Lacans Sentenzen
„Eine Frau ist ein Symptom des Mannes.“
John William Waterhouse: Lamia,.1905
Öl auf Leinwand, 145 x 117 cm, Privatbesitz
Für einen Mann ist eine Frau ein Symptom, behauptet Lacan in Seminar 22 von 1974/75, RSI. Im Folgenden übersetze und kommentiere ich die Passage, in der er seine These vorstellt und begründet. Danach werfe ich einen Blick auf spätere Verwendungen der Sentenz sowie auf die Sekundärliteratur. Den Abschluss bildet eine systematisierende Zusammenfassung.
Herzlichen Dank an Gerhard Herrgott für die Hilfe bei der Übersetzung!
Drei Punkte vor einem Zitat weisen darauf hin, dass es an das vorangegangene lückenlos anschließt. In einem Zitat sind Ausdrücke in spitzen Klammern meine Ergänzungen.
Eine Frauf
In der Sitzung vom 21. Januar 1975 sagt Lacan:
„Ich möchte damit schließen, dass ich zu Ihnen über eine Frau spreche. Na ja, all das habe ich ja getan, um zu vermeiden, über eine Frau zu sprechen.
Weil ich Ihnen sage, die Frau, das existiert nicht, haben natürlich alle Journalisten gesagt, ich hätte gesagt, die Frauen, das existiert nicht. Es gibt solche Dinge, dass man nicht – [ital.] le donne [die Frauen], die sich ausgedrückt haben –, also solche Dinge, dass man –. Sie sind nicht mal in der Lage zu bemerken, dass die Frau zu sagen nicht dasselbe ist wie die Frauen zu sagen, obwohl sie die Frau doch ständig im Munde führen, also wirklich!
Die Frau, das ist offensichtlich etwas, das sich vollkommen umreißen lässt. Alle Frauen, wie man sagt.
Ich sage aber auch, dass die Frauen nicht-alle sind. Das stellt doch einen kleinen Einwand dar, oder?
Aber die Frau, das ist –, sagen wir, das ist alle Frauen. Das ist dann jedoch eine leere Menge, denn immerhin ist die Mengenlehre etwas, das es ermöglicht, in den Gebrauch des Ausdrucks alle ein wenig Ernsthaftigkeit zu bringen. Also gut.“1
Thema ist: „eine Frau“ im Gegensatz zu „die Frau“. Für den ersten Ausdruck kann man, statt des Singulars „eine Frau“ auch den Plural verwenden: „Frauen“ oder „die Frauen“.
Mit „die Frau“ ist nicht die Verwendung in Sätzen wie „die bestimmte Frau da“ gemeint, sondern in Äußerungen, die sich auf die Frau im Allgemeinen beziehen: „die Frau ist soundso beschaffen“.
Man muss also unterscheiden:
– „die Frauen“ als Pluralbildung von „eine Frau“
– und „die Frau“ in der Rede von der Frau schlechthin.
Lacan hatte hierüber in Italien gesprochen und bezieht sich deshalb auch auf die italienische Terminologie; hier geht es um den Gegensatz zwischen, einerseits, una donna (eine Frau) bzw. im Plural le donne (Frauen, die Frauen) und andererseits la donna (die Frau).
Als Lacan bei seinem Vortrag in Italien gesagt hatte, „die Frau“ (la donna) existiere nicht, wurde er von Journalisten falsch verstanden, sie berichteten, er habe gesagt, „die Frauen“ (le donne) existierten nicht. Dabei sprechen Journalisten doch beständig von „der Frau“, sagt Lacan – die Vorstellung von „der Frau“ wird nicht zuletzt von den Massenmedien gepflegt. Aber auch Freud bezieht sich auf „die Frau“, etwa wenn er die Frage stellt „Was will das Weib?“ oder wenn er von der „Weiblichkeit“ spricht.2
Der Unterschied zwischen „die Frau“ und „eine Frau“ (bzw. zwischen „die Frau“ und „Frauen“ bzw. „die Frauen“) wird von Lacan durch den Gegensatz von „alle“ und „nicht-alle“ präzisiert. Wenn man Aussagen über „die Frau“ macht, spricht man damit über „alle Frauen“; „die Frau ist x“ meint „alle Frauen sind x“ (für x kann man ein beliebiges Prädikat einsetzen: emotional, vernünftig, kratzbürstig, friedfertig, schön, hässlich, langweilig, aufregend – was auch immer; der Inhalt des Prädikats spielt für Lacans Argument keine Rolle). Wenn man Aussagen über „eine Frau“ oder über „Frauen“ macht, spricht man nicht über „alle Frauen“.
Aussagen können die folgende Form haben: „Alle A sind x“ oder auch „nicht alle A sind x“. Die Partikel „alle“ und „nicht alle“ geben die „Quantität“ an (sagt man in der traditionellen Logik), auf die sich die Aussage bezieht, sie werden deshalb als „Quantoren“ bezeichnet. „Die Frau“ wird von Lacan also durch den Quantor „alle“ bestimmt; um „die Frau“ geht es dann, wenn man sagt: „alle Frauen sind x“. Anders ausgedrückt, „die Frau“ ist eine Größe, über die man Allaussagen macht, Aussagen des Typs „alle A sind x“.
„Eine Frau“ ergibt im Plural „Frauen“, und „Frauen“ wird von Lacan mit dem Quantor „nicht-alle“ zusammengebracht (einen von ihm erfundenen Quantor); die Aussagen, die man über „Frauen“ macht, haben die Form „nicht-alle Frauen sind x“ (wenn man den Quantor „nicht-alle“ wie Lacan verwendet). Anders gesagt: über „Frauen“ macht man keine Allaussagen.
Artikel |
die Frau |
Frauen, Sg.: eine Frau |
Quantor |
alle |
nicht-alle |
Über „die Frau“ sagt Lacan, sie existiert nicht (bzw. „alle Frauen“ existieren nicht). Dass man eine Allaussage über etwas macht, impliziert nicht, dass man damit zugleich behauptet, dass es existiert (zumindest gilt das für die im 19. Jahrhundert entwickelte Prädikatenlogik, auf die Lacan sich in diesem Punkt bezieht). Über Einhörner kann man Allaussagen machen (etwa „Alle Einhörner haben ein Horn auf der Stirn“), aber damit behauptet man nicht zugleich, dass Einhörner existieren. Der Ausdruck „die Frau“ hat für Lacan einen ähnlichen Status wie der Ausdruck „das Einhorn“.
Natürlich kann man über Gegenstände, über die man Allaussagen macht, auch Existenzbehauptungen machen, und diese Existenzbehauptungen können wahr oder falsch sein.
Lacan deutet also drei Thesen an:
(1) Aussagen über „die Frau“ („die Frau ist x“) können in Allaussagen umgewandelt werden, in Aussagen über „alle Frauen“ („alle Frauen sind x“).
(2) Eine Allaussage impliziert keine Existenzbehauptung, die Existenzbehauptung muss zusätzlich vorgenommen werden.
(3) Im Falle der Allaussage „Alle Frauen sind x“ ist die Existenzbehauptung falsch. „Die Frau“ existiert nicht.
Die Nicht-Existenz von „die Frau“ lässt sich mengentheoretisch formulieren: „die Frau“ (bzw. „alle Frauen“), das ist eine leere Menge; die Menge „die Frau“ enthält kein Element.
In der Terminologie der Metaphysik: Es gibt kein Wesen der Frau.
Der Mann
Lacan fährt fort:
… „Eine Frau zunächst, die Frage stellt sich nur für den anderen, die Frauen desjenigen, für den es eine definierbare Menge gibt, definierbar durch etwas, das dort an der Tafel steht.
Borromäische Ringe mit Hemmung, Symptom und Angst3
Das ist nicht JΦ, nicht die phallische Jouissance. Das ist dies: Φ; Φ, das ex-sistiert; Φ, das ist der Phallus.“4
„Was ist eine Frau?“ bzw. „Was sind Frauen?“, diese Frage stellt sich nur für den anderen (oder Anderen), für denjenigen, der in bezug auf eine Frau der Andere ist, also für den Mann. Derjenige, der diese Frage stellt, ist der Mann, und er bezieht sich damit auf seine Frauen.
