Signifikant eines Mangels im Anderen, S(Ⱥ): das Fehlen eines Signifikanten, der die Wahrheit garantiert
In Lacans Graph des Begehrens trägt der obere linke Schnittpunkt die Bezeichnung S(Ⱥ), zu lesen als signifiant de l’Autre barré, Signifikant des Anderen, welcher barré ist. Das barré kann auf viele Weisen übersetzt werden, der Andere ist „ausgestrichen“, „durchgestrichen“, „schräggestrichen“, „quergestrichen“, er ist „versperrt“, „gesperrt“. Statt vom „ausgestrichenen Anderen“ spricht Lacan auch vom „Mangel im Anderen“ (manque dans l’Autre) oder vom „Mangel des Anderen“ (manque de l‘Autre).1
Auf welchen Anderen bezieht sich die Formel? Worin besteht sein Mangel? Und um welchen Signifikanten handelt es sich? Was also ist mit der Formel gemeint?
Die einfache Antwort lautet: S(Ⱥ) wird in Seminar 5 auf den realen Anderen bezogen, den Anderen als Lebewesen; der Schrägstrich zeigt an, dass er den Bedingungen des Sprechens unterworfen ist und deshalb gespalten ist (in Unbewusstes und Vorbewusstes, würde Freud sagen), dass er von einem Begehren umgetrieben wird (mit Freud: von Triebverdrängung und Wiederkehr des Verdrängten). Ab Seminar 6 wird die Formel anders verwendet, sie bezieht sich dort auf den Anderen im Sinne des Codes, des Sprachsystems; der Mangel des Codes besteht darin, dass ihm ein Signifikant fehlt, nämlich ein solcher, der die Wahrheit garantieren könnte.
(Andere Formulierungen von Lacan für den gleichen Zusammenhang sind: Es gibt keinen Anderen des Anderen; es gibt keine Metasprache. In Subversion des Subjekts und Dialektik des Begehrens findet man hierfür auch (–1) für einen fehlenden Signifikanten.)
Anders gesagt: Im Sprechen werden unweigerlich Wahrheitsansprüche erhoben (wie Habermas sagen würde), das Sprechen kann Wahrheit jedoch nicht garantieren, und diese Tatsache ist nicht etwa nur ein philosophisches Problem, sie ist vielmehr, Lacan zufolge, grundlegend für das Unbewusste.
Die komplizierte Antwort findet man in der Zusammenfassung am Ende dieses Beitrags.
Dazwischen referiere und kommentiere ich Lacans Erläuterungen der Formel in den erwähnten beiden Seminaren, in Seminar 5 von 1957/58, Die Bildungen des Unbewussten, und in Seminar 6 von 1958/59, Das Begehren und seine Deutung. In Seminar 5 wird der Ausdruck eingeführt, ich fasse Lacans Darstellung in diesem Seminar in eigenen Worten zusammen. Danach übersetze ich sämtliche Passagen in Seminar 6, in denen er sich zur Formel äußert, und kommentiere sie Absatz für Absatz.2
Im Folgenden sind die Zahlen in Klammern Seitenangaben zu den beiden Seminaren. Für Seminar 5 beziehe ich mich auf die von Hans-Dieter Gondek erstellte Übersetzung, die 2006 von Turia und Kant veröffentlicht wurde. Die Seitenangaben zu Seminar 6 verweisen auf die von Jacques-Alain Miller herausgegebene, bislang nicht übersetzte Version, die 2013 bei La Martinière erschienen ist. Bei den Zitaten aus Seminar 6 besagen drei Punkte vor einem Zitat, dass es an das vorangehende Zitat nahtlos anschließt.
Die kleinen Abbildungen des Graphen am rechten Rand lassen sich durch Anklicken vergrößern.
Herzlichen Dank an Steffen Dietz fürs gründliche Korrekturlesen!
NACHTRAG vom 17.9.2021:
Inzwischen gibt es eine Übersetzung von Seminar 6:
J. Lacan: Das Begehren und seine Deutung. Das Seminar, Buch VI (1958–1959). Texterstellung durch Jacques-Alain Miller. Aus dem Französischen von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien 2020.
Die Position im Graphen
Die Botschaft des Unbewussten
Im Graphen des Begehrens steht das Symbol S(Ⱥ) am Schnittpunkt oben links. Dieser Punkt steht für die Botschaft des Unbewussten.
Der Graph besteht aus zwei Stockwerken, das untere (in der nebenstehenden Zeichnung rot gefärbt) entspricht dem sinnorientierten Sprechen (in Freuds Sprache: dem Bewusstsein und dem Vorbewussten), die obere Etage (in der Abbildung grün) repräsentiert das Unbewusste. Der Graph soll zeigen, dass das Unbewusste strukturiert ist wie eine Sprache; die obere Etage, die des Unbewussten, ist deshalb genauso gebaut wie die untere, die der Sprache.
Von Roman Jakobson übernimmt Lacan den Gedanken, dass die Sprache durch das Verhältnis zwischen Code und Botschaft strukturiert ist; auf beiden Stockwerken stellt Lacan deshalb die Beziehung zwischen Code und Botschaft in den Mittelpunkt.3 Die beiden rechten Schnittpunkte repräsentieren den Code, die beiden linken die Botschaft; in meinem Diagramm steht C für Code und M für Botschaft (message).4 Der Knotenpunkt rechts unten bezieht sich also auf den Code der bewussten Sprache, der rechts oben auf den Code des Unbewussten. Der Schnittpunkt unten links steht für die Botschaft des sinnorientierten Sprechens, der obere linke Schnittpunkt repräsentiert die Botschaft des Unbewussten.
Der Graph stellt zwei Funktionen des Anderen dar. Im unteren Stockwerk steht das Symbol A für den Anderen als „Ort des Sprechens“, für den impliziten Hörer, der jedem Sprechen innewohnt. Auf ihn bezieht sich der Sprecher als auf den Sitz des Codes, dem er sich anzupassen hat, um verstanden zu werden.5 Das Symbol S(Ⱥ) in der oberen Etage des Graphen bezieht sich auf eine andere Funktion des Anderen, es geht hier um den „zweiten Grad der Begegnung mit dem Anderen“ (Seminar 5, 431).
Seminar 5, „Die Bildungen des Unbewussten“
Der begehrende reale Andere
Das Subjekt – das Kind in der sogenannten phallischen Phase – versucht, sich in seinem Sein anzuerkennen. Mit dem Sein des Subjekts ist das genitale Begehren gemeint. Das genitale Begehren ist das authentischste Begehren, das am wenigsten entfremdete Begehren (431); diese These übernimmt Lacan von Sartre.6 Das genitale Begehren ist insofern am wenigsten entfremdet, als es dem Code des Anderen am wenigsten untergeordnet ist.
Das Subjekt kann sein eigenes Begehren nur dadurch anerkennen, dass es des Begehren des Anderen anerkennt – nur dadurch, dass es akzeptiert, dass der Andere begehrt (431). Das ist der Grundgedanke, auf dem die gesamte Konstruktion des Graphen beruht.
Der Andere in welchem Sinne? Mit der Formel S(Ⱥ) ist, so heißt es zunächst, der „reale Andere“ (430) gemeint, der „menschliche Andere“ (430), insofern er durch den Signifikanten geprägt ist (376, 430), und das heißt, insofern er die Spaltung erlitten hat (465), die Spaltung in Vorbewusstes und Unbewusstes, wie Freud sagt. Diese Spaltung ist damit verbunden, dass sein Begehren barré ist, ausgestrichen, versperrt (431), in Freudscher Terminologie: verdrängt, abgewehrt. Der Andere, auf den sich das Symbol S(Ⱥ) bezieht, ist demnach ein Wesen, dessen Bedürfnisbefriedigung durch das Sprechen vermittelt ist, das deshalb in das sinnorientierte Sprechen und das „Sprechen“ des Unbewussten gespalten ist (das „Sprechen“ der Symptome, Fehlhandlungen, Wiederholungszwänge usw.) und in dessen unbewussten Äußerungen sich ein verdrängtes Begehren manifestiert.
Der Kastrationskomplex
Das Subjekt ist am Punkt S(Ⱥ) mit dem Begehren des Anderen konfrontiert, in biographischer Sichtweise zunächst mit dem sexuellen Begehren der Mutter, dann mit dem des Vaters. Für das, was dem Anderen fehlt und was er begehrt, gibt es im Unbewussten ein Element, den Phallus-Signifikanten – dadurch, dass der Penis das symbolisiert, was dem Anderen fehlt und was er begehrt, wird die Penisvorstellung zum Signifikanten (465). Der symbolische Phallus wird von Lacan durch ein griechisches großes Phi dargestellt, also durch Φ. Das Begehren des Anderen richtet sich auf den Phallus; von Lacan wird das so notiert: S(Ⱥ) ← Φ (359, 370).
Diese Beziehung wird in den Graphen eingetragen: am Beginn der oberen quer verlaufenden Linie steht hier in Seminar 5 das Symbol Φ (461).7 Das von Φ zu S(Ⱥ) führende (in der Abbildung rechts grün gefärbte) Segment der Pfeillinie stellt die Beziehung dar zwischen dem Begehren des Anderen und dem, was er begehrt, dem Phallus.8
Dadurch, dass das Begehren des Anderen auf den Phallus-Signifikanten bezogen wird, erscheint der Andere dem Subjekt als derjenige, der von Kastration gezeichnet ist (431). Der Kastration begegnet das Subjekt zuerst im Anderen, hier wiederum – das war eine von Freuds Entdeckungen – zuerst bei der Mutter (411). Im Graphen steht die Beziehung zwischen S(Ⱥ) und Φ am oberen linken Schnittpunkt also für den Kastrationskomplex. Die Verbindung zwischen S(Ⱥ) und Φ im Graphen signalisiert: der Kastrationskomplex ist der Dreh- und Angelpunkt des Unbewussten (411, 465).
Der Andere des Anderen
Am Ende von Seminar 5 präsentiert Lacan ein weiteres Element der Deutung. Der Andere, auf den sich das obere Stockwerk des Graphen bezieht, also der Andere der Formel S(Ⱥ), ist der „Andere des Anderen“ (560). Die erste Andere ist im typischen Fall die Mutter als Zuhörerin, als Adressatin des Anspruchs auf Bedürfnisbefriedigung und auf Liebe; für diese erste Andere steht im Graphen der untere rechte Schnittpunkt mit dem A. Das Subjekt – das Kind – ist damit konfrontiert, dass diese Andere keine bloße Hörerin ist, sondern dass sie spricht, dass sie selbst Forderungen erhebt und in diesem Sinne selbst ein Subjekt ist. In ihrem Sprechen bezieht sie sich, genau wie das Kind, auf einen Anderen. Diesen Bezugspunkt des Sprechens der Anderen – der Mutter – bezeichnet Lacan als „Anderen des Anderen“ bzw. als „Anderen der Anderen“.
Man könnte denken, dass mit dem Anderen der Anderen das Subjekt gemeint ist, das Kind. Das Kind wendet sich mit seiner Forderung an die Mutter, darin wird sie zu seiner Anderen. Es macht die Erfahrung, dass die Mutter zu ihm spricht und realisiert, dass es selbst für sie der Andere ist, also der Andere der Anderen. Diese Deutung wird von Lacan ausdrücklich zurückgewiesen (560 f.).
Mit dem Anderen des Anderen ist der Dritte gemeint. Das Kind realisiert, dass die Mutter zu einem Dritten spricht, zum Vater. Dieser Dritte als Adressat des Sprechens der Anderen ist der „Andere des Anderen“.
Auch dieser Andere des Anderen ist, so könnte man annehmen, ein „Ort des Sprechens“, der Vater als Zuhörer, als Ort, an dem die Signifikanten versammelt sind, als Ort des Codes, an den die Mutter sich in ihrem Sprechen anzupassen hat, damit sie verstanden wird. Mit dem „Anderen des Anderen“ ist jedoch etwas anderes gemeint, nicht der Vater als Hörer, nicht der von diesem Hörer repräsentierte Code, sondern der Vater als Sprecher. Sein Sprechen ist, so erklärt Lacan in Seminar 5, ein Gesetz über dem Gesetz – ein Gesetz, das nicht mehr das Gesetz der Mutter ist, dem das Kind unterworfen ist, sondern ein Gesetz, dem die Mutter unterworfen ist. Das Sprechen des Vaters fungiert, bezogen auf die vom Kind an die Mutter gerichteten Forderungen, als eine Art höherer Gerichtshof. (225, 560 f., 569, 588)
Die Botschaft des Unbewussten
Es ist klar, dass die zweite Deutung des Ausdrucks S(Ⱥ) unvollständig ist. Sie erklärt das Symbol A, nicht aber den Strich über dem A, sie bezieht sich, wenn man so reden will, auf den „nicht-ausgestrichenen Anderen“. Man muss also die beiden Deutungen zusammenfügen. Dann ergibt sich: Die Mutter, die Andere, bezieht sich (aus der Perspektive des Kindes) in ihrem Sprechen auf einen Anderen, auf einen Dritten, also auf den Anderen der Anderen. Dieser Andere der Anderen fungiert in einem ersten Schritt als ein Sprechen, das ein Gesetz verkündet, als eine oberste Gesetzgebung, die über dem von der Mutter repräsentierten Gesetz steht. Für diesen Anderen des Anderen – gewissermaßen für das Urteil in letzter Instanz – steht in der Formel S(Ⱥ) am oberen linken Schnittpunkt des Graphen das Symbol A ohne den Schrägstrich.
Die realen Anderen – sei es die Mutter, sei es der Vater – sind jedoch durch einen Mangel gekennzeichnet, da sie selbst durch die Bedingungen des Sprechens bestimmt sind. Das durchgestrichene A, das Symbol Ⱥ, repräsentiert den Vater nicht mehr als souveränes Sprechen, sondern als Subjekt, das den Bedingungen des Sprechens unterworfen ist.
Die Botschaft auf der Ebene des Unbewussten lautet demnach insgesamt: Der Andere ist keineswegs der „Andere des Anderen“, der souveräne Gesetzgeber, sondern der Andere ist durch den Signifikanten markiert (518 f.), der Andere ist ein begehrender Anderer (465, 518 f., 547, 595).
Die Botschaft des Unbewussten hat demnach eine Nicht-sondern-Struktur: es ist nicht so, dass der Andere ein Gesetz in letzter Instanz ist, vielmehr ist der Andere kastriert. Man stellt sich das Symbol Ⱥ am besten animiert vor:
– erste Phase: A; der Andere ist der souveräne Gesetzgeber, der Andere des Anderen,
– zweite Phase: der Schrägstrich trifft auf das A, was Ⱥ ergibt; der Andere wird vom Signifikanten getroffen und erleidet die Spaltung, er wird zum kastrierten Anderen.
Mit der Behauptung, die Botschaft des Unbewussten bestehe darin, dass der Andere durch den Signifikanten markiert ist, ist nicht gemeint, dass diese Botschaft sich tatsächlich herstellt, sondern dass es die Möglichkeit gibt, dass sie erzeugt wird (519, 547). Das heißt vermutlich: Der Kastrationskomplex kann unvollständig durchlaufen werden, der Vater kann für das Kind der idealisierte Vater bleiben, der über dem Gesetz stehende Gesetzgeber – was zur Folge hat, dass es keinen Zugang zu seinem eigenen Begehren findet, dass es eine Neurose ausbilden wird.
Offen bleibt in Seminar 5, was im Ausdruck S(Ⱥ) das Symbol S zu bedeuten hat. Diese Frage wird in Seminar 6 beantwortet.
Seminar 6, „Das Begehren und seine Deutung“
Es gibt im Sprachsystem keine Garantie für die Wahrheit dessen, was der Andere über das Sein des Subjekts sagt (8. April 1959)
In Seminar 6, Das Begehren und seine Deutung, kommentiert Lacan Shakespeares Hamlet, und zwar so, dass er sich hierbei immer wieder auf den Graphen des Begehrens bezieht. Bei der folgenden Bemerkung verweist er auf den unteren rechten Schnittpunkt des Graphen, der mit A bezeichnet ist und der für den Anderen als Ort des Sprechens steht – für den impliziten Hörer, der für das Subjekt das Signifikantensystem repräsentiert, den Code. Von A ausgehend verfolgt Lacan die Linie, die nach oben führt; in der nebenstehenden Zeichnung habe ich sie grün gefärbt.
„Dieser Diskurs für den Anderen, dieser Bezug auf den Anderen setzt sich jenseits des Anderen fort, insofern er, ausgehend vom Anderen, vom Subjekt wiederaufgenommen wird, um die Frage zu stellen – Was will ich? Genauer gesagt, die Frage richtet sich hier an das Subjekt und das in einer bereits umgekehrten Form – Was willst du?“ (348)
Die von A ausgehende, nach oben zeigende (grüne) Linie steht für die Frage des Subjekts „Was will ich?“ Dem Subjekt stellt sich diese Frage in umgekehrter Form, als Frage, die an es gerichtet wird: „Was willst du?“9
… „Jenseits des Anspruchs, der in dem Diskurssystem entfremdet ist, das hier in A ist, das am Ort des Anderen seinen Platz hat, fragt sich das Subjekt, seine Schwungbewegung fortsetzend, was es als Subjekt ist. Was hat es jenseits des Ortes der Wahrheit anzutreffen, also was? Jenseits des Ortes der Wahrheit hat es dem zu begegnen, was vom Genie nicht der Sprache, sondern der extremen Metapher – die angesichts bestimmter bedeutsamer Schauspiele formuliert zu werden drängt – mit einem Namen benannt wird, den wir hier im Vorbeigehen wiedererkennen werden, nämlich der Stunde der Wahrheit.“ (348 f.)
Die untere quer verlaufende Linie des Graphen, von „Signifikant“ nach „Stimme“, steht für den Anspruch, für die Forderung nach Bedürfnisbefriedigung (verbunden mit dem Liebesanspruch). Diese Forderung ist in dem Diskurssystem entfremdet, das durch den unteren rechten Schnittpunkt repräsentiert wird, also durch A für den Anderen als Ort des Sprechens und damit als Repräsentanten des Diskurssystems, des Codes. Der Andere ist insofern ein „Ort“, als hier die Signifikanten versammelt sind, und Lacan mit Heidegger unter einem Ort das „Versammelnde“ versteht.10 Die Forderung muss sich, um verstanden zu werden, an diesen Code anpassen und ist insofern entfremdet.
Der Andere als Ort des Sprechens ist nicht nur der Ort des Codes, sondern auch der Ort der Wahrheit, und zwar so, dass er die Wahrheit des Gesprochenen dadurch bestimmt, dass er es glaubt. Eine Psychoanalyse ist ein Wahrheitsgeschehen – der Analysant sucht eine verborgene Wahrheit, den Sinn seiner Symptome. Die Aufdeckung der Wahrheit erfolgt durch das Sprechen. Das Sprechen richtet sich an einen Ort, an eine Adresse, deren Platz vom Psychoanalytiker eingenommen wird. Der Andere soll glauben, was gesagt wird. Dieser Bezug auf das Glauben durch den Anderen, dieser Wahrheitsbezug ist auch dann im Spiel, wenn der Analysant lügt.
Die Schwungbewegung, der Elan des Subjekts beginnt im Graphen unten rechts, an dem Punkt, der mit einem durchgestrichenen S markiert ist, also mit $. Diese Bewegung wird über A hinaus fortgesetzt, durch die Frage „Was will ich?“ bzw. „Was willst du?“.
Jenseits des Ortes der Wahrheit, A, gibt es die Stunde der Wahrheit, nämlich die Antwort auf die Frage „Was will ich?“ am Punkt S(Ⱥ). Diese Metapher deutet an, dass die Antwort auf die Seinsfrage – auf die Frage „Was bin ich?“ – mit einer speziellen Form der Zeitlichkeit verbunden ist. Die Zeitlichkeit, so fährt Lacan fort, beruht auf der Struktur der Sprache. (Ich überspringe diese Passage; Lacan lässt sich hier von Heidegger inspirieren, der in Sein und Zeit den Zusammenhang zwischen dem Sein – bzw. der Seinsfrage – und der Zeit in den Mittelpunkt stellt.) Danach heißt es:
„In diesem Jenseits des Anderen – in diesem Diskurs, der nicht mehr Diskurs für den Anderen ist, sondern Diskurs des Anderen im eigentlichen Sinne, und worin sich dann die gestrichelte Linie der Signifikanten des Unbewussten konstituiert –, in diesem Anderen, in dem das Subjekt sich mit seiner Frage vorwärtsbewegt, ist das, was es letztlich anzielt, die Stunde der Begegnung mit sich selbst, mit seinem Wollen, mit etwas, das wir letztlich zu formulieren versuchen werden, wovon wir aber nicht sofort die Elemente angeben können, auch wenn gewisse Zeichen sie uns hier gleichwohl repräsentieren, Zeichen, die für Sie so etwas wie Anhaltspunkte sind, Andeutungen der Aufeinanderschichtung dessen, was uns erwartet bei dem, was man die Etappen, die notwendigen Schritte der Frage nennen kann.“ (349)
Der untere Teil des Graphen veranschaulicht den Diskurs für den Anderen, d.h. die Rede, die sich an den Anderen wendet und in der der Andere das Diskurssystem repräsentiert und die Wahrheit. Das obere Stockwerk des Graphen – oberhalb von A – steht für den Diskurs des Anderen. Das obere Stockwerk bezieht sich auf den Diskurs des Anderen in uns, mit Freud: auf die Gedanken des Unbewussten. Gemeint ist aber auch: Der Andere (z. B. die Mutter) fungiert hier als Sprecherin, die sich an einen Anderen wendet, an einen Dritten, der ebenfalls spricht.
Hier wird sich die gestrichelte Linie der Signifikanten des Unbewussten herstellen, die Lacan in der vorangehenden Sitzung erläutert hatte; in der nebenstehenden Zeichnung habe ich diese Linie – die einen Kreislauf bildet – rot gefärbt.11 Sie beginnt oben links, läuft über S(Ⱥ) nach $◊D und von dort aus nach unten und über d und $◊a zurück zu S(Ⱥ).
Mit der Erkundung des Unbewussten in einer Psychoanalyse versucht das Subjekt, eine Antwort auf die Frage zu bekommen „Was will ich?“. Damit wiederholt es eine Frage, die es sich bereits gestellt hatte, als sich sein erstes genitales Begehren regte. Diese Frage liegt aber auch der Neurose zugrunde – die Neurose beruht, Lacan zufolge, auf einer Frage, auf der Frage nach dem Geschlecht im Falle der Hysterie, auf der Frage nach der Existenz und dem Tod im Falle der Zwangsneurose.12 Die Antwort, die das Subjekt vom Unbewussten erhält (bzw. die es einst von Anderen erhalten hatte), ist die Stunde der Wahrheit, die Stunde der Begegnung mit sich selbst, mit seinem Wollen, wozu es keinen anderen Zugang hat als den der Konfrontation mit dem Begehren des Anderen.
Die Annäherung an die Stunde der Wahrheit vollzieht sich in Etappen, hierfür stehen im Graphen die Ausdrücke $◊D (für den Code des Unbewussten) und $◊a (für das Phantasma). Eine Psychoanalyse kann nicht direkt auf den traumatischen Punkt S(Ⱥ) zusteuern, sie muss sich zunächst auf die Wiederkehr oraler, analer und anderer Ansprüche beziehen ($◊D) sowie auf die Phantasmen ($◊a).
Ich überspringe einige Anmerkungen zu Hamlet; danach heißt es:
„Diese Antwort, die insgesamt die Botschaft ist, an dem Punkt, wo sie sich auf der oberen Linie konstituiert, auf der des Unbewussten, habe ich für Sie bereits vorab symbolisiert, nicht ohne deshalb gezwungen zu sein, Sie zu bitten, mir Glauben zu schenken.
Aber es ist leichter und ehrlicher, jemanden zu bitten, Ihnen Glauben in Bezug auf etwas zu schenken, das zunächst keinerlei Sinn hat, denn das verpflichtet Sie zu nichts, außer vielleicht dazu, diesen Sinn zu suchen, was Ihnen immerhin die Freiheit lässt, ihn selbst zu erschaffen.“ (352)
Die Antwort des Unbewussten auf die Frage „Was bin ich?“ ist im Graphen am Schnittpunkt oben links angesiedelt, S(Ⱥ). Dieser Knotenpunkt ist der Ort der Botschaft, das ist bereits aus dem vorangehenden Seminar bekannt, ohne dass dort das große S der Formel erläutert worden wäre. Die Botschaft des Unbewussten ist die Antwort des Unbewussten auf die Frage „Was bin ich?“; es beantwortet diese Frage mit „S(Ⱥ)“. Was immer S(Ⱥ) im Einzelnen heißen mag, auf jeden Fall ist die Formel als Antwort aufzufassen, als Antwort auf die Frage des Subjekts nach seinem Sein.
In Seminar 6 hatte Lacan die Formel S(Ⱥ) bislang nicht näher erläutert; er hatte seine Hörer gebeten, ihm zu glauben, dass dies eine brauchbare Formel sei. Lacan deutet an, dass das Symbol S(Ⱥ) etwas mit der Frage zu tun hat, ob man dem Anderen Glauben schenken kann, ob man sein Vertrauen in ihn setzen darf. Sogar eine Antwort wird, sehr dezent, angedeutet: der Sinn muss von einem selbst geschaffen werden.13
… „Ich habe angefangen, diese Antwort auf folgende Weise zu artikulieren.
Zunächst das große S, für Signifikant. Das unterscheidet bereits die Antwort auf der Ebene der oberen Linie von der Antwort auf der Ebene der unteren Linie, die mit kleinem s geschrieben wird, für Signifikat.
Auf der Ebene des einfachen Diskurses wird ja der Sinn dessen, was wir wollten, durch das Sprechen modelliert, das auf der Ebene des Anderen abläuft. Die Antwort ist also immer, bezogen auf dieses Sprechen, das Signifikat des Anderen, s(A).
Zu diesem einfachen Diskurs gibt es jedoch ein Jenseits, dort, wo das Subjekt sich die Frage stellt ‚Wer spricht? Wer wird dies oder jenes auf der Ebene des Anderen haben sagen wollen? Was bin ich letztlich in all dem geworden?‘ Auf dieser Ebene ist die Antwort, wie ich bereits gesagt habe, der Signifikant des Anderen mit dem Schrägstrich – S(Ⱥ).“ (352)
Lacan erläutert die Beziehung zwischen den linken beiden Schnittpunkten des Graphen, den beiden Punkten der Botschaft. In der unteren Etage findet man hier das Kürzel s(A), Signifikat des Anderen, in der oberen das Kürzel S(Ⱥ), Signifikant des ausgestrichenen Anderen. Im gewöhnlichen Sprechen hat die Botschaft die Form des Signifikats, des Sinns; zwar beruht der Sinn auf Signifikanten, dieser Aspekt erscheint in der alltäglichen Kommunikation jedoch als sekundär. Das Unbewusste manifestiert sich in Signifikanten, und zwar primär: in rätselhaften Elementen, deren Bedeutung sich zunächst entzieht.14
s(A) besagt, dass der Sinn des gewöhnlichen Sprechens vom Anderen bestimmt wird, vom Adressaten als Ort, an dem der Fordernde auf den Code stößt, der die Bedeutung festlegt und über die Wahrheit entscheidet.15
S(Ⱥ) ist die Antwort auf die Frage „Was bin ich?“. Diese Frage kann im Rahmen einer Psychoanalyse unterschiedliche Formen annehmen, etwa: Wer ist es, der träumt, was „ich“ geträumt habe? Oder: Was ist aus mir geworden?
Die Formel S(Ⱥ), für die Botschaft des Unbewussten, steht also in einem doppelten Gegensatzverhältnis zur Formel s(A), der Formel für die Botschaft des bewussten Sprechens. Die unbewusste Botschaft wird in Signifikanten artikuliert, nicht in Signifikaten; und sie kommt nicht vom Anderen in seiner Vollständigkeit, vom Code-System, sondern von einem Anderen, der „ausgestrichen“, „versperrt“ ist.
… „Es gibt tausend Arten, mit denen ich anfangen könnte, für Sie zu entwickeln, was dieses Symbol beinhaltet. Aber da wir im Hamlet sind, wählen wir heute den klaren, offenkundigen, pathetischen, dramatischen Weg. Er wird uns von Hamlet gewiesen, und das macht den Wert dieses Stückes aus: zum Sinn von S(Ⱥ) vorzudringen.
Nun ja, der Sinn dessen, was Hamlet von diesem Vater erfährt, steht da sehr klar vor uns. Das ist der nicht wiedergutzumachende, absolute, unergründliche Verrat der Liebe – der reinsten Liebe, der Liebe dieses Königs, der vielleicht, versteht sich, wie alle Männer ein großer Taugenichts gewesen sein mag, der aber in der Beziehung zu diesem Wesen, das seine Frau war, derjenige war, der so weit ging, von ihrem Gesicht den Windhauch abzuhalten, the winds of heaven, die Winde des Himmels – zumindest nach dem, was Hamlet sagt. Das ist die absolute Falschheit dessen, was Hamlet als das Zeugnis der Schönheit, der Wahrheit, des Wesentlichen erschienen war.
Hier gibt es die Antwort. Hamlets Wahrheit ist eine Wahrheit ohne Hoffnung. Im gesamten Hamlet gibt es keine Spur einer Erhebung zu etwas, das jenseits wäre, Befreiung, Erlösung. Es wurde uns gesagt, dass die erste Begegnung aus der Tiefe kam. Die höllische Beziehung zu diesem Acheron, den Freud, da die höheren Mächte sich nicht beugen lassen, in Bewegung versetzen wollte – eben da hat Hamlet seinen Ort.
Nichts ist klarer, einfacher, offensichtlicher, und es ist recht merkwürdig, zu sehen, dass die Autoren das, aus was weiß ich für einem Schamgefühl heraus, in Bezug auf Hamlet kaum jemals herausstellen – man darf die sensiblen Seelen nicht beunruhigen, gewiss doch.“ (352 f.)
Bezogen auf Hamlet besagt das Symbol S(Ⱥ): Die Liebe, die Hamlets Vater gegenüber Hamlets Mutter empfunden hatte, ist verraten worden. Über die Liebe seines Vaters hatte Hamlet sich zu Beginn des Stücks schwärmerisch geäußert, der Vater liebe seine Gemahlin so sehr, „dass er den Winden des Himmels nicht verstatten möchte, ihr Angesicht zu unsanft heimzusuchen“16. Diese Liebe ist verraten worden, und der Liebesverrat ist endgültig; was geschehen ist, kann nur gerächt, nicht aber wiedergutgemacht werden; es gibt auch keine Verzeihung. Die Botschaft über den Verrat, die der Geist übermittelt, ist die definitive Botschaft des Stücks.
Als Hamlet seine Begleiter schwören lässt, niemandem etwas über das Erscheinen des toten Königs zu sagen, spricht der Geist, so heißt es in Shakespeares Regieanweisung, „von unten“ und sagt: „Schwört bei seinem Schwert!“ Hamlet erwidert: „Gut gesprochen, alter Maulwurf! Kannst du dich so behende durch die Erde wühlen?“ (I, 5, Verse 161 f.) Der Ort des toten Vaters ist also die Tiefe. In der Tiefe lokalisiert Freud das Unbewusste; das Motto seiner Traumdeutung lautet: „Flectere si nequeo superos, Acheronta movebo“, „Kann ich die höheren Mächte nicht beugen, bewege ich doch den Acheron„17; der Acheron ist einer der Flüsse der Unterwelt. Offenbar sollen Lacans Hörer das so zusammenfügen: Die Botschaft des Geistes über den Liebesverrat ist eine letzte Botschaft aus der Tiefe – die tiefste Botschaft des Unbewusstem.
Von der psychoanalytischen Hamlet-Interpretation ist das übersehen worden – damit bezieht sich Lacan vermutlich vor allem auf die Studien von Ernest Jones und Ella Sharpe.18
… „Diese Antwort – so schmerzhaft sie sein mag – gebe ich Ihnen jedoch nur als eine Stufe in der Ordnung des Empfindsamen, des Pathetischen, denn jede Schlussfolgerung, jedes Urteil, so radikal es auch sein mag, das darauf hinausläuft, der Ordnung dessen, was man Pessimismus nennt, eine betonte Form zu geben, führt immer noch dazu, uns zu verschleiern, worum es geht.
Man muss von dieser Antwort eine Formel geben können, die das, was die Wahl dieses Kürzels motiviert hat, näher einkreist, den Grund für S(Ⱥ). Dieses Kürzel besagt nicht, dass alles, was auf der Ebene von A geschieht, nichts wert ist, anders gesagt, dass jede Wahrheit trügerisch ist. Das ist eine Behauptung, die einen in den Perioden des Amüsements, die auf die Nachkriegszeiten folgen, zum Lachen bringen kann, wo man beispielsweise eine Philosophie des Absurden ersinnt, die vor allen in den Kellerbars brauchbar ist. Versuchen wir etwas Seriöseres oder etwas Leichteres zu artikulieren.“ (353)
Lautet die Botschaft des Unbewussten also: Jede Wahrheit ist trügerisch? Ist das die Bedeutung der Formel S(Ⱥ)? Lacan weist diese Deutung zurück. Die Rede vom Liebesverrat diente der Einstimmung; für didaktische Zwecke wurden die Gefühle ins Spiel gebracht. Das könnte zu Missverständnissen führen. Es geht Lacan, so betont er, nicht um eine Philosophie des Pessimismus à la Schopenhauer und auch nicht um eine Philosophie des Absurden, wie Camus sie 1942 mit seinem Versuch über das Absurde vorgelegt hatte, dem Mythos von Sisyphos. Die Botschaft Jede Wahrheit ist trügerisch ist, wie Lacan später ausführen wird, Hamlets Art und Weise, die Botschaft des Unbewussten abzuwehren.
… „Ich glaube, dass der Augenblick gekommen ist, um Ihnen zu liefern, was dieses Kürzel im Wesentlichen bedeuten soll, auch wenn es Ihnen noch unter einem ziemlich speziellen Blickwinkel erscheinen wird, den ich jedoch nicht für zufällig halte.
Das durchgestrichene große A bedeutet folgendes. In A – das kein Lebewesen ist, sondern der Ort des Sprechens, der Ort, in dem in entwickelter Form oder in eingewickelter Form, das Gesamt des Signifikantensystems ruht, d.h. eine Sprache –, in A fehlt etwas. Das, was hier fehlt, kann nur ein Signifikant sein, deswegen das S. Der Signifikant, der auf der Ebene des Anderen fehlt, das ist die Formel, die dem S(Ⱥ) seinen radikalsten Wert verleiht.“ (353)
Was also besagt die Formel S(Ⱥ)?
– A: Das A steht für den Anderen als Ort des Sprechens. Der Ort des Sprechens ist der Ort, an dem die Gesamtheit des Signifikantensystems versammelt ist, die Sprache als Code. Ausdrücklich erklärt Lacan: Das A steht nicht für ein être, nicht für ein Lebewesen, nicht für einen Menschen.
– Ⱥ: Der Schrägstrich über dem A soll darstellen, dass dem Anderen als Ort des Sprechens etwas fehlt. Der Code hat defizitären Charakter.
– S: Das Sprachsystem am Ort des Anderen, also der Code, besteht aus Signifikanten. Deshalb kann das, was hier fehlt, nur ein Signifikant sein – ein Wort, ein Satz, ein isolierbares und rekombinierbares Verhaltenselement. Das S vor der Klammer repräsentiert einen fehlenden Signifikanten.
Was aber kann es heißen, das ein Signifikant fehlt? Dass sich eine Frage stellt und es auf diese Frage keine Antwort gibt, so erläutert Lacan das Konzept des fehlenden Signifikanten in Seminar 8.19 Das S steht für einen Signifikanten, der gesucht, aber nicht gefunden wird, und zwar deshalb nicht, weil es ihn nicht gibt und nicht geben kann.
Das S zu Beginn der Formel S(Ⱥ) meint also nicht, wie man auch denken könnte, rätselhafte Hinweise auf den Mangel im Anderen.20
Man kann die Formel von rechts nach links lesen.
– Der Andere ist hier das Sprachsystem, das Diskurssystem, der Code: A.
– Dem Sprachsystem fehlt etwas: Ⱥ.
– Das, was dem Sprachsystem fehlt, ist ein Signifikant: S.
Die Formel S(Ⱥ) steht also noch in einem weiteren Gegensatz zur Formel s(A). Während s(A) sich auf eine Bedeutung bezieht, die tatsächlich realisiert wird – die Bedeutung der Forderung nach Bedürfnisbefriedigung, nach Liebe –, steht S(Ⱥ) für einen Signifikanten, der inexistent ist, unaufhebbar abwesend.
Mit der These, dass es im Unbewussten einen fehlenden Signifikanten gibt, greift Lacan eine Frage auf, die Freud stark beschäftigt hat: Welche Vorstellungen fehlen im Unbewussten? Für Freud sind dies die des eigenen Todes, der Negation und der Geschlechtsdifferenz. Lacan bezieht die Frage auf die Sprache: Welcher Signifikant fehlt dem Sprachsystem überhaupt?
Lacans Antwort erinnert an Heideggers Aufsatz Das Wesen der Sprache. Dort heißt es: „Ein ‚ist‘ ergibt sich, wo das Wort zerbricht.“21 Mit Lacan kann man das so übersetzen: Für das Subjekt ergibt sich eine Antwort auf die Seinsfrage – auf die Frage „Was bin ich?“ – dort, wo ein Signifikant fehlt.
Dass dem Anderen als Sprachsystem ein Signifikant fehlt, ist die Grundbedeutung der Formel; die Botschaft von Hamlet-Vater über die Falschheit der Liebe ist nur eine von vielen Interpretationsmöglichkeiten, und zwar eine höchst problematische, wie Lacan im Weiteren zeigen wird.
… „Das ist, wenn ich so sagen kann, das große Geheimnis der Psychoanalyse. Das große Geheimnis besteht darin: es gibt keinen Anderen des Anderen.“ (353)
Der Signifikant, der fehlt, ist derjenige, der dafür sorgen würde, dass es einen „Anderen des Anderen“ gibt. Den Begriff „Anderer des Anderen“ hatte Lacan, wie referiert, in Seminar 5 eingeführt. Die erste Andere ist im typischen Fall die Mutter als Adressatin der Forderungen des Kindes. Die Mutter ist nicht nur Adressatin, sondern auch Sprecherin; in ihrem Sprechen wendet sie sich an einen Dritten als ihren Anderen, im typischen Fall an den Vater. Im Sprechen der Mutter ist der Vater – aus der Perspektive des Kindes gesehen – der Andere der Anderen.
Dieser Andere des Anderen – der Vater – spricht, und das, was er sagt, fungiert für die Andere – für die Mutter – als eine Art Entscheidung in letzter Instanz, so hatte Lacan in Seminar 5 behauptet. Die Rede vom „Anderen des Anderen“ wird jetzt korrigiert oder besser: in einen größeren Rahmen gestellt. Das Sprechen des Vaters ist für die Mutter keineswegs so etwas wie die Entscheidung eines obersten Gerichtshofs.
… „Denn die analytische Erfahrung enthüllt uns, dass das Subjekt, das spricht, notwendigerweise auf eine Weise strukturiert ist, die es vom herkömmlichen Subjekt unterscheidet, auch wenn letzteres im Laufe der philosophischen Entwicklung erneuert worden ist, in einem Sinne, der uns ja durchaus – im Rückblick in einer bestimmten Perspektive – als ein Wahn erscheinen mag, als ein fruchtbarer Wahn, aber doch als Wahn. In der traditionellen Philosophie subjektiviert sich das Subjekt endlos selbst. Wenn ich bin, insofern ich denke, dann bin ich, insofern ich denke, dass ich bin, und so immer weiter – es gibt keinen Grund, dass dies zu einem Halt kommt. Man hatte bereits mitbekommen, dass es nicht so sicher ist, dass ich bin, insofern ich denke, und dass man nur einer Sache sicher sein kann, nämlich dass ich bin, insofern ich denke, dass ich bin. Das mit Sicherheit. Nur, was die Analyse uns lehrt, ist etwas ganz anderes. Dass ich gerade nicht der bin, der dabei ist zu denken, dass ich bin, aus dem einfachen Grunde, dass ich dadurch, dass ich denke, dass ich bin, am Ort des Anderen denke. Daraus folgt, dass ich ein anderer bin als der, der ‚ich bin‘ denkt.“ (354)
Das Subjekt fragt: „Was bin ich?“ Es stellt also die Frage nach seinem Sein. Damit steht es in gewisser Nähe zu Descartes’ ego cogito, ergo sum, „ich denke, also bin ich“. Auch bei Descartes geht es um das Sein des Subjekts. Descartes sucht nach einer Antwort, die mit Gewissheit wahr ist, und er glaubt, im „ich bin, insofern ich denke“ diese Gewissheit gefunden zu haben. Lacan grenzt den Weg der Psychoanalyse hiervon ab.22 Wie Descartes, so fragt auch das Subjekt in der Psychoanalyse nach seinem Sein, jedoch gibt es für das Subjekt der Psychoanalyse keine Gewissheit.
Lacan deutet zwei Einwände gegen das Cogito an, die ich beide nicht verstanden habe.
Der erste Einwand lautet: Wenn gilt:
– Insofern ich denke, bin ich,
dann gilt auch:
– Insofern ich „ich bin“ denke, bin ich.
Das ist zwingend – für Descartes’ Argument ist der Inhalt des Denkens ja irrelevant, also kann auch der Descarte’sche Gedanke zur Grundlage für das „ich bin“ genommen werden. Das „ich bin“ wird damit in den Gedanken aufgenommen und verdoppelt. Dieser Import kann unendlich oft wiederholt werden. Der nächste Schritt wäre:
– Insofern ich denke „insofern ich denke, bin ich“, bin ich.
Es kommt hier zu einem unabschließbaren re-entry, wie Luhmann sagen würde, und damit zu einem Wuchern der Signifikantenkette, was für Lacan offenbar etwas mit dem Wahn zu tun hat. In Seminar 9 von 1961/62, Die Identifizierung, wird dieser Gedanke ausführlicher entwickelt.23
Die nächste Anmerkung zu Descartes besagt: Es ist keineswegs sicher, dass ich, insofern ich denke, tatsächlich bin. Es ist jedoch sicher, dass ich bin, insofern ich etwas Bestimmtes denke, insofern ich nämlich das Cogito nachvollziehe und denke: „Insofern ich denke, bin ich.“ Das erinnert an die Descartes-Deutung des finnischen Philosophen Jaakko Hintikka: das „ich“ des „ich denke“ ist nicht das „ich“ des „ich bin“; der berühmte Satz ist keine logische Schlussfolgerung, sondern ein performativer Akt: ego cogitans existo, das denkende Ich existiert.24
Wie auch immer, klar ist: Das cartesische Cogito steht für Lacan in Seminar 6 im Gegensatz zum psychoanalytischen Subjektbegriff. Für die Psychoanalyse ist das Bewusstsein die Kehrseite des Verdrängten. Um die Psychoanalyse auf Descartes beziehen zu können, formuliert Lacan den Grundgedanken der Psychoanalyse in den Kategorien von Denken und Sein; mit „Denken“ ist hier das bewusste Denken und das sinnbezogene Sprechen gemeint, mit „Sein“ der verdrängte Trieb und das verdrängte Begehren. Wenn ich den Gedanken „ich bin“ denke, ist dies ein Vorgang auf der Ebene des Bewusstseins. Mein Sein (mein Begehren, mein Trieb) ist anderswo. Das ist deshalb so, weil ich, wenn ich denke, am „Ort des Anderen“ denke, anders gesagt, weil sich mein Denken auf die Sprache stützt. Einzuschieben ist hier die These, dass das Sprechen unvermeidlich mit Verdrängung einhergeht, mit der Verdrängung dessen, was mich im Innersten umtreibt, mit der Verdrängung meines Seins. Also bin ich ein anderer als der, der „ich bin“ denkt – mein Sein ist anderswo als dieser bewusste Gedanke.
… „Nun geht es aber darum, dass ich absolut keine Garantie habe, dass dieser Andere, durch das, was es in seinem System gibt, mir das zurückgeben könnte, wenn ich mich so ausdrücken kann, was ich ihm gegeben habe, nämlich sein Sein und sein Wesen an Wahrheit. Es gibt keinen Anderen des Anderen, habe ich Ihnen gesagt. Es gibt im Anderen keinen Signifikanten, der für das bürgen könnte, was ich bin. Und um es auf andere Weise zu sagen: Die Wahrheit ohne Hoffnung, über die ich eben zu Ihnen sprach, diese Wahrheit – und das ist diejenige, der wir auf der Ebene des Unbewussten begegnen – ist eine Wahrheit ohne Gesicht, eine verschlossene Wahrheit, eine Wahrheit, die sich in jede Richtung / in jedem Sinn biegen lässt. Wir wissen es nur zu gut, es ist eine Wahrheit ohne Wahrheit.“ (354)
Das Subjekt fragt „Was bin ich?“ Es erwartet eine Antwort auf der Ebene der Sprache, es unterstellt, dass das Sprachsystem über eine solche Antwort verfügt. Es erwartet jedoch nicht einfach Antworten. Es ist Cartesianer, es sucht nach einer Antwort, die gewiss ist, nach einer Antwort über sein Sein, deren Wahrheit garantiert ist.
Eine sichere Antwort wäre dann möglich, so setzt Lacan hier voraus, wenn es einen Signifikanten gäbe, der die Wahrheit garantieren würde. Die cartesische Variante des wahrheitssichernden Signifikanten ist das Cogito, die habermas’sche der herrschaftsfreie Diskurs. In der Umgangssprache gibt es zahlreiche Formeln, die diese Aufgabe haben, etwa das nachgestellte „ehrlich“: „Ich war’s nicht – ehrlich!“ Mit „ich war’s nicht“ wird ein Wahrheitsanspruch erhoben, das „ehrlich“ ist ein hinzugefügter Signifikant, der dazu dient, das Wahre über das Wahre zu sagen, er soll der Wahrheitsbehauptung eine Garantie verleihen. Jeder weiß, dass das nicht funktioniert – je häufiger ich „ehrlich“ sage, für desto unehrlicher wird man mich halten.
Vor Gericht wird die Eidesformel als wahrheitssichernder Signikant verwendet, „Ich schwöre, dass ich bei bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt habe“, auch hier ist offenkundig, dass die Sicherung prekär ist.
Beide Formeln – „ehrlich“ und „Ich schwöre es“ – stützen Lacans These, sie zeigen, dass ein wahrheitssichernder Signifikant zwar gesucht, aber nicht gefunden wird.
Traditionellerweise lautet die Eidesformel in Deutschland „Ich schwöre bei Gott dem Allmächtigen und Allwissenden“, damit wird – in psychoanalytischer Sicht – der Vater ins Spiel gebracht. Eine der Funktionen Gottes bzw. des Vaters besteht offenbar darin, einen Signifikanten zu liefern, der die Wahrheit garantiert. „Du sollst nicht töten“ – das ist eine Forderung, die mit dem Anspruch auf Wahrheit verbunden ist, auf normative Richtigkeit. Ihr wird hinzugefügt: „Dies hat Jahwe zu Mose am Sinai gesprochen.“ Der ergänzende Signifikant dient als Garant für die Richtigkeit.
Die Autoritätsbindung beruht darauf, so scheint Lacans implizite These zu lauten, dass dem Anderen ein Signifikant zugeschrieben wird, der die Wahrheit seiner Behauptungen und die Richtigkeit seiner Anordnungen garantiert.
Kann der Andere im Sinne des Codes also die Frage „Was bin ich, jenseits der Entfremdung durch den Code?“ beantworten? Lacans Auskunft ist weder Ja noch Nein. Es gibt durchaus Antworten auf die Frage „Was bin ich?“, und diese Antworten beanspruchen, wahr zu sein. Es gibt im Anderen jedoch keinen Signifikanten, der diesen Antworten Gewissheit verleihen könnte, der sie mit einer Garantie versehen könnte.
Das heißt keineswegs, dass sie allesamt trügerisch sind – diese Deutung hatte Lacan ausdrücklich zurückgewiesen. Die Antworten sind weder mit Gewissheit wahr noch mit Gewissheit falsch – sie sind ungewiss. Die Formel S(Ⱥ) verweist also auf ein Drama – eine Tragödie? eine Komödie? – in der Beziehung des Subjekts zur Sprache. Die sprachlich vermittelte Beziehung zum Anderen ist unvermeidlich mit Wahrheitsansprüchen verbunden. Das Subjekt begnügt sich nicht mit bescheidenen, vorläufigen, wackligen Wahrheiten; es sucht nach Gewissheit, es sucht nach einem Signifikanten, der die Wahrheit garantiert. Bei dieser Suche stößt es darauf, dass es einen solchen Gewissheit sichernden Signifikanten nicht gibt. Dieses Wahrheitsdrama bildet, Lacan zufolge, den Kern des Unbewussten.
Die Psychoanalyse bezieht sich auf mehreren Ebenen auf das Wahrheitsproblem.
– In einer psychoanalytischen Kur ist der Analytiker derjenige, dem der Patient alles sagen soll, was ihm in den Kopf kommt – dem er also die Wahrheit sagen soll. Der Patient kann versuchen, den Analytiker zu belügen, sei es durch Erfindungen, sei es durch Verschweigen.
– Der Patient fragt sich: Stimmen die Deutungen des Analytikers?
– Vielleicht stellt er sich auch die Frage, wie die Produktionen des Unbewussten zu bewerten sind: lügt das Unbewusste?25
– Assoziieren und Deuten erfolgen in einer Situation der Übertragung; das aktuelle Wahrheitsdrama wiederholt ein älteres. Freud interessiert sich für die kindliche „Sexualforschung“ – mit der Forschung kommt die Wahrheitsfrage ins Spiel. Er spricht über das Misstrauen der Kinder gegenüber den Behauptungen, die die Erwachsenen zur Sexualität vorbringen.26
– Das Wahrheitsdrama kann auch auf der Ebene der Symptome ausgetragen werden; man denke an das zwanghafte Lügen oder auch an die Eifersucht mit der beständig wiederkehrenden Frage: „Hat sie mir wirklich die Wahrheit gesagt?“
Wie auch immer das Wahrheitsproblem im Einzelnen aussehen mag, die Formel S(Ⱥ) am Platz der Botschaft des Unbewussten besagt: den unterschiedlichen Wahrheitskonflikten liegt die Konfrontation mit einem strukturellen Defizit zugrunde: damit, dass ein wahrheitssichernder Signifikant gesucht wird und dass realisiert wird, dass es einen solchen Signifikanten nicht gibt (oder dass diese Entdeckung abgewehrt wird).
… „Und eben das ist für diejenigen, die sich unserer Arbeit von außen nähern, das größte Hindernis. Da sie nicht mit uns auf dem Weg sind, auf dem unsere Deutungen dazu bestimmt sind, ihre Wirkung zu zeitigen – eine Wirkung, die sich nur als metaphorisch begreifen lässt, insofern die Deutungen immer zwischen den beiden Linien des Graphen spielen und wiederhallen –, können sie nicht verstehen, worum es bei der analytischen Deutung geht.“ (354)
In einer psychoanalytischen Kur geht es um Wahrheit, um die Aufdeckung des Verdrängten durch Deutung; ohne diesen Wahrheitsbezug ist sie nicht denkbar und nicht machbar. Die Wahrheit der psychoanalytischen Deutung hat jedoch einen prekären Status, nicht zuletzt deswegen, weil die Kritik des Patienten an der Deutung häufig auf „Widerstand“ zurückgeführt und damit als Bestätigung angesehen wird. Dies macht die Psychoanalyse für Außenstehende dubios. Entscheidend an der psychoanalytischen Deutung ist, dass sie Wirkung hat. Diese Wirkung ist nur dadurch möglich, dass die Deutung zwischen den beiden Signifikantenlinien des Graphen spielt, zwischen dem sinnorientierten Sprechen und dem Sprechen des Unbewussten. Das heißt aber, die Deutungen haben unvermeidlich metaphorischen Charakter. Etwa zehn Jahre später wird Lacan hierfür die Formel finden „Die Wahrheit kann man nur halbsagen“.27 Und in Seminar 23, Das Sinthom (1975/76), wird er sagen:
„Denn letztlich haben wir als Waffe gegen das Symptom nur dies: die Äquivokation.“28
Der Vater kann das Gesetz nicht garantieren (29. April 1959)
In der Sitzung vom 29. April heißt es:
„Das Hamlet-Drama geht, im Gegensatz zum Ödipus-Drama, nicht von der Frage aus Was geschieht da? Wo ist das Verbrechen? Wo ist der Schuldige? Es beginnt mit der Anzeige des Verbrechens, das dem Ohr des Subjekts dargelegt wird, und ausgehend von dieser Offenbarung nimmt es seinen Lauf. Diese Offenbarung, deren ganze Mehrdeutigkeit wir sehen sowie den Kontrast zu Ödipus, kann in der Form geschrieben werden, in der wir die Botschaft des Unbewussten notieren, nämlich Signifikant des durchgestrichenen A, S(Ⱥ).“ (405 f.)
Die Stadt Theben wird von der Pest heimgesucht und man sucht nach dem Verbrechen, durch das die Seuche hervorgerufen wurde, sowie nach dem Schuldigen. Das ist der Anfang von Sophokles’ König Ödipus. Die Hamlet-Tragödie beginnt mit der Offenbarung des Verbrechens und des Mörders – der Geist des toten Königs erscheint Hamlet und berichtet ihm, dass er keineswegs auf natürliche Weise zu Tode gekommen ist, vielmehr durch Mord, und dass Claudius, der Bruder des Toten, der Schuldige ist. König Ödipus entfaltet sich ähnlich wie ein klassischer Kriminalroman: die Handlung besteht darin, auf die Frage Whodunnit? eine Antwort zu finden. Die Handlung von Hamlet entwickelt sich eher wie ein Thriller. Es steht fest, wer der Schuldige ist, die Frage ist nur, ob er seiner gerechten Strafe zugeführt wird.
Die Offenbarung des Verbrechens enthält eine Mehrdeutigkeit. Sicherlich, Claudius ist der Schuldige. Aber zugleich erscheint Hamlet-Vater als ein schwacher Vater. Er ist von Beginn der Tragödie an das Opfer eines Verbrechens, und er kann nicht die Sanktion des Gesetzes verhängen, er kann den Schuldigen nicht seiner gesetzlichen Strafe zuführen. Das kann mit dem Symbol S(Ⱥ) geschrieben werden.
… „In der Normalform des Ödipuskomplexes, wenn man so sagen kann, wird dieser Signifikant von der Figur des Vaters verkörpert. Von ihm wird die Sanktion des Ortes des Anderen erwartet und gefordert, die Wahrheit der Wahrheit, insofern er der Urheber des Gesetzes sein soll. Jedoch ist er immer nur derjenige, der es erleidet, und er kann es nicht mehr als irgendein anderer garantieren, denn auch er hat die Schrägstrich zu erleiden, was aus ihm, insofern er der reale Vater ist, einen kastrierten Vater macht.“ (406)
Das S im Kürzel S(Ⱥ) steht für „Signifikant“, für denjenigen Signifikanten, der die Wahrheit garantiert, der die Wahrheit über die Wahrheit sagt, für den Anderen des Anderen. Dieser Signifikant wird in der Normalform des Ödipuskomplexes vom Vater verkörpert; von ihm wird erwartet und gefordert, für den „Ort des Anderen“ die „Sanktion“ zu liefern.
Mit dem „Ort des Anderen“ sind hier vor allem die Verbote gemeint, das „Gesetz“, wie Lacan sagt.
Von diesem Vater wird die Sanktion erwartet, in Hamlet die Strafe für die Übertretung des Gesetzes durch den Mörder, in psychoanalytischer Perspektive: die Strafe der Kastration. In Seminar 4 von 1956/57, Die Objektbeziehung, wird der Vater, von dem die Kastration erwartet wird, als „realer Vater“ bezeichnet.29
Sanktion bedeutet nicht nur „Strafe“, sondern auch das „Erlassen eines Gesetzes“, wie in „Pragmatische Sanktion“. Der Vater ist derjenige, von dem erwartet wird, dass er als Urheber des Gesetzes fungiert (wie es sich Rousseau in Vom Gesellschaftsvertrag vom Gesetzgeber erträumt), dass er das Gesetz in Kraft setzt und dass er durch diesen Ursprung dem Gesetz eine unbestreitbare Legitimität sichert.
Unter Sanktionieren versteht Lacan auch die Bestätigung, die Absicherung einer Auffassung durch eine Autorität.30
Hamlet-Vater kann das Gesetz nicht garantieren, nicht absichern; ohnmächtig hat er das Verbrechen erlitten, ohnmächtig muss er dulden, dass der Mörder seinen Platz einnimmt, den des Königs. Er ist von den Bedingungen des Sprechens geprägt (er hat den Schrägstrich erlitten); sein Begehren steht in Beziehung zum Phallus-Signifikanten, als realer Vater ist ein kastrierter Vater.
Der Mangel im Anderen und das Verschwinden des Subjekts (13. Mai 1959)
In der folgenden, sehr langen Passage rekonstruiert Lacan den Zusammenhang zwischen dem Mangel im Anderen und dem Phantasma. Dem Leser wird zugemutet, sich für drei Fragen gleichzeitig zu interessieren:
– Was ist der Mangel im Anderen, Ⱥ?
– Worin besteht das Phantasma, dargestellt durch die Formel $◊a?
– Und vor allem: Worin besteht der Zusammenhang zwischen dem Mangel im Anderen und dem Phantasma, zwischen Ⱥ und $◊a?
Die Lektüre ist vermutlich mühselig; sie lohnt sich, weil die Beziehung zwischen den beiden Größen – also zwischen Ⱥ bzw. S(Ⱥ) und $◊a – zu diesem Zeitpunkt so etwas wie das Zentrum von Lacans Theorie der Psychoanalyse bildet.
Das Phantasma
Die Antwort des Subjekts auf die Konfrontation mit dem Mangel im Anderen ist das Phantasma. Im Graphen des Begehrens wird diese Beziehung dadurch kennlich gemacht, dass die Formel für das Phantasma, $◊a, direkt unter der Formel für den Signifikanten des Mangels im Anderen lokalisiert wird, also unter S(Ⱥ) (vgl. die Zeichnung rechts).
„Die symbolische Formel $◊a gibt dem, was ich das Fundamentalphantasma nenne, seine Form.
Dies ist die wahre Form der sogenannten Objektbeziehung und nicht die Art, wie sie bisher artikuliert worden ist.“ (434)
Der zweite Satz ist eine Hinzufügung des Herausgebers, also von Jacques-Alain Miller, er findet sich nicht in der von Lacan in Auftrag gegebenen Stenotypie.31
Die von William Fairbairn, Melanie Klein und anderen auf den Weg gebrachte Objektbeziehungstheorie verkennt, worum es bei der Objektbeziehung geht. Die Objektbeziehungstheoretiker meinen, über das Objekt zu sprechen, tatsächlich aber beziehen sie sich – ohne es zu wissen – auf den Anspruch: die von ihnen unterschiedenen „Objektbeziehungen“ (oral, anal usw.) sind von Ansprüchen aus konstruiert, von Forderungsarten (oralen Forderungen, analen Forderungen usw.).
Korrekt hingegen wird die Objektbeziehung von Lacans Formel $◊a dargestellt:
– $ steht für das Subjekt, das durch die Sprache einen Verlust erlitten hat,
– ◊ steht für sich widersprechende Beziehungen, für ein dialektisches Verhältnis,
– a ist das imaginäre Objekt, das Objekt des Begehrens; im Kontext ist dies Ophelia als Objekt des Begehrens von Hamlet.32
Die Formel des Phantasmas ist also insgesamt so zu lesen: „Das Subjekt, das durch die Sprache einen Verlust erlitten hat, in einer widersprüchlichen Beziehung stehend zum imaginären Objekt des Begehrens“.
… „Zu sagen, dass es hier um das Fundamentalphantasma geht, bedeutet nichts anderes als dies, dass es, in synchroner Perspektive, der Stütze des Begehrens seine Minimalstruktur sichert.“ (434)
Das Begehren stützt sich auf Phantasmen, beispielsweise auf Phantasievorstellungen, an denen man sich „aufgeilt“, wie es in der Umgangssprache prägnant heißt. Im Graphen des Begehrens wird dies durch die Gegenüberstellung von d (für Begehren) und $◊a (der Formel für das Phantasma) dargestellt.
Die Rede vom Fundamentalphantasma besagt, dass Lacan das Phantasma in einer synchronen Perspektive betrachtet, nicht in einer diachronen. Anders gesagt, er fragt nach der Struktur des Phantasmas, nicht nach seiner Entwicklungsgeschichte. Er begreift die strukturelle („synchrone“) Sichtweise als Ergänzung und Korrektur der in der Psychoanalyse vorherrschenden entwicklungsgeschichtlichen Betrachtungsweise. Dabei bezieht sich der Begriff „Fundamentalphantasma“ auf die Minimalstruktur des Phantasmas. Mit „Fundamentalphantasma“ ist keineswegs eine konkrete Phantasievorstellung gemeint, die allen anderen, leichter zugänglichen Phantasievorstellungen zugrundeläge.
Die mit der Formel $◊a verbundene These lautet: Das Fundamentalphantasma besteht darin, dass es in jeder Phantasievorstellung einerseits das von der Sprache markierte Subjekt gibt, andererseits das imaginäre Objekt des Begehrens und zwischen beiden eine widersprüchliche Beziehung.
… „Sie finden darin zwei Terme, deren doppelte Beziehung zueinander eben das Phantasma konstituiert. Diese Beziehung wird dadurch noch komplexer, dass das Subjekt sich als Begehren in einer dritten Beziehung zum Phantasma konstituiert.“ (434)
Die beiden Ausdrücke, also $ und a, stehen in einer doppelten Beziehung zueinander; die Doppeltheit der Beziehung wird durch das Symbol ◊ ausgedrückt, das demnach so zu lesen ist: „in zwei miteinander im Konflikt liegenden Beziehungen stehend zu“, „in einer dialektischen Beziehung stehend zu“.
Das Subjekt kommt nicht nur als zum Phantasma gehörendes, phantasiertes Subjekt ins Spiel, sondern auch als phantasierendes und damit als begehrendes Subjekt. Dies ist eine dritte Beziehung: die Beziehung, die das Subjekt zu seinen Phantasievorstellungen unterhält, indem es mit ihnen sein Begehren anheizt. Im Graphen wird diese Beziehung durch das Verhältnis zwischen d und $◊a dargestellt (in der nebenstehenden Abbildung grün gefärbt).
Das Verschwinden des Subjekts …
… „Wir nehmen heute die dritte Perspektive ein. Überdies werden wir die Annahme (assomption) des Subjekts durch a hindurchgehen lassen. Das ist genauso legitim, wie es durch das ausgestrichene Subjekt hindurchgehen zu lassen, angesichts dessen, dass das Begehren sich in der Konfrontationsbeziehung zu $◊a aufrechthält.“( 434)
Das Subjekt hat zwei Möglichkeiten, sein Begehren durch Bezug auf das Phantasma anzunehmen, zu übernehmen, zu akzeptieren, es kann sich dabei auf den einen oder den anderen der beiden polaren Terme stützen, auf das Subjekt oder auf das Objekt, auf $ oder auf a.
Lacan fährt fort:
… „Sie haben mich die Dinge bereits hinreichend weit artikulieren gehört, um nicht, denke ich, erstaunt zu sein, verwirrt zu sein und auch nicht überrascht zu sein, wenn ich behaupte, dass das Objekt a zunächst einmal zu definieren ist als Stütze, die das Subjekt sich gibt, insofern es schwach wird (défaille) .… Hier wollen wir einen Moment lang innehalten und anfangen, etwas Annäherndes zu sagen, damit das zu Ihnen spricht: insofern es in seiner Gewisseheit als Subjekt schwach wird. Und nun setze ich noch einmal an, um Ihnen den genauen Terminus zu geben, der aber zu wenig zur Anschauung spricht, um keine Furcht gehabt zu haben, Ihnen sogleich damit zu kommen: insofern es in seiner Bezeichnung als Subjekt schwach wird.“ (434, die Auslassungspunkte und die Hervorhebungen sind in der Vorlage)
Das Objekt a im Phantasma bewältigt für das Subjekt eine Schwierigkeit, es liefert ihm eine Stütze. Das Problem besteht für das Subjekt darin, dass es schwach wird, einen Schwächeanfall erleidet, dass es verschwindet; an anderen Stellen in diesem Seminar spricht Lacan vom fading des Subjekts oder von seiner aphanisis, was beides „Verschwinden“ meint. In der Formel für das Phantasma, $◊a, steht das durchgestrichene S nicht einfach für das Subjekt, das den Bedingungen des Sprechens unterworfen ist, sondern spezieller für das Subjekt, das einen Schwächeanfall erleidet, das im Verschwinden begriffen ist.
Was ist mit dem Schwachwerden oder Verschwinden des Subjekts gemeint? Erste Annäherung: Das Subjekt schwindet in seiner certitude de sujet, in seiner Gewissheit als Subjekt. Der Begriff verweist auf die cartesische Problematik, auf die Suche nach Gewissheit. Das Subjekt sucht Gewissheit darüber, was seine Subjektivität ausmacht, jenseits der Anpassung an den Code. Diese Gewissheit kann nicht erreicht werden. Das Subjekt erleidet insofern einen Schwächeanfall, als seine Selbstgewissheit schwindet. Neben die Ungewissheit in bezug auf die Wahrheit der Äußerungen des Anderen tritt die Ungewissheit des Subjekts in bezug auf sich selbst.
Das ist jedoch nur eine Annäherung. Die bessere Beschreibung lautet: das Subjekt schwindet in seiner désignation de sujet, in seiner Bezeichnung als Subjekt. Das Problem des Subjekts besteht darin, sich zu designieren, sich zu bezeichnen, und zwar als Subjekt des unbewussten Diskurses, und bei diesem Versuch zeigt sich seine Ohnmacht. Da es in seiner Selbstbezeichnung seine Ohnmacht erfährt, schwindet es in seiner Gewissheit.
… als Effekt des Mangels im Anderen
… „Denn das, worum es geht, beruht gänzlich auf dem, was im Anderen geschieht, insofern er für das Subjekt der Ort seines Begehrens ist. Nun, im Anderen – in diesem Diskurs des Andern, der das Unbewusste ist – fehlt dem Subjekt etwas. Wir werden sogleich darauf zurückkommen, wir werden so oft wie nötig darauf zurückkommen, bis zum Schluss werden wir darauf zurückkommen.“ (434 f.)
Das, was bezeichnet werden soll, ist das Begehren des Subjekts. Dieses beruht auf dem, was im Anderen geschieht, darauf, wie sich der Andere zum Begehren des Subjekts verhält. Im Diskurs des Anderen fehlt etwas – ein wahrheit-sichernder Signifikant –, und aus diesem Grunde scheitert das Vorhaben des Subjekts, sich in seinem eigenen Begehren zu bezeichnen.
… „Gerade durch die Struktur, mit der sich die Beziehung des Subjekts zum Anderen als Ort des Sprechens herstellt, fehlt etwas auf der Ebene des Anderen. Was dort fehlt, ist eben das, was es dem Subjekt erlauben würde, sich dort als das Subjekt des Diskurses, den es hält, zu identifizieren. Im Gegenteil, insofern dieser Diskurs der Diskurs des Unbewussten ist, verschwindet dort das Subjekt.“ (435)
Das Subjekt etabliert sich in der Beziehung zum Anderen als Ort des Sprechens, d.h. als Ort des Codes und als Ort der Wahrheit. Im Anderen, im Signifikantenapparat des Unbewussten, fehlt etwas, nämlich das, was es dem Subjekt ermöglichen würde, sich als Subjekt des unbewussten Diskurses zu bezeichnen. Der Mangel im Anderen, Ⱥ, führt zum Verschwinden des Subjekts, $.
Der bewusste Diskurs enthält ein Element, das die Selbstbezeichnung ermöglicht, das Personalpronomen der ersten Person Singular, also „ich“. Die cartesische Gewissheit stützt sich auf dieses Element der Selbstbezeichnung, am deutlichsten in der Fassung ego cogito, „ich denke“. Das Unbewusste verfügt nicht über ein dem „ich“ analoges Element, nicht über einen Signifikanten, mit dem das Subjekt des unbewussten Diskurses sich selbst bezeichnen könnte. „Das Subjekt schwindet“ meint: auf der Ebene des unbewussten Diskurses gelingt es ihm nicht, zu sich „ich“ zu sagen.
Wie Freud behauptet Lacan also, dass im Unbewussten bestimmte Elemente fehlen. Für Lacan sind es zwei Elemente, deren Abwesenheit bestimmend ist: ein Signifikant, der die Wahrheit des vom Anderen Gesagten garantieren könnte, S(Ⱥ), und ein Signifikant, mit dessen Hilfe das Subjekt sich als Sprecher des unbewussten Diskurses bezeichnen könnte, $. Die Beziehung zwischen dem Anderen und dem Sein des Subjekts besteht in der Konfrontation zwischen zwei fehlenden Signifikanten: zwischen dem Signifikanten, der die Wahrheit des Anderen sichern könnte, und dem Signifikanten, mit dem das Subjekt sich in seinem unbewussten Diskurs selbst bezeichnen könnte.
Heidegger sagt: „Ein ‚ist‘ ergibt sich, wo das Wort zerbricht.“ Mit Lacan könnte man das so übersetzen: Für das Subjekt ergibt sich eine Antwort auf die Seinsfrage – auf die Frage „Was bin ich?“ – dort, wo zwei Signifikanten fehlen, einer auf der Seite des Anderen und ein weiterer auf der Seite des Subjekts.
Das Objekt des Begehrens als Ersatzlösung angesichts des Verschwindens des Subjekts
Lacan fährt fort:
… „Dies führt dazu, dass das Subjekt, um sich zu bezeichnen, etwas verwenden muss, das auf seine Kosten geht. Auf seine Kosten nicht als im Sprechen konstituiertes Subjekt, sondern auf seine Kosten als reales, ganz und gar lebendiges Subjekt, auf Kosten von etwas, das für sich allein überhaupt kein Subjekt ist. Das Subjekt, das den Preis zahlt, der dafür notwendig ist, dass es sich selbst als verschwindend ausmacht, dieses Subjekt wird so in die Dimension eingeführt, die jedes Mal gegenwärtig ist, wenn es um das Begehren geht, nämlich dass es mit der Kastration zahlen muss.“ (435)
Lacan setzt voraus, dass das Bestreben, sich in seinem Begehren zu bezeichnen, etwas ist, von dem das Subjekt nicht ablassen kann. Wenn dieses Unternehmen scheitert, wird ein Ersatz benötigt. Er kann nur dadurch geliefert werden, dass das Subjekt etwas von sich opfert, etwas von sich als realem, lebendigem Subjekt. Was geopfert wird, sind bestimmte „sexuelle Regungen“, wie Freud sich ausdrückt; Lacan wird später von der jouissance sprechen und jouissance und désir deutlich unterscheiden.
… „Anders gesagt, etwas Reales, auf das es in einer imaginären Beziehung einen Zugriff hat, wird schlicht und einfach in die Funktion eines Signifikanten gebracht. Das ist der letzte Sinn, der tiefste Sinn der Kastration als solcher.“ (435)
Das Subjekt hat in einer imaginären Beziehung einen Zugriff auf etwas Reales. Das Reale sind hier die sexuellen Regungen. Das Subjekt bezieht sich auf diese Regungen auf dem Weg über das Körperbild, also in einer imaginären Beziehung, auf dem Weg über Wahrnehmung der Geschlechtsorgane, in Gestalt der Kastrationsphantasie. Hierdurch wird etwas Reales in die Funktion eines Signifikanten gebracht: der Penis wird als Sitz von Erregungen vorübergehend stillgelegt und dient im Schema Anwesenheit/Abwesenheit zur Bezeichnung der Geschlechtsdifferenz. Für Lacan besteht die Kastration letztlich darin, dass der Penis mit dem Übergang zur Latenzphase seine Funktion wechselt und aus einem Sitz von Erregungen zu einem Geschlechtsmerkmal wird. (Unklar bleibt, wie die Entwicklung des Mädchens hier einzuordnen ist.)
Immer, wenn das Begehren ins Spiel kommt, ist die Kastration gegenwärtig – wenn die Geschlechtsorgane später wieder zum Sitz von Erregungen werden, ist dies mit einem Verlust verbunden, der unaufhebbar ist.
… „Die wesentliche Entdeckung des Freudianismus ist die bis dahin verkannte Tatsache, dass, sobald sich das Begehren als solches auf klare Weise manifestiert, die Kastration ins Spiel kommt. Diese Tatsache hat uns alle möglichen historischen Einblicke eröffnet, denen man verschiedene mythische Übersetzungen gegeben hat, die man dann auf Entwicklungstermini zu reduzieren versucht hat. Dass die in dieser Dimension verfolgte diachrone Forschung fruchtbar war, ist nicht zu bezweifeln. Das darf uns jedoch nicht davon abhalten, in einer anderen Dimension zu suchen, in der synchronen, die das wesentliche Verhältnis ist, das hier ins Spiel kommt.“ (435)
Die wesentliche Entdeckung der Psychoanalyse ist demnach nicht die Entdeckung des Unbewussten und nicht die der kindlichen Sexualität, sondern der Kastrationskomplex: sobald sich beim Kind das genitale sexuelle Begehren entwickelt, ist es mit dem Kastrationsproblem konfrontiert. Freud hat das in Totem und Tabu im Mythos vom Urvatermord dargestellt: nach dem Mord am Urvater verzichten die Söhne auf die Frauen des Vaters. An Freuds Thesen über den Zusammenhang von phallischer Phase, Kastrationsdrohung und Latenzphase anknüpfend haben seine Schüler eine psychoanalytische Entwicklungspsychologie ausgearbeitet. Lacan beschreitet einen anderen Weg, er fragt nach der synchronen Dimension, nach der Struktur.
… „Diese Beziehung ist die Beziehung des Subjekts zum Signifikanten, insofern das Subjekt sich darin nicht als Subjekt bezeichnen kann, nicht als Subjekt benennen kann. Für diesen Mangel muss es einen Ersatz liefern, indem es, wenn ich so sagen kann, mit seiner Person bezahlt. Ich versuche, so bildhaft wie möglich zu sein, und es sind nicht immer die strengsten Termini, die ich verwende.“ (435)
Die strukturelle Beziehung, die dem entwicklungspsychologischen Zusammenhang zwischen phallischer Phase, Kastrationsvorstellung und Latenzphase zugrunde liegt, ist die Beziehung des Subjekts zum Signifikanten, zur Sprache. Dabei ist entscheidend, dass das Subjekt sich als sexuell begehrendes Subjekt nicht selbst bezeichnen kann, also das „Verschwinden“ des Subjekts. Hierfür muss es einen Ersatz liefern, und zwar dadurch, dass es „mit seiner Person bezahlt“, dass es seine sexuellen Regungen unterdrückt.
Lacan deutet an, dass der Begriff „Person“ problematisch ist: er ist mit der Vorstellung der Einheitlichkeit verbunden – das Subjekt im Sinne der Psychoanalyse ist gerade keine Einheit.
… „Für das, was hier interveniert, können wir etwas Analoges in der Funktion bestimmter Symbole der Sprache finden, derjenigen, welche die Linguisten im lexikalischen System mit dem Namen shifter symbols herausheben. Ich habe bereits auf das Personalpronomen ‚ich‘ angespielt, das denjenigen bezeichnet, der spricht. Auf der Ebene des Unbewussten gilt dasselbe für das klein a. Dieses a, das nicht ein Symbol ist, sondern ein reales Element des Subjekts, ist das, was eingreift, um den Moment zu stützen, im synchronen Sinne, in dem das Subjekt darin scheitert, sich auf der Ebene der Instanz des Begehrens zu bezeichnen.“ (436)
Jakobson klassifiziert die grammatischen Kategorien mithilfe der Begriffe Code und Botschaft; die sprachliche Kommunikation besteht darin, dass der Sender mithilfe eines Codes eine Botschaft kodiert, der Empfänger dekodiert die Botschaft mithilfe des Codes.
Einige Elemente des Codes beziehen sich auf die Botschaft. Ein typischer Fall sind Personalpronomen. Das Personalpronomen ich meint: „die Person, die ‚ich‘ sagt“. Die Bedeutung des Code-Elements „ich“ kann also nur dadurch bestimmt werden, dass man sich auf den Sprechvorgang bezieht, auf die Botschaft – ich ist der Sender der Botschaft. Ein Codeelement, das sich auf die Botschaft bezieht, wird von Jakobson als Shifter bezeichnet, als Verschieber.33
Im System der unbewussten Signifikanten fehlt eine Entsprechung zum Personalpronomen, ein Element, mit dem das Subjekt im unbewussten Diskurs als Subjekt bezeichnen könnte.
Das Objekt a – das Objekt des Begehrens – liefert hierfür einen Ersatz. Es dient dem Subjekt dazu, sich als Begehrenden zu bezeichnen. Mit dem Objekt a bezeichnet sich der Begehrende in seinem Begehren auf ähnliche Weise wie der Sprecher sich mit dem Pronomen „ich“ auf sich selbst als Sprechenden bezieht. Allerdings ist das Objekt a, anders als das Personalpronomen, kein Symbol, kein sprachlicher Ausdruck, es ist vielmehr ein „reales Element des Subjekts“, ein anderes Individuum oder ein libidinös besetzter Gegenstand.
Da dem Signifikantensystem des Unbewussten ein Element fehlt, mit dem das Subjekt sich in seinem Begehren bezeichnen könnte, wählt es einen Umweg über das Imaginäre. Es verortet sein Sein in einem Objekt, das so für das Subjekt zum Objekt des Begehrens wird. Es verwendet das Objekt des Begehrens ähnlich wie das Personalpronomen der ersten Person: das idealisierte und gehasste Objekt des Begehrens dient dem Subjekt dazu, sich als Begehrenden selbst zu bezeichnen.
Das gehört zum Alltagswissen. Wenn jemand einen anderen besonders leidenschaftlich kritisiert, sagen ihm Beobachter manchmal, dass das offenbar etwas „mit ihm selbst zu tun hat“. Gemeint ist: Der Kritisierende spricht, indem er über den anderen spricht, über sich selbst, mit Lacan: er bezeichnet im anderen sich in seinem Begehren – in seinem Sein jenseits des Codes, in seinem Begehren.
Man denke an das voyeuristische Phantasma. Die bewusste Struktur besteht darin, dass das Subjekt von einem Versteck aus ($) einen anderen bei sexuellen Aktivitäten (a) beobachtet. Unbewusst unterstellt der Voyeur, dass der andere beobachtet werden will; das unbewusste Phantasma ist also umgekehrt gebaut: das Begehren des anderen ($) besteht darin, von einem Blick (a) beobachtet zu werden. Dass ihn selbst die Schaulust umtreibt, ist dem Voyeur ohne weiteres zugänglich, er hat sie, um den Ausdruck von Freud zu verwenden, „intellektuell angenommen“. Was er unter der Kastrationsdrohung verdrängt hat, ist die Kehrseite der Schaulust, das exhibitionistische Begehren.34 In diesem Seinsmangel, in diesem Begehren kann er sich, aufgrund der drohenden Kastration, nicht selbst benennen. Die Selbstbezeichnung ist für ihn aber unverzichtbar. Die Lösung besteht darin, dass er das exhibitionistische Begehren – sein Sein bzw. seinen Seinsmangel – auf das Paar projiziert. Das Paar wird für ihn zu einer Art Personalpronomen, zu einem Element, mit dessen Hilfe er sich bezeichnen kann, in seinem Begehren jenseits der Entfremdung im Code.
Das Schema der Subjektkonstituierung
Ich überspringe eine Erläuterung zum Begriff des Phallus (436-438). Danach heißt es:
„Ich will Sie nicht bei dem Überblick, den ich Ihnen gerade gegeben habe, stehen lassen.
Denn das ist nicht das, was Ihnen den Sinn und die Funktion von klein a als Objekt in seiner ganzen Allgemeinheit liefern wird.
Insofern das Subjekt Begehren ist, steht es unter der Drohung der unmittelbar bevorstehenden Kastrationsbeziehung. Was der Position dieses Subjekts die Stütze liefert, das ist, wie ich Ihnen gesagt habe, das Objekt im Phantasma, was die entwickelteste Form des Objekts ist. Ich möchte Ihnen jetzt zeigen, in welcher Synchronie diese Beziehung artikuliert werden kann.“ (438)
Lacan resümiert. Das Subjekt steht, wenn es begehrt, unter der Kastrationsdrohung. Der Begriff des Verschwindens – dass sich das Subjekt in seinem sexuellen Begehren nicht als Subjekt bezeichnen kann – gehört zu Lacans Rekonstruktion der Kastrationsdrohung. Wie kann es angesichts dieser Drohung sein Begehren stützen? Durch die Beziehung auf das Objekt a im Phantasma. (Inwiefern dies die vollendeteste Form des Objekts ist, ist mir nicht klar.)
Im Folgenden geht es um die Synchronie der Beziehung zum Objekt a im Phantasma, also nicht um Entwicklungsstadien, sondern um die Struktur der Beziehung zum Objekt des Begehrens.
… „Ich hebe das Wort Synchronie hervor, denn die Notwendigkeit des Diskurses wird mich zwingen, Ihnen dafür eine Formel zu geben, die diachron ist, was dazu führt, dass Sie das mit einer Genese verwechseln können. Es geht jedoch um nichts dergleichen.“ (438)
Lacan kündigt an, dass er eine formale Darstellung geben wird, in der die Beziehung zum Objekt a im Phantasma schrittweise aufgebaut wird. Dieser Aufbau nimmt den Weg über den Mangel im Anderen. Der Aufbau bezieht sich nicht auf eine reale Entwicklung, er stellt keine Abfolge von Entwicklungsstufen dar; es geht um einen theoretischen Aufbau, um eine logische Rekonstruktion.
… „Die Beziehungen zwischen den Buchstaben, die ich gleich an die Tafel schreiben werde, sollen es uns ermöglichen, das klein a an seinem Platz zu verorten. Insofern das Subjekt mit der unmittelbar bevorstehenden Kastration konfrontiert ist, steht es in Beziehung zu diesem Objekt. Provisorisch möchte ich diese Objektbeziehung als Lösegeld für diese Subjektposition bezeichnen, da ich auch verdeutlichen muss, was ich sagen will, wenn ich von dieser Beziehung als von der Stütze des Begehrens spreche.“ (438)
Um der Kastration zu entgehen, bringt sich das Subjekt in eine Beziehung zu einem Objekt. Diese Beziehung wird dadurch möglich, dass das Subjekt einen Preis zahlt, ein Lösegeld eben dafür, der Kastration zu entgehen. Der Preis besteht, mit Freud gesprochen, in der Triebunterdrückung. Die Beziehung zum Objekt des Begehrens ist die Kehrseite dieses Selbstopfers.
Version Miller
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Version RN
Lacan geht nun dazu über, den Zusammenhang zwischen dem Mangel im Anderen, dem Verschwinden des Subjekts und dem Phantasma anhand des oben wiedergegebenen Schemas zu erläutern, Version Miller.35 Darunter findet man eine von mir überarbeitete Version des Schemas, auf die ich mich im Folgenden beziehen werde; die Bezeichnung „(Proto-)Subjekt“ ist von mir.
1. Zeile: Die an den Anderen als Ort des Sprechens gerichtete Forderung nach Bedürfnisbefriedigung
… „Wie wird diese synchrone Beziehung erzeugt? Wir gehen von der ursprünglichsten subjektiven Position aus, der des Anspruchs. Sie finden ihn in der ersten Zeile rechts mit dem großen D [demande] angezeigt. Im Verhalten des Individuums ist dies die Manifestation, die Illustration, das Beispiel, das es uns ermöglicht, das Wesen dessen zu erfassen, wie sich das Subjekt konstituiert, insofern es in den Signifikanten eintritt.“ (439)
Das Subjekt definiert sich immer durch seine Beziehung zum Anderen. Im Schema ist die linke Spalte die des Anderen, die rechte die des Subjekts – des Subjekts in seinem schrittweisen logischen Aufbau, auf der rechten Seite haben wir es also anfangs noch nicht mit einem Subjekt zu tun. Die ursprüngliche Beziehung ist die, dass das Wesen, das ein Subjekt werden wird, an den Anderen die Forderung nach Bedürfnisbefriedigung richtet; diese Forderung (bzw. dieser Anspruch) wird mit D für demande symbolisiert. Mit dem Anspruch tritt das Noch-nicht-Subjekt in den „Signifikanten“ ein, in die Sprache – es erwirbt das Sprachsystem, den Code, um Forderungen an den Anderen richten zu können, die von diesem verstanden werden können. In Seminar 5 von 1957/58, Die Bildungen des Unbewussten, war dieser Zusammenhang von Lacan breit entwickelt worden, auf ihn bezieht sich das untere Stockwerk des Graphen des Begehrens.
… „Die synchrone Beziehung, um die es geht, wird sich nach einem sehr einfachen Algorithmus herstellen, dem der Division. Er wird durch den senkrechten Strich angezeigt. Hier ist ein waagerechter Strich hinzugefügt, der die Ebenen trennt, aber an ihm ist nichts Wesentliches, da er auf jeder Ebene wiederholt werden kann.“ (439)
Der senkreche Strich trennt die Seite des Anderen (links) von der des sich aufbauenden Subjekts (rechts). Die Beziehung zwischen den beiden Seiten und die Abfolge der Zeilen imitiert den Algorithmus – das Lösungsverfahren – der schriftlichen Division, dabei geht um die division du sujet, um die Subjektspaltung. Die linke Seite, die des Anderen, entspricht dem Dividenden, die rechte, die des im Aufbau befindlichen Subjekts, dem Divisor; die erste Zeile ist so zu lesen: „A geteilt durch D“, die Beziehung zum Anderen geht durch den Anspruch des Subjekts hindurch.
Bei jedem Schritt (bei jeder Teilung des Anderen durch das im Aufbau befindliche Subjekt) bleibt ein Rest, der in der nächsten Zeile weiterverarbeitet wird; dieser Rest ist das Begehren. Der waagerechte Strich unter der ersten Zeile in Version Miller hat keine Bedeutung.
… „Die ursprünglichste Beziehung des Subjekts ist die Beziehung des Anderen, als Ort des Sprechens, zum Anspruch. Der Andere figuriert hier in Gestalt des Buchstabens groß A. A geteilt durch D – ausgehend von dieser Beziehung stellt sich die Dialektik her, deren Residuum uns die Position von a liefern wird, die Position des Subjekts.“ (439)
Die Beziehung zwischen dem Anderen und dem werdenden Subjekt – die „Teilung“ dessen, was auf der Seite des Anderen (links) steht, durch das, was auf der Subjektseite (rechts) notiert ist – beginnt mit der Teilung des Anderen durch den Anspruch. Der Andere fungiert hier als Ort des Sprechens, als Hörer und Sprecher, zunächst als Hörer, an den der Anspruch sich richtet und an dessen Code sich der Sprecher anpassen muss. Das Verfahren liefert im vierten Schritt, in der vierten Zeile des Schemas, das, was erklärt werden soll, nämlich das Objekt a.
Die Beziehung hat dialektischen Charakter, insofern in ihr – nach dem Vorbild von Hegels Phänomenologie des Geistes – eine Spannung zwischen den beiden Seiten verarbeitet wird, die nie ganz aufgelöst werden kann und deshalb immer neue Beziehungsformen hervorbringt.
… „Zu Beginn dieses Prozesses wird das Bedürfnis des Subjekts in Form einer Signifikantenalternative artikuliert und es wird all das eingeführt, was in der Folge die Beziehung des Subjekts zu sich selbst, die sich Begehren nennt, strukturieren wird.“ (439)
Die Forderung nach Bedürfnisbefriedigung wird zunächst in Schreien artikuliert. Diese bilden insofern den Ansatz einer Sprache, als sie auf Signifikantenoppositionen beruhen, auf kontrastierenden Lauten. Im Verlauf dieses Prozesses strukturiert sich das Begehren. Das Begehren ist eine Beziehung des Subjekts zu sich selbst, wobei das Schema zeigt, dass die Beziehung des Subjekts zu sich selbst den Weg über die Beziehung zum Anderen nimmt (so wie Lacan das von Hegel, auf dem Weg über Kojève, gelernt hat).
2. Zeile: Der an den Anderen als reales Subjekt gerichtete Liebesanspruch
… „Der Andere, der hier jemand Reales ist, ein reales Subjekt, Sr, findet sich deswegen, weil er im Anspruch angerufen wird, in der Position, diesen, egal welchen, in einen anderen Wert übergehen zu lassen, in den des Anspruchs auf Liebe, insofern dieser sich schlicht und einfach auf die Alternative Anwesenheit – Abwesenheit bezieht. Aus diesem Grunde versehen wir das große D des Anspruchs mit einem Schrägstrich.“ (439 f.)
Lacan geht zur zweiten Zeile des Schemas über. Der Andere, an den die Forderung nach Bedürfnisbefriedigung appelliert, kann die Forderung erfüllen oder zurückweisen. In dieser Funktion ist er nicht mehr der Ort des Sprechens, der virtuelle Hörer als Sitz des Signifikantensystems. Als derjenige, der die Forderung bewilligen oder zurückweisen kann, ist er ein realer Anderer, ein lebendiger Mensch, der Entscheidungen treffen kann und von dem die Bedürfnisbefriedigung des Noch-nicht-Subjekts abhängig ist und damit der Adressat des Liebesanspruchs. Der Liebesanspruch des im Aufbau begriffenen Subjekts ist die Forderung „Du sollst immer ganz für mich da sein / Du sollst weg sein“. Dieser Liebesanspruch wird im Schema mit einem durchgestrichenen D symbolisiert, wobei der Schrägstrich offenbar die Alternative Anwesenheit/Abwesenheit andeuten soll, die Ambivalenz. Auch hier fasst Lacan seine in Seminar 5 ausführlich entwickelte Argumentation zusammen. Die zweite Zeile ist von rechts nach links so zu lesen: Das Noch-nicht-Subjekt richtet die Forderung nach Anwesenheit/Abwesenheit – den Liebesanspruch – an den Anderen als reales Subjekt.
… „Am Rande weise ich Sie darauf hin, dass ich nicht umhin konnte, überrascht, berührt, ja bewegt zu sein, in den Sonnets von Shakespeare buchstäblich den Ausdruck Anwesenheit-Abwesenheit, mit Bindestrich, wiederzufinden, an dem Punkt, an dem ihm darum geht, die Liebesbeziehung auszudrücken.“ (440)
Der Liebesanspruch ist die ambivalente Forderung nach Anwesenheit/Abwesenheit des Anderen. Lacan sieht sich in dieser Auffassung durch ein Gedicht von Shakespeare bestätigt; das 45. Sonnett beginnt so:
The other two, slight air and purging fire,
Are both with thee, wherever I abide;
The first my thought, the other my desire,
These present-absent with swift motion slide.
Wörtlich und verdeutlichend übersetzt:
Die andern beiden (der vier Elemente), leichte Luft und läuterndes Feuer,
Sind beide mit dir, wo immer auch ich bin,
Das erste (die Luft) (ist) mein Gedanke, das andre (das Feuer) (ist) mein Begehren,
Diese (beiden), (zugleich) anwesend (und) abwesend, gleiten mit rascher Bewegung dahin.
… „Hier ist also das Subjekt insofern konstituiert, als der Andere eine reale Person ist, derjenige, durch den der Anspruch selbst mit Bedeutung aufgeladen wird, derjenige, durch den der Anspruch des Subjekts etwas anderes wird als das, was es namentlich beansprucht, nämlich die Befriedigung eines Bedürfnisses.“ (440)
In der zweiten Zeile wird das Noch-nicht-Subjekt dadurch konstituiert, dass der Andere, an den es sich wendet, eine reale Person ist, die nach Gutdünken mit der Forderung des Noch-nicht-Subjekts verfahren kann. Der Anspruch auf Bedürfnisbefriedigung geht deshalb über in den Liebesanspruch.
… „Ein Subjekt gibt es nur für ein Subjekt – das ist ein Prinzip, an dem wir als zeitlosem Prinzip festhalten müssen. Bereits deshalb, weil der Andere anfänglich als derjenige gesetzt wurde, der gegenüber dem Anspruch ein bestimmtes Spiel spielen kann oder nicht, ist er bereits als Subjekt eingeführt worden sowie als das Ende der Tragödie, die sich abspielen wird. Anders gesagt, die Einführung des Subjekts, des Individuums, in den Signifikanten bekommt die Funktion, den Anderen zu subjektivieren, was uns dazu bringt, unter den Buchstaben groß A den Buchstaben groß S mit einem kleinen r zu schreiben.“ (440)
Das Schema soll, in der rechten Spalte, den Aufbau des Subjekts zeigen. Damit das Subjekt entstehen kann, muss zunächst für das Noch-nicht-Subjekt der rechten Spalte der Andere als Subjekt fungieren, nach dem Prinzip: ein Subjekt gibt es nur für ein Subjekt – Subjekt kann man nicht für sich allein sein, das Subjekt ist, wenn man so sagen darf, ein Inter-Subjekt, eingebettet in eine Intersubjektivität, die vom Anderen ausgeht. Das ist Fichtes Entdeckung, die Hegel ausgearbeitet hatte.
Der Andere wird für das Noch-nicht-Subjekt dadurch zu einem Subjekt, dass er in der Position ist, mit der Forderung nach Bedürfnisbefriedigung (erste Zeile) nach Gutdünken verfahren zu können. Er kann die Forderung erfüllen oder nicht erfüllen, und damit wird er, für das im Aufbau befindliche Subjekt der rechten Spalte, zum Subjekt.
Am Ende dieser Dialektik wird das Noch-nicht-Subjekt ein Subjekt sein. Die Subjektentwicklung ist eine Tragödie, sie ist mit einem unaufhebbaren Verlust verbunden. Wenn der Andere für das im Aufbau befindliche Subjekt zum Subjekt wird, ist es mit dem Ende der Tragödie konfrontiert.
3. Zeile: Der Anspruch des Subjekts auf Anerkennung als Subjekt und der im Anderen fehlende Signifikant
… „Insofern der Andere ein Subjekt als solches ist, wird das Subjekt gesetzt und kann es sich selbst als Subjekt in einer neuen Beziehung zum Anderen einbringen, nämlich dass es sich in diesem Anderen als Subjekt anerkennen lassen muss – nicht mehr als Anspruch, nicht mehr als Liebe, sondern als Subjekt.“ (440)
Lacan wechselt zur dritten Zeile. Dadurch, dass der Andere für das Noch-nicht-Subjekt zum Subjekt geworden ist (zweite Zeile), kann das, was noch kein Subjekt war, zum Subjekt werden und sich als Subjekt auf den Anderen beziehen. Nach dem Anspruch auf Bedürfnisbefriedigung (1. Zeile) und dem Liebesanspruch (2. Zeile) geht es jetzt um den Anspruch auf Anerkennung als Subjekt (3. Zeile).
… „Bin ich hier dabei, irgendeiner Maske sämtliche Dimensionen der philosophischen Meditation über das Selbstbewusstsein zuzuschreiben? Darum geht es nicht. Oder besser gesagt, darum geht es, jedoch in einer Form, die nicht wie bei den Philosophen verschleiert ist, verborgen ist, sondern die durchaus konkret und durchaus real ist.“ (440)
Lacan ist klar, dass seine Dialektik des Subjekts einige seiner Zuhörer an Hegel bzw. an Kojève erinnert. Lässt er hier die Philosophie des Selbstbewusstseins in der Maske der Subjektwerdung des Individuums auftreten? Er sieht es umgekehrt. Was Hegel hierzu vorgebracht hat, ist die Maske; die von Lacan vorgestellte Dialektik deren Entschleierung.
Lacan wechselt zur linken Spalte der dritten Zeile. Hier findet man das durchgestrichene A, also Ⱥ, den Mangel im Anderen (um den es mir in diesem Artikel vor allem geht). Die Zeile ist so zu lesen: Das Subjekt will vom Anderen als Subjekt anerkannt werden (S), und die Antwrt des Anderen hierauf ist der Mangel im Anderen (Ⱥ).
… „Welche Garantie kann irgendeine Art des Funktionierens des Anderen im Realen, als auf den Anspruch antwortend, finden? Wodurch kann die Wahrheit des Verhaltens des Anderen, welches auch immer es sein mag, bezeugt werden? Was liegt dem Begriff der Wahrheit konkret zugrunde, als Begriff einer Intersubjektivität? Was gibt dem Ausdruck truth im Englischen seinen vollen Sinn, der einfach la Vérité mit einem großen V ausdrückt, die großgeschriebene Wahrheit? Alles hängt von dem ab, was wir im Französischen, in einer Zergliederung der Sprache, die sich als das Faktum eines sprachlichen Systems erweist, la foi en la parole nennen, das Vertrauen auf das Wort. Anders gesagt, wie können wir uns auf den Anderen verlassen?“ (440 f.)
Der reale Andere antwortet auf den Anspruch des Subjekts, als Subjekt anerkannt zu werden. Mit seinem gesamten Verhalten reagiert er auf die Manifestationen des Begehrens des Kindes, etwa durch Empörung oder durch Gleichgültigkeit oder durch Rückzug oder auch, indem er etwas dazu sagt. An diesem Punkt kommt es zu einer Krise. Das Subjekt fragt sich, ob die Antworten der Anderen wahr sind. Kann es den Antworten der Anderen Glauben schenken? Kann es sich darauf verlassen?
Wie ließe sich die Vertrauenskrise lösen? Durch eine Garantie für die Wahrheit der Antwort des Anderen.
… „Darum geht es, wenn ich Ihnen sage, dass es keinen Anderen des Andern gibt. Was bedeutet das, wenn nicht dies, dass es keinen Signifikanten gibt, der die konkrete Fortführung irgendeiner Signifikantenmanifestation garantieren könnte. Und an diesem Punkt wird dieser Term eingeführt, das schräggestrichenen große A.“ (441)
Das Subjekt sucht nach einem Signifikanten, der die Wahrheit des Verhaltens des Anderen garantieren würde, gewissermaßen das Ergebnis eines Lügendetektor-Tests, das Gegenstück zu Pinocchios langer Nase; das könnte eine Erzählung sein oder eine Geste – eine Art Schwurhand – oder ein bestimmtes Wort, so etwas wie ein Großes Ehrenwort. Allerdings, einen solchen Signifikanten gibt es nicht; hierfür steht das durchgestrichene große A, also Ⱥ. Und eben dies meint „es gibt keinen Anderen des Anderen“.
… „Angesichts des Drängens des Anspruchs des Subjekts, das eine Garantie fordert, ist das, was sich auf der Ebene des Anderen verwirklicht, grundlegend etwas von diesem Mangel, im Verhältnis zu dem das Subjekt sich dann verorten muss. Dieser Mangel, beachten Sie das, stellt sich auf der Ebene des Anderen als Ort des Sprechens her und nicht auf der Ebene des Anderen als realem. Nichts Reales auf Seiten des Anderen kann hierfür eine Abhilfe schaffen, es sei denn durch eine Serie von Hinzufügungen, A‘, A‘‘, A‘‘‘, die niemals ausgeschöpft sein werden.“ (441)
Der Anspruch des Subjekts darauf, als Subjekt anerkannt zu werden, hat sich in den Anspruch verwandelt, eine Garantie dafür zu erhalten, dass die Antwort des Anderen wahrhaftig ist und es sich darauf verlassen kann. Diese Garantie kann es nicht geben. Das Subjekt stößt hier auf den Mangel im Anderen, auf eine Grenze des Sprechens und des Sprachsystems.
Der Mangel im Anderen ist kein Mangel des realen Anderen, es geht nicht um die Frage, ob ein konkretes Individuum die Wahrheit sagt oder lügt. Der reale Andere kann, um die Wahrheit dessen, was er sagt, nachzuweisen, tun, was er will – einen zwingenden Beleg wird er niemals liefern können. In den tausend konkreten Dramen um die Wahrheit wird ein Problem ausgetragen, das letztlich in der Sprachstruktur verankert ist.
Das Subjekt hat sich in bezug auf diesen Mangel zu verorten. Hier steht es vor einer Wahl. Es kann den Mangel der Sprache akzeptieren, dass sie die Wahrheit nicht garantieren kann. Es kann aber auch unbeirrbar nach einem Anderen suchen, der „echt“ ist. Das läuft auf eine unabschließbare Serie von Beziehungen hinaus, in denen der eine scheinbar authentische reale Andere vom nächsten scheinbar authentischen realen Anderen abgelöst wird; im Schema wird dies durch die Serie der nicht durchgestrichenen große A dargestellt, A‘, A“, A“‘.
… „Der Andere wird sich dem Subjekt im gesamten Verlauf seiner Existenz durch Gaben oder durch Zurückweisungen bekunden. Das wird jedoch immer nur am Rande des grundlegenden Mangels verortet sein, den es als solchen auf der Ebene des Signifikanten gibt. Das Subjekt wird historisch verwickelt sein durch all seine Erfahrungen mit dem Anderen, in diesem Fall mit dem mütterlichen Anderen, aber nichts von all dem wird jemals den Mangel ausschöpfen können, der auf der Ebene des Signifikanten als solchem existiert, auf der Ebene, auf der das Subjekt sich zu verorten hat, um sich als Subjekt zu konstituieren und sich vom Anderen anerkennen zu lassen.“ (441)
Der reale Andere ist derjenige, der auf den Anspruch auf Bedürfnisbefriedigung und auf Liebe antwortet, indem er ihn erfüllt oder zurückweist; die Objektbeziehungstheorie stellt diese Beziehung ins Zentrum, das Verhältnis von Gratifikation und Frustration. Diese Dynamik ist im Unbewussten jedoch um ein anderes Problem herum organisiert, um ein Problem, das grundlegender ist, um die Konfrontation mit dem „Mangel im Anderen“, also damit, dass es im Sprachsystem keinen Signifikanten gibt, der die Wahrheit der Antwort des Anderen auf das Begehren des Subjekts garantieren könnte. Dies ist die Botschaft des Unbewussten, die Antwort auf die Frage „Was bin ich?“ und zugleich das, was am meisten verdrängt ist.
4. Zeile: Das im Verschwinden begriffene Subjekt in Beziehung zum Objekt des Begehrens
… „Von dieser Schwäche, von dieser Nicht-Garantie auf der Ebene der Wahrheit des Anderen findet sich das Subjekt selbst geprägt. Und deshalb wird es das einzusetzen haben, dem wir uns eben bereits in Gestalt seiner Genese anzunähern versucht haben, nämlich klein a. Diese beiden Terme, das schräggestrichene S und das kleine a, stehen auf der vierten Ebene des Schemas einander gegenüber.“ (441)
Der Mangel auf der Seite des Anderen – das Fehlen eines wahrheitsgarantierenden Signifikanten – schlägt zurück auf das Subjekt. Der Mangel im Anderen (Ⱥ) führt dazu, dass das Subjekt sich nicht bezeichnen kann, dass es „verschwindet“; zu sich als begehrendem Subjekt kann es nicht „ich“ sagen. Hierfür steht in der vierten Zeile des Schemas das schräggestrichene $ in der rechten Spalte.
Auf sein drohendes Verschwinden reagiert das Subjekt damit, dass es ein Objekt zum Objekt des Begehrens macht, zu a. Auf dem Umweg über die imaginäre Objektbeziehung bezeichnet es sich selbst als begehrendes Subjekt. Das Objekt des Begehrens im Phantasma, a, ist eine Ersatzlösung angesichts des drohenden Verschwindens des Subjekts, $, angesichts der Unmöglichkeit des Selbstbezeichnung im unbewussten Diskurs, und dieses Verschwinden ist wiederum eine Folge dessen, dass im Anderen als Sprachsystem ein Signifikant fehlt, der die Wahrheit garantieren könnte, Ⱥ.
Die Vertrauenskrise (20. Mai 1959)
In der Folgesitzung gibt Lacan weitere Erläuterungen zum Schema.
„Fangen wir noch einmal beim Anfangsstadium an, worin der Andere der reale Andere ist, der auf den Anspruch antwortet. Im folgenden Stadium befragt das Subjekt den Anderen als Subjekt, und dadurch, dass es für den Anderen Subjekt ist, erscheint es sich selbst als Subjekt. Die mit Ⱥ/S gekennzeichnete Beziehung ist die erste Etappe der Konstituierung des Subjekts als solchem.“ (444)
Das Noch-nicht-Subjekt richtet den Anspruch auf Bedürfnisbefriedigung an den Anderen (erste Zeile). Der Andere antwortet auf diesen Anspruch und wird dadurch zum realen Subjekt; an ihn wendet sich das Noch-nicht-Subjekt mit dem Liebesanspruch (zweite Zeile). Der Subjektcharakter des Anderen ermöglicht es dem Noch-nicht-Subjekt, selbst zum Subjekt zu werden; als Subjekt bezieht es sich auf den „schräggestrichenen Anderen“ (dritte Zeile, Ⱥ geteilt durch S).
… „Das heißt, das Subjekt konstituiert sich im Verhältnis zu dem Subjekt, das spricht. Es hat sich in der grundlegenden Strategie zu verorten, die entsteht, sobald die Dimension der Sprache erscheint, und die erst mit dieser Dimension beginnt. Aufgrund der Tatsache, dass der Andere durch die Sprache strukturiert ist, wird er zum möglichen Subjekt einer Tragödie, im Verhältnis zu der das Subjekt sich selbst als Subjekt konstituieren kann, das im Anderen anerkannt wird, als Subjekt für ein Subjekt.“ (444)
Das durchgestrichene A der dritten Zeile, Ⱥ, steht für ein Subjekt, das spricht. Das Subjekt der rechten Spalte, S, muss sich auf das Sprechen des Anderen beziehen und damit auf die Dimension der Sprache überhaupt.
Es muss sich in einer Strategie verorten – ich nehme an, dass gemeint ist, es muss eine Strategie entwickeln, wie es mit der fehlenden Wahrheitsgarantie umgehen kann.
… „Einerseits kann es hier kein anderes Subjekt geben als ein Subjekt für ein Subjekt, und andererseits kann das erste Subjekt als solches nicht anders etabliert werden denn als ein Subjekt, das spricht, also nur als Subjekt des Sprechens. Insofern der Andere selbst von den Notwendigkeiten der Sprache geprägt ist, ist er nicht mehr der reale Andere, er wird als Ort der Artikulation des Sprechens eingesetzt. Eben hier bildet sich die erste mögliche Position eines Subjekts als solchem heraus, eines Subjekts, das sich als Subjekt erfassen kann, das sich dadurch im Anderen als Subjekt erfasst, dass dieser Andere an es als an ein Subjekt denkt.“ (444 f.)
Das Subjekt konstituiert sich durch die Beziehung zum Anderen, und zwar dadurch, dass es mit diesem Anderen spricht und dass der Andere mit ihm spricht. Der Andere ist damit für ihn nicht mehr der reale Andere, der die Forderung des Subjekts befriedigt oder nicht befriedigt, sondern ein Sprecher – jemand, der Behauptungen über das Subjekt aufstellt, Kritik an ihm äußert, Verbote artikuliert und Versprechungen abgibt und der damit die Dimension der Wahrheit ins Spiel bringt.
Das Subjekt erfasst sich darin, dass der Andere sich auf es im Sprechen bezieht. Damit entsteht für das Subjekt eine Kluft zwischen dem, was der Andere über es sagt und dem was er über es denkt. Das Subjekt stellt sich die Frage: Meint er das, was er mir über mich sagt?
… „Ich habe Sie beim letzten Mal bereits darauf aufmerksam gemacht; nichts ist konkreter als das. Das ist keineswegs eine Etappe der philosophischen Meditation, das ist etwas Ursprüngliches, das sich in der Vertrauensbeziehung herstellt. In welchem Maße und bis zu welchem Punkt kann ich auf den Anderen zählen? Was gibt es im Verhalten des Anderen an Vertrauenswürdigem? Welche Folge kann ich erwarten, von dem her, was von ihm bereits versprochen wurde?“ (445)
Mit der Beziehung zwischen S und Ⱥ ist etwas ganz Konkretes gemeint, nämlich die Beziehung des Vertrauens. Der Andere hat gesprochen, und das Kind fragt sich: Wird sich seine Behauptung als wahr erweisen? Ist seine Empörung ernst gemeint? Wird er sein Versprechen halten? Gilt sein Verbot oder hat er es nur so dahin gesagt? Meint er, was er sagt?
… „Das ist ja die Befragung, um die sich einer der ursprünglichsten Konflikte in der Beziehung des Kindes zum Anderen dreht, und unter dem Gesichtspunkt, der uns interessiert, sicherlich der ursprünglichste. Hier ist die Grundlage – und nicht einfach eine Frustration oder Gratifikation –, auf der die Prinzipien seiner Geschichte aufgebaut werden, hier ist die Triebfeder dessen, was sich auf der tiefsten Ebene seines Schicksals wiederholt, hier ist das, was die unbewusste Modulierung seines Verhaltens beherrscht. Die Analyse, bereits die ganz alltägliche Erfahrung der Analyse lehrt uns dies: Die Frage, ob das Subjekt auf einen Anderen bauen kann, betimmt das, was wir in der unbewussten Modulierung des Patienten, ob Neurotiker oder nicht, an Radikalstem finden.“ (445)
Um die Vertrauensfrage dreht sich der ursprünglichste Konflikt in der Beziehung zwischen dem Kind als einem Subjekt und dem Anderen. Dieser an das Sprechen gebundene Konflikt ist grundlegender als der Konflikt, den die Objektbeziehungstheorie zum Thema hat, der Konflikt um Versagungen und Belohnungen.
Die Bedeutung des Vertrauensproblems zeigt sich im Wiederholungszwang, das wurde bereits von Freud beschrieben: „So kennt man Personen, bei denen jede menschliche Beziehung den gleichen Ausgang nimmt: Wohltäter, die von jedem ihrer Schützlinge nach einiger Zeit im Groll verlassen werden, so verschieden diese sonst auch sein mögen, denen also bestimmt scheint, alle Bitterkeit des Undankes auszukosten; Männer, bei denen jede Freundschaft den Ausgang nimmt, daß der Freund sie verrät“36.
… „In diesem Stadium ist der Andere Subjekt des Sprechens, insofern dieses Sprechen grundsätztlich artikuliert wird. Im Verhältnis zum so definierten Anderen konstituiert sich das Subjekt selbst als das Subjekt, das spricht, und keineswegs als das ursprüngliche Subjekt der Erkenntnis, nicht als das Subjekt der Philosophen. Das Subjekt, um das es geht, erfasst sich als jemand, der vom Anderen betrachtet wird und der ihm im Namen einer gemeinsamen Tragödie antworten kann. Es ist derjenige, der all das interpretieren kann, was der Andere über seine tiefsten Absichten, über seine Aufrichtigkeit oder Unaufrichtigkeit artikuliert.“ (445)
Das durchgestrichene A (dritte Zeile des Schemas links) steht für den Anderen oder die Andere als Subjekt des Sprechens. Im Verhältnis zu ihm oder ihr konstituiert sich das Subjekt als Subjekt des Sprechens, als ein Subjekt, das antworten kann, und nicht als Subjekt der Erkenntnis, es konstituiert sich im Verhältnis zum Sprechen des Anderen und nicht im Verhältnis zu einem Objekt, das es erkennt.
Die Andere droht dem Subjekt eine Strafe, lobt oder kritisiert das Subjekt, verspricht ihm etwas. Das Subjekt verhält sich als Sprecher zu diesem Sprechen: es deutet, was die Andere über ihre Absichten sagt. Dabei fragt es sich vor allem, wie aufrichtig sie ist, wie wahrhaftig. Ist das, was sie sagt, so gemeint, wie sie es sagt? Damit eröffnet sich für das Subjekt der Zugang zu dem, was jenseits des Sprechens des Anderen ist, zum Begehren des Anderen.
Mit dem Bezug auf die Aufrichtigkeit oder Unaufrichtigkeit des Anderen folgt Lacan Sartre (vgl. hierzu auf dieser Website den Artikel Aufrichtigkeit/Unaufrichtigkeit).
… „Auf dieser Ebene, auf der das Subjekt in der Schwebe ist, setzt sich das S wahrhaft, wenn Sie mir ein Wortspiel gestatten, nicht nur als das S, das als Buchstabe geschrieben wird, sondern auch als das Es* der topischen Formel, die Freud dem Subjekt gibt. Das S ist das Es, und dies in der Form des Fragens. Wenn Sie ein Fragezeichen setzen, wird das S tatsächlich so artikuliert: Est-ce? [„Ist es?“, gleichlautend mit S und mit Es im Deutschen] Das ist alles, was das Subjekt auf dieser Ebene noch von sich selbst formuliert. Es ist hier im Entstehungszustand, in Gegenwart der Artikulation der Anderen, insofern sie ihm eine Antwort gibt.“ (445)
Der Buchstabe S (dritte Zeile des Schemas rechts) steht für das Subjekt. Diesem Subjekt geht es um sein Sein, um sein Es im Sinne von Freuds zweiter Topik mit den drei Instanzen Ich, Es und Über-Ich (das Wortspiel S/Es findet sich bereits in Seminar 2 im später so genannten Schema L37 Das Subjekt bezieht sich auf sein Sein in Frageform, „Was bin ich?“; im Französischen wird die Frage mit Est-ce eingeleitet („Ist das“), was „Es“ ausgesprochen wird. Das Fragen ist eine symbolische Operation, die Frage stiftet im Symbolischen den Platz des Subjekts, denn sie ermöglicht es, im Symbolischen einen Abstand zur symbolischen Ordnung herzustellen. „Was mich als Subjekt konstituiert, ist meine Frage“, heißt es im Rom-Vortrag.38
Im Graphen wird das Subjekt, das nach seinem Sein fragt, durch die von A ausgehende, nach oben zeigende Linie repräsentiert, „Was will ich“ bzw., als Frage des Anderen an das Subjekt, in der umgekehrten Form „Was willst du?“ (Que vuoi?).
… „Nun antwortet in dieser Artikulation der Andere dem Subjekt aber jenseits von dem, was es selbst in seinem Anspruch formuliert hat. Wenn es sich in diesem Jenseits des Sprechens selbst erfassen will, wird es also den Schritt tun müssen, der es in die nächste Etappe einführt, a/$.“ (445 f.)
Die Antwort der Anderen bezieht sich nicht auf den Anspruch des Subjekts auf Bedürfnisbefriedigung (erste Zeile des Schemas) und nicht auf seinen Liebesanspruch (zweite Zeile), sondern auf den Anspruch des Subjekts auf Anerkennung als Subjekt, jenseits der Ansprüche, die das Subjekt in seinem Sprechen artikuliert. Darauf antwortet der Andere als begehrendes Subjekt.
Indem der Andere auf den Anspruch auf Anerkennung mit seinem Begehren antwortet, hat das Subjekt die Chance, sich selbsst in seinem Begehren zu erfassen. Dazu muss es zur nächsten Etappe übergehen, dargestellt durch die vierte Zeile des Schemas.
… „Dieses Subjekt ist von dem Schrägstrich markiert, durch den es, als Subjekt des Sprechens, wesentlich von sich selbst getrennt ist. Als schräggestrichenes Subjekt kann es und muss es die Antwort finden, versucht es, sie zu finden. Es findet sie jedoch nicht, denn auf dieser Ebene begegnet es im Anderen dieser Höhlung, dieser Leere, von der ich gesprochen habe, als ich Ihnen sagte, dass es keinen Anderen des Anderen gibt, dass kein möglicher Signifikant die Authentizität der Folge der Signifikanten garantiert, dass es nichts gibt, was auf der Ebene des Signifikanten die Signifikantenkette und das Sprechen garantieren würde, authentifizieren würde, wodurch auch immer. Eben darin hängt das Subjekt wesentlich vom guten Willen des Anderen ab.“ (446)
Lacan bezieht sich weiterhin auf die vierte Zeile des Schemas mit dem Symbol $ in der rechten Spalte: Das Subjekt ist jetzt nicht mehr einfach das begehrende Subjekt, abgekürzt durch S ohne Schrägstrich, sondern das „vom Schrägestrich markierte“ Subjekt, $, das Subjekt, das so an die Bedingungen des Sprechens angepasst ist, dass es gespalten ist in das sinnorientierte Sprechen und den Diskurs des Unbewussten, also die Produktion von Träumen, Symptomen, Fehlhandlungen.
Als gespaltenes Subjekt versucht es, vom Anderen die Anerkennung seines Begehrens zu erlangen, die Antwort auf die Frage, was es mit dem Sein des Subjekts, mit seinem Es, seinem Begehren auf sich hat; Lacan springt hier zurück in die dritte Zeile zum Symbol Ⱥ. Vom Anderen bekommt es jedoch keine Antwort, genau gesagt, es bekommt von ihm oder ihr jede Menge Antworten, Informationen, Versprechungen, Kritik, Verbote aller Art, jedoch keine Antwort, deren Wahrhaftigkeit, deren Ehrlichkeit, deren Aufrichtigkeit garantiert wäre. Dies aus strukturellen Gründen – es gibt keinen Signifikanten, der garantierten könnte, dass die Antwort des Anderen wahr ist, dass der Andere aufrichtig ist.
Auf diese Weise öffnet sich für das Subjekt die Kluft zwischen dem, was der Andere sagt, und dem, was der Andere denkt oder fühlt, und damit die Dimension des Begehrens des Anderen.
Das Subjekt ist vom guten Willen des Anderen abhängig, nicht nur beim Anspruch auf Bedürfnisbefriedigung (1. Zeile), nicht nur beim Anspruch auf Liebe (2. Zeile), nicht nur beim Anspruch auf Anerkennung als Subjekt (3. Zeile), sondern auch beim Anspruch auf Wahrheit in Bezug auf die Anerkennung oder Nicht-Anerkennung seines Begehrens.
Der Glaube an den toten Vater (27. Mai 1959)
Lacan verweist auf den oberen rechten Schnittpunkt des Graphen des Begehrens. Er ist mit $◊D bezeichnet und steht für den Code des Unbewussten.
„Mit diesem Code kann das Subjekt als Botschaft die Frage empfangen, die, im Jenseits des Anderen, das erste Erfasstsein des Subjekts von der Signifikantenkette konnotiert. Das ist die Frage, die, auf dieser ebenfalls gestrichelten Linie, vom Anderen kommt, in Gestalt des Que vuoi? Was willst du? Das ist auch die Frage, die das Subjekt sich, immer noch im Jenseits des Anderen, in Gestalt des Est-ce? stellt, des ‚ist es?‘.“ (468)
In der nebenstehenden Abbildung habe ich die Elemente des Graphen, auf die Lacan sich in diesem Satz bezieht, gefärbt. Mit diesem Code, also $◊D, kann das Subjekt die Frage empfangen, die durch die von A ausgehende, senkrecht nach oben führende Linie dargestellt wird, eine Linie, die in Seminar 6 gestrichelt gezeichnet wird; betrachtet man den Graphen vom unteren Bildrand aus, liegt diese Linie „jenseits“ des Schnittpunkts A. Die Frage lautet „Was willst du?“ Das ist die Frage „Was will ich (jenseits der Unterordnung unter den Code)?“ in umgekehrter Form.
… „Die Antwort wird im Schema durch die Signifikanz des Anderen als S(Ⱥ) symbolisiert.
Dieser Signifikanz haben wir auf dieser Ebene einen allgemeineren Sinn gegeben, in den das Abenteuer des konkreten Subjekts, seine subjektive Geschichte, einfließen wird. In seiner allgemeinsten Form lässt sich dieser Sinn so formulieren: Es gibt nichts im Anderen, nichts in der Signifikanz, was dieser Ebene der Signifikantenartikulation genügen könnte. Es gibt nichts in der Signifikanz, was die Garantie der Wahrheit wäre. Es gibt keine andere Wahrheitsgarantie als die Aufrichtigkeit des Anderen, und diese stellt sich dem Subjekt stets in einer problematischen Form dar. All das, was das Reich des Sprechens für das Subjekt hat auftauchen lassen, bleibt gänzlich vom Glauben an den Anderen abhängig.“ (468)
Die Antwort auf die Frage „Was will ich?“ wird im Graphen durch das Symbol S(Ⱥ) repräsentiert. Wie zuvor schon unterscheidet Lacan den allgemeinen Sinn dieser Formel davon, wie dieser Sinn in der Geschichte eines konkreten Individuums realisiert wird. Die allgemeine Bedeutung von S(Ⱥ) ist: Es gibt im Signifikantenapparat – in der „Signifikanz“ – des Anderen keinen Signifikanten, der auf dieser Ebene der Signifikantenartikulation genügen könnte, nämlich bezogen auf die Frage „Was bin ich?“. Es gibt keinen Signifikanten, der die Wahrheit der Antwort des Anderen garantieren könnte.
Die einzige Garantie für die Wahrheit der Antworten des Anderen ist seine Aufrichtigkeit, seine Wahrhaftigkeit. Die Aufrichtigkeit des Anderen ist für das Subjekt jedoch immer ein Problem. Ist er aufrichtig, ist er unaufrichtig? – darauf gibt es für das Subjekt keine zwingende Antwort. Der Bezug auf die Aufrichtigkeit des Anderen ist unvermeidlich, liefert aber keine Garantie.
Die Lösung, die im Bereich des Sprechens dem Subjekt bleibt, ist der Glaube – der Glaube an die Aufrichtigkeit des Anderen. An die Stelle der Gewissheit tritt der Glaube. Der Begriff deutet an, dass Lacan hierin den Ursprung der Religion sieht.
Später in dieser Sitzung heißt es zur Begegnung Hamlets mit dem Geist des toten Vaters:
„Dieser ghost, was sagt er? Er sagt sehr eigenartige Dinge, und ich finde es erstaunlich, dass niemand, ich sage nicht: die Psychoanalyse des ghost angegangen wäre, sondern dass niemand sich zu dem, was er sagt, mit ein wenig Nachdruck Fragen gestellt hat. Was er sagt, ist dies: Der Verrat ist absolut, es gab nichts Größeres, nichts Vollkommeneres als die Treue in meiner Beziehung zu dieser Frau, es gibt nichts Umfassenderes als der an mir begangene Verrat.
Alles, was als Aufrichtigkeit, Treue und Gelöbnis behauptet wird, ist für Hamlet also etwas, das nicht nur als widerrufbar angenommen wird, sondern das im wörtlichen Sinne widerrufen worden ist.
Diese absolute Annullierung spielt sich auf der Ebene der Signifikantenkette ab. Das ist jedoch etwas völlig anderes als das Ausfallen des Garantie-Signifikanten, von dem ich gesprochen habe, denn hier wird durchaus etwas garantiert, nämlich die Unwahrheit. Diese Art von Offenbarung der Lüge, wenn man so sagen kann – ein Thema, das es verdienen würde, weiter verfolgt zu werden –, hat die Art von Stupor zur Folge, in die Hamlets Geist (esprit) nach den Offenbarungen des Vaters gerät. (…)
Allgemein wird angenommen, ein Toter könne kein Lügner sein. Vielleicht aus demselben Grund, der dazu führt, dass unsere gesamte Wissenschaft noch an diesem inneren Postulat festhält, das Einstein – der von Zeit zu Zeit Dinge sagte, die in der philosophischen Ordnung nicht so oberflächlich waren – in prägnanten Worten herausgestellt hat, als er sagte: Der gute alte Gott ist raffiniert, aber sicherlich ist er ehrlich. Können wir dasselbe über einen Vater sagen, der uns kategorisch verkündet, dass er allen Qualen der Höllenflammen zum Opfer gefallen ist, und zwar wegen absolut infamer Verbrechen? Es gibt hier doch wohl eine gewisse Unstimmigkeit, die nicht umhin kann, uns zu warnen.“ (476 f.)
Der Geist erzählt von schrecklichen Dingen, und für Hamlet heißt das: Alles ist Verrat. Hieraus erklärt sich sein berühmtes Zaudern. Er schreitet deswegen nicht zur Tat, weil Aufrichtigkeit und Selbstverpflichtung im Versprechen, in der Treuebekundung, im Gelöbnis für ihn null und nichtig geworden sind.
Aufrichtigkeit und Treue sind für Hamlet nicht nur „widerrufbar“ geworden, sie sind für ihn tatsächlich „widerrufen“ worden. Die Aufrichtigkeit ist „widerrufbar“, damit ist gemeint, es gibt keinen Signifikanten, der die Wahrheit garantieren könnte – die Wahrheit ist unsicher, instabil, Wahrheit bis auf weiteres; „könnte stimmen“, sagt man im Alltag, oder „hoffentlich stimmt’s“. Die Aufrichtigkeit ist „widerrufen“ heißt: es gibt definitiv keine Aufrichtigkeit, „alles gelogen“, wie man sagt. In diesem Fall ist die Wahrheit nicht prekär, vielmehr ist sicher, und sie lautet: Es gibt definitiv keine Wahrheit. Für Lacan ist das der entscheidende Unterschied.
Für Hamlet also ist die Wahrheit widerrufen worden. Das beruht darauf, dass der Vater für ihn eine bestimmte Position einnimmt. Hamlet-Vater verkörpert für Hamlet-Sohn die absolute Aufrichtigkeit. Deshalb ist das, was der Vater über die Unwahrheit sagt, für den Sohn eine unerschütterliche Wahrheit. Der Geist des toten Königs ist für Hamlet der Andere des Anderen, ein Anderer, der die Wahrheit über die Wahrheit sagen kann (nämlich dass sie eine Lüge ist). Das ist umso auffälliger, als Hamlet-Vater nach eigenem Bekunden in der Hölle schmort, also selbst ein Verbrecher ist.
Wie kommt es, dass Hamlet seinem Vater glaubt? Weil er tot ist. Diese Einstellung Toten gegenüber ist verbreitet, wie die folgenden Romantitel bestätigen: „Tote lügen nicht“ (Phil Moore, ca. 1955; Kathy Reichs, 1998), „Tote Mädchen lügen nicht“ (Jay Asher, 2009), „Tote Zeugen lügen nicht“ (Bjørn Bottolvs, 2009).
Der tote Vater nimmt für Hamlet dieselbe Position ein wie Gott für Einstein: Gott ist garantiert ehrlich.39 Lacan zufolge beruht die gesamte moderne Wissenschaft auf dem Glauben an den Anderen.
Die vom Vater verkündete Wahrheit – wonach alles Lüge ist – ist die Philosophie des Pessimismus, die Philosophie des Absurden, die Lacan in einer früheren Sitzung des Seminars angeprangert hatte.40 Diese Art der Philosophie kommt nicht damit zurecht, dass es keinen Signifikanten gibt, der die Wahrheit garantiert. Sie glaubt an eine unerschütterliche Wahrheit – mit umgekehrtem Vorzeichen.
Die Abhängigkeit des Neurotikers von der garantierten Aufrichtigkeit (24. Juni 1959)
Wieso ist das Fehlen einer Wahrheitsgarantie für die Psychoanalyse von Bedeutung?
„Das Begehren des Neurotikers – wenn Sie mir diese ein wenig resümierende Formel gestatten, für etwas, das ich hier versuche, Sie spüren zu lassen –, insofern es gänzlich abhängig ist, wie uns die gesamte Entwicklung des Freud’schen Werkes zeigt, von dieser mythischen Aufrichtigkeitsgarantie durch den Signifikanten, an der sich festzuhalten für das Subjekt nötig ist, um anders leben zu können als in einem Schwindelgefühl --.“ (541, Übersetzung der Stenotypie, Version J.L.)
Der Neurotiker ist abhängig, nicht einfach vom Anderen, nicht einfach von einer Autorität, sondern genauer: von einer Garantie für die Aufrichtigkeit des Anderen.
Diese Garantie ist mythisch, sicherlich zunächst in dem Sinne, als sie eine Illusion darstellt. Aber vielleicht soll auch angedeutet werden, dass der Mythos die Funktion hat, eine solche Garantie zu liefern.
Angesichts der entsetzlichen Möglichkeit, dass es eine solche Garantie nicht gibt, packt den Neurotiker ein Schwindelgefühl, er verschwindet als Subjekt.
Lacan fährt fort:
… „Das ermöglicht es uns, zur Formel für das Begehren des Neurotikers zu gelangen. Jeder weiß, dass es einen engen historischen Zusammenhang gibt zwischen der Anatomie, die der Freudianismus von diesem Begehren liefert, und etwas, das kennzeichnend ist für die Epoche, in der wir leben und von der wir nicht wissen können, zu welcher Gestalt des Menschen, von Propheten unterschiedlichen Schlages vage verkündet, sie führen oder darüber stolpern wird. Es ist jedoch sicher, dass in unserer Erfahrung für uns etwas spürbar ist, sofern wir nicht zögern, es zu artikulieren, nämlich: Das Begehren des Neurotikers entsteht dann, so möchte ich auf verdichtete Weise sagen, wenn es keinen Gott gibt. Behaupten Sie nicht, dass ich etwas gesagt habe, was ich nicht gesagt habe, nämlich dass die Situation einfacher wäre, wenn es einen gibt. Die Frage ist folgende, nämlich, dass das Begehren des Neurotikers sich verortet und aufhält und aufhängt auf der Ebene dieser Aussetzung des höchsten Garanten, was das ist, was der Neurotiker in sich verbirgt.“ (541, Übersetzung von Version J.L.)
Die Formel für das Begehren des Neurotikers lautet: Das Begehren des Neurotikers entsteht dann, wenn es keinen Gott gibt. Lacan knüpft hier an Freuds These an, dass die Zwangsneurose eine Privatreligion ist.41 Wenn Lacan betont, dass er mit seiner Formel nicht behauptet habe, dass es den Menschen besser gehe, wenn es einen Gott gibt, so folgt er damit ebenfalls Freud, der in Die Zukunft einer Religion geschrieben hatte: „Es ist zweifelhaft, ob die Menschen zur Zeit der uneingeschränkten Herrschaft der religiösen Lehren im ganzen glücklicher waren als heute, sittlicher waren sie gewiß nicht.“42 Freuds These wird von Lacan verallgemeinert: nicht nur die Zwangsneurose, die Neurose überhaupt ist eine Privatreligion.
Für Lacan besteht das entscheidende Merkmal eines Gottes nicht in seiner Allmacht, nicht in seiner Allwissenheit, nicht in seiner Weisheit, nicht in seiner Allgüte, nicht in seiner Gerechtigkeit, sondern in seiner Wahrheit. Die göttliche Wahrheit ist eine Wahrheit besonderen Typs. Sie ist kein vorläufig akzeptierter falsifizierbarer Wahrheitsanspruch, also nicht die bescheidene Form der Wahrheit, mit der wir im Alltag meist gut zurecht kommen („wird schon stimmen“), auf der aber auch das experimentelle Forschungsdesign beruht, sofern es Falsifizierbarkeit ermöglicht. Die göttliche Wahrheit ist eine Wahrheit, die nicht fallibel ist. Sie ist unumstößlich, und zwar deshalb, weil es einen Signifikanten gibt, der sie garantiert. Im Judentum ist der Bericht über den Auszug aus Ägypten ein solcher Signifikant, er fungiert als Beweis dafür, dass Jahwe das Volk der Juden auserwählt hat – in der Sprache Lacans: dass er es in seinem besonderen Sein anerkannt hat und dass diese Anerkennung aufrichtig ist; dieser Garantie-Signifikant wird durch das Passahfest beständig in Erinnerung gehalten. Im Christentum hat der Bericht über Kreuzigung und Auferstehung Jesu Christi diese Funktion; der Garantiesignifikant ist hier die „gute Nachricht“.
Wenn die Religion in bestimmten Zusammenhängen an Einfluss verliert – wenn „Gott tot ist“, wenn die wahrheitsgarantierenden Signifikanten für viele zu leeren oder auch schönen Ritualen werden oder zu dummen oder auch weisen Erzählungen –, auch dann will dieser Wunsch befriedigt werden, und er befriedigt sich in der Neurose.
Das Begehren des Neurotikers ist darauf fixiert, dass es keinen höchsten Garanten gibt, keinen Signifikanten, der die Aufrichtigkeit des Anderen sichern könnte. Die Problemlösung besteht für den Neurotiker darin, dass er unbewusst an einen Anderen glaubt – einen Anderen, dessen Aufrichtigkeit sicher ist. In Seminar 11 wird Lacan es so formulieren: „die einzige zutreffende Formel für den Atheismus wäre: daß Gott unbewusst ist“43.
Zusammenfassung
Der Ausdruck S(Ⱥ) bezieht sich auf den Graphen des Begehrens, der in Seminar 5 eingeführt wird. Er bezeichnet hier den Schnittpunkt oben links. Dieser Schnittpunkt steht für die Botschaft des Unbewussten. Die Botschaft des Unbewussten ist die Antwort auf die Frage „Was willst du?“, eine Umwandlung der Frage des Subjekts „Was will ich?“ bzw. „Was bin ich?“ – gemeint ist: Was bin ich in meinem Sein als Subjekt, jenseits der Unterwerfung unter den entfremdenden Code des Anderen, jenseits der Unterwerfung unter den Anspruch. Auf die Frage „Was bin ich?“ antwortet das Unbewusste mit dem Signifikanten eines Mangels im Anderen; der Signifikant eines Mangels im Unbewussten ist der Kern des Verdrängten.
Lacan gibt zwei unterschiedliche Deutungen der Formel. In Seminar 5 deutet er sie so, dass sie für die Spaltung und das Begehren des realen Anderen steht. In Seminar 6 wird die Formel so erklärt: im Anderen – im Sinne des Codes – fehlt etwas, und was hier fehlt, ist ein Signifikant, der die Wahrheit garantieren könnte.
Seminar 5
In Seminar 5, Die Bildungen des Unbewussten, liefert Lacan zwei Bausteine zur Deutung der Formel.
Das Begehren des Anderen
Das Subjekt versucht, sich in seinem Sein, d.h. in seinem sexuellen Begehren jenseits der entfremdenden Unterordnung unter den Code des Anderen, anzuerkennen. Das genitale Begehren ist das authentischste Begehren, das am wenigsten entfremdete Begehren; diese These übernimmt Lacan von Sartre. Das Subjekt kann sein eigenes Begehren nur dadurch anerkennen, dass es das Begehren des Anderen anerkennt, also dadurch, dass es den Anderen als Begehrenden anerkennt. (431) In der Formel S(Ⱥ) steht das A für den „realen Anderen“ (430), den „menschlichen Anderen“ (430), für den Anderen als Lebewesen, als menschliches Individuum. Der Schrägstrich zeigt an,
– dass der reale Andere von den Bedingungen des Sprechens geprägt ist,
– dass er deshalb die Spaltung erlitten hat, mit Freud: in Vorbewusstes und Unbewusstes, mit Lacan: in den gewöhnlichen Diskurs (das sinnbezogene Sprechen) und in den Diskurs des Unbewussten,
– dass sein Begehren barré ist, versperrt, verdrängt, abgewehrt. (465, 518 f., 561)
Der Buchstabe groß S der Formel S(Ⱥ) wird in Seminar 5 nicht aufgelöst.
Das Begehren des Anderen, S(Ⱥ), wird im Unbewussten auf den Phallus, Φ, bezogen (370, 431, 465, 595). Hierdurch wird der begehrende Andere zu einem kastrierten Anderen, zunächst die Mutter, dann der Vater (411). Im Graphen wird dies dadurch dargestellt, dass die obere Querlinie, die für die unbewusste Signifikantenkette steht (für die unbewussten Gedanken, wie Freud sagt), in Seminar 5 mit dem Symbol Φ beginnt. Das von Φ zu S(Ⱥ) führende erste Segment dieser Linie steht für den Kastrationskomplex als Kernkomplex des Unbewussten.
Der Andere des Anderen
Die zweite Erläuterung besagt: Der Andere, auf den sich S(Ⱥ) bezieht, ist der „Andere des Anderen“ (560). Gemeint ist der Dritte, der für die Andere (die Mutter) der Andere ist, also im typischen Fall der Vater. Unter dem Anderen des Anderen versteht Lacan, dass die Mutter sich auf das Sprechen des Vaters bezieht, insofern dieses Sprechen für sie ein oberstes Gesetz verkündet, eine Art Urteil in letzter Instanz. (431)
In Seminar 5 werden diese beiden Deutungen nicht direkt aufeinander bezogen. Es ist jedoch klar, dass sich die Rede vom „Anderen des Anderen“ nicht auf den „ausgestrichenen Anderen“ der Formel beziehen kann, sondern gewissermaßen auf den Anderen ohne Schrägstrich.
Lacan betont, dass die Botschaft des Unbewussten – die Kastration des Anderen – sich herstellen kann, aber sich nicht herstellen muss (518 f., 547); der Kastrationskomplex kann unvollständig durchlaufen werden. Der Vater bleibt dann für das Subjekt – so wird man die beiden Elemente zusammensetzen dürfen – in der Position des Urhebers des Gesetzes und des obersten Gerichtshofs, er wird nicht zum begehrenden Anderen. Und das heißt: das Subjekt findet keinen Zugang zu seinem eigenen Begehren.
Seminar 6
Das Wesen, das noch kein Subjekt ist, wird dadurch zum Subjekt, dass es sich die Frage stellt „Was bin ich?“. Damit bezieht es sich auf seine Subjektivität jenseits der Unterwerfung unter den Code, auf sein Sein, auf sein Begehren, auf das Es im Sinne von Freud, und es bezieht sich auf dieses Sein in der Form des Fragens. (348 f., 445, 468)
Das Subjekt kann die Frage „Was bin ich?“ nur beantworten, indem es sich auf den Anderen bezieht. Die Formel S(Ⱥ) (abgekürzt Ⱥ) steht für die Antwort des Unbewussten auf diese Frage, für die Botschaft des Unbewussten (349).
Diese Botschaft bildet das Gegenstück zur Botschaft auf der Ebene des bewussten Sprechens, die im Graphen des Begehrens durch die Formel s(A) dargestellt wird (352). S(Ⱥ) ist die „Stunde der Wahrheit“ (348 f.); Lacan deutet mit dieser Formulierung an, dass die Antwort auf die Seinsfrage des Subjekts mit einer speziellen Zeitlichkeit verbunden ist; offenkundig lässt er sich hier von Heideggers Sein und Zeit inspirieren.
Die allgemeinste Bedeutung der Formel: das Fehlen eines Signifikanten, der die Wahrheit der Rede des Anderen garantieren könnte
S(Ⱥ) ist so aufzuschlüsseln:
– A steht nicht für ein Lebewesen, nicht für einen realen Anderen, sondern für den Anderen als Ort des Codes, des Signifikantensystems;
– Ⱥ meint: in A fehlt etwas;
– S steht für das, was hier fehlt, und das ist ein Signifikant. (353 f. )
Ⱥ verhält sich also zu S wie das Fehlen zum Fehlenden.
In der schrittweisen Erklärung der Formel bezieht sich Lacan zunächst auf einen anderen Anderen, nicht auf den Anderen im Sinne des Codes, sondern auf den Anderen als Sprecher, in Lacans Terminologie: als lieu de la parole, als „Ort des Sprechens“. Das Subjekt fragt sich nach seinem Sein, seinem Begehren. Eine Antwort kann es nur dadurch bekommen, dass es sich auf den Anderen als Sprecher bezieht, auf den Anderen, insofern er Versprechungen macht, Verbote erlässt, Behauptungen aufstellt. (444 f.) Die Beziehung des Subjekts zum Anderen als Sprecher dreht sich um das Problem des Vertrauens. Das Subjekt fragt sich, ob es sich auf das verlassen kann, was der Andere verspricht, anordnet oder behauptet, ob der Andere aufrichtig ist oder unaufrichtig. Das Problem des Vertrauens ist für das Subjekt grundlegender als das der Bedürfnisbefriedigung, als die Fragen der Frustration und der Gratifikation. Das zeigt sich etwa am Wiederholungszwang, für den die Wiederholung von Vertrauenskrisen typisch ist. (444 f.)
Das Subjekt fragt sich nicht einfach, ob es dem Anderen vertrauen kann. Lacan nimmt an, dass es, ähnlich wie Descartes, eine Antwort sucht, die mit Gewissheit wahr ist (vgl. den Hinweis auf Descartes 354). Lacan zufolge strebt das Subjekt in der Weise nach Gewissheit, dass es einen Signifikanten sucht, der die Wahrheit garantieren könnte, ähnlich wie dies für Descartes das Cogito leistet oder wie eine Eidesformel es vor Gericht leisten soll. Damit bezieht sich das Subjekt nicht mehr auf den Anderen als Ort des Sprechens, sondern auf den Anderen im Sinne des Codes, des Sprachsystems.
Freud nimmt an, dass dem Unbewussten bestimmte Vorstellungen, bestimmte Signifikanten fehlen. Lacan dehnt diese Fragestellung aus und fragt, ob es einen Signifikanten gibt, der dem Sprachsystem fehlt. Die Formel S(Ⱥ) steht für denjenigen Signifikanten, der dem Code wesentlich fehlt. Es gibt keinen Signifikanten, der garantieren könnte, dass die Antwort des Anderen auf die Frage des Subjekts – auf die Frage „Was bin ich als Subjekt?“ – wahr ist. (353) Lacan nennt dies auch: „Es gibt keinen Anderen des Anderen.“ (353) Die Antwort auf die Frage „Was bin ich als Subjekt?“ ist eine Art Fehlmeldung. Das erinnert an Heidegger in Das Wesen der Sprache: „Ein ‚ist‘ ergibt sich, wo das Wort zerbricht.“ Die Konfrontation mit diesem Fehlen ist das, was am stärksten verdrängt wird. In diesem Sinne bildet der „Signifikant eines Mangels im Anderen“ den Kern des Unbewussten.
Das Fehlen eines Signifikanten, der die Aufrichtigkeit des Anderen garantieren könnte
Eine speziellere Deutung der Formel bezieht sich auf die Konfrontation des Kindes mit der Mutter oder dem Vater (440 f.). Ausgangspunkt ist hier: das Subjekt verspürt genitale Erregungen, ein sexuelles Begehren. Es wendet sich mit der Manifestation dieses Begehrens an den realen Anderen, um von ihm als Subjekt anerkannt zu werden, in seinem sexuellen Begehren jenseits des Codes. Der Anspruch, mit dem es sich an den Anderen wendet, ist hier nicht der nach Befriedigung eines Bedürfnisses und auch nicht der Anspruch auf Liebe – auf Anwesenheit und Abwesenheit –, sondern der Anspruch darauf, als Subjekt anerkannt zu werden. Der reale Andere reagiert auf irgendeine Weise – mit seinem Verhalten oder indem er bestimmte Bemerkungen macht. Das Subjekt fragt sich, ob diese Reaktion aufrichtig ist, ob es sich auf den Anderen – wenn er so reagiert – verlassen kann, ob es ihm vertrauen kann.
Ausgehend vom Problem der Aufrichtigkeit entwickelt das Subjekt einen neuen Anspruch: es fordert eine Garantie dafür, dass die Antwort des realen Anderen wahrhaftig ist, einem Signifikanten, der eine Wahrheitsgarantie liefern würde. Einen solchen Signifikanten gibt es nicht.
Das Fehlen eines Signifikanten, der das Gesetz garantieren könnte
Eine weitere spezielle Deutung bezieht sich auf die Funktion des Vaters. Vom Vater wird erwartet, dass er der Urheber des Gesetzes ist und dass er das Gesetz garantiert – dass er ihm seine Legitimität verleiht und durch Strafe seine Durchsetzung sichert. Dazu müsste der Vater über dem Gesetz stehen. Der reale Vater kann das Gesetz jedoch nicht garantieren, da er wie jedermann dem Gesetz unterworfen ist. (406) Der fehlende Signifikant – das S in der Formel S(Ⱥ) – ist in dieser Deutung der Signifikant des Vaters, insofern er derjenige wäre, der das Gesetz garantieren könnte.
Ersatzlösung für das Fehlen des wahrheitsgarantierenden Signifikanten: der Glaube
Angesichts des Fehlens einer Wahrheitsgarantie bleibt dem Subjekt nur der Glaube; der Glaube an die vom toten Vater verkündete Wahrheit, wie im Falle von Hamlet. Der Glaube an die Aufrichtigkeit des Anderen tritt an die Stelle der Gewissheit. (468)
Der Glaube kann die Form der organisierten Religion annehmen. Wenn der Einfluss der Religion zurückgeht, bleibt als Lösung für den Wunsch nach einer garantierten Wahrheit nur, dass der Glaube unbewusst wird. Die Neurose beruht auf dem unbewussten Glauben an einen Anderen, dessen Aufrichtigkeit garantiert ist. (541)
Das Verschwinden des Subjekts und das Objekt des Begehrens
Das Fehlen eines wahrheitssichernden Signifikanten im Anderen hat zur Folge, dass das Subjekt sich als Subjekt des unbewussten Diskurses nicht selbst bezeichnen kann (434–436). In der Formel für das Phantasma, $◊a, steht das durchgestrichene große S für das Scheitern der Selbstbezeichnung und in diesem Sinne für das „Verschwinden“ des Subjekts.
Da das Subjekt sich nicht selbst bezeichnen kann, wählt es einen imaginären Umweg: das Objekt des Begehrens im Phantasma; in der Formel für das Phantasma, $◊a, wird es durch das kleine a repräsentiert. Auf dem Umweg über dieses Objekt bezeichnet das Subjekt sein eigenes Begehren. Lacan rekonstruiert hier den Mechanismus der Projektion. (434-436, 438, 441)
Zentralstellung
Das Subjekt steht zum Anderen in der Beziehung des Anspruchs auf Bedürfnisbefriedigung, das hat die Objektbeziehungstheorie richtig gesehen – auch wenn sie verkennt, dass die Objektbeziehungen, von denen sie spricht, in Wirklichkeit Beziehungen des Anspruchs sind (434). Diese Beziehungen des Anspruchs sind im Unbewussten allerdings Randphänomene. Das Unbewusste hat sein Zentrum in der Beziehung zur Forderung nach einer Garantie für die Aufrichtigkeit des Anderen. S(Ⱥ) ist die Botschaft des Unbewussten. (441)
Lacan in früheren Texten zum Mangel im Anderen
Seminar 2, Das Ich in der Theorie Freuds und in der Technik der Psychoanalyse
In Seminar 2 von 1954/55 sagt Lacan:
„Das Eigentümliche an der Argumentation Freuds ist, daß er die Beweislast umkehrt – In den Elementen, die Sie mir entgegenhalten, im Vergessen und Verblassen des Traums, sehe ich immer noch einen Sinn, ich sehe sogar einen zusätzlichen Sinn. Wenn das Phänomen des Vergessens dazwischenkommt, dann interessiert mich das noch mehr. Ich finde auch da einen Bestandteil der Botschaft. Diese negativen Phänomene füge ich der Lektüre des Sinns hinzu, ich erkenne auch ihnen die Funktion der Botschaft zu. Nicht nur daß Freud diese Dimension entdeckt, sondern durch eine gewisse Voreingenommenheit isoliert er sie sogar, er will nur sie zur Kenntnis nehmen.“44
Negative Phänomene wie Vergessen und Verblassen des Traums sind ein Teil der Botschaft. Im Graphen des Begehrens ist S(Ⱥ) am Ort der Botschaft lokalisiert; der „Mangel im Anderen“ – ein negatives Phänomen – gehört zur Botschaft.
Etwas später heißt es in derselben Sitzung:
„Was wir für den Augenblick festhalten wollen, ist, daß Freud erst dann zufrieden ist, daß er erst dann seinen Weg wieder einschlägt, erst dann beansprucht, nachgewiesen zu haben, was er uns nachweisen wollte, wenn er uns zeigen kann, daß der Hauptwunsch eines Traums darin bestand, eine Botschaft durchzugeben.
M. VALABREGA: – Folglich ist das Vergessen des Traums ein Hindernis.
Es ist kein Hindernis, es gehört zum Text. Der Zweifel zum Beispiel ist in seiner Perspektive fast eine emphasis – es gibt kein gleichwertiges Wort im Französischen, man müßte sagen soulignage/Unterstreichung/Hervorhebung. Der Zweifel interessiert ihn nicht als psychologisches Phänomen, und was den Traum angeht, ist das überhaupt ein psychologisches Phänomen?
Das Phänomen des Zweifels, sagt Freud, muß man wie einen Bestandteil der Botschaft deuten. Wenn das Subjekt zweifelt, sagen Sie sich, daß es sich um Widerstand handelt, aber reden wir im Augenblick nicht vom Widerstand. Der Zweifel gehört zur Botschaft.“45
Die Botschaft hat negative Bestandteile und eine der negativen Komponenten der Botschaft kann ein Zweifel sein.
Und etwa eine Seite danach:
„Die Zensur situiert sich nicht auf demselben Niveau wie der Widerstand. Sie gehört zum unterbrochenen Charakter des Diskurses.„46
Statt von den negativen Bestandteilen der Botschaft spricht Lacan hier vom unterbrochenen Charakter des Diskurses. Zum unterbrochenen Charakter des Diskurses gehört die Zensur. Die Zensur ist eine weitere Gestalt des negativen Bestandteils der Botschaft; für Freud ist der Zweifel im Traum ein Abkömmling der Zensur.47
Einige Sätze später heißt es:
„Das bringt die Frage nach dem mit sich, was wir das Über-Ich nennen. Ich spreche Ihnen vom unterbrochenen Diskurs. Nun, eine der ergreifendsten Formen des unterbrochenen Diskurses ist das Gesetz, insofern es unverstanden ist. Per definitionem schützt Unkenntnis nicht vor Strafe / nul n’est censé ignorer la loi / wird von niemandem angenommen, daß er das Gesetz nicht kennt, aber es ist immer unverstanden, denn niemand erfaßt es in seiner Gesamtheit. Der Primitive, der in die Gesetze der Verwandtschaft, der Allianz, des Frauentauschs einbezogen ist, hat, selbst wenn er sehr gelehrt ist, niemals eine Gesamtsicht dessen, was ihn in diesen Gesetzeszusammenhang faßt. Was Zensur ist, hat immer eine Beziehung zu dem, was im Diskurs sich auf das Gesetz als unverstandenes bezieht.“48
Die Zensur steht damit in Zusammenhang, dass das Gesetz immer zum Teil unbekannt und unverstanden ist. Dies wiederum bezieht sich auf das Über-Ich.
Lacan erläutert das so: Angenommen, es ist bei Strafe der Enthauptung untersagt, zu behaupten, der König von England sei ein Dussel. Dann muss aus dem Diskurs alles eliminiert werden, was mit der verbotenen Behauptung in Verbindung steht. Damit ist gemeint, dass ich beispielsweise nicht verkünden darf: „Ich behaupte keineswegs, dass der König von England ein Dussel ist.“ In der Analyse des „Rattenmanns“ hat Freud auf diese Expansionsdynamik der Zensur hingewiesen.49
Lacan fasst es so zusammen:
„Daraus ergibt sich also, daß all das, was im Diskurs mit jener Realität in Zusammenhang steht, daß der König von England ein Dussel ist, in der Schwebe gehalten wird. Das Subjekt wird in die Notwendigkeit einbezogen, aus dem Diskurs alles eliminieren, extrahieren zu müssen, was in Beziehung zu dem steht, was das Gesetz zu sagen untersagt.“50
Er fährt dann fort:
„Nun, dieses Verbot als solches ist total unverstanden. Auf dem Niveau der Realität kann niemand verstehen, warum einem der Kopf abgeschlagen werden soll, wenn man diese Wahrheit sagt, niemand erfaßt, wo sich die Tatsache selbst der Untersagung situiert.“50
Das eine ist die Realität, nämlich dass der König ein Trottel ist. Das andere ist das Verbot, dies zu sagen. Das Verbot lässt sich aus der Realität nicht ableiten; zwischen dem Sein und dem Sollen liegt eine Kluft.
Ich überspringe einen Satz, danach heißt es:
„Ich hoffe, Ihnen jene letzte unerklärte, unerklärliche Triebfeder spürbar zu machen, an die sich die Existenz des Gesetzes klammert. Die harte Sache, auf die wir in der analytischen Erfahrung stoßen, ist, daß es in ihr eins gibt, ein Gesetz. Und das ist eben das, was niemals vollständig erledigt werden kann im Diskurs des Gesetzes – es ist dieser letzte Ausdruck, der erklärt, daß es eins gibt.“51
Das Unbewusste ist im Subjekt eine Spaltung des symbolischen Systems, es ist die eine Seite dieser Spaltung; die Zensur (die von Freud später als Über-Ich bezeichnet wird) ist das, was das symbolische System des Subjekts spaltet, in einen anerkannten, zugänglichen Teil und einen untersagten, unzugänglichen Teil.52
Das Gesetz ist ein Bestandteil des symbolischen Systems. Auch das Gesetz ist gespalten, es ist zum Teil zugänglich, zum Teil unbewusst, unzugänglich.
Im Diskurs des Gesetzes gibt es etwas, das niemals erklärt werden kann: dass es ein Gesetz gibt.
Bezogen auf das Über-Ich besteht das negative Phänomen in der Botschaft des Unbewussten darin, dass es nichts gibt, was erklären kann, dass es ein Gesetz gibt.
Seminar 4, Die Objektbeziehung
In diesem Seminar geht es um die allmächtige Mutter und um den der allmächtigen Mutter fehlenden Phallus.
„Allmächtig ist der Andere. Doch hinter diesem Allmächtigen gibt es den letzten Mangel, an dem seine Macht hängt.“53
Seminar 17: die Kastration des Vaters
In Seminar 17, Die Kehrseite der Psychoanalyse (1969/70), bringt Lacan das Konzept „Signifikant eines Mangels im Anderen“ auf den Punkt. Nach einer Erläuterung der Formel des Diskurses des Analytikers sagt er hier:
„Und ebendies nun erlaubt zu artikulieren, was es mit der Kastration wahrhaftig auf sich hat: daß, selbst fürs Kind, was auch immer man darüber denkt, der Vater der ist, der nichts von der Wahrheit weiß.“54
Das Symbol S(Ⱥ) kann auch gelesen werden als: Kastration des Vaters. Die Kastration des Vaters besteht darin, dass er nichts von der Wahrheit weiß.
Man versteht, warum Lacan immer wieder darauf zurückkommt, dass einer seiner Schüler über ihn gesagt hatte: „Warum sagt er nicht die Wahrheit über die Wahrheit?“ Dieser Schüler war Lacan gegenüber in der Position des Neurotikers, der Andere war für ihn nicht kastriert.
Anknüpfungspunkte bei Freud
Die Botschaft des Unbewussten besteht für Lacan also darin, dass es keinen Wahrheitsgaranten gibt. Da Lacan bei fast allen seinen Theoremen an Freud anknüpft, ist das auch hier zu erwarten. Worauf könnte er sich beziehen?
Vielleicht auf diese Bemerkung Freuds in dem Aufsatz Über Deckerinnerungen (1899):
„Für die Angaben unseres Gedächtnisses gibt es überhaupt keine
Garantie.“55
Die überscharfe Kindheitserinnerung des Patienten, um die es in diesem Text geht, ist eine in die Kindheit zurückverlegte Phantasie.
Möglicherweise stützt Lacan sich auch auf Freuds Aufsatz über infantile Sexualtheorien. Das Kind fragt die Erwachsenen, so heißt es hier, woher die Kinder kommen, und es bekommt die Antwort: vom Storch. Freud kommentiert das so:
„Es scheint mir aus vielen Mitteilungen hervorzugehen, daß die Kinder der Storchtheorie den Glauben verweigern, von dieser ersten Täuschung und Abweisung an aber ein Mißtrauen gegen die Erwachsenen in sich nähren, die Ahnung von etwas Verbotenem gewinnen, das ihnen von den ‚Großen‘ vorenthalten wird, und darum ihre weiteren Forschungen mit Geheimnis verhüllen. Sie haben dabei aber auch den ersten Anlaß eines ‚psychischen Konflikts‘ erlebt, indem Meinungen, für die sie eine triebartige Bevorzugung empfinden, die aber den Großen nicht ‚recht‘ sind, in Gegensatz zu anderen geraten, die durch die Autorität der ‚Großen‘ gehalten werden, ohne ihnen selbst genehm zu sein. Aus diesem psychischen Konflikte kann bald eine ‚psychische Spaltung‘ werden; die eine Meinung, mit der die Bravheit, aber auch die Sistierung des Nachdenkens verbunden ist, wird zur herschenden bewußten; die andere, für die die Forscherarbeit unterdes neue Beweise erbracht hat, die nicht gelten sollen, zur unterdrückten, ‚unbewußten‘. Der Kernkomplex der Neurose findet sich auf diese Weise konstituiert.“56
Der Kernkomplex der Neurose entsteht dadurch, dass die Auffassungen des Kindes über Sexualität mit den Behauptungen der Erwachsenen in Konflikt geraten. Das Kind fragt sich, ob die Erwachsenen aufrichtig sind oder ob sie lügen, und auf diese Weise entwickelt es ein Verhältnis zur Wahrheit. Es löst den Konflikt mit den Erwachsenen so, dass es ihre Meinung übernimmt und die eigene Deutung der Sexualität unterdrückt.
Die eigene Auffassung wird hierdurch jedoch nicht gänzlich vernichtet, sondern unbewusst. Dies ist der erste psychische Konflikt. Durch ihn entsteht der Kernkomplex der Neurose.
Zwei Jahre später wird Freud den Kernkomplex der Neurose als „Ödipuskomplex“ bezeichnen. In der Analyse der Phantasie „Ein Kind wird geschlagen“ (1919) bringt Freud die Rede vom Ödipuskomplex und die vom Neurosenkern auf Satzebene zusammen: „Wir meinen ja, der Ödipuskomplex sei der eigentliche Kern der Neurose“.note]
S. Freud: „Ein Kind wird geschlagen“ (Beitrag zur Kenntnis der Entstehung sexueller Perversionen) (1919). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 7. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 244.[/note]; aus den von Freud zuvor dargelegten Gründen sei das wesentliche Stück der infantilen Sexualität, „der Ödipuskomplex, der Kernkomplex der Neurose“57.
Der Dreh- und Angelpunkt des Ödipuskomplexes ist demnach die Frage, ob das, was die Erwachsenen zur Sexualität sagen, wahr ist.
Freuds Problemstellung wird von Lacan gewissermaßen strukturalisiert. Freud geht es um eine Wahrheit, die man sagen oder nicht sagen kann, beispielsweise darüber, wo die kleinen Kinder herkommen. Lacan bezieht sich auf eine Wahrheit, die man unmöglich sagen kann: man kann im Sprechen keine Garantie für die Wahrheit geben, man kann nicht die Wahrheit über die Wahrheit sagen – so wie Freud es im Aufsatz über Deckerinnerungen sagt.
Verwandte Beiträge
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- Der symbolische Vater (der Name des Vaters) – bis 1958
- Aufrichtigkeit / Unaufrichtigkeit
- Die Wissenschaft und die Wahrheit – Fassung von 1936
- 14 Thesen über die Wahrheit des Subjekts
- Graf des Begehrens
Anmerkungen
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Lacan verwendet die Formel S(Ⱥ) zum ersten Mal in Seminar 5, Die Bildungen des Unbewussten, dort in der Sitzung vom 26. März 1958 (vgl. Version Miller/Gondek, S. 370).
Die Formulierung „le signifiant de l’Autre en tant que barré“ findet man dort in der Sitzung vom 2. Juli 1958 (Version Miller, S. 504), zu deutsch: der Signifikant „des Anderen als gesperrtem“ (Version Miller/Gondek, S. 595). Die genaue Formulierung „l’Autre barré“ wird von Lacan erstmals in Seminar 6 gebraucht (Sitzung vom 22. April 1959, Version Miller S. 384).
Die Wendung „Mangel des Anderen“ erscheint zuerst in dem Aufsatz Die Ausrichtung der Kur und die Prinzipien ihrer Macht (1958), Schriften I, hg. v. N. Haas, S. 200, danach in Subversion des Subjekts und Dialektik des Begehrens im Freudschen Unbewussten (Vortrag von 1960, endgültige Fassung vermutlich 1962, veröffentlicht 1966), Schriften II, hg. v. N. Haas, S. 200. Die Formulierung „Mangel im anderen“ verwendet Lacan zuerst in Die Bedeutung des Phallus (1958), Schriften II, hg. v. N. Haas, S. 130, sie bezieht sich dort auf den kleingeschriebenen „anderen“. Die Formulierung „Signifikant eines Mangel im Anderen“ für S(Ⱥ) findet man in Subversion des Subjekts (vgl. Schriften II, hg. v. N. Haas, S. 194).
Das Symbol S(Ⱥ) gehört zu den stabilen Elementen von Lacans Begriffsapparat; Lacan verwendet es noch in Seminar 20 von 1972/73, Encore, in einem Diagramm zur Ergänzung der Formeln der Sexuierung (in der Sitzung vom 13. März 1973, Version Miller/Haas u.a. S. 85) sowie in Seminar 23 von 1975/76, Das Sinthom (in der Sitzung vom 16. März 1976, Version Miller S. 123).
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Seminar 6, Das Begehren und seine Deutung, ist zum größten Teil nicht übersetzt; in der Zeitschrift Wo Es war erschien 1986 und 1987 eine Übersetzung von sieben der acht Hamlet-Vorlesungen aus diesem Seminar, siehe hier.
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Lacan bezieht sich auf: Roman Jakobson: Shifters, verbal categories, and the Russian verb (1957). In: Ders.: Selected Writings, Vol. II: Word and Language. Den Haag: Mouton 1972. S. 130–147.– Dt.: Verschieber, Verbkategorien und 2das russische Verb. In: Ders.: Form und Sinn: Sprachwissenschaftliche Betrachtungen. Fink, München 1974, S. 35–54; im Internet hier.
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In der Zeichnung habe ich zwei graphische Darstellungen aus Millers Version von Seminar 5 in eine zusammengezogen: aus der Sitzung vom 22. Januar 1958, Version Miller/Gondek S. 224, und aus der Sitzung vom 29. Januar 1958, Version Miller/Gondek S. 237.
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Vgl. hierzu auf dieser Website den Beitrag Der Andere als Ort des Sprechens – mit wem spricht Jasmin?
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Sartre:
„Wir haben ja gesehen, daß Begierde und Sexualität überhaupt eine ursprüngliche Bemühung des Für-sich [des Subjekts] ausdrücken, sein durch Andere entfremdetes Sein wiederzugewinnen.“
(Das Sein und das Nichts. Versuch einer phänomenologischen Ontologie (1943). Übersetzt von Hans Schöneberg und Traugott König. Rowohlt, Reinbek 1994, S. 981)
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So auch in J.-B. Pontalis: Zusammenfassende Wiedergaben der Seminare IV – VI von Jacques Lacan. 2. Auflage. Turia + Kant, Wien 1999, S. 133.
In der endgültigen Version des Graphen im Aufsatz Subversion des Subjekts und Dialektik des Begehrens wird das Symbol Φ am Beginn der oberen Querlinie durch den Begriff jouissance ersetzt, „Genießen“.
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Abbildung aus Seminar 5, Die Bildungen des Unbewussten, Sitzung vom 14. Mai 1956, Version Miller/Gondek S. 461; um die Zusammenhänge deutlicher zu machen, habe ich einige Symbole etwas verschoben.
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Vgl. hierzu auf dieser Website die Beiträge „Der Sender erhält vom Empfänger seine eigene Botschaft in umgekehrter Form“ und Die von A nach oben zeigende Linie – Que vuoi?
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Vgl. M. Heidegger: Die Sprache im Gedicht. Eine Erörterung von Georg Trakls Gedicht (1953). In: Ders.: Unterwegs zur Sprache. Neske, Stuttgart 1959, S. 35–82, hier: S. 37.
Im Aufsatz Logos (1951) deutet Heidegger das Wort „sagen“ (griechisch legein) als Versammeln, Zusammenbringen, zusammen-ins-Vorliegen-bringen (M. Heidegger: Vorträge und Aufsätze. Neske, Pfullingen 1954, S. 199-221); Lacans Übersetzung dieses Aufsatzes erschien 1956 in der Zeitschrift La psychanalyse.
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Abbildung aus Seminar 6, Das Begehren und seine Deutung, Sitzung vom 18. März 1959, Version Miller S. 337 f.
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Vgl. etwa Lacan: La psychanalyse et son enseignement (1957). In: Ders.: Écrits. Le Seuil, Paris 1966, S. 451–454.
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Die Bemerkung erinnert an Sartre: die Freiheit besteht darin, den Sinn zu schaffen.
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Vgl. hierzu in diesem Blog den Beitrag Der Begriff des Signifikanten sowie die Übersetzung von Juan-David Nasios Antwort auf die Frage Was ist ein Signifikant?
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Vgl. hierzu in diesem Blog den Beitrag Der Sinn kommt vom Anderen.
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I, 2, Verse 141 f.– Ich zitiere hier und im Folgenden aus: William Shakespeare: Hamlet, Bd. 1: Text. Englisch/Deutsch. Herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Holger M. Klein. Reclam jun., Stuttgart 1984.
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Vgl. Ernest Jones: Hamlet and Oedipus. Norton, New York 1949.– Ella Freeman Sharpe: An Unfinished Paper on Hamlet: Prince of Denmark. In: International Journal of Psycho-Analysis, 29. Jg. (1948), S. 98–109.
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Vgl. Seminar 8 von 1960/61, Die Übertragung, Sitzung vom 19. April 1961, Version Miller/Gondek S. 297–299.
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So deutet Darian Leader die Formel. Vgl. D. Leader, Judy Groves: Introducing Lacan. Icon Books, Duxford 2000, S. 118.
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M. Heidegger: Das Wesen der Sprache. In: Ders.: Unterwegs zur Sprache. Neske, Pfullingen 1959, S. 157–216, hier: S. 216.
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Ab Seminar 11 von 1964, Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse, wird er einen anderen Weg einschlagen; die Psychoanalyse gilt ihm von da an als Erbin des cartesischen Subjekts.
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Vgl. Jaakko Hintikka: Cogito, Ergo Sum: Inference or Performance? In: The Philosophical Review, 71. Jg. (1962), H. 1, S. 3-32; ders.: Cogito, Ergo Sum as an Inference and a Performance. In: The Philosophical Review, 72. Jg. (1963) H. 4, S. 487-496.
Vgl. hierzu: Michel Grangeon: Lacan-Hintikka. In: Essaim 1/ 2002 (Nr. 9), S. 101-119; im Internet hier.
Auf Hintikka bezieht Lacan sich einmal: in Seminar 21 von 1973/74, Les non-dupes errent, setzt er sich mit dessen Models of modality (1969) auseinander (Sitzung vom 19. Februar 1974).
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Dies ist Freuds Frage in Psychogenese eines Falles von weiblicher Homosexualität (1920). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 7. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 274 f.
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Freud:
„Durch die in der Kinderstube gebräuchlichen Antworten wird der ehrliche Forschertrieb des Kindes verletzt, meist auch dessen Vertrauen zu seinen Eltern zum erstenmal erschüttert; von da an beginnt es zumeist den Erwachsenen zu mißtrauen und seine intimsten Interessen vor ihnen geheimzuhalten.“
(S. Freud: Zur sexuellen Aufklärung der Kinder (1907). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 5. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 165)
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Zuerst in Seminar 17 von 1969/70, Die Kehrseite der Psychoanalyse, Sitzung vom 10. März 1970, Version Miller S. 125, sowie im Vorwort zu Anika Rifflet-Lemaires Buch Jacques Lacan (Brüssel 1970).
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Seminar 23, Das Sinthom, Sitzung vom 18. November 1975, Version Miller 2005 S. 6.
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Vgl. in Seminar 4, Die Objektbeziehung, die Tabelle zur Sitzung vom 3. April 1957, Version Miller/Gondek S. 317.
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Im Rom-Vortrag spricht er vom „Sanktionieren durch unsere Autorität“ (durch die Autorität der Psychoanalytiker) vgl. Funktion und Feld des Sprechens und der Sprache in der Psychoanalyse: „en le sanctionnant de notre autorité“ (Écrits, S. 310), sie mit unsere Autorität bekräftigend, Laermann übersetzt mit „bestärken“ (Schriften I, S. 156).
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Vgl. Seminar 6, Das Begehren und seine Deutung, Stenotypie Version J.L., Sitzung vom 13. Mai 1959, S. 17.
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Der Buchstabe klein a steht hier noch nicht oder nur am Rande für das Partialobjekt; dieses Konzept wird erst später voll ausgearbeitet, vor allem in Seminar 10 von 1962/63, Die Angst.
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Vgl. Jakobson, Shifters, verbal categories, and the Russian verb, a.a.O. Den Begriff Shifter bzw. Verschieber übernimmt Jakobson von Otto Jespersen.
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Vgl. hierzu S. Freud: Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie (1905). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 5. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 75 f.
Zum Phantasma bei Exhibitionismus und Voyeurismus vgl. Lacan, Seminar 6, Das Begehren und seine Deutung, Sitzung vom 3. Juni 1959.
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Diagramm aus Seminar 6, Das Begehren und seine Deutung, Sitzung vom 13. Mai 1959, Version Miller S. 439.
In der Staferla-Version des Seminars findet man in der zweiten Zeile nicht „Sr“, sondern „St“, und in den Zeilen 5 bis 7 statt der großen A kleine a. Ein ähnliches Schema verwendet Lacan in Seminar 10 von 1962/63, Die Angst; es wird dort als „Schema der Teilung“ bezeichnet. Vgl. Seminar 10, Sitzung vom 21. November 1962, Version Miller/Gondek S. 40; Sitzung vom 23. Januar 1963, Version Miller/Gondek S. 145; Sitzung vom 6. März 1963, Version Miller/Gondek S. 201.
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S. Freud: Jenseits des Lustprinzips (1920). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 3. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 251 f.
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Vgl. Seminar 2, Das Ich in der Theorie Freuds und in der Technik der Psychoanalyse, Sitzung vom 25. Mai 1955, Version Miller/Metzger S. 310.
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Das berühmte Einstein-Zitat lautet wörtlich: „Raffiniert ist der Herrgott, aber boshaft ist er nicht.“ Mündliche Bemerkung von Einstein aus dem Jahre 1921; über die Umstände informiert: Abraham Pais: Subtle is the Lord. The Science and the Life of Albert Einstein. Oxford University Press, Oxford u.a. 1982, S. 113.
Auf diese Sentenz hatte Lacan sich bereits früher bezogen: in Seminar 2, Das Ich in der Theorie Freuds und in der Technik der Psychoanalyse, Sitzung vom 19. Mai 1955, Version Miller/Metzger S. 285; in Seminar 3, Die Psychosen, Sitzung vom 15. Februar 1956, Version Miller/Turnheim S. 79.
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Vgl. Seminar 6, Das Begehren und seine Deutung, Sitzung vom 8. April 1959, Version Miller S. 353.
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Vgl. S. Freud: Zwangshandlungen und Religionsübungen (1907). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 7. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 15.
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S. Freud: Die Zukunft einer Illusion (1927). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 9. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 171.
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Seminar 11 von 1964, Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse, Sitzung vom 12. Februar 1964, Version Miller/Haas S. 65.
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Seminar 2, Das Ich in der Theorie Freuds und in der Technik der Psychoanalyse, Sitzung vom 16. Februar 1955, Version Miller/Metzger S. 162.
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Seminar 2, Das Ich in der Theorie Freuds und in der Technik der Psychoanalyse, Sitzung vom 16. Februar 1955, Version Miller/Metzger S. 164.
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Seminar 2, Das Ich in der Theorie Freuds und in der Technik der Psychoanalyse, Sitzung vom 16. Februar 1955, Version Miller/Metzger S. 165.
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Vgl. S. Freud: Die Traumdeutung (1900). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 2. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 494.
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Seminar 2, Das Ich in der Theorie Freuds und in der Technik der Psychoanalyse, Sitzung vom 16. Februar 1955, Version Miller/Metzger S. 165 f.
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Freud berichtet dort, dass er seinem Patienten sagte:
„Er behandle diesen Wortlaut (dass der Vater sterben könne) wie den einer Majestätsbeleidigung, wobei es bekanntlich ebenso bestraft wird, wenn jemand sagt: ‚Der Kaiser ist ein Esel‘, wie wenn er diese verpönten Worte einkleidet: ‚Wenn jemand sagt …, so hat er es mit mir zu tun.‘“
(Bemerkungen über einen Fall von Zwangsneurose (1909). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 7. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 52.)
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Seminar 2, Das Ich in der Theorie Freuds und in der Technik der Psychoanalyse, Sitzung vom 16. Februar 1955, Version Miller/Metzger S. 167.
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Seminar 2, Das Ich in der Theorie Freuds und in der Technik der Psychoanalyse, Sitzung vom 16. Februar 1955, Version Miller/Metzger S. 167 f.
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Vgl. Seminar 1, Freuds technische Schriften, Sitzung vom 19. Mai 1954, Version Miller/Hamacher S. 250.
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Seminar 4, Die Objektbeziehung, Sitzung vom 6. Februar 1957, Version Miller/Gondek S. 198.
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Seminar 17, Die Kehrseite der Psychoanalyse, Sitzung vom 18. März 1970; Version Miller S. 151; ich zitiere die Übersetzung von Gerhard Schmitz, 1. Fassung Juli 1997, S. 128.
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S. Freud: Über Deckerinnerungen (1899). In: Ders.: Gesammelte Schriften. Chronologisch geordnet. Bd. 1. Imago, London 1952, S. 531–554, hier: S. 546.
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S. Freud: Über infantile Sexualtheorien (1908). In: S. Freud: Studienausgabe, Bd. 5. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 174 f.