, c’était très clair.
Da, wo ich war, war das sehr klar.
J’avais déjà vu à Osaka comment les |[123] autoroutes paraissent descendre du ciel, il n’y a que de là qu’elles ont pu se poser comme ça les unes au-dessus des autres.
Bereits in Osaka hatte ich gesehen, wie die Autobahnen vom Himmel herabzukommen schienen, nur dort konnten sie so angeordnet werden, nämlich übereinander.101
Il y a une certaine architecture japonaise, la plus moderne, qui sait très bien retrouver l’ancienne.
Es gibt eine bestimmte japanische Architektur, die modernste, die sich sehr gut wieder mit der alten verbinden kann.
L’architecture japonaise, ça consiste essentiellement en un battement d’une aile d’oiseau.
Die japanische Architektur besteht wesentlich aus dem Schlagen eines Vogelflügels.
Ça m’a aidé à comprendre de voir tout de suite que le plus court chemin d’un point à un autre ne serait jamais montré à personne, s’il n’y avait pas le nuage.
Das hat mir geholfen, zu begreifen, sofort zu sehen, dass der kürzeste Weg von einem Punkt zum anderen sich nie jemandem gezeigt hätte, wenn es nicht die Wolke gäbe.
Comment ça se fait une route102, jamais personne ne suit la ligne droite, ni l’homme, ni l’amibe, ni la mouche, ni la branche, ni rien du tout.
Wie wird eine Straße gebaut? Nie folgt irgendjemand der geraden Linie, weder der Mensch noch die Amöbe, noch die Fliege, noch der Ast, noch sonst etwas.
Aux dernières nouvelles, on sait que le trait de lumière non plus ne la suit pas, tout à fait solidaire de la courbure universelle.
Den neuesten Nachrichten zufolge weiß man, dass auch der Lichtstrahl ihr nicht folgt, in völliger Übereinstimmung mit der Krümmung des Universums.
La droite là-dedans, ça inscrit tout de même quelque chose, ça inscrit la distance, et la distance, confer les lois de Newton, ça n’est absolument rien qu’un facteur effectif d’une dynamique que nous appellerons de cascade.
Gleichwohl trägt die Gerade hierin etwas ein, das trägt den Abstand ein, und der Abstand – siehe die Newton’schen Gesetze – ist absolut nichts anderes als ein Wirkungsfaktor in einer Dynamik der Kaskade, wie wir sie bezeichnen möchten.
C’est ce qui fait que tout ce qui choit suit une parabole
Das ist das, was bewirkt, dass alles, was fällt, einer Parabel folgt.
Donc, il n’y a de droite que d’écriture, ni d’arpentage que du ciel.
Eine Gerade gibt es also nur durch die Schrift und eine Vermessung nur durch den Himmel.
Et ce sont l’un et l’autre en tant que tels, pour soutenir la droite, ce sont artefacts à n’habiter que le langage.
Und beide sind als solche, um die Gerade zu stützen, beide sind Artefakte, insofern sie nur die Sprache bewohnen.103
Il ne faudrait quand même pas l’oublier, notre science n’est opérante que d’un ruissellement de petites lettres et de graphiques combinés.
Das sollte man keinesfalls vergessen, unsere Wissenschaft ist nur durch ein Strömen von kleinen Buchstaben und kombinierten Diagrammen wirksam.
Sous le pont Mirabeau, certes comme sous celui d’une revue qui fut la mienne là où j’avais foutu comme enseigne un pont-oreille emprunté à Horus Appolo, Sous le pont Mirabeau… coule la Seine… primitive.
„Unter der Mirabeau-Brücke …“104, sicherlich, wie unter der Brücke einer Zeitschrift, die meine war, da, wo ich als Aushängeschild eine Ohrenbrücke gemacht hatte, Horus Apollo entnommen, „Unter der Mirabeau-Brücke fließt die Seine“, la scène primitive, die Urszene.105
C’est une scène telle, ne l’oubliez pas, à relire Freud, que peut y battre le V romain de l’heure cinq, c’est dans l’Homme aux loups.
Das ist eine Szene von der Art, dass – vergessen Sie nicht, Freud wiederzulesen –, dass hier die römische V der fünften Stunde schlagen kann, das ist im Wolfsmann.106
Mais qu’aussi bien, on n’en jouit pas, [… qu’à ce qu’y pleuve ? ] l’interprétation.107
Aber man genießt es nur, wenn die Deutung darauf regnet.
Que le symptôme institue l’ordre dont s’avère notre politique, c’est là le pas qu’elle a franchi.
Dass das Symptom die Ordnung errichtet, aus der sich unsere Politik erweist, das ist der Schritt, den sie getan hat.
Il implique d’autre part que tout se qui s’articule de cet ordre soit passible d’interprétation.
Er impliziert andererseits, dass alles, was von dieser Ordnung artikuliert wird, der Deutung unterzogen werden kann.
C’est pourquoi on a bien raison de mettre la psychanalyse au chef de la politique.
Darum hat man durchaus recht, wenn man die Psychoanalyse der Politik voranstellt.108
Et ceci pourrait n’être pas de tout repos pour ce qui est de la politique et pour tout ce qui s’y fait, si la psychanalyse s’avérait plus avertie.109
Und dies könnte nicht ganz einfach sein, aufgrund dessen, was es mit der Politik auf sich hat, und wegen all dem, was hier gemacht wird, wenn die Psychoanalyse sich als beschlagener erwiese.
Il suffirait donc peut-être que pour mettre notre espoir ailleurs, ce que font les littérateurs, si je peux les faire mes compagnons, il suffirait donc que de l’écriture nous tirions un autre parti que de tribunes ou tribunal pour que s’y jouent d’autres paroles à nous en faire nous-mêmes, à nous en faire le tribut.110 |[124]
Es würde also vielleicht das genügen – um unsere Hoffnung auf anderes zu setzen –, was die Literaten tun, falls ich sie zu meinen Gefährten machen kann, es würde also genügen, dass wir von der Schrift einen anderen Gebrauch machten als den der Tribüne oder des Tribunals, damit darin andere Worte ins Spiel kommen, wobei wir den Tribut zu zahlen hätten.
Je l’ai dit, et je ne l’oublie jamais, il n’y a pas de métalangage, toute logique est faussée de prendre départ du langage objet comme immanquablement elle le fait jusqu’à ce jour.
Ich habe es gesagt, und ich vergesse es niemals, es gibt keine Metasprache; jede Logik ist darin verfälscht, dass sie von der Objektsprache ausgeht, wie sie es bis heute unausbleiblich tut.111
Il n’y a donc pas de métalangage, mais l’écrit qui se fabrique du langage pourrait peut-être être matériel de force à ce que s’y changent nos propos.
Es gibt also keine Metasprache, aber das Geschriebene, das aus Sprache verfertigt wird, könnte vielleicht das Material sein, das die Kraft hätte, dass sich hier unsere Behauptungen ändern.
Je ne vois pas d’autre espoir que ce qui actuellement s’aiguise.112
Ich sehe keine andere Hoffnung als das, was sich gegenwärtig zuspitzt.
Est-il possible en somme du littoral de constituer tel discours qui se caractérise, comme j’en pose la question cette année, de ne pas s’émettre du semblant ?
Ist es möglich, insgesamt vom Litoral aus einen Diskurs zu bilden, der dadurch gekennzeichnet wäre – das ist die Frage, die ich dieses Jahr stelle –, nicht vom Schein ausgesendet zu werden?
C’est évidemment la question qu’ils se proposent dans la littérature dite d’avant-garde, laquelle elle-même est un fait de littoral, et donc ne se soutient pas du semblant, mais pour autant ne prouve rien, sinon à montrer la cassure que seul un discours peut produire, j’ai dit produire, mettre en avant avec l’effet de production, c’est le schéma de mes quadripodes de l’année dernière.
Das ist offenkundig die Frage, die man sich in der sogenannten Avantgardeliteratur stellt, die selbst eine Sache des Litorals ist und sich also nicht auf den Schein stützt, die aber nichts beweist, außer, dass sie den Bruch anzeigt, den einzig ein Diskurs produzieren kann – ich sage produzieren, mit Produktionswirkung herausstellen, das ist das Schema meiner Quadripoden vom letzten Jahr.113
Ce à quoi semble prétendre une littérature en son ambition, c’est ce que j’épingle de lituraterrir, c’est de s’ordonner d’un mouvement qu’elle appelle scientifique.
Das, worauf die Ambition einer Literatur gerichtet zu sein scheint, ist das, was ich als Betreten von lituraterrir, von Lituraterrain, festhalte, nämlich sich von einer Bewegung her zu ordnen, die sie als wissenschaftlich bezeichnet.114
Et c’est un fait que dans la science l’écriture a fait merveille, et cette merveille n’est pas près de se tarir.
Und es ist eine Tatsache, dass in der Wissenschaft die Schrift Wunder gewirkt hat, und dieses Wunder steht nicht davor zu versiegen.
Cependant la science physique se trouve ou va se trouver ramenée à la considération du symptôme, dans les faits, par la pollution, il y a des gens, des scientifiques qui y sont sensibles, par la pollution de ce que du terrestre on appelle, sans plus de critique, environnement.
Allerdings wird die physikalische Wissenschaft dazu gebracht oder dazu gebracht werden, in den Tatsachen das Symptom zu bedenken, aufgrund der Verschmutzung – es gibt Leute, Wissenschaftler, die dafür sensibel sind –, aufgrund der Verschmutzung dessen, was man bei der Erde, ohne jede Kritik, als Umwelt bezeichnet.115
C’est l’idée de Uexküll, l’Umwelt, mais behaviorisée, c’est-à-dire complètement crétinisée.
Das ist die Idee von Uexküll: Umwelt*, aber behaviorisiert, das heißt völlig verdummt.
Pour lituraterrir moi-même, je vais repartir de cet effet dans le ravinement, c’est une image certes, mais d’aucune métaphore, l’écriture est ce ravinement.
Um selbst Lituraterrain zu betreten, möchte ich wieder von diesem Auswaschungseffekt ausgehen, das ist sicherlich ein Bild, jedoch keine Metapher: diese Auswaschung ist die Schrift.
Ce que j’ai écrit là y est compris, et quand je parle de jouissance, j’invoque légitimement ce que j’accumule d’auditoire, et pas moins naturellement ce dont je me prive.
Was ich da geschrieben habe, ist darin enthalten, und wenn ich von Jouissance spreche, berufe ich mich zu Recht auf das, was ich an Zuhörerschaft akkumuliere, und natürlich nicht weniger auf das, dessen ich mich beraube.116
Ça m’occupe, votre affluence.
Das hält mich auf Trab, ihr Andrang.117
Le ravinement, je l’ai préparé.
Die Auswaschung habe ich vorbereitet.
Qu’il y ait inclus dans la langue japonaise, c’est là que je reprends, un effet d’écriture, l’important, c’est ce qui nous y offre ressource de faire exemple lituratterrir.
Dass in der japanischen Sprache, um darauf zurückzukommen, eine Wirkung der Schrift enthalten ist, daran ist das Wichtige das, was uns hier ein Mittel bietet, um ein Beispiel für lituratterrir zu geben.
L’important, c’est que l’effet de l’écriture reste attaché à l’écriture, que ce qui est porteur de l’effet d’écriture y soit une écriture spécialisée, en ceci qu’en japonais cette écriture spécialisée puisse se lire de deux prononciations différentes, en oniomi, je ne suis pas là en train de vous jeter de la poudre aux yeux […] |[125], oniomi, c’est comme ça que ça s’appelle, c’est sa prononciation en caractères, en caractères, ça se prononce comme tel distinctement, en kouniomi, de la façon dont ça se dit en japonais, ce que le caractère veut dire.
Das Wichtige ist, dass die Wirkung der Schrift an die Schrift gebunden bleibt, dass der Träger der Schriftwirkung hier eine Spezialschrift ist, insofern diese Spezialschrift im Japanischen mit zwei unterschiedlichen Aussprachen gelesen werden kann, in On-Yomi – ich bin nicht dabei Ihnen Staub in die Augen zu werfen […] –, On-Yomi, so nennt sich das, das ist ihre Aussprache als Schriftzeichen, als Schriftzeichen das wird auf besondere Weise ausgesprochen, und in Kun-Yomi, was die Art ist, wie auf Japanisch gesagt wird: das, was das Schriftzeichen bedeutet.118
Vous allez naturellement vous foutre dedans, c’est-à-dire que, sous prétexte que le caractère est lettre, vous allez croire que je suis en train de dire que dans le japonais les épaves du signifiant courent sur le fleuve du signifié.
Aber natürlich werden Sie sich dabei gewaltig vertun, d.h. unter dem Vorwand, dass das Schriftzeichen Buchstabe ist, werden Sie glauben, dass ich dabei bin, zu sagen, dass im Japanischen das Strandgut des Signifikanten auf dem Fluss des Signifikats treibt.
C’est la lettre, et non pas le signifiant, qui ici fait appui de signifiant, mais comme n’importe quoi d’autre, à suivre la loi de métaphore dont j’ai rappelé, ces derniers temps, qu’il fait l’essence du langage, c’est toujours d’ailleurs de là où il est le langage, du discours, qu’il prend quoi que ce soit au filet du signifiant, et donc l’écriture elle-même.119
Es ist der Buchstabe und nicht das Zeichen, der hier den Signifikanten stützt, aber wie jedes beliebige andere – dem Gesetz der Metapher folgend, in Bezug auf das ich die letzten Male daran erinnert habe, dass es das Wesen der Sprache ausmacht – ist es immer von anderswo her als von dort, wo sie ist, die Sprache, nämlich vom Diskurs her, dass sie, was es auch sei, im Netz des Signifikanten fängt, also die Schrift selbst.120
Seulement voilà, elle est promue de là à la fonction d’un référent aussi essentiel de toute chose121, et c’est ça qui change le statut du sujet.
Nur wird der Buchstabe von da in die Funktion eines Referenten befördert, der genauso wesentlich ist für jedes Ding, und eben das verändert den Status des Subjekts.
C’est par là qu’il s’appuie sur un ciel constellé, et non seulement sur le trait unaire pour son identification fondamentale.
Daher kommt es, dass es sich für seine grundlegende Identifizierung auf einen bestirnten Himmel stützt und nicht nur auf den unären Zug.
Eh bien justement il y en a trop.
Nun ja, es gibt eben zu viel davon.
Trop d’appuis, c’est la même chose que de ne pas en avoir.
Zu viele Stützen, das ist dasselbe, wie keine zu haben.
C’est pour ça qu’il prend appui ailleurs, sur le tu.
Und darum stützt es sich auf etwas anderes, auf das Du.122
C’est qu’en japonais, on voit toutes les formes grammaticales pour le moindre énoncé, pour dire quelque chose, comme ça, n’importe quoi, il y a des manières plus ou moins polies de le dire selon la façon dont je l’implique, dans le tu.
Im Japanischen ist es so, dass man für die geringste Aussage sämtliche grammatischen Formen sieht; wenn man etwas sagen will, einfach so, was auch immer, gibt es mehr oder weniger höfliche Arten, es zu sagen, je nach der Art, wie ich ihn in das Du einbeziehe.
Je l’implique, si je suis japonais, si je ne suis pas japonais, je ne le fais pas, ça me fatiguerait.
Ich beziehe ihn ein, wenn ich Japaner bin; wenn ich kein Japaner bin, tue ich das nicht, es würde mich ermüden.
Quand vous pourrez, c’est vraiment à la portée de tout le monde d’apprendre le japonais, quand vous aurez vu que la moindre chose fait sujet aux variations dans l’énoncé, qui sont des variations de politesse, vous aurez appris quelque chose. Vous aurez appris qu’en japonais, la vérité renforce la structure de fiction que j’y dénote justement d’y ajouter les lois de la politesse.123
Wenn Sie könnten – Japanisch zu lernen, ist wirklich in Reichweite eines jeden –, wenn Sie gesehen haben werden, dass die geringste Angelegenheit solchen Variationen der Aussage unterworfen ist, die Variationen der Höflichkeit sind, dann werden Sie etwas gelernt haben, dann werden Sie gelernt haben, dass im Japanischen die Wahrheit die Struktur der Fiktion, die ich darin bezeichne, genau dadurch verstärkt, dass sie hier die Gesetze der Höflichkeit hinzufügt.124
Singulièrement ça semble porter le résultat de ce qu’il n’y ait rien à défendre du refoulé, puisque le refoulé lui-même trouve à se loger de cette référence à la lettre.
Eigenartigerweise scheint dies zu dem Ergebnis zu führen, dass vom Verdrängten nichts abzuwehren ist, da das Verdrängte gerade durch diesen Bezug auf den Buchstaben seinen Ort findet.
En d’autres termes, le sujet est divisé comme partout par le langage, mais un de ses registres peut se satisfaire de la référence à l’écriture, et l’autre de l’exercice de la parole.
Anders gesagt, das Subjekt ist wie überall durch die Sprache gespalten, aber einem seiner Register kann durch den Bezug auf die Schrift Genüge getan werden und dem anderen durch die Ausübung des Sprechens.125
C’est sans doute ce qui a donné à mon cher ami Roland Barthes ce sentiment enivré que de toutes ces bonnes manières, le sujet japonais ne fait en bloc rien126.
Sicherlich ist es das, was meinem lieben Freund Roland Barthes dieses berauschte Gefühl gegeben hat, dass das japanische Subjekt mit all seinen guten Manieren insgesamt nichts macht.127
Du moins est-ce ce qu’il dit dans un livre que je vous recommande, car c’est une œuvre sensationnelle, l’Empire des Signes, |[126] qu’il intitule ça.
Zumindest ist es das, was er in einem Buch sagt, das ich Ihnen empfehle, denn das ist ein sensationelles Werk; er hat ihm den Titel Das Reich der Zeichen gegeben.128
Dans les titres, on fait des termes souvent un usage impropre. Enfin, on fait ça pour les éditeurs.
Bei Titeln macht man von den Termini oftmals einen unpassenden Gebrauch; naja, das macht man für die Verleger.
Ce qu’il veut dire évidemment, que c’est l’empire des semblants, il suffit de lire le texte pour s’en apercevoir.
Was er offenkundig sagen will, ist, dass es das Reich des semblants ist, der Formen des Scheins; es genügt, den Text zu lesen, um das mitzubekommen.129
Et bien, le japonais… mythique, le petit japonais du commun, m’a-t-on dit, la trouve mauvaise.
Nun, der mythische Japaner, der kleine Normal-Japaner, so hat man mir gesagt, findet es schlecht.
C’est du moins ce que j’ai entendu là-bas.
Zumindest ist es das, was ich da drüben gehört habe.
Et en effet, quelque excellent [que l’ait] écrit Roland Barthes, je lui opposerai ce que je dis aujourd’hui, à savoir que rien n’est plus distinct du vide creusé par l’écriture que le semblant, en ceci d’abord qu’il est le premier des godets prêt toujours à faire accueil à la jouissance ou tout au moins à l’invoquer de son artifice.
Und tatsächlich, wie hervorragend auch immer Roland Barthes es geschrieben haben mag, so möchte ich gegen ihn doch das einwenden, was ich heute sage, nämlich dass sich nichts von der Leere, die durch die Schrift ausgehöhlt worden ist, stärker unterscheidet als der Schein, zuallererst insofern, als er der erste der Näpfe ist, immer bereit, die Jouissance in Empfang zu nehmen oder sie mit seinem Kunstgriff zumindest aufzurufen.130
D’après nos habitudes, rien ne communique moins de soi qu’un tel sujet qui en fin de compte ne cache rien, qui n’a qu’à nous manipuler, et je vous assure qu’il ne s’en prive pas.
Unserer Gewohnheit nach kommuniziert nichts von sich weniger als ein solches Subjekt, das letztlich nichts verbirgt, dem nur bleibt, uns zu manipulieren, und ich versichere Ihnen, dass es darauf keineswegs verzichtet.
C’était pour moi un délice, car en fin de compte j’adore ça…
Das war für mich eine Wonne, denn letztlich bete ich das an.
Vous êtes un élément, entre autres, du cérémonial où le sujet se compose justement de pouvoir se décomposer.
In der Zeremonie, in der das Subjekt eben daraus zusammengesetzt ist, dass es sich zersetzen kann, sind Sie ein Element unter anderen.
Le Bunraku, peut-être que vous avez vu ça, certains d’entre vous quand ils sont passés à Paris, le Bunraku, j’ai été le revoir là-bas, je l’avais déjà vu la première fois, eh bien… eh bien, le Bunraku, c’est là son ressort : il fait voir la structure toute ordinaire pour ceux à qui elle donne leurs mœurs elles-mêmes.
Das Bunraku, vielleicht haben Sie das gesehen, einige unter Ihnen, als sie nach Paris gekommen sind, das Bunraku habe ich mir da drüben wieder angeschaut, bereits beim ersten Mal hatte ich es mir angeschaut, nun, das Bunraku, seine Triebfeder ist hier: es lässt diejenigen die ganz gewöhnliche Struktur sehen, denen diese Struktur ihre Sitten gibt.131
Vous savez qu’on voit à côté de la marionnette exactement à découvert les gens qui y opèrent.
Sie wissen, dass man neben der Puppe unverdeckt genau die Leute sieht, die hier tätig sind.
Aussi bien, comme au Bunraku, tout ce qui se dit dans une conversation japonaise pourrait-il aussi bien être lu par un récitant.
Genauso könnte, wie im Bunraku, alles, was in einem japanischen Gespräch gesagt wird, ebenso gut von einem Rezitator gelesen werden.132
C’est là ce qui a dû soulager Barthes.
Das ist das, was Barthes sicherlich erleichtert hat.
Le Japon est l’endroit où il est le plus naturel de se soutenir […] d’une interprète qui aurait aussi bien pu être un, d’une interprète, on est tout à fait à l’aise, on peut se doubler d’une interprète, ça ne nécessite en aucun cas d’interprétation.133
Japan ist der Ort, wo es das Natürlichste ist, sich zu stützen […] auf die Hilfe d’une interprète, einer Dolmetscherin, die ebenso ein Dolmetscher hätte sein können, man ist völlig entspannt, man kann sich durch eine Interpretin verdoppeln, eine Interpretation ist in keinem Fall erforderlich.
Vous vous rendez compte, [si j’étais soulagé…] le japonais, c’est la traduction perpétuelle des faits du langage134.
Sie begreifen, wenn ich erleichtert war, das Japanische ist die beständige Übersetzung der Tatsachen der Sprache.
Ce que j’aime, et je vais finir là-dessus, c’est que la seule communication que j’y ai eue, hors les Européens, bien sûr, avec lesquels je sais m’entendre selon notre malentendu culturel, la seule que j’ai eue avec un Japonais, c’est aussi la seule, qui là-bas comme ailleurs puisse être une communication, pas un dialogue, c’est une communication scientifique.
Was mir gefällt, um damit zu enden, ist dies, dass die einzige Kommunikation, die ich dort gehabt habe – außer mit den Europäern natürlich, mit denen ich mich gemäß den Missverständnissen unserer Kultur zu verständigen weiß –, die einzige, die ich mit einem Japaner gehabt habe, auch die einzige ist, die da unten wie anderswo eine Kommunikation sein könnte, kein Dialog, nämlich eine wissenschaftliche Kommunikation.135
J’ai été voir un éminent biologiste, que je ne nommerai pas, en raison des règles de la politesse japonaise et de ce que je vais dire, ça l’a poussé à me démontrer ses travaux naturellement là où ça se fait, au tableau noir !
Ich habe einen bedeutenden Biologen aufgesucht, den ich aufgrund von Regeln der japanischen Höflichkeit nicht nennen werde und aufgrund von dem, was ich sagen werde, und das hat ihn dazu gebracht, mir seine Arbeiten vorzuführen, natürlich dort, wo so etwas gemacht wird, an der Tafel.
Le fait que, faute d’informations, je n’y compris rien, n’empêche nullement ce qu’il a |[127] écrit, ses formules, d’être entièrement valables, comme les miennes, là où elles sont, valables pour les molécules dont mes descendants se feront sujets, sans que j’aie jamais eu à savoir comment je leur transmettais ce qui rendait vraisemblable que, moi, je me classe parmi les êtres vivants.136
Die Tatsache, dass ich dabei mangels Information nichts begriffen habe, schließt keineswegs aus, dass das, was er geschrieben hat, seine Formeln, völlig gültig ist – wie die meinigen, da wo sie es sind –, gültig für die Moleküle, zu deren Subjekt sich meine Nachkommen machen werden, ohne dass ich je hätte wissen müssen, wie ich sie an sie übertrage, was es plausibel macht, dass ich mich zu den Lebewesen zähle.137
Une ascèse de l’écriture, ça n’ôte en rien des avantages que nous pouvons prendre de la critique littéraire.
Eine Askese der Schrift, das nimmt den Vorteilen, die wir aus der Literaturkritik gewinnen können, nicht das Geringste.
Ça me semble, pour fermer la boucle sur quelque chose de cohérent en raison de ce que j’ai déjà avancé, ça me semble ne pouvoir passer qu’à rejoindre ce „c’est écrit“ impossible dont s’instaurera peut-être un jour le rapport sexuel.
Dies scheint mir – um mit etwas zu schließen, was durch das, was ich bereits vorgebracht habe, kohärent ist –, dies scheint mir nur dann geschehen zu können, wenn es wieder an dieses unmögliche es steht geschrieben anschließt, von dem her vielleicht eines Tages das sexuelle Verhältnis eingesetzt werden wird.138
Sekundärliteratur zu „Lituraterre“
Fierens, Christian: Lecture d’un discours qui ne serait pas du semblant. Cours „lire-en-psychanalyse“ de 2009-2010 sur le livre XVIII du Séminare de Lacan. EME, Louvain-la-Neuve 2012, darin: Chapitre VII: Lituraterre, S. 143–164
Laurent, Écric: La lettre volée et le vol sur la lettre. (Vortrag von 1998 oder 1999). In: La Cause freudienne Nr. 43, 1999, S. 22, im Internet hier: https://www.lacanchine.com/Laurent_01.html. Englische Übersetzung: E. Laurent: The purloined letter and the tao of the psychoanalyst. In: Véronique Voruz, Bogdan Wolf (Hg.): The later Lacan. An introductíon. State University of New York Press, Albany 2007, S. 25–52.
Metz, Bénédict: Sur le ravinement : une lecture de Lituraterre et de ce que Lacan y apporte concernant les rapports du semblant et de l’écrit. 29.8.2008. A.L.I. Séminaire d’été 2008,
Nobus, Dany: Illiterature. In: Luke Thurston (Hg.): Re-inventing the symptom. Essays on the final Lacan. Other Press, New York 2002, S. 19–43.
Ogasawara, Shin’ya: L’instance de la lettre dans l’inconscient japonais. In: Ornicar? digital, https://www.wapol.org/ornicar/articles/ogw0068.htm; die englische Übersetzung findet man hier. The instance of the letter in the Japanese unconscious
Rabaté, Jean-Michel: Jacques Lacan. Psychoanalysis and the subject of literature. Palgrave, Basingstoke und New York 2001, zu Lituraterre: S. 31–35.
Villers, Guy de: Écriture et réel. La lettre chez Lacan. 28. März 2011,
http://cripsa.over-blog.com/article-ecriture-et-reel-70457691.html
Žižek, Slavoj: Dialectical clarity versus the misty conceit of paradox. In: Ders., John Milbank: The monstrosity of Christ. Paradox or dialectic? MIT Press, Cambridge, Mass. (USA) 2009, S. 234–306; zu Lituraterre: S. 274 f.
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Anmerkungen
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Littérature, Nr. 3, 1. Jg., Oktober 1971, S. –10, nachgedruckt in: J. Lacan: Autres écrits. Le Seuil, Paris 2001, S. 11–20
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Lituraterre wurde veröffentlicht in der Zeitschrift Littérature, 1. Jahrgang, Oktober 1971, Heft 3, S. 3–10.
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Alfred Ernout, Antoine Meillet: Dictionnaire étymologique de la langue latine. Histoire des mots. Klincksieck, Paris 1959.
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Lino ist die erste Person Singular Präsens von linere, „ausstreichen von Geschriebenem“; litura bedeutet „Streichung in einem Text“; liturarius meint „etwas, was Streichungen zeigt“.
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Anspielung auf Freuds Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten (1905) sowie auf die Analyse des Versprechers in Freuds Zur Psychopathologie des Alltagslebens (1904).
In einer früheren Sitzung von Seminar 18 hatte Lacan gesagt, nach einer Bemerkung über die Funktion der Töne im Chinesischen und über die Modulation im Englischen:
„Natürlich wäre es ganz und gar missbräuchlich, zu sagen, dass das ein Verhältnis zum Sinn (sens) hat. Nur muss man dafür dem Wort »Sinn« ein Gewicht verleihen, dass es nicht hat, weil das Mirakel, das Wunder, das beweist, dass aus Sprache etwas zu machen ist, nämlich der Witz, genau auf dem Nicht-Sinn beruht. Wenn man sich auf einige andere Artikel bezieht, die da zum Dreck gebracht worden sind / poubelliqués (publiés (veröffentlicht) + poubelle (Abfalleimer], hätte man sich vielleicht sagen können, dass es nicht von ungefähr ist, dass ich geschrieben habe: „Das Drängen des Buchstabens im Unbewussten“. Ich habe nicht gesagt „Das Drängen des Signifikanten“, dieser teure Signifikant, lacanianisch, was man sagt, was man sagt, was man sagt, wenn man sagen will, dass ich ihn illegitimerweise Saussure geraubt habe.“
(Sitzung vom 10. März 1971; Version Miller, S. 89)
Über den Versprecher heißt es in derselben Sitzung:
„Und was kann das heißen wollen, dass Sie einen Versprecher, eine Fehlhandlung, ein Misslingen in der Psychopathologie des Alltagslebens mindestens drei Mal in denselben fünf Minuten wiederholt haben? Ich weiß nicht, warum ich Ihnen das sage, denn das ist ein Beispiel, mit dem ich einen meiner Patienten offenbare. Vor nicht langer Zeit hat tatsächlich einer meiner Patienten fünf Minuten lang – wobei er jedes Mal lachte und sich verbesserte, aber das ließ ihn kalt – seine Mutter als »meine Frau« bezeichnet. »Das ist nicht meine Frau, denn meine Frau« usw., und so ging das fünf Minuten lang, er hat es sicherlich zwanzig Mal wiederholt. Was wird in diesem Sprechen verfehlt, wo ich mich doch abmühe, Ihnen zu sagen, dass das wirklich das gelungene Sprechen ist? Das ist deshalb so, weil seine Mutter durchaus seine Frau war. Er hat sie so bezeichnet, wie es nötig war.
Es gibt ein Fehlen einzig in Bezug worauf? In Beziehung zu dem, was die Schlauberger der Urschrift, der Schrift, die je schon in der Welt ist, vom Sprechen präfigurieren. Komische Übung, nicht wahr? Von mir aus, eine der Funktionen des Universitätsdiskurses besteht darin, auf diese Weise die Karten zu verwirren. Jeder erfüllt also seine Funktion, ich auch, ich habe die meine, und auch sie hat ihre Wirkungen.
Gut. Also, wir haben eine neue Gestalt des Fortschritts, die das Zur-Welt-Kommen ist, das Auftauchen eines Ersatzes für diese Idee der Evolution, die auf oberster tierischer Entwicklungsstufe zu diesem Bewusstsein führt, das uns kennzeichnet, dank dessen wir in jenem Glanze leuchten, der Ihnen bekannt ist. Das also ist das Erscheinen der Programmierung in der Welt.
Ich werde mich dieser Bemerkung, dass eine Programmierung ohne die Schrift nicht denkbar wäre, nur bemächtigen, um darauf aufmerksam zu machen, dass auf der anderen Seite das Symptom – Versprecher, Fehlhandlung, Psychopathologie des Alltagslebens – nur gestützt wird, nur einen Sinn hat, wenn Sie von der Idee ausgehen, dass das, was Sie zu sagen haben, programmiert ist, d.h. dass sie es zu schreiben haben. Sicherlich, wenn er »meine Frau« statt »meine Mutter« schreibt, gibt es keinen Zweifel, dass es sich um einen Lapsus handelt; einen Lapsus gibt es aber nur als lapsus calami, selbst wenn es sich um einen lapsus linguae handelt, denn die Sprache, naja, sie weiß sehr gut, was sie zu tun hat. Das ist ein kleiner Phallus, der ganz sanft kitzelt. Wenn sie etwas zu sagen hat, nun, dann sagt sie es. Ein gewisser Äsop hatte bereits gesagt, sie sei zugleich das Beste und das Schlimmste.“
(Version Miller, S. 89 f.)
Mit dem Hinweis auf eine Bemerkung über den Schriftcharakter der Programmierung spielt Lacan vielleicht auf eine Äußerung von Derrida an. Im ersten Kapitel der Grammatologie kann man lesen:
„Im Hinblick auf die elementarsten Informationsprozesse in der lebenden Zelle spricht auch der Biologe heute von Schrift und Pro-gramm. Und endlich wird der ganze, vom kybernetischen Programm eingenommene Bereich – ob ihm nun wesensmäßig Grenzen gesetzt sind oder nicht – ein Bereich der Schrift sein.“
(Jacques Derrida: Grammatologie (1967). Suhrkamp, Frankfurt am Main 1974, S. 21)
Lapsus calami ist der lateinische Ausdruck für „Schreibfehler“, „Schreibversehen“ (calamus ist das Schreibrohr); lapsus linguae meint „Sprachfehler“.
Im Aesop-Roman – einem antiken Roman über den Dichter Aesop – wird erzählt, dass der Sklave Aesop von seinem Herrn aufgefordert wurde, zunächst das beste und dann das schlechteste Gericht aufzutischen. Beide Male servierte er Zunge (griech. glōssa, lat. lingua), mit der Begründung, dass die Sprache (ebenfalls glōssa bzw. lingua) zugleich das Beste und das Schlechteste sei.
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In Lacans Poe-Aufsatz (1956) heißt es zu Poes Erzählung Der entwendete Brief:
„Was hielten sie in dem, was sie in ihren Händen hin und her wendeten, anderes in der Hand, als etwas, was nicht der Beschreibung entsprach, die sie vom Brief hatten? A letter, a litter, ein Brief, ein Abfall. Im literarischen Kreis um Joyce hat man mit Zweideutigkeiten zur Homophonie dieser beiden englischen Wörter gespielt.“
(J. Lacan: Das Seminar über E.A. Poes „Der entwendete Brief“. In: Ders.: Schriften I, hg. v. N. Haas, S. 24)
In einer Anmerkung zu diesem Satz verweist Lacan auf den von Samuel Beckett herausgegebenen Sammelband: Our exagmination round his factification for incamination of work in progress. Sylvia Beach (Shakespeare & Company), Paris 1929 (A.a.O., S. 24).
Der Sammelband enthält den Brief eines Vladimir Dixon, der mit A litter to Mr Joyce überschrieben ist. Hierin heißt es: “Please froggive my t’Emeritus and any inconvince that may have been caused by this litter. Yours veri tass, Vladimir Dixon.” Der Brief wurde lange Zeit irrtümlich Joyce zugeschrieben. Joyce selbst verwendet das Wortspiel letter/litter häufig aber auch selbst in Finnegans Wake; vgl. die Belege in Biswas 2012, S. 175 f.
Das günstige Vorzeichen besteht vermutlich darin, dass im Ernout/Meillet zu lesen ist, dass man neben littera (für „Buchstabe“) noch eine zweite Schreibweise findet, litera, also mit nur einem t, und dass die zweite Schreibweise auf einen etymologisch falschen Vergleich mit lino, litum zurückzuführen ist, also auf die Angleichung an litura, „Streichung“ (vgl. Biswas 2012, S. 174).
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Die Mäzenin, die ihm anbot, eine Psychoanalyse bei Jung zu finanzieren, war Edith Rockefeller McCormick, vgl. Richard Ellmann: James Joyce. Zweiter Band. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1979, S. 713 f. Joyce lehnte das Angebot ab.
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Der lateinische Ausdruck sicut palea meint „wie Streu“. Im Dezember 1273 hatte Thomas von Aquin eine mystische Erfahrung, die ihn dazu brachte, die Arbeit an der Summa Theologica einzustellen und nichts mehr zu schreiben. Er erklärte dies damit, dass alles, was er bisher geschrieben habe, „wie Streu“ für ihn sei, verglichen mit dem, was er gesehen habe. (Vgl. Biswas 2012, S. 177.)
Die Wendung geht auf das Buch Jesaja der hebräischen Bibel zurück: „Aber die Menge deiner Feinde soll werden wie Staub und die Menge der Tyrannen wie wehende Spreu.“ (Jesaja 29, Vers 5)
Lacan hatte den Ausdruck „sicut palea“ bereits verwendet im Vorschlag vom 9. Oktober 1967 über den Analytiker der Schule (J. Lacan: Autres écrits. Seuil, Paris 2001, S. 254);in der Notiz für die Italiener (1973) wird er ihn wieder aufgreifen (Autres écrits, S. 311).
„Stroh“ steht hier sicherlich euphemistisch für „Mist“, also für die Verbindung von Stroh und Exkrementen (vgl. Christian Fierens: Lecture d’un discours qui ne serait pas du semblant. Cours „lire-en-psychanalyse“ de 2009–2010 sur le livre XVIII du Séminare de Lacan. EME, Louvain-la-Neuve 2012, darin: Chapitre VII: Lituraterre, S. 143–164, hier: S. 145).
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Lacan bezieht sich auf seinen Vortrag Mon enseignement, sa nature et ses fins, den er am 20. April 1967 im psychiatrischen Krankenhaus Charles Perrens in Bordeaux gehalten hatte und in dem er sich über die Beziehung der Zivilisationen zu Mülldeponien und Abwassersystemen geäußert hatte:
„Es ist stets schockierend, darüber zu sprechen, obwohl das doch immer ein Teil von dem gewesen ist, was man die Kultur (civilisation) nennt. Eine Hochkultur ist zunächst einmal eine Kultur, die eine Müllkippe hat. Solange man nicht von Dingen dieser Art ausgeht, wird man nichts Seriöses sagen.
Bei den Völkern, die man seit einiger Zeit primitiv nennt, ich weiß nicht warum, wo sie doch absolut nichts von Primitivität an sich haben, oder sagen wir, in den Gesellschaften, mit denen sich die Ethnologen befassen (…), nun ja, gibt es weniger an Müllproblemen. Ich behaupte nicht, dass es dergleichen nicht gibt. Und eben, weil sie weniger von diesen Problemen haben, hat man sie Wilde genannt und sogar gute Wilde, und man sieht sie als Leute an, die näher an der Natur sind.
Doch für die Gleichung Hochkultur = Rohre und Kloaken gibt es keine Ausnahme. In Babylon gibt es Kloaken, in Rom gibt es nur das. Die Stadt beginnt damit, Cloaca maxima. Das Reich der Welt war ihr verheißen. Man sollte folglich stolz darauf sein. Der Grund dafür, dass man es nicht ist, ist der, dass man, wenn man dieser Tatsache ihre, wenn man das sagen kann, fundamentale Tragweite geben würde, der erstaunlichen Analogie gewahr werden würde, die zwischen Müllkippe und Kultur (civilisation) besteht.
Das ist jetzt kein Privileg mehr. Alle Welt ist davon mehr als zugedeckt. Das verfestigt sich über ihnen, die Kultur. Eingeschlossen, wie man es ist, in diesen Panzer aus Abfällen, die auch von da herkommen, versucht man, dem vage eine Form zu geben.“
(J. Lacan: Meine Lehre, ihre Beschaffenheit und ihre Zwecke. In: J. Lacan: Meine Lehre. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien 2008, S. 67–100, hier: S. 73 f.)
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Quelle der Abbildung: Artikel „Cloaca Maxima“ der deutschen Wikipedia.
In einer früheren Sitzung von Seminar 18 hatte Lacan sich auf das chinesische Schriftzeichen für „Schrift“ bezogen, wen, und hinzugefügt:
„Nun, versuchen Sie ruhig, das zu schreiben, denn für die Chinesen ist es das Zeichen der Zivilisation. Und mehr noch: das ist wahr.“ (Sitzung vom 10. März 1971; Version Miller, S. 87)
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Im Oktober 1967 hatte Lacan der von ihm geleiteten École Freudienne de Paris (EFP) ein Verfahren zur Verleihung des Titels eines Lehranalytikers („Analyste de l’École“, AE) vorgeschlagen, die passe. Das Verfahren war sehr umstritten. Lacan hatte hierzu zwei schriftliche Vorschläge gemacht, die Proposition du 9 octobre 1967 (erste Fassung) und die Proposition du 9 octobre 1967 sur le psychanalyste de l’École (zweite Fassung). Die erste Fassung wurde abgelehnt (der Text wurde später in der Zeitschrift Analytica veröffentlicht, 8. Jg. (1978), S. 3-26). Die zweite Fassung wurde im Januar 1969 von der Generalversammlung der EFP angenommen (der Text erschien 1968 in Scilicet, 1. Jg., S. 14-3150, nachgedruckt in J. Lacan: Autres écrits. Le Seuil, Paris 2001, S. 243-260).
Vgl. José Attal: La passe à plus d’un titre. La troisième proposition d’octobre de Jacques Lacan. Cahiers de l’Unebévue, Paris 2012, S. 15, 20–27.– David Macey: Lacan in contexts. Verso, London u.a. 1988, S. 248 f.– Elisabeth Roudinesco: Jacques Lacan. Kiepenheuer und Witsch, Köln 1996, S. 501–503.
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Lacan spricht das Wort avouer, „gestehen“, abweichend aus. In etymologischen Wörterbüchern findet man als alte Form von avouer das Wort avoer, das, in alter Manier ausgesprochen, an avoir (haben) anklingt. In Lituraterre II schreibt er an dieser Stelle avouer in der üblichen Schreibweise (Autres écrits, S. 11).
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In Lituraterre II heißt es: „L’avouer ou, prononcé à l’ancienne, l’avoir“ (Autres écrits, S. 11). Demnach ist avoir (haben) eine alte Aussprache von avouer (gestehen).
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Biswas (2012, S. 179, Fn. 7) weist hierzu darauf hin, dass Lacan in der ersten Sitzung von Seminar 16 über diejenigen gesprochen hatte, die von den Publizisten als Strukturalisten bezeichnet werden, Lacan sagt dort:
„Eine gewisse Anzahl von uns findet sich im selben Mülleimer vereinigt, durch die Gnade derjenigen, deren Amt das ist. Man könnte unangenehmere Gesellschaft haben. Tatsächlich sind diejenigen, mit denen ich hier zusammengebracht werde, allesamt Leute, für deren Arbeit ich die größte Wertschätzung habe – es könnte mir schlechter gehen.
Was den Mülleimer angeht, in dieser Zeit, die vom Genie Samuel Becketts beherrscht wird, wissen wir ein bisschen darüber. Was mich persönlich angeht, nachdem ich mich in drei psychoanalytischen Gesellschaften aufgehalten habe, bis heute etwa dreißig Jahre lang, in drei Abschnitten von fünfzehn, zehn und fünf Jahren, weiß ich ein bisschen über das, was es heißt, mit Essensabfällen zusammenzuleben.“
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In einer früheren Sitzung von Seminar 18 hatte Lacan gesagt:
„Der Ödipusmythos, wer sieht nicht, dass er notwendig ist, um das Reale zu bezeichnen, denn eben das ist es, was er zu tun beansprucht. Oder genauer, das, worauf der Theoretiker reduziert ist, wenn er diesen Hypermythos formuliert, ist dies, dass das Reale im eigentlichen Sinne wodurch verkörpert wird? durch die sexuelle Jouissance, als was? als unmöglich, denn das, was der Ödipus bezeichnet, ist das mythische Wesen, dessen Jouissance – die ihm eigenes Jouissance – die Jouissance an was was wäre? an allen Frauen.“
(Sitzung vom 20. Januar 1971; Version Miller, S. 33)
In der Sitzung vom 17. Februar 1971 heißt es:
„Was bedeutet es, dass im analytischen Diskurs dieser Residualmythos beibehalten wird, der Ödipusmythos genannt wird, Gott weiß warum, der aber tatsächlich derjenige von Totem und Tabu ist, wo der Mythos des Urvaters aufgeschrieben ist, gänzlich eine Erfindung Freuds, des Urvaters, insofern er alle Frauen genießt – ? Das ist das, was wir aus etwas größerer Entfernung befragen müssen, von der Logik aus, vom Geschriebenen her.“
(Version Miller, S. 68 f.)
Am 9. Juni 1971 äußert sich Lacan ein weiteres Mal zum Ödipusmythos:
„Es ist sicher, dass die Jouissance, das man daher hat, sich kastrieren zu lassen, zu den Vorstellungen nur rapports d’appareil [?] hat.
Das ist das, worin der Sophokleische Ödipus – der für uns diesen Vorrang nur deshalb hat, weil die anderen Ödipusse unvollständig und meist verloren sind – für unsere Artikulationsbedürfnisse noch viel zu reich und zu diffus ist.
Die Genealogie des Begehrens – insofern es [in den Dramen] darum geht, wie es verursacht wird – beruht auf einer Kombinatorik, die komplexer ist als die des Mythos.“
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Vgl. S. Freud: Dostojewski und die Vatertötung (1928). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 10. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 267–286. Freud bezieht sich hier auf Dostojewskis Roman Die Brüder Karamasow (geschrieben 1878–1880).
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Chollet schreibt wie Espaces Lacan: „Si pourtant mon enseignement“.– Miller: „Ici, pourtant, mon enseignement“ (Hier jedoch).– Lituraterre II: „Ici mon enseignement“ (Autres écrits, S. 12).
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Éric Laurent (1999) verweist hierfür auf Michael Bachtin, Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur, eine Arbeit, die 1965 auf Russisch erschien. Eine französische Übersetzung wurde 1970 veröffentlicht, also im Jahr vor Lituraterre (eine deutsche Übersetzung wurde 1987 bei Suhrkamp publiziert). Laurent betont, dass Bachtin das Lachen in den Mittelpunkt stellt.
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In einer früheren Sitzung von Seminar 18 hatte Lacan gesagt:
„Der Weg zum Geschriebenen wird natürlich vom Sprechen aus gebahnt. Wenn ich meinen Schriften diesen Titel gegeben habe, dann deshalb, weil sie einen Versuch darstellen, einen Versuch des Geschriebenen; das wird hinreichend dadurch gekennzeichnet, dass das zu Grafen führt. Das Ärgerliche ist, dass die Leute, die beanspruchen, mich zu kommentieren, sofort von den Grafen ausgehen. Sie haben Unrecht, die Grafen sind nur verständlich in Abhängigkeit, möchte ich sagen, von der kleinsten Stilwirkung besagter Schriften, die in gewisser Weise dafür die Stufen des Zugangs sind. Was dazu führt, dass das Geschriebene, das Geschriebene für sich allein genommen – um welches Schema es auch gehen mag, um das, was man als Schema L bezeichnet oder wie auch immer, oder um den großen Grafen selbst – die Gelegenheit für alle Arten von Missverständnissen bietet. Worum es geht, ist ein Sprechen, insofern es sich bemüht, den Weg zu diesen Grafen zu bahnen.“
(Sitzung vom 17. Februar 1971; Version Miller, S. 62)
Weitere Ausführungen zu den Grafen in den Écrits findet man in der Sitzung vom 10. März 1971: die Grafen stellen eine Topologie dar, und die Grundlage der Topologie ist die Schrift (vgl. Version Miller, S. 79–83).
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Lacan bezieht sich auf seinen Aufsatz Le Séminaire sur „La Lettre volée“. Grundlage dieses Textes ist die Vorlesung vom 26. April 1955 im Rahmen von Seminar 2. Die ausgearbeitete schriftliche Fassung wurde 1956 verfasst und 1957 veröffentlicht (vgl. Écrits, S. 11–41, mit Nachträgen S. 41–61); die deutsche Übersetzung hat den Titel Das Seminar über E.A. Poes „Der entwendete Brief‘“ (Schriften I, hg. v. N. Haas, S. 9–41, Nachträge von S. 41–60).
Poes Detektivgeschichte The purloined letter (1844) findet man, in der Buchausgabe von 1845, hier; eine Übersetzung von Hedda Eulenberg (1901) steht hier.
In der Sitzung vom 26. April 1955 hatte es über den Brief/Buchstaben (lettre) in Poes Erzählung geheißen:
– Der Brief ist das Synonym des initialen, des radikalen Subjekts (Seminar 2, Version Miller/Metzger, S. 250)
– Der Brief ist das Unbewusste mit all seinen Konsequenzen (250).
– Er ist das sich im Reinzustand verschiebende Symbol (250).
– Der Brief in Poes Erzählung entspricht der Formel des Trimethylamins in dem von Freud analysierten Traum von Irmas Injektion (250). Diese Formel ist das letzte Wort dessen, worum es geht; dieses Wort will nichts sagen, außer, dass es ein Wort ist (218).
– In Poes Erzählung unterliegt der Brief einer unbeherrschbaren Eigendynamik, die die Form symbolischer Transformationen hat (250).
– Dieses Symbol übt Wirkungen aus: man kann nicht an es rühren, ohne in sein Spiel hineingezogen zu werden (250); die Personen sind dem Brief gegenüber in einer „femininen“ Position (254, 257 f.).
– Der Brief ist der Träger der Drohung einer verdrängten Unordnung, er gefährdet die Ordnung des Pakts (254); die Macht des Briefes ist unbestimmt, sie hat keinen bestimmten symbolischen Sinn (255).
– Lacan betont den Gegensatz des Geschriebenen zum Gesprochenen. Entgegen dem Sprichwort verba volant, scripta manent (Worte fliegen, Geschriebenes bleibt) muss man sagen: das Geschriebene fliegt, die Worte bleiben (251 f.); vom Brief kann nicht gesprochen werden (255).
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Vgl. Schriften I, hg. v. N. Haas, S. 41.
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Lacan spielt hier mit der Lautähnlichkeit von conte (Erzählung), compte (Rechnung) und contenu (Inhalt).
In früheren Sitzungen von Seminar 18 hatte Lacan ausführlich seinen Poe-Aufsatz kommentiert.
In der Sitzung vom 10 März 1971 heißt es nach Bemerkungen zum Verhältnis von Sprache und Schrift:
„Nun ja, ich sage Ihnen all das. Ich muss sagen, dass mich das nicht ermüdet, wenn Sie wollen, aber das ermüdet mich trotzdem ein bisschen.
Sie werden mir glauben, wenn Sie wollen, als ich heute früh aufwachte, nachdem ich bis um ein Uhr Madeleine David gelesen hatte, habe ich mir gesagt, dass es immerhin absolut nicht umsonst war, dass meine Schriften mit Le Séminaire sur »La Lettre volée« begonnen haben, mit dem Seminar über »Der entwendete Brief«. La lettre wird da in einem anderen Sinn aufgefasst als in L’instance de la lettre dans l’inconscient, Das Drängen des Buchstabens im Unbewussten, nämlich in dem des Briefs.
Ich bin nicht frisch, ich bin spät zu Bett gegangen, nach Mitternacht, und Gloria wird Ihnen bezeugen, dass ich mich von acht Uhr bis halb zehn mit dem Wiederlesen des Seminars über »Der entwendete Brief« herumgeschlagen habe. Das ist eine Sache, die der Mühe wert war, ein bisschen raffiniert. Ich lese mich niemals wieder, aber wenn ich mich wiederlese, können Sie sich nicht vorstellen, wie ich mich bewundere. Offenkundig hatte ich mir Mühe gegeben, ich hatte da eine ziemlich ausgefeilte Sache verfasst, die nicht schlecht war. Als ich es gemacht habe, ich weiß nicht mehr wann, es gibt das Datum, da war das immer vor der Kanaille von Sainte-Anne. Danach habe ich es an einem Ort ausgefeilt, den ich ans Ende gesetzt habe, ich bin gewissenhaft, San Casciano, in der Nähe von Florenz, das hat mir ziemlich meine Ferien verdorben. Naja, wissen Sie, ich habe die Neigung, meine Ferien zu verderben.
Hören Sie, es ist spät, nicht wahr, und letztlich glaube ich, dass es besser wäre, wenn ich das nächste Mal zu Ihnen darüber spreche.
Aber schließlich, vielleicht, wer weiß, wird Sie das dazu anreizen, es zu lesen. Es wäre besser, Ihnen nicht sofort zu sagen, wohin man gehen muss. Ich werde es dennoch tun, denn es gibt Leute, die das nicht mitbekommen könnten.
Dieser Brief, von dem ich spreche, der Brief, den die Königin empfängt – Sie haben vielleicht die betreffende Erzählung von Poe gelesen –, das ist ein Brief, der immerhin ein bisschen merkwürdig ist. Man erfährt niemals, was drinsteht. Genau das ist wesentlich, man erfährt niemals, was drinsteht. Und sogar, nichts widerspricht dem, dass am Schluss nur sie es weiß. Im Übrigen, wenn sie die Polizei darauf ansetzt, verstehen Sie, ist es durchaus notwendig, dass sie die Vorstellung hat, dass das in keinem Fall irgendjemandem Auskünfte geben kann. Es gibt nur eine Sache, nämlich dass sicher ist, dass das einen Sinn hat. Und da das von einem gewissen Herzog von soundso kommt, der sich an sie gewandt hat, wenn er dem König, ihrem guten Herrn, in die Hände fällt, selbst wenn auch er hier nichts versteht, wird er sich sagen, »Wie auch immer, da ist etwas faul«. Und Gott weiß, wo das hinführen kann. Ich bedaure die alten Geschichten, zu denen das früher geführt hat, das brachte eine Königin aufs Schafott, Sachen wie diese da.
Gut. Da ich für Sie nicht die Sache machen kann, die ich verfasst habe über das, was Poe unter dem Titel The purloined letter verfasst hat, den ich annäherungsweise mit la lettre en souffrance übersetzt habe, der unzustellbare Brief, nun gut, lesen Sie es von hier zum nächsten Mal, von Seite 30 der Écrits bis zum Schluss. [La lettre en souffrance heißt wörtlich: „der Brief im Leiden“, von Lacan wird der Ausdruck im Sinne von „der Brief, der Leiden hervorruft“ verwendet: der Brief ist aktiv, die Personen sind passiv. RN.] Das wird es mir vielleicht gestatten, fortzusetzen, das zu stützen, was Sie in meiner heutigen Rede konvergieren sehen.
Sie haben vielleicht vage von der Wirkung der Verschiebungen dieses Briefs sprechen gehört, dieses Wechselns von Hand zu Hand. Der Minister hat ihn der Königin stibitzt, wonach Dupin eingreift, das Poesche Genie, nicht wahr, der Schlauste der Schlauen, der gar nicht so schlau ist. Aber Poe ist schlau, als Erzähler der Geschichte.
Hier öffne ich eine Klammer, und ich stelle Ihnen eine kleine Frage, die jedoch eine sehr allgemeine Reichweite hat. Ist der Erzähler der Geschichte derjenige, der sie schreibt? Stellen Sie sich diese Frage beispielsweise, wenn Sie Proust lesen. Es ist sehr notwendig, sie zu stellen, denn ohne das sind Sie aufgeschmissen, Sie glauben, dass der Erzähler der Geschichte ein einfacher Jemand ist, ein bisschen asthmatisch, und in seinen Abenteuern alles in allem ziemlich blöd; das muss man wohl sagen, nicht wahr. Nur, wenn Sie Proust praktiziert haben, haben Sie nicht den Eindruck, dass das in irgendeiner Weise blöd ist. Das ist nicht das, was Proust über den Erzähler sagt, was er schreibt, ist etwas anderes. Nunja, gehen wir weiter.
Von Seite 30 [Schriften I, S. 29] bis zu einer bestimmten Seite, Sie werden sehen, wenn ich von der Beförderung des Briefes spreche, von der Art, wie der Minister ihn der Königin genommen hat, oder dass Dupin den Staffelstab vom Minister übernimmt, und darüber, welche Folgen es hat, der Besitzer (détenteur) dieses Briefes zu sein. Détenteur, das ist ein eigenartiges Wort, nicht wahr? Das bedeutet vielleicht, die Möglichkeit der détente zu haben, der Entspannung. Dieser Brief, über den ich von dieser bis zu jener Seite spreche, Sie werden sehen, dass ich ihn geschrieben habe. Wusste ich, was ich tat?
Nun, ich werde es Ihnen nicht sagen. Das, wovon ich spreche, ist der Phallus. Und ich werde sogar noch mehr sagen, nie hat jemand besser darüber gesprochen. Aus diesem Grunde bitte ich Sie, sich darauf zu beziehen, Sie werden dabei etwas lernen.“
(Sitzung vom 10. März 1971; Version Miller, S. 92–94)
In der Sitzung vom 17. März 1971 fährt Lacan fort, seinen Poe-Aufsatz zu kommentieren:
„Dieses Seminar über »Der entwendete Brief«, ich weiß noch nicht, was das bringen kann. (…)
Wer sind diejenigen, die auf meine ausdrückliche Empfehlung hin die Anstrengung unternommen haben, die Seiten 30 bis 41 von dem zu lesen, was man als meine Écrits bezeichnet [Seiten 29 bis 41 von Schriften I]? Nun, heben Sie doch mal den Finger. Hier kann man den Finger heben. Viele sind das nicht gerade. Ich weiß nicht, ob ich nicht den Nervenzusammenbruch kriegen werde. Ob ich nicht ganz einfach gehe, weil man schließlich minimale Ressourcen braucht, um jemanden zu fragen, welche Beziehung er möglicherweise in diesen Seiten hat spüren können, zu dem, wovon ich gesagt habe, dass ich hier darüber gesprochen habe, nämlich über den Phallus.“
(Seminar 18, Version Miller, S. 95)
„Auf diesen Seiten spreche ich sehr genau nur über die Funktion des Phallus, insofern sie in einem bestimmten Diskurs artikuliert wird. (…)
Natürlich, als ich letztes Mal gesagt habe – auf diese Weise lasse ich mich gehen, vor allem, wenn man ein bisschen den Anschein erwecken muss, zu atmen –, dass ich mich bewunderte, ich hoffe, dass Sie das nicht wörtlich genommen haben. Das, was ich bewunderte, war vielmehr, dass die Trasse / die Zeichnung / la tracé, die ich zu einem Zeitpunkt gemacht hatte, als ich erst anfing, als Bezugspunkt eine bestimmte Furche auszuheben, jetzt nicht einfach zu verwerfen ist und mich nicht mit Scham erfüllt. (…)
Alles, was hier vom Signifikanten, wenn ich so sagen kann, gefischt werden kann, ist völlig erstaunlich, und das ist das, worum es dabei geht. Von diesem Seminar über »Der entwendete Brief« aus bin ich zum Fischen gekommen, wovon ich schließlich denke, dass die Tatsache, dass ich es an den Anfang gesetzt habe, nicht wahr, unter Außerachtlassung jeglicher Chronologie, vielleicht gezeigt hat, dass ich die Idee hatte, dass das insgesamt die beste Art wäre, in meine Schriften einzuführen.
Ich komme zu der Bemerkung, die ich darin über den berühmten Mann mache, who dares all things, those unbecoming as well as those becoming a man. Wenn ich in diesem Moment darauf beharre, es wörtlich zu übersetzen, ‚das, was eines Mannes unwürdig wie auch das, was seiner würdig ist‘, dann deshalb, weil diese Formel en bloc zu nehmen ist. Die unaussprechliche, beschämende Seite, die nicht gesagt wird, bezogen auf das, was einen Mann betrifft, ist hier, um es klar zu sagen, der Phallus. Wenn man diesen Block, nicht wahr, so übersetzt, dass man ihn in zwei Stücke teilt, ‚das, was eines Mannes würdig ist wie auch das, was seiner unwürdig ist‘, dann taugt das nichts. Ebenso muss man den Blockcharakter dieser Formulierung beibehalten, die ich zitiere, the robber’s knowledge of the loser’s knowledge of the robber, ‚das Wissen des Diebs über das Wissen des Bestohlenen über den Dieb‘. Dieses Element des Wissens, das darin besteht, eine bestimmte Phantasie über sich selbst aufgenötigt zu haben, nämlich genau der Mann zu sein, der alles wagt, das ist hier, wie Dupin sofort sagt, der Schlüssel zur Situation. (…)
Der Brief also, purloined, nicht ‚gestohlen‘, sondern, wie ich erläutere, damit fange ich an, ‚der einen Umweg machen wird‘, oder wie ich es übersetze, la lettre en souffrance, der unzustellbare Brief, so beginnt dieser kleine Schrieb, und er endet damit, dass er dennoch an seinen Bestimmungsort gelangt. (…)
Am Ende liegt mir daran, das hervorzuheben, was davon das Wesentliche ist und weshalb die Übersetzung mit Der gestohlene Brief nicht gut ist. The purloined letter, das bedeutet, dass er trotzdem an seinen Bestimmungsort gelangt. Und den Bestimmungsort gebe ich an. Ich gebe ihn als die grundlegende Bestimmung jedes Briefes an. Er kommt, sagen wir, nicht etwa bei diesem an und auch nicht bei dieser, sondern bei jenen, die hier nichts verstehen können, zu denen in diesem Fall die Polizei gehört. Sie ist wohlgemerkt völlig unfähig, irgendetwas zu verstehen von diesem Substrat, von diesem Briefmaterial. Ich betone es und erläutere es auf zahlreichen Seiten, und genau deswegen war die Polizei auch nicht in der Lage, ihn zu finden. Diese Erfindung, diese Erdichtung von Poe, all das wird sehr schön gesagt, großartig. Der Brief ist wohlgemerkt außerhalb der Reichweite der Erklärung des Raums, weil es das ist, worum es geht. Das ist das, was die Polizei zu Beginn gesagt hat, und dann der Präfekt. Beim Minister ist man sich sicher, dass der Brief dort ist, dass er da ist, damit er ihn immer in Reichweite hat; der Raum ist buchstäblich von einem Kontrollnetz überzogen worden, ohne dass man ihn gefunden hat.“
(Version Miller, S. 96–98)
Nach einer längeren Ausführung über den Raum in der Mathematik heißt es:
„Ich habe mich darauf gestürzt, weil ich gesagt habe, dass der Brief, der seinen Bestimmungsort erreicht, derjenige Brief ist, der bei der Polizei ankommt, die hier nichts begreift.
Die Polizei ist, wie Sie wissen, nicht erst gestern entstanden. Drei Spieße auf dem Boden, drei Spieße auf dem Campus, wenn Sie ein bisschen von dem kennen, was Hegel geschrieben hat, dann wissen Sie, dass das der Staat ist. Der Staat und die Polizei, für jemanden, der ein ganz klein bisschen nachgedacht hat, und man kann nicht sagen, dass Hegel in dieser Sache schlecht positioniert ist, ist das genau dasselbe.“
(Version Miller, S. 101)
Was mit den drei Spießen gemeint ist, ist unklar. In Seminar 21 spricht Lacan über die Etymologie von travail, „Arbeit“, und führt es auf das lateinische Wort tripalium zurück, „Dreipfahl“, ein Folterinstrument aus drei Pfählen. (Vgl. Sitzung vom 13. November 1974.) Das könnte heißen: die Polizei sorgt dafür, dass weitergearbeitet wird.
Lacan fährt fort, indem er die Formel des Herrendiskurses erläutert, welcher – Lacan zufolge – die Form eines Tetraeders hat. Dann sagt er:
„Von daher ergibt sich, dass in einer Welt, wie sie durch ein bestimmtes Tetraeder strukturiert ist, der Brief an seinem Bestimmungsort nur ankommt, um das zu finden, was ich in meiner Rede über den Entwendeten Brief mit dem Terminus des Subjekts bezeichne. Es ist keineswegs auf irgendeine Weise zu eliminieren oder zurückzuziehen, unter dem Vorwand, dass wir einige Schritte mit der Struktur vorankommen. Wenn das, was wir mit dem Terminus des Unbewussten entdeckt haben, einen Sinn hat, dann können wir nicht, selbst auf dieser Ebene, das Subjekt nicht in Rechnung stellen, das, ich wiederhole es, irreduzibel ist. Aber das Subjekt zeichnet sich durch seine ganz spezielle Dummheit aus. Das ist das, was im Text von Poe zählt, und zwar deshalb, weil es nicht belanglos ist, dass derjenige, über den er bei dieser Gelegenheit Scherze macht, der König ist, der sich hier in der Funktion des Subjekts manifestiert.
Er versteht absolut nichts, und seine gesamte Polizeistruktur kann nichts ausrichten, sodass der Brief nicht einmal in seine Reichweite gelangt, da es ja die Polizei ist, die ihn schützt, und sie nichts damit anfangen kann. Ich betone sogar, wenn man ihn in ihren Akten wiederfände, wäre das für einen Historiker nutzlos. Auf einigen Seiten von dem, was ich über diesen Brief schreibe, kann man sagen, dass es sehr wahrscheinlich nur die Königin ist, die weiß, was der Brief bedeutet. Sein Gewicht besteht darin: wenn die einzige Person, die daran interessiert ist, nämlich das Subjekt, der König, ihn in Händen hielte, würde es nur dies verstehen, dass er sicherlich einen Sinn hat, dass dieser Sinn aber – und darin besteht der Skandal – ihm, dem Subjekt, entgeht. Der Terminus des Skandals oder auch des Widerspruchs ist auf diesen vier letzten Seiten, die ich Ihnen zu lesen gegeben habe, ganz richtig platziert, das betone ich.
Da es hier einige gibt, die früher Poe gelesen haben, müssen Sie wissen, dass ein Minister in die Sache verwickelt ist, derjenige, der den Brief geklaut hat. Es ist klar, dass uns der Minister, einzig in Abhängigkeit von der Zirkulation des Briefes, im Verlauf des Ortswechsels besagten Briefes, Veränderungen zeigt, so wie ein Fisch, der seine Farbveränderungen durchläuft. In Wahrheit, seine wesentliche Funktion, auf die mein gesamter Text ein bisschen zu üppig anspielt – aber man kann gar nicht zu sehr auf etwas beharren, um sich verständlich zu machen –, diese Funktion spielt darauf an, dass der Brief eine feminisierende Wirkung hat.
Aber von dem Moment an, als er ihn, den Brief, nicht mehr hat und er nichts davon weiß, finden wir ihn gewissermaßen in derjenigen Dimension wiederhergestellt, die sein gesamter Plan ihm verschaffen sollte, der eines Mannes, der alles riskiert.
Und ich insistiere auf dieser Wendung des Geschehens, nämlich der, womit die Poesche Aussage endet. In diesem Moment erscheint die Sache, monstrum horrendum [das entsetzliche Ungeheuer], wie im Text gesagt wird.
Das ist das, was er für die Königin hatte sein wollen, die das natürlich in Rechnung gestellt hatte, denn sie hatte ja versucht, ihn wiederzuerlangen, diesen Brief. Aber schließlich wurde das Spiel mit ihm fortgesetzt. Jetzt war unser Dupin an der Reihe, der Schlauste der Schlauen also, derjenige, dem Poe die Rolle zuweist, uns mit etwas zu bewerfen, was ich ganz absichtlich so nennen will, ich betone es in diesem Text, der uns etwas Sand in die Augen werfen soll. Dass wir nämlich glauben, dass es das gibt, den Schlausten der Schlauen, dass er wirklich alles begreift und weiß, dass er, im Tetraeder steckend, begreifen kann, wie er gemacht ist.
Ich habe mich ziemlich ironisch geäußert über diese sicherlich sehr gekonnten Dinge, über diese Wortspiele mit ambitus, mit religio oder mit honesti homines, einfach um zu sagen, dass ich, was mich angeht, das kleine Tier ein bisschen weiter gesucht habe, nicht wahr? In Wahrheit ist es irgendwo. Es ist irgendwo, wenn man Poe folgt, und man kann sich die Frage stellen, ob Poe das wohl mitbekommen hat.
Nämlich dass der Brief, allein schon deswegen, weil er in Dupins Hände übergegangen ist, jetzt wiederum ihn feminisiert hat, und zwar so weit, dass er sich in genau diesem Moment nicht zurückhalten kann und er eine Wut gegenüber dem Minister zeigt, der glaubt, bereits jedermann hinreichend von seiner Gnade abhängig gemacht zu haben, um keine weitere Spur zu hinterlassen, mit dem es aber so steht, dass er, Dupin, weiß, ihn dessen beraubt zu haben, was es ihm gestatten könnte, weiterhin seine Rolle zu spielen, wenn es jemals notwendig wäre, die Karten aufzudecken. In dem Billet, mit dem er den gestohlenen Brief ersetzt hat, schickt er ihm diese Botschaft: Un dessein si funeste / S’il n’est digne d’Atrée est digne de Thyeste, „Ein so unheilvoller Plan / Wenn er nicht eines Atreus würdig ist, ist er eines Thyestes würdig“.
Die Frage, wenn ich so sagen kann, ist die, ob Poe hierbei wohl die Tragweite dessen mitbekommt, dass Dupin eine Art Botschaft jenseits aller Möglichkeiten schickt, denn Gott weiß, ob es jemals geschehen wird, dass der Minister ihn hervorholt, seinen Brief, und ihm im selben Moment die Luft rausgelassen wird / er abgeschlafft ist / se trouve dégonflé. Dies, um Ihnen zu sagen, dass die Kastration hier, wie der Brief, suspendiert ist, aber vollkommen realisiert ist.
Ich verweise auch auf diese Perspektive, die mir nicht im Vorhinein geschrieben zu sein scheint. Das verleiht dem nur einen umso größeren Wert, was Dupin als Botschaft an denjenigen schreibt, den er gerade dessen beraubt hat, was dieser für seine Macht hält. Dieses Hühnchen jubelt bei dem Gedanken an das, was geschehen wird, wenn der Betroffene – vor wem? zu welchem Zweck? – davon Gebrauch gemacht haben wird. Was man sagen kann, ist, dass Dupin genießt. Nun, und das ist die Frage, die ich letztes Mal angeschnitten habe, als ich Ihnen sagte, ist das dasselbe: der Erzähler und derjenige, der schreibt? Es ist unbestreitbar, dass der Erzähler, das Subjekt der Aussage, derjenige, der spricht, dass dies Poe ist. Hat Poe Jouissance an der Jouissance von Dupin oder von anderswo? Das ist eben das, was ich mich heute bemühen werde, Ihnen zu zeigen.
Ich spreche zu Ihnen über den Entwendeten Brief, wie ich ihn selbst artikuliert habe. Damit ist das eine Illustration, die ich für die Frage geben kann, die ich letztes Mal aufgeworfen habe. Ist das nicht etwas radikal Verschiedenes: derjenige, der schreibt, und derjenige, der in etwas Geschriebenem in seinem Namen als Erzähler spricht? Auf dieser Ebene ist das spürbar.
Tatsächlich ist das, was auf der Ebene des Erzählers geschieht, letztendlich das, was ich so nennen könnte – ich entschuldige mich, auf dem demonstrativen Charakter dieses kleinen Essays zu beharren–: die vollkommenste Kastration, die da demonstriert wird. Alle sind gleichermaßen betrogen, und niemand weiß davon das Geringste.
Dies ist sicher: der König schläft natürlich von Anfang an, und bis ans Ende seiner Tage wird er auf beiden Ohren schlafen.
Die Königin ist sich nicht darüber im Klaren, dass es nahezu unvermeidlich ist, dass sie nach diesem Minister verrückt wird, jetzt, wo sie ihn in der Hand hat, wo sie ihn kastriert hat, nicht wahr? Das ist eine Liebe.
Der Minister pour être fait, il est fait [?so wie die Dinge stehen, ist er erledigt?], aber letztlich lässt ihn das kalt, denn, wie ich irgendwo sehr gut erklärt habe, entweder – oder. Entweder es gefällt ihm, der Geliebte der Königin zu werden, und das müsste angenehm sein – im Prinzip, man sagt so, das gefällt nicht jedem. Oder wenn er wirklich für sie eines dieser Gefühle hat, die von der Ordnung dessen sind, was ich das einzige hellsichtige Gefühl nenne, nämlich der Hass, wie ich Ihnen sehr gut erklärt habe, wenn er sie also hasst, wird sie ihn deshalb um so mehr lieben, und das wird es ihm gestatten, so weit zu gehen, dass er immerhin damit enden wird, dass in ihm der Verdacht aufkommt, dass der Brief schon seit langem nicht mehr da ist. Weil er sich natürlich täuschen wird. Er wird sich sagen, wenn man mit ihm so weit geht, dann deshalb, weil man sich der Dinge sicher ist, also wird er seinen kleinen Wisch rechtzeitig öffnen, aber in keinem Fall wird es von da aus zu dem kommen, was das Gewünschte ist, nämlich dazu, dass er damit endet, sich lächerlich zu machen. Lächerlich wird er nicht sein.“
(Seminar 18, Version Miller, S. 102–105)
In der Sitzung nach der Lituraterre-Vorlesung spricht Lacan ein weiteres Mal über den Poe-Aufsatz:
„Es geht also darum, spürbar zu machen, wie die Übermittlung einer Letter zu etwas in Beziehung steht, was für die Organisation eines jeden Diskurses wesentlich ist, grundlegend, nämlich die Jouissance.
Dafür ist es nötig, dass ich Sie jedes Mal für die Sache zugänglich mache. Wie, wenn nicht so, dass ich an das grundlegende Beispiel erinnere, von dem ich ausgegangen bin?
Es geht ausdrücklich darum, die Letter als solche zu studieren, insofern sie, wie ich gesagt habe, eine feminisierende Wirkung hat. Damit eröffne ich meine Schriften. Diese Letter, das habe ich noch das letzte Mal hervorgehoben, funktioniert insofern auf sehr spezielle Weise, als niemand etwas über ihren Inhalt weiß und bis zum Ende, bis zum Schluss niemand darüber etwas wissen wird.
Diese Letter ist sehr exemplarisch. Natürlich ist nur einem Einfältigen nicht die Idee gekommen, aber ich denke, selbst einem Einfältigen ist sie gekommen, dass diese Letter etwas so Summarisches, so Grobes ist etwas wie eine Botschaft, die das Zeugnis dessen übermitteln würde, was man gemeinhin ein sexuelles Verhältnis nennt, obschon sie von einem Mann geschrieben ist, der, wie gesagt wird, wie hervorgehoben wird, zum hohen Adel gehört, und sie an eine Königin gerichtet ist. Es ist offenkundig, dass es nicht das ist, was das Drama ausmacht. Es gehört zum Gebaren eines Hofes, das heißt von etwas – das ist die beste Definition, die man davon geben kann –, was sich auf die Distribution der Jouissance gründet, es gehört zum Gebaren eines Hofes, dass er bei dieser Distribution dem sexuellen Verhältnis seinen Rang zuweist, und zwar, das ist offenkundig, den niedrigsten. Die Dienste, die eine adlige Dame in dieser Eigenschaft von einem Lakaien erhalten kann, werden hier von niemandem als bemerkenswert herausgestellt.
Mit der Königin allerdings, und genau deshalb, weil es die Königin ist, müssen die Dinge einen anderen Akzent erhalten. Aber zunächst einmal wird angenommen, das zeigt die Erfahrung, dass ein Mann von Geburt derjenige ist, der, wenn ich so sagen kann, von seiner Rasse her an einer Liaison seiner Gattin keinen Anstoß zu nehmen weiß, außer unter dem Aspekt des Anstands, also der Formen, die respektiert werden. Das einzige, was hier einen Einwand hervorrufen könnte, ist natürlich die Einführung unehelicher Kinder in die Abstammungslinie, aber selbst das kann zur Verjüngung des Blutes dienen. Dieser Rahmen wird Ihnen, in der Gesellschaft, um die es hier geht, zwar nicht besonders vergegenwärtigt, er ist aber für das, was über die sozialen Beziehungen zu bedenken ist, gleichwohl exemplarisch und grundlegend.
Man sieht hier gut, dass nichts so sehr dieses Element erscheinen lässt, wie eine Ordnung, die auf dem Artefakt aufgebaut ist, dieses Element, das anscheinend genau jenes ist, welches im Realen als irreduzibel erscheinen muss, nämlich die Funktion des Bedürfnisses. Wenn ich Ihnen gesagt habe, dass es eine Ordnung gibt, in der es völlig angebracht ist, wie hoch der Rang auch sein mag, sich diesen Teil der irreduziblen Jouissance zu reservieren, den minimalen Teil, der nicht sublimiert werden kann, wie Freud sich ausdrücklich ausdrückt, so kann nur eine Ordnung, die sich auf das Artefakt gründet – ich habe auf den Hof verwiesen, insofern er das Artefakt des Adels durch das Artefakt einer geordneten Distribution der Jouissance verdoppelt –, auf angemessene Weise dem Bedürfnis seinen Platz zuweisen. Das ausdrücklich als solches spezifizierte Bedürfnis ist das sexuelle Bedürfnis.
Jedoch, wenn das Artefakt auf der einen Seite einer bestimmten Theoretisierung genügt, die das Natürliche zu spezifizieren scheint, einer primären und insgesamt biologischen Theoretisierung des sexuellen Verhältnisses, die das, was daraus hervorgehen muss, nämlich die Reproduktion, von einem Bedürfnis abhängig machen würde, so konstatieren wir auf der anderen Seite, dass es offenkundig Raum dafür lässt, dass es auch möglich ist, dass die Reproduktion nicht die, in Anführungszeichen, ‚legitime‘ Reproduktion ist.
Dieses Bedürfnis, dieses im sexuellen Verhältnis Irreduzible, man kann sicherlich einräumen, dass es immer existiert, und Freud bestätigt das. Es ist aber sicher, dass es nicht gemessen werden kann, zumindest kann es nur durch ein Artefakt gemessen werden, durch das Artefakt der Beziehung zum Anderen mit großem A. Es ist nicht messbar, und eben dieses Element der Unbestimmtheit ist es, wo das unterzeichnet wird, was es an Grundlegendem gibt, nämlich sehr genau, dass das sexuelle Verhältnis nicht aufgeschrieben werden kann, dass es als Verhältnis nicht begründbar ist.“ (Seminar 18, Sitzung vom 19. Mai 1971; Version Miller, S. 130 f.)
„Es ist nicht wenig, die Letter in einem bestimmten Verhältnis der Frau zu dem herauszustellen, was, vom geschriebenen Gesetz her, sich in den Kontext einschreibt, in dem die Sache stattfindet, aufgrund dessen, dass sie als Königin das Bild der Frau als Gattin des Königs ist. Etwas wird hier unangemessen symbolisiert und typischerweise in Bezug auf das Verhältnis als sexuelles, und nicht ohne Grund kann es nur in Wesen verkörpert werden, die zu einer Fiktion gehören.
Dieser Kontext ist es, in dem die Tatsache, dass ein Brief an sie adressiert ist, den Wert annimmt, den ich bezeichne, nämlich den des Zeichens. Um es mit meinen eigenen Worten zu sagen: ‚Denn dieses Zeichen‘, sage ich, es geht um die Letter, ‚ist in der Tat dasjenige der Frau, insofern sie ihr Sein in ihm geltend macht, dadurch, dass sie es außerhalb des Gesetzes gründet, in dem sie durch die Wirkung ihrer Ursprünge stets enthalten ist, in der Position des Signifikanten, ja des Fetischs.‘ [Das Seminar über E.A. Poes „Der entwendete Brief“, Schriften I, hg. v. N. Haas, S. 30 f., Übersetzung geändert.] Es ist klar, dass eine solche Äußerung – die jedoch diejenige ist, von der, möchte ich sagen, die Revolte der Frau ausgeht, und die besagt, dass sie im Gesetz durch die Wirkung ihrer Ursprünge immer enthalten ist, in der Position des Signifikanten, ja des Fetischs –, dass eine solche Äußerung außerhalb der Einführung der Psychoanalyse nicht geäußert werden könnte.
Also, dadurch, dass das sexuelle Verhältnis, wenn ich so sagen kann, verstaatlicht ist, das heißt in dem des Königs und der Königin verkörpert ist, womit die fiktionale Struktur der Wahrheit zur Geltung gebracht wird, dadurch also erhält die Letter ihre Funktion, die gewiss als etwas erscheint, was in Beziehung zu dem Mangel steht, der dadurch gekennzeichnet wird, dass das sexuelle Verhältnis auf eine Weise propagiert wird, die in gewissem Sinne arbiträr und fiktiv ist. Hier erhält die Letter ihren Wert und stellt damit ihre Frage.“
(Seminar 18, Sitzung vom 19. Mai 1971; Version Miller, S. 132 f.)
„Um mit dem zu enden, was ich in Der entwendete Brief über die Wirkung des Briefes gesagt habe: was habe ich ausdrücklich gesagt? Dass er diejenigen feminisiert, die sich in einer bestimmten Position befinden, nämlich in seinem Schatten.
Hier rührt man an die Bedeutung der Funktion des Schattens. Bereits das letzte Mal – in dem, was ich Ihnen gegenüber geäußert habe über das, was genau etwas Geschriebenes ist, ich meine über etwas, was sich in literaler oder literarischer Form dargestellt hat – bereits das letzte Mal also habe ich erwähnt, dass der Schatten, um erzeugt zu werden, eine Lichtquelle braucht. Sicher. Aber es ist für Sie nicht spürbar gewesen, dass die Aufklärung* von daher etwas mit sich führt, was die Struktur der Fiktion bewahrt. Ich spreche von der historischen Epoche, die nicht unbedeutend gewesen ist, und in Bezug auf die es uns nützlich sein kann – das ist hier der Fall und das ist das, was ich tue –, ihre Wege nachzuvollziehen oder sie wieder aufzunehmen. Das ist es, wodurch das Licht zu einem Teil jenes Feldes gemacht wird, das sich selbst als das der Wahrheit definiert. Nun, selbst wenn die Wahrheit eine starke Auswirkung auf das hat, wodurch die Undurchsichtigkeit hervorgebracht wird, so wirft das Licht, das in jedem Moment dieses Feld ausbreitet, doch einen Schatten, und es ist dieser Schatten, der Wirkung zeigt. Das ist es, in Bezug worauf wir diese Wahrheit selbst immer über ihre Fiktionsstruktur zu befragen haben.
So stellt sich letztlich heraus, dass der Brief, wie in dieser Schrift ausdrücklich gesagt wird, nicht der Frau, deren Adresse er trägt, Genüge leistet, indem er seinen Bestimmungsort erreicht, sondern dem Subjekt, also dem, um es wieder einmal zu definieren, was im Phantasma geteilt ist, das heißt der Realität, insofern sie durch eine Fiktionsstruktur erzeugt wird.
Auf eben diese Weise schließt die Erzählung, zumindest einem zweiten Text zufolge, nämlich dem meinem. Von da müssen wir ausgehen, um noch weiter gehender neu zu befragen, was es mit der Letter auf sich hat. Da dies aber nie gemacht wurde, muss ich diese Rede über die Letter noch ein bisschen verlängern.“
(Seminar 18, Sitzung vom 19. Mai 1971; Version Miller, S. 134)
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Im Poe-Aufsatz heißt es:
„In beiden Fällen aber ist bezeichnend, dass der Brief, den der Minister letzten Endes an sich selbst richtet, der Brief einer Frau ist: als ob es sich dabei um eine Phase handelte, die er aufgrund einer natürlichen Konvenienz des Signifikanten durchqueren muß.
Auch die Aura von Nonchalance, die soweit geht, den Anschein von Weichheit vorzutäuschen, das Zurschaustellen eines dem Überdruß nahen ennui in seinen Worten, die Stimmung, die der Autor einer ‚Philosophie der Einrichtung‘ durch fast ungreifbare Eindrücke, wie der des Musikinstruments auf dem Tisch, zu erwecken weiß – all das scheint zusammenzuspielen, damit die Gestalt (der Minister), deren sämtliche Worte sie mit den Merkmalen der Männlichkeit ausgestattet haben, den eigentümlichsten odor di femmina von sich gibt, sobald sie in Erscheinung tritt.“
(Schriften I, S. 34 f., Einfügung in Klammern im Original)
Die Verbreitung der italienischen Wendung odor di femmina geht auf Mozarts Don Giovanni zurück, in dessen Libretto es heißt: „Zitto! mi pare sentire odor di femmina“ (Still, mir scheint, ich spüre den Duft einer Frau / Weibsgeruch) (I,4).
Später heißt es im selben Aufsatz über den Detektiv:
„So kommt es, dass Dupin, vom Ort her, wo er ist, sich nicht dagegen wehren kann, gegen den, der so fragt [nämlich was von einem Signifikanten übrigbleibt, der keine Bedeutung mehr hat], eine Wut von manifester weiblicher Natur zu empfinden.“
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Chollet schreibt wie Espaces Lacan und wie Miller: „signifiant maître“ (Herrensignifikant).– Lituraterre II: „signifiant même“ (Signifikant selbst) (Autres écrits, S. 12).
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Lituraterre II: „Puisque le conte consiste en ce qu’y passe comme muscade le message dont la lettre y fait péripétie sans lui.“ (Autres écrits, S. 12)
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In Lituraterre II heißt es deutlicher: „der Brief bewirkt hier den Wendepunkt ohne sie“, ohne die Botschaft.
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Lacan bezieht sich auf Marie Bonaparte: Edgar Poe. Étude psychanalytique. Denoël, Paris 1933 (dt.: Edgar Poe. Eine psychoanalytische Studie. 3 Bände. Internationaler psychoanalytischer Verlag, Wien 1934, Band 1 hier, Band 2 hier, Band 3/4 hier). Die Erzählung Der entwendete Brief wird in Band 2 kurz behandelt (S. 415-418 der deutschen Übersetzung). Poe bringt hier, Bonaparte zufolge, sein Bedauern über das Fehlen des mütterlichen Phallus zum Ausdruck.
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In Lituraterre II wird toujours, „immer“, kursiv geschrieben (Autres écrits, S. 13.
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In Der Wahn und die Träume in Jensens „Gradiva“ (1907) schreibt Freud über die Dichter: „In der Seelenkunde gar sind sie uns Alltagsmenschen weit voraus, weil sie da aus Quellen schöpfen, welche wir noch nicht für die Wissenschaft erschlossen haben.“ (In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 10. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 9–85, hier: S. 14)
Freud forderte, dass die Literatur in der Ausbildung des Psychoanalytikers eine entscheidende Rolle zu spielen habe. Lacan erinnert hieran in Das Drängen des Buchstabens, Schriften II, hg. v. N. Haas, S. 47.
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In Seminar 2 schreibt Lacan zur Psychobiografie:
„Man muß vom Text ausgehen, und zwar so, wie Freud es tut und empfiehlt, wie von einem heiligen Text. Der Autor, der Schreiber ist bloß ein Schreiberling und kommt erst an zweiter Stelle. Die Kommentare der Schrift waren unrettbar verloren an dem Tag, an dem man die Psychologie von Jeremias, von Isaias, ja von Jesus hat ermitteln wollen. Ebenso bitte ich Sie, wenn’s um unsere Patienten geht, mehr Aufmerksamkeit auf den Text zu verwenden als auf die Psychologie des Autors – das ist die ganze Orientierung meines Unterrichts.“
(Sitzung vom 9. März 1955; Version Miller/Metzger, S. 197)
In Radiophonie heißt es über die Literatur:
„Denn der Dichter produziert sich daraus … (es sei mir gestattet, den zu übersetzen, der dies dartut, mein Freund Jakobson in dem Fall) … produziert sich daraus, von Versen verzehrt zu werden, die unter sich ihr Arrangement treffen, ohne sich, das ist offenkundig, um das zu sorgen, was der Dichter davon weiß oder nicht. (…) Man sieht, wie kostbar der Formalismus war, die ersten Schritte der Linguistik zu stützen.“
(J. Lacan: Radiophonie (1970). In: Ders.: Radiophonie. Television. Quadriga, Weinheim 1988,Radiophonie, S. 9)
Lacan kommentiert hier Jakobsons Begriff der poetischen Funktion.
Die Rede vom graine (Samenkorn) ist möglicherweise eine Anspielung auf den Titel von André Gides Autobiografie Si le grain ne meurt (2 Bände, 1920 und 1026, wörtlich „Wenn das Korn nicht stirbt“, deutscher Titel „Stirb und werde“) und damit auf Lacans Aufsatz Jeunesse de Gide ou la lettre et le désir (1958, Écrits 1966, S. 739–764, nicht übersetzt). In diesem Aufsatz stützt Lacan sich vor allem auf Jean Delay La Jeunesse d’André Gide, Gallimard, Paris 1956. Delay bezeichnet seine Arbeit ausdrücklich als Psychobiografie; Lacan setzt sich in seinem Gide-Aufsatz kritisch mit dieser Konzeption auseinander.
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Der Text auf der hinteren Umschlagseite der Écrits beginnt mit dem Satz:
„Man muss diese Sammlung gelesen haben, in ihrem ganzem Umfang, um zu spüren, dass hier nur eine einzige Diskussion fortgesetzt wird, immer dieselbe, eine, die sich dazu bekennt, sollte sie auch als veraltet erscheinen, die Diskussion der Aufklärung zu sein.“
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In Lituraterre II wird trou, „Loch“, kursiv geschrieben (Autres écrits, S. 13).
- Lacan spielt mit dem Doppelsinn von les lumières, „die Aufklärung“ / “die Lichter“ und wechselt damit zur Optik. Die neueste Photonenphysik ist die Quantenelektrodynamik; sie beschreibt die Photonen, auch Lichtquanten oder Lichtteilchen genannt. Das „Loch“ in der Physik ist vielleicht der Welle-Teilchen-Dualismus, also die prinzipielle Unmöglichkeit, eine vereinheitlichte Lichttheorie zu bilden.
In Radiophonie heißt es nach Bemerkungen zum Heliozentrismus und ausgehend von der Unterscheidung von Wissen und Wahrheit:
„ich möchte daran einen Photozentrismus festmachen, weil er weniger versklavend ist als der Helio.“
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In einer späteren Sitzung von Seminar 18 heißt es zum Rätsel:
„Meine Formel, dass das Unbewusste strukturiert ist wie eine Sprache, verweist also darauf, dass eine Minimalbedingung des Unbewussten die Sprache ist.
Aber das nimmt dem Rätsel nichts von seiner Tragweite, dem Rätsel, das darin besteht, dass das Unbewusste davon weit mehr weiß, als es den Anschein hat, weil man von dieser Überraschung ausgegangen war, um es so zu benennen, wie man es getan hat. Es weiß etwas von den Dingen.“
(Sitzung vom 9. Juni 1971; Version Miller, S. 152)
Lacan spielt hier offenbar darauf an, dass er das Unbewusste als „Wissen“ bezeichnet.
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In der ersten Sitzung von Seminar 18 heißt es über die im vorangegangenen Seminar entwickelte Konzeption der vier Diskurse:
„Mit diesen Plätzen und diesen Elementen wird bezeichnet, dass das, was im eigentlichen Sinne Diskurs ist, auf keine Weise von einem Subjekt aus verortet werden kann, obwohl der Diskurs es determiniert.
Was den Diskurs angeht, geht es nicht nur darum, dass er von daher nur im Lichte seiner unbewussten Triebfeder beurteilt werden kann, sondern auch darum, dass er nicht mehr als etwas anderes geäußert werden kann denn als das, was von einer Struktur aus artikuliert wird, in der es sich irgendwo auf irreduzible Weise entfremdet findet.
Von daher meine einleitende Aussage. ‚Von einem Diskurs‘ [Lacan bezieht sich auf den Titel des Seminars], hier halte ich inne, das ist nicht der meine. Von dieser Aussage über den Diskurs als Diskurs, der nicht der Diskurs von jemand Bestimmtem sein kann, sondern der sich auf eine Struktur gründet, und von dem Akzent, dem ihm die Aufteilung, das Gleiten bestimmter dieser Termini verleiht, von da gehe ich in diesem Jahr aus, bei dem, was den Titel hat ‚Über einen Diskurs, der nicht vom Schein wäre‘.“
(Sitzung vom 13. Januar 1971; Version Miller, S. 10)
In seinem Hinweis für den japanischen Leser (1972) schreibt Lacan über den Diskurs des Psychoanalytikers, dass die Psychoanalytiker von diesem Diskurs nichts wissen, und fährt fort:
„Den Diskurs, von dem man selbst die Wirkung ist, versteht man nicht. Randbemerkung: gleichwohl ist das möglich. Aber dann wird man ausgeschlossen, durch das, was den Körper / die Körperschaft dieses Diskurses ausmacht (? Mais alors on se fait expulser par ce qui fait corps de ce discours). Das ist mir also widerfahren.“
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Vgl. J. Lacan: Die Wissenschaft und die Wahrheit (1966). In: Schriften III, S. 231–257; Stenogramm der Eröffnungsvorlesung von Seminar 13 am 1. Dezember 1965.
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Die Betonung von leur ist auf der Tonaufnahme zu erkennen, man findet sie auch in Version Chollet.
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Chollet schreibt wie Espaces Lacan: „aux yeux“ (den Augen).– Miller: „aux mieux“ (am besten).– Lituraterre II: keine Entsprechung.
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Lacan bezieht sich auf seinen Aufsatz L’instance de la lettre dans l’inconscient ou la raison depuis Freud, deutsch: Das Drängen des Buchstabens im Unbewussten oder die Vernunft seit Freud (1957), Schriften II, hg. v. N. Haas, S. 15–55.
In diesem Aufsatz wird der Buchstabe (lettre) eingangs so definiert:
„Aber wie muss man diesen Buchstabe hier auffassen? Einzig und allein buchstäblich.
Mit ‚Buchstabe‘ bezeichnen wir jenen materiellen Träger, den der konkrete Diskurs der Sprache entlehnt.
Diese einfache Definition unterstellt, dass die Sprache nicht mit den unterschiedlichen somatischen und psychischen Funktionen vermengt wird, durch die sie beim sprechenden Subjekt eher schlecht als recht bedient wird.“
(Schriften II, hg. v. N. Haas, S. 19)
Der Buchstabe beruht demnach auf der Beziehung zwischen der Sprache als einer vorgegebenen Struktur und dem konkreten Diskurs, d.h. dem alltäglichen Sprechen. Der konkrete Diskurs entlehnt der Sprache einen materiellen Träger. Was ist darunter zu verstehen? Das Phonem. Das wird klar, wenn Lacan in diesem Aufsatz die Funktion des Buchstabens im Unbewussten erläutert.
„So handelt die ‚Traumdeutung‘ Seite für Seite von nichts anderem als dem, was wir den Buchstaben des Diskurses nennen, im Hinblick auf seine Textur, seine Verwendungen, seine Immanenz in der hier in Frage stehenden Materie. (…)
Die erste ausdrückliche Bestimmung gleich im Eingangskapitel [der „Traumdeutung“] – denn diese Mitteilung leidet keinen Aufschub – besagt, daß der Traum ein Rebus sei. Und Freud präzisiert, daß diese Bestimmung, wie ich zu Anfang gesagt habe, buchstäblich aufzufassen sei. Im Traum nämlich verfolgen wir die Einwirkungen eben der verbuchstäblichenden (oder anders gesagt: phonematischen) Struktur (structure littérante), in welcher sich der Signifikant im Diskurs artikuliert und sich analysieren läßt.“
(Schriften II, S. 35, Einschub in eckigen Klammern von mir, RN)
Der Einschub „(oder anders gesagt: phonematischen)“ ist von Lacan; unter dem Buchstaben versteht er hier also das Phonem in einer bestimmten Wirksamkeit.
Der Traum ist ein Rebus: diese These von Freud ist das Paradigma für Lacans Konzept des Buchstabens. Freud unterscheidet den manifesten Trauminhalt (den erzählten Traum) vom latenten Traumgedanken und erläutert die Beziehung zwischen den beiden Ebenen so:
„Die [latenten] Traumgedanken sind uns ohne weiteres verständlich, sobald wir sie erfahren haben. Der [manifeste] Trauminhalt ist gleichsam in einer Bilderschrift gegeben, deren Zeichen einzeln in die Sprache der Traumgedanken zu übertragen sind. Man würde offenbar in die Irre gehen, wenn man diese Zeichen nach ihrem Bilderwert anstatt nach ihrer Zeichenbeziehung lesen wollte. ich habe etwa ein Bilderrätsel (Rebus) vor mir: ein Haus, auf dessen Dach ein Boot zu sehen ist, dann ein einzelner Buchstabe, dann eine laufende Figur, deren Kopf wegapostrophiert ist, u. dgl. Ich könnte nun in die Kritik verfallen, diese Zusammenstellung und deren Bestandteile für unsinnig zu erklären. Ein Boot gehört nicht auf das Dach eines Hauses, und eine Person ohne Kopf kann nicht laufen; auch ist die Person größer als das Haus und wenn das Ganze eine Landschaft darstellen soll, so fügen sich die einzelnen Buchstaben nicht ein, die ja in freier Natur nicht vorkommen. Die richtige Beurteilung des Rebus ergibt sich offenbar erst dann, wenn ich gegen das Ganze und die Einzelheiten desselben keine solchen Einsprüche erhebe, sondern mich bemühe, jedes Bild durch eine Silbe oder ein Wort zu ersetzen, das nach irgendwelcher Beziehung durch das Bild darstellbar ist. Die Worte, die sich so zusammenfinden, sind nicht mehr sinnlos, sondern können den schönsten und sinnreichsten Dichterspruch ergeben.“
(S. Freud: Die Traumdeutung (1900). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 2. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 280 f.)
Der Traum ist ein Rebus und das heißt: er ist phonematisch zu lesen, buchstäblich. Wie in einem Bilderrätsel steht auch im Traum das Bild eines Hauses nicht für das Signifikat „Haus“, also nicht für das Wohn- oder Geschäftsgebäude, sondern für die Silbe „Haus“; man findet sie etwa in „haust du ihn?“oder in „Hausse“ vs. Baisse oder in „haußen“, wie man in Süddeutschland für „hier außen“ sagt. Im Traum ist also eine phonematische Struktur am Werk, sie bemächtigt sich des konkreten Diskurses und organisiert ihn.
Damit ist klar, was es meint, dass der konkrete Diskurs der Sprache einen materiellen Träger entlehnt. Bezogen auf den Traum ist der konkrete Diskurs der erzählte Traum, der manifeste Trauminhalt. Dieser konkrete Diskurs entlehnt der Sprache einen materiellen Träger, nämlich das Phonem.
Vom „toten Buchstaben“ spricht Lacan in L’instance de la lettre an der folgenden Stelle:
„Sicher, man sagt, der Buchstabe tötet, und der Geist macht lebendig. Wir schließen uns nicht aus von dieser Konvention, zumal wir hier irgendwo ein edles Opfer zu begrüßen hatten, das den Irrtum beging, im Buchstaben zu suchen, aber wir fragen auch, wie der Geist ohne den Buchstaben leben könnte. Die Ansprüche des Geistes würden auch dann unangefochten bleiben, wenn der Buchstabe nicht die Probe abgelegt hätte davon, dass er alle seine Wahrheitswirkungen im Menschen tätigt, ohne daß der Geist auch nur das geringste damit zu schaffen hat.
Dies hat sich Freud offenbart, und Freud nannte seine Entdeckung das Unbewußte.“
(Schriften II, S. 34)
Nicht das Signifikat hat Wahrheitswirkungen, auf dieser Ebene kommt es zur Verweisung von Bedeutung auf Bedeutung. Der Wahrheitseffekt wird vielmehr durch den Buchstaben hervorgebracht, durch die Wirksamkeit der phonematischen Struktur des Signifikanten auf der Ebene des konkreten Diskurses.
Was könnte damit gemeint sein? Vielleicht dies. Der dritte Abschnitt des Aufsatzes trägt die Überschrift La lettre, l’être et l’autre (Schriften II, S. 49). Vielleicht will Lacan sagen, dass es Lautähnlichkeiten dieser Art sind, die einen Wahrheitseffekt erzeugen. Die Übersetzung – Der Buchstabe, das Sein und der andere – bringt die Homophonie zum Verschwinden. Damit ist die Überschrift für den Leser weniger überzeugend. Die Wahrheitswirkung des Buchstabens wäre dann die an die Lautseite der Sprache gebundene Überzeugungskraft.
In Seminar 18 hatte Lacan früher zum Aufsatz Das Drängen des Buchstabens gesagt:
„Wenn man sich auf einige andere Artikel bezieht, die da zum Dreck gebracht worden sind, poubelliqués [publiés (veröffentlicht) + poubelle (Abfalleimer]), hätte man sich vielleicht sagen können, dass es nicht von ungefähr ist, dass ich geschrieben habe Das Drängen des Buchstabens im Unbewussten. Ich habe nicht gesagt Das Drängen des Signifikanten, dieser teure Signifikant, lacanianisch, was man sagt, was man sagt, was man sagt, wenn man sagen will, dass ich ihn unberechtigterweise Saussure geraubt habe.
Ja. Dass der Traum, sagt Freud, ein Rebus ist, das ist nicht das, was mich einen einzigen Moment lang davon abbringen wird, dass das Unbewusste wie eine Sprache strukturiert ist. Nur, das ist eine Sprache, in deren Mitte ihr Geschriebenes erschienen ist. Das bedeutet natürlich nicht, dass man diesen Gestalten, die in den Träumen herumspazieren, den geringsten Glauben schenken muss – und wann werden wir es tun, nicht wahr? –, seit wir wissen, dass das Wortvorstellungen sind, denn das ist ein Rebus, das wird übersetzt, übertragen* in das, was man die Gedanken* des Unbewussten nennt.“
(Sitzung vom 10. März 1971; Version Miller, S. 89; Lacan sagt, auf Deutsch, „überträgt“ statt „übertragen“)
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In Die Bedeutung des Phallus (1958) schreibt Lacan:
„Der Phallus als Signifikant gibt die raison des Begehrens (nach der Bedeutung, die dieser Begriff in der französischen Sprache hat, wenn von einer ‚mittleren und äußeren raison‘ im Goldenen Schnitt die Rede ist).“
(Schriften II, S. 129)
Vermutlich spielt Lacan hier darauf an, dass der Goldene Schnitt in der Mathematik üblicherweise mit φ bezeichnet wird.
Beim goldenen Schnitt wird eine Gerade in zwei Abschnitte so geteilt, dass sich die gesamte Gerade zum längeren Abschnitt so verhält wie der längere Abschnitt zum kürzeren. Die lateinische Übersetzung von Euklids Beschreibung dieser Beziehung lautet: proportio habens medium et duo extrema, „dasjenige Verhältnis, das eine Mitte und zwei Extreme hat“ (Buch VI, Definition 3); im Französischen wird diese Proportion als extrême et moyenne raison bezeichnet, als „äußere und mittlere Proportion“ („und“, nicht „oder“).
Der entscheidende Punkt ist hierbei, dass der goldene Schnitt eine irrationale Zahl ist, anders gesagt, dass sie nicht als Bruch zweier ganzer Zahlen geschrieben werden kann. Die längere Strecke verhält sich zur Gesamtstrecke wie : 2, was den Wert 0,618… ergibt. Anders gesagt: die beiden Strecken, die beim Goldenen Schnitt aufeinander zu beziehen sind, haben kein gemeinsames Maß, sie sind „inkommensurabel“.
Wenn man das zusammenfügt, erhält man: Der Phallus ist der Signifikant einer Inkommensurabiltiät.
In Seminar 14 von 1966/67, Die Logik des Phantasmas, kommt Lacan darauf zurück und entwickelt das Konzept der „mittleren und äußeren raison“ für den sexuellen Akt und für den psychoanalytischen Akt (Sitzungen vom 22. Februar bis zum 14. Juni 1967). In Seminar 16 von 1968/69, Von einem Anderen zum anderen, wird das wieder aufgegriffen (Sitzungen vom 22. Januar 1969, 5. März 1969).
Bifidität meint „Zweiteilung“; die Bifidität der Messung ist die Inkommensurabilität.
Der Phallus ist insofern die raison des Begehrens, als er der Signifikant der Inkommensurabilität ist.
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Der Ausdruck médiation, „Vermittlung“, erscheint in Seminar 18 noch ein weiteres Mal; ob es einen Zusammenhang zu dieser Stelle gibt, ist mir nicht klar.
Nach einer Bemerkung zum Ausdruck Φ(x) heißt es:
„Der Übergang zur, in Anführungszeichen, ‚maskulinen Vermittlung‘ ist nur die von diesem zumindest eins, das ich herausgestellt habe und das wir bei Peano wiederfinden, durch dieses beständig wiederholte n + 1, das in gewisser Weise unterstellt, dass das vorangehende n sich auf Null reduziert. Wodurch? Eben durch den Vatermord. Auf diese Verortung des Umwegs, wenn man so sagen kann, der ungeraden* Art – so muss man wohl sagen, um Freges eigenen Ausdruck zu verwenden –, der ungeraden* Art, wie der Sinn des Vatermordes sich auf eine andere Bedeutung* bezieht“.
(Sitzung vom 16. Juni 1971; vgl. Version Miller, S. 177, Miller ergänzt: „… auf die des Phallus“.)
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Lacan bezieht sich auf den Begriff „natürliche Selektion“, „natürliche Auslese“.
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Quelle der nebenstehenden Abbildung: Artikel „Litoral“ in der deutschen Wikipedia.
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Chollet schreibt wie Espaces Lacan: „méconnaître“.– Miller: „reconnaître“ (erkennen, anerkennen).– Lituraterre II: „méconnaître“ (Autres écrits, S. 14).
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Die erste Bestimmung des Buchstabens lautet also: Der Buchstabe liegt zwischen der Jouissance und dem Wissen.
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In einer späteren Sitzung von Seminar 18 heißt es:
„Meine Formel, dass das Unbewusste strukturiert ist wie eine Sprache, verweist also darauf, dass die Minimalbedingung des Unbewussten die Sprache ist.“
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Mit Metapher und Metonymie bezeichnet Lacan in Das Drängen des Buchstabens die Dynamik des Unbewussten. Diesen Gedanken übernimmt er von Roman Jakobson.
In Two aspects of language and two types of aphasic disturbances (1956) schreibt Jakobson:
„A competition between both devices, metonymic and metaphoric, is manifest in any symbolic process, either intrapersonal or social. Thus in an inquiry into the structure of dreams, the decisive question is, whether the symbols and the temporal sequences used are based on contiguity (Freud’s metonymic ‚displacement‘ and synecdochic ‚condensation‘) or on similarity (Freud’s ‚identification and symbolism‘).”
(In: Ders. und Morris Halle: Fundamentals of language. Mouton & Co, ’s-Gravenhage (Den Haag) 1956, darin Teil II, S. 53–82, hier: S. 80 f.)
Die veröffentlichte deutsche Übersetzung dieser Passage enthält einen Fehler: „displacement“ wird hier mit „Verdrängung“ ins Deutsche gebracht, statt, wie es richtig wäre, mit „Verschiebung“ („Verdrängung“ wäre repression). Man liest hier:
„Eine gewisse Rivalität zwischen den metonymischen und metaphorischen Darstellungsweisen kommt bei jedem symbolischen Prozeß, gleichgültig ob es sich um einen intrapersonellen oder um einen sozialen handelt, zum Vorschein.
So ist es auch bei der Untersuchung von Traumstrukturen eine entscheidende Frage, ob die Symbole und die zeitliche Reihenfolge auf Kontiguität (Freuds metonymische ‚Verdrängung‘ und synekdocheische ‚Verdichtung‘) oder auf Similarität (Freuds ‚Identifizierung‘ und ‚Symbolismus‘) beruhen.“
(R. Jakobson: Zwei Seiten der Sprache und zwei Typen aphatischer Störungen (1956). Übersetzt von Georg Friedrich Meier, Überarbeitung der Übersetzung durch Wolfgang Raible. In: R. Jakobson: Aufsätze zur Linguistik und Poetik. Hg. v. Wolfgang Raible. Ullstein, Frankfurt am Main u.a. 1979, S.117–141, im Internet hier; der zitierte Satz findet sich auf S. 137 f. Diese Übersetzung beruht auf der Übersetzung von Fundamentals of language durch Georg Friedrich Meier, die, unter dem Titel Grundlagen der Sprache, 1960 im Akademie-Verlag erschien.)
Meine Übersetzung:
„Eine Rivalität zwischen den beiden Mechanismen, metonymischen und metaphorischen, manifestiert sich in jedem symbolischen Prozess, sei er intrapersonal oder sozial. So lautet bei der Erforschung der Struktur der Träume die entscheidende Frage, ob die Symbole und die verwendeten zeitlichen Sequenzen auf Kontiguität beruhen (Freuds metonymische ‚Verschiebung‘ und synekdocheische ‚Verdichtung‘) oder auf Similarität (Freuds ‚Identifizierung und Symbolik‘).“
In Radiophonie bezieht Lacan die Metonymie auf die Jouissance:
„Die Metonymie, es ist nicht aus dem Sinn von vor dem Subjekt, daß sie spielt (also von der Barriere des Nichtsinns her), es ist aus dem Genuß, worin das Subjekt sich produziert als Schnitt: der ihm also Stoff macht, aber indem er es dafür auf eine an diesen Körper gebundene Oberfläche reduziert, schon das Faktum des Signifikanten.
Nicht, wohlverstanden, daß der Signifikant sich verankere (noch sich verfärbe) im Kitzel (immer noch die Kiste Napoleon), sondern daß er ihn unter anderen Zügen ermögliche, mit denen sich der Genuß bedeutet und wovon das Problem ist, zu wissen, was sich daraus befriedigt.
Daß unter dem, was sich einschreibt, die Passion des Signifikanten gleitet, muß man sie: Genuß des Anderen nennen, denn darin, daß sie hingerissen sei von einem Körper, wird er darüber der Ort des Anderen.
Die Metonymie, wirkend aus einem Metabolismus der Jouissance, dessen Potential durch den Schnitt des Subjekts geregelt wird, kotiert als Wert, was sich davon überträgt.“
(Radiophonie, S. 21)
In einer späteren Sitzung von Seminar 18 sagt Lacan zu Metapher und Metonymie:
„Von daher, dass die Sprache nur von einer einzigen Bedeutung* her gebildet wird, bezieht sie ihre Struktur, die darin besteht, dass man das, was man bewohnt, nur für die Metapher verwenden kann, woraus all der mythische Irrsinn hervorgeht, von dem ihre Bewohner leben, sowie für die Metonymie, von der sie ‚das bisschen Realität‘ nehmen, das ihnen bleibt, in Gestalt der Mehrlust.“
(Sitzung vom 9. Juni 1971; Version Miller, S. 149)
Lacan spielt hier auf Freges Gegensatz von Sinn und Bedeutung an.
Und in der Schlusssitzung des Seminars heißt es:
„Das letzte Mal habe ich dies artikuliert, um die Dinge an dem Punkt aufzugreifen, der tatsächlich befragt werden kann, darüber, was es mit der ganz gewöhnlichen Rede auf sich hat: wenn wir das, was die Linguistik uns anzeigt, nicht bis zum Ende führen wollen, sondern wenn wir es einfach extrapolieren, dann wird uns klar, das nichts von dem, was die Sprache uns zu tun gestattet, jemals etwas anderes ist als Metapher oder aber Metonymie. Das, was jedes Sprechen, welches auch immer, in einem bestimmten Moment zu benennen vorgibt, kann immer nur auf eine Konnotation verweisen.
Ich habe das letzte Mal gesagt, wenn es etwas gibt, worauf letztlich verwiesen werden könnte als das, was von den miteinander kombinierten Sprachfunktionen denotiert wird, dann ist das eine Bedeutung*, und es gibt nur eine, die Bedeutung des Phallus*.“ (Version Miller, S. 170)
Lacan bezieht sich auf: Jean Tardieu: Un mot pour un autre. Gallimard, Paris 1951 (Theaterstück); dt.: Professor Froeppel. Kiepenheuer und Witsch, Köln u.a. 1966.
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Lacan bezieht sich hier und in den folgenden Sätzen auf Jacques Derrida: Freud und der Schauplatz der Schrift (1966). In: Ders.: Die Schrift und die Differenz. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1972, S. 302–350.
In der Sitzung vom 17. Februar 1971 hatte er hierzu angemerkt:
„In unserer Zeit ist es sehr wichtig – ausgehend von bestimmten Äußerungen, die gemacht worden sind und die dazu tendieren, sehr bedauerliche Verwirrungen hervorzurufen –, daran zu erinnern, dass das Geschriebene im Verhältnis zu jeder Funktion der Sprache keineswegs primär sondern sekundär ist, dass es aber nichtsdestoweniger ohne das Geschriebene auf keine Weise möglich ist, dass man dahin kommt, das zu befragen, was in erster Linie aus der Sprachwirkung als solcher hervorgeht, anders gesagt aus der symbolischen Ordnung, nämlich die Dimension, um Ihnen ein Vergnügen zu machen, aber Sie wissen, dass ich einen anderen Term eingeführt habe, die demansion, die Wohnung, der Ort des Anderen der Wahrheit.“
(Seminar 18, Version Miller, S. 64)
In der Sitzung vom 10. März 1971 heißt es, nach Bemerkungen über Heideggers Begriff des Daseins, zu Derrida (dessen Name nicht genannt wird):
„Besagte Präsenz als logozentrisch zu kritisieren, wie es gemacht worden ist, die Idee des inspirierten Sprechens, wie man sagt, in deren Namen, dass das inspirierte Sprechen –; sicherlich kann man darüber lachen, dem Sprechen den ganzen Blödsinn zur Last legen, in die ein bestimmter Diskurs sich verirrt hat, und uns zu einer mythischen Urschrift führen, alles in allem einzig aus dem gebildet, was man zu Recht als einen bestimmten blinden Fleck begreift, den man in all dem kritisieren kann, was über die Schrift nachgedacht worden ist – all das führt kaum weiter.“
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Wortspiel mit dem Doppelsinn von qui m’importe: der mir wichtig ist / der mich importiert.
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In den Formeln der vier Diskurse ist der Platz des Scheins der Platz oben links (vgl. Seminar 18, Sitzung vom 20. Januar 1971; Version Miller, S. 25). Im Diskurs der Universität ist das Wissen, S2, am Platz oben links, also am Platz des Scheins.
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Chollet schreibt wie Espaces Lacan: „J’eus dû le garder“.– Miller „J’eusse dû“ (Ich hätte müssen; Subjunktiv Imperfekt).– Lituraterre II: „Le moindre sentiment (…) eût dû …“ (Das geringste Gefühl … hätte müssen; Subjunktiv Imperfekt) (Autres écrits, S. 14)
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Chollet schreibt wie Espaces Lacan: „imprécises“.– Miller und Lituraterre II: „impressives“ (Autres écrits, S. 14).
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Vgl. S. Freud: Entwurf einer Psychologie (1895). Von diesem Text gibt es zwei deutsche Ausgaben mit unterschiedlichen Transkriptionen:
(a) S. Freud: Aus den Anfängen der Psychoanalyse 1887–1902. Brief an Wilhelm Fließ. S. Fischer, Frankfurt am Main 1950, S. 299–384.– Abschrift (mit den Seitenzahlen dieser Ausgabe) auf der Website Lutecium, hier.
(b) Da die 1950 veröffentlichte Transkription fehlerhaft ist, wurde in den Gesammelten Werken eine neue Transkription veröffentlicht, erstellt von Ingeborg Meyer-Palmedo: S. Freud: Gesammelte Werke. Nachtragsband. S. Fischer, Frankfurt am Main 1987, S. 375–486.
Auf den Entwurf hatte Lacan sich zuerst in Seminar 2 bezogen, dann wieder in Seminar 7.
Vgl. hierzu: Mai Wegener: Neuronen und Neurosen. Der psychische Apparat bei Freud und Lacan. Ein historisch-theoretischer Versuch zu Freuds „Entwurf“ von 1985. Fink, München 2004.
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Brief von Freud an Wilhelm Fließ vom 6. Dezember 1896. Vgl. S. Freud, Aus den Anfängen der Psychoanalyse, a.a.O., S. 151–156. In der Neuausgabe der Fließ-Briefe ist dies der 112. Brief: S. Freud: Briefe an Wilhelm Fließ 1887–1904. Ungekürzte Ausgabe. Hg. v. Jeffrey Moussaieff Masson. S. Fischer, Frankfurt am Main 1986, S. 217–226.
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Freud schreibt: „Wz [Wahrnehmungszeichen] ist die erste Niederschrift der Wahrnehmungen, des Bewußtseins ganz unfähig, nach Gleichzeitigkeitsassoziationen gefügt.“ (Briefe an Wilhelm Fließ 1887-1904, a.a.O., S. 218, Einfügung in Klammern von Masson)
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Im Poe-Aufsatz heißt es umgekehrt, daß „wir lehren, daß das Unbewußte, will heißen: daß der Mensch vom Signifikanten bewohnt wird“ (Schriften I, S. 35).
In einer früheren Sitzung von Seminar 18 hatte Lacan eine Verbindung zwischen der Schrift und dem Bewohnen der Sprache hergestellt:
„Ich denke, dass wir die letzten Male über die Wohnung (habitat) des Sprechens bereits genug Dinge gesagt haben, um zu sehen, dass unsere Entdeckung doch zumindest damit eng verknüpft ist, dass es kein sexuelles Verhältnis gibt, so wie ich es definiert habe. Oder, wenn Sie so wollen, dass das sexuelle Verhältnis das Sprechen selbst ist. Geben Sie zu, dass das immerhin ein bisschen zu wünschen (désirer) übrig lässt. Im Übrigen denke ich, dass Sie ein Bisschen darüber wissen. Dass es kein sexuelles Verhältnis gibt, habe ich bereits in der Form festgehalten, dass es gegenwärtig keine Weise gibt, es zu schreiben.“
(Sitzung vom 10. März 1971; Version Miller S. 83)
„l’habite“ (ihn bewohnt) ist ein Wortspiel mit „la bite“ (vulgärer Ausdruck für den Penis).
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Mit „Ökonomie der Sprache“ spielt Lacan auf Freuds Begriff der Ökonomie an, also auf den theoretischen Gesichtspunkt quantitativ bestimmbarer Erregungsmengen; in Lacans Begrifflichkeit geht es bei der „Ökonomie der Sprache“ um das Verhältnis von Jouissance und Wissen.
In der ersten Sitzung von Seminar 18 hatte er diesen Zusammenhang so hergestellt:
„Wer nicht sieht, dass die Ökonomie, sogar die sogenannte der Natur, immer eine Diskurstatsache ist, der kann nicht begreifen, dass dies darauf verweist, dass es hier [in Jenseits des Lustprinzips] um die Jouissance nur insofern gehen konnte, als es selbst nicht nur ein Fakt (fait), sondern ein Effekt (effet) des Diskurses ist.“
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Die erste Reise nach Japan hatte Lacan 1963 unternommen; er berichtet darüber in Seminar 10.
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Lacan bezieht sich hier auf seine Formel „Das Reale ist das Unmögliche“, die er zuerst in Seminar 9 vorgebracht hatte, in den Sitzungen vom 14. und 21. März 1962.
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Möglicherweise eine Anspielung auf die Operette Die Herzogin von Gerolstein von Jacques Offenbach, Libretto von Henri Meilhac und Ludovic Halévy. In Akt I, Szene 13, singt der Chor im Original: „Partons!“, in der deutschen Übersetzung: „Fort nun!“ (Hinweis von Beatrice Khiara-Foxton und Adrian Price in ihrer englischen Übersetzung der Endfassung von „Lituraterre“.)
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Zu Japan vgl. auch: J. Lacan: Avis au lecteur japonais (1972). In: Autres écrits, a.a.O., S. 497–499.
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Zur Einwirkung der Schrift auf die japanische Sprache hatte Lacan sich in der Sitzung vom 10. März 1971 geäußert; vgl. Seminar 18, Version Miller, S. 91 f.
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Vielleicht eine Anspielung auf Freuds Begriff „Wortvorstellung“ (représentation des mots) – in einer früheren Sitzung des Seminars hatte Lacan erklärt, die Schrift sei eine „Wortvorstellung“ (Sitzung vom 10. März 1971; Version Miller, S. 86); später fügt er in derselben Sitzung hinzu, es sei überhaupt nicht sicher, ob es ohne die Schrift Worte gäbe. „Es ist vielleicht die Vorstellung als solche, die sie macht, die Worte.“ (A.a.O., S. 91).
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Chollet schreibt wie Espaces Lacan: „proprement“.– Miller: „reprenant“ (wieder aufnehmend).– Lituraterre II: „proprement“ (Autres écrits, S. 16).
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Von 1942 bis 1945 hatte Lacan an einem Chinesisch-Kurs teilgenommen, der von dem angesehenen Sinologen Paul Demiéville geleitet wurde (vgl. hier); er erinnert daran in Seminar 18 (Sitzung vom 10. Februar 1971; Version Miller, S. 46). Zwischen 1969 und 1973 traf Lacan sich einmal wöchentlich mit dem Sinologen François Cheng und sprach mit ihm über chinesische Klassiker, vor allem über Lao Tse, Mencius und Shi Tao (vgl. François Cheng: Le Docteur Lacan au quotidien. In: L‘Âne, Nr 48, Oktober-Dezember 1991, im Internet hier).
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Die japanische Schrift besteht aus drei Schriftarten, aus chinesischen Schriftzeichen, Kanji genannt, und aus zwei Kursivschriften, Hiragana und Katakana.
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Lacan verweist auf ein Schema von Charles Sanders Peirce, dass die Beziehungen zwischen affirmativen, negativen, universalen und partikularen Aussagen darstellt. Er hatte sich darauf zuerst in Seminar 15 bezogen (Sitzungen vom 7. Februar und vom 6. März 1968), in Seminar 18 war er darauf zurückgekommen (Sitzung vom 17. Februar 1971; vgl. Version Miller, S. 69.– Sitzung vom 17. März 1971; vgl. Version Miller, S. 109).
Nicht nur in Bezug auf Quadranten 1, sondern auch in Bezug auf Quadrant 4 kann man sagen: alle Striche sind vertikal. Dass es in Quadrant 4 keine Striche gibt, macht die Aussage nicht falsch. Universale Aussagen sind Wesensaussagen, ihre Wahrheit ist unabhängig von der Wahrheit von Existenzbehauptungen, unabhängig davon, ob es etwas gibt, was ihnen entspricht.
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Quelle der Abbildung zur Entwicklung der Kursivschrift: Artikel „Hiragana“ in der deutschen Wikipedia.
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Den Terminus demansion hatte Lacan fünf Sitzungen zuvor eingeführt:
„Die Wahrheit ist nicht das Gegenteil des Scheins. Die Wahrheit ist, wenn ich so sagen kann, diese Dimension oder diese demansion, D, E, M, A, N, wenn Sie mir gestatten, ein neues Wort zu bilden, um diese Becher zu bezeichnen, jene demansion, die mit derjenigen des Scheins streng korreliert.“
(Sitzung vom 20. Januar 1971; übersetzt nach Version Espaces Lacan)
Miller transkribiert an dieser Stelle falsch mit „demension“ (Seminar 18, Version Miller, S. 26) – der Tonbandtranskription von Espaces Lacan lässt sich entnehmen, dass Lacan den vierten Laut als a buchstabiert, nicht als e.
Das französische Wort mansion meint das „Haus“, z.B. in der Astrologie. Offenkundig spielt Lacan hier auf eine Formulierung von Heidegger an: „Die Sprache ist der Bezirk (templum), d. h. das Haus des Seins.“ (M. Heidegger: Wozu Dichter? (1926) In: Ders.: Holzwege. Gesamtausgabe, Bd. 5. Klostermann, Frankfurt am Main 1977, S. 310)
Die vier Becher – die vier Plätze der Diskursformeln – bilden demnach die vier Dimensionen der Sprache, ihre vier demansions. Eine dieser vier Dimensionen oder demansions ist die Wahrheit (unten links), sie steht in Verbindung mit der Dimension bzw. demansion des Scheins (oben links).
Zu demansion heißt es in der Sitzung vom 17. Februar 1971:
„ (…) ohne das Geschriebene ist es auf keine Weise möglich, dass man dahin kommt, das zu befragen, was in erster Linie aus der Sprachwirkung als solcher hervorgeht, anders gesagt aus der symbolischen Ordnung, nämlich die Dimension, um Ihnen ein Vergnügen zu machen, aber Sie wissen, dass ich einen anderen Term eingeführt habe, die demansion, die Wohnung, der Ort des Anderen der Wahrheit.
Ich weiß, dass diese demansion bei einigen Fragen aufgeworfen hat, die Echos davon habe ich erhalten. Nun, wenn demansion tatsächlich ein neuer Ausdruck ist, den ich fabriziert habe, und wenn er noch keinen Sinn hat, dann heißt das, dass es Ihnen zukommt, ihm einen zu geben. Die demansion der Wahrheit in ihrer Bleibe zu befragen, das ist etwas – da ist das Neue an dem, was ich heute einführe –, was nur durch das Geschriebene gemacht wird, und durch das Geschriebene insofern, insofern die Logik nur vom Geschriebenen her konstituiert wird.
Das ist das, was ich an diesem Punkt meines diesjährigen Diskurses einführe – eine Frage der Logik gibt es nur ausgehend vom Geschriebenen, insofern das Geschriebene gerade nicht die Sprache ist. Darauf bezog sich meine Aussage, dass es keine Metasprache gibt. Insofern das Geschriebene sich von der Sprache unterscheidet, ist dies da, um uns zu zeigen: wenn die Sprache vom Geschriebenen her befragt wird, dann genau insofern, als das Geschriebene sie, die Sprache, nicht ist, das Geschriebene aber nur konstruiert, nur hergestellt wird ausgehend von seinem Bezug auf die Sprache.“
(Sitzung vom 17. Februar 1971; Version Miller, S. 64 f.)
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Pas-plus-d’un meint bei Lacan „einer, aber nicht mehr als einer“, „genau einer“.
Den Ausdruck pas-plus-d’un hatte Lacan in Seminar 18 in der vorangegangenen Sitzung eingeführt:
„Was ich andererseits, bezogen auf diesen Entwendeten Brief, hervorhebe, ist dies, wenn es nur eine Frau gibt und nicht Die Frau, anders ausgedrückt, wenn die Funktion der Frau nur durch das umgesetzt wird, was der große Mathematiker Brouwer im Zusammenhang dessen, was ich Ihnen eben über die mathematische Diskussion vorgetragen habe, als Viel-Einheit bezeichnet, dann gibt es eine Funktion, die, recht eigentlich gesprochen, die des Vaters ist, der da ist. Der Vater ist da, um sich anerkennen zu lassen, in seiner radikalen Funktion, in derjenigen, die er immer manifestiert hat, jedes Mal, wenn es beispielsweise um den Monotheismus ging.
Es ist nicht ohne Bedeutung, dass Freud hier gescheitert ist. Das ist nämlich eine absolut wesentliche Funktion, der man es vorbehalten sollte, im eigentlichen Sinne am Ursprung der Schrift zu stehen. Das ist das, was ich das Nicht-mehr-als-eins (pas-plus-d’un) nennen werde.
Aristoteles macht sicherlich ganz und gar hinreißende, beachtliche Anstrengungen, wie er es für gewöhnlich tut, um uns das durch Stufen zugänglich zu machen; im Namen seines Prinzips, das man als das Prinzip des stufenweisen Rückstiegs von Ursache zu Ursache und von Sein zu Sein usw. qualifizieren kann, wird es wohl nötig sein, dass Sie irgendwo anhalten. Das ist das Nette bei ihm, dass er wirklich für die Dummen sprach. Von daher die Entwicklung der Funktion des Subjekts.
Das Nicht-mehr-als-eins stellt sich auf eine völlig originelle Weise dar. Ohne Nicht-mehr-als-eins können Sie nicht einmal damit anfangen, die Reihe der ganzen Zahlen zu schreiben. Das werde ich Ihnen das nächste Mal an der Tafel zeigen. Es ist nötig, dass es eine 1 gibt, und dann wieder, damit Sie danach, jedes Mal, wenn Sie wieder anfangen wollen, nur noch die Lippen zu schürzen brauchen, sodass das jedes Mal 1 mehr ergibt, aber nicht dasselbe. Hingegen sind all diejenigen, die sich so wiederholen, dieselben; sie können addiert werden. Man nennt das die arithmetische Reihe.“
(Sitzung vom 17. März 1971; Version Miller, S. 106)
Die Funktion pas-plus-d’un (nicht-mehr-als-einer) wird demnach durch den Monotheismus realisiert (es gibt genau einen Gott, nicht mehr) und außerdem durch die Nachfolgerfunktion in der Konstituierung der ganzen Zahlen (die nächste Zahl wird gebildet, indem genau eins addiert wird, jedoch nicht mehr).
In der Sitzung vom 9. Juni 1971 wird der Begriff papludun weiter erläutert:
„Dass das x den Übergang zu einem Wesen (être), zu einem alle Frauen aufnötigt, den ein so sensibles Wesen wie Aristoteles tatsächlich niemals vollzogen hat, das genau ist es, was es gestattet, zu behaupten, dass das alle Frauen diejenige Äußerung ist, von der her sich die Hysterikerin als Subjekt entscheidet, und dass es deshalb so ist, dass eine Frau eng mit einem papludun verbunden ist, durch das sie recht eigentlich in dieser Logik des Nachfolgers verortet wird, die Peano uns als Modell gegeben hat.
Die Hysterikerin ist nicht eine Frau. Es geht darum zu wissen, ob die Psychoanalyse, wie ich sie definiere, Zugang zu einer Frau verschafft (…).“
(Version Miller, S. 155)
Lacan erläutert dann den Unterschied zwischen Wahrheit und Wissen an Platons Menon, als Unterschied zwischen der wahren Meinung, die die Tugend fundieren kann, und Wissen; das unbewusste Wissen ist Wissen über die Wahrheit.
„Kann diese Wahrheit, insofern sie sich in der Hysterikerin verkörpert, tatsächlich einem Gleiten unterzogen werden, das hinreichend geschmeidig ist, dass sie die Einführung in eine Frau wäre?
Ich weiß durchaus, dass die Frage auf eine höhere Ebene gebracht worden ist, seit ich bewiesen habe, dass es sprachlich Artikuliertes gibt, das nicht im Sprechen artikulierbar ist, und dass ganz einfach von da das Begehren auftaucht.
Es ist jedoch einfach, das zu entscheiden. Genau deshalb, weil es um das Begehren geht, insofern es den Akzent auf die Invarianz des Unbekannten setzt – die links steht [in den Formeln der Sexuierung], diejenige, die sich nur unter der Überschrift der Verneinung* herstellt –, kann die Aushöhlung des Begehrens durch die Analyse in keiner Funktion der Variablen geschrieben werden. Dies ist das Widerlager, von dem her sich als solches das Begehren der Hysterikerin von dem trennt, was sich gleichwohl herstellt, und was es zahllosen Frauen ermöglicht, als solche zu funktionieren, d.h. indem sie ihr Sein zu einer Funktion des papludun machen, für all ihre situativen Veränderungen.
Die Hysterikerin spielt da die Rolle des Funktionsschemas, falls Sie wissen, was das ist. Das ist die Tragweite meiner Formel über das sogenannte unbefriedigte Begehren.
Daraus folgt, dass die Hysterikerin den Platz einnimmt, das papludun einzuführen, von dem her jede der Frauen eingesetzt wird, auf dem Weg des nicht von jeder Frau kann gesagt werden, dass sie eine Funktion des Phallus ist.“
(Version Miller, S. 156)
„Insgesamt hat der Ödipus[mythos] den Vorteil, zu zeigen, auf welche Weise der Mann auf die Forderung des papludun [nicht-mehr-als-eins] antworten kann, die im Sein einer Frau ist. Er selbst würde davon nicht-mehr-als eine lieben. Unglücklicherweise ist das nicht dieselbe. Es ist immer dasselbe Rendez-vous – als die Masken fielen, war es weder er noch sie.“
(Version Miller, S. 158)
Eine weitere Existenzform des Nicht-mehr-als-ein ist demnach die Forderung einer Frau, dass ihr Partner eine lieben soll (nämlich sie), jedoch nicht mehr als eine.
In der letzten Sitzung des Seminars heißt es:
„Aber dann, da ich Ihnen vom Papludun aus die logifizierte Wahlmöglichkeit in der unbefriedigten Beziehung des sexuellen Verhältnisses bezeichnet habe, ahnen wir auch, worauf die unglaublichen Gefälligkeiten von Freud gegenüber einem Monotheismus hinauslaufen, dessen Modell er merkwürdigerweise von ganz woanders holt als aus seiner Tradition. Für ihn muss das Echnaton sein. Auf der sexuellen Ebene ist nichts zweideutiger als dieser solare Monotheismus, wenn man sieht, wie er strahlt, mit all seinen Strahlen, die mit kleinen Händen ausgestattet sind, die die Nasenlöcher unzähliger winziger Menschen kitzeln werden, Kinder des einen und des anderen Geschlechts, wobei in dieser bildhaften Darstellung der ödipalen Struktur erstaunlich ist, dass sie sich ähneln wie Brüder, so muss man wohl sagen, und mehr noch wie Schwestern. Wenn das Wort ‚sublim‘ einen mehrdeutigen Sinn haben kann, dann wohl da. Es ist auch nicht ohne Bedeutung, dass die letzten monumentalen Bilder von Echnaton, die ich, als ich das letzte Mal ägyptischen Boden verließ, sehen konnte, nicht nur kastriert sind, sondern schlichtweg feminin.“
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Chollet: „ditmention“.– Miller: „demansion“.– Lituraterre II: keine Entsprechung.
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Was Frege angeht, bezieht Lacan sich hier auf die Beziehung von Null und Eins; vgl. Seminare 12 und 13 sowie Lacans Vortrag Über Struktur als Einmischen einer Andersheit in welches Subjekt auch immer (1966) (meinen Kommentar zu diesem Text findet man hier). Lacan bezieht sich auf: Gottlob Frege, Grundlagen der Arithmetik (1884).
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Weder Hun noch peluce sind Worte des Französischen. Hun lässt an Huns denken, „Hunnen“. Peluce erinnert an peluche, was einerseits „Samt“ bedeutet, andererseits „Fussel“ oder „Staubflocke“.
Den Terminus un-en-plus „eins mehr“, hatte Lacan in Seminar 14 eingeführt, in der Sitzung vom 23. November 1966. Um eine Menge zu bilden, braucht es, außer den Elementen der Menge, ein weiteres Element, das beispielsweise durch den Kreis um die Elemente herum repräsentiert wird; Lacan symbolisiert es mit (+1). Dieses zusätzliche Element ist eines, das den Elementen fehlt, also zugleich „eins weniger“ (−1).
Mit Hun-En-Peluche (bzw. un-en-plus), Eins-mehr, scheint also das Ausnahmeelement gemeint zu sein, durch das eine Menge konstituiert wird. Eine Entsprechung in den Formeln der Sexuierung wäre dann der Ausdruck , den Lacan durch den Bezug auf den mythischen Urvater erläutert.
Der Gedanke geht auf Seminar 9 zurück, dort noch ohne diese Terminologie (Sitzung vom 9. Mai 1962).
In einer späteren Sitzung von Seminar 18 wird es heißen:
„Dieser Begriff des zumindest einer (au moins un), mein Gott, damit ende ich, weil die Stunde mir die Grenze anzeigt. Sie werden sehen, dass ich ihn in der Folge in einen Funktionszusammenhang zu bringen haben werde mit dem, was Sie dort bereits artikuliert sehen, nämlich mit der Funktion des un en peluce [un en plus, „eins mehr“], die übrigens nicht so ist, wie ich sie das letzte Mal geschrieben habe. Es ist nicht ohne Bedeutung, dass ich es so geschrieben habe, ich denke, dass das bei einigen immerhin gewisse Echos hervorrufen kann.“
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Den Terminus l’achose hatte Lacan in Radiophonie eingeführt:
„Ich müßte ‚antizipieren‘ (aufnehmend den Sinn meines eigenen Wortes) auf das, was ich vorhabe einzuführen unter der Schreibweise von l’achose, l, Apostroph, a, c, h, o usw., um spüren zu machen, in welchem Effekt die Linguistik Position bezieht.
Das wird kein Progreß sein: eher eine Regression. Das ist es, wessen wir bedürfen gegen die Einheit von Obskurantismus, die sich bereits zusammenschweißt, um der achose zuvorzukommen.“
(Radiophonie, S. 8)
In Seminar 17 heißt es:
„Den Raum, in dem sich die Schöpfungen der Wissenschaft ausbreiten, können wir von da an nur durch die l’insubstance qualifizieren, die Unsubstanz, durch l’achose mit Apostroph, das Unding. Eine Tatsache, die den Sinn unseres Materialismus durch und durch verändert.“
(Sitzung vom 20. Mai 1970; Version Miller, S. 186)
Das Verhältnis zwischen l‘Achose und Objekt a war Gegenstand einer früheren Sitzung von Seminar 18. In Anspielung auf Heideggers Begriff des Daseins hatte Lacan gesagt:
„Bin ich da, bin ich gegenwärtig, wenn ich zu Ihnen spreche? Es wäre nötig, dass das Ding (la chose), in Bezug auf das ich mich an Sie wende, da wäre. Nun, es reicht zu sagen, dass la chose nur als l’achose geschrieben werden kann, wie ich es gerade an die Tafel geschrieben habe, das Ding nur als Unding, was besagt, dass es da abwesend ist, wo es seinen Platz einnimmt. Oder, genauer, dass, einmal weggenommen, das Objekt klein a, das diesen Platz hält, an diesem Platz nur den sexuellen Akt lässt, so wie ich ihn akzentuiere, das heißt die Kastration.“
(Sitzung vom 10. März 1971; Version Miller, S. 77)
Einige Sätze später heißt es:
„Wenn es auf der Ebene von l’achose Loch gibt, lässt Sie das bereits ahnen, dass das eine Weise war, es bildlich darzustellen, dieses Loch (…)“
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Was ist mit ruissellement (Strömen, Rieseln) gemeint? Ich vermute, das Strömen des Regens, nicht das der Gewässer. Der Regen wäre dann das Litoral zwischen den Wolken und der Erde.
Im Poe-Aufsatz findet sich ein ähnliches Bild. Über Dupin, den Detektiv, heißt es, als er den Brief versteckt:
„Seine präzise Handhabung berücksichtigt das Blendende des Lichtscheins, nicht minder die Spiegelungen, deren sich der Schatten bedient, um seine Beute nicht fahren zu lassen.“
(Schriften I, S. 30).
In Seminar 18 wird Lacan in der Folgesitzung über den Schatten sagen:
„Hier rührt man an die Bedeutung der Funktion des Schattens. Bereits das letzte Mal – in dem, was ich Ihnen gegenüber geäußert habe über das, was genau etwas Geschriebenes ist, ich meine über etwas, was sich in literaler oder literarische Form dargestellt hat – habe ich erwähnt, dass der Schatten, um erzeugt zu werden, eine Lichtquelle benötigt. Ja. Aber es ist für Sie nicht spürbar gewesen, dass von daher die Aufklärung* etwas mit sich führt, was die Struktur der Fiktion bewahrt. Ich spreche von der historischen Epoche, die nicht unbedeutend gewesen ist, und in Bezug auf die es uns nützlich sein kann – das ist hier der Fall und das ist das, was ich mache –, ihre Wege nachzuvollziehen oder sie selbst wieder aufzunehmen. Das, was die Aufklärung zum Teil dieses Feldes macht, das sich selbst als das der Wahrheit definiert. Nun sollte sie sogar einen wirkungsvollen Effekt auf das haben, was die Undurchsichtigkeit hervorbrachte, auf das Licht als solches, das dieses Feld in jedem Moment verbreitet, einen Schatten projiziert, und es ist dieser Schatten, der Wirkung zeigt. Das ist das, worin wir diese Wahrheit selbst immer über ihre Fiktionsstruktur zu befragen haben.“
(Sitzung vom 19. Mai 1971; Version Miller, S. 134)
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Chollet schreibt wie Espaces Lacan: „qui l’efface“.– Miller: „qu’il efface“ (was er auslöscht).– Lituraterre II: „qui l’efface“ (Autres écrits, S. 16).
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In Seminar 9 sagt Lacan:
„Aber wenn ich plötzlich die Spur davon finde, dass man sich bemüht hat, die Spur auszulöschen; oder wenn ich sogar von dieser Bemühung keine Spur mehr finde; wenn ich zurückgekommen bin, weil ich weiß – worauf ich keineswegs stolz bin – dass ich die Spur hinterlassen habe; wenn ich finde, dass man – ohne eine Entsprechung, die es gestattet, dieses Auslöschen auf ein allgemeines Auslöschen der Züge/Striche (traits) der Konfiguration zu beziehen –, dass man tatsächlich die Spur als solche ausgelöscht hat, nun, dann bin ich sicher, dass ich es mit einem realen Subjekt zu tun habe.“ (Seminar 9, Sitzung vom 24. Januar 1962; meine Übersetzung nach Version Staferla)
Eine Spur ist ein Zeichen: sie bezieht sich auf eine Sache und repräsentiert damit etwas für jemanden. Ein Signifikant repräsentiert nicht etwas für jemanden, er bezieht sich auf andere Signifikanten, er funktioniert differentiell. Damit der Signifikant entsteht, muss die Spur ausgelöscht werden, der Bezug auf das repräsentierte Etwas und auf den Jemand muss getilgt werden. Durch das Auslöschen der Spur, durch die Installierung von Signifikanten entsteht das Subjekt im Sinne der Psychoanalyse.
Eine frühere Fassung dieses Gedankens findet man in Seminar 5:
„Gehen wir von dem aus, was eine Spur ist. Eine Spur, das ist ein Abdruck, das ist kein Signifikant. Man fühlt wohl trotzdem, daß es zwischen den beiden ein Verhältnis geben kann, und in Wahrheit partizipiert das, was man das Material des Signifikanten nennt, stets ein wenig am schwindenden Charakter der Spur. Dies scheint sogar eine der Existenzbedingungen für das signifikante Material zu sein. Dies ist dennoch kein Signifikant. Freitags Fußabdruck, den Robinson bei seinem Spaziergang auf der Insel entdeckt, ist kein Signifikant. Umgekehrt, einmal angenommen, Robinson streiche, aus welchem Grunde auch immer, diese Spur aus, so wird damit eindeutig die Dimension des Signifikanten eingeführt. Von dem Moment an, da man sie ausstreicht, da dies einen Sinn aus dem Ausstreichen hat, wird das, von dem es Spur gibt, offensichtlich als Signifikat konstituiert.“ (Seminar 5, Sitzung vom 23. April 1958; Version Miller/Gondek, S. 404)
Zum ersten Mal formuliert Lacan diese These in Seminar 3 von 1955/56, Die Psychosen, in der Sitzung vom 14. März 1956; vgl. Version Miller/Turnheim S. 198 f.Zum „einzigen Zug“ hatte Lacan in einer früheren Sitzung von Seminar 18 gesagt:„Dieser berühmte Raum ist ja für unsere Logik seit einem bestimmten Moment, seit Descartes, die sperrigste Sache der Welt. Das ist immerhin eine Gelegenheit, darüber zu sprechen, auch wenn es nötig ist, es als eine Art Randbemerkung hinzuzufügen, als das, was ich als die Dimension des Imaginären unterscheide.Es gibt wirklich Leute, die sich den Kopf zerbrechen, nicht unbedingt wegen dieser Schrift, wegen anderer Schriften, oder die sogar Notizen aufbewahrt haben, von dem, was ich früher mal habe sagen können, etwa über die Identifizierung. Dieses Jahr, 1961/62, ich muss sagen, dass alle meine Zuhörer an etwas anderes dachten, außer, ich weiß nicht, ein oder zwei, die ganz von außen kamen und die nicht wussten, was genau da ablief. Ich hatte über den einzigen Zug / den einzelnen Zug / den Einzelstrich / den trait unaire gesprochen, und jetzt ist man beunruhigt, und es scheint, dass das gerechtfertigt ist, nämlich darüber, wo man ihn unterbringen soll, diesen Einzelstrich, auf der Seite des Symbolischen oder auf der des Imaginären? Und warum nicht des Realen? Wie auch immer, so etwas, weil das auf diese Weise gemacht wird, ein senkrechter Strich, ein einziger Zug*, natürlich hatte ich das bei Freud aufgefischt.Das wirft einige Fragen auf, wie ich Ihnen bereits das letzte Mal ein wenig nahegebracht habe, mit der Bemerkung, dass es völlig unmöglich war, irgendetwas Haltbares über die Zweiteilung in Logik und Mathematik zu denken, die für die Mathematiker so schwierig, so problematisch ist. Ist es möglich, dass alles auf reine Logik reduziert werden kann, also auf einen Diskurs, der sich auf eine wohldefinierte Struktur stützt? Gibt es nicht ein absolut wesentliches Element, das übrigbleibt, was auch immer wir anstellen mögen, um es in diese Struktur einzuzwängen, es zu reduzieren, ein letzter Kern also, der übrigbleibt, und der als Intuition / als Anschauung bezeichnet wird – ?Gewiss, das ist die Frage, von der Descartes ausgegangen ist. Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass ihm zufolge die mathematische Begründung nichts Wirksames, Schöpferisches oder was auch immer aus der Ordnung der Begründung bezieht, sondern einzig ihr Ausgangspunkt, nämlich eine ursprüngliche Anschauung, diejenige, die er mit seiner ursprünglichen Unterscheidung zwischen dem Ausgedehnten und dem Denken annimmt oder einsetzt. Da dieser kartesische Gegensatz mehr von einem Denker als von einem Mathematiker gebildet worden ist – von jemandem, der gewiss nicht unfähig war, in der Mathematik etwas zu leisten, wie die Tatsachen bewiesen haben –, ist er natürlich von den Mathematikern selbst weiter angereichert worden. Das ist wohl das erste Mal, dass auf dem Weg der Philosophie etwas zur Mathematik gekommen ist. Denn ich möchte Sie bitten, dies zu beachten, was mir sehr sicher zu sein scheint – man möge mir widersprechen, wenn man kann, es wäre leicht, jemanden zu finden, der in dieser Frage kompetenter ist als ich –, nämlich dass die Mathematiker der Antike ihren Weg verfolgt haben, ohne all dem auch nur im Geringsten Beachtung zu schenken, was sich in den Schulen der Weisheit ereignen konnte, in den Schulen der Philosophie, in welchen auch immer. Heutzutage ist das nicht mehr so, jetzt, wo der kartesische Impuls, bezogen auf die Unterscheidung zwischen Anschauen und Begründen, die Mathematik selbst in starkem Maße umgetrieben hat.Daran liegt es wohl, dass es mir nicht gelingt, hier nicht auf eine Ader zu stoßen, durch etwas hervorgerufen, was in einer gewissen Beziehung zu dem Versuch steht, den ich hier unternehme, auf dem Feld, um das es geht. Mir scheint, dass die Bemerkung, die ich vorbringen kann – von dem Punkt aus, an dem ich mit den Beziehungen zwischen dem Sprechen und dem Geschriebenen bin, bezogen auf das, was die Funktion der Schrift, zumindest bei dieser ersten Kante (? arête), an Besonderem hat, verglichen mit jeder Rede –, dass diese Bemerkung vielleicht so ist, dass sie dazu führt, dass die Mathematiker sich über das klarwerden, worauf ich das letzte Mal hingewiesen habe, nämlich dass die Anschauung des euklidischen Raumes etwas der Schrift zu verdanken hat.Andererseits, das, was man in der Mathematik die Reduktion der mathematischen Operation auf die Logik nennt, das geht nicht, das kann keine andere Stütze haben als die Manipulation kleiner und großer Buchstaben, verschiedene Partien von Alphabeten, ich meine griechische oder deutsche Buchstaben, mehrere Partien von Alphabeten. Um das festzustellen, reicht es aus, die Geschichte zu verfolgen. Jede Manipulation, mit der in der mathematischen Begründung die logische Reduktion voranschreitet, ist auf diese Stütze angewiesen. Ich werde versuchen, das für Sie ein wenig voranzutreiben.Wie ich Ihnen wiederholt gesagt habe, sehe ich keinen wesentlichen Unterschied zu dem, was lange, während einer ganzen Epoche, im 17. und 18. Jahrhundert, für das mathematische Denken die Schwierigkeit gebildet hat, nämlich die Notwendigkeit der Zeichnung (tracé) für den euklidischen Beweis. Es war notwendig, dass zumindest eines dieser Dreiecke gezeichnet war. Und von da aus gerieten alle in Aufregung. Ist dieses Dreieck, das da gezeichnet worden sein wird, das allgemeine Dreieck oder ein besonderes Dreieck? Es ist völlig klar, dass es immer besonders ist. Das, was Sie für das Dreieck im allgemeinen beweisen, nämlich, immer dieselbe Geschichte, drei Winkel, die zwei rechte bilden, es ist klar, dass Sie nicht sagen dürfen, dass dieses Dreieck nicht das Recht hat, zugleich ein gleichschenkeliges Rechtwinkliges oder ein Gleichseitiges zu sein. Es ist also immer besonders.Das hat die Mathematiker enorm beschäftigt. Ich übergehe – hier ist sicherlich nicht der Ort, daran zu erinnern, wir sind nicht da, um in Gelehrsamkeit zu machen –, ich übergehe, über wen und wen das verläuft, seit Descartes und Leibniz und anderen; das führt bis zu Husserl. [Lacan bezieht sich auf: Edmund Husserl: Die Frage nach dem Ursprung der Geometrie als intentional-historisches Problem. In: Revue internationale de philosophie, Brüssel, 1. Jg. (1939), S. 203–225. Vgl. hierzu: Jacques Derrida: Husserls Weg in die Geschichte am Leitfaden der Geometrie. Ein Kommentar zur Beilage III der „Krisis“ (1962). Fink, München 1987.] Sie scheinen mir jedoch niemals diesen harten Punkt gesehen zu haben, dass die Schrift von zwei Seiten her da ist, dass sie das Anschauen und das Begründen homogenisiert. Anders ausgedrückt, das Aufschreiben kleiner Buchstaben hat eine Funktion, die nicht weniger intuitiv ist als das, was der gute Euklid gezeichnet hat (traçait). Tatsächlich würde es darum gehen, herauszufinden, warum man denkt, dass sich das unterscheidet.Ich weiß nicht, ob ich Sie darauf hinweisen muss, dass die Konsistenz des Raumes, des euklidischen Raumes, des Raumes, der mit seinen drei Dimensionen abgeschlossen ist, auf ganz andere Weise, so scheint mir, definiert werden muss. Wenn Sie zwei Punkte nehmen, haben diese den gleichen Abstand zueinander, wenn ich so sagen kann, der Abstand des ersten Punktes vom zweiten ist der gleiche wie der des zweiten zum ersten. Sie können drei davon nehmen und dafür sorgen, dass es weiterhin wahr ist, also dass jeder den gleichen Abstand zu jedem der beiden anderen Punkte hat. Sie können vier davon nehmen und dafür sorgen, dass das weiterhin wahr ist. Ich habe nie gehört, dass ausdrücklich darauf hingewiesen wird. Sie können fünf davon nehmen, und jetzt übereilen Sie sich nicht, um zu sagen, dass Sie auch sie in gleichen Abstand zu jedem der vier anderen bringen können, weil Ihnen das nicht gelingen wird, zumindest nicht in unserem euklidischen Raum. Damit Sie diese vier Punkte in dem gleichen Abstand zu jedem der anderen Punkte haben, ist es nötig, dass sie eine vierte Dimension erzeugen. Das ist es.Sicherlich, das geht mühelos, buchstäblich, und dann hält das sehr gut. Man kann beweisen, dass ein vierdimensionaler Raum völlig kohärent ist, in dem Maße, wie man die Verbindung seiner Kohärenz mit der Kohärenz der reellen Zahlen zeigen kann; in eben dem Maße hat er Bestand.
Aber schließlich ist es eine Tatsache, dass sich die Anschauung jenseits des Tetraeders bereits auf den Buchstaben stützen muss.“
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Chollet schreibt wie Espaces Lacan: „Ça se marque donc en deux temps“.– Miller: „Ça se remarque donc en deux temps“.– Lituraterre II: „s’y marquent deux temps“ (Autres écrits, S. 16).
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Lacan übersetzt hier rature (Streichung) ins Lateinische: litura. Lituraterre kann demnach auch so gelesen werden: „Streichung – Erde“.
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Miller schreibt „pure“ kursiv; Lacan in Lituraterre II nicht (Autres écrits, S. 16).
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Vgl. Seminar 17, Sitzung vom 21.1.1970; Version Miller, S. 63. Jean Macé: L‘Histoire de Moitiè de Poulet (Die Geschichte von Halbes Huhn), Lacans erste Lektüre. Aus: Jean Macé: Contes du petit château. Hetzel, Paris 1862.
In einer späteren Sitzung von Seminar 18 heißt es zu den beiden Hälften:
„Dort [in Lacans Aufsatz Die Freudsche Sache] wird nur gesagt, was Sprechen bedeutet – die unheilbare Spaltung in Jouissance und Schein. Die Wahrheit ist, Jouissance zu haben , einen Schein zu bilden und in keinem Fall einzugestehen, dass die Realität jeder dieser beiden Hälften nur vorherrscht, indem sie sich bestätigen, von der anderen zu sein, also in alternierendem Strahl zu lügen.“
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Lacan spielt hier auf eine Abhandlung von Shi Tao an, einem chinesischen Maler des 17. Jahrhunderts. Shi Tao zufolge beruht die Arbeit des Malers, des Kalligrafen, auf dem „unären Pinsel“. In Seminar 14 hatte Lacan über Shi Tao gesagt:
„Freud hat den einzigen Zug/Strich (trait unaire) nicht entdeckt. (…) Öffnen Sie das letzte Heft der ausgezeichneten Zeitschrift, die Arts Asiatiques heißt, und Sie werden hier die Übersetzung einer sehr schönen kleinen Abhandlung über die Malerei sehen, von einem Maler, von dem ich erfreulicherweise das Glück habe, kleine Kakemonos zu besitzen, der Shi Tao heißt und der diesen unären Strich nun wirklich groß herausstellt. Er spricht nur davon, ja, über eine ganze Reihe von Seiten spricht er nur davon. Das nennt sich auf Chinesisch – und nicht nur für die Maler, denn auch die Philosophen sprechen viel davon – yi, das bedeutet Ein, und sua, was „Strich“ heißt. Das ist der unäre Strich.“
(Sitzung vom 26. April 1967, meine Übersetzung nach Version Staferla)
In Shi Taos Abhandlung heißt es:
„Die unterschiedslose Verschmelzung von Yin-Yun bildet das ursprüngliche Chaos. Und wenn es nicht durch das Mittel des unären Pinselstrichs wäre, wie anders könnte das ursprüngliche Chaos erschlossen werden? (…) Die Einheit von Tinte und Pinsel zu verwirklichen heißt, die Unterscheidung von Yin und Yun zu lösen und sich daranzumachen, das Chaos zu erschließen (…). In der Mitte des Ozeans der Tinte, fest den Geist zu errichten; auf der Spitze des Pinsels möge das Leben sich bejahen und aufsteigen; auf der Oberfläche der Malerei die Metamorphose zu vollziehen, dass im Herzen des Chaos das Licht errichtet werde und aufschieße! Ausgehend vom Ein teilt sich das Viele, ausgehend vom Vielen wird das Ein erobert, die Metamorphose des Ein erzeugt Yin und Yun – und da ist es, dass alle Virtualitäten der Welt ihre Erfüllung finden.“
(meine Übersetzung der Übersetzung von François Cheng in seinem Buch Vide et plein. Le langage pictural chinois. Le Seuil, Paris 1991, übersetzt nach dem Zitat in Laurent (1999).
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Das japanische Schriftzeichen für die Zahl 1 ist ein waagerechter Strich. In Seminar 9 heißt es, dass der trait unaire, der einzige Zug / der Einzelstrich auf zwei Weisen gezeichnet werden kann, als senkrechter Strich, im Französischen batôn genannt, Knüppel, und als waagerechter Strich, „wie es die Chinesen machen“ (Seminar 9, Sitzung vom 6. Dezember 1961).
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Chollet schreibt wie Espaces Lacan: „de quelle rature ça s’attaque“.– Miller: „de quelle nature ça s’attaque“.– Lituraterre II: „de quel appui elle s’attaque“ (Autres écrits, S. 16).
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Entre centre et absence, „Zwischen Zentrum und Abwesenheit“, Titel eines Gedichts von Henri Michaux (1936), hier.
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Absence spielt vielleicht auf sens an; absence wäre dann die Jouissance als Abwesenheit von Sinn.
Zum Verhältnis von Wissen und Jouissance äußert sich Lacan in der ersten Sitzung von Seminar 18. Zum Seminartitel Über einen Diskurs, der nicht vom Schein wäre, heißt es hier:
„Der große Vorteil, es so zu fassen, besteht darin, dass man nicht sagt, vom wessen Schein. Nun, da ist das, um das herum ich vorschlage, unsere Aussagen voranzubringen, nämlich herauszufinden, worum es dort geht, wo es nicht vom Schein wäre?
Natürlich ist das Terrain durch einen einzigartigen, wenn auch zaghaften Schritt vorbereitet worden, denjenigen, den Freud in Jenseits des Lustprinzips getan hat.
Ich kann hier nicht mehr tun, als auf den Knoten zu verweisen, den in dieser Aussage die Wiederholung und die Jouissance bilden. Er ist davon abhängig, dass die Wiederholung gegen das Lustprinzip geht, welches, möchte ich sagen, sich nicht davon erholt / keine Aufhebung findet. Im Lichte der [psycho]analytischen Erfahrung kann der Hedonismus sich nur auf das zurückziehen, was er ist, nämlich ein philosophischer Mythos. Ich meine, ein Mythos einer vollkommen definierten und klaren Klasse von Mythen, über die ich letztes Jahr geäußert habe, dass die Hilfe, die sie für einen bestimmten Prozess des Herrn geleistet haben, es dem Diskurs des Herrn als solchem ermöglicht hat, ein Wissen aufzubauen. Dieses Wissen, das ein Wissen des Herrn ist, hat, angesichts des Herrn, die Existenz eines anderen Wissens angenommen, und der philosophische Diskurs trägt davon noch die Spur. Gott sei Dank ist der philosophische Diskurs nicht verschwunden, ohne zuvor festgemacht zu haben, dass es am Ursprung ein Verhältnis zwischen diesem Wissen und der Jouissance geben musste. Derjenige, der den philosophischen Diskurs so abgeschlossen hat, Hegel, um ihn zu nennen, sieht nur die Art und Weise, wie die Sklaverei durch die Arbeit dazu gelangen wird, was zu vollenden? Nichts anderes als das Wissen des Herrn.“
(Sitzung vom 13. Januar 1971; Version Miller, S. 19 f.)
In jedem Moment als dasselbe: Lacan spielt hier vielleicht auf den Satz der Identität an, A=A der ja die Verwendung von Buchstaben voraussetzt. Vgl. hierzu Lacans Kritik am Satz der Identität in Seminar 9: der Satz der Identität ist unwahr, da er auf dem Buchstaben beruht und der Buchstabe differentiell organisiert ist, also nicht mit sich selbst identisch ist (Sitzung vom 6. Dezember 1961); vgl. diesen Blogartikel.
In der ersten Sitzung von Seminar 18 heißt es:
„Der Schein, in dem der Diskurs mit sich selbst identisch ist, ist eine Ebene des Ausdrucks ‚Schein‘, das ist der Schein in der Natur.“ (Sitzung vom 13. Januar 1971; Version Miller, S. 16)
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Sich für ein Agens zu halten, für einen Agenten, beruht demnach auf Identifizierung. Zum Begriff des Agenten vgl. Seminar 17, Sitzung vom 18. März 1970. Bezogen auf die Diskursformeln ist der Platz des Agenten der Platz oben links (vgl. Seminar 17, Version Miller, S. 196), in Seminar 18 wird dieser Platz als der des Scheins bezeichnet (vgl. Seminar 18, Sitzung vom 20. Januar 1971; Version Miller, S. 25).
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Chollet: „qu’en pleut cet effet, encore faut il préciser qu’il y était“.– Miller: „qu’en pleut cet effet à ce qu’il s’en précipite ce qui y était“.– Lituraterre II: „qu’en pleut, effet à ce“ (Autres écrits, S. 17).
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Die Wolken sind die Quelle des „Strömens“, also der Flüsse.
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Lacan bezieht sich auf Aristophanes’ Komödie Die Wolken (423 v. Chr). Ein Bauer und sein Sohn lernen Rhetorik, um der schlechten Sache zum Siege zu verhelfen. Sokrates, der in den Lüften schwebt, erklärt ihnen, die Wolken seien die Götter der neuen Zeit, denn die Wolken verkörpern „die Gedanken, Ideen, Begriffe, die uns Dialektik verleihen und Logik und den Zauber des Wortes und den blauen Dunst, Übertölplung, Floskeln und Blendwerk“ (Aristophanes: Sämtliche Komödien. Bd. 1. Übersetzt von Ludwig Seeger. Artemis-Verlag, Zürich 1952, Verse 317 und 318, zit. nach dem Wikipedia-Artikel „Die Wolken“).
In Radiophonie verwendet Lacan den Terminus Materie so:
„Diese intransitive Materialisierung, möchten wir sagen, des Signifikanten zum Signifikat, das ist das, was man das Unbewußte nennt, das nicht Ankerung ist, sondern Ablage, Anschwemmung der Sprache.“
(Radiophonie, S. 21)
Illustration aus: Joannes Sambucus: Emblemata et aliquot nummis antiqui operis, cum emendatione et auctario copioso ipsius autoris, 1564. Quelle: Artikel „The Clouds“ der englischen Wikipedia.
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Chollet schreibt wie Espaces Lacan: „elle en regorge“.– Miller ersetzt „elle en regorge“ durch „pourquoi?“ (warum?).– In Lituraterre II gibt es hierzu keine Entsprechung.
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Quelle des Bildes von Eitoku: e-Museum, National Treasures & Important Cultural Properties of National Museums, Japan https://www.emuseum.jp/detail/100144/000/000?mode=detail&d_lang=en&s_lang=en&class=1&title=&c_e=®ion=&era=¢ury=&cptype=&owner=&pos=25&num=4
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Ein Makimono ist ein Rollbild im Querformat, das in horizontaler Richtung ausgerollt wird, auf einem Tisch oder auf dem Boden.
Quelle der Abbildung: Christie’s, A Makemono 19th Century, Lot 263, Sale 9257 https://www.christies.com/lotfinder/LotDetailsPrintable.aspx?intObjectID=3827521
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Der Ausdruck „Meteor“ bezog sich ursprünglich auf Himmelserscheinungen jeder Art, auch auf den Regenbogen. Lacan hatte sich hierauf in der ersten Sitzung von Seminar 18 bezogen: die erste Operation der Wissenschaft besteht darin, solche Phänomene aufzulösen, durch Buchstaben, also durch algebraische Formeln (13. Januar 1971; vgl. Version Miller, S. 15).
Quelle der Abbildung der Regenbogenmaschine: paraselene.de, Bildergalerie zu Himmelsobjekten und atmosphärischen Erscheinungen https://paraselene.de/cgi/bin?_SID=xxx&_bereich=artikel&_aktion=detail&idartikel=114057&_sprache=de
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Chollet schreibt wie Espaces Lacan: „vide“.– Miller und Lituraterre II: „vie“ (Leben) (Autres écrits, S. 17).
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Auswaschung ist ein Begriff der Bodenkunde. Stoffe, die im Boden enthalten sind, werden durch Feuchtigkeit gelöst und die Lösung wird durch versickerndes Wasser abgeführt. Auf Auswaschung beruht beispielsweise die Entkalkung eines Bodens.
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Wortspiel mit dem Doppelsinn von plu, dem Partizip passiv sowohl von pleuvoir, „regnen“, also auch von plaire, „gefallen“.
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Zuvor hatte es in dieser Sitzung geheißen: Der Buchstabe ist zwischen Jouissance und Wissen angesiedelt. (S. 117) Jetzt (S. 122) erfahren wir, dass der Buchstabe zum Realen gehört und der Signifikant zum Symbolischen.
Die nachfolgende Sitzung von Seminar 18 beginnt so:
„Wenn ich ohne Umschweife mit dem beginne, was ich Ihnen zu sagen habe, könnte das so ausgedrückt werden.
Wir führen eine Erkundung durch, ausgehend von einem bestimmten Diskurs, in diesem Fall dem meinen, dem meinen insofern, als er derjenige des Analytikers ist. Sagen wir, dass hierdurch Funktionen bestimmt werden. Anders ausgedrückt, die Funktionen werden nur von einem bestimmten Diskurs aus bestimmt. Auf dieser Ebene von Funktionen, die durch einen bestimmten Diskurs festgelegt werden, kann ich die folgende Äquivalenz aufstellen: das Geschriebene ist die Jouissance.
Natürlich ist das nur unterzubringen im Inneren dieser ersten Artikulation über Funktionen, die durch einen Diskurs bestimmt werden. Sagen wir, dass diese Termini im Inneren dieser Funktionen exakt denselben Platz einnehmen.“
(Sitzung vom 19. Mai 1971; Version Miller, S. 129)
Wenn man das zusammenfügt, erhält man:
-- Signifikant: Wissen, Symbolisches,
-- Buchstabe, Geschriebenes: (in der Nähe der) Jouissance, zum Realen gehörend.In Seminar 19, … oder schlimmer, erläutert Lacan im (Freud’schen) Klartext, was er unter einem Buchstaben versteht: die Wiederkehr des Verdrängten (vgl. Sitzung vom 15. Dezember 1971, Version Miller S. 26)
Demnach ist der Buchstabe die Wiederkehr des Verdrängten (im Symptom), insofern diese Wiederkehr des Verdrängten mit einer Jouissance verbunden ist, mit einer „Ersatzbefriedigung“, wie Freud sagt (etwa in Die „kulturelle“ Sexualmoral und die moderne Nervosität (1908), GW 7, S. 149).
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Lacan meint Höhenlinien und verwechselt Isohypse (Linie gleicher Höhe) mit Isobaren (Linien gleichen Luftdrucks), vielleicht um eine Lautähnlichkeit mit la barre unterzubringen, „der Strich“.
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Lituraterre II: „se marquait de cours d’eau“, durch Wasserläufe gekennzeichnet war (Autres écrits, S. 17).
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Quelle des Fotos vom Autobahnkreuz in Osaka: Flickr, https://www.flickr.com/photos/41119677@N05/4275301195
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Chollet schreibt statt „Comment ça se fait une route“ (Wie wird eine Straße gebaut): „qui carrément prend l’aspect d’une route“ (die schlichtweg das Aussehen eine Straße annimmt).– Miller: „qui prend carrément l’aspect d’une route“.– Lituraterre II: keine Entsprechung.
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Unter einem Artefakt versteht Lacan in Seminar 18 ein Diskurstatsache (vgl. Sitzung vom 13. Januar 1971; Version Miller, S. 12). Schrift und Vermessung gibt es nur, weil es Diskurse gibt; insofern sind sie Artefakte.
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Anfang des Gedichts Le Pont Mirabeau von Guillaume Apollinaire (1912).
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Lacan bezieht sich auf die Abbildung auf der Titelseite der Zeitschrift La psychanalyse, die von 1956 bis 1964 erschien. Sie zeigt ein Ohr über einer Brücke.
Die Abbildung ist den Hieroglyphica entnommen, einem Werk des Horus Apollo oder Horapollo über ägyptische Hieroglyphen aus dem 5. Jh. n. Chr. Im Druck erschien es erstmals 1505 bei Alde Manuce in Venedig; die Abbildung entstammt der 1519 im selben Verlag erschienenen Ausgabe, sie ist mit folgender Erläuterung versehen: „Das gemalte Ohr bedeutet das geschaffene Werk oder das Werk, das man erschaffen soll“ (vgl. Lacan, Seminar 4, Verson Miller/Gondek, S. 500).
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In Freuds Studie über den „Wolfsmann“ heißt es:
„In einem ganz anderen Zusammenhange, viele Monate später, machte dann der Patient die Bemerkung, das Öffnen und Schließen der Flügel, als der Schmetterling saß, hätte den unheimlichen Eindruck auf ihn gemacht. Dies wäre so gewesen, wie wenn eine Frau die Beine öffnet, und die Beine ergäben dann die Figur einer römischen V, bekanntlich die Stunde, um welche schon in seinen Knabenjahren, aber auch jetzt noch, eine Verdüsterung seiner Stimmung einzutreten pflegte.“
(Aus der Geschichte einer infantilen Neurose (1918). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 8. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 203 f.)
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Chollet: „mais aussi bien qu’on n’en jouit pas, c’est le malheur de l’interprétation.“ (aber auch, dass man das nicht genießt, ist das Unglück der Deutung).– Miller: „Mais aussi bien, on n’en jouit que par l’interprétation.“ (Aber man genießt es auch nur durch die Deutung)– Lituraterre II: „Mais aussi bien n’en jouit-on qu’à ce qu’y pleuve la parole d’interprétation.“ (Aber man genießt es auch nur, wenn das Wort der Deutung darauf regnet.) (Autres écrits, S. 18)
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In Radiophonie heißt es:
„An diesem Gelenk [des Diskurses] zum Realen eben findet sich die politische Inzidenz, wo der Psychoanalytiker Platz hätte, wenn er dazu fähig wäre.“
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Lituraterre II: „si la psychanalyse s’en avérait avertie“ (Autres écrits, S. 17).
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Chollet wie Espaces Lacan: „à nous en faire nous-mêmes, à nous en faire le tribut“.– Miller: „d‘autres paroles à nous en faire nous-même le tribut“ (andere Worte, um uns daraus uns selbst den Tribut zu machen).– Lituraterre II: „pour que s’y jouent d’autres paroles à nous en faire le tribut.“ (Damit darin andere Worte ins Spiel kommen, wobei wir den Tribut zu zahlen hätten) (Autres écrits, S. 18)
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Die Sentenz „Es gibt keine Metasprache“ findet man zuerst in Seminar 5 von 1957/58, in der Sitzung vom 27. November 1957.
In Subversion des Subjekts hatte Lacan geschrieben:
„Gehen wir aus von der Auffassung des Anderen als Ort des Signifikanten. Keine Aussage von Autorität kann hier anders garantiert sein als in ihrem Aussagen selbst, vergeblich würde sie ihre Garantien in einem anderen Signifikanten suchen, der unter keinen Umständen anderswo erscheint als an diesem Ort. Unsere Formel dafür ist: Es gibt keine Metasprache, die man sprechen könnte, oder aphoristischer: Es gibt keinen Anderen des Anderen. Der Gesetzgeber, also der, der vorgibt, das Gesetz aufzurichten, stapelt hoch, wenn er sich darstellt als einer, der hier Abhilfe wüßte.“
(Subversion des Subjekts und Dialektik des Begehrens, Text von 1960, veröffentlicht 1966. In: Ders.: Schriften II, S. 188 f.)
In Seminar 18 hatte Lacan am 10. Februar 1971 gesagt:
„Es ist jedoch merkwürdig, dass Linguisten nicht sehen, dass jeder Sprachgebrauch, welcher auch immer, sich in Metaphern fortbewegt, dass es nur eine metaphorische Sprache gibt. Das beweist jeder Versuch zu ‚metasprachen‘, wenn ich mich so ausdrücken kann. Er kann nicht anders tun als zu versuchen, von dem auszugehen, was immer als Objektsprache definiert wird, jedes Mal, wenn man in einer sogenannten Logikerbemühung voranschreitet. Nun, wenn man den Aussagen irgendwelcher dieser Logikerversuche folgt, kann man mit dem Finger spüren, dass sie sich nicht fassen lässt, diese Objektsprache. Es gehört zum Wesen der Sprache, ich sage nicht des Sprechens, ich sage der Sprache selbst, dass, wenn es darum geht, sich auf irgendetwas zu beziehen, was darin bedeutet wird, dass der Referent niemals der gute ist, und das ist es, was eine Sprache ausmacht. Jede Bezeichnung ist metaphorisch, sie kann nur durch Vermittlung von etwas anderem vorgenommen werden. (…) Aus diesem Grunde ist der Referent immer real, weil es unmöglich ist, ihn zu bezeichnen. Unter dieser Voraussetzung bleibt nichts anderes, als ihn zu konstruieren. Und man konstruiert ihn, wenn man kann.“
(Version Miller, S. 45 f.)
Und am 10. März 1971 hieß es:
„Nun, daraus können Sie viel lernen, viel darüber, dass die japanische Sprache von ihrer Schrift genährt wird. Sie wird wie genährt? Linguistisch natürlich, das heißt an dem Punkt, wo die Linguistik an die Sprache heranreicht, das heißt immer im Geschriebenen.
Es muss Ihnen ja gesagt werden, wenn Monsieur de Saussure relativ in der Lage war, die Signifikanten als arbiträr zu bezeichnen, dann einzig aufgrund dessen, dass es sich um geschriebene Figurationen handelte. Wie hätte er seinen kleinen Querstrich (barre) machen können, den ich hinreichend gebraucht und missbraucht habe, mit der Sache darunter und den Sachen darüber, wenn er keine Schrift gehabt hätte?
All das, um Sie daran zu erinnern, dass das ins Auge springt, wenn ich sage, dass es keine Metasprache gibt. Es genügt, dass ich Ihnen einen mathematischen Beweis vorführe, Sie werden dann sehen, dass ich gezwungen bin, darüber zu schwatzen, denn das ist etwas Geschriebenes. Ohne das würde das nicht rüberkommen.
Wenn ich darüber spreche, ist das keineswegs Metasprache, sondern das, was man bezeichnet, was die Mathematiker selbst, wenn Sie eine logische Theorie erläutern, als Rede bezeichnen, als allgemeine Rede, als gewöhnliche Rede.
Das ist die Funktion des Sprechens, insofern es angewendet wird, natürlich nicht auf völlig unbegrenzte, undisziplinierte Weise – das ist das, was ich eben ‚beweisen‘ genannt habe –, sondern auf die Sprache. Die Schrift ist das, worum es geht, das, worüber gesprochen wird.
Es gibt keine Metasprache, in dem Sinne, dass man immer nur ausgehend von der Schrift spricht.“
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Chollet und Miller: „qui actuellement écrivent“ (was gegenwärtig geschrieben wird).– Lituraterre II: keine Entsprechung.
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Die Avantgardeliteratur ist kein Diskurs im Sinne von Lacan, sie setzt den durch einen Diskurs erzeugten Bruch voraus. Lacan bezieht sich hier auf das Schema der vier Diskurse aus Seminar 17. Jeder Diskurs besteht aus vier Plätzen, der Platz unten rechts ist der Platz der Produktion, d.h. dessen, was durch einen Diskurs erzeugt wird. Vgl. Seminar 17, Version Miller, S. 196.
Den Ausdruck „Quadripoden“ verwendet Lacan zuerst in Seminar 17, in der Sitzung vom 26. November 1969, vgl. Version Miller S. 15.
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„Lituraterrir“ enthält das Verb „atterrir“, zu Boden gehen, landen; der Ausdruck kann also gelesen werden als Verdichtung aus litura und atterir, „Streichung“ und „zu Boden gehen“.
Der Diskurs, der den Bruch vollzieht, ist demnach derjenige der Wissenschaft. -
In einer früheren Sitzung von Seminar 18 verweist Lacan auf den Sammelband L’écriture et la psychologie des peuples (A. Colin, Paris 1963), darin insbesondere auf den Beitrag von Alfred Métraux über die Schrift der Osterinseln; danach fährt er so fort:
„Dass man ziemlich vernünftige Sachen über die Schrift sagt, ist sicherlich nicht sofort geschehen, und wir werden sehen warum. Während dieser Zeit brauchte es sicherlich ernsthafte Einschüchterungseffekte, solche, die sich aus diesem verfluchten Abenteuer ergeben, das wir die Wissenschaft nennen, und es gibt in diesem Hörsaal nicht einen unter uns, mich natürlich eingeschlossen, der auch nur die geringste Idee davon haben kann, wohin das führen wird.
Gut. Also weiter. Man wird sich ein bisschen über Fragen der Verschmutzung aufregen, über Fragen der Zukunft, über eine gewisse Anzahl von Dummheiten dieser Art, und die Wissenschaft wird kleine Possen aufführen, für die es keineswegs nutzlos wäre, klar zu sehen, worin beispielsweise ihr Verhältnis zur Schrift besteht. Das könnte dienlich sein.“
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In einer früheren Sitzung von Seminar 18 hatte Lacan, nach Erläuterungen zum Begriff der Metapher, zu Chomskys Begriff der Performanz angemerkt:
„Sie [die Linguisten] sind es, die das so nennen. Ich nicht, ich habe dafür keinen Bedarf. Ich bin dabei, sie zu vollziehen, die Performanz, indem ich die Performanz erbringe, zu Ihnen über die Metapher zu sprechen. Und natürlich lege ich Sie damit rein, denn das einzig Interessante ist das, was sich bei der Performanz ereignet, nämlich die Produktion von Mehrlust, die Ihre und diejenige, die Sie mir zuschreiben, wenn Sie nachdenken. Nachdenken, das passiert Ihnen. Das passiert Ihnen vor allem, um sich zu fragen, was ich hier bloß anstelle. Man muss wohl glauben, dass Ihnen das Lust (plaisir) machen muss, auf der Ebene dieser Mehrlust, die Sie drängt. Wie ich Ihnen bereits erklärt habe, ist dies die Ebene, auf der sich die Operation der Metonymie vollzieht, dank derer Sie fast überall hin geführt werden können, an der Nase herumgeführt werden können, natürlich nicht einfach, um Sie in den Korridor zu bringen. Aber das ist nicht das, was interessant ist, Sie in den Gang zu führen, und nicht einmal, Sie auf dem öffentlichen Platz zu schlagen. Das Interessante ist, Sie hier zu halten, wohlgeordnet, ziemlich eng, aneinandergedrängt. Während Sie hier sind, schaden Sie niemandem.“
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Zum Andrang der Zuhörerschaft hatte Lacan sich in der ersten Sitzung von Seminar 18 geäußert, ausgehend von dem Aufsatz Radiophonie, der kurz zuvor in der Zeitschrift „Scilicet“ erschienen war:
„Zwei Merkmale dieses Heftes von ‚Scilicet‘ sind hier festzuhalten.
Das erste ist, dass ich hier insgesamt meinen Diskurs vom letzten Jahr erprobe – halbwegs, bis auf etwas, was mehr ist (qui est en plus) – in einer Konfiguration, die genau durch die Abwesenheit dessen gekennzeichnet ist, was ich den Andrang (presse) Ihrer Gegenwart genannt habe. Um dem, was diese Gegenwart bedeutet, seinen vollen Akzent zu geben, möchte ich sie als ‚gedrängte Mehrlust‘ (plus-de-jouir pressé) bezeichnen. (…)
Das ist nicht neu, ich habe es bereits gesagt, aber niemand achtet darauf, das, was die Originalität dieses Unterrichts ausmacht, und wodurch das motiviert wird, was Sie durch ihren Andrang zu ihm beisteuern, ist genau dies, dass jemand, ausgehend vom analytischen Diskurs, sich Ihnen gegenüber in die Position des Analysanten bringt. Als ich im Radio gesprochen habe, habe ich diesen Unterricht der Probe der Abziehung dieser Gegenwart unterworfen, dieses Raums, in dem Sie sich drängen – annulliert und ersetzt durch das reine Es gibt dieser Intersignifikanz, von der ich eben gesprochen habe, auf dass hier das Subjekt ins Schwanken gerät.“
(Sitzung vom 13. Januar 1971; Version Miller, S. 11)
„Dieser Diskurs also, der sich darauf beschränkt, nur im Artefakt zu agieren, ist insgesamt nur die Verlängerung der Position des Analytikers, insofern sie dadurch definiert ist, das Gewicht seiner Mehrlust an einem bestimmten Platz zu bringen. Das ist jedoch die Position, die ich hier nicht einnehmen könnte, sehr genau deshalb, weil ich hier nicht in der Position des Analytikers bin. Wie ich vorhin gesagt habe, wären vielmehr Sie in dieser Position, in diesem Andrang, bis auf dies, dass Ihnen hier das Wissen fehlt.“
(Ebenda, Version Miller, S. 12)
„Ich gehe von dem aus, was in einem Diskurs gesagt wird, von dessen Artefakt angenommen wird, dafür auszureichen, dass Sie da sind.
Hier, Schnitt, denne nicht hinzu, ‚dass Sie da sind im Zustand der gedrängten Mehrlust‘.
Ich habe ‚Schnitt‘ gesagt, weil es fraglich ist, ob mein Diskurs Sie als Mehrlust versammelt, die bereits drängt. Es ist nicht entschieden, was auch immer dieser oder jener darüber denken mag, dass es dieser Diskurs wäre – derjenige der Aussagenfolge, die ich ihnen präsentiere –, der Sie in diese Position bringt.“
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Die Spezialschrift, von der Lacan hier spricht, ist das aus chinesischen Schriftzeichen bestehende Kanji, eines der drei im Japanischen verwendeten Schriftsysteme. Kanji-Schriftzeichen können auf zwei Weisen gelesen werden, in Laut-Lesung (On-Yomi) und in Begriffs-Lesung (Kun-Yomi). Bei Laut-Lesung lehnt sich die Aussprache an den Klang des entsprechenden chinesischen Wortes an. Bei Begriffs-Lesung wird dem Schriftzeichen die Aussprache zugeordnet, die das dem Schriftzeichen entsprechende japanische Wort hat; vgl. hier.
Eine grobe Ähnlichkeit im Deutschen lässt sich am Wort „Champagner“ demonstrieren. Das „gn“ wird als Phonemfolge /nj/ gelesen; dies entspricht in etwa einer Laut-Lesung, die sich auf eine Fremdsprache stützt.
Bei Verwendung einer Buchstabiertafel wird „gn“ beispielsweise als „Gustav-Nordpol“ gelesen; dies entspricht in etwa der Begriffslesung. Dies umso mehr, als im Japanischen die Begriffslesung nicht nur eine Bedeutung des Schriftzeichens angibt, sondern zugleich seinen Namen.
In einer früheren Sitzung von Seminar 18 hatte Lacan gesagt:
„Wenn Sie sich ein bisschen an einer Sprache abgearbeitet haben werden wie derjenigen, die ich ebenfalls gerade lerne, und da bin ich mir absolut nicht sicher, dass das eine Wirkung des Über-Ichs ist, die japanische Sprache, nun, dann wird Ihnen klar werden, dass eine Schrift eine Sprache so, wie sie beschaffen ist, beeinflussen kann, diese melodiöse Sprache, wunderbar in ihrer Schmiegsamkeit und ihrem Einfallsreichtum. Wenn ich denke, dass das eine Sprache ist, in der die Adjektive konjugiert werden und dass ich bis zu meinem Alter gewartet habe, um das zu meiner Disposition zu haben, dann weiß ich wirklich nicht, was ich bis hierher getan habe. Ich, ich habe nach nichts anderem gestrebt als danach, dass die Adjektive konjugiert werden. Und eine Sprache, in der die Flexionen dieses absolut Wunderbare haben, dass sie ganz allein spazieren gehen.
Das, was ‚Monem‘ genannt wird, hier können Sie es mittendrin ändern. Sie verpassen ihm eine chinesische Aussprache, völlig anders als die japanische Aussprache, derart, dass Sie, wenn Sie mit einem chinesischen Schriftzeichen konfrontiert sind, es On-Yomi oder Kun-Yomi aussprechen, abhängig von den jeweiligen Bedingungen, die immer sehr genau sind. Aber für einen Typ, der so wie ich dahin gelangt, gibt es keine Möglichkeit zu wissen, welche der beiden er wählen muss. Man muss initiiert sein, aber natürlich gibt es nur die Natürlichen, die es wissen.
Mehr noch, Sie können zwei chinesische Schriftzeichen haben. Wenn Sie sie Kun-Yomi aussprechen, d.h. auf Japanisch, sind Sie absolut nicht in der Lage zu sagen, zu welchem dieser chinesischen Schriftzeichen die erste Silbe dessen gehört, was Sie sagen, und zu welchem die letzte gehört, die in der Mitte noch weniger, nicht wahr? Es ist das Gesamt der beiden chinesischen Schriftzeichen, das Ihnen die mehrsilbige japanische Aussprache diktiert, die man vollkommen versteht, eine Aussprache, die auf zwei Schriftzeichen gleichzeitig antwortet. Denn wenn man annimmt, dass ein chinesisches Schriftzeichen im Prinzip einer Silbe entspricht, wenn Sie es auf chinesische Weise aussprechen, On-Yomi, dann sieht man nicht, warum man sich dann, wenn man es auf japanische Weise ausspricht, verpflichtet glauben sollte, diese Wortvorstellung in Silben zu zerlegen.
Nun, daraus können Sie viel lernen, viel darüber, dass die japanische Sprache von ihrer Schrift genährt wird. Sie wird wie genährt? In linguistischer Form natürlich, das heißt an dem Punkt, wo die Linguistik an die Sprache heranreicht, das heißt immer im Geschriebenen.
Es muss Ihnen ja gesagt werden, wenn Monsieur de Saussure relativ in der Lage war, die Signifikanten als arbiträr zu bezeichnen, dann einzig aufgrund dessen, dass es sich um geschriebene Figurationen handelte. Wie hätte er seinen kleinen Querstrich (barre) machen können, den ich hinreichend gebraucht und missbraucht habe, mit der Sache darunter und den Sachen darüber, wenn er keine Schrift gehabt hätte?“
(Sitzung vom 10. März 1971; übersetzt nach Version Miller, S. 91 f.)
„Monem“ ist der Terminus des französischen Sprachwissenschaftlers André Martinet für die kleinste bedeutungstragende Einheit, also für das Gebilde, das im Deutschen „Morphem“ heißt.
Der Querstrich (barre) ist der waagerechte Strich zwischen Signifikat und Signifikant in Saussures Darstellung des Zeichens; in Das Drängen des Buchstabens hatte Lacan diesen Strich als Sperre gedeutet, die das Signifikat in der Verdrängung hält.
Im Vorwort zur japanischen Übersetzung der Écrits schreibt Lacan 1972:
„Das Unbewusste (um zu wissen, was das ist, lese man den Diskurs, den diese Schriften als den von Rom verzeichnen), das Unbewusste, sage ich, ist strukturiert wie eine Sprache.
Das ist es, was es der japanischen Sprache ermöglicht, die Bildungen so vollkommen abzudichten, dass ich zugegen sein konnte, als eine Japanerin die Entdeckung machte, was ein Witz ist: eine erwachsene Japanerin.
Dadurch wird bewiesen, dass in Japan der Witz tatsächlich die Dimension der ganz gewöhnlichen Rede ist, und das ist es, weshalb niemand, der diese Sprache bewohnt, das Bedürfnis hat, psychoanalysiert zu werden, außer um seine Beziehungen zu den Spielautomaten zu regeln, ja sogar zu noch einfacheren mechanischen Klienten.
Für die wirklich sprechenden Wesen genügt das On-Yomi, um das Kun-Yomi zu kommentieren. Die Klammer, die beide miteinander verbindet, ist das Wohlergehen derjenigen, die sie dazu bilden, so frisch wie heiße Waffeln daraus hervorzugehen.
Nicht alle haben das Glück, in ihrer Sprache chinesisch zu sprechen, derart, dass sie davon ein Dialekt wäre, vor allem nicht, was ein noch stärkerer Punkt ist, davon eine Schrift übernommen zu haben, die ihrer Sprache so fremd ist, dass dies hier in jedem Moment den Abstand des Denkens, also des Unbewussten, zum Sprechen spürbar macht. Also der Abstand, der in den internationalen Sprachen, die für die Psychoanalyse relevant gewesen sind, so schwer freizulegen ist.“
(Avis au lecteur japonais. In: Autres écrits, S. 498 f. Dieses Vorwort trägt das Datum vom 27. Januar 1972; es wurde 1981 auf Französisch veröffentlicht.)
In Seminar 23 wird Lacan seine These bekräftigen: Japaner sind nicht analysierbar, heißt es dort (vgl. Seminar 23, Sitzung vom 26. März 1976; Version Miller, S. 126).
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Chollet und Miller: „et non pas le signe“ (und nicht das Zeichen).– Lituraterre II: „C’est la lettre comme telle qui fait appui au signifiant selon sa loi de métaphore. C’est d’ailleurs : du discours, qu’il la prend au filet du semblant.“ (Autres écrits, S. 19) Ich nehme an, das „et non pas le signifiant“ in Version Espaces Lacan ein Versprecher oder ein Verschreiber ist und übersetze an dieser Stelle nach Version Chollet.
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Unter „Zeichen“ versteht Lacan die Auffassung von der Sprache als Objekt, das vom einem Jemand manipuliert wird, die Sprache als Werkzeug, etwa als Kommunikationsmittel; entsprechend der Definition von Charles Sanders Peirce, wonach ein Zeichen etwas für jemanden repräsentiert. Vgl. Radiophonie, S. 8.)
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Chollet: „de toute chose“.– Lituraterre II: „que toute chose“.– Miller: „que toutes choses“.
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In einer früheren Sitzung von Seminar 18 hatte Lacan gesagt:
„Das, was sich in einem Diskurs an den Anderen als ein Du wendet, lässt die Identifizierung auftauchen, mit etwas, was man das menschliche Idol nennen kann. (…) In jedem Diskurs, der ans Du appelliert, provoziert etwas zu einer getarnten, geheimen Identifizierung, die nichts anderes ist als die mit diesem rätselhaften Objekt, das gar nichts sein kann, die ganz kleine Mehrlust von Hitler, die vielleicht nicht weiter ging als sein Schnurrbart.“
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Lituraterre II: „que j’y dénote, de ce que cette fiction soit soumise aux lois de la politesse.“ (Autres écrits, S. 19)
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Vgl. in diesem Blog den Artikel „Die Wahrheit hat die Struktur einer Fiktion.“
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Im Hinweis für den japanische Leser (1972) zur Übersetzung der Écrits wird Lacan hieraus die Schlussfolgerung ziehen, dass „niemand, der diese Sprache [das Japanische] bewohnt, einen Bedarf danach hat, psychoanalysiert zu werden“ (J. Lacan: Autres écrits. Le Seuil, Paris 2000, S. 498, meine Übersetzung). Und im Nachwort von 1973 zu Seminar 11 von 1964, Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse, heißt es mit Bezug auf die japanische Sprache, dass „das sprechende Wesen sich dadurch den Kunstgriffen des Unbewussten entziehen kann, die es nicht erreichen, da sie sich darin verschließen“ (Version Miller/Haas S. 302).
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Chollet schreibt wie Espaces Lacan: „ne fait en bloc rien“.– Miller und Lituraterre II: „ne fait enveloppe à rien“ (einen Umschlag / eine Hülle für nichts bildet) (Autres écrits, S. 19).
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Auf Roland Barthes hatte Lacan sich in Seminar 18 bereits früher bezogen. In der Sitzung vom 10. Februar 1971 hatte er berichtet, dass ein Linguist ihm, Barthes und Lévi-Strauss den Vorwurf gemacht hatte, von der Linguistik einen metaphorischen Gebrauch zu machen (vgl. Version Miller, S. 42). Der fragliche Linguist ist André Martinet.
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Roland Barthes: L’empire des signes. Skira, Genf 1970; dt.: Das Reich der Zeichen. Übersetzt von Michael Bischoff. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1981.
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In Das Reich der Zeichen beschreibt Barthes Szenen des japanischen Lebens, wie sie sich für ihn als Beobachter darstellen: die Präsentation der Körper, die Gesten beim Zubereiten der Nahrung und beim Essen, der Anblick einer Spielhalle, die visuelle Orientierung in einer Stadt, das Aussehen der Wohnräume, die demonstrativen Formen der Höflichkeit, aber auch das Bunraku und das Haiku, wobei das, was er sieht und liest, immer wieder mit der graphischen Seite von Schrift und Zeichnung verglichen wird. So spricht er etwa von einem „graphischen Modus der Existenz“ (S. 110 der deutschen Übersetzung), von den „zahllosen graphischen Gebärden, die das japanische Leben kennzeichnen“ (113 f.).
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In einer früheren Sitzung von Seminar 18 hatte Lacan die vier Plätze der vier Diskurse als Näpfe (godets) bezeichnet (vgl. Sitzung vom 20. Januar 1971; Version Miller, S. 26). Der erste Napf ist demnach der Platz oben links, der Platz des Scheins. In derselben Sitzung bezeichnet er den Diskurs als Artefakt (Version Miller, S. 27); also ist vermutlich gemeint „oder es mit seinem Diskurs zumindest aufzurufen“.
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Roland Barthes bezieht sich in Das Reich der Zeichen ausführlilch auf das Bunraku; vgl. dt. Übersetzung, a.a.O., S. 67–86.
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Beim Bunraku sitzt der Rezitator (tayu) an der Seite der Bühne. Er artikuliert die Stimmen des Erzählers und sämtlicher Figuren und betont dabei die Emotionen. (Vgl. Wikipedia-Englisch, Artikel „Bunraku“.)
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Deutlicher in Lituraterre II: „ interprète, justement de ce qu’il ne nécessite pas l’interprétation.“ (genau deshalb, weil eine Übersetzung/Deutung nicht notwendig ist) (Autres écrits, S. 20).
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Chollet schreibt wie Espaces Lacan: „des faits de langage“. – Miller und Lituraterre II: „la traduction perpétuelle faite langage“ (die zu Sprache gemachte beständige Übersetzung) (Autres écrits, S. 20).
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Unter „Kommunikation“ und „Dialog“ versteht Lacan meist die Auffassung, dass die Sprache ein Werkzeug ist, um Gedanken mitzuteilen; vgl. etwa Radiophonie, S. 8.
In einer früheren Sitzung von Seminar 18 hatte Lacan daran erinnert, dass er seit langem sagt, es gebe keinen Dialog (Sitzung vom 17. Februar 1971; vgl. Version Miller, S. 72).
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Chollet schreibt wie Espaces Lacan: „je me classe parmi les êtres vivants“.– Miller: „qu’avec moi je les classe êtres vivants“ (dass ich sie mit mir zu den Lebewesen zähle).– Lituraterre II: „qu’avec moi je les classe, de pure logique, parmi les êtres vivants.“ (Dass ich sie mit mir, rein logisch, zu den Lebewesen zähle) (Autres écrits, S. 20).
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In Das Drängen des Buchstabens im Unbewussten (1957) heißt es:
„Die Ansprüche des Geistes würden auch dann unangefochten bleiben, wenn der Buchstabe nicht die Probe abgelegt hätte davon, daß er alle seine Wahrheitswirkungen im Menschen tätigt, ohne daß der Geist auch nur das geringste damit zu schaffen hat.“
(Schriften II, S. 34)
1966 verweist Lacan in einem Nachtrag zu seinem Poe-Aufsatz darauf, dass er im Aufsatz vom caput mortuum des Signifikanten gesprochen habe, von seinem „Totenkopf“, d.h. von einem „Loch“, das der Signifikant aufreißt (vgl. Das Seminar über E.A. Poes „Der entwendete Brief“, Schriften I, S. 50); er betont den kausalen Aspekt dieses Lochs, seine Wirksamkeit.
„Dieser Effekt ist derart handgreiflich, dass er sowohl hier [im von Lacan entwickelten Schema einer Kombinatorik] als auch in der Fiktion des entwendeten Briefes gefaßt werden kann.
Deren Wesen besteht darin, dass der Brief/Buchstabe seine Wirkungen nach innen übertragen konnte: auf die Handelnden der Erzählung, den Erzähler miteingeschlossen, wie auch nach außen: auf unsere Leser, wie auch auf ihren Autor, ohne daß irgend jemand jemals sich um seine Bedeutung kümmern mußte. Das ist gewöhnlich das Los all dessen, was geschrieben wird.“
(Das Seminar über E.A. Poes „Der entwendete Brief“, Schriften I, S. 55)
In Radiophonie (1970) beschreibt Lacan eine ähnliche Tafel-Szene:
„Ich entsinne mich der Verlegenheit, mit der mich ein Bursche befragte, der sich, da er Marxist sein wollte, unter das aus Leuten der Partei (der einzigen) bestehende Publikum gemischt hatte, das (Gott weiß wieso) zur Mitteilung meiner ‚Dialektik des Begehrens und Subversion des Subjekts in der Psychoanalyse‘ zusammengeströmt war.
Ich habe netterweise (nett, wie ich immer bin) in der Folge in meinen Écrits auf die Verdutztheit hingewiesen, die mir aus diesem Publikum antwortete.
Was ihn angeht, ‚glauben Sie denn‘, sagte er mir, ‚daß es genügt, daß Sie was produziert, Buchstaben an die Tafel geschrieben haben, um davon einen Effekt zu erwarten?‘
Eine derartige Übung hat jedoch getragen, ich habe davon den Beweis, und sei’s nur durch den Abfall, der ihr ein Recht für mein Buch gab – wobei die Fonds der Ford Foundation, die solche Zusammenkünfte anregen, damit sie was haben, um mit dem Schwamm drüberzuwischen, sich unvorstellbar auf dem Trockenen fanden, um mich zu publizieren.
Das ist, weil der Effekt, der sich propagiert, nicht einer von Kommunikation des Sprechens, sondern von Verschiebung des Diskurses ist.
Freud, unbegriffen, und sei’s von ihm selbst, da er sich hat verständlich machen wollen, ist weniger durch seine Schüler gedient als durch diese Propagierung (…).“
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In der Sitzung vom 17. Februar hatte Lacan gesagt,
„dass es beim Sprechwesen kein sexuelles Verhältnis gibt. Es hat eine erste Bedingung gegeben, die es uns sofort sehen lassen könnte, nämlich dass das sexuelle Verhältnis, wie jedes andere Verhältnis, letztlich nur vom Geschriebenen her Bestand hat. Das Wesentliche des Verhältnisses ist, dass es eine Abbildung im Sinne der Mathematik ist, a auf b abgebildet – a → b. Wenn Sie es nicht a und b schreiben, haben Sie es nicht mit dem Verhältnis als solchem zu tun. Das heißt nicht, dass sich im Realen nichts ereignet. Aber im Namen von was wollen Sie es ‚Verhältnis‘ nennen? Diese ganz grobe Sache würde bereits hinreichen, um, sagen wir, begreiflich zu machen, dass es kein sexuelles Verhältnis gibt, würde aber in nichts die Tatsache ausräumen, dass es nicht gelingt, es zu schreiben.“
(Version Miller, S. 65)
In der Sitzung vom 10. März knüpft er hieran an:
„Dass es kein sexuelles Verhältnis gibt, habe ich bereits in der Form fixiert, dass es gegenwärtig keine Weise gibt, es zu schreiben. Wer weiß, es gibt Leute, die davon träumen, dass das eines Tages geschrieben wird. Warum nicht, es gibt Fortschritte der Biologie, Monsieur Jacob ist immerhin da, nicht wahr? Vielleicht wird es eines Tages nicht mehr die geringste Frage geben über das Spermato[zoon] und die Eizelle. Sie sind füreinander gemacht, das wird geschrieben werden, wie man sagt. (…)
Wie auch immer, gegenwärtig kann das nicht geschrieben werden, ohne etwas funktionieren zu lassen, was ein bisschen komisch ist, weil man gerade über sein Geschlecht nichts weiß, nämlich das, was Phallus heißt.
Ich bedanke mich bei der Person, die mir die Seite gegeben hat, wo es in meinen Schriften das gibt, was es mit dem Begehren des Mannes auf sich hat, Φ(a) geschrieben. Φ, das ist der Phallus-Signifikant. Das wird hier für diejenigen gesagt, die glauben, dass der Phallus der Signifikantenmangel ist. Ich weiß, dass das in den Cafés diskutiert wird, denn ich, ich mach mir nichts draus, aus den Schriften, nicht wahr? Und das Begehren der Frau, das schreibt sich Ⱥ(φ). (φ) ist der Phallus da, wo man sich vorstellt, dass er ist, der kleine Pullermann. Nun, das ist das, was einem besser zu schreiben gelingt nach etwas, was wir, mein Gott, einfach so nennen werden: die Tatsache, einen bestimmten Moment der Wissenschaft erreicht zu haben.
Dieser Moment der Wissenschaft ist durch eine bestimmte Anzahl von geschriebenen Koordinaten gekennzeichnet, zu denen vorrangig die Formel gehört, die Monsieur Newton geschrieben hat, in Bezug auf das, worum es bei dem geht, was man das Gravitationsfeld nennt, und was nichts anderes ist als ein reiner Schrieb. (…) Wenn ich denke, dass diese Herren da – und bald diese Damen und Herren –, die an diesem absolut sublimen Ort herumspaziert sind, der sicherlich eine der Verkörperungen des Sexualobjekts ist, der Mond, wenn ich denke, dass sie einfach durch etwas Geschriebenes dahin gebracht worden sind, dann gibt das viel Hoffnung. Sogar in dem Feld, in dem das für uns nützlich sein könnte, in dem des Begehrens. Aber letztlich ist das nicht für morgen, nicht wahr? Trotz der Psychoanalyse ist das nicht für morgen.“
(Seminar 18, Version Miller, S. 83 f.)
Lacan bezieht sich an der zuletzt zitierten Stelle auf folgende Passage in seinem Aufsatz Remarque sur le rapport de Daniel Lagache „Psychanalyse et structure de la personnalité “:
„Die Funktion Φ des verlorenen Signifikanten, für die das Subjekt seinen Phallus opfert, die Form Φ(a) des männlichen Begehrens, Ⱥ(φ) des Begehrens der Frau, führen uns zu diesem Ende der Analyse, deren Aporie uns Freud mit der Kastration hinterlassen hat.“
(Écrits, S. 683; zitiert nach der Übersetzung in diesem Blog hier).