Der andere einer Frau, also der mann, bilder ein „definierbare Menge“. Definierbar wodurch? Durch das Symbol Φ für „Phallus“, was vom Symbol JΦ für „phallische Jouissance“ zu unterscheiden ist.
Die Menge der Männer kann insgesamt durch den Phallus definiert werden.
Lacan bezieht sich an dieser Stelle auf das Schema der borromäischen Ringe, das während der Sitzung an der Tafel steht.
Den drei Ringen sind hier die drei Lacanschen Register zugeordnet, das Reale (R, blau), das Symbolische (S, weiß) und das Imaginäre (I, rot). Durch die Überlagerung der Ringe in der zweidimensionalen Darstellung gibt es vier Überschneidungsbereiche: Sinn, JA (jouissance de l’Autre, Jouissance des Anderen), JΦ (jouissance phallique, phallische Jouissance) und a (Objekt a). Jeder Ring wirft eine Art Schatten, und das in zwei Richtungen. Die beiden Schatten bilden zwei unterschiedlich geformte Felder, einerseits ein Feld, das außerhalb der drei Ringe liegt und an einen spitzen Hut erinnert, sagen wir, ein dreieckiges Feld, und andererseits ein Feld in Form einer Haifischflosse im Inneren der anderen beiden Ringe, ein keilförmiges Feld. Dem Ring des Realen ist das Dreieck Φ zugeordnet, symbolischer Phallus, sowie der Keil „Angst“. Der Ring des Symbolischen ist mit dem Dreieck „Unbewusstes“ verbunden und mit dem Keil „Symptom“. Der Ring des Imaginären erzeugt den Keil „Hemmung“; hier trägt das Dreieck keine Beschriftung.
Im Schema der borromäischen Ringe ist das Symbol Φ den Ringen des Realen und des Symbolischen zugeordnet: es liegt in der Nähe ihres äußeren Kreuzungspunkts, allerdings im Dreieck des Realen, es gehört, so legt die Zeichnung nahe, mehr zum Realen als zum Symbolischen.
Was ist der symbolische Phallus, was ist Φ? Nicht der Penis, soviel weiß man, wenn auch sich auch nur ein wenig in Lacans Texten umgesehen hat. Und positiv formuliert?
Φ „ex-sistiert“, sagt Lacan. Unter dem „Ex-sistieren“ versteht er das „Im-Außen-Verharren“ (wie man den Ausdruck wörtlich übersetzen kann); gemeint ist also wohl zunächst: das Symbol Φ liegt im Diagramm außerhalb der Ringe.
Direkt danach liest man:
… „Was ist das, der Phallus? Gut, da wir natürlich trödeln - na ja, natürlich bin ich es, der trödelt, der mit dieser ganzen Fuhre trödelt –, werde ich Ihnen heute nicht sagen, was der Phallus ist. Aber immerhin können Sie dazu ja einen kleinen Verdacht haben – wenn die phallische Jouissance dort ist, dann muss der Phallus was anderes sein, oder? Also, der Phallus, was ist das? Ich stelle Ihnen ja die Frage, weil ich mich heute so nicht zu lange darüber auslassen kann. Ist das die Jouissance ohne das Organ oder das Organ ohne die Jouissance? Ich frage Sie ja in dieser Form, um dieser Figur – ach! – Sinn zu verleihen. Na ja, ich werde den Sprung wagen. “
Was ist der Phallus, was ist Φ, fragt Lacan. Und er betont, dass er nicht sagen wird, was der Phallus ist, aus Zeitgründen.
Er stellt eine Frage, und er sagt, dass er die Frage nicht beantworten wird. In Seminar 8 hatte er das Symbol Φ so erläutert: Φ ist das Symbol für das Fehlen von Signifikanten, Φ kommt an den Platz des fehlenden Signifikanten.5 Was aber ist ein fehlender Signifikant, fragt er dort weiter. Ein fehlender Signifikant ist eine Frage ohne Antwort, heißt es dann.6 In der hier zitierten Passage aus Seminar 22 erläutert Lacan den Begriff Φ also möglicherweise durch Vormachen („performativ“): er stellt in Bezug auf den Phallus eine Frage, die er nicht beantwortet, er betont diese rhetorische Figur, und er gibt damit vielleicht einen Wink: der Phallus ist, so darf man raten, eine Frage ohne Antwort, also ein fehlender Signifikant. Welcher Signifikant fehlt? Der Signifikant der Geschlechtsdifferenz. Der Gegensatz der Geschlechter ist im Unbewussten nicht repräsentiert; an die Stelle dieses Gegensatzes tritt der von Anwesenheit und Abwesenheit des Penis, der Phallus, und damit ist der Phallus (vielleicht) das Symbol für das Fehlen eines Signifikanten bzw. für das Fehlen eines Signifikantenpaars.
Der anschließende Hinweis ist ebenfalls negativ: Der Phallus ist nicht die phallische Jouissance, Φ ist nicht JΦ. Die phallische Jouissance (die phallische Lust, das phallische Genießen) ist „da“, Lacan zeigt hierbei sicherlich auf das Diagramm der borromäischen Ringe, darin auf den mit JΦ bezeichneten Überschneidungsbereich des Realen und des Symbolischen. Der Phallus ist etwas anders als die durch den Kastrationskomplex umgeformte sexuelle Lust.
Als nächstes gibt Lacan eine Alternative vor: Der Phallus ist entweder die Lust ohne das Organ oder das Organ ohne die Lust. Die Lust ohne das Organ, was könnte das heißen? Möglicherweise eine Lust, die durch das Organ gerade verfehlt wird. Die Lust des Penisorgans ist die phallische Jouissance, d.h. die Lust des Organs, insofern sie durch den Kastrationskomplex geprägt ist, also durch die Sprache hindurchgegangen ist. Welche Lust wird durch die phallische Jouissance verfehlt? Ich nehme an, die Kastrationskomplex versperrte Lust, also letztlich die durch die Unterwerfung des Körpers unter die Sprache unzugängliche Lust.
Und das Organ ohne die Lust? Damit könnte das Penisorgan gemeint sein, insofern es der Geschlechtsdifferenzierung dient: mit/ohne Penis (diese Verwendung des Symbols Φ findet man zuerst in Seminar 4 von 1956/57, Das Objekt der Psychoanalyse, in der Tabelle Kastration – Frustration – Privation). Das dürfte im Kontext wohl kaum gemeint sein, also ist es nicht unplausibel, auf die erste Option zu setzen. Das Symbol Φ steht wohl für die Lust, die dem Körper durch die Versprachlichung und damit durch die Kastration versperrt ist.
Lacan stellt die Frage, was der Phallus ist, um, wie er sagt, der Figur – gemeint ist die Abbildung an der Tafel – Sinn zu verleihen, genauer, ihr „– ach! – Sinn zu verleihen“.
Auch damit gibt er einen Wink.
„Sinn“ ist einer der in das Diagramm eingetragenen Begriffe. Der Phallus wird von Lacan auf den Sinn bezogen, auf den Begriff des Sinns, wie er im Diagramm erscheint. Das „ach!“ signalisiert sicherlich, dass es in der Beziehung des Phallus zum Sinn ein Problem gibt (Kittler würde sich freuen7). Der Phallus steht in einem problematischen Verhältnis zum Sinn.
In Seminar 18 hatte Lacan die Funktion des Phallus durch Bezug auf Freges Unterscheidung von Sinn (sens) und Bedeutung (signification) erläutert.8 Beim Phallus geht es nicht um den Sinn (nicht um das Signifikat), sondern um die Bedeutung (um den Referenten).9 Also kann man den Satz „Nun, ich befrage sie in dieser Form, um dieser Figur – ach! – Sinn zu verleihen“, möglicherweise so ergänzen: „obwohl es beim Phallus gerade nicht um den Sinn geht (nicht um das Signifikat, nicht um verdrängte Signifikanten), sondern um die Bedeutung (um den Referenten).“ Der Phallus ist der Signifikant einer Bedeutung, eines Referenten. Im Aufsatz Die Bedeutung des Phallus (einem Vortrag von 1958) hatte Lacan diese Bedeutung als das urverdrängte Bedürfnis bezeichnet10, später nennt er es die unmögliche Jouissance.
Damit kann man den Satz „Φ ex-sistiert“ so entziffern: der Phallus ist der Signifikant des Urverdrängten, durch das die Menge der Männer konstituiert wird, Φ bildet ihr fundierendes Außen; die Außenstellung des Symbols Φ im Diagramm der borromäischen Ringe soll das möglicherweise andeuten.
Ein Symptom
Anschließend heißt es:
… „Was ist für denjenigen, der mit dem Phallus belastet ist, eine Frau? Ein Symptom. Das ist ein Symptom, und das sieht man an der Struktur dort, die ich Ihnen gerade erläutere.
Es ist klar, wenn es keine Jouissance-des-Anderen als solche gibt, d.h. wenn es keinen Garanten gibt, dem man in der Jouissance des Körpers des Anderen begegnen könnte und der bewirken würde, dass dies existiert, nämlich den Anderen als solchen zu genießen, dann ist hier das offensichtlichste Beispiel für das Loch, für das, was nur durch das Objekt a selbst gestützt wird, allerdings durch einen Fehlgriff, durch eine Verwirrung. Eine Frau ist kein Objekt a, genauso wenig wie der Mann. Sie hat, wie ich eben gesagt habe, ihre eigenen, um die sie sich kümmert; das hat nichts mit dem zu tun, wodurch sie in irgendeinem Begehren gestützt wird.
Sie zum Symptom zu machen, diese eine Frau, ist jedoch gleichbedeutend damit, sie in dieser Artikulation an dem Punkt zu verorten, an dem die phallische Jouissance als solche auch ihre Sache ist. Im Gegensatz zu dem, was so erzählt wird, hat die Frau nicht mehr und nicht weniger an Kastration zu erleiden als der Mann. Was ihre Funktion als Symptom anbelangt, ist sie ganz am selben Punkt wie ihr Mann.
Es gilt einfach zu sagen, wie für sie diese Ex-sistenz des Realen – nämlich mein Phallus von eben, der, bei dem ich Sie mit hängender Zunge zurückgelassen habe –, es geht darum zu wissen, was dem hier bei ihr entspricht. Sie denken doch wohl nicht, das sei das kleine Dingsda, von dem Freud spricht, damit hat das nichts zu tun.
Die ‚Auslassungspunkte‘ des Symptoms sind tatsächlich, wenn ich so sagen darf, Fragezeichen im Nicht-Verhältnis.“11
Die Frage lautet, was ist für den, „der mit dem Phallus belastet ist“, für den Mann, eine Frau? Was also ist eine Frau für denjenigen, der mit dem Organ ausgestattet ist, von dem sich der Signifikant eines unmöglichen Genießens herleitet? Für den Mann ist eine Frau ein Symptom. Nicht „die Frau“ ist für ihn ein Symptom, sondern „eine Frau“. Eine Frau ist ein Symptom des Mannes. Sie ist nicht „das“ Symptom des Mannes, sondern „ein“ Symptom, eines seiner Symptome – eine Frau ist ein Symptom des Mannes.
Zur Erläuterung bezieht Lacan sich auf das Diagramm der borromäischen Ringe an der Tafel, darin auf die Termini Symptom, JA (jouissance de l’Autre, Genießen des Anderen, Genitivus objectivus), a (Objekt a), JΦ (jouissance phallique, phallisches Genießen) und Φ (Phallus).
„Genießen des Anderen“ meint: es gibt kein Genießen des Anderen als solchen, kein Genießen des anderen Geschlechts als anderes Geschlecht (vgl. den Blogartikel Das Genießen des ausgestrichenen Anderen im Knoten – J Ⱥ). Der Satz ist aus der Perspektive des Mannes formuliert: er genießt nicht eine Frau als Fall von Frau schlechthin, er genießt nicht „die Frau“, denn im Unbewussten ist das weibliche Geschlecht nicht repräsentiert. Anders gesagt: es gibt kein sexuelles Verhältnis (vgl. den Blogartikel Es gibt kein sexuelles Verhältnis).
Dass es kein sexuelles Verhältnis gibt – kein Verhältnis Des Mannes zu Der Frau –, ist das offensichtlichste Beispiel für das Loch, nämlich für das vom Symbolischen hervorgerufene Loch im Realen.12
Das Loch wird durch das Objekt a gestützt, getragen, erträglich gemacht, durch die Objekte Brust, Kot, Stimme und Blick: sie kompensieren einen Mangel, ein Fehlen.
In Seminar 20 wird die Beziehung des Mannes zu einer Frau als Objekt a durch das folgende Schema dargestellt13:
Von der linken Seite, d.h. von der männlichen Position aus, führt ein Pfeil zur rechten Seite, zur Seite der Frauen. Der Pfeil beginnt mit $ und endet mit a, anders gesagt: für das männliche Subjekt hat eine Frau die Funktion des Objekts a.
Die Beziehung des Mannes zu Frauen in der Position des Objekts a beruht allerdings auf einem maldonne, auf einem falschen Ausgeben der Karten; der Ausdruck spielt zugleich auf das Italienische an, mal heißt hier „Krankheit“ und donne, darauf hatte Lacan bereits hingewiesen, bedeutet „Frauen“. Die Beziehung des Mannes zu Frauen beruht auf einer Verwechslung, denn eine Frau ist kein Objekt a, ebenso wenig wie der Mann.
Ist eine Frau für den Mann insofern ein Symptom, als sie für ihn die Position des Objekts a einnimmt? Dagegen spricht, dass im Diagramm des borromäischen Knotens das Objekt a an einer anderen Stelle verortet ist als das Symptom.
Eine Frau ist kein Objekt a, sie hat ihre Objekte a, etwa die Kinder, um die sie sich kümmert (Objekte a insofern, als sie von ihrem Körper abgetrennt worden sind). Das ist jedoch etwas anderes als die Frage, welche Position sie im Begehren von Mitgliedern des anderen Geschlechts einnimmt.
Wenn der Mann eine Frau zum Symptom macht, wird damit deren eigenes phallisches Genießen ins Spiel gebracht; im Diagramm der borromäischen Ringe wird diese Form des Genießens durch das Feld JΦ repräsentiert. Das phallische Genießen entsteht durch die Kastration, durch den Kastrationskomplex, dadurch, dass ein bestimmtes Genießen untersagt wird; das gilt für eine Frau nicht weniger als für den Mann.
Bezogen auf ihre Funktion als Symptom ist die (!) Frau am selben Punkt wie ihr Mann; das heißt vermutlich: ihre Funktion als Symptom beruht auf der Kastration, und die Kastration ist eine Gemeinsamkeit von Frauen und Männern. Wie ist das „die“ von „die Frau“ hier aufzufassen? Ich vermute, dass es sich um eine bloße Unachtsamkeit der Rede handelt; es erfordert Konzentration, den Gegensatz von „eine Frau“ und „der Mann“ konsequent durchzuhalten.
Vom phallischen Genießen kehrt Lacan zum Phallus zurück, also zu Φ im Unterschied zu JΦ. Man erfährt jetzt: der Phallus ist die „Ex-sistenz des Realen“.
Den Begriff der „Ex-sistenz“, mit Bindestrich, hatte Lacan in Seminar 22 zur Beschreibung der borromäischen Verschlingung eingeführt. Die Ringe sind im Verhältnis zueinander „ex-sistent“: sie sind einander äußerlich, sie stoßen gegeneinander, sie leisten einander Widerstand, sie können nicht miteinander verschmelzen und sich nicht durchdringen. Das Reale ist dem Symbolischen und dem Imaginären gegenüber äußerlich, es ist das, was sich der Imaginierung und der Symbolisierung hartnäckig widersetzt, so hatte Lacan das Reale von Anfang an definiert (vgl. diesen Blogartikel).
Der Phallus ist das Urverdrängte, das auf keine Weise erinnert werden kann; damit ist er – im Verhältnis zum Unbewussten – in der Position des Realen, des Nicht-Symbolisierbaren.
Was ist bei Frauen die Entsprechung zum Phallus? Auch hier wird die Antwort nur negativ formuliert. Bei Frauen ist der Phallus keineswegs das „kleine Ding“, von dem Freud spricht, der Phallus ist bei ihr nicht die Klitoris. Man kann die Argumentation hier so ergänzen: Bei Frauen ist der Phallus der ganze Körper: auf ihren Körper wird das Bild des Phallus projiziert, entsprechend der von Fenichel herausgearbeiteten Gleichung Mädchen = Phallus.14 In Seminar 8 von 1960/62, Die Übertragung, heißt es: „Wir konstatieren in der Phänomenologie die leichter machbare Projektion des Phallus, aufgrund seiner prägnanten Gestalt, auf das weibliche Objekt zum Beispiel, und genau das hat uns manches Mal in der perversen Phänomenologie die berühmte Gleichung Girl = Phallus in ihrer einfachsten Gestalt, der erigierten Gestalt des Phallus, artikulieren lassen.“15
Lacan kommt jetzt zu demjenigen Begriff des Schemas, um den es im aktuellen Zusammenhang letztlich geht, zum Begriff des Symptoms. Im Diagramm ist das Symptom die grau gefärbte Fläche in Form einer Haifischflosse, eine Art Schatten, den das Symbolische in den Ring des Realen wirft, ein wenig auch in den des Imaginären.
Früher in dieser Sitzung hatte Lacan erwähnt, dass einer seiner Patienten über das Symptom etwas gesagt hatte, durch das es in die Nähe von Auslassungspunkten gebracht wurde; Lacan hatte hierzu angemerkt, das Wichtige an der Bemerkung des Patienten sei der Bezug auf die Schrift: die Wiederholung des Symptoms sei eine Art wilde Schrift. Darauf kommt er jetzt zurück. Die Auslassungspunkte – die Wiederholungen des Symptoms – sind „Fragepunkte“ (points interrogatifs), Frage-Zeichen. Das Symptom ist eine sich wiederholende Frage, die durch das Nicht-Verhältnis angetrieben wird, davon, dass es kein sexuelles Verhältnis gibt. Die Wiederholung beruht auf einer Schrift: auf dem „einzigen Zug“ (vgl. diesen und diesen und diesen und diesen Blogartikel).
Das erklärt, warum im Diagramm der borromäischen Ringe das Symptom im Inneren des Rings des Realen lokalisiert ist und warum es, wie das Unbewusste, grau gefärbt ist: das Loch im Realen steht dafür, dass es kein sexuelles Verhältnis gibt, und das Symptom ist eine vom Unbewussten gestützte sich wiederholende Frage in Bezug auf das Fehlen eines sexuellen Verhältnisses.
Ein Symptom ist etwas, woran man glaubt
Lacan fährt fort:
… „Ich möchte Ihnen aber zeigen – um dem, was ich hier einführe, einen Weg zu bahnen –, unter welchem Blickwinkel das begründet ist, diese Definition des Symptoms.
Was am Symptom auffällt – an dem, was sich, wie dort, mit dem Unbewussten schnäbelt –, ist, dass man daran glaubt (y croit).
Es gibt so wenig an sexuellen Verhältnissen, dass ich Ihnen empfehle, dazu etwas zu lesen, einen sehr schönen Roman nämlich: Undine.16 Undine zeigt, worum es geht: Im Leben des Mannes ist eine Frau etwas, woran er glaubt, er glaubt, dass es eine gibt, manchmal zwei oder drei, und hier ist übrigens interessant, dass er nicht nur an eine glauben kann, er glaubt, dass es eine Art gibt, zur Gattung der Sylphen oder Undinen gehörend. Was heißt das, an Sylphen oder Undinen zu glauben? Ich weise Sie darauf hin, dass man in einem solchen Fall croire à sagt, ‚glauben an‘. Und dass die französische Sprache hier sogar eine Verstärkung hinzufügt, die darin besteht, dass man nicht croire à sagt, ‚glauben an‘, sondern croire y, ‚daran glauben‘, croire là, ‚da glauben‘. Daran glauben, was heißt das? Das heißt ganz streng nur dies, das kann semantisch nur heißen: an Wesen glauben, insofern sie etwas sagen können. Ich fordere Sie auf, mir zu dieser Definition eine Ausnahme zu finden. Wenn es Wesen sind, die nichts sagen können – sagen im strengen Sinne des Wortes, d.h. etwas äußern, das sich als Wahrheit oder als Lüge unterscheiden lässt –, dann kann das nichts bedeuten.
Nur, dies hier, die Zerbrechlichkeit von diesem daran glauben, worauf einen das Faktum des Nicht-Verhältnisses offensichtlich reduziert, das sich so spürbar von überall her überschneiden kann – daran gibt es keinen Zweifel, wer immer zu uns kommt, um uns ein Symptom zu präsentieren, der glaubt daran.
Was soll das heißen? Wenn er uns um Hilfe bittet, um Unterstützung, dann deshalb, weil er glaubt, dass das Symptom in der Lage ist, etwas zu sagen, und dass man es nur entziffern muss.“17
Lacan möchte zeigen, dass seine Definition des Symptoms gerechtfertigt ist, also die Behauptung, eine Frau sei ein Symptom des Mannes.
Im Diagramm des borromäischen Knotens ist das Symptom mit dem Unbewussten verbunden, dadurch, dass beide als Ausläufer des Symbolischen erscheinen; insofern knutschen Symptom und Symbolisches miteinander rum, wie Lacan sich ausdrückt.
Sein Argument lautet:
– Ein Symptom ist etwas, woran man glaubt.
– Für den Mann ist eine Frau etwas, woran er glaubt.
– Also ist eine Frau für den Mann ein Symptom.
Damit stellt sich die Frage, was es heißt, dass eine Frau für den Mann etwas ist, woran er glaubt.
Lacan erläutert das An-eine-Frau-Glauben, indem er sich auf die Erzählung Undine bezieht, die 1811 von Friedrich de la Motte Fouqué veröffentlicht wurde. Ritter Huldbrand und Undine, Pflegetochter eines Fischerehepaars, verlieben sich ineinander und heiraten. Nach der Eheschließung vertraut Undine ihrem Gemahl an, dass sie ein Wassergeist ist und dass ihr eigentlicher Vater sie zu den Fischern gegeben hatte, damit sie durch die Heirat mit einem Menschen eine Seele bekommt. Als Huldbrand sie später beschimpft und sie zurück zu ihren Verwandten wünscht, verwandelt sie sich in ein Wasserwesen und verschwindet; von da an erscheint sie Huldbrand im Traum. Als er eine andere heiratet, kehrt sie zurück und tötet ihn durch einen Kuss.
Undine ist für den Ritter etwas, woran er glaubt. Er glaubt an eine, auch an zwei oder drei. Eine Besonderheit der Beziehung von Huldbrand zu Undine besteht darin, dass er nicht nur an eine glaubt, nicht nur an Undine, sondern dass er glaubt, dass sie einer bestimmten Art angehört, die zur Gattung der Undinen oder Sylphen gehört. Er glaubt nicht nur an Undine, er glaubt an Undinen.
Was heißt es, an jemanden zu glauben, daran zu glauben, was heißt croire à bzw. croire y?
An jemanden zu glauben, das heißt, an Wesen unter dem Aspekt zu glauben, dass sie etwas sagen können – „sagen“ im emphatischen Sinne –, nämlich daran zu glauben, dass sie etwas sagen können, was eine Wahrheit ist oder eine Lüge.
An jemanden zu glauben – daran zu glauben, dass er oder sie etwas sagen kann, was eine Wahrheit ist oder eine Lüge –, darauf reduziert sich die Tatsache des Nicht-Verhältnisses, also dies, dass es kein sexuelles Verhältnis gibt. Damit ist auch umgekehrt gemeint (wie aus dem Folgenden hervorgeht): die Illusion, dass es ein sexuelles Verhältnis gibt, stützt sich letztlich darauf, an jemanden zu glauben.
Im Diagramm des borromäischen Knotens kann der Keil des Symptoms im Loch des Realen demnach so interpretiert werden: Das sexuelle Nicht-Verhältnis (das Loch im Realen) ruft ein bestimmtes Symptom hervor; ein Merkmal des Symptoms besteht darin, daran zu glauben. Auf diese Weise ist das Symptom auf Wahrheit bezogen (und also auch auf Lüge) und damit auf das Symbolische. Das wäre eine Erklärung dafür, warum der Keil des Symptoms vom Ring des Symbolischen ausgeht.
Wer in eine Psychoanalyse kommt, um ein Symptom zu präsentieren, der glaubt an das Symptom, insofern nämlich, als er davon überzeugt ist, dass das Symptom etwas sagen kann – dass es sich auf Wahrheit und Lüge bezieht – und dass man es nur entziffern muss. An ein Symptom zu glauben, darunter versteht Lacan demnach: es auf Sinn und Wahrheit zu beziehen. Der Glaube besteht darin, zu unterstellen, dass das Symptom einen verborgenen Sinn hat, wobei das Entziffern dieses Sinns ein Wahrheitsgeschehen ist.18
Der große Bogen, auf dem Lacans Sentenz beruht, ist also der Zusammenhang von „Phallus“ und „Wahrheit“: alle, die durch den Bezug zum Phallus definiert sind (also „der Mann“), haben ein spezielles Verhältnis zur Wahrheit, und deshalb wird eine Frau für sie zu „Eine Frau“, zu etwas, woran sie glauben, zu „einem Symptom“.
Liebe und Glaube
Die nächsten Sätze lauten:
… „Dasselbe gilt für das, worum es bei einer Frau geht, abgesehen davon – so etwas kommt vor, aber das ist nicht offensichtlich –, dass man glaubt, dass sie tatsächlich etwas sagt. Hier kommt der Stopfen ins Spiel: um daran zu glauben, glaubt man ihr, man glaubt, was sie sagt.
Das wird Liebe genannt.
Und insofern ist das ein Gefühl, das ich gelegentlich als komisch charakterisiert habe. Das ist das wohlbekannte Komische, das Komische der Psychose, deshalb sagt man uns oft, dass Liebe Wahnsinn ist.
Der Unterschied zwischen dem daran glauben, an das Symptom, und dem ihr glauben ist jedoch offensichtlich. Das macht den Unterschied zwischen Neurose und Psychose aus. In der Psychose, die Stimmen – da steckt alles drin! –, sie glauben daran; nicht nur glauben sie daran, sondern sie glauben ihnen. Nun, da steckt alles drin, in dieser Grenze.
Ihr zu glauben, das ist, Gott sei Dank, ein verbreiteter Zustand, denn das verschafft ja Gesellschaft, man ist nicht mehr allein. Und darin ist die Liebe kostbar – selten realisiert, wie jeder weiß, und nur eine Zeit lang dauernd –, und dennoch daraus gemacht, dass es im Wesentlichen darum geht: um das Durchbrechen der Mauer, an der man sich nur eine Beule an der Stirn holen kann.
Wenn es kein sexuelles Verhältnis gibt, dann ist sicher, dass sich die Liebe entsprechend einer Reihe von Fällen klassifizieren lässt, die Stendhal gut auseinandergepflückt hat. Da gibt es die Wertschätzungsliebe, das ist es ja, und die ist keineswegs unvereinbar mit der Leidenschaftsliebe und auch nicht mit der Geschmacksliebe. Die Hauptform der Liebe ist dann jedoch diejenige, die sich darauf gründet, dass man ihr glaubt, dass man ihr glaubt, da man noch nie einen Beweis dafür hatte, dass sie nicht absolut authentisch wäre. Aber dieses ihr glauben ist gleichwohl eine Sache, bei der man sich völlig blind macht und die – wenn ich so sagen darf, ich habe es bereits gesagt –, und die als Stopfen dient, um daran zu glauben, was jedoch etwas ist, das sehr ernsthaft in Frage gestellt werden kann. Denn zu glauben, dass es Eine gibt, Gott weiß, wo Sie das hinführt, das bringt Sie dazu, zu glauben, dass es Die gibt, Die, ein Glaube, der ganz und gar trügerisch ist. Niemand sagt die Sylphe oder die Undine – es gibt eine Undine oder eine Sylphe, es gibt einen Geist. Für manche gibt es Geister, aber all das bildet immer nur einen Plural.
Es geht darum zu wissen, was es bedeutet, welchen Sinn es hat, daran zu glauben, und ob nicht etwas von Notwendigkeit in der Tatsache liegt, dass es, um daran zu glauben, keinen besseren Weg gibt, als ihr zu glauben.
Gut, es ist zehn vor zwei.
Ich habe heute etwas eingeführt, wovon ich glaube, dass es für Sie nützlich sein kann, denn die Geschichte der Auslassungspunkte von vorhin, das war jemand, der das bei mir von sich gegeben hat, nicht wahr, in Verbindung mit dem, was es mit Frauen auf sich hat. Und, mein Gott, zu sagen, dass eine Frau ein Symptom ist, das passt so gut zur Praxis, dass ich, da das bis jetzt nie jemand getan hat, geglaubt habe, es tun zu müssen.“19
Auch für die Beziehung des Mannes zu einer Frau gilt, dass der Mann „daran glaubt“ – dass er an sie glaubt. Dabei geschieht es, dass er nicht nur an sie glaubt, es kann auch vorkommen, dass er ihr glaubt, dass er das, was sie sagt, für wahr hält. Zwischen diesen beiden Arten des Glaubens des Mannes gibt es eine Verbindung: um an sie zu glauben, glaubt er ihr, hält er das, was sie sagt, für wahr.
Eben das wird Liebe genannt.
Deshalb hatte Lacan, so bringt er in Erinnerung, bei früherer Gelegenheit – in den Seminaren 5 und 8 – das Gefühl der Liebe als komisch qualifiziert.20 Das Komische, um das es dabei geht, ist das der Psychose, weshalb man oft sagt, die Liebe sei ein Wahnsinn. Allerdings ist der Unterschied zwischen dem an etwas glauben, an das Symptom glauben, und dem etwas glauben, etwas Gesagtes für wahr halten, offensichtlich. Auf dieser Differenz beruht der Unterschied zwischen Neurose und Psychose. In der Psychose glaubt man an etwas, man glaubt an Stimmen, und zugleich glaubt man etwas, man glaubt das, was die Stimmen sagen. Das ist jedoch ein entscheidender Unterschied. Offenbar muss man Lacans Ausführungen hier so ergänzen: In der Neurose fällt das an etwas Glauben und das etwas Glauben nicht zusammen: man glaubt dem, was der Andere sagt (man bringt ihn in die Position des Ichideals), aber man glaubt nicht an Stimmen.
Ihr zu glauben – also dass der Mann für wahr hält, was eine Frau sagt –, das ist verbreitet, es ermöglicht Gesellschaft, und insofern ist die Liebe kostbar. Worum geht es bei der Liebe, von der ja bekannt ist, dass sie selten verwirklicht wird und dass sie nur von kurzer Dauer ist? Die Liebe ist darauf aus, die Mauer zu zerbrechen, die darin besteht, dass es kein sexuelles Verhältnis gibt. Diese Mauer lässt sich jedoch nicht niederreißen, man kann sich an ihr nur Beulen an der Stirn holen.
Es stimmt, es gibt verschiedene Arten der Liebe, etwa so, wie Stendhal sie klassifiziert hat: Wertschätzungsliebe, Leidenschaftsliebe, Geschmacksliebe.21 Da es kein sexuelles Verhältnis gibt, gründet sich die Hauptform der Liebe jedoch darauf, dass man ihr glaubt, dass der Mann das glaubt, was eine Frau sagt. Er glaubt ihr, weil er noch nie einen Beweis dafür gehabt hat, dass sie nicht absolut echt wäre, keinen Beweis dafür, dass sie nicht aufrichtig wäre. Dieses ihr glauben, an ihre Aufrichtigkeit glauben, steht in Beziehung dazu, dass es kein sexuelles Verhältnis gibt; ihr zu glauben dient dazu, dieses Loch im Realen zu verstopfen. Ihr zu glauben ermöglicht es, an sie zu glauben, nämlich zu glauben, dass es Eine gibt, und wenn man glaubt, dass es Eine gibt, bringt einen das dazu, zu glauben, dass es Die gibt, dass es „die Frau“ gibt – dass es ein sexuelles Verhältnis gibt. Diesem Zusammenhang gegenüber ist man jedoch blind – der Mann glaubt an die Aufrichtigkeit einer Frau und verkennt dabei, dass es ihm letztlich darum geht, sich auf „die Frau“ zu beziehen.
In der Formel „Eine Frau ist ein Symptom des Mannes“ meint „Eine Frau“ also: diejenige Frau, die für den Mann die Eine ist, diejenige, an die er glaubt.
Lacan unterscheidet also vier Formen des Glaubens des Mannes im Verhältnis zu Frauen:
– einer Frau glauben (für wahr halten, was sie sagt, sie für aufrichtig halten),
– an eine Frau glauben (für möglich halten, dass sie etwas sagt, was sich auf Wahrheit und Liebe bezieht),
– an eine Frau in der Weise glauben, dass sie die Eine ist,
– an Die Frau glauben.
Zwischen diesen Formen des Glaubens – also des Wahrheitsbezugs des Mannes – gibt es einen Zusammenhang. Die einfachste Form des Glaubens, nämlich einer Frau zu glauben, hat letztlich die Funktion, zu glauben, dass es Die Frau gibt.
Der Glaube, dass es Die Frau gibt, ist trügerisch. Einen Hinweis auf den illusionären Charakter des Glaubens an Die Frau gibt der Sprachgebrauch. Man sagt „Es gibt eine Undine“ oder im Plural „Es gibt Undinen“, man sagt jedoch nicht „Es gibt die Undine“.
Die Frage ist, welchen Sinn es hat, daran zu glauben, also an sie zu glauben. Die Frage ist auch die nach der Beziehung zwischen diesen beiden Formen des Glaubens, zwischen ihr zu glauben und an sie zu glauben. Ist es notwendig, ihr zu glauben, um an sie zu glauben? Anders gefragt, könnte man von ihrer Unaufrichtigkeit überzeugt sein, und trotzdem an sie als die Eine glauben und letztlich an Die Frau?
Lacan schließt mit der Behauptung, die These, eine Frau sei das Symptom des Mannes, stimme genau mit der Praxis des Psychoanalytikers überein.
Spätere Verwendungen der Sentenz
Neun Monate nach dieser Sitzung spricht Lacan in Genf über das Symptom. Nach dem Vortrag sagt jemand aus dem Publikum, einen Satz aus Lacans Vortrag zitierend:
„Oder auch: ‚Die Frau ist das, womit der Mann nie zurechtkommt.‘ Es scheint mir, dass im Titel Ihres Vortrags vom Symptom gesprochen wurde, und ich hatte letztlich den Eindruck, dass die Frau das Symptom des Mannes ist.“
Lacan:
„In meinem Seminar habe ich das im Klartext (en toute lettre) gesagt.“
Der Mensch aus dem Publikum:
„Kann man umgekehrt sagen, dass der Mann das Symptom der Frau ist? Bedeutet das, dass beim Mädchen und beim kleinen Jungen die Botschaft, die die Mutter übermitteln wird, die symbolische Botschaft, die Signifikantenbotschaft, über dieselbe Sache empfangen werden wird, weil es die Mutter ist, die sie übermittelt, sei’s an das Mädchen, sei’s an den Jungen. Gibt es eine Reziprozität oder einen Unterschied, dem man nicht entkommt?“
Lacan:
„Sicherlich gibt es einen Unterschied, der darauf beruht, dass die Frauen sehr gut begreifen, dass der Mann ein seltsamer Vogel ist. Man muss das auf der Ebene der Analytikerinnen beurteilen. Die Frauen sind die die besseren Analytiker, sie sind besser als der Mann.“22
Man beachte, dass Lacan – anders als der Fragende – von den Frauen und von dem Mann spricht.
Inwiefern ist für Frauen der Mann kein Symptom? Insofern er für sie ein eigenartiger Vogel ist, ein seltsamer Kauz. Das ist also, umgangssprachlich formuliert, das Gegenteil davon, an jemanden zu glauben: ihn für einen schrägen Vogel zu halten.
Die Pointe des Dialogs besteht natürlich darin, dass Lacan anschließend erklärt, Frauen seien die besseren Analytikerinnen – er demonstriert, dass er an sie glaubt.
Einige Monate darauf sagt Lacan in Seminar 23 von 1975/76, Das Sinthom:
„Ich habe mir erlaubt zu sagen, dass das Sinthom ganz präzise das Geschlecht ist, dem ich nicht angehöre, das heißt eine Frau. Wenn für jeden Mann (tout homme) eine Frau ein Sinthom ist, dann ist es völlig klar, dass es nötig ist, einen anderen Namen für das zu finden, was es für eine Frau mit dem Mann auf sich hat, da das Sinthom ja eben durch die Nichtäquivalenz gekennzeichnet ist. Man kann sagen, dass der Mann für eine Frau alles ist, was Sie wollen, nämlich ein Kummer, ärger als ein Sinthom; Sie können es gerne so artikulieren, wie es Ihnen recht ist, eine Verheerung gar.“23
Die These wird hier präzise wiederholt: Für jeden Mann bzw. für alle Männer (also für „den Mann“) ist eine Frau ein Sinthom. Da die Beziehung zwischen Männern und Frauen asymmetrisch ist, ist der Mann für eine Frau etwas anderes: ein Kummer, eine Verheerung – zumindest aber ein seltsamer Vogel.
Zur Sekundärliteratur
Colette Soler referiert Lacans These so:
„Wie Lacan sagt, macht der Mensch Liebe mit seinem Unbewussten. Das ist die These, die 1973 formuliert wurde und die in den ganzen folgenden Seminaren nachhallt, insbesondere in der berühmten Formel vom 21. Januar 1975, wo es heißt, dass für einen Mann ‚eine Frau ein Symptom‘ ist. Anders gesagt, ein Körper, der sich dem Partner hingibt, damit dieser, vermittels seines Unbewussten, seine Mehrlust entnimmt.“24
Eine Frau ist ein Symptom eines Mannes? Nein: „des“ Mannes; auf diesen Unterschied legt Lacan Wert.
Solers Erläuterung der Formel hat mit derjenigen, die Lacan selbst gibt, nichts zu tun. Soler bezieht die These auf das Genießen im Geschlechtsakt, Lacan auf das Verhältnis von männlicher Liebe und Wahrheit, auf den mit der Liebe des Mannes verbundenen Glauben an die Eine.
Jacqueline Rose hat in ihr Buch Sexualität im Feld der Anschauung einen Aufsatz aufgenommen, der mit
„Die Frau als Symptom“
überschrieben ist.25 Mit diesem Titel bezieht sie sich anspielungsweise auf Lacan, dessen Vorlesung vom 21. Januar 1975, in der die These vorgetragen wird, sie ins Englische übersetzt hat.26 Auch hier ist die Formulierung der These von derjenigen, die man bei Lacan findet, weit entfernt. Lacan zufolge ist „eine Frau“ ein Symptom, nicht, wie es bei Rose heißt, „die Frau“; der Unterschied zwischen „eine Frau“ und „die Frau“ ist für seine Theorie der Sexuierung grundlegend.
Slavoj Žižek bezieht sich so auf die Formel:
„Recall Lacan’s statement that ‚woman is a symptom of man‘ – does this mean that, vulgari eloquentia, a woman comes to ex-sist only when a man selects her as a potential object of libidinal investment? So what is she prior to this investment?“27
Wie übersetzt man das artikellose „woman“? Die Parallelstellung zum artikellosen „man“ zwingt einen, so zu übersetzen: „die Frau ist ein Symptom des Mannes“. Žižek tilgt hier die Asymmetrie zwischen „einer Frau“ und „dem Mann“, die für Lacans Argumentation jedoch entscheidend ist. (Im nächsten Satz wechselt Žižek von „woman“ zu „a woman“, von Frau schlechthin zu einer Frau, und von „man“ zu „a man“, aber er betont, dass dies umgangssprachlich formuliert ist.)
Ich stoße hier auf eine verblüffende Schwierigkeit, Lacans These in einem ganz banalen Sinne korrekt wiederzugeben, also auf ein Phänomen, das im Beobachtungsbereich der Psychoanalyse liegt. Einmal darauf aufmerksam geworden, stöbere ich im Internet und finde weitere Belege:
Von Garry Leonard gibt es eine Arbeit von 1991 mit dem folgenden Titel: „The Woman“ as a Symptom of „Masculinity“ in „The Dead“.28 Die Frau als ein Symptom.
Ein Aufsatz von August Ruhs aus dem Jahr 2003 trägt den Titel Die Frau als Symptom des Mannes.29
(Ich habe beide Texte nicht gelesen; es ist möglich, dass die Abweichung von Lacans Formulierung von den Autoren kommentiert wird.)
Bei einer Tagung der Lacan-Gruppe ALI-Provence über das Sinthom-Seminar im Jahr 2012 sagt eine Teilnehmerin:
„Dies eröffnet wichtige Konsequenzen; bis dahin, als Lacan sagte, dass die Frau das Symptom des Mannes ist, bewahrte dies das Unmögliche der sexuellen Beziehung, auf der Grundlage von: Die Frau existiert nicht und im phallischen Verhältnis ist sie nicht-alle.“30
Die Frau ist das Symptom des Mannes.
In einem Seminar von Eric Laurent über das Sinthom-Seminar im Jahr 2013 äußert sich eine Teilnehmerin so:
„Ich habe jeden Ihrer Vorträge als klinischen Vortrag gehört, verstanden. Mir schien, dass das sehr konkrete Wege aufzeigte, auf jeden Fall für die Klinik der Hysterie, und ich habe mich gefragt –. Ich habe [das] niemals gehört – die Frau ist das Symptom des Mannes – bezogen auf die Hysterie.“31
Die Frau ist das Symptom des Mannes.
Im Programmheft des 5. Frankfurter Symposiums zur strukturalen Psychoanalyse Jacques Lacans (2013) ist die folgende Ankündigung zu lesen: „Die Frau ist das Symptom des Mannes“.
Die Asymmetrie von „eine Frau“ und „der Mann“ kann offenbar nicht rezipiert werden. Dabei bildet diese Differenz den Dreh- und Angelpunkt von Lacans Theorie der Sexuierung.
Zusammenfassung
Lacans These lautet: Eine Frau ist ein Symptom des Mannes. Anders gesagt: Für den Mann ist eine Frau ein Symptom.
Lacan legt Wert auf den Unterschied von „eine Frau“ und „die Frau“, von „der Mann“ und „ein Mann“, also ist festzuhalten: Die These ist nicht „Die Frau ist ein Symptom eines Mannes“ und auch nicht „Die Frau ist ein Symptom des Mannes“ und auch nicht „Eine Frau ist ein Symptom eines Mannes“, sondern eben „Eine Frau ist ein Symptom des Mannes“. Sie ist auch nicht das Symptom des Mannes, sondern ein Symptom - eines seiner Symptome.
Eine Frau ist ein Symptom des Mannes, d.h. eine Frau ist für all diejenigen ein Symptom, die durch die Beziehung zum Phallus, Φ, charakterisiert sind. Damit ist nicht das phallischen Genießen gemeint, JΦ, sondern der Phallus, d.h. der Penis als Signifikant eines untersagten, eines unmöglichen Genießens. Der Phallus ist derjenige Signifikant, der keinen „Sinn“ hat, sondern eine „Bedeutung“ im Sinne von Frege; er ist der Signifikant des urverdrängten „Bedürfnisses“, wie Lacan im Phallus-Aufsatz sagt, er bezieht sich nicht auf Signifikate (nicht auf verdrängte Signifikanten), sondern auf auf einen Referenten (auf das Genießen). Die Frage lautet also: Was ist eine Frau für denjenigen, der mit dem Organ ausgestattet ist, das als dieser spezielle Signifikant fungiert, was ist eine Frau für „den Mann“? Für den so definierten Mann ist eine Frau ein Symptom.
In welchem Sinne ist eine Frau ein Symptom des Mannes?
– Ein Symptom ist etwas, woran man glaubt.
– Der Mann glaubt an eine Frau.
– Also ist für den Mann eine Frau ein Symptom.
Eine Frau ist für den Mann insofern ein Symptom, als er an sie glaubt.
An ein Symptom glauben, heißt, daran glauben, dass es etwas sagen kann, dass man es nur entziffern muss; wenn jemand in einer Psychoanalyse ein Symptom präsentiert, dann deshalb, weil er davon überzeugt ist, dass es etwas sagen kann. (In meinen Worten: weil er davon überzeugt ist, dass es einen verborgenen Sinn hat, der die Wahrheit über das Subjekt liefert, dessen Aufdeckung also ein Wahrheitsgeschehen ist.)
An jemanden glauben, z.B. an Geister glauben, heißt: davon überzeugt sein, dass sie im emphatischen Sinne etwas sagen können, d.h. etwas sagen können, was sich als Wahrheit oder Lüge auszeichnet.
An jemanden glauben, das ist das, was Liebe genannt wird. Ein Mann glaubt an eine Frau oder an zwei oder drei. Er glaubt, dass es Eine gibt. Er glaubt ihr, weil er keinen Beweis dafür gehabt hat, dass sie nicht echt wäre (in meinen Worten: keinen Beweis dafür, dass sie nicht aufrichtig wäre). Das ist kostbar, denn das gibt Gesellschaft, man ist nicht mehr allein.
In der Formel „Eine Frau ist ein Symptom des Mannes“ meint „eine Frau“ also: „eine Frau, insofern sie für den Mann die Eine ist“. Insofern eine Frau für den Mann die Eine ist, ist sie ein Symptom des Mannes.
Angesichts dessen, dass es kein sexuelles Verhältnis gibt, reduziert sich das sexuelle Verhältnis darauf, an jemanden zu glauben, also daran zu glauben, dass er oder sie etwas sagen kann, was eine Wahrheit ist oder eine Lüge. Dass es kein sexuelles Verhältnis gibt, ist das vom Symbolischen hervorgerufene Loch im Realen, und an jemanden zu glauben ist ein Stopfen, der dieses Loch stopft. Zu glauben, dass es Eine gibt, bringt einen dazu, zu glauben, dass es Die gibt, dass es Die Frau gibt, anders gesagt, dass es ein sexuelles Verhältnis gibt, ein Verhältnis zu Der Frau. „Eine Frau“ (im Sinne von: eine Frau, insofern sie für den Mann die Eine ist) ist also nicht „Die Frau“, aber sie bildet eine Grundlage dafür, zu glauben, dass es „Die Frau“ gibt.
Man muss unterscheiden zwischen „einer Frau glauben“ und „an eine Frau glauben“. Dazwischen gibt es einen Zusammenhang. Das beste Mittel, um an eine Frau zu glauben, sodass sie die Eine ist, besteht darin, ihr zu glauben.
Insgesamt liegt Lacans These eine Beziehung zwischen „Phallus“ und „Wahrheit“ zugrunde. Für alle, die durch die Beziehung zum Phallus definiert sind, Φ, gilt, dass sie sich auf Frauen unter dem Aspekt der Wahrheit beziehen: sie glauben ihnen, um an sie zu glauben, und insofern ist eine Frau für den Mann ein Symptom.
*
Lacan zufolge nimmt eine Frau für den Mann die Position des Objekts a ein. Das Verhältnis zwischen dieser These und der These, eine Frau sei für den Mann ein Symptom, wird in der zitierten Passage nicht geklärt.
Zum Bild zu Beginn des Artikels
Das Bild stellt die Begegnung von Lamia und Hermes dar. Lamia ist eine Gestalt der griechischen Mythologie. Sie frisst die Kinder anderer Mütter. Auch in ihrem Fall ist das Begehren das Begehren des Anderen – ihre Objekte a sind die Objekte a anderer Mütter – und das Begehren stützt sich bei ihr auf ein oral-kannibalistisches Phantasma.
Waterhouse orientiert sich für sein Gemälde an dem Gedicht Lamia von John Keats (1819). Darin wird erzählt, wie Lamia, die in die Gestalt einer Schlange eingeschlossen ist, dem Gott Hermes begegnet, der auf der Suche nach einer Nymphe ist. Lamia macht die Nymphe für ihn sichtbar, und zum Dank gibt er ihr eine menschliche Gestalt. Als Lamia später Lycius heiratet, offenbart der weise Apollonius bei der Hochzeitsfeier, dass sie eine Schlange ist. Daraufhin verschwindet Lamia, und Lycius stirbt vor Kummer.
Waterhouse stellt Hermes als Ritter dar, dadurch erinnert das Bild an die Begegnung von Undine und Huldbrand, der ja ein Ritter ist. Von Waterhouse gibt es ein Bild mit dem Titel Ondine (1872); ob er die Erzählung von Motte Fouqué gekannt hat, weiß ich nicht. An Undine erinnert auch der Schluss von Keats’ Gedicht: bei der Hochzeit wird die wahre Identität der Braut enthüllt, mit der Folge, dass sie verschwindet und der Mann stirbt.
In Waterhouse’ Gemälde legt Lamia ihre Hände auf Hermes’ Hand und Unterarm und schaut ihm tief in die Augen. Es sieht so aus, als wäre sie für den Mann diejenige, die ihn anfleht, an sie zu glauben.
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Anmerkungen
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Seminar 22, Sitzung vom 21. Januar 1975; Version Staferla vom 30. Juni 2013, S. 34 f. Hilfreich bei der Übersetzung war die Übersetzung von Seminar 22 durch Max Kleiner (S. 24-26), die sich jedoch auf eine andere französische Fassung des Seminars bezieht (Kleiners Übersetzung kann man beim Lacan-Archiv Bregenz erwerben).
-
Ernest Jones überliefert die folgende Bemerkung von Freud gegenüber Marie Bonaparte: „Die große Frage, die nie beantwortet worden ist und die ich trotz dreißig Jahre langem Forschen in der weiblichen Seele nicht habe beantworten können, ist die: ‚Was will das Weib?‘“ (Ernest Jones: Sigmund Freud. Leben und Werk. Band. 2. dtv, München 1984, S. 493)
Mit „Die Frau“ übersetzt Lacan sicherlich auch Freuds Terminus „Weiblichkeit“. Vgl. S. Freud: Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (1933), darin Vorlesung 33, „Die Weiblichkeit“. -
Quelle der Graphik: Seminar 22, Version Staferla, geändert.
-
Vgl. Seminar 8, Sitzung vom 17. April 1961; Version Miller/Gondek, S. 294, 297.
-
Friedrich Kittler: Aufschreibesysteme 1800 – 1900. 4. Auflage. Fink, München 2003, S. 53.
-
Vgl. Seminar 18, Sitzung vom 9. Juni 1971; Version Miller S. 148.
-
Vgl. J.L.: Die Bedeutung des Phallus (1958). In: Ders.: Schriften. Band II. Vollständiger Text. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien 2015, S. 192–204, hier: S. 198 und 201. Vgl. hierzu den Blogartikel Der Phallus.
-
Vgl. die folgende Bemerkung aus Seminar 21 von 1973/74, Les non-dupes errent: „Aber wir wissen alles, weil alles – wir erfinden ein Dingsda, einen Trick, um das Loch im Realen zu stopfen. Da, wo es keine sexuelle Beziehung gibt, ruft das ein Trauma hervor. Man erfindet. Man erfindet natürlich, was man kann.“ (Sitzung vom 19. Februar 1974, meine Übersetzung nach Version Staferla) Vgl. auch: J. Lacan: Préface à L’Éveil du printemps. In: Ders.: Autres écrits. Le Seuil, Paris 2001, S. 561-563, hier: S. 562.
-
Seminar 20 von 1972/73, Encore, Sitzung vom 13. März 1973; Version Miller/Haas u.a., S. 85.
-
Vgl. Otto Fenichel: Die symbolische Gleichung: Mädchen = Phallus (1936). In: Ders.: Aufsätze. Band II. Hg. v. Klaus Laermann. Ullstein, Frankfurt am Main u.a. 1985, S. 9-25. Lacan bezieht sich auf diesen Text immer wieder, etwa in Über eine Frage, die jeder möglichen Behandlung der Psychose vorausgeht (1958). In: Lacan, Schriften II, hg. v. N. Haas, S. 61-117, hier: S. 98.
-
Seminar 8, Sitzung vom 26. April 1961; Version Miller/Gondek, S. 325.
-
Friedrich de la Motte Fouqué: Undine (1811).
-
In Seminar 23 heißt es: „Wahr ist nur, was einen Sinn hat.“ (Sitzung vom 9. März 1976; Version Miller, S. 116; Übersetzung von Max Kleiner, S. 118)
-
Vgl. Seminar 5, Sitzung vom 18. Dezember 1957; Version Miller/Gondek, S. 156-163; Seminar 8, Sitzung vom 11. Januar 1961; Version Miller/Gondek, S. 143 f. Vgl. hierzu auch Seminar 7, Sitzung vom 6. Juli 1960; Version Miller/Haas, S. 374.
-
Lacan bezieht sich auf Stendhals Über die Liebe (1822).
-
Conférence à Genève sur le symptôme (4. Oktober 1975). In: La Cause du désir, Nr. 95 (2017/1), S. 9–13, hier.
-
Seminar 23, Sitzung vom 17. Februar 1976, meine Übersetzung nach Version Staferla; Version Miller, S. 65; Übersetzung von Max Kleiner, S. 111.
-
Colette Soler: Ce que Lacan disait des femmes: étude de psychanalyse. Édition du Champ Lacanien, Paris 2003, S. 183, meine Übersetzung.
-
Jacqueline Rose: Sexualität im Feld der Anschauung. Turia und Kant, Wien 1996, Kapitel 9, S. 219 ff. Dieses Kapitel gibt einen Aufsatz wieder, der zuerst 1980 veröffentlicht wurde.
-
Roses Übersetzung der Sitzung vom 21. Januar 1975 findet man in dem Sammelband: J. Lacan: Feminine sexuality. Übersetzt von Juliet Mitchell und Jacqueline Rose. Macmillan, London 1982.
-
Slavoj Žižek: Less than nothing. Hegel and the shadow of dialectical materialism. Verso, London u.a. 212, S. 527, meine Übersetzung. Diese Formulierung hatte Žižek bereits in einem früheren Aufsatz verwendet: Rossellini: Woman as Symptom of Man. In: October, 54. Jg. (1990), Heft 102, S. 18-44.
-
In: James Joyce Quarterly, 28. Jg. (1991), Nr. 2, S. 451-472.
- In: texte. psychoanalysse. ästhetik. kulturkritik. 22. Jg. (2003), Heft 1, S. 81-97.
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Catherine Prudhomme: Leçon I du séminare „Le sinthome“. In: ALI-Provence, 29. November 2012. https://www.ali-provence.com/2012/11/lecon-i-du-seminaire-le-sinthome-par-catherine-prudhomme/ abgerufen am 9. Juli 2015.
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Redebeitrag von Beatriz Premazzi in: Eric Laurent: „Le Sinthome“. Lacan, Séminaire XXIII. Lectures Freudienne à Lausanne, Juli 2012. https://lecturesfreudiennes.files.wordpress.com/2013/03/eric-laurent-le-sinthome-juillet-2012.pdf abgerufen am 9. Juli 2015.