Fading und Aphanisis – das Verschwinden des Subjekts
Die Spielregel (Frankreich 1939, Regie: Jean Renoir)
Marcel Dalio als Marquis de la Cheyniest bei der Vorstellung des Orchestrions (Ausschnitt)
Nachtrag vom 25. Juni 2021: Inzwischen gibt es eine Übersetzung von Seminar 6, Das Begehren und seine Deutung: bei Turia und Kant, Wien 2020, Übersetzer: Hans-Dieter Gondek.
Dritte Fassung vom 14. Dezember 2024, die zweite Fassung erschien am 18. August 2016, die erste Fassung wurde am 16. Juni 2014 veröffentlicht.
Was versteht Lacan unter dem Fading des Subjekts, unter der Aphanisis des Subjekts, unter dem Verschwinden des Subjekts? Um es kurz zu sagen: Lacan verwendet diese drei Ausdrücke synonym. Damit ist gemeint, dass es im Unbewussten keinen Signifikanten des Subjekts gibt. Die drei Termini fassen diese strukturelle Tatsache prozessual auf: Im Rahmen einer Psychoanalyse versucht das Subjekt, einen Signifikanten zu erwischen, der ein Signifikant des Subjekts wäre; einen solchen Signifikanten gibt es jedoch nicht – das Subjekt ist ein fehlender Signifikant –, und die Konfrontation mit dieser Tatsache, dieser hartnäckige Entzug, ist das Fading des Subjekts, die Aphanisis des Subjekts, das Verschwinden des Subjekts.
Der Begriff Fading wird von Lacan eingeführt in Seminar 6 von 1958/59, Le désir et son interprétation (Das Begehren und seine Deutung). Im Folgenden übersetze und kommentiere ich die meisten Passagen, in denen Lacan in Seminar 6 vom Verschwinden des Subjekts, vom Fading des Subjekts und von der Aphanisis des Subjekts spricht.
Aufbau:
– Ich beginne mit der Verortung des verschwindenden Subjekts im Graphen des Begehrens.
– Es folgt eine knappe Darstellung von Lacans Kritik an Jones’ Begriff der Aphanisis.
– Danach erläutere ich Passagen, in denen Lacan vom Verschwinden des Subjekts spricht, ohne dass er dabei die Termini „Aphanisis“ oder „Fading“ verwendet.
– Es folgen die Stellen, in denen Lacan den Ausdruck „Aphanisis“ auf, wie er sagt, impressionistische Weise verwendet, nämlich im Sinne des Zum-Verschwinden-Bringens des Phallus.
– Anschließend zitiere und kommentiere ich sämtliche Passagen, in denen Lacan vom Fading des Subjekts und von der Aphanisis des Subjekts spricht.
– In der „Zusammenstellung der Zusammenstellungen“ versuche ich, den Aufbau der Argumentation nachzuzeichnen, eng am Text.
– Es folgen einige von Lacans späteren Erläuterungen des Begriffs.
– Den Abschluss bildet ein unvollständiger Überblick über die Sekundärliteratur zu Fading und Aphanisis.
Zahlen in Klammern sind Seitenangaben; sie beziehen sich auf die von Jacques-Alain Miller herausgegebene Version von Seminar 6. Gelegentlich übersetze ich nicht nach dieser Version, sondern nach Version Staferla; ich weise dann darauf hin. Drei Punkte vor einem Zitat zeigen an, dass es an das vorangehende Zitat lückenlos anschließt. Ein Sternchen nach einem Wort, etwa „Hilflosigkeit*“ signalisieren, dass das Wort im Original deutsch ist. Die Fettschreibung einzelner Wörter ist von mir.
Herzlichen Dank an Steffen Dietz fürs Korrekturlesen!
I. Das verschwindende Subjekt im Graphen des Begehrens
Im sogenannten Graphen des Begehrens sieht man oben rechts den Schnittpunkt ($ ◊ D), er steht für den Code des Unbewussten bzw. für den Trieb. Links, etwas tiefer, am Ende der von d kommenden Linie, findet man ($ ◊ a), die Formel für das Phantasma.1 Im Aufsatz Die Ausrichtung der Kur und die Prinzipien ihrer Macht (Vortrag von 1958, veröffentlicht 1961) gibt Lacan für die beiden Formeln diese Leseanleitung:
„Das Zeichen ◊ verweist auf die Beziehungen: Einschließung (envelopppement) – Ausschließung (développement) – Konjunktion – Disjunktion. Die Verbindungen, die es in diesen beiden Klammern bedeutet, ermöglichen es, das durchgestrichene S so zu lesen: S im Fading im Schnitt des Anspruchs, S im Fading vor dem Objekt des Begehrens. Namentlich: Trieb und Phantasma.“2
Das ausgestrichene große S, also $, ist in beiden Formeln so zu lesen: „S im Fading“. Dabei steht „S“ für „Subjekt“, der englische Ausdruck fading bedeutet „Verschwinden“, das Symbol $ meint hier also: „das Subjekt, das dabei ist, zu verschwinden“. In der Formel für den Trieb ($ ◊ D) steht die Raute, ◊, für „Schnitt“. Das im Verschwinden begriffene Subjekt steht beim Trieb durch den Schnitt (den Rand der erogenen Zone) in Beziehung zu einer symbolischen Größe, zum Anspruch (D für demande, Anspruch, Forderung, Bitte, Frage). In der Formel für das Phantasma, ($ ◊ a), bezieht sich das verschwindende Subjekt auf eine imaginäre Größe, auf a. In dem Seminar, in dem er den Begriff Fading einführt (Das Begehren und seine Deutung), bezeichnet Lacan a zunächst als „Objekt des Begehrens“ und wechselt dann zu „Objekt im Begehren“3, ein Terminus, den er (mit einer Ausnahme4), nur in diesem Seminar verwendet.
II. Lacans Kritik an Jones’ Begriff der Aphanisis
Lacan entwickelt seinen Begriff des Verschwindens des Subjekts in Auseinandersetzung mit dem Begriff der Aphanisis, den Ernest Jones 1928 in die Psychoanalyse eingeführt hatte.
Ernest Jones stellt sich folgende Frage: Wenn das Mädchen glaubt, die Kastration schon erlitten zu haben, welches vorgestellte zukünftige Ereignis vermag dann eine Angst hervorzurufen, die der Kastrationsangst des Jungen an Intensität gleichkommt? Seine Antwort lautet:
„the total, and of course permanent, extinction of the capacity (including opportunity) of sexual enjoyment”5,
„die völlige und damit dauernde Vernichtung der sexuellen Genussfähigkeit (einschließlich der Gelegenheit dazu)“6.
Am Rande möchte ich festhalten, dass Jones’ Formulierung sexual enjoyment möglicherweise ein Bezugspunkt für Lacans Verwendung des Ausdrucks jouissance sexuelle ist, „sexuelles Genießen“. Man findet diesen Terminus bei Lacan erstmals im Folgeseminar7; und in Seminar 13 übersetzt er, vereinfacht gesagt, sexual enjoyment mit „jouissance sexuelle“8. Ausführliche Erläuterungen zum „sexuellen Genießen“ findet man vor allem in Seminar 13 (Das Objekt der Psychoanalyse, 1965/66), in Seminar 18 (Über einen Diskurs, nicht vom Schein wäre, 1971) sowie in Seminar 19 (… oder schlimmer, 1971/72).
Das griechische Wort für „Verschwinden“ ist aphanisis und Jones verwendet diesen Ausdruck; Männer wie Frauen, sagt er, haben Angst vor der Aphanisis ihrer sexuellen Genussfähigkeit; dies sei die Angst, die letztlich allen Neurosen zugrunde liegt. Die größte Annäherung an diese Angst, die klinisch zugänglich ist, sind, Jones zufolge, Kastrations- und Todesgedanken. Bei Männern äußere sich die Angst vor der Aphanisis der Genussfähigkeit in der Angst, kastriert zu werden, bei Frauen in der Angst, verlassen zu werden.
Bereits vor Seminar 6 hatte Lacan sich auf Jones’ Konzept der Aphanisis bezogen, fast immer kritisch. Dabei übersetzt er „capacity of sexual enjoyment“, sexuelle Genussfähigkeit, mit „désir“, Begehren; aus der Angst vor der Aphanisis der sexuellen Genussfähigkeit wird in Lacans Jones-Referat also die Angst vor der Aphanisis des Begehrens.9 Vor Seminar 6 von 1958/59, Das Begehren und seine Deutung, beschränkt Lacan sich auf knappe Hinweise, in Seminar 6 setzt er sich ausführlich mit Jones’ Begriff der Aphanisis auseinander.10 Lacans Gegenthese lautet: Das, worum es beim Kastrationskomplex geht, ist das Verschwinden des Subjekts und nicht, wie Jones meint, das Verschwinden des Begehrens.11
Man muss also drei Begriffe von Aphanisis unterscheiden:
(1) Aphanisis als Vernichtung der sexuellen Genussfähigkeit (sexual enjoyment). Dies ist der Aphanisisbegriff von Jones.
(2) Aphanisis als Verschwinden des Begehrens. Dies ist Lacans Verständnis von Jones‘ Begriff der Aphanisis. Ein Missverständnis, denke ich, schließlich ist „Begehren“ nicht „sexuelle Genussfähigkeit“. Ein produktives Missverständnis, das es ermöglicht, eine bestimmte Form der Angst zu beschreiben, die Angst vor dem Verschwinden des Begehrens.
(3) Aphanisis als Verschwinden des Subjekts, im Sinne von: Das Subjekt sucht sich in den Signifikanten des Unbewussten und findet sich darin nicht. Dies ist der von Lacan in Seminar 6 ausgearbeitete Begriff von Aphanisis; statt griechisch von „Aphansis“ (des Subjekts) spricht er dort auch englisch vom „Fading“ (des Subjekts).
Lacan entwickelt in Seminar 6 also seine eigene Konzeption des Verschwindens, und dies zunächst so, dass er den von Jones in die Psychoanalyse eingeführten Terminus „Aphanisis“ Jones überlässt. Für die Darstellung seiner eigenen Auffassung bedient er sich dabei der in der französischen Umgangssprache gebräuchlichen Ausdrücke für das Verschwinden, disparition bzw. disparaître. Daneben verwendet er auch évanouissement bzw. évanouir oder s’évanouir. Évanouissement meint auch „Ohnmacht“; Freudleser werden sich daran erinnern, dass der vorübergehende Bewusstseinsverlust zu den Symptomen der klassischen Hysterie gehört12; das Verschwinden des Subjekts qua évanouissement hat also die Nebenbedeutung, dass das Subjekt das Bewusstsein verliert und in diesem Sinne „unbewusst“ wird. Im Verlauf des Seminars adoptiert Lacan den Terminus Aphanisis für seine Zwecke, zunächst „impressionistisch“, wie er sagt, dann führt er einen eigenen Terminus für das Verschwinden des Subjekts ein, den des Fading, schließlich setzt er das Fading des Subjekts mit der Aphanisis des Subjekts gleich.
Was also versteht Lacan unter dem Verschwinden des Subjekts, unter seinem Fading, unter seiner Aphanisis?
III. Das Verschwinden des Subjekts
In diesem Teil zitiere und erläutere ich Passagen, in denen Lacan in Seminar 6 vom Verschwinden des Subjekts spricht, ohne sich dabei der Ausdrücke „Aphanisis“ oder „Fading“ zu bedienen. Bis zur ersten, probeweise Übernahme des Terminus „Aphanisis“ durch Lacan (Seminar 6, Version Miller S. 234) sind die Zitate vollständig, danach selektiv.
1. Das Subjekt verschwindet, weil die Antwort auf die Frage „Was will ich?“ der Phallus ist
In der Sitzung vom 19. November 1958 erklärt Lacan:
„Die Situation des Subjekts auf der Ebene des Unbewussten, so wie sie von Freud artikuliert wird – das bin nicht ich, der das artikuliert, das ist Freud –, besteht darin, dass es nicht weiß, mit was es spricht. Es ist also nötig, ihm die im eigentlichen Sinne signifikanten Elemente seines Diskurses aufzuzeigen. Und es kennt auch nicht die Botschaft, von der es auf der Ebene des Diskurses des Seins real erreicht wird – sagen wir, wenn Sie wollen, wahrhaft erreicht wird, aber dieses real lehne ich keineswegs ab.
Mit anderen Worten, das Subjekt kennt nicht die Botschaft, die bei ihm ankommt, die Botschaft der Antwort auf seine Frage (demande) im Felde dessen, was es will. Aber Sie, Sie kennen die Antwort bereits, die wahrhafte Antwort. Es kann nur eine sein. Nämlich derjenige Signifikant – und nichts anderes –, der speziell dazu bestimmt ist, die Beziehungen des Subjekts zum Signifikanten zu bezeichnen. Dieser Signifikant ist der Phallus; warum, habe ich Ihnen bereits gesagt.“ (48 f.13)
Lacan resümiert seine Beschreibung des Graphen des Begehrens. Es geht um die Ebene des Unbewussten, um die obere Etage des Graphen.
Das Subjekt stellt sich eine Frage. Sie bezieht sich darauf, was es will; das Subjekt fragt sich: „Was will ich?“ Es stellt diese Frage in umgekehrter Form, als Frage nach dem Begehren des Anderen. Im Graphen des Begehrens wird die Frage des Subjekts durch die Linie Que vuoi? dargestellt, italienisch für „Was willst du?“; diese Linie führt vom Schnittpunkt unten rechts, A, über den Schnittpunkt oben rechts, ($ ◊ D), zum Schnittpunkt oben links, X.14
Diese Frage wird bewusst gestellt. Die Antwort jedoch ist unbewusst. Sie beruht auf einem unbewussten Code und besteht in einer unbewussten Botschaft.
Damit das Subjekt die Antwort des Unbewussten verstehen kann, enthüllt der Analytiker dem Subjekt die Signifikanten, aus denen der unbewusste Diskurs des Subjekts besteht, das Vokabular seines Unbewussten, den unbewussten Code; im Graphen des Begehrens ist dies der obere rechte Schnittpunkt, $ ◊ D.
Auf der Ebene des Unbewussten wird das Subjekt von einer Botschaft erreicht, einer Botschaft als Antwort auf seine Frage, eine Botschaft über das, was der Andere begehrt (und damit, was das Subjekt begehrt, denn das Begehren des Subjekts ist das Begehren des Anderen). Die Botschaft des Unbewussten wird im Graphen des Begehrens durch den oberen linken Schnittpunkt bezeichnet. Zu diesem Zeitpunkt der Entwicklung des Graphen ist dieser Punkt mit einem X bezeichnet15, später findet man hier die Zeichenfolge S(Ⱥ), für „Signifikant eines Mangels im Anderen“. Das Subjekt kennt diese Botschaft nicht.
Die Botschaft des Unbewussten ist der Phallus-Signifikant. Das Subjekt fragt „Was willst du?“ (auf diesem Wege fragt es „Was will ich?“), und es erhält als Antwort den Phallus-Signifikanten. Das, was der Andere will, ist: der Phallus. Was ist der Phallus?
Exkurs zum Phallus
Die Beziehung zwischen dem Anderen und dem Phallus hatte Lacan Anfang 1958 in dem Aufsatz Über eine Frage, die jeder möglichen Behandlung der Psychose vorausgeht durch die Formel der Vatermetapher dargestellt16:
Auf der rechten Seite findet man , zu lesen als: das, was der oder die Andere (A) begehrt, ist der Phallus. Die Bildung der Vatermetapher (linke Seite der Formel: Ersetzung des Signifikanten „Begehren der Mutter“ durch den Signifikanten „Name-des-Vaters“) hat zum Ergebnis, dass der Phallus-Signifikant als Signifikant für das Begehren des Anderen installiert wird (womit es dem Subjekt möglich wird, die Position aufzugeben, „der Phallus zu sein“, das Objekt des Begehrens der Mutter bzw. des Anderen).
Der Phallus ist also der Signifikant dessen, was der Andere begehrt. Er ist außerdem der Signifikant für die Auswirkungen des Signifikanten insgesamt, d.h. der Sprache, auf das Subjekt. Diese These hatte Lacan, ebenfalls 1958, in dem Aufsatz Die Bedeutung des Phallus entwickelt. Dort heißt es:
„Was sich so in den Bedürfnissen entfremdet findet, bildet eine Urverdrängung*, von daher, dass es, der Hypothese nach, im Anspruch nicht artikuliert werden kann, was aber in einem Abkömmling erscheint, der das ist, was sich beim Menschen als das Begehren* darstellt.“17
Lacan fasst hier die Beziehungen zwischen Bedürfnis, Anspruch und Begehren zusammen, auf denen die Konstruktion des Graphen des Begehrens beruht:
– Ausgangspunkt sind die Bedürfnisse.
– Bedürfnisse werden durch Ansprüche artikuliert, durch sprachliche oder sprachartige Forderungen.
– Einige Bestandteile der Bedürfnisse können durch Ansprüche nicht artikuliert werden. Diesen Vorgang nennt Lacan mit einem Ausdruck von Freud „Urverdrängung“18; urverdrängt sind in Lacans Sichtweise also bestimmte Bedürfnisse, und dies insofern, als sie symbolisch nicht artikuliert werden können.
– Die urverdrängten Bedürfnisse werden in einem Abkömmling artikuliert, im Begehren.
– Der Phallus symbolisiert die Auswirkungen des Signifikanten insgesamt auf das Subjekt, also das Begehren und, dahinter liegend, die Urverdrängung.
Etwas später heißt es in diesem Text: Die Einsetzung des Subjekts durch den Signifikanten vollzieht sich in der Weise,
„dass das, was von diesem Sein [des Subjekts] im Urverdrängten* lebendig ist, seinen Signifikanten dadurch findet, dass es das Kennzeichen der Verdrängung* vom Phallus erhält (wodurch das Unbewusste Sprache ist)“19.
Das Urverdrängte ist halb tot, halb lebendig. Sofern es lebendig ist, sofern es Begehren ist, findet es seinen Signifikanten im Phallus.
Vielleicht kann man es so formulieren: Der Phallus symbolisiert im Unbewussten den Teil des Lebens des Subjekts, der ihm durch die Versprachlichung verloren geht. Dieser Verlust ist beständig wirksam, als das Urverdrängte, das die Verdrängung in Gang hält.
Ein Jahr nach dem Phallus-Aufsatz, also 1959, wird Lacan einen Aufsatz über die Theorie der Symbolik von Ernest Jones verfassen. Hier schreibt er:
„Von daher zeigt sich, dass die Analyse enthüllt, dass der Phallus die Funktion des Signifikanten des Seinsmangels (manque à être) hat, der im Subjekt durch seine Beziehung zum Signifikanten determiniert wird. Was der Tatsache, dass sämtliche Symbole, auf die die Studie von Jones sich bezieht, phallische Symbole sind, ihre Tragweite verleiht.“20
Etwas später heißt es im selben Aufsatz:
„Denn der Phallus ist, wie wir an anderer Stelle gezeigt haben, der Signifikant eben des Verlusts, den das Subjekt durch die Zerstückelung des Signifikanten erleidet (…).“21
Der Phallus ist der Signifikant des Seinsmangels, der durch die Einwirkung der Sprache auf das Subjekt hervorgerufen wird, dadurch nämlich, dass das Subjekt durch den Signifikanten „zerstückelt“ wird.
Zurück zu Seminar 6
Die Antwort auf die Frage des Subjekts nach dem Begehren des Anderen ist, auf der Ebene des Unbewussten, der Phallus – der Phallus ist das, was der Anderen begehrt, genauer: der Signifikant für das, was im Anderen fehlt. Der Phallus ist also nicht der Gegenstand des Begehrens des Anderen im üblichen Sinne, sondern er ist der Signifikant, der einen Verlust symbolisiert, denjenigen Verlust, den der Andere als Effekt der Einwirkung der Sprache erfahren hat. Auf dem Weg über den Anderen symbolisiert er für das Subjekt den irreversiblen Verlust, durch den das Subjekt konstituiert ist.
… „Diejenigen aber, die das zum ersten Mal hören, bitte ich, das vorläufig zu akzeptieren. Da ist daran auch nicht das Wichtige. Das Wichtige ist, dass das Subjekt nicht die Antwort haben kann, und zwar deswegen nicht, weil die einzige Antwort der Signifikant ist, der seine Beziehungen zum Signifikanten bezeichnet. In dem Maße, in dem es diese Antwort artikuliert, vernichtet es sich und es verschwindet (disparaît). Deshalb ist das einzige, was es davon spüren kann, eine Drohung, die sich direkt auf den Phallus richtet, nämlich die Kastration beziehungsweise der Begriff des Phallusmangels, der beim einen wie beim anderen Geschlecht das ist, womit die Analyse zu einem Ende gelangt, wie Freud – ich weise Sie darauf hin – es artikuliert hat.“ (4922)
Das Subjekt kann die Antwort des Unbewussten auf die Frage des Subjekts nach dem Begehren des Anderen bzw. des Subjekts nicht „haben“, es kann sie nicht empfangen. Warum nicht? Weil die Antwort der Phallus ist.
Der Phallus-Signifikant ist ein Spezialsignifikant, der sich auf das Verhältnis des Subjekts zum Signifikanten überhaupt bezieht, auf die Beziehung zur Sprache, und damit auf das Begehren und die Urverdrängung. In dem Maße, in dem das Unbewusste diese Antwort artikuliert, wird das Subjekt vernichtet, es verschwindet. Für die unannehmbare Antwort wird von beiden Geschlechtern ein Ersatz gebildet: die Vorstellung des Phallusmangels, sei es des drohenden Phallusmangels (Mann), sei es des bereits realisierten Phallusmangels (Frau). Diese Ersatzvorstellung ist imaginär im Lacan’schen Sinne, sie bezieht sich auf das Körperbild.
An dieser Stelle spricht Lacan in Seminar 6 zum ersten Mal vom Verschwinden des Subjekts. Ein Synonym für „Verschwinden“ ist hier „Vernichten“: das Subjekt wird vernichtet.
Das Verschwinden des Subjekts besteht darin, dass es einen bestimmten Signifikanten nicht annehmen kann, nicht subjektivieren kann, den Phallus-Signifikanten. Das Verschwinden des Subjekts ist ein Verschwinden im Verhältnis zur Ebene der Signifikanten.
Warum ist die Phallus-Botschaft für das Subjekt unannehmbar? Offenbar ist es für das Subjekt inakzeptabel, nichts anderes zu sein als ein durch die Sprache hervorgerufenes Fehlen.
Das Konzept „Verschwinden des Subjekts“ besteht hier aus den folgenden Schritten:
– Das Subjekt stellt die Frage nach dem Begehren des Anderen („Que vuoi?“).
– Das Subjekt erhält auf der Ebene des Unbewussten eine Antwort auf die Frage nach dem Begehren des Anderen: der Andere begehrt den Phallus.
– Der Phallus ist der Signifikant des durch die Sprache hervorgerufenen Mangels: des Begehrens und, dahinter, der Urverdrängung.
– Das Subjekt kann die Phallus-Antwort nicht annehmen.
– In der Nicht-Annahme dieses Signifikanten besteht das Verschwinden des Subjekts, seine Vernichtung. Das Verschwinden des Subjekts ist ein Verschwinden auf der symbolischen Ebene.
– Das Subjekt ersetzt sein Verschwinden durch die Vorstellung vom Phallusmangel..
Lacan bringt das Verschwinden des Subjekts in einem Zusammenhang mit dem Phallus-Signifikanten; es ist offenkundig, dass es ihm darum geht, den Begriff der Kastration theoretisch zu rekonstruieren. Von Jones übernimmt er die Frage, welche Gemeinsamkeit Kastrationsangst und Penisneid zugrunde liegt; von Jones übernimmt er den Gedanken, dass es dabei um ein Verschwinden geht, auch Lacan bezieht den Begriff des Verschwindens auf den Kastrationskomplex. Für Lacan bezieht sich das Verschwinden allerdings nicht auf das Verschwinden des Begehrens, sondern auf das Verschwinden des Subjekts im Verhältnis zu einem durch die Sprache herbeigeführten radikalen Verlust an Leben.
2. Das Subjekt verschwindet auf der Ebene des Äußerungsvorgangs
Zwei Sitzungen später, am 3. Dezember 1958, erläutert Lacan ein weiteres Mal den Graphen des Begehrens und dort die beiden quer von links nach rechts verlaufenden Linien (hier grün gefärbt); die obere führt von Dꞌ nach Sꞌ, die untere von D nach S.23
„Die Beziehung zwischen diesen beiden Linien, die jeweils den Prozess der Äußerung beziehungsweise der Aussage repräsentieren, ist ganz einfach, das ist die gesamte Grammatik. Falls die Sache Sie amüsiert, könnte ich Ihnen sagen wo und wie, mit welchen Termini und welchen Schaubildern das im Rahmen einer rationalen Grammatik artikuliert worden ist. Im Augenblick ist das, womit wir es zu tun haben, jedoch Folgendes: Die Verdrängung ist, wenn sie sich herstellt, wesentlich gebunden an das absolut notwendige Erscheinen dessen, dass das Subjekt sich auf der Ebene des Äußerungsvorgangs auslöscht und verschwindet.“ (96)
Im Graphen des Begehrens repräsentiert die untere Querlinie, D-S, den Prozess der Aussage bzw. des Ausgesagten (énoncé), die obere Querlinie, Dꞌ-Sꞌ, den Prozess der Äußerung (énonciation), den Äußerungsvorgang. Mit der Aussage bzw. dem Ausgesagten ist der Satz gemeint, insofern er eine Gesamtbedeutung hat, die der Sprechende (so scheint es ihm) mit seinem Willen kontrolliert und die ihm spontan zugänglich ist. Der Äußerungsvorgang ist die Produktion einer Signifikantenkette, die den Mechanismen von Verdichtung und Verschiebung unterworfen ist, in Lacans Begrifflichkeit: von Metapher und Metonymie24, in der sich deshalb beispielsweise Versprecher ereignen können.
Auf der Unterscheidung zwischen dem Ausgesagten und dem Äußerungsvorgang beruhen die Kategorien der Grammatik. Beispielsweise besagt die grammatische Vergangenheit, dass der Inhalt der Aussage vor dem Vorgang der Äußerung zu datieren ist. Die rationale Grammatik, in der das gezeigt worden ist, ist die von Port Royal.25
Lacans Thema ist an dieser Stelle jedoch nicht die Grammatik, sondern die Verdrängung, genauer: die Entstehung der Verdrängung, die Errichtung des Unbewussten.
Freud zufolge entsteht die Verdrängung durch die Urverdrängung; offenbar versucht Lacan hier, den Begriff der Urverdrängung zu rekonstruieren.
Bei der Einführung der Verdrängung kommt es notwendigerweise dazu, dass das Subjekt ausgelöscht wird, dass es verschwindet, dass es zu einem Fehlen wird. Es verschwindet auf einer bestimmten Ebene, auf der des Äußerungsvorgangs, also auf der Ebene der unbewussten Signifikantenkette Dꞌ–Sꞌ, d.h. der unbewusst artikulierten Signifikanten, etwa in einem Traum, einer Fehlhandlung oder einem Symptom. In diesen Äußerungen ist das Subjekt ausgelöscht. Inwiefern? Vermutlich in dem Sinne, dass ihm nicht zugänglich ist, dass es darin spricht.
3. Das hinter dem Signifikanten verschwindende Subjekt stützt sich auf das Objekt des Begehrens
In der Woche darauf heißt es: Die Philosophie hat das Subjekt immer von der Erkenntnisbeziehung aus begriffen, als Korrelat des Objekts, als sein Schatten, sein Double. Der wesentliche Schritt, den die Psychoanalyse getan hat, besteht darin, dass für sie das Subjekt ein Subjekt ist, das spricht. Das aber, wodurch sich die Beziehungen des Subjekts zum Objekt vollständig verändern, ist das Begehren.
„In diesem Feld des Begehrens versuchen wir die Beziehungen des Subjekts zum Objekt zu artikulieren. Diese Beziehungen sind Beziehungen des Begehrens, denn die analytische Erfahrung lehrt uns, dass es das Feld des Begehrens ist, worin das Subjekt sich zu artikulieren hat. Die Beziehung des Subjekts zum Objekt ist keine Beziehung des Bedürfnisses, es ist eine komplexe Beziehung, nämlich diejenige, die ich Ihnen darzulegen versuche.
Ich möchte damit beginnen, dass ich nur schnell darauf hinweise, dass das Objekt nicht das Korrelat, nicht die Entsprechung zu einem Bedürfnis des Subjekts sein kann, wenn die Beziehung der Artikulation des Subjekts im Feld des Begehrens verortet ist. Das Objekt ist das, wodurch das Subjekt in genau in dem Moment gestützt wird, in dem es, wenn man so sagen kann, mit seiner Existenz konfrontiert ist. Es ist das, wodurch das Subjekt in seiner Existenz getragen wird, in seiner Existenz im radikalsten Sinne, insofern nämlich, als es in der Sprache existiert. Anders gesagt, das Objekt besteht aus etwas, das außerhalb von ihm ist, und das von ihm in seiner eigentümlichen Natur als Sprache erst in dem Moment erfasst werden kann, in dem es sich als Subjekt auslöschen muss, vergehen muss, hinter einem Signifikanten verschwinden muss, in dem Moment, der, wenn man so sagen kann, genau der Punkt der Panik ist, um den herum das Subjekt sich an etwas klammern muss. Und woran es sich klammert, ist ja das Objekt als Objekt des Begehrens.“ (10826)
Die Beziehungen des Subjekts zum Objekt müssen im Feld des Begehrens verortet werden. Dieser Bereich ist abzugrenzen vom Feld des Bedürfnisses. Das Objekt ist ein Objekt des Begehrens, es dient nicht der Bedürfnisbefriedigung. Es kann seine Funktion nur dadurch erfüllen, dass es dem Subjekt, das dabei ist, zu verschwinden, eine Art Repräsentanten gibt.
Wenn man die Beziehung zwischen dem begehrenden Subjekt und dem Objekt begreifen will, muss man Folgendes zum Ausgangspunkt nehmen: Das Subjekt „existiert“; seine Existenz (seine Ex-sistenz) besteht darin, dass es auf etwas bezogen ist, das ihm äußerlich ist, auf die Sprache.
Das Subjekt kann sich in seiner Existenz, in seinem konstitutiven Sprachbezug nur in dem Moment erfassen, in dem es sich als Subjekt auslöschen muss, in dem es als Subjekt verschwindet. Das Verschwinden des Subjekts besteht darin, dass es hinter einem Signifikanten verschwindet, dass es dieser Signifikant nicht ist. Hinter welchem Signifikanten? Vermutlich hinter dem Phallus-Signifikanten als einer Art Verlustanzeige.
Der Signifikant, hinter dem das Subjekt verschwindet, kommt in dem Moment ins Spiel, in dem das Subjekt sich in seiner Existenz erfassen will, in seiner Sprachabhängigkeit.
Das Verschwinden des Subjekts hinter einem Signifikanten ist mit einer Panikattacke verbunden, also mit dem, was Freud als „automatische Angst“ bezeichnet.27 Panikattacken sind demnach klinische Phänomene, die auf das Verschwinden des Subjekts bezogen werden können, auf die unerträgliche Konfrontation mit einem durch die Sprache erlittenen, das Subjekt fundierenden, Verlust.
In den Studien über Hysterie beschreibt Freud, dass solche Angstattacken mit Ohnmachtsanfällen einher gehen können28, man könnte auch sagen: mit dem évanouissement des Subjekts.
Das Verschwinden des Subjekts hinter einem Signifikanten ist Lacans Rekonstruktion des Kastrationskomplexes; die Panik, von der das Subjekt erfasst wird, ist offenbar die Grundlage dessen, was als Kastrationsangst bezeichnet wird.
In diesem Moment, zur Abwehr der Panik, stützt sich das Subjekt auf ein Objekt. Dieses Objekt ist das Objekt des Begehrens. Das Subjekt bezieht sich auf ein Objekt, um sein Verschwinden auf der Ebene des Diskurses ertragen zu können.
4. Das Subjekt, das dem Anderen sein Objekt des Begehrens zeigt, verschwindet in der Scham
Um das Verschwinden des Subjekts zu verdeutlichen, bezieht Lacan sich wenige Sätze nach der zuletzt zitierten Stelle auf eine Szene aus dem Film Die Spielregel (Regie: Jean Renoir, 1939).29
„Es gibt in diesem Film eine Figur, von Dalio gespielt, die Figur eines alten Mannes, wie man sie in einem bestimmten sozialen Bereich auch im Leben sieht – man darf jedoch nicht glauben, sie wäre auf diesen sozialen Bereich beschränkt –, und diese Figur ist ein Sammler, sie sammelt Gegenstände, spezieller noch mechanische Musikinstrumente. Falls Sie sich an diesen Film noch erinnern, rufen Sie sich doch bitte den Moment ins Gedächtnis, in dem Dalio vor großem Publikum seine letzte Errungenschaft enthüllt, einen besonders schönen Musikautomaten. In diesem Moment ist die Figur wörtlich in der Position, die wir als die der Scham (pudeur) bezeichnen könnten und die wir genau so bezeichnen müssen: er errötet, er vergeht (s’efface), er verschwindet (disparaît), er ist sehr verlegen. Was er gezeigt hat, hat er gezeigt – aber wie sollten diejenigen, die da sind, um zuzuschauen, verstehen, dass wir genau hier den Oszillationspunkt erfassen, der sich auf zugespitzte Weise bekundet, in der Leidenschaft des Subjekts für das Objekt, das er sammelt? Das ist eine der Formen des Objekts des Begehrens.“ (10930)
Das Verschwinden des Subjekts ereignet sich in dem Moment, in dem die von Marcel Dalio gespielte Figur, der Marquis de la Cheyniest, vor seinen Gästen ein Objekt seines Begehrens enthüllt, ein Orchestrion.
Das Subjekt verschwindet, das meint hier: Es schämt sich. Der Marquis wird keineswegs überrascht, er hat die Szene arrangiert, er will dem Publikum zeigen, was er begehrt, und er will sich selbst als Begehrenden vorführen. Dabei überkommt ihn die Scham, und dieser Vorgang ist sichtbar.
Lacan bezieht sich hier auf das Verschwinden des Subjekts im Phantasma. Das Verschwinden des Subjekts besteht hier nicht darin, dass in den Äußerungen (énonciations), den „freien Assoziationen“ , kein Signifikant des Subjekts erscheint. Das Verschwinden des Subjekts im Phantasma besteht auch nicht etwa darin, dass es in der Szene abwesend ist. Das Verschwinden des Subjekts im Phantasma hat vielmehr den Charakter, dass das Verschwinden hier inszeniert wird (wenn man das Beispiel aus der Spielregel verallgemeinern darf). Etwa so, wie man in einem Geisterfilm das Verschwinden einer Figur dadurch sichtbar macht, dass sie langsam – also deutlich sichtbar – ausgeblendet wird.
Geht es beim Verschwinden des Subjekts um einen Vorgang auf der symbolischen Ebene (es gibt keinen Signifikanten des Subjekts), der im Phantasma gewissermaßen imaginarisiert wird, anschaulich gemacht wird, etwa durch die Scham?
Die Szene, in der der Marquis seinem Publikum das Orchestrion präsentiert, entspricht der Struktur des Phantasmas, $ ◊ a. Ein Subjekt verschwindet: es versinkt vor Scham im Boden ($). Es handelt sich um ein sprechendes Subjekt, wobei das Sprechen vom Imaginären durchkreuzt wird (◊ als Repräsentant des L-Schemas). Dabei bezieht es sich auf ein bestimmtes Objekt, auf ein Sammlerstück, auf ein Objekt des Begehrens (auf a). Und dahinter auf den Phallus.
In Die Bedeutung des Phallus hatte Lacan geschrieben: in dem Moment, in dem in den antiken Mysterien der Phallus enthüllt wird, erscheint der Dämon der Scham; Lacan verwendet dort das griechische Wort, „aidos“, und das deutsche Wort, „Scham“, und übersetzt die Ausdrücke in einer Fußnote mit „Pudeur“ ins Französische.31 Die Enthüllung des Orchestrions ist eine Art Enthüllung des Phallus; in der Szene dieser Enthüllung wird das Subjekt als Verschwindendes inszeniert, in seiner Scham.
Später in Seminar 6 heißt es über die Assoziationen eines Patienten zu einem Traum:
„Das Subjekt verschwände wörtlich aus Scham (honte) vor diesem anderen, dem Zeugen dessen, was sich ereignet.“ (204)
Hier wird die Instanz benannt, die in Die Spielregel die Enthüllungsszene beobachtet: der Andere als Zeuge, unter dessen Blick sich das Verschwinden ereignet. Das Subjekt in seiner Subjektivität (in seinem Begehren) verschwindet unter dem Blick des Anderen. Wenn man vier, fünf Jahre in die Zukunft springt und das Objekt des Begehrens durch das Partialobjekt als Ursache des Begehrens ersetzt (ein Konzept, das erst in den Seminaren 10 und 11 entwickelt wird), verschwindet das Subjekt unter dem Blick als Objekt a, so wie der junge Lacan in seiner Scham unter dem Blick der Konservendose verschwindet.32
Und noch später in Seminar 6 sagt Lacan über die Scham:
„Es geht nicht mehr nur um die Funktion des Objekts, wie ich sie Ihnen vor zwei Jahren darzulegen versucht habe, auch nicht um die Funktion des Subjekts, bei der ich Ihnen in diesem Jahr zu zeigen versucht habe, dass sie sich am Schlüsselpunkt des Begehrens, wenn das Subjekt sich zu benennen hat, durch ein Verschwinden (évanouissement) auszeichnet. Was uns interessiert, ist die Korrelation, die beide miteinander verbindet.
Sie führt dazu, dass das Objekt genau die Funktion hat, den Punkt zu bezeichnen, an dem das Subjekt sich nicht benennen kann. Insofern ist die Scham (pudeur), so möchte ich sagen, die Königsform dessen, was sich in den Symptomen als Schamhaftigkeit (honte) und als Ekel (dégoût) ausprägt.“ (487 f.)
Das Verschwinden des Subjekts ereignet sich in dem Moment, in dem es sich zu benennen hat und sich nicht benennen kann. Das Objekt – in Die Spiegelregel ist dies das Orchestrion – bezeichnet den Punkt, an dem das Subjekt sich nicht benennen kann, an dem es also verschwindet – in der Scham.
Offenbar sollen die Symptome der Schamhaftigkeit (honte) und des Ekels auf etwas Grundlegenderes zurückgeführt werden, auf die Scham (pudeur) und also (wenn man dem Hinweis in Die Bedeutung des Phallus weiter folgen darf) auf die Enthüllung des Objekts des Begehrens und damit des Phallus.
5. Das Verschwinden des Subjekts ist der Nabel des Traums
In der Sitzung vom 7. Januar 1959 spricht Lacan über Subjekte, die zwar nicht impotent sind, die sich aber gleichwohl vor der Befriedigung ihres sexuellen Begehrens fürchten. Warum? Etwa deshalb, weil sie das in die Abhängigkeit von denjenigen bringen könnte, die ihnen die Befriedigung ermöglichen?
„Wenn das Subjekt sich den anderen vorstellt, fürchtet es nicht so sehr, von dessen Laune abhängig zu sein, sondern dass der andere seine Laune mit einem Zeichen markiert. Das ist es, was verschleiert ist. Für den guten Willen des Subjekts gibt es kein hinreichendes Zeichen, abgesehen von der Gesamtheit der Zeichen, in denen es seinen Bestand hat. In Wahrheit gibt es kein anderes Zeichen des Subjekts als das Zeichen seiner Abschaffung als Subjekt (abolition de sujet), jenes Zeichen, das $ geschrieben wird.“ (129 f.)
Das Subjekt fürchtet sich nicht primär vor dem unberechenbaren Willen des anderen und vor der Abhängigkeit von dieser Willkür. Wenn man das Problem so formuliert, setzt man voraus, dass das Subjekt unmittelbar mit den Launen des anderen konfrontiert ist. Diese Unterstellung ist falsch.
Die Laune des anderen wird „mit einem Zeichen markiert“, anders gesagt: der andere bekundet sein Wollen durch sein Sprechen und durch sein Verhalten – durch Ansprüche, Forderungen, Bitten, Andeutungen. Das, wovor das Subjekt sich fürchtet, bezieht sich nicht auf das Wollen des anderen, sondern auf die Zeichen für dieses Wollens. Das, was der andere durch Zeichen zu verstehen gibt, und zwar darüber, was er will, repräsentiert nicht umstandslos das, was er will. Die Befürchtungen des Subjekts beziehen sich auf diese Kluft. Es kann sich nie sicher sein, ob der andere tatsächlich will, was er sagt oder sonst wie signalisiert, kurz, ob der andere aufrichtig ist (vgl. diesen Blogbeitrag).
Anders gesagt: das Problem besteht für das Subjekt darin, dass der Andere in dem, was der Andere sagt, nicht repräsentiert ist, dass er in dem, was er sagt, gewissermaßen verschwindet.
Für das Subjekt besteht das Problem letztlich darin, dass es kein Zeichen gibt, das es ermöglichen würde, definitiv zu entscheiden, ob der vom Anderen bekundeten Gutwilligkeit tatsächlich ein guter Wille zugrunde liegt. Lacan wird diesen fehlenden Signifikanten später in Seminar 6 als Signifikanten eines Mangels im Anderen bezeichnen, symbolisiert durch die Zeichenfolge S(Ⱥ).
Um zu erkennen, ob der andere tatsächlich gutwillig ist, muss sich das Subjekt auf die Gesamtheit der Zeichen beziehen, auf das gesamte Sprechen und Verhalten des anderen; diese Gesamtheit ist schwer überschaubar und nie abgeschlossen.
Dies also ist der Grund, warum sich, Lacan zufolge, das Subjekt vor der Befriedigung seines Begehrens fürchtet: weil es sich nie sicher sein kann, ob der andere meint, was er sagt oder signalisiert, ob die andere begehrt, was sie beansprucht, worum sie bittet.
Zwischen dem, was der Andere will (was er begehrt) und dem, was er sagt, was er will (was er beansprucht, fordert, erbittet), gibt es eine Kluft, und damit ist der Andere ein Subjekt, ein von den Effekten des Sprechens geprägtes Wesen, das heißt: ein Wesen, das in diesem Sprechen fehlt.
Lacan geht dann von der Seite des Anderen zu der des Subjekts über. Das Zeichen des Subjekts ist das seiner Abschaffung als Subjekt. Das Symbol $ soll so gelesen werden: S steht für Subjekt, die Durchstreichung für die Abschaffung des Subjekts.
Der umstandslose Übergang vom Mangel im Anderen zur Abschaffung des Subjekts signalisiert, dass für Lacan beide Konzepte in engem Zusammenhang stehen. Durch die Beziehung zum Mangel im Anderen hat das Subjekt einen Zugang zu sich selbst, insofern es abgeschafft ist, insofern es auf der symbolischen Ebene verschwindet. Auf dieser Verbindung zwischen S(Ⱥ) und $ beruht die Konstruktion des Graphen des Begehrens.
… „Das zeigt Ihnen alles in allem, dass der Mensch, was sein Begehren angeht, nicht wahr ist, weil die Situation ihm radikal entgeht, wie viel oder wenig Mut er auch aufbringen mag. Gegenüber dem Objekts a gibt es das Verschwinden (évanouissement) des Subjekts. Was ich Sie in meiner letzten Seminarsitzung dazu spüren lassen wollte, hat jemand, der danach mit mir sprach, so genannt: eine Umbilikation des Subjekts auf der Ebene seines Wollens, ein Bild, das ich ganz bewusst aufgreife, zumal es mit dem, was Freud bezeichnet, wenn er vom Traum spricht, streng übereinstimmt.“ (130)
Der Mensch ist, was das Begehren angeht, nicht wahr. Das Begehren wird im Sprechen artikuliert und die Beziehung zwischen dem Begehren und dem Sprechen ist keine unproblematische Repräsentation, das Begehren wird durch das Sprechen (durch den Anspruch) nicht einfach übersetzt.
Das Problem besteht nicht primär darin, dass das Subjekt, was sein Begehren angeht, lügen kann, sondern dass ihm die Situation entgeht, unabhängig davon, wie viel Mut es aufbringt, um sein Begehren zu artikulieren. Das Begehren ist unbewusst, das Subjekt weiß nicht, was es begehrt. Für das Subjekt stellt sich das anders dar: es reißt all seinen Mut zusammen und sagt dem Anderen, was es begehrt – es ist ehrlich. Aber diese Aufrichtigkeit ist eine Illusion, mit der sich das Subjekt darüber hinwegtäuscht, dass das Begehren konstitutiv jenseits dessen ist, was es sagen kann.
Lacan geht zum Phantasma über, symbolisiert durch die Formel $ ◊ a, das ausgestrichene Subjekt ($) in Gegenwart von (◊) dem Objekt des Begehrens (a).
Das durchgestrichene S steht für das Verschwinden des Subjekts.
Lacan erläutert das Verschwinden des Subjekts mit einem Ausdruck, den einer seiner Hörer verwendet hatte. Der offenbar medizinisch gebildete Teilnehmer hatte von der „Umbilikation“ des Subjekts auf der Ebene seines Wollens gesprochen, von der Vernabelung in Bezug auf das Begehren.33
Lacan erkennt darin eine Anspielung auf eine von Freud gebrauchte Metapher, auf dessen Rede vom „Nabel des Traums“.
… „Der Nabel des Traums ist der Punkt, in dem alle Signifikanten letztlich zusammenlaufen und in den der Träumer so verwickelt ist, dass Freud ihn das Unerkannte nennt. Er selbst hat nicht erkannt, worum es bei diesem Unerkannten* geht34, ein sehr merkwürdiger Terminus aus seiner Feder, der die radikale Besonderheit des von ihm entdeckten Unbewussten deutlich macht. Ich habe bereits versucht, Sie darauf hinzuweisen, dass das Freud’sche Unbewusste sich als Unbewusstes nicht bildet, nicht errichtet in der einfachen Dimension der Unschuld des Subjekts im Verhältnis zu dem Signifikanten, der sich an seiner Stelle organisiert und artikuliert wird, denn in der Beziehung des Subjekts zum Signifikanten gibt es eine wesentliche Sackgasse. Das habe ich zu reformulieren versucht, als ich sagte, es gibt kein anderes Zeichen des Subjekts als das Zeichen seiner Abschaffung als Subjekt.“ (130)
In Freuds Traumdeutung kann man lesen: „Jeder Traum hat mindestens eine Stelle, an welcher er unergründlich ist, gleichsam einen Nabel, durch den er mit dem Unerkannten zusammenhängt.“35 Und: „In den bestgedeuteten Träumen muss man oft eine Stelle im Dunkel lassen, weil man bei der Deutung merkt, dass dort ein Knäuel von Traumgedanken anhebt, der sich nicht entwirren will, aber auch zum Trauminhalt keine weiteren Beiträge geliefert hat. Dies ist dann der Nabel des Traums, die Stelle, an der er dem Unerkannten aufsitzt.“36
Der Nabel des Traums ist der Punkt, an dem die Assoziationen, die Traumgedanken, die Signifikanten zusammenlaufen, der aber selbst kein Signifikant ist, sondern ein unbesetzter Punkt der Konvergenz. In Lacans Deutung ist dies die Konfrontation mit einem fehlenden Signifikanten, damit, dass es keinen Signifikanten des Subjekts gibt, die Erfahrung des Verschwindens des Subjekts.
Diese Leerstelle sitzt dem Unerkannten auf, sagt Freud, allerdings hat Freud – Lacan zufolge – nicht begriffen, was es mit dem Unerkannten auf sich hat.
Dabei ist der Bezug des Unbewussten auf das Unerkannte genau das, worin sich die Freud’sche Konzeption des Unbewussten von anderen Auffassungen des Unbewussten unterscheidet.
Das Unbewusste ist für Lacan ein Signifikantenapparat. Die Signifikanten des Unbewussten repräsentieren keineswegs glatt das Subjekt, sie fungieren nicht als das, was vom Subjekt geäußert wird. Vielmehr gibt es in der Beziehung zwischen dem Subjekt und den Signifikanten des Unbewussten ein wesentliches Nichtfunktionieren. Wie bereits zitiert: Das Subjekt verschwindet auf der Ebene der Äußerung (énonciation), es kann die Signifikanten des unbewussten Diskurses nicht als die seinen annehmen.37 Die Signifikanten des unbewussten Diskurses sind Ansprüche, symbolisch artikulierte Forderungen; das Subjekt wird in diesen Forderungen systematisch verfehlt.
Eben dies meint der Satz „Es gibt kein anderes Zeichen des Subjekts als das Zeichen seiner Abschaffung als Subjekt“: Von den Signifikanten des Unbewussten wird das Subjekt insofern repräsentiert, als es von ihnen abgeschafft wird, als es das ist, was in ihnen fehlt. Das Unbewusste ist nicht das Subjekt.
In Seminar 1 hatte Lacan erklärt: Der Nabel des Traums steht im Gegensatz zur Welt des Sinns, er manifestiert sich im Nicht-Sinn.38
In Seminar 2 hatte es geheißen:
– Der Nabel des Traums bezieht sich auf das Sein des Subjekts.39
– Der Nabel des Traums bezieht sich auf das Auftauchen der Beziehung des Subjekts zum Symbolischen.40
– Der Nabel des Traums steht in Beziehung zum Realen jenseits aller Vermittlungen imaginärer und symbolischer Art.41
In Seminar 6 wird Lacan in einer späteren Sitzung sagen:
„Die Trauer fällt zusammen mit einer wesentlichen Kluft, mit der entscheidenden symbolischen Kluft, mit dem symbolischen Mangel, alles in allem mit dem Punkt X, wozu der ‚Nabel des Traums‘, den Freud irgendwo erwähnt, vielleicht nur die psychologische Entsprechung ist.“ (402)
Der Nabel des Traums beruht auf einer Kluft im Symbolischen, einem Mangel im Anderen; die Unentwirrbarkeit bestimmter Traumgedanken – der Nabel des Traums – ist die psychologische Entsprechung zu diesem strukturellen Mangel.
Demnach ist das unterscheidende Merkmal des Freud’schen Unbewussten, dass es aus Signifikanten besteht, die sich um etwas Reales drehen, um etwas Nicht-Symbolisierbares und Nicht-Imaginierbares.
6. Das Verschwinden des Subjekts ist die Synkope eines Signifikanten
Sitzung vom 28. Januar 1959. Thema ist die Formel für das Phantasma, $ ◊ a.
„Das Subjekt als verschwindend (évanouissant), insofern es in einer bestimmten Beziehung zu einem ausgewählten Objekt verschwindet – das ist die Beziehung, die ich Ihnen mit dem Phantasma bezeichne. Das Phantasma hat immer diese Struktur. Es ist nicht einfach nur eine Objektbeziehung. Es ist etwas Einschneidendes. Es ist ein bestimmtes Verschwinden, eine bestimmte Signifikantensynkope des Subjekts (syncope signifiante du sujet) gegenüber einem Objekt.“ (209)
Unter einer Synkope versteht man in der Linguistik das Ausfallen eines unbetonten Vokals im Inneren eines Wortes, z. B. „die Andre“ statt „die Andere“. Das Verschwinden des Subjekts ist eine Signifikantensynkope, das Subjekt verschwindet insofern, als ein bestimmter Signifikant ausfällt – der Signifikant des Subjekts. Dieser Signifikant fällt nicht zufällig aus, sondern notwendigerweise: es gibt keinen Signifikanten des Subjekts.
Das Phantasma ist „einschneidend“, das könnte heißen: es steht in Beziehung zu dem, was Lacan den Schnitt nennt, zum Intervall zwischen den Signifikanten. In der Formel für das Phantasma ist die Signifikantensynkope das Ausfallen eines Signifikanten des Subjekts ($) in Gegenwart von (◊) einem Objekt (a).
7. Mit dem Verschwinden des Subjekts erscheint der Phallus in seiner formalen Funktion
Lacan kommentiert den Schluss von Shakespeares Hamlet, die Szene, in der sich der Prinz mit Laertes duelliert. Für Hamlet ist Laertes der Rivale; im Graphen des Begehrens wird diese Position durch das Symbol i(a) dargestellt. Hamlet hat die Orientierung verloren; erst die Begegnung mit einem Double, mit Laertes, gestattet ihm, ebenfalls ein Mensch / ein Mann zu sein, zumindest für einen Moment.
„Diese Remodellierung ist hier nur eine Konsequenz, kein Ausgangspunkt. Ich will sagen, sie ist die Konsequenz dessen, was sich in der Situation manifestiert, nämlich die Position des Subjekts gegenüber dem anderen als Objekt des Begehrens. Die Anwesenheit des Phallus ist diesem Objekt immanent. In seiner formalen Funktion wird der Phallus erst erscheinen können mit dem Hinscheiden/Verschwinden (disparition) des Subjekts selbst.“ (394)
Hamlets Beziehung zu Laertes, zu seinem Ideal-Ich, ist nur die Konsequenz seiner Beziehung zu Ophelia, zum Objekt seines Begehrens. Dem Objekt des Begehrens ist die Gegenwart des Phallus immanent. Der Phallus ist der Signifikant des Mangels, er repräsentiert das, was dem Anderen fehlt und ermöglicht es so dem Subjekt, den Verlust zu symbolisieren, den es durch die Unterordnung unter die Sprache erlitten hat (genauer: das Subjekt ist nichts anderes als dieser Verlust). Das Objekt des Begehrens ist ein Ersatz, es dient der Abwehr und der Kompensation dieses Verlusts und insofern ist ihm der Phallus immanent. Was man so schreiben kann:
Die Struktur des Phantasmas ist demnach insgesamt:
Nach der Begegnung mit dem Geist des Vaters hatte Hamlet das Interesse an Ophelia verloren. Zum Objekt seines Begehrens wird sie erst dann wieder, als sie tot ist, unwiederbringlich verloren. Insofern enthält sie die Gegenwart des Phallus, des Signifikanten, der anzeigt, dass dem Subjekt etwas unaufhebbar fehlt.
Der Phallus ist Ophelia nur immanent; am Ende der Tragödie wird er in seiner formalen Funktion aber auch dinglich erscheinen, in der Funktion, das Subjekt als ein (durch die Sprache hervorgerufenes) Fehlen anzuzeigen. Der Phallus erscheint hier als foil, als Rapier, mit dem Hamlet den Mörder seines Vaters, Claudius, töten wird und mit dem er zugleich selbst getötet werden wird. Dieses Rapier ist der tödliche Phallus, mit dem Hamlet sich identifiziert.
Der Phallus erscheint in seiner formalen Funktion mit der disparition des Subjekts, mit Hamlets Hinscheiden, seinem Sterben. Eine der Formen, in denen sich das Verschwinden des Subjekts manifestiert, ist offenbar das „Sterben“ aufgrund der Identifizierung mit dem tödlichen Phallus. Wie kann man sich das übersetzen? Als Wunsch zu töten, verbunden mit der Bereitschaft, getötet zu werden? Beruht die Leidenschaft mancher junger Männer, in den Krieg zu ziehen (etwa 1914 in Deutschland), auf der Identifizierung mit dem tödlichen Phallus?
8. Auf der Ebene der Kastration erscheint das Subjekt in einer Signifikantensynkope
Später im Seminar heißt es:
„Die drei Formen, in denen das Subjekt auf der Ebene der drei Termini erscheint, Kastration, Frustration und Privation, können wir allesamt durchaus als entfremdet bezeichnen, jedoch nur unter der Bedingung, dass wir dieser Entfremdung eine Artikulation geben, die sich in den drei Fällen spürbar unterscheidet, die spürbar verschiedenartig ist. Auf der Ebene der Kastration erscheint das Subjekt in einer Signifikantensynkope. Das ist etwas anderes als wenn es auf der Ebene der Frustration als dem Gesetz aller unterworfen erscheint, dem Gesetz des Anderen. Und es ist noch einmal etwas anderes, wenn es sich selbst im Begehren zu verorten hat.“ (414)
Auf der Ebene der Kastration erscheint das Subjekt in einer Signifikantensynkope, im Ausfallen eines Signifikanten.
Zuvor hatte Lacan erklärt: Das Phantasma ist die Signifikantensynkope des Subjekts in Gegenwart eines Objekts, und er hatte die Signifikantensynkope des Subjekts mit dem Verschwinden des Subjekts gleichgesetzt (209). Demnach steht in der Formel des Phantasmas, $ ◊ a, das Symbol $ für das Verschwinden des Subjekts; das Verschwinden des Subjekts besteht darin, dass es keinen Signifikanten des Subjekts gibt.
Lacan nimmt die Frage von Ernest Jones auf: Welches gemeinsame Problem liegt bei beiden Geschlechtern dem Kastrationskomplex zugrunde? Lacans Antwort lautet: Beim Kastrationskomplex geht es, wie Jones richtig sagt, um das Verschwinden, allerdings nicht, wie Jones meint, um das Verschwinden des Begehrens, sondern um das Verschwinden des Subjekts. Das Verschwinden des Subjekts besteht im Fehlen eines Signifikanten, darin, dass es im Diskurs des Unbewussten keinen Signifikanten des Subjekts gibt.
9. Das Subjekt verschwindet, da es im Unbewussten keinen Signifikanten gibt, mit dem das Subjekt sich als Sprecher des unbewussten Diskurses bezeichnen könnte
In der Sitzung vom 13. Mai 1959 erläutert Lacan wieder einmal die Formel des Phantasmas, $ ◊ a42:
„Sie haben mich die Dinge bereits weit genug artikulieren hören, um, so denke ich, keineswegs erstaunt zu sein, aus der Bahn geworfen zu werden, überrascht zu sein, wenn ich erkläre, dass das Objekt a zunächst einmal so zu definieren ist: als Stütze, die das Subjekt sich gibt, wenn es schwach wird (défaille) … Hier wollen wir einen Moment lang innehalten und, damit das zu Ihnen spricht, etwas sagen, das eine Annäherung darstellt, nämlich: wenn es in seiner Subjektgewissheit schwach wird. Und nun setze ich neu an, um Ihnen den genauen Terminus zu liefern, der zu wenig zur Anschauung spricht, so dass ich mich [nicht] gescheut habe, ihn Ihnen sofort zu geben: insofern es in seiner Subjektdesignation schwach wird.“ (43443)
Das Objekt a im Phantasma liefert dem Subjekt eine Stütze in einem bestimmten Moment: in dem Augenblick, in dem das Subjekt schwach wird, in dem es einen Schwächeanfall erleidet.
Das Subjekt schwindet in seiner certitude de sujet, in seiner Subjektgewissheit. Der Begriff verweist auf die cartesische Problematik, auf die Suche nach Gewissheit. Das Subjekt stellt die Frage „Was bin ich?“ (in der Form „Was willst du?“), es sucht Gewissheit darüber, was seine Subjektivität ausmacht, jenseits der Anpassung an den Code. Diese Gewissheit kann nicht erreicht werden. Das Subjekt erleidet insofern einen Schwächeanfall, als seine Selbstgewissheit schwindet.
Das ist nur eine Annäherung, artikuliert mit dem cartesischen Begriff der Gewissheit. Richtiger ist es zu sagen: Das Subjekt schwindet in seiner désignation de sujet, in seiner Subjektbezeichnung, in seiner Selbstbezeichnung als Subjekt; es verschwindet insofern, als es sich nicht als Subjekt bezeichnen kann. Das Problem, um das es geht, ist nicht eines des Bewusstseins (Gewissheit), sondern des Sprechens (Bezeichnung). Das Problem des Subjekts besteht darin, sich zu designieren, sich zu bezeichnen.
… „Denn das, worum es geht, beruht gänzlich auf dem, was im Anderen geschieht, insofern er für das Subjekt der Ort seines Begehrens ist. Nun, im Anderen – in diesem Diskurs des Andern, was das Unbewusste ist – fehlt dem Subjekt etwas. Wir werden gleich darauf zurückkommen, wir werden so oft wie nötig darauf zurückkommen, bis zum Schluss werden wir darauf zurückkommen.“ (434 f.)
Das, was bezeichnet werden soll, ist das Begehren des Subjekts. Das Begehren des Subjekts soll durch die Erkundung des Unbewussten bezeichnet werden, des Anderen (das Unbewusste ist der Diskurs des Anderen). In diesem Diskurs des Anderen – im Unbewussten – fehlt dem Subjekt etwas.
… „Durch die Struktur, die durch die Beziehung des Subjekts zum Anderen als Ort des Sprechens eingeführt wird, fehlt etwas auf der Ebene des Anderen. Was dort fehlt, ist eben das, was es dem Subjekt ermöglichen würde, sich dort als das Subjekt des Diskurses, den es hält, zu identifizieren. Im Gegenteil, insofern dieser Diskurs der Diskurs des Unbewussten ist, verschwindet dort das Subjekt.“ (435)
Der Andere ist für das Subjekt der Ort des Sprechens.
Im Unbewussten als Ort des Anderen fehlt ein bestimmtes Element, ein Signifikant, mit dem das Subjekt sich selbst bezeichnen könnte, sich als Subjekt des Diskurses identifizieren könnte.
Bezogen auf das bewusste Sprechen – also die untere Etage des Graphen des Begehrens – gibt es ein solches Element, das Personalpronomen der ersten Person Singular, „ich“; mit ihm bezeichnet sich das Subjekt als Subjekt des bewussten Diskurses (vgl. 436), als Subjekt der Aussage. Auf der Ebene des unbewussten Diskurses fehlt ein solches Element, dieser Diskurs ist so beschaffen, dass das Subjekt hier zu seinen Äußerungen nicht „ich“ sagen kann. Eben das ist das Unbewusste: ein Sprechen, das ich nicht durch ein „ich“ als mein Sprechen übernehmen kann.
Die Frage nach den im Unbewussten fehlenden Elementen hatte Freud ständig beschäftigt: im Unbewussten, sagt er, fehlt die Negation, die Geschlechtsdifferenz, die Vorstellung des eigenen Todes. Lacan fügt dieser Liste ein Element hinzu: das Unbewusste ist ein Diskurs, der dadurch charakterisiert ist, dass in ihm ein Signifikant fehlt, der es dem Subjekt ermöglichen würde, sich als Sprecher dieses Diskurses zu identifizieren (weswegen dieser Diskurs „un“-bewusst ist). Insofern verschwindet hier das Subjekt. Das Subjekt ist ein Fehlen, ein Mangel; es fehlt im Unbewussten.
10. Systematisierende Zusammenstellung
Wie Ernest Jones geht es Lacan darum, den unbewussten Kastrationskomplex theoretisch zu rekonstruieren (49, 394, 414). Mit Jones fragt er sich, was der Kastrationsangst des Mannes und dem Penisneid der Frau zugrunde liegt, und mit Jones lautet seine Antwort: eine Angst angesichts eines Verschwindens.
Dabei geht es für Lacan allerdings nicht, wie für Jones, um die Angst vor dem Verschwinden des Begehrens, sondern um die Angst vor dem Verschwinden des Subjekts (501). In welchem Sinne also verschwindet das Subjekt?
Fehlen eines Signifikanten, der dem „ich“ entspricht
Auf einer ersten Ebene ist die Rede vom „Verschwinden des Subjekts“ eine Umschreibung des unbewussten Charakters bestimmter Äußerungen (énonciations). Sie sind „unbewusst“ und das heißt, das Subjekt kann dazu nicht „ich“ sagen; in diesem Sinne verschwindet es (vgl. 49, 96, 209, 434). Es gibt hier eine Synkope des Signifikanten (414), und der synkopierte Signifikant ist das „ich“.
Botschaft des Unbewussten: Begehren, Phallus, Kastration
Worauf beziehen sich die Äußerungen, zu denen das Subjekt nicht „ich“ sagen kann? Auf den Zusammenhang von Begehren, Phallus und Kastration.
Das Subjekt fragt sich: „Was will ich?“ Es fragt dies in der Form der vom Anderen kommenden oder an den Anderen gerichteten Frage: „Was willst du?“ (48 f.)
Die Antwort ist der Phallus-Signifikant (48 f., 394). Der Phallus-Signifikant ist der Signifikant des Begehrens des Anderen und damit des Begehrens des Subjekts.
Dieser Signifikant symbolisiert die Wirkung der Sprache auf das Subjekt: das, was dem Subjekt dadurch, dass es ein sprechendes Wesen ist, verloren geht.
Der Phallus ist der Signifikant des Urverdrängten, und das heißt, der Verlust, den das Subjekt durch das Sprechen erleidet, ist für das Subjekt unerträglich; mit der Urverdrängung wird dieser Verlust abgewehrt. (Vgl. Lacans Aufsatz Die Bedeutung des Phallus)
Das Subjekt verschwindet hinter einem Signifikanten (108). Damit ist vermutlich gemeint: es verschwindet hinter dem Phallus.
Das einzige, was von der Phallus-Antwort spürbar ist, ist die Drohung der Kastration, der Begriff des Phallusmangels (49). Kastrationsdrohung (beim Mann) und Phallusmangel (bei der Frau) sind demnach Übersetzungen des Phallus-Signifikanten ins Imaginäre, ins Körperbild.
Phantasma
Um den Punkt der Panik herum klammert das Subjekt sich an das Objekt des Begehrens (108). Das Subjekt verschwindet gegenüber dem Objekt a qua Objekt des Begehrens (130, 209). Dem Objekt des Begehrens ist der Phallus immanent (394).
Dies ist die Struktur des Phantasmas ($ ◊ a):
– $: Verschwinden des Subjekts
– ◊: in Beziehung zum;
– a: Objekt des Begehrens
Dem Objekt des Begehrens (a) ist der Phallus (–φ) immanent; das kann man so schreiben:
Die Struktur des Phantasmas ist demnach insgesamt:
Möglicherweise will Lacan sagen, dass im Phantasma das Verschwinden des Subjekts dargestellt wird, inszeniert wird. In diese Richtung geht seine Deutung der Darstellung der Scham in dem Film Die Spielregel. Jemand zeigt anderen sein Objekt des Begehrens (einen Musikautomaten) und demonstriert dabei zugleich seine Scham (109). Die Enthüllung des Phallus ist verbunden mit dem Auftauchen der Scham, heißt es im Phallus-Aufsatz.
Alltägliche Erfahrungen des Verschwindens des Subjekts: Angstattacke und Scham
Das Verschwinden des Subjekts ist der Punkt der Panik (108). In Freuds Begrifflichkeit ist der Punkt der Panik die „automatische Angst“, in heutiger Terminologie die Panikattacke. Einen klinischen Zugang zum Verschwinden des Subjekts liefert demnach die Panikattacke.
Wenn das Subjekt dem Anderen sein Objekt des Begehrens zeigt, verschwindet das Subjekt in der Scham (vgl. 109, 204, 487 f.).
IV. Impressionistischer Gebrauch von „Aphanisis“: das Verschwindenlassen des Phallus
Zur Rekonstruktion des Kastrationskomplexes übernimmt Lacan von Jones den Begriff des Verschwindens. Lacan bezieht ihn jedoch nicht auf das Verschwinden des Begehrens, sondern auf das Verschwinden des Subjekts. Gemeint ist das Verschwinden des Subjekts auf der Ebene des Symbolischen. Das Subjekt versucht, sich auf der symbolischen Ebene zu erfassen und es gelingt ihm nicht. Es ist damit konfrontiert, dass auf dieser Ebene ein Signifikant fehlt, derjenige, mit dem das Subjekt sich bezeichnen könnte. Dies besagt für die psychoanalytische Kur: Das Subjekt versucht, durch freie Assoziation herauszufinden, was es mit seinem Begehren auf sich hat und es stößt auf die Urverdrängung, darauf, dass es einen Signifikanten gibt, der nicht ans Licht gebracht werden kann.
Mit Jones’ Terminus Aphanisis geht Lacan zunächst so um, dass er ihn Jones überlässt; Aphanisis meint in Seminar 6 anfangs das Verschwinden des Begehrens (à la Jones) im Gegensatz zum Verschwinden des Subjekts (à la Lacan).
Dann wechselt Lacan die Begriffstaktik. Er übernimmt Aphanisis für seine Zwecke, macht davon aber, wie er sagt, nur einen „impressionistischen Gebrauch“ (234) und deutet ihn um; Aphanisis im Lacan’schen Sinne ist vorübergehend das Zum-Verschwinden-Bringen des Symbols des Begehrens, des Phallus als Symbol für den durch die Sprache erlittenen Verlust (234 bis 275). Im Folgenden zitiere und kommentiere ich diese Passagen.
1. Das Subjekt bringt sich zum Verschwinden
Mehrere Sitzungen lang deutet Lacan einen einzelnen Traum, den eines Patienten von Ella Sharpe; das Protokoll dieses Traums und Sharpes Analyse findet man in ihrem Buch Traumanalyse.44 Über diesen Traum sagt Lacan am 4. Februar 1959:
„Aphanisis, so wie Jones das versteht, ist Verschwinden; was er damit sagen will, werden wir später sehen. Im Augenblick jedoch möchte ich davon einen ganz anderen Gebrauch machen, einen mehr oder weniger impressionistischen Gebrauch, bezogen auf das, was Ella Sharpe uns darstellt von dem, was die ganze Zeit da ist im Material des Traumes, in dem, was ihn umgibt, im Verhalten des Subjekts.“ (234)
Lacan übernimmt hier den Terminus Aphanisis von Jones und deutet ihn um. Er betont, dass die Art, wie er ihn verwendet, theoretisch nicht belastet werden kann, der Gebrauch ist „impressionistisch“.
Nach dieser Bemerkung fasst er zusammen, was Ella Sharpe über ihren Patienten berichtet hat. Während der Analysesitzungen nimmt er sich stark zurück, es ist, als ob er nicht da wäre. Vor dem Betreten des Praxisraums hatte er einmal leise gehustet; dazu hatte er assoziiert, dass er etwas zum Verschwinden bringen will, etwas, das auf der anderen Seite der Tür ist, er kann nicht sagen, was; früher einmal habe er durch ein solches Hüsteln dafür gesorgt, dass, bevor er ins Zimmer trat, ein Liebespaar sich trennte. Er erzählt einen Traum, in dem er seiner Sexualpartnerin seinen Penis entzieht. In den Assoziationen zu diesem Traum erinnert er sich an einen Freund, der Stimmenimitator ist und dessen Nachahmungen so perfekt sind, dass sie im Radio gesendet werden. Der Patient imitiert den Imitator und äußert dann seine Besorgnis, mit dem berühmten Freund allzu sehr anzugeben. Worauf läuft das alles hinaus?
„Um es kurz zu sagen, er will dabei nicht zu viel Platz einnehmen, er macht sich ganz klein, er verschwindet. Kurzum, das was sich ständig aufdrängt, was in den Äußerungen des Subjekts wie ein Thema wiederkehrt, wie ein Leitmotiv, lässt an den Ausdruck Aphanisis denken, bis auf dies, dass er hier näher beim Zum-Verschwinden-Bringen zu sein scheint als beim Verschwinden. Es gibt da ein dauerndes Spiel, bei dem wir spüren, dass in den verschiedenen Formen etwas – nennen wir es, wenn Sie wollen, das interessante Objekt – nie da ist.
Das Subjekt ist nie da, wo man es erwartet; in einer Art Taschenspielertrick gleitet es von einer Stelle zur anderen.“ (236)
Der Patient (der hier „Subjekt“ genannt wird) macht sich klein, er möchte nicht zu sehr auffallen und er sorgt dafür, dass andere verschwinden. Das lässt an den Begriff Aphanisis denken. Allerdings handelt es sich dabei um ein aktives Zum-Verschwinden-Bringen, eine bewusst ausgeführte Aktivität, vergleichbar den Manipulationen eines Taschenspielers, der Gegenstände eskamotiert. Das interessierende Objekt wird auf unterschiedliche Weise zum Verschwinden gebracht.
Im Phantasma besteht das Verschwinden des Subjekts (so nehme ich an) nicht nur darin, das es zu den Signifikanten des Unbewussten nicht „ich“ sagen kann, sondern auch darin, dass ein Verschwinden inszeniert wird. Man wird ergänzen dürfen: Das Phantasma verwandelt das passiv erfahrene Verschwinden in eine bewusste Aktivität.
Man muss also zwei Aspekte des Begriffs des Verschwindens des Subjekts unterscheiden. Unter dem „Verschwinden des Subjekts “ versteht Lacan zum einen, dass das Subjekt damit konfrontiert ist, dass es unter den Signifikanten des Unbewussten (ans Licht gekommen durch die „freie Assoziation“) keinen Signifikanten des Subjekts gibt, mit dem „Nabel des Traums“; dies ist das Verschwinden auf der symbolischen Ebene. Unter dem „Verschwinden des Subjekts“ versteht Lacan zum anderen, auf impressionistische Weise, dass das Subjekt sich klein macht, sich versteckt; dies ist das Verschwinden auf der imaginären Ebene.
2. Das Subjekt lässt den Phallus verschwinden
Ella Sharpes Patient hat eine Phantasie, die mit Angst verbunden ist (vgl. 274 f.): Sein Auto hat eine Panne und blockiert deshalb den Wagen des Königs und der Königin. Das Auto, sagt Lacan, ist der Schutz, den der Patient um sein Ich herum gebaut hat, damit es ihm möglich ist, sich zu entziehen, und zwar mit Höchstgeschwindigkeit. Der König und die Königin sind in ihrem Wagen festgehalten, das erinnert Lacan an die Geschichte von Mars und Venus, die, im Beischlaf, vom Netz des Vulkan gefangen werden und dem Gelächter der Götter preisgegeben werden, dem berühmten homerischen Gelächter.
„Wo ist der Phallus? Das ist immer die wesentliche Triebfeder des Komischen.
Wir sollten ja nicht vergessen, dass dieses Phantasma [von der Blockierung des Königswagens] vor allem ein Phantasma ist, das sich um einen Begriff von Inkongruenz dreht, weitaus mehr als um irgendetwas anderes. Es bezieht sich ganz eng auf das, was die Einheit des Traums ausmacht [des von Ella Sharpe und Lacan ausführlich analysierten Traums] und all dessen, was damit verbunden ist, nämlich die grundlegende Situation einer Aphanisis, jedoch nicht im Sinne des Verschwindens des Begehrens – einer Aphanisis in dem eigentlichen Sinn, der dem Wort dann zukommt, wenn wir daraus das Substantiv aphanisos bilden. Das ist weniger Verschwinden als Zum-Verschwinden-Bringen.
Gerade hat ein talentierter Mensch, Raymond Queneau, ein sehr lustiges Buch, Zazie in der Metro, mit folgendem Epigraph versehen: ο πλασας ηφανισεν [ho plasas êphanisen], der es gemacht hat, hat es auch verschwinden lassen – seine Triebfedern hat er sorgfältig versteckt.
Und darum geht es letztlich. Die Aphanisis, das ist hier das Verschwindenlassen des fraglichen Objekts, nämlich des Phallus. Wenn das Subjekt keinen Zugang zur Welt des Anderen finden kann, dann deshalb weil der Phallus nicht ins Spiel gