Kommentar zu Lacans Vortrag Joyce das Symptom (I)
- Artikulationsorte, von hier
2. Version vom 23. Oktober 2015, das letzte Drittel wurde stark überarbeitet.
Vorbemerkung
Den Vortrag Joyce le symptôme hielt Lacan an einem Bloomsday, am 16. Juni 1975 zur Eröffnung des 5. internationalen James-Joyce-Symposiums in Paris, im großen Hörsaal der Sorbonne. Die Transkription dieses Vortrags wurde von Jacques-Alain Miller erstellt, auf der Grundlage von Notizen von Eric Laurent; sie erschien zuerst in L’âne, 1982, Nr. 6. Die römische I verweist darauf, dass es noch einen zweiten Text mit dem Titel Joyce das Symptom gibt: den von Lacan für die Veröffentlichung überarbeiteten Text. Diese Druckversion, Joyce das Symptom (II), wurde von Lacan völlig neu geschrieben, sie stimmt mit der mit der Vortragstranskription, also mit Joyce das Symp0tom (I), in keinem Satz überein.1
Der folgende Kommentar stützt sich auf
– die Anmerkungen zur Übersetzung des Vortrags in diesem Blog,
– den Kommentar zu Lacans Sinthom-Seminar in diesem Blog,
– Diskussionen in der Lektüregruppe des Psychoanalytischen Salons Berlin zum Sinthom-Seminar, am 17. Dezember 2013 und am 28. Januar 2014.
Die in diesem Blog bereits veröffentlichte Übersetzung wird im Folgenden vollständig zitiert (eingerückt in serifenloser Schrift) und portionsweise kommentiert. Die Gliederung in Abschnitte ist von mir, die Abschnittsgliederung der schriftlichen Vorlage wurde nicht übernommen. Die Zwischenüberschriften sind von Miller. Wer die Übersetzung mit dem Französischen vergleichen will, findet die Möglichkeit dazu in der Übersetzung, die in diesem Blog bereits veröffentlicht wurde; der französische und der deutsche Text werden dort Satz für Satz gegenübergestellt.
Die Übersetzung bezieht sich auf den Text auf der Seite der École lacanienne de psychanalyse. Die von Jacques-Alain Miller in seiner Ausgabe von Seminar 23 veröffentlichte Version von Joyce le symptôme I weicht hiervon leicht ab.
Fragen zum Text, die für mich offen geblieben sind, habe ich mit einem „Erledigungskästchen“ markiert: □. Einige dieser Fragen werde ich im Verlauf der weiteren Lektüre von Seminar 23 vermutlich beantworten können; das Ergebnis werde ich laufend in diesen Kommentar einarbeiten.
Verbesserungs- und Ergänzungsvorschläge sind erwünscht. Man kann dazu die Kommentarfunktion verwenden oder mir eine E-Mail-schreiben: rolf.nemitz [at] lacan-entziffern.de
Die Übersetzung der zweiten Fassung des Textes, also von Joyce le symptôme II, findet man in diesem Blog hier.
RN
Jacques Lacan: Joyce des Symptom (I)
Heute bin ich nicht in bester Verfassung, aus allen möglichen Gründen. Mit Einverständnis von Jacques Aubert, dessen Insistieren es geschuldet ist, dass Sie mich hier sehen – Jacques Aubert, der ein bedeutender Joycianer ist und dessen Dissertation über die Joycesche Ästhetik ein äußerst empfehlenswertes Werk ist –, habe ich Joyce das Symptom als Titel gewählt. Sie werden mir verzeihen, darüber Joyce einen Moment lang zu poursticher [poursuivre (verfolgen, fortsetzen) + pasticher (nachahmen)], ihn fortzuahmen – das wird nicht dauern –, den Joyce von Finnegans Wake, das der Traum ist, der Traum, den er hinterlässt, als Endpunkt gesetzt, als Endpunkt wofür? Das ist das, was ich versuchen möchte zu sagen. Dieser Traum setzt dem Werk ein Ende – fin, Finnegans –, da es besser nicht gemacht werden kann.
Lacan hatte sich früher dreimal auf Joyce bezogen, das erste Mal im Poe-Aufsatz (1956), dann in dem Aufsatz Lituraterre (1971), und schließlich im Encore-Seminar (1973).
Im Aufsatz über Poes Erzählung Der entwendete Brief heißt es:
„Was hielten sie in dem, was sie in ihren Händen hin und her wendeten, anderes in der Hand, als etwas, was nicht der Beschreibung entsprach, die sie vom Brief hatten? A letter, a litter, ein Brief, ein Abfall. Im literarischen Kreis um Joyce (Anm.) hat man mit Zweideutigkeiten zur Homophonie dieser beiden englischen Wörter gespielt.“
Die Anmerkung verweist auf den Sammelband: Our exagmination round his factification for incamination of work in progress. Sylvia Beach (Shakespeare & Company), Paris 1929.2 Das Werk enthält den Brief eines Vladimir Dixon, der mit A litter to Mr Joyce überschrieben ist.
Lituraterre beginnt so:
„Dieses Wort [Lituraterre] rechtfertigt sich durch den Ernout und Meillet: lino, litura, liturarius. Es ist mir jedoch durch dieses Wortspiel gekommen, bei dem es vorkommt, dass man einen Witz macht: der Schüttelreim, der zu den Lippen zurückkehrt, die Umkehrung zum Ohr.
Dieses Wörterbuch (dass man heranziehen möge) liefert mir das Vorzeichen, durch einen Ausgangpunkt gegründet zu sein, den ich nahm (ausgehen ist hier aufteilen) mit dem Äquivok, bei dem Joyce (ich meine James Joyce) von a letter zu a litter gleitet, von einem Buchstaben (ich übersetze) zu einem Abfall.
Man erinnert sich, dass eine ‚messe-haine‘ [Messe-Hass, homophon mit Mäzenin ≅ eine anti-katholische Mäzenin], die ihm etwas Gutes tun wollte, ihm eine Psychoanalyse anbot, wie man es mit einer Dusche machen würde. Und auch noch von Jung …
Bei dem Spiel, das wir in Erinnerung rufen, hätte er nichts gewonnen, da er hier direkt auf das Beste dessen zugeht, was man von der Psychoanalyse am Schluss erwarten kann.
Wenn er den Buchstaben zu Streu macht, ist es noch der Heilige Thomas, der zu ihm zurückkehrt, wie das gesamte Werk bezeugt?“3
Im Encore-Seminare heißt es:
„Joyce, es ist mir schon recht, daß das nicht lesbar ist — das ist gewiß nicht übersetzbar ins Chinesische. Was passiert bei Joyce? Der Signifikant trüffelt das Signifikat. Es ist aufgrund der Tatsache, daß die Signifikanten sich verschachteln, sich zusammensetzen, sich ineinanderschieben – lesen Sie Finnegans Wake — daß sich etwas produziert, das, als Signifikat, rätselhaft scheinen kann, aber was eben das Nächste dessen ist, was wir Analytiker, dank dem analytischen Diskurs, zu lesen haben — der Lapsus. Es ist als Lapsus, daß das etwas bedeutet, das heißt, daß das gelesen werden kann in einer Unendlichkeit unterschiedlicher Weisen.
Aber es ist eben deshalb, daß sich das schlecht liest, oder daß sich das verquer liest, oder daß sich das nicht liest. Doch diese Dimension des sich lesen, ist das nicht genug, um zu zeigen, daß wir im Register des analytischen Diskurses sind?“4
Lacan beginnt den Vortrag mit einer Verbeugung gegenüber Jacques Aubert, der ihn zu diesem Joyce-Kongress eingeladen hat. Aubert ist Joyce-Experte (Auberts Buch, auf das Lacan verweist, heißt Introduction à l’esthétique de James Joyce, Didier, Paris 1973), und er gehört zu den Organisatoren des Kongresses. Außerdem hat Aubert Seminare von Lacan besucht; er bildet also das Gelenk zwischen den Joycianern und den Lacanianern. Dieser Funktion wird er treu bleiben; 1987 wird er, mit einem Vorwort von Jacques-Alain Miller, den Sammelband Joyce avec Lacan herausgeben5, worin man unter anderem die beiden Fassungen von Lacans „Joyce le symptôme“ findet.
Was Joyce angeht, trägt Lacan gleich zu Beginn zwei Thesen vor. Die erste lautet: Finnegans Wake, 1939 von Joyce veröffentlich, ist ein von Joyce hinterlassener Traum. Diese These ist unter Finnegans-Wake-Experten unstrittig: Der Roman hat die Form eines Traums.
Die zweite These ist: Mit Finnegans Wake hat Joyce einen Endpunkt gesetzt. Der Bezug auf das Ende steckt im Titel des Werks: das französische Wort fin, „Ende“, ist Bestandteil von Finnegans. Da Joyce in Finnegans Wake mit Wortverdichtungen arbeitet und sich dabei beständig auf andere Sprachen bezieht, liegt der Hinweis auf einen französischen Ausdruck in einem irischen Nachnamen auf der von Joyce verfolgten Linie.
Wenn man in Finnegans das fin abtrennt, erhält man fin-again-s, also gewissermaßen ein beständig sich wiederholendes Ende, einen Wiederholungszwang: ein Symptom. Ist das gemeint?
Finnegans Wake setzt einen Endpunkt für was? Für das Werk. Finnegans Wake setzt dem Werk insofern ein Ende, als es nicht besser gemacht werden kann. Das heißt unter anderem: insofern, als die Kunst von Joyce, Wortspiele dieser Art zu kreieren, unüberbietbar ist. Auf die These von Finnegans Wake als einem Endpunkt wird Lacan am Ende des Vortrags zurückkommen.
Lacan imitiert vorübergehend die Schreibweise von Joyce in Finnegans Wake, mit Wortverdichtungen wie poursticher aus poursuivre, „fortsetzen“ und pasticher, „nachahmen“, also etwa „immertieren“. Was hat es mit solchen Wortbildungen auf sich? Das ist eine der Hauptfragen, die Lacan im Laufe des Vortrags zu beantworten sucht.
Ich beginne noch einmal. Warum wollen, dass die Fäulnis, aus der der Mensch pursperiert [pourrir (verfaulen) + espérer (erhoffen) + prospérer (gedeihen)] – das klingt wie „hoffend verfaulen“ –, warum wollen, dass die Journitüre [journal (Zeitung) + fourniture (Lieferung) + nourriture (Nahrung)], die uns mit Nachrichten infurniert [enfourner (einschieben, verschlingen), Assonanz mit informer (informieren)], korrekt meinen Titel übermittelt? Jacques Lacan, sie wissen nicht mal, was das ist, Jules Lacue würde es auch tun – das ist übrigens die englische Aussprache dessen, was wi, in unserer Sprache la queue nennen, den Schwanz. Warum sollten sie Joyce das Symptom drucken? Jacques Aubert teilt ihnen das mit, und sie machen daraus Jacques das Symbol. Für sie ist das natürlich Jacke wie Hose.
In einer Zeitungsankündigung findet man als Titel von Lacans Vortrag offenbar „Jacques das Symbol“ statt „Joyce das Symptom“. Eine Erfindung von Lacan? Dafür gibt es keinen Anhaltspunkt.
Lacan versucht, das Unbewusste seiner Zuhörer in Bewegung zu versetzen.
In seinen Wortverdichtungen bringt er ins Spiel:
– verfaulen, damit die anale Dimension sowie den Rest, im Folgenden ein wichtiges Thema,
– erhoffen: das Begehren,
– Nahrung, verschlingen, also die orale Dimension,
– Schwanz, damit den Phallus.
Vom Sym, das ptomt, zum Sym, das bolt, was kann das schon ausmachen an Abrahams bosom, wo der Ganz-Verfaulte sich wiederfinden wird in seiner bonrichen Natur [bonne (gut) + riche (reich)] in alle Etournität [éternité (Ewigkeit) + tour (Runde) + étourderie (Gedankenlosigkeit) + étourdi (betäubt)]? Ich berichtige jedoch. Ptom, p’titom (petit homme, kleiner Mann), p’titbonhomme (kleines Männchen) ist noch lebendig in der Sprache, die sich, neben anderen Sprachen, verpflichtet glaubte, die zusammenkommende Sache zu ptomen. Denn bedeutet das..
„Symptom“ setzt sich zusammen aus den griechischen Wörtern sym, „zusammen“, und ptôma, „Fall“; „Symptom“ meint: das, was zusammenfällt, was zusammen auftritt.
Lacan verweist auf eine Sprache, in der das ptom „noch lebendig“ ist, also auf das Neugriechische. Hier meint ptôma „Kadaver“, „Leiche“, also den „ganz Verfaulten“ – der Gegensatz von Leben und Tod wird evoziert.
Weitere Anspielungen sind :
– bonneriche: das Ideal,
– Abrahams Schoß: der Urvater, der Name-des-Vaters,
– Petit homme, „kleiner Mann“: der Phallus6,
– étourdi, betäubt, Hinweis auf Lacans Aufsatz L’étourdit von 1973.
Beziehen Sie sich auf den Bloch und von Wartburg, ein etymologisches Wörterbuch mit ziemlich solider Grundlage, Sie werden dort lesen, dass das Symptom zunächst „sinthome“ geschrieben wurde. Joyce das sinthome bildet eine Homophonie mit sainteté, der Heiligkeit, in bezug auf die einige hier sich vielleicht daran erinnern, dass ich sie televisioniert habe.
Lacan verweist auf: Oscar Bloch, Walther von Wartburg: Dictionnaire étymologique de la langue française. Presses Universitaires de France, Paris; die 1. Auflage erschien 1932, die 7. Auflage 1975; die neueste Taschenbuchausgabe ist von 2008. Dieses Wörterbuch ist die Übersetzung und Kurzfassung des bedeutendsten und umfangreichsten etymologischen Wörterbuchs der französischen Sprache: Oscar Bloch, Walther von Wartburg: Französisches Etymologisches Wörterbuch. 25 Bde. 1922-2002.
„Symptom“ wurde zunächst, nämlich im Mittelalter, „sinthome“ geschrieben. Lacan interessiert daran die Homophonie mit saint homme, heiliger Mann/Mensch. Im Ethik-Seminar (1959/60) heißt es: Die Priester essen das Opfer auf.
„Was eine exemplarische Form ist, die freilich auch auf der Ebene des Heiligen gilt, dessen Absicht in der Tat der Zugang zum höchsten Begehren ist, durchaus nicht unbedingt zu seinem Begehren, denn der Heilige lebt und bezahlt für die anderen.“7
In Television (1973) sagt Lacan über den Analytiker, er sei insofern ein Heiliger, als er für denjenigen, der in Analyse geht, einen Abfall darstellt, einen Auswurf, den Ausschluss der jouissance, der (Un-)Lust jenseits des Lustprinzips; anders gesagt: während der Analyse genießt der Analytiker nicht (was unter anderem heißt: mit den Patienten geht er keine sexuellen Beziehungen ein). Dies, um es dem Patienten zu ermöglichen, ihn als Ursache des Begehrens zu nehmen, als Objekt a.8 Um es auf den Anfang des Vortrags zu beziehen: Der Analytiker nimmt für denjenigen, der in eine Analyse geht, die Position des Abfalls ein, des Ganz-Verfaulten, des ptoma, des Objekts a.
Wenn man dieser Referenz im besagten Bloch und von Wartburg folgt und ein bisschen weiterliest, erfährt man, dass Rabelais derjenige war, der aus dem „Sinthom“ das „Symptomat“ gemacht hat. Das ist keineswegs erstaunlich, er war Arzt, und in der Sprache der Ärzte dürfte „Symptom“ wohl bereits seinen Platz gehabt haben, aber sicher ist das nicht. Wenn ich diese Linie weiterverfolge, würde ich sagen, dass er etwas symptraumatisiert.
Bei Rabelais hat man den ersten Beleg für die gräzisierende Schreibweise gefunden, also für die Schreibung „Symptom“ in der Variante „symptomate“. Mit Rabelais sind wir im Renaissance-Humanismus: die latinisierende Schreibweise wird zurückgewiesen, die Schreibung soll an das Griechische anknüpfen.
Lacans archaisierende Schreibweise (Sinthom statt Symptom) könnte von Heidegger inspiriert sein, der in Vom Wesen der Wahrheit das Wort „Sein“ mit y schreibt: „Seyn“.9
Der frühe Freud führt das Symptom auf ein Trauma zurück, daher „symptraumatisiert“.
Es geht mir nicht darum, Finnegans Wake zu imitieren, dieser Aufgabe wird man niemals gewachsen sein, sondern darum, zu sagen, inwiefern ich Joyce mit der Formulierung dieses Titels, Joyce das Symptom, nichts geringeres gebe als seinen Eigennamen, in dem er sich, wie ich annehme, in der Dimension der Benennung wiedererkannt hätte. Das ist eine Vermutung: er hätte sich wiedererkannt, wenn ich heute mit ihm noch sprechen könnte.
Mit „Joyce das Symptom“ vollzieht Lacan einen Benennungsakt, er gibt Joyce seinen Namen. Der Name ist gebaut wie etwa „Mack the Knife“ in Brechts Dreigroschenoper.
Für Lacan gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Symptom und der Benennung; in Seminar 22 von 1974/75, RSI, ist das ein Thema. Damit wird angedeutet, dass die Beziehung zwischen dem Symptom und dem Signifikanten nicht die des Sinns ist, sondern der Benennung, in der Terminologie von J. St. Mill (auf den sich Lacan in seiner Konzeption des Eigennamens bezieht): nicht der Konnotation, sondern der Denotation.
Er wäre hundert Jahre alt, und das ist nicht das Übliche, es ist nicht üblich, das Leben so lange fortzusetzen, das wäre eine merkwürdiger Hinzufügung.
Joyce wäre ein Hundertjähriger, was nicht üblich ist, anders gesagt: Joyce ist tot. Vielleicht spielt Lacan hier an auf ptôma im Sinne von Leiche, auf den Ganz Verfaulten. Eine solche Verlängerung des Lebens wäre eine merkwürdige Hinzufügung, möglicherweise soll angedeutet werden: Eine Leiche ist ein „merkwürdiger Zusatz“, ein Rest, ein Abfall – wie ein Symptom.
Begegnung
Aus einem ziemlich erbärmlichen Umfeld kommend, genau gesagt aus dem Stanislas, ein „Priesterkind“, nicht wahr, wie Joyce – aber ein Kind von Priestern, die weniger seriös waren als die seinen, die Jesuiten waren, weiß Gott, was er daraus zu machen wusste –, kurz, aus diesem erbärmlichen Umfeld auftauchend, bin ich mit siebzehn Jahren, dank der Tatsache, dass ich bei Adrienne Monnier verkehrte, Joyce begegnet. Genauso wie ich, als ich zwanzig war, der ersten Lesung der französischen Übersetzung, die von Ulysses erschienen war, beigewohnt habe.
Lacan besuchte eine katholische Privatschule, das von Marianisten geleitete Collège Stanislas de Paris; in diesem Sinne war er ein „Priesterkind“. Joyce besuchte zwei von Jesuiten geleitete Schulen, das Clongowes Wood College (1888-1891) und das Belvedere College in Dublin (1893-1898), danach das University College in Dublin (1898-1900), das ebenfalls von Jesuiten geleitet wurde. Lacan und Joyce haben also etwas Gemeinsames, allerdings hält Lacan die Jesuitenschulen von Joyce für seriöser als seine eigene Marianistenschule.
Mit siebzehn, also 1918/19, hat Lacan regelmäßig die Buchhandlung von Adrienne Monnier aufgesucht, in der Autoren Lesungen hielten. Hier habe er in diesem Alter Joyce erlebt. Lacan irrt sich bezüglich Zeit und Ort. Joyce kam erst 1920 in Paris an, Lacan war also mindestens 19 Jahre alt.10 Und die Buchhandlung, in der er 1920 Joyce begegnete, war vermutlich Shakespeare and Company, gegründet von Sylvia Beach.11
Lacan hat vermutlich am 7. Dezember 1921 eine Lesung der Übersetzung des Penelope-Kapitels aus Ulysses durch Valery Larbaud gehört, in der Buchhandlung Shakespeare and Company; hier stimmt die Altersangabe also.12 Die vollständige englische Ausgabe des Ulysses erschien erst 1922, in den Jahren 1918 und 1919 waren jedoch bereits Episoden daraus veröffentlicht worden, in der Zeitschrift Little Review in den Vereinigten Staaten. Ulysses wurde von Auguste Morel, mit Hilfe von Stuart Gilbert, ins Französische übersetzt; Valery Larbaud und James Joyce haben diese Übersetzung vollständig durchgesehen. Diese Übersetzung erschien 1929.
Es sind die Zufälle, die uns hin und her werfen und aus denen wir unser Schicksal machen, denn wir sind es, die es als solches flechten. Wir machen daraus unser Schicksal, weil wir sprechen. Wir glauben, dass wir sagen, was wir wollen, aber es ist das, was die anderen gewollt haben, insbesondere unsere Familie, die uns spricht; verstehen Sie hier dieses „uns“ als Akkusativobjekt. Wir werden gesprochen, und dadurch machen wir aus den Zufällen, die uns zustoßen, etwas Verwobenes. Und tatsächlich gibt es einen sich durchziehenden Faden, wir nennen das unser Schicksal. Derart, dass es sicherlich kein Zufall ist – auch wenn es schwierig ist, den Verbindungsfaden wiederzufinden –, dass ich James Joyce in Paris begegnet bin, als er da war; er blieb ja noch eine ganze Zeitlang. Bitte entschuldigen Sie, dass ich meine Geschichte erzähle, aber ich denke, ich tue es nur James Joyce zu Ehren.
Aus den Zufällen, die uns zustoßen, machen wir unser Schicksal, und zwar dadurch, dass wir sprechen. In Seminar 11 von 1964, Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse, hatte Lacan zwei Arten von Wiederholung unterschieden. Dabei stützte er sich auf die Unterscheidung von zwei Arten des Zufalls bei Aristoteles, automaton und tyche, was man mit „Zufall“ (für automaton) und „Schicksalsfügung“ (für tyche) ins Deutsche gebracht hat.13 Für Lacan ist automaton die rein symbolische Wiederholung, die Wiederholung einer Signifikantenkette; tyche meint bei ihm den Wiederholungszwang, der auf einer Begegnung mit dem Realen beruht, d.h. auf einer Erfahrung, die nicht in Worte gebracht werden kann.14 Freud bezeichnet den Wiederholungszwang auch als „Schicksalszwang“15. Die Wiederholung wird von uns als ein Schicksal erlebt, das uns von außen zustößt, tatsächlich aber sind wir es, die diese Wiederholung hervorufen.
Der Wiederholungszwang beruht letztlich darauf, dass wir sprechen. Aber nicht wir sprechen, sondern wir werden gesprochen – in unseren Symptomen, unseren Wiederholungszwängen sprechen die Wünsche unserer Familie, in Lacans Theoriesprache: die Ansprüche des Anderen und durch diese Ansprüche hindurch das Begehren des Anderen. „Das Unbewusste ist der Diskurs des Anderen“ ist seine Formel für diesen Zusammenhang. Die andere sprechen uns, durch ihr Sprechen bringen sie uns als Subjekte hervor. Durch den Bezug auf die Ansprüche und Begierden des Anderen, von Generation zu Generation übermittelt, machen wir aus den Zufällen, die uns zustoßen, etwas, was einen Zusammenhang hat, was durch den Wiederholungszwang zusammengehalten wird.
„Akkusativobjekt“ steht hier für Complément direct (direktes Komplement). Complément direct (oder auch complément d’objet direct, direktes Objektkomplement) ist ein Begriff der Grammatik; das complément direct ist von einem direkten transitiven Verb abhängig. Gemeint ist: parler (sprechen) soll transitiv aufgefasst werden („jemanden sprechen“), das nous („uns“) in qui nous parle („die uns spricht“) steht im Akkusativ.
Lacan verwendet Textilmetaphern: Verkettetes, sich durchziehender Faden, Verbindungsfaden. Sicherlich, weil es um Texte geht, vielleicht aber auch, um auf den borromäischen Knoten vorzubereiten, der am Ende dieses Vortrags Thema sein wird.
Joyce lebte von 1920 bis 1940 in Paris, es gab für Lacan also jede Menge Gelegenheiten, ihm zu begegnen. Der Titel des Kongressbandes, also vermutlich auch bereits des Kongresses, bezieht sich auf die Zeiten von Joyce in Paris: Jacques Aubert, Maria Jolas (Hg.): Joyce & Paris. 1902 … 1920-1940 … 1975. Actes du 5. Symposium International James Joyce, Paris 16 – 20 juin 1975. Publications de l’Université de Lille, Éditions du C.N.R.S., Paris 1979.
Universität und Analyse
Ich habe in meiner Existenz, die unstet ist wie die von jedermann, immer eine ungeheure Menge, einen wirklich hohen Stapel, eine ungeheure Menge von Büchern herumgeschleppt, wobei der Stapel von Joyce nicht höher ist als so – die anderen, das sind die Bücher über Joyce. Letztere habe ich hin und wieder gelesen, in letzter Zeit jedoch, Jacques Aubert wird mein Zeuge sein, habe ich mir eine ganze Menge davon reingezogen. Ich habe hier mehr sehen können als nur Unterschiede, vielmehr ein einzigartiges Gleichmaß in der Art, wie Joyce rezipiert wird, was auf der Perspektive beruht, in der er aufgefasst wird. In Übereinstimmung mit dem, wovon Joyce selbst wusste, dass es ihm nach seinem Tode widerfahren würde, dominieren dabei die Universitätsgelehrten. Es sind fast ausschließlich Hochschullehrer, die sich mit Joyce beschäftigen. Das ist völlig verblüffend.
Joyce wird vor allem von Hochschullehrern rezipiert. Hierdurch hat die Rezeption einen bestimmten bias, eine verzerrende Perspektive. Worin zeigt sie sich? Das erfährt man in diesem Vortrag nicht.
□ Worin zeigt sich, Lacan zufolge, der universitäre Charakter der Joyce-Rezeption?
Lacan bezieht sich hier vielleicht auf sein Konzept des Diskurses der Universität, das er zuerst in Seminar 17 von 1969/70, Die Kehrseite der Psychoanalyse, vorgestellt hatte. Die Formel für den Diskurs der Universität sieht so aus:S2, das Wissen, am Platz des Agenten oben links. Dies ist im Falle von Joyce sicherlich das gelehrte Wissen über Joyce.
S1, der Herrensignifikant, am Platz der verborgenen Wahrheit unten links. Das sind, wie Lacan in Seminar 17 erläutert, die Stellen, die Dienstgrade und Titel, hier also die Titel und Positionen, die durch das Wissen über Joyce erworben werden.
a, das Objekt a, am Platz oben rechts: diesen Platz nimmt, so vermute ich, das Werk von Joyce ein. Es fungiert im universitären Diskurs über Joyce als Objekt-Ursache des Begehrens, als etwas, das vom Wissen einzukreisen versucht wird und beständig verfehlt wird, da es mit ihm inkommensurabel ist.
Und was wäre $, das gespaltene Subjekt, am Platz der Produktion unten rechts, also das Produkt der universitären Beschäftigung mit Joyce? Dass man an Joyce scheitert? Dass das Joyce-Entziffern zum Symptom wird?
Dass vor allem Universitätsmenschen sich mit Joyce beschäftigen, ist für Lacan verblüffend. Das Erstaunen ist, Freud und Lacan zufolge, das Kennzeichen für das Auftauchen von Beziehungen des Unbewussten. Anders gesagt: das Phänomen, das Joyce vor allem von Hochschullehrern gelesen wird, kann von der Psychoanalyse aufgehellt werden.16
Joyce sagt: „Was ich schreibe, wird nicht aufhören, den Universitätsleuten Arbeit zu verschaffen.“ Und er hoffte nichts weniger als ihnen bis zum Verlöschen der Universität Arbeit zu geben. Diesen Weg geht das ja wohl. Und es ist offenkundig, dass das nur möglich ist, weil der Text von Joyce von Problemen wimmelt, die absolut fesselnd sind, faszinierend, sodass ein Hochschullehrer daran etwas zu knabbern hat.
Dass sich vor allem Universitätsleute mit Joyce beschäftigen, ist kein blinder Zufall, sondern entspricht Joyces Absicht. Zu diesem Zweck hat er seine Texte so voll mit Rätseln gepackt, dass die Universitätsleute etwas zu tun haben.
Richard Ellmann zitiert aus einem Interview mit Joyce: „‚Warum haben Sie das Buch (Finnegans Wake) gerade so geschrieben?‘ wollte jemand anderes wissen. ‚Um die Kritiker dreihundert Jahre lang zu beschäftigen.‘“17 Und zum französischen Übersetzer des Ulysses, der den Plan des Buches haben wollte, sagte Joyce: „Wenn ich alles sofort preisgäbe, würde ich meine Unsterblichkeit verlieren. Ich habe so viele Rätsel und Geheimnisse hineingesteckt, dass es die Professoren jahrhundertelang in Streit darüber halten wird, was ich wohl gemeint habe, und nur so sichert man sich seine Unsterblichkeit.“18
Ich bin kein Universitätsmensch, auch wenn man mich als Professor, Maître und mit welchen Scherzen sonst noch tituliert. Ich bin ein Analytiker, ein analyste. Das bildet sogleich eine Homophonie, nicht wahr, mit den vier Meister-Annalisten, über die sich Joyce in Finnegans ausbreitet, die die Grundlagen für die Annalen Irlands gelegt haben. Ich bin eine andere Art analyste.
Lacan hat einen anderen Zugang zu Joyce, nicht im Rahmen des Diskurses der Universität, vielmehr in dem der Analyse – er ist Psychoanalytiker. Auch hier spielt er mit einer Mehrdeutigkeit: Annalist, derjenige, der die Annalen verfasst, der Geschichtsschreiber – analyst, der Psychoanalytiker.
Auf Finnegans Wake bezieht sich Lacan hier und im Folgenden abkürzend mit Finnegans, nie, wie in der Joyce-Forschung üblich, mit Wake. Ein Grund dafür ist eventuell, dass er die Differenz zu den Hochschullehrern markieren will, vielleicht aber möchte er auch immer wieder das fin hervorheben, auf das er zu Beginn des Vortrags verwiesen hatte, das Ende, vielleicht auch das fin-again-s, den Wiederholungszwang.
Vom Analytiker, der danach aufgetaucht ist, kann man nicht gerade behaupten, dass Joyce von ihm begeistert gewesen sei. Glaubwürdige Autoren, die Joyce gut kannten – ich bin ihm nur flüchtig begegnet –, die mit ihm befreundet waren, behaupten gerne, dass, wenn er freudened hat, wenn er dieses fredonnement, dieses Gesumm gefreudelt hat, dann mit Abneigung. Ich glabue, das stimmt.
Joyce lehnte die Psychoanalyse ab. Ellmann berichtet, dass Joyces Mäzenin, Edith Rockefeller McCormick, ihn aufgefordert hatte, sich von Jung analysieren zu lassen und ihm angeboten hatte, die Analyse zu finanzieren. Joyce hatte das abgelehnt.19 Lacan bezieht sich hierauf bereits in dem Aufsatz Lituraterre (1971).20
Mit freudened und freudenedé imitiert Lacan, wie schon zu Beginn dieses Vortrags, die Wortbildungstechnik von Joyce in Finnegans Wake.
Als Beleg dafür möchte ich angeben, dass es in der Konstellation des Traumes, aus dem es kein Erwachen gibt – trotz des letzten Wortes, Wake –, dass es im Geflecht der Personen von Finnegans diese beiden Zwillinge gibt, Shem – Sie werden mir gestatten, ihn Shemptom zu nennen – und Shaun. Ich hoffe, das wird so ausgesprochen, denn dazu habe ich Jacques Aubert nicht zu Rate gezogen, der mich, was die Aussprache angeht, während der Herstellung dieses Gebräus enorm unterstützt hat. Es gibt also den Shemptom und den Shaun. Sie sind miteinander verknotet – nichts ist stärker verknotet als Zwillinge. Es ist der andere – nicht Shem, den er mit einem Etikett versieht und als the penman bezeichnet –, es ist Shaun, dem Joyce den Doktor Jones anheftet. Dabei handelt es sich um jenen Analytiker, dem Freud – der wusste, was er tat – die Aufgabe übertrug, seine Biographie zu verfassen.
Ellmann zufolge verarbeitet Joyce die Aufforderung, in Analyse zu gehen, in der folgenden Passage von Finnegans Wake :
„Du bist ja ein netter drittstufiger zeuge, wahrlich! Aber da gibt’s nichts zu lachen! Glaubst du, wir seien stocktaub in unseren nasen obendrein? kannst du denn den sinn, bitte, nicht vom klang unterscheiden? Du hast homosexuelle catheisis von empathie zwischen narzißmus des experten und steatopygische inversität. Laß dich psychoanolysieren!
– Beigott, ich brauche keine experte ammen-symaphie von euren braunen quarteronen, und ich kann mich bei bedürfnis jederzeit selber pseuchoanaloslegen (der nebel folge euch allen!), ohne eure einmischung und andere taubenstehler.“21
Finnegans Wake, sagt Lacan, ist der Traum, aus dem es kein Erwachen gibt, trotz des Worts Wake, „Erwachen“, im Titel.
□ Inwiefern ist Finnegans Wake ein Traum, aus dem es kein Erwachen gibt?
In Finnegans Wake gibt es die Zwillinge Shem und Shaun.
Shem ist Shemptom, steht also für das Symptom. Nun ist aber Joyce das Symptom. Also können wir annehmen: Shem, das Symptom, entspricht Joyce.
Shaun repräsentiert, Lacan zufolge, den Psychoanalytiker Ernest Jones, Gründer der British Analytical Society im Jahr 1919, Herausgeber des International Journal of Psycho-Analysis von 1920 bis 1939, Präsident der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung (1920-1924, 1932-1949). Jones war von Freud damit beauftragt worden, Freuds Biographie zu schreiben; von 1953 bis 1957 wurde sie veröffentlicht.22
Shem/Symptom/Joyce und Shaun/Jones sind verknotet. Offenbar bezieht Lacan sich hier auf einen borromäischen Knoten aus vier Ringen, in der Terminologie der Mathematiker: auf eine borromäische Verschlingung aus vier trivialen Knoten. Das Symptom bildet hierin den vierten Ring; die Entwicklung dieses Knotentyps und die Anwendung auf Joyce ist der Hauptgegenstand von Lacans Seminar 23, Le sinthome (1975/76). Shem/Joyce entspricht dem vierten Ring.
Wofür steht Shaun/Jones? Lacan weist darauf hin, dass Joyce ihn als Penman bezeichnet, als Federfuchser, Schreiberling. Also steht Jones vermutlich für das Symbolische, wie Geneviève Morel annimmt.23 Die Verbindung zwischen Jones und dem Symbolischen wird auch durch dessen Theorie der Symbolik nahegelegt, auf die Lacan sich in Funktion und Feld des Sprechens und der Sprache zustimmend bezogen hatte24 und über die er 1960 einen kritischen Aufsatz veröffentlicht hatte.25
Lacan arbeitet also offenbar mit folgenden Entsprechungen:
Shem ≅ Joyce ≅ Symptom
Shaun ≅ Jones ≅ Symbolisches
Shem/Joyce/das Symptom und Shaun/Jones/das Symbolische sind Zwillinge, was von Lacan so gedeutet wird: sie sind miteinander verknotet. In einem borromäischen Knoten sind zwei Ringe niemals direkt miteinander verschlungen, sie halten nur durch den dritten oder vierten Ring zusammen.
Er kannte ihn gut, d.h. er war sich sicher, dass Jones hier nicht die geringste Phantasie investieren würde, dass er sich unter anderem nicht erlauben würde, einen eigenen Strich anzubringen, einen Biss zu versetzen, den agenbite of inwit. Irgendwo im Ulysses spricht Stephen Dedalus vom agenbite of inwit, vom Biss des ensoi, des Insich, so übersetzt man das ins Französische, ich weiß nicht warum, obwohl das eher den wit meint, den inneren wit, den Biss des Witzes, den Biss des Unbewussten. Bei Jones war Freud ruhig, er wusste, dass seine Biographie eine Hagiographie werden würde. Klar, dass Joyce besagten Jones shaunisiert, wenn ich so sagen kann, das gibt uns eine Vorstellung davon, wie wichtig es ist, wie mal jemand gesagt hat, Ernest zu sein. Weitaus mehr als Joyce trug Jones vor sich her – ich sage Ihnen das, weil ich ihm begegnet bin –, dass er Ernest hieß, aber das war sicherlich wegen des Stücks von Wilde mit diesem so erstaunlichen Titel, den Jones groß herausstellt. Mehr als einmal erscheint in Finnegans der Verweis darauf, wie wichtig es ist, sich Ernst zu nennen.
Der mittelenglische Ausdruck „ayenbite of inwit“ meint „again-biting of inner wit“, den Gewissensbiss; siehe diesen Artikel in der englischen Wikipedia. In der Penguin Classic-Ausgabe des Ulysses von 2000 findet man den Ausdruck auf S. 313; Wollschläger übersetzt mit „Gewissensbisse“26. Der Witz ist eine Bildung des Unbewussten (das ist Thema der ersten Sitzungen von Lacans Seminar 5), insofern beißt im Witz das Unbewusste.
Freud war sich sicher, dass Jones in seiner Biographie Freud gegenüber nicht den Biss des Unbewussten anbringen würde. Das heißt vermutlich: Freud war sich sicher, dass Jones die unbewusste Seite von Freud, sein Begehren, nicht ins Spiel bringen würde, womit er ihn der Kritik ausgesetzt hätte. In seinem Jones-Aufsatz schreibt Lacan:
„Dass ihm (Jones), dem einzigen Goi in diesem von seiner jüdischen Spezifik überzeugten Kreis, die Auszeichnung vorbehalten blieb, dem Meister das Denkmal zu errichten, das man kennt, wird sicherlich mit der Tatsache zusammengebracht werden, dass dieses Denkmal die Grenze bestätigt, die der Mensch, der der Welt ein neues Feld des Bekenntnisses eröffnet hat, nicht in Richtung auf sein Privatleben überschritten sehen wollte.“27
Jones hat aus Freud einen Heiligen gemacht – „Hagiographie“ meint wörtlich: Schrift über einen Heiligen. Damit ist Lacan ein weiteres Mal beim saint homme, beim Heiligen, jetzt in der entgegengesetzten Bedeutung, nicht im Sinne von Auswurf, sondern von Ideal.
Jones steht für das Symbolische. Im Verhältnis zu Freud verkörpert er nicht das Symbolische qua Über-Ich, sondern qua Ichideal. Jones bezieht sich in seiner Biographie auf das Ichideal, er bringt nicht das ins Spiel, was jenseits des Ichideals liegt: das Phantasma („dass Jones hier nicht die geringste Phantasie investieren würde“), nicht das Begehren von Freud, das sich auf ein Phantasma stützt.
Lacan macht ein Wortspiel mit Ernest (der Vorname Ernst) und earnest (ernst, ernsthaft) und bezieht sich dafür auf ein Theaterstück von Oscar Wilde, The Importance of Being Ernest (1895); im Deutschen hat es den Titel „Ernst sein ist alles“ oder „Bunbury“.
Über die Ernsthaftigkeit von Jones hatte Lacan in seinem Jones-Aufsatz von 1960 geschrieben:
„Wenn es ihm (Jones) nicht gelingt, hier seinen Weg zu finden, ist das in zwei Phasen ganz offensichtlich, wo der Fehler von Anfang an unseres Erachtens in dieser sehr verfänglichen Verkehrungn in seinem Denken besteht, durch welche sein Bedürfnis nach Ernsthaftem für die Analyse sich, ohne dass er das analysiert, das Ernsthafte des Bedürfnisses zunutze macht.
Davon zeugt dieser Satz seiner Kontroverse mit Silberer:
‚Wenn es in der Psychoanalyse, oder ganz einfach in einer genetischen Psychologie, welcher auch immer, irgendeine Wahrheit gibt, dann müssen die primären Komplexe, die sich im Symbolismus manifestieren, die beständigen Quellen des geistigen Lebens sein [Anmerkung von Lacan: „must be, Hervorhebung von uns“] und das gerade Gegenteil reiner Stilfiguren.‘ Eine Bemerkung, die auf eine bestimmte Kontingenz abzielt, die Silberer in der Anwendung von Symbolen wie auch in den Wiederholungen, denen sie Konsistenz geben, ganz richtig feststellt [Anm. von Lacan: „Jones geht hier so weit, die Waffe der Analyse zu verwenden, indem er den Gebrauch des Ausdrucks ephemer als Symptom enthüllt, obwohl er im Text von Silberer logisch gerechtfertigt ist.“], um ihr die Konstanz primärer Bedürfnisse in der Entwicklung entgegenzusetzen (beispielsweise oraler Bedürfnisse, deren zunehmender Förderung Jones sich anschließen wird).“28
Die Ernsthaftigkeit von Jones besteht also darin, dass er, um der Psychoanalyse eine solide Grundlage zu verschaffen, die Bedürfnisse zum Fundament erklärt und die Signifikantenbeziehungen zu bloßen Stilfiguren abwertet.
Vielleicht spielt Lacan hier auch auf Sartres These an, das wichtigste Ergebnis der existentiellen Psychoanalyse müsse darin bestehen, auf den Geist der Ernsthaftigkeit zu verzichten, da dieser zur Unaufrichtigkeit (mauvaise foi) führe. Ernsthaftigkeit beweist man, Sartre zufolge, dadurch, dass man der Welt mehr Realität zuschreibt als sich selbst, und eben darin besteht in seinen Augen die Flucht vor der Verantwortung.29 Mit Sartre könnte man sagen: Jones flieht vor der Verantwortung – vor der Freiheit –, indem er nach einer objektiven Grundlage des Subjekts sucht und sich hierfür auf die Bedürfnisse stützt.
Das Abonnement auf das Unbewusste gekündigt …
All dies diente nur dazu, dem näherzukommen, dass es nicht dasselbe ist, „Joyce das Sinthom“ oder „Joyce das Symbol“ zu sagen. Ich sage „Joyce das Symptom“ – das heißt, dass das Symptom es abschafft, das Symbol, wenn ich auf dieser Linie weitermachen darf.
Entscheidend ist also der Gegensatz von Sinthom (bzw. Symptom) und Symbol. Joyce ist das Sinthom (bzw. das Symptom) – er ist gerade nicht das Symbol. Das Symbol wird bei Joyce vom Symptom abgeschafft. Das wird im nächsten Satz erläutert.
Auffällig ist, dass die Schreibweise hier von „Symptom“ zu „Sinthom“ wechselt. Man muss berücksichtigen, dass die schriftliche Fassung auf einer Hörermitschrift beruht. Allerdings artikuliert Lacan in seinen Vorträgen extrem deutlich, in den Tonbandaufnahmen des Sinthom-Seminars ist der Unterschied zwischen symptôme (mit p) und sinthome (ohne p) klar zu hören. Dennoch könnte die Veränderung der Schreibweise hier eine Zutat der Transkribenten sein.
Das ist nicht nur Joyce das Symptom, das ist Joyce, wenn ich so sagen darf, insofern sein Abonnement auf das Unbewussten gekündigt war.
Die These, dass man vom Werk von Joyce aus keinen Zugang zum Unbewussten findet, wurde zuerst von C. G. Jung vorgebracht, allerdings bezogen auf Ulysses: „jeder Satz ist eine Pointe“, schreibt er in seiner Rezension, „es ist kein Traum und keine Offenbarung des Unbewussten“.30
Während also in Finnegans Wake die Zwillinge Shem/Joyce/Symptom und Shaun/Jones/Symbol so beschrieben werden, dass sie miteinander verknotet sind, ist das Werk selbst ein Symptom, das sich vom Symbol, vom Unbewussten, abgelöst hat.
„Joyce das Symptom“ – bezieht sich das auf ein Symptom, das in Verbindung zum Unbewussten steht? Meint „Joyce das Sinthom“: in Finnegans Wake ist das Symptom vom Unbewussten abgekoppelt? So kohärent sind die beiden Schreibweisen nicht verteilt.
□ Warum verwendet Lacan die Metapher der Kündigung eines Abonnements?
Lesen Sie Finnegans Wake, Sie werden mitbekommen, dass das nicht nur in jeder Zeile, sondern in jedem Wort mit dem pun spielt, mit einem sehr, sehr speziellen pun. Lesen Sie es, es gibt nicht ein einziges Wort, das nicht wie die ersten gemacht wäre, deren Ton ich Ihnen mit „pourspère“ anzudeuten versucht habe, aus drei oder vier Wörtern gebildet, die so verwendet werden, dass sie Funken erzeugen, Pailletten. Das ist sicherlich faszinierend, obgleich in Wahrheit der Sinn, in dem Sinne, den wir ihm üblicherweise geben, hier einen Verlust erleidet.
Finnegans Wake ist eine einzige Ansammlung von puns, von Wortspielen. Allerdings nicht von Wortspielen schlechthin, sondern von solchen spezieller Art; es wird darauf ankommen, ihre Besonderheit näher zu bestimmen. Zu Beginn des Vortrags hatte Lacan selbst Wortspiele à la Joyce vorgetragen, etwa poursticher als Verdichtung von poursuivre (fortsetzen) und pasticher (nachahmen).
Die Wortspiele können nicht auf einen unbewussten Sinn bezogen werden, damit scheitert die psychoanalytische Deutung. Hierdurch „entgleist“ die Wahrheit, wie es in Seminar 23 zu Joyce heißt (Version Miller 2005, S. 23): es ist nicht möglich, das Verdrängte – den verborgenen Sinn – zu enthüllen; in einer solchen Enthüllung besteht das Wahrheitsgeschehen. Der Sinn erleidet einen Verlust – er verschwindet nicht ganz, wie etwa in Christian Morgensterns Das große Lalulâ („Kroklokwafzi? Semememi!“), es bleiben, wie in der Nonsensliteratur, Sinnreste.
Vermutlich darf man das zusammenbringen: Das Symptom ist in Finnegans Wake vom Unbewussten, vom Symbolischen, abgekoppelt; und: Der Sinn erleidet einen Verlust. Der Sinn erleidet dadurch einen Verlust, dass der Verdichtungsmechanismus hartnäckig ins Spiel gebracht wird, was allerdings nicht zu einer Bildung des Unbewussten führt, sondern zur Vernichtung des Sinns. Dies hat zur Folge, dass die Verbindung zwischen dem Symptom und dem Unbewussten / dem Symbolischen getrennt ist.
Der Sinn erleidet „in Wahrheit“ einen Verlust – damit könnte gemeint sein: Wahrheit besteht in der Aufdeckung eines verborgenen Sinns (in der „Entbergung“, wie Heidegger sagt); wenn die Verbindung zum Sinn unterbrochen ist, kann Wahrheit sich nicht ereignen.
Clive Hart spricht in Structure and motif of Finnegans Wake von etwas Enttäuschendem in der Art, wie Joyce von dieser Art pun Gebrauch macht.31 Monsieur Atherton bezieht das in seinem Buch The books at the wake auf the unforeseen, auf das Unvorhergesehene.32 Dieses pun ist aber eher das porte-manteau, das Kofferwort im Sinne von Lewis Carroll, worin dieser ein Vorläufer ist, und da er wahrscheinlich eher spät auf ihn gestoßen ist, musste Joyce, so resümiert Atherton, sich davon ein wenig belästigt fühlen.
Die Wortspiele von Joyce erinnern an die von Lewis Carroll, dem Autor von Alice im Wunderland. Mit portmanteau – dem im Englischen gebräuchlichen Wort für Reisekoffer – bezeichnet Carroll Wörter, die aus mehreren Wörtern verdichtet sind. Man findet das zuerst in Through the Looking-Glass (1871), Alice hinter den Spiegeln, wo Humpty Dumpty Alice erklärt, das Wort „slithy“ bedeute „slimy“ (schleimig) und „lithe“ (biegsam). „You see it’s like a portmanteau — there are two meanings packed up into one word.“ Die übliche deutsche Übersetzung ist „Kofferwort“.
Für Lacan ist der Effekt dieser Verdichtung nicht Sinnbereicherung, sondern Sinnverlust. Die Bedeutungen beispielsweise von slimy und lithe durchkreuzen sich und zerstören den Sinn oder halten nur noch schwache Beziehungen zum Sinn aufrecht.
Die literarische Technik, durch die das Symptom vom Unbewussten abgekoppelt wird, durch die der Sinn reduziert und die Wahrheitsdimension eingezogen wird, ist diese Art der Wortüberschneidung: das Kofferwort.
Lesen Sie einige Seiten in Finnegans Wake, ohne zu verstehen zu versuchen – das liest sich. Das liest sich, und zwar deshalb – worauf mich jemand aus meiner Umgebung aufmerksam gemacht hat –, weil man spürt, dass die Lust (jouissance) desjenigen, der es geschrieben hat, gegenwärtig ist.
Der Sinn erleidet einen Verlust. Worum geht es stattdessen? Um das Genießen im Lacanschen Sinne, um eine Lust, die nicht dem Lustprinzip unterworfen ist. Das Genießen, das sich hier zeigt, ist das von Joyce; wenn man Finnegans Wake liest, wird sein Genießen gegenwärtig.
Freud zufolge ist das Symptom mit einer Triebbefriedigung verbunden, einer „Ersatzbefriedigung“.33 Lacan hat in seiner frühen Konzeption des Symptoms den Akzent auf den Ersatz gelegt, von ihm „Metapher“ genannt, später hebt er die Seite der Befriedigung hervor, des Genießens, der Lust jenseits des Lustprinzips, also der Unlust (der jouissance); mit Freud fügt er hinzu, dass diese „Befriedigung“, dieses Genießen, diese Lust jenseits des Lustprinzips liegt, also oft als Unlust erfahren wird, beispielsweise als Schmerz, als Leid.
Man fragt sich jedoch – zumindest fragte das die erwähnte Person –, warum Joyce das veröffentlicht hat. Warum hat er dieses work, das siebzehn Jahre lang in progress war, schließlich schwarz auf weiß herausgebracht? Ein Glück, dass es davon nur eine einzige Ausgabe gibt, dadurch ist es möglich, wenn man es zitiert, die Zeile auf der richtigen Seite anzugeben, nämlich auf der Seite, die immer dieselbe Zahl tragen wird. Wenn es nötig wäre, es, wie die anderen Bücher, mit unterschiedlichen Seitenzählungen herausgegeben würde, woran könnte man sich halten, um sich hier zurechtzufinden! Dass er es aber veröffentlicht hat, damit würde ich – wenn er da wäre – hoffen, ihn davon zu überzeugen, dass er Joyce das Symptom sein wollte, insofern es davon – vom Symptom – den Apparat, die Essenz, die Abstraktion liefert.
Wenn man einen psychoanalytischen Zugang zu Finnegans Wake finden will, dessen Arbeitstitel Work in Progress lautete, muss man sich auch die Frage stellen, warum Joyce dieses Werk überhaupt veröffentlicht hat, warum der progress zu einem Halt gebracht wurde. Lacans Antwort lautet: Joyce wollte das Symptom sein. Joyce war nicht nur faktisch das Symptom – er wollte es sein. Er wollte das beherrschen, was sich nicht beherrschen lässt, das Symptom, und es ist ihm gelungen.
Eine Antwort auf die Frage nach dem Veröffentlichungsgrund hatte Lacan in diesem Vortrag bereits vorher gegeben: Joyce hat das Werk veröffentlicht, um den Universitätsleuten Arbeit zu verschaffen. Wenn man beide Antworten zusammenfügt, ergibt sich: Joyce wollte für den Diskurs der Universität das Symptom sein.
□ Kann man das so übersetzen: Joyce wollte das Symptom der herrschenden Kultur sein – ?
Lacan hatte in diesem Vortrag auch bereits erklärt, dass das Joycesche Symptom sich dadurch auszeichnet, dass der Sinn reduziert ist (die Beziehung zum Unbewussten gelöst ist) und dass das Genießen in den Vordergrund tritt. Joyce liefert vom Symptom die Abstraktion, das heißt wohl: er entkoppelt es vom Unbewussten, vom Symbolischen und damit von Sinn und Wahrheit.
Zusammen ergibt sich: Das, was vom universitären Diskurs ausgeschlossen, verdrängt wird, ist ein Sprechen, dessen Sinn reduziert ist und das stattdessen mit Genießen verbunden ist. Finnegans Wake ist die bewusst herbeigeführte Wiederkehr dieses Verdrängten, das artifizielle Symptom des Universitätsdiskurses.
Denn wenn etwas die von Clive Hart notierte Tatsache erklärt, dass man, wenn man seinen Schritten folgt, am Ende ermüdet ist, dann ist es eben dies, dass Ihre eigenen Symptome erwiesenermaßen das einzige sind, was bei einem jeden von Ihnen das Interesse auf sich lenkt. Das Symptom bei Joyce ist ein Symptom, das Sie auf keine Weise betrifft. Es ist insofern das Symptom, als ganz und gar ausgeschlossen ist, dass es irgendetwas von Ihrem eigenen Unbewussten fesselt. Ich glaube, das ist der Sinn dessen, was mir die Person sagte, die mich fragte, warum er es veröffentlicht hat.
Das Lesen von Finnegans Wake ermüdet, weil es nicht das Unbewusste des Lesers fesselt. Anders gesagt: das Symptom von Joyce hat sich vom Symbolischen, vom Unbewussten abgelöst, es entstehen keine Sinneffekte. Bei den Symptomen der Leser ist das anders, sie stehen mit dem Unbewussten, dem Symbolischen, in Verbindung. Es gibt also zwei Arten der Beziehung zwischen dem Symbolischen und dem Symptom: die Verkoppelung (beim Leser) und die Entkoppelung (in Finnegans Wake). Dieses entkoppelte Symptom hat mit dem Eigennamen zu tun, also mit der Funktionsweise des Symbolischen, bei der es nicht um den Sinn geht (nicht um Konnotation), sondern um Benennung (um Denotation).
□ Was steht bei der Abkoppelung des Symptoms vom Unbewussten auf dem Spiel? Warum wollte Joyce ein abgekoppeltes Symptom sein?
… obwohl nur mit der Sprache spielend
Man sollte diese Befragung des Haupt- und Schlusswerkes fortsetzen, des Werkes, dem Joyce schließlich vorbehalten hat, als seine Trittleiter (escabeau) zu fungieren.
Finnegans Wake wird hier als Hauptwerk bezeichnet, nicht Ulysses. Dieses Werk sollte für Joyce die Trittleiter (escabeau) abgeben. In der Ballade Finnegan’s Wake, auf die Joyces Finnegans Wake anspielt, fällt Tim Finnegan betrunken von einer Leiter (ladder) und stirbt; sein Leichnam wird zur Totenwache (wake) aufgebahrt. Vermutlich spielt Lacan hierauf an.
Für die Leiter wählt Lacan nicht échelle, sondern escabeau, da in escabeau das Wort beau enthalten ist, „schön“, eine Anspielung auf die Sublimierung. In Joyce das Symptom II – der für den Druck überarbeiteten Fassung dieses Vortrags – ist escabeau ein Schlüsselbegriff; statt escabeau schreibt Lacan dort auch „S.K.beau“, man kann lesen: „S qu’a beau“, „S, der das Schöne hat“, also vielleicht: das literarische Werk, das ihm als Trittleiter dient.
Denn von Anfang an wollte er jemand sein, dessen Name, und zwar genau der Name, auf immer überleben würde.
Eine weitere Antwort auf die Frage, warum Joyce dieses Werk veröffentlichte, lautet: damit wollte er ewigen Ruhm erlangen, und zwar dadurch, dass das Werk in der Geschichte der Literatur einen Einschnitt darstellt.
Es geht nicht nur um Ruhm allgemein, es geht um das ewige Lebens speziell des Namens Joyce.
Einen Einschnitt stellt das Werk insofern da – so kann man das durch das Vorangehende ergänzen –, als es ein Symptom darstellt, die Gegenwart eines Genießens im Sprechen und Schreiben, und zwar ein solches Symptom, das vom Unbewussten abgekoppelt ist und dessen Sinn dadurch verarmt ist. Finnegans Wake ist demnach das erste Werk der Literaturgeschichte, das ein abgekoppeltes Symptom darstellt.
Noch nie war Literatur wie diese gemacht worden. „Literatur“ – um das Gewicht dieses Wortes hervorzuheben, will ich die Äquivokation nennen, mit der Joyce oft spielt: letter, litter. Der Buchstabe ist Abfall.
Die Besonderheit von Finnegans Wake als Literatur besteht darin, dass der Buchstabe, letter, hier Abfall, litter, ist. Lacan greift das Wortspiel auf, mit dem Vladimir Dixon 1929 in Our exagmination round his factification for incamination of work in progress geantwortet hatte – A litter to Mr Joyce –, das Joyce aufgegriffen hatte und das er, Lacan, bereits im Poe-Aufsatz (1957) verwendet hatte.34
„Abfall“ ist einer von Lacans Namen für das Objekt a, für das Objekt, dass den Genusverlust symbolisiert, den das Subjekt durch die Sprache erfahren hat.
Nun, gäbe es nicht diese sehr spezielle Art Rechtschreibung, die des Englischen, drei Viertel der Wirkungen von Finnegans wäre verloren. Ich kann Ihnen den extremsten Fall nennen, den ich übrigens Jacques Aubert verdanke: Who ails, und danach tongue, im Englischen wie langue geschrieben, tongue, dann ein rätselhaftes Wort, coddeau, „Who ails tongue coddeau a space of dumbillsilly?“ Wenn ich auf diesen Schrieb gestoßen wäre, hätte ich dann das Folgende wahrgenommen, ja oder nein: „Où est ton cadeau, espèce d’imbécile?“ „Wo ist dein Geschenk, du Blödmann?“
Lacan erläutert einen Satz aus Finngans Wake:
„Who ail tongue coddeau a space of dumbillsilly.“
„ Où est ton cadeau, espèce d’imbécile?“35
Merkmale:
– Der erste Satz besteht teilweise aus Wörtern der englischen Sprache (z.B. „Who“), einige Wörter ergeben also für sich genommen einen Sinn – wenn man Sinn auf Wortebene akzeptiert. Der Satz besteht aber auch aus Wörtern, die im Englischen keinen Sinn ergeben (z.B. „coddeau“).
– Die Zusammenfügung ergibt keinen Sinn, auf der Satzebene fehlt der Sinn. Wenn man Sinn von vornherein auf der Satzebene lokalisiert, nicht auf der Wortebene (so sieht Lacan das, wenn ich mich recht erinnere, in Seminar 5), hat die Signifikantenkette keinen Sinn.
– Der fast englische Satz bezieht sich auf einen Satz des Französischen („Où est ton cadeau, espèce d’imbécile?“)
– Der französische Satz hat einen klaren Sinn, es ist ein gewöhnlicher Satz der Alltagssprache.
– Die Beziehung des englischen auf den französischen Satz ist beim Hören der beiden Sätze nicht erkennbar.
– Die Beziehung zwischen dem sinnlosen englischen Satz und dem sinnvollen französischen Satz wird mit Mühe erkennbar, wenn man das Geschriebenen nebeneinanderstellt und schriftorientiert langsam vorliest.
– Die Verbindung zwischen den beiden Sätzen erfolgt auf zwei Ebenen, auf der der Laute und auf der der Rechtschreibung.
– Zwischen beispielsweise „tongue“ und „ton“ gibt es Lautähnlichkeiten, ähnlich zwischen „a space“ und „espèce“. Diese Lautähnlichkeiten gehören nicht zu einem Phonemssystem, die Ähnlichkeit kann nicht im Rahmen der Phonologie beschrieben werden, nur in dem der Phonetik.
– Zwischen beispielsweise „tongue“ und „ton“ gibt es eine Beziehung auf der Ebene der Rechtschreibung, das gmeinsame Element „ton“.
Wenn man den Satz „Who ail con coddeau .…“ nur spricht, kann man ihn von dem Satz „Où est ton cadeau …“ nicht unterscheiden – vorausgesetzt, beide Sätze werden einigermaßen gleich ausgesprochen. Die beiden Sätze müssen aufgeschrieben werden, und zwar in den überlieferten Formen der englischen bzw. der französischen Rechtsschreibung, nur so wird der Unterschied erkennbar. Um es an einem einfacheren Beispiel zu erläutern: Der Unterschied zwischen dem deutschen Wort „nun“ und dem englischen Wort „noon“ (britisch ausgesprochen, also mit langem u) verschwindet, wenn ich die beiden Wörter nur spreche: \nu:n\ Erst die Rechtschreibung macht zugänglich, dass es sich um Wörter aus zwei verschiedenen Sprachen mit zwei unterschiedlichen Bedeutungen handelt.
Das Unerhörte besteht darin, dass diese Homophonie, die hier translinguistischen Charakter hat, nur durch einen Buchstaben gestützt wird, der mit der Rechtschreibung der englischen Sprache konform geht. Sie wüssten nicht, dass „who“ in „où“ ungewandelt werden kann, wenn Sie nicht wüssten, dass „who“ im interrogativen Sinn so ausgesprochen wird.
Die Schrift dient hier dazu, Lautähnlichkeiten ins Spiel zu bringen, Homophonien. Die Homophonie hat translinguistischen Charakter, bezieht sich auf das Verhältnis von zwei Sprachen, wird also nicht durch ein Phonemsysteme reguliert. Es geht um Laute, nicht um Phoneme, nicht um langue. (Mit „einem Buchstaben“ ist hier die Schreibweise gemeint, nicht etwa ein bestimmter einzelner Buchstabe.)
□ Was ist mit der interrogativen Aussprache von „who“? Worin besteht die Beziehung zwischen der interrogativen Aussprache von „who“ und „où“?
Es liegt in gewisser Weise etwas Mehrdeutiges in diesem phonetischen Sprachgebrauch, was ich auch so schreiben könnte: f, a, u, n, e [faune (Faun), homophon mit phone (Phon)].
Die Ähnlichkeit beispielsweise zwischen „a space“ und „espèce“ gehört in den Bereich der Phonetik (der Lautlehre) , nicht zur Phonologie (zur Lehre von den Phonemen).
Das Wortspiel phon/faune (Phon/Faun) deutet vielleicht einen Zusammenhang mit dem Genießen an. Der Faun wird oft mit dem Satyr gleichgesetzt; der Satyr gehört zum Gefolge des Dionysos und wird häufig mit erigiertem Penis dargestellt.
□ Bezieht Lacan sich mit dem Wortspiel phone/faune auf das phallische Genießen?
Das Fauneske / das Phoneske der Sache beruht gänzlich auf dem Buchstaben, also auf etwas, das für die Sprache (langue) nicht wesentlich ist, etwas, das durch die Zufälle der Geschichte geflochten wurde. Dass jemand einen so ungewöhnlichen Gebrauch davon macht, ist selbst eine Befragung dessen, was es mit der Sprache auf sich hat.
Die Sprache von Finnegans Wake beruht auf dem Buchstaben, auf einer bestimmten Orthographie. Der Buchstabe ist für die Sprache nicht wesentlich, sondern historisch zufällig.
Lacan mobilisiert hier die Opposition zwischen dem Wesen einer Sprache (langue) und den Zufällen der Geschichte, verortet den Buchstaben auf der Seite der historischen Zufälle und macht ihn zu einem Hilfsmittel für den Zugang zum Laut.
Das liest sich auf den ersten Blick wie die Schriftauffassung von Saussure36, wie eine naive Affirmation der Konzeption, die von Derrida in der Grammatologie (1967) kritisiert worden ist: Der immaterielle Sinn oder Gedanke (der logos) ist primär, das materielle Zeichen ist der sekundäre „Ausdruck“ eines Gedankens oder einer Absicht, und die Schrift wiederum ist tertiär; in ihrer Idealgestalt repräsentiert die Schrift das Phonem, und das Phonem steht im Dienste des Sinns.37
Dieses Bild ergibt sich nur bei erstem Hinschauen.
Der Laut, auf den Lacan sich mit der Rede vom „Phonesken/Faunesken“ bezieht, ist gerade nicht der Laut der phonozentrischen Sprachtheorie. Er ist nicht die Ausdruckssubstanz des Sinns, vielmehr das Abfallprodukt der langue.
Dieser Abfall ist für Lacan nicht sekundär, sondern für die Psychoanalyse entscheidend. Ausgehend von der Opposition zwischen der langue und dem Phonesken/Faunesken stellt Lacan sich auf die Seite des Phonesken/Faunesken.
Der Buchstabe, von dem Lacan spricht, ist nicht Buchstabe der phonozentrischen Tradition, nicht der problematische Repräsentant von Lauten, die auf problematische Weise den Logos (den Sinn, die Intention) repräsentieren und in ihm ihr Zentrum haben. Vielmehr geht es ihm um die Joycesche Verwendung des Buchstaben: um einen Buchstaben, der wesentlich geschrieben ist, der also nicht ein bloßes Hilfsmittel des Sprechens ist, um einen „ungewöhnlichen Gebrauch“ des Buchstaben. Dass der Buchstabe kein Hilfsmittel für das Sprechen ist, zeigt sich darin, dass Finnegans Wake als Sprechen gar nicht funktionieren würde – drei Viertel der Effekte von Finnegans Wake wären ohne das Spiel mit der Rechtschreibung, ohne die Schrift verloren.
Joyce verwendet den Buchstaben so, dass damit ein Zugang zum Laut möglich wird, entleert von Sinn, aufgeladen mit Genießen, in Derridas Terminologie: zur Kritik des Logozentrismus.
Dieser ungewöhnliche Gebrauch des Buchstaben, sagt Lacan, ermöglicht eine Kritik des Begriffs der langue, eine Kritik an der Vorstellung vom Wesen einer Sprache.
Lacan vollzieht also eine Dekonstruktionsbewegung. Er beginnt mit einer Opposition der Metaphysik (Wesen der Sprache vs. historischer Zufall), stellt sich auf die Seite des untergeordneten Begriffs (Buchstabe) und stellt von hier aus dem dominierenden Begriff (langue) in Frage.
Lacan unterstreicht die Differenz, aber nicht, wie Derrida in der Grammatologie, die Differentialität des Zeichens, sondern die Differenz zwischen dem System und dem Rest, in der Sprache der Systemtheorie formuliert: zwischen dem System und der Umwelt. Dabei bezieht er sich auf diese Differenz nicht, wie die Systemtheorie, aus der Perspektive des Systems, sondern aus der der Umwelt, des ausgeschlossenen Rests.
Ich habe gesagt, dass das Unbewusste strukturiert ist wie eine Sprache. Es ist merkwürdig, dass ich über jemand, der strikt nur mit der Sprache spielt, auch sagen kann, dass sein Abonnement auf das Unbewusste gekündigt war, obwohl er sich, unter anderem derjenigen Sprache bedient, die nicht seine ist – denn seine ist ja gerade eine von der Karte ausgelöschte Sprache, nämlich das Gälische, von dem er einige Brocken kannte, hinreichend, um sich zu orientieren, aber nicht viel mehr –, die also nicht seine ist, sondern die der Eindringlinge, der Unterdrücker. Joyce hat gesagt, in Irland habe man einen Herrn und eine Herrin, wobei der Herr das britische Empire sei und die Herrin die katholische apostolische und römische Heilige Kirche und dass beide zur selben Art von Plage gehören.
Zu Lacans bekanntesten Aphorismen gehört „Das Unbewusste ist strukturiert wie eine Sprache“; er übernimmt diese These von Lévi-Strauss, aus dessen Aufsatz Die Wirksamkeit der Symbole (1949) (vgl. hierzu diesen Blogbeitrag).
Über Joyce sagt Lacan gewissermaßen das Gegenteil: Joyce spielt nur mit der Sprache, aber sein Abonnement auf das Unbewusste – das doch wie eine Sprache strukturiert ist – ist gekündigt.
□ Ist das Unbewusste von Joyce eine Ausnahme und nicht wie eine Sprache strukturiert? Oder ist es wie eine Sprache strukturiert und vom Finnegans-Wake-Symptom nur abgekoppelt?
In welcher Beziehung steht Joyce zum Englischen, das er spricht und schreibt? Es ist für ihn eine Sprache der Eroberer; seine eigene Sprache, das Irische, kannte er nur in Brocken, in Resten. Die Sprache der Eindringlinge ist für ihn die Sprache der beiden Herren, die Irland dominieren, des britischen Empire und der katholischen Kirche. Joyce antwortet darauf, indem er mit der Sprache der Eroberer spielt. Wie für Lacan ist für Joyce die Sprache etwas von Außen Kommendes.
□ Quelle für diese Bemerkung von Joyce?
Eben das lässt sich in dem feststellen, was aus Joyce das Symptom macht, das reine Symptom dessen, worum es im Verhältnis zur Sprache geht, insofern man es auf das Symptom reduziert, nämlich auf das, was sie zur Wirkung hat, wenn man diese Wirkung nicht analysiert, ich gehe noch weiter, sofern man es sich versagt, mit irgendwelchen von denjenigen Äquivokationen zu spielen, die bei jedem Beliebigen das Unbewusste in Bewegung versetzen würden.
Dass das Englische für Joyce eine Sprache der Unterdrücker ist, lässt sich in dem feststellen, was aus Joyce das Symptom macht – Lacan kommt auf den Titel des Vortrags zurück. Der Titel wirft die Frage auf: Joyce ist das Symptom von was? Die Antwortet lautet: Joyce ist das Symptom dessen, worum es beim Verhältnis zur Sprache geht. Worum also geht es im Verhältnis zur Sprache?
Lacan präzisiert: Joyce ist das Symptom dessen, worum es beim Verhältnis zur Sprache geht, sofern man die Wirkung der Sprache – das Symptom – nicht analysiert, sofern man die Sprache nicht deutend auf den Sinn bezieht.
Was würde es heißen, die Sprache auf den Sinn zu beziehen? Die Wahrheit lässt sich nur halbsagen, die Sinndeutung erfolgt im Rahmen einer Psychoanalyse dadurch, dass man mit den Äquivokationen spielt, die das Unbewusste in Bewegung versetzen. Als Waffe gegen das Symptom haben wir letztlich nur dies: die Äquivokation, wird er kurz nach diesem Vortrag in Seminar 23, Le sinthome, sagen.38
Zusammen ergibt das vielleicht diesen Zusammenhang: Joyce identifiziert sich mit dem von der Sprache der Eroberer verschonten Brocken, mit dem vom universitären Diskurs ausgeschlossenen Rest. Er vollzieht diese Identifizierung dadurch, dass er ein Schreiben erfindet, in dem der Sinn der Eroberersprache reduziert ist und das Englische nurmehr die Funktion hat, das Genießen von Joyce zu zeigen. Diese Schreibweise ist zugleich eine von Joyce konstruierte Rätselsammlung für Universitätsmenschen. Auf diese Weise verschafft Joyce dem vom Sprachsystem, vom Englischen, vom universitären Diskurs unterdrückten Rest, dem übriggebliebenen Brocken, einen Platz im universitären Diskurs, in der herrschenden Kultur.
Die Lust (jouissance), nicht das Unbewusste
Wenn der Leser fasziniert ist, dann deshalb, weil Joyce schließlich, in Übereinstimmung mit diesem Namen, der auf den von Freud ein Echo gibt39, ein Verhältnis zur joy hat, zur jouissance, zur Lust, wenn er in der englischen lalangue geschrieben wird, weil dieses Verspieltheit, diese Lust das einzige ist, was wir von seinem Text einfangen können.
Das, was der Leser in Finnegans Wake einfangen kann, ist nicht die Verbindung zum Unbewussten und damit nicht die Beziehung zum Sinn. Es ist vielmehr die jouiussance, die Lust von Joyce.
Auf diese Beziehung zur Lust, zur joy, und auf den Namen von Freud, verweist der Name von Joyce: Joyce – joy – Freude – Freud; Ellmann berichtet, dass Joyce dieser Zusammenhang bewusst war.40
Zu Anfang hatte Lacan gesagt, „Joyce das Symptom“ sei als Name von Joyce gemeint; „Joyce das Symptom“ ist der Name, mit dem Lacan Joyce benennt und in dem Joyce sich wiedererkennen würde. Jetzt heißt es, der Name von Joyce verweise auf die Lust. Das heißt vielleicht: Joyce würde sich im Namen „Joyce das Symptom“ deshalb wiedererkennen, weil dieser Name so lautet: „Joyce the Joy“.
Das Englische ist eine lalangue.
„Lalangue“ ist ein Neologismus von Lacan für die Muttersprache im Sinne von: das Sprechen der Mutter, mit dem das Kind konfrontiert ist. Lacan verwendet den Ausdruck „lalangue“ zum ersten Mal am 4. November 1971, im ersten Vortrag einer Vortragsreihe mit dem Titel „Le savoir de l’analyste“ (Das Wissen des Analytikers).41 In Seminar 20 von 1972/73, Encore, sagt er: „Die Sprache (langage) ist eine Elaborat des Wissens (élucubration du savoir) über lalangue.“42 In L’étourdit heißt es: Lalangue ist das „Gesamt der Mehrdeutigkeiten (intégrale des équivokes)43.
Michael Turnheim erläutert den Begriff so, dass es „bei Sprache zunächst weniger um Kommunikation als um Genießen als etwas Ungeregeltem geht. Gemeint ist damit, dass dasjenige, was die Linguistik an Ordnung bezüglich Sprache festzumachen versucht und worin Lacan im Großen und Ganzen lange Zeit größtes Vertrauen gesetzt hat, bereits einer Idealisierung entspricht. In Wirklichkeit haben wir es ursprünglich mit einer Art mehr oder weniger formloser Sprachsuppe namens lalangue zu tun, die von Zweideutigkeiten wimmelt.“44
Das Adjektiv „formlos“ passt allerdings nicht; wenn für Joyce das Englische Lalangue ist, muss Lalange eine bestimmte Form haben, sonst könnte man es von der französischen Lalangue nicht unterscheiden.
Die Zeitschrift Essaim hat dem Thema lalangue ein Heft gewidmet; in der Ankündigung wird „lalangue“ so erläutert: „In einem Wort (so muss man das sagen), lalangue ist die Muttersprache. Sie trägt in sich die ersten Zeugnisse der Stimmübungen zwischen dem Säugling und seiner Mutter. Sie ist sonor und signifikant. Lalangue hat ihren Ursprung im Lallen, im Gesang (und im Feld) der Signifikanten (unübersetzbares Wortspiel: „du chant (et aussi du champ) signifiant“). Die Homophonie nimmt hier einen herausragenden Platz ein, den der Analytiker bei der Deutung später wird nutzen können. Lalangue ist ein neuer Stein, der von Lacan in den Garten seiner Linguisterie gesetzt worden ist, Jungbrunnen der Sprache, in einer alten Diskussion – wie schon in Platons Kratylos – über das Verhältnis zwischen der Arbitrarität und der Ikonizität des Zeichens.“45
Da ist das Symptom. Das Symptom, insofern nichts es mit dem verbindet, was lalangue selbst macht, womit es diese Verwobenheit, diese Streifen, diese Verflechtung der Erde und der Luft stützt, womit er Chamber music eröffnet, sein erstes publiziertes Buch, ein Gedichtband. Das Symptom ist rein das, was durch lalangue bedingt ist, Joyce aber erhebt es in gewisser Weise zur Potenz der Sprache, ohne dass deswegen irgendetwas davon analysierbar wäre; das ist das, was verblüfft und was im wörtlichen Sinne interdit, „untersagt“, in dem Sinne, in dem man sagt: Je reste interdit, mir verschlägt es die Sprache..
Dass man das Wort interdire verwendet, „untersagen“, „verbieten“, um „verblüffen“ zu sagen, „in sprachloses Staunen versetzen“, hat sein volles Gewicht. Das ist das, was die Substanz dessen ausmacht, was Joyce einbringt und wodurch die Literatur nach ihm in gewisser Weise nicht mehr das sein kann, was sie vorher war.
Lacan sagt: Hier ist das Symptom, insofern es durch nichts mit dem verbunden ist, was lalangue selbst macht. Das ergibt für mich keinen Sinn. Ich nehme an, es muss heißen: „Das Symptom, insofern nichts es mit dem verbindet, was la langue selbst macht.“ Damit scheint gemeint zu sein: Das Symptom ist nicht mit dem verbunden, was der junge Joyce geschrieben hat, dessen Gedichte sich ganz auf der Ebene des Sinns bewegen.
Das erste Gedicht von Joyces Gedichtband Chamber music (1907) beginnt so:
Strings in the earth and air
Make music sweet;
Strings by the river where
The willows meet.46
In Lacans Lesart des Gedichts verflechten die Saiten (die Streifen) Erde und Luft miteinander, und er vergleicht die Saiten mit einem Schussfaden. Mit dem Faden könnte die Beziehung zum Sinn gemeint sein, der Sinn als „roter Faden“, wie man im Deutschen sagt.
Lacan sagt: Das Symptom ist rein das, was durch lalangue bedingt ist. An dieser Stelle passt (für mein Verständnis) lalangue zum ersten Mal. Das Symptom ist durch ein Sprechen bedingt, dass nicht auf einer langue beruht, nicht auf einem Sprachsystem, sondern das mit einem Genießen verbunden ist, dessen Sinn reduziert ist.
In Finnegans Wake erhebt Joyce lalangue zur Potenz einer Sprache, einer langage im Sinne einer Einzelsprache, nicht der langue im Sinne eines Sprachsystems. Joyce macht aus lalangue eine Art Idiom, einen Dialekt.
Das, was Joyce in Finnegans Wake schreibt, ist nicht analysierbar, es gibt keinen Zusammenhang zum Symbolischen, zum Unbewussten.
Wodurch wird die Abkoppelung des Symptoms vom Unbewussten herbeigeführt? Die Verbindung des Symptoms mit dem Unbewussten ist interdit, was normalerweise heißt: „verboten“. Hier geht es jedoch nicht um ein von einer Autorität erlassenes Verbot, nicht um Zensur und nicht um Gesetz. Die Beziehung des Symptoms zum Unbewussten ist in der Weise interdit, wie es einem die Sprache verschlägt. Die von Joyce erfundene, auf lalangue aufbauende, Sprache (langage) – die lalangue-langage – verblüfft so, dass einem dies den Zusammenhang zum Unbewussten versperrt. Vielleicht ist auch gemeint: die Versperrung des Zugangs zum Unbewussten erfolgt durch die Überkreuzung unterschiedlicher Signifikantenketten und in diesem Sinne durch inter-diction.
In diesem Sinne also ist Joyce das Symptom:
In Finnegans Wake hat er eine Sprache (langage) mit folgenden Merkmalen erfunden:
– Sie geht aus vom Englischen.
– Sie beruht auf lalangue.
– Der Sinn ist stark reduziert.
– In ihr ist das Genießen von Joyce spürbar.
–– Auf den Bezug zum Genießen verweist auch der Name von Joyce.
– Sie verblüfft so, dass dies den Zugang zum Unbewussten versperrt.
– Sie ist eine Antwort darauf, dass das Englische die Sprache der Eroberer ist.
– Sie ist mit intellektuellen Rätseln verbunden, die dazu dienen, Universitätsmenschen an die Arbeit zu setzen.
□ In welchem Sinne kann die Literatur nach Joyce nicht mehr das sein, was sie vorher war?
Es ist nicht ohne Bedeutung, dass Ulysses etwas Homerisches ansaugt, obwohl es zwischen dem, was im Ulysses geschieht, und dem, worum es in der Odyssee geht, nicht die geringste Beziehung gibt, auch wenn Joyce die Kommentatoren auf dieses Gebiet gelockt hat. Stephen Dedaus an Telemachos anzugleichen … Man zerbricht sich den Kopf, um den Focus des Kommentars auf die Odyssee zu richten. Und wie kann man behaupten, Bloom sei auf irgendeine Weise für Stephen – der mit ihm nichts zu tun hat, außer dass er ihm von Zeit zu Zeit in Dublin über den Weg läuft – der Vater? Doch nur deshalb, weil bereits Joyce zeigt und durchaus darauf hinweist, dass die gesamte psychische Realität, d.h. das Symptom, letztlich von einer Struktur abhängt, in der der Name-des-Vaters ein unbedingtes Element ist.
Lacan wechselt von Finnegans Wake zu Ulysses, also zu einem Werk, von dem wir nicht wissen, ob es für Lacan ein Symptom bzw. ein Sinthom darstellt.
Der Roman hat etwas Homerisches, und dies, obwohl die von Joyce und den Kommentatoren bemühten Bezüge zur Odyssee in die Irre führen. Der homerische Charakter des Romans hat mit der Beziehung zum Vater zu tun. Offenbar denkt Lacan hier an die Beziehung von Telemachos zu seinem Vater Odysseus in der Odyssee, vielleicht auch an die von Hektor und Paris zu ihrem Vater Priamos in der Ilias. Das Verhältnis zur Vaterschaft ist nicht auf der Ebene der Ähnlichkeit der Figuren anzusiedeln, vielmehr geht es um den Signifikanten der Vaterschaft, um den Namen-des-Vaters.
Um es festzuhalten: Finnegans Wake ist ein Symptom, das vom Unbewussten abgekoppelt ist; die entscheidende soziale Beziehung ist die der Zwillinge Shem/Symptom und Shaun/Symbolisches. In Ulysses geht es um den Namen-des-Vaters. Der Name-des-Vaters gehört für Lacan in denselben Zusammenhang wie das Symptoms.
□ Ist gemeint: Finnegans Wake ist ein Symptom, das vom Unbewussten getrennt ist, in Ulysses geht es um den Namen-des-Vaters und damit um das Symptom, das mit dem Unbewussten verbunden ist?
Lacan setzt den Namen-des-Vaters in Beziehung zur psychischen Realität und zum Symptom. In Seminar 22, RSI, werden die psychische Realität, das Symptom und der Namen-des-Vaters als Aspekte ein und desselben Zusammenhangs dargestellt.
Der Name-des-Vaters ist, in Freudscher Begrifflichkeit, die Stütze für das Verbot, das die Triebverdrängung bewirkt, das Symptom ist die Wiederkehr des Verdrängten, die Ersatzbefriedigung. Insofern stehen Name-des-Vaters und Symptom in einem Zusammenhang.
Das Symptom gehört zu einer Struktur, in welcher der Name-des-Vaters ein unbedingtes Element ist, eine Größe, die nicht durch andere Größen bedingt ist, die nicht von anderen Größen abgeleitet werden kann, ähnlich einem Axiom in der Mathematik oder einem Grundsatz in der Metaphysik.
Damit leitet Lacan zum borromäischen Knoten über.
Der borromäische Vater
Der Vater als Name und als derjenige, der benennt, das ist nicht das Gleiche.
Beim Vater muss man unterscheiden: den Vater als Namen, also den Namen-des-Vaters, und den Vater als Benennenden, auch dies war ein Thema von Seminar 22, RSI.
Auf den Benennungsvorgang bezieht sich bereits der Titel dieses Vortrags: „Joyce das Symptom“ ist der Name, den Lacan Joyce verleiht. Lacan inszeniert sich als Benennenden – als benennenden Vater?
□ Warum verweist Lacan an dieser Stelle auf den Unterschied zwischen dem Namen-des-Vaters und dem Vater als Benennenden?
□ Wo wird im borromäischen Viererknoten der Vater als Benennender verortet, ebenfalls im vierten Ring?
Der Vater ist dieses vierte Element – ich erwähnte hier etwas, worüber nur ein Teil meiner Zuhörer zu einem Urteil gekommen sein kann –, dieses vierte Element, ohne das im Knoten des Symbolischen, des Imaginären und des Realen nichts möglich ist.
Borromäischer Verkettung von vier Ringen47
In einem borromäischen Knoten aus vier Ringen ist der Vater bzw. das Symptom (Σ) der vierte Ring, der die drei anderen Ringe – das Symbolische (S), das Imaginäre (I) und das Reale (R) – auf borromäische Weise miteinander verschlingt, also derart, dass die Ringe zusammenhalten und dass sie dann auseinanderfallen, wenn ein beliebiger Ring aufgelöst wird.
Vom borromäischen Knoten spricht Lacan zum ersten Mal in Seminar 19 von 1971/72, … oder schlimmer. Der Vater als vierter Ring in einem borromäischen Viererknoten ist ein Thema des zum Zeitpunkt des Vortrags gerade abgeschlossenen Seminars 22 von 1974/75, RSI. Die psychische Realität, das Symptom und der Vaters gehören zum vierten Ring eines borromäischen Knotens aus vier Ringen.
Es gibt jedoch noch eine andere Weise, das zu benennen, und das stülpe ich heute dem über, was den Namen-des-Vaters ausmacht, im Maße, in dem Joyce davon zeugt, das nämlich, was man das Sinthom nennen sollte.
Der vierte Ring im borromäischen Knoten ist nicht nur der Vater – Lacan präzisiert hier, dass im vorangehenden Satz mit „Vater“ der Name-des-Vaters gemeint war.
Der vierte Ring kann auch als der des Sinthoms benannt werden.
Lacan betont, dass es sich bei der Verwendung des Ausdrucks „Sinthom“ um einen Benennungsvorgang handelt – Lacan interveniert ein zweites Mal als benennender Vater, das erste Mal mit der Benennung von Joyce als „Joyce das Symptom“.
Auf das Sinthom hatte Lacan bereits zu Beginn des Vortrags verwiesen: dies ist die ältere, latinisierende Schreibweise für das Symptom. Er hatte dort auch auf die Lautähnlichkeit von Sinthom und saint homme aufmerksam gemacht, heiliger Mann/Mensch, und dabei an Television erinnert, wo er den Analytiker als Heiligen bezeichnet, als Heiligen im Sinne des Auswurfs.
Allerdings darf man die Verwendung von „Sinthom“ statt „Symptom“ nicht zu sehr belasten. Der Vortrag beruht auf einer Mitschrift, und bei symptôme/sinthome kann es Hörfehler geben, ähnlich wie bei la langue / lalangue. Auf Tonbandaufnahmen von Seminar 23 ist der Unterschied von „symptôme“ und „sinthome“ jedoch gut zu hören – aufgrund von Eigenarten von Lacans Aussprache, die extrem deutlich ist. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass die Mitschrift – offenbar eine Stenographie – den Wechsel zwischen „symptôme“ und „sinthome“ genau wiedergibt.
Insofern das Unbewusste mit dem Sinthom verknotet ist – mit dem, was es bei jedem Individuum an Einzigartigem gibt –, kann man sagen, dass Joyce, wie irgendwo geschrieben wurde, sich mit dem individual identifiziert. Er ist derjenige, der sich dadurch auszeichnet, am äußersten Punkt gewesen zu sein, um in sich das Symptom zu verkörpern, das, wodurch er jedem möglichen Tod entgeht, da er sich auf eine Struktur reduziert hat, die eben die des lom ist, wenn Sie mir erlauben, das ganz einfach mit einem l, o, m zu schreiben.
Das Unbewusste kann mit dem Sinthom verknotet sein, der Ring des Symbolischen mit dem des Sinthoms oder Symptoms. In Finnegans Wake ist es allerdings anders. Wenn das Sinthom mit dem Unbewussten verknotet ist, ist das Sinthom deutbar, es ist ein „Sinnthom“, wie man im Deutschen sagen könnte.
Das Sinthom ist das, was es bei jedem Individuum an Einzigartigem gibt. Das Sinthom ist das, was sich dem Allgemeinen, der symbolischen Ordnung entzieht, in der Sprache von Adorno: das Sinthom ist das Nichtidentische.
In Seminar 3 von 1955/56, Die Psychosen, heißt es:
„Es gibt tatsächlich etwas dem Signifikanten in radikaler Weise nicht Assimilierbares. Das ist ganz einfach die singuläre Existenz des Subjekts. Warum ist es da? Woraus ist es hervorgegangen? Was macht es da? Warum wird es verschwinden? Der Signifikant ist außerstande, ihm die Antwort zu geben, aus dem einfachen Grund, daß er es ja gerade jenseits des Todes versetzt. Der Signifikant betrachtet es schon als tot, er macht es seinem Wesen nach unsterblich.“48
Joyce verkörpert das Symptom; zu beachten ist, dass die Schreibweise hier von „Sinthom“ zu „Symptom“ wechselt.
Insofern Joyce das Symptom verkörpert, identifiziert er sich mit dem Individuum. Gemeint ist nicht das Individuum im Sinne des Unteilbaren, sondern das Individuum im Sinne des Einzigartigen. Joyce verkörpert das Singläre, das an den Signifikanten nicht assimiliert werden kann.
Joyce identifiziert sich mit dem Einzigartigen, insofern das Unbewusste mit dem Sinthom verknotet ist – ist gemeint: insofern er das Abonnement auf das Unbewusste nicht gekündigt hat? Ist gemeint: Sofern sich Joyce mit dem Einzigartigen identifiziert, ist er im Sinne der Psychoanalyse analysierbar?
Wie kam es dazu, dass Joyce sich mit dem Einzigartigen identifizierte? Er war an einem äußersten Punkt; offenbar macht Lacan hier eine biographische Anspielung auf eine Grenzerfahrung (wie Jaspers sagen würde). Möglicherweise bezieht er sich auf die Todeserfahrung, von der Jacques Aubert berichtet, auf einen Vorlauf zum Tode (wie man mit Heidegger sagen kann). 1906/07 lebt Joyce acht Monate lang in Rom; in den Kirchen der Stadt denkt er über die toten Christen nach, die ihn auf die tödliche Lähmung von Dublin verweisen, in der er selbst feststeckt.49 In diese Richtung deuten vielleicht auch die Anspielungen auf den „Ganz-Verfaulten in Abrahams Schoß“ zu Beginn des Vortrags sowie der Hinweis auf den Heiligen als Auswurf.
Diese Grenzerfahrung ermöglicht es Joyce, das Symptom zu verkörpern.
□ Inwiefern ermöglicht es eine Grenzerfahrung, das Symptom zu verkörpern? Aufgrund des Zusammenbruchs eines Phantasmas?
Dadurch, dass er sich mit dem Einzigartigen identifiziert, dadurch, dass er das Symptom verkörpert, entgeht er jedem möglichen Tod. In Seminar 3 hieß es: Der Signifikant betrachtet das Subjekt als schon tot und macht es dadurch unsterblich. Diese Dialektik von Tod und Ewigkeit wird hier, statt auf den Signifikanten, auf das Symptom bezogen. Dadurch, dass Joy00ce am „äußersten Punkt“ gewesen ist, entgeht er dem Tod.
Joyce ist also ein anderer Heiliger (sinthome/saint-homme) als Freud in Jones’ Hagiographie. Freud erscheint bei Jones als Heiliger im Sinne des Ichideals, Joyce identifiziert sich mit dem durch die Idealbildung erzeugten Rest.
Joyce reduziert sich auf die Struktur des lom. Als Wort ausgesprochen, hört man das französische Wort l’homme, „der Mensch“, „der Mann“, aber Lacan buchstabiert das Wort, l, o, m, damit man hört, worauf er anspielt: el-o-em, das ist der hebräische Gottesname „Elohim“. Joyce reduziert sic□h auf die Struktur des Gottes.
□ Was hängen diese Bestimmungen zusammen?
(a) Joyce identifiziert sich mit dem Individuum als dem Einzigartigen.
(b) Joyce ist am äußersten Punkt gewesen, um das Symptom zu verkörpern, durch das er jedem möglichen Tod entgeht.
(c) Joyce hat sich auf die Struktur des l, o, m, reduziert, des Elohim, des Gottes.
Auf diese Weise zirkuliert er als etwas, was für eine gewisse Anzahl von Übungen einen Schlusspunkt setzt. Er setzt einen Endpunkt. Aber wie soll man den Sinn dieses „Endpunkts“ verstehen?
Lacan kommt auf den Beginn des Vortrags zurück, wo er gesagt hatte, dass Finnegans Wake dem Werk ein Ende gesetzt hat, weil es nicht besser gemacht werden kann. Joyce ist nicht der Nullpunkt der Literatur, sondern ein Schlusspunkt, insofern, als er einer bestimmten Zahl von literarischen Praktiken ein Ende setzt.
Für welche literarischen Praktiken setzt Joyce mit Finnegans Wake einen Schlusspunkt? Die Frage, wie man den „Sinn“ dieses Endpunkts verstehen soll, deutet vielleicht an, dass Joyce denjenigen literarischen Praktiken ein Ende gesetzt hat, die sich auf den Sinn beziehen.
Es ist verblüffend, dass Clive Hart das Zyklische und das Kreuz hervorhebt, als das, woran Joyce sich wesentlich bindet. Einige unter Ihnen wissen, dass ich mit diesem Kreis und diesem Kreuz den borromäischen Knoten zeichne.
Das, woran Joyce sich – Clive Hart zufolge – in Finnegans Wake letztlich bindet, sind Kreis und Kreuz. Man beachte hierzu auch das aus Überkreuzungen und Kreisen bestehende Diagramm von Laszlo Moholy-Nagy zu Finnegans Wake aus dem Jahr 1946.
Aus Kreisen und Kreuzen besteht auch der borromäische Knoten: aus Fadenringen, die von Lacan als Kreise dargestellt werden, sowie aus Überkreuzungspunkten; sie sind so gezeichnet, dass erkennbar ist, welche Linie überkreuzt und welche unterkreuzt, sodass die Art der Knotenverschlingung rekonstruiert werden kann.
Lacan zeichnet eine borromäische Verschlingung aus drei Ringen auch in der Weise, dass er zwei der Ringe durch unendliche Geraden repräsentiert (sie berühren sich im Unendlichen und sind insofern einem Kreis verwandt). Das ergibt dann ein Diagramm aus einem Kreuz und einem Kreis (siehe oben); zuerst in Seminar 22 von 1974/75, RSI, in der Sitzung vom 10. Dezember 1974, also ein halbes Jahr vor diesem Vortrag.50
Der Endpunkt, den Joyce setzt, steht offenbar in Beziehung zum borromäischen Knoten.
In Seminar 22 hatte sich Lacan zu Kugel und Kreuz bei James Joyce geäußert (Sitzung vom 8. April 1975). Die Kugel wurde hier dem Imaginären zugeordnet. Anschließend hatte er dort gezeigt, wie sich eine Verbindung von Kreis und Kreuz in vier Schritten in einen borromäischen Knoten verwandeln lässt. Im ersten Schritt wird ein Kreuz – ein Pluszeichen – in einen Kreis eingetragen (Abbildung oben). Im zweiten Schritt werden die Enden des Kreuzes verlängert und an allen Überkreuzungen werden Über- und Unterführungen festgelegt (Abbildung rechts). Drittens werden die Geraden als unendliche Gerade definiert. Im vierten Schritt wird festgelegt, dass der Raum derjenige der projektiven Geometrie ist; dies hat zur Folge, dass sich die unendlichen Geraden an ihren „Endpunkten“ berühren. Das Gebilde, das sich auf diese Weise ergibt, ist ein borromäischer Knoten.
Joyce darüber zu befragen, was dieser Knoten hervorbringt, nämlich die Ambiguität von drei und vier, nämlich das, woran er haften blieb, woran er gebunden blieb: an die Befragung von Vico, an schlimmere Sachen, an das Gespräch mit den Geistern, das Atherton übrigens unter der allgemeinen Rubrik des spiritualism einordnet, was mich erstaunt, denn ich habe das bis jetzt spiritisme genannt. Es ist sicherlich überraschend zu sehen, dass dies in Finnegans bei Gelegenheit als Symptom seinen Beitrag leistet, wie ich annehme.
Lacan stellt das Feld der Psychoanalyse sowohl durch eine borromäische Verschlingung aus drei Ringen dar wie auch durch eine borromäische Verschlingung aus vier Ringen. In Seminar 22, RSI, stellt er sich die Frage: ist das Subjekt durch eine Dreier- oder eine Viererverschlingung darzustellen? Die Dreierverschlingung besteht aus den Ringen des Realen, des Symbolischen und des Imaginären; in der Viererverschlingung ist der vierte Ring der des Symptoms bzw. des Namens-des-Vaters. Die Frage lautet dort: Kann das Subjekt ohne den vierten Ring zusammenhalten, ohne Name-des-Vaters und Symptom. Das ist, so nehme ich an, die Ambiguität von drei und vier, auf die Lacan sich hier bezieht.
Ich vermute, dass der borromäische Dreierknoten für das Subjekt ohne Neurose steht, für den idealen Zielpunkt der Psychoanalyse, und dass die Frage darin besteht, ob dieses Ideal erreicht werden kann. Der borromäische Viererknoten wäre dann das Subjekt mit Neurose, d.h. mit verdrängender Instanz (gestützt auf den Namen-des-Vaters) und Wiederkehr des Verdrängten (Symptom) in der Funktion, alles zusammenzuhalten; vgl. diesen Blogbeitrag.
Die Ambivalenz zwischen der Dreier- und der Viererverschlingung ist auf Joyce zu beziehen, und zwar speziell darauf, dass Joyces an Vico gebunden war und dass er an Geister glaubte.
Joyce schätzte Vicos Verwendung von Etymologie und Mythologie zur Aufdeckung der Bedeutung von Ereignissen und bewunderte Vicos Einteilung der Menschheitsgeschichte in wiederkehrende Zyklen, das theokratische, das aristokratische und das demokratische Zeitalter.51
Atherton spricht von Joyces spiritualism, dem englischen Wort für Geisterglaube. Lacan wundert das, da im Französischen Geisterglaube spiritisme heißt und spritualisme etwas anderes meint, nämlich Philosophie des Geistes.
Der Geisterglaube und der Bezug zu Vico tragen in Finnegans Wake zur Kategorie des Symptoms bei. Der Komplex Vico/Geisterglaube gehört also zum vierten Ring.
□ Ist gemeint: Insofern es in Finnegans Wake auch um Vico-Spekulationen und Geisterglaube geht, muss man Finnegans Wake nicht durch drei, sondern durch vier vierten Ring charakterisieren?
□ Ist gemeint: die beiden Elemente Vico-Bindung und Spiritualismus lassen sich in Finnegans Wake deuten, hier ist das Unbewusste nicht vom Symptom abgekoppelt?
Das ist nicht alles, denn es ist schwierig, nicht jene Fiktion zu berücksichtigen, die man in die Rubrik der Initiation einordnen kann. Worin besteht das, was in diesem Register und unter diesem Ausdruck zirkuliert? Wie viele Vereine, die sich mit Flaggen bewaffnen, deren Bedeutung sie nicht verstehen? Dass Joyce sich an Isis Unveiled von Madame Blavatsky ergötzt hat, ist eine Sache, die ich bei Atherton erfahre und die mich verblüfft. Die Form geistiger Debilität, die jegliche Initiation mit sich bringt, ist das, was mir als erstes auffällt und lässt mich das vielleicht unterschätzen. Dazu ist zu sagen, dass ich, kurz nach der Zeit, als ich, dem Himmel sei Dank, Joyce begegnet war, einen gewissen René Guénon aufgesucht habe, der nicht mehr wert war als das, was es in Sachen Initiation an Schlimmstem gibt.
Man muss außerdem das Verhältnis von Joyce zur Initiation berücksichtigen.
Unter „Initiation“ versteht Lacan eine symbolische Praxis, durch die die Antriebsstruktur der Menschen so umgeformt wird, dass sie zu Männern und Frauen werden, dass sie wissen, wie sie sich als Männer zu Frauen und als Frauen zu Männern zu verhalten haben.
In Seminar 6 von 1958/59, Das Begehren und seine Deutung, heißt es:
„Die Initiationsrituale nehmen die Form an, den Sinn / die Richtung dieser Begierden zu verändern, ihnen genau von da an eine Funktion zu geben, in der das Sein des Subjekts als solches identifiziert wird, bezeichnet wird, in der es, wenn man so sagen kann, im vollen Sinne Mann wird, aber auch Frau, wo die Verstümmelung dazu dient, das Begehren zu orientieren, es dazu zu bringen, genau diese Funktion des Index anzunehmen, von etwas, was realisiert wird und sich nur artikulieren kann, sich nur ausdrücken kann in einem symbolischen Jenseits, in einem Jenseits, welches das ist, was wir heute das Sein nennen, eine Realisierung des Seins im Subjekt.„52
In Radiophonie (1970) schreibt Lacan:
„Die Liebhaber von Initiation sind nicht unsere Gäste. Freud spaßte darüber nicht. Er brachte das Anathema des Ekels gegen diese Hexereien vor und verstand nicht, daß Jung uns nur wieder mit Arien von Mandalas in den Ohren lag.
Das wird nicht hindern, daß Ämter zelebriert werden mit Kissen für unsere Knie, doch das Unbewußte würde dazu nur wenig dezente Lacher beisteuern.“53
Für Lacan gilt: Es gibt keine Initiation mehr. In Seminar 21 von 1973/74, Les non-dupes errent, wird diese These ausgeführt.54 Hier heißt es: Die Initiation bezieht sich auf das Genießen und ist, mit einem Ausdruck von Marcel Mauss, mit bestimmten „Körpertechniken“ verbunden; sie ist gewissermaßen eine Wissenschaft des Genießens. In der Antike hat es eine solche Initiation gegeben, nämlich in Gestalt der Mysterienkulte. Heute ist die Initiation verschwunden; von ihr gibt es nur noch Trümmer in Gestalt des Okkultismus.
Die These vom Verschwinden der Initiation zielt vermutlich kritisch auf Bruno Bettelheims Buch Symbolische Wunden von 1954, in dem Bettelheim die gegenteilige Auffassung vertritt: Bettelheim zufolge sind Initiationsrituale weiterhin auf der ganzen Welt lebendig.55
„Es gibt keine Initiation“ meint außerdem, so erläutert Lacan in Seminar 21, dass der Sinn immer verschleiert ist – vom Sinn habe man nichts als den Schleier. Er verweist hierzu auf die Etymologie des lateinischen Worts nuptiae (Hochzeit, Beischlaf): nuptiae geht zurück auf nubes (Wolke, Schleier). In dem 1974 veröffentlichten Vorwort zu Frank Wedekinds Frühlingserwachen schreibt Lacan: „Dass der gelüftete Schleier nichts zeigt, dies ist das Prinzip der Initiation (in die guten Sitten der Gesellschaft, zumindest).“56
Über die Initiation hatte sich Lacan bereits in früheren Seminaren geäußert. In primitiven Gesellschaften, so sagt er dort, werden die natürlichen Begierden durch das Initiationsritual so umgeformt, dass sie einen neuen Sinn erhalten, eine neue Richtung, sodass die Menschen sich als Frauen oder als Männer identifizieren.57 Dabei wird der Phallus als letzter Sinn angesehen; in den griechischen Mysterien ging es letztlich darum, den Schleier zu lüften, mit dem die Phallus-Statue bedeckt war.58
Das Verhältnis von Joyce zur Initiation besteht darin, dass ihm ein Schlüsselwerk der Theosophie gefiel, das Buch von Helena Petrovna Blavatsky, Isis unveiled. A master-key to the mysteries of ancient and modern science and theology. New York 1877.
Das Verhältnis von Joyce zur Theorie zeigt also, in den Augen von Lacan, dass Joyce daran glaubte, es gebe ein Geschlechtsverhältnis, es gebe eine symbolische Lösung des Problems, was es heißt, ein Mann in Bezug auf eine Frau und eine Frau in Bezug auf einen Mann zu sein, was für Lacan eine Form der geistigen Debilität ist.
Dass Joyce mit Vergnügen Madame Blavatsky las, hat Lacan verblüfft, anders gesagt: hier meldete sich bei Lacan das Unbewusste.
Zur Erläuterung seiner Reaktion verweist er auf einen autobiographisches Detail: der junge Lacan interessierte sich für Initiation; er suchte hierzu René Guénon auf, einen Philosophen, der von 1886 bis 1951 lebte und manchmal als spiritualiste bezeichnet wird.
Hi han a pas [y en a pas (’s gibt kein) + hi han (I-Ah)], zu schreiben wie der Schrei des Esels, auf den Joyce anspielt als zentralen Punkt der vier Begriffe Norden, Süden, Osten und Westen, als Kreuzungspunkt des Kreuzes – das wird von einem Esel gestützt, Joyce hat das, weiß Gott, in Finnegans dargelegt.
□ Der Sinn dieser Passage ist mir nicht klar.
– „Es gibt keine“: Anspielung auf das Nichtsein?
– I-Ah: Signifikantenopposition?
– Kreuzungspunkt des Kreuzes: das bezieht sich wieder auf die Überkreuzungsstellen des borromäischen Knotens.
Geht es um den Seinsmangel, hervorgerufen durch den Signifikanten?
□ Wo bezieht Joyce sich in Finnegans Wake auf den Esel als denjenigen, der den Kreuzungspunkt des Kreuzes stützt?
Aber wie könnte man denn Finnegans, diesen Traum, als fini bezeichnen, als abgeschlossen, da sich doch schon sein letztes Wort nur mit dem ersten verbinden lässt, wobei das the, mit dem er endet, sich mit dem riverrun verknüpft, mit dem er beginnt, was auf das Zirkuläre verweist – ? Um es ganz klar zu sagen, wie konnte Joyce derart das verfehlen, was ich gegenwärtig vom Knoten einführe?
Lacan kommt auf den Anfang seines Vortrags zurück: Finnegans Wake ist der Traum, den Joyce hinterlässt und der einen Endpunkt setzt, wobei die Frage ist: Ein Endpunkt wofür?
Er macht darauf aufmerksam, dass die Rede, Finnegans Wake setze einen Endpunkt, problematisch ist. Damit wird die Topik einer offenen Kurve unterstellt, während Joyce sich bei der Architektur von Finnegans Wake am Kreis orientiert. Der Roman ist kreisförmig konstruiert: der letzte Satz bricht in der Mitte ab, bei the, und wird mit dem ersten Satz des Romans fortgesetzt, mit riverrun.
Mit dieser Struktur verfehlt Joyce die Struktur des Knotens.
□ Ist gemeint: Die kreisförmige Struktur verweist bei Joyce auf die Kugel, auf das Imaginäre und verfehlt damit die Struktur des Knotens insofern, als diese darauf abzielt, die Bindung an das Imaginäre möglichst weit zurückzudrängen?
□ Wie ironisch ist der Satz „Wie konnte Joyce nur die Struktur des Knotens verfehlen?“?
Damit führe ich etwas Neues ein, das nicht nur von der Begrenzung des Symptoms Rechenschaft ablegt, sondern auch von dem, was bewirkt, dass das Symptom seine Grenzen daher hat, dass es mit dem Körper verknpüft ist, d.h. mit dem Imaginären, dass es auch mit dem Realen verknüpft ist und als Drittes mit dem Unbewussten. Von einem Knoten kann man deshalb sprechen, weil es auf seine Grenzen trifft, von einem Knoten, der sicherlich etwas ist, das zerknautscht werden und die Form eines Knäuels annehmen kann, das aber, einmal entfaltet, seine Form bewahrt, seine Form als Knoten, und damit seine Ex-sistenz.
Mit dem Knoten führt Lacan etwas Neues ein. Die Neuheit des Knotens hat mit den Grenzen des Symptoms zu tun, und zwar so, dass Lacan nicht nur sagt, dass das Symptom begrenzt ist, sondern dass er angibt, worin genau die Grenzen des Symptoms bestehen.
Das Neue besteht in der These, dass das Symptom auf drei Grenzen trifft:
– auf das Imaginäre des Körpers,
– auf das Reale,
– auf das Unbewusste.
Das Symptom grenzt an das Imaginäre des Körpers: es stellt sich als Eingegrenztes dar, als ein Fremdkörper, als ein Parasit, bezogen auf den imaginären Körper, als etwas, was die Ganzheit des Körpers unterbricht.
Das Symptom grenzt an das Reale: insofern es der Deutung Widerstand leistet und mit Genießen verbunden ist, in Freuds Begrifflichkeit: mit einem „Lustgewinn“.
Das Symptom grenzt an das Unbewusste – und damit an das Symbolische –, insofern es einen verborgenen Sinn hat.
Der Knoten kann zerknautscht werden: Topologen interessieren sich für die Strukturen, die beim Zerknautschen und Entfalten – bei Verformung – erhalten bleiben.
Die vier Ringe bilden füreinander Grenzen, sie stoßen gegeneinander; in der Sprache der Knotentheoretiker: sie durchdringen sich nicht. Die Grenze, die die Ringe füreinander bilden, besteht nicht nur darin, dass sie sich nicht durchdringen, sondern auch darin, dass sie, obwohl einander äußerlich, dennoch miteinander verschlungen sind. Der Ring des Symptoms stößt an die Ringe des Imaginären, des Realen und des Symbolischen als Grenzen, mit denen er zugleich verknüpft ist.
Lacan nennt die Nicht-Durchdringung der Fadenringe ihre „Ex-sistenz“, ihr Einander-Äußerlich-Sein, durch das sie ihre Form bewahren, durch das sie zusammenhalten.
Ich werde mir erlauben, dies in den Gang des nächsten Jahres einzuführen, wobei ich mich unter anderem auf Joyce stützen werde.
Lacan bezieht sich hier auf das kommende Seminar von 1975/76, Le sinthome. In diesem Seminar geht es um den borromäischen Knoten aus vier Ringen, wobei der vierte Ring für das Symptom steht bzw. für das Sinthom; eines der Hauptthemen ist Joyce.
Verwandte Beiträge
- Jacques Lacan: Joyce das Symptom (I) (Übersetzung)
- Jacques Lacan: Joyce das Symptom (II) (Übersetzung)
- Kommentar zu Lacans Seminar 23, Das Sinthom
Anmerkungen
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Joyce le symptôme I erschien außerdem in:
– Jacques Aubert (Hg.): Joyce avec Lacan. Navarin, Paris 1987, S. 21–30,
– Jacques Lacan: Seminar 23, Version Miller 2005, S. 161–169 (ohne den Zusatz „I“ im Titel),
– im Internet auf der Seite der École lacanienne de psychanalyse. -
Vgl. J. Lacan: Das Seminar über E.A. Poes ‚Der entwendete Brief‘, in: Ders.: Schriften I, hg. v. N. Haas, S. 24.
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J. Lacan: Autres écrits. Paris 2001, S. 11; die Einfügungen in runden Klammern sind von Lacan.
In einer etwas anderen Fassung hatte Lacan Lituraterre zuerst in Seminar 18 von 1971 vorgetragen, D’un discours qui ne serait pas du semblant, in der Sitzung vom 12. Mai 1971; vgl. Version Miller, S. 113.
Im ersten Satz bezieht Lacan sich auf : Alfred Ernout, Alfred Meillet: Dictionnaire étymologique de la lange latine. Histoire des mots, erste Auflage 1932.
Die Mäzenin, die Joyce anbietet, eine Psychoanalyse bei Jung zu finanzieren, ist Edith Rockefeller McCormick, vgl. Richard Ellmann: James Joyce. Zweiter Band. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1979, S. 713 f.
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Seminar 20, Sitzung vom 9. Januar 1973, Version Miller/Haas u.a., S. 41.
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Jacques Aubert (Hg.): Joyce avec Lacan. Navarin, Paris 1987.
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Die Gleichsetzung von petit homme und Phallus findet man bei Ernest Jones, sie wird von Lacan in seinem Jones-Aufsatz aufgegriffen. Vgl. E. Jones: Die Theorie der Symbolik. In: Ders.: Die Theorie der Symbolik und andere Aufsätze. Ullstein, Frankfurt/M. u.a. 1958, S. 57, 63 f.; J. Lacan: À la mémoire de Ernest Jones. Sur sa théorie du symbolisme. In: Écrits 1966, S. 697–717, hier: S. 715.
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Vgl. J. Lacan: Television (1973). In: Ders.: Radiophonie. Television. Quadriga, Weinheim u.a. 1988, S. 55–95, zum Heiligen: S. 70–72.
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In: Wegmarken. Klostermann, Frankfurt am Main 1976 (GA 9), S. 201 f. Aufsatz von etwa 1930, der 1943 veröffentlicht wurde; die Schreibweise „Seyn“ findet sich in einem Zusatz von 1949.
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Vgl. Jacques Aubert: Anmerkungen. In: J. Lacan: Das Sinthom. Das Seminar, Buch XXIII. 1975–1976. Texterstellung durch Jacques-Alain Miller. Übersetzt von Miriam Mitelman und Harold Dielmann. Turia und Kant, Wien 2017, S. 214–225, hier: S. 224.
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Vgl. Michel Bousseyroux: Le noeud borroméen et la question de la folie. Ce qui s’apprend de Joyce. In: L’en-je lacanien, 2014/2 (Nr. 23), S. 75–84, im Internet hier.
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Vgl. Aristoteles: Physik. Übersetzt von Hans Günter Zekl. Meiner, Hamburg 1987, Buch II, Kapitel 4 bis 6.
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S. Freud: Jenseits des Lustprinzips (1920). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 3. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 233.
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Zur Überraschung vgl. Seminar 4, Version Miller/Gondek, S. 320 f.; Remarque sur le rapport de Daniel Lagache, in: Écrits 1966, S. 669 (die Übersetzung findet man hier).
In Seminar 9 heißt es:
„Man muss sagen, dass es auch eine Erfahrungstatsache ist, deren Frische, wenn man so sagen kann, wir verloren haben (…), diese Frische, die dem entspricht, was ich die Schockwirkung, die Überraschungswirkung genannt habe, wie sie von Freud selbst definiert worden ist als kennzeichnend für dieses Auftauchen von Beziehungen des Unbewussten.“
(Version Staferla, 13. Dezember 1961, meine Übersetzung)
Für den Zusammenhang von Unbewusstem und Überraschung verweist Lacan, außer auf Freud, auf Theodor Reik, Listening with the third ear (1948). (dt.: Hören mit dem dritten Ohr. Klotz, Eschborn bei Frankfurt am Main, 3. Auflage 2007), vgl. Seminar 11, Version Miller/Haas, S. 31. Zu ergänzen wäre: Th. Reik: Der überraschte Psychologe. Über Erraten und Verstehen unbewußter Vorgänge. A.W. Sijthoff’s Uitgeversmaatschappij, Leiden 1935.
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Richard Ellmann: James Joyce. (Vermutlich: Revidierte und ergänzte Ausgabe, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1996 (?), S. 1033).
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J. Lacan: Lituraterre. In: Ders.: Autres écrits. Le Seuil, Paris 2001, S. 11. In Seminar 18 liest Lacan diesen Aufsatz mit der entsprechenden Bemerkung vor, vgl. Seminar 18, Version Miller, S. 113.
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E. Jones: Sigmund Freud, life and work. 3 Bde. Hogarth, London 1953–1957. Vollständige deutsche Übersetzung: Das Leben und Werk von Sigmund Freud. 3 Bde. Übers. v. Katherine Jones und Gertrud Meili-Doretzki. Huber, Bern 1960–1962. Ein Nachdruck dieser Übersetzung erschien 1984 bei dtv, München, mit verändertem Titel: Sigmund Freud. Leben und Werk.
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Vgl. Geneviève Morels Erläuterung von Joyce das Symptom I in: Dies.: La loi de la mère. Essai sur le sinthome sexuel. Economica, Anthropos, Paris 2008, S. 84–86.
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Vgl. E. Jones: Die Theorie der Symbolik (1916). In: Ders.: Die Theorie der Symbolik und andere Aufsätze. Ullstein, Frankfurt am Main u.a. 1978, S. 50–114. Hierzu J. Lacan: Funktion und Feld des Sprechens und der Sprache in der Psychoanalyse (Vortrag von 1953, veröffentlicht 1956, überarbeitet 1966). In: Schriften II, S. 137 f.
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À la mémoire d’Ernest Jones: Sur sa théorie du symbolisme, a.a.O.
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J. Joyce: Ulysses. Übersetzt von Hans Wollschläger. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1979, S. 338.
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Á la mémoire de Ernest Jones, a.a.O., S. 699.
Zur „jüdischen Spezifik“ verweist Lacan in einer Anmerkung auf eine Passage in einem Brief von Ferenczi vom 6. August 1912, abgedruckt in: Ernest Jones: Sigmund Freud. Leben und Werk. Bd. 2. Kapitel VI. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1984, S. 187.
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À la mémoire de Ernest Jones, a.a.O., S. 703 f., meine Übersetzung.
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Vgl. Jean-Paul Sartre: Das Sein und das Nichts, 4. Teil, 2. Kapitel, I. Die existentielle Psychoanalyse.
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Carl Gustav Jung: Ulysses. Ein Monolog. In: Ders.: Wirklichkeit der Seele. Rascher, Zürich 1934, S. 132–169, hier: S. 136 und 156 (auch in: C. G. Jung: Über das Phänomen des Geistes in Kunst und Wissenschaft. Gesammelte Werke, Bd. 15. Walter-Verlag, Olten 1971, S. 121–149, im Internet hier). Nach: Michael Turnheim: Lacans sinthome. In: Ders.: Mit der Vernunft schlafen. diaphanes, Zürich und Berlin 2009, S. 55–75, hier: S. 62 Fn. 15.
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Vgl. Clive Hart: Structure and motif of Finnegans Wake. Faber & Faber, London 1962.
- Vgl. James S. Atherton: The books at the wake. A study of literary allusions in James Joyce’s Finnegans Wake. Faber & Faber, London 1959.
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Vgl. Freud, Jenseits des Lustprinzips, a.a.O., S. 220.– Vgl. auch S. Freud: Das Unbehagen in der Kultur. In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 9. Fischer Taschenbuch Verlag Frankfurt am Main 2000, S. 191-270, hier: 237.
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Vgl. Lacan, Das Seminar über E.A. Poes ‚Der entwendete Brief‘, a.a.O., S. 24.
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Vgl. hierzu Thelma Sowley, La lettre dans l’œuvre de Joyce.
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Ferdinand de Saussure: Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft (1916). Übersetzt von Herbert Lommel. De Gruyter, Berlin 1967.
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Vgl. Jacques Derrida: Grammatologie. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1974, v. a. Kapitel 2: „Linguistik und Grammatologie“.
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Sitzung vom 18. November 1975, Version Miller 2005, S. 17; siehe diesen Blogbeitrag.
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„Als das Geschäftliche erledigt war, brachte Joyce das Gespräch [mit John Rodker] auf andere Gegenstände. Er (…) bemerkte, der Name Joyce heiße auf englisch dasselbe wie Freud auf deutsch, eine Bemerkung, die er gewöhnlich seinen Freunden überließ (…).“ (Ellmann, a.a.O., S. 749; vgl. auch a.a.O., S. 946.)
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Vgl. Lacan: Ich spreche zu den Wänden. Turia und Kant, Wien u. a., S. 18.
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Version Miller, S. 127, Version Miller/Haas u.a., S. 151, Übersetzung geändert.
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Lacan: L’étourdit. In: Ders.: Autres écrits. Le Seuil, Paris 2001, S. 449–497, hier: S. 490.
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Essaim, Nummer 29 vom Herbst 2012, hier.
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Wörtlich: „Saiten in der Erde und Luft / machen Musik süß; / Saiten am Fluss wo / die Weiden sich treffen.“
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Quelle: Seminar 23, Version Miller 2005, S. 20, überarbeitet
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Seminar 3, Version Miller/Turnheim, S. 213.
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Die Zeichnung ist aus der Staferla-Version dieses Seminars.
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Seminar 6, Sitzung vom 20. Mai 1959; meine Übersetzung nach Version Staferla; vgl. Version Miller, S. 456 f.
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J. Lacan: Radiophonie. Übersetzt von Hans-Joachim Metzger. In: J. Lacan: Radiophonie. Television. Quadriga, Weinheim u.a. 1988, S. 5-54, hier: S. 41.
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Sitzungen vom 20. November 1973, 11. Dezember 1973 und 8. Januar 1974.
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Bruno Bettelheim: Symbolic wounds. Puberty rites and the envious male. Free Press, Glencoe, Ill., 1954. Dt.: Die symbolischen Wunden. Pubertätsriten und der Neid des Mannes. Kindler, München 1975.
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Vgl. Seminar 6 von 1958/59, Le désir et son interprétation, Version Miller, S. 456.
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Vgl. Seminar 5 von 1957/58, Die Bildungen des Unbewussten, Version Miller/Gondek, S. 409; Seminar 6, Version Miller, S. 508.
Auf die Enthüllung des Phallus in den Mysterien bezieht sich Lacan auch in dem Aufsatz Die Bedeutung des Phallus (vgl. Schriften II, hg. v. N. Haas, S. 128 f., Vortrag von 1958, erstmals 1966 veröffentlicht.
Vgl. hierzu den Artikel Der imaginäre und der symbolische Phallus in diesem Blog; in diesem Beitrag findet man auch eine Abbildung des Freskos aus der Mysterienvilla, auf das Lacan sich in Die Bedeutung des Phallus bezieht, mit der Enthüllung des Phallus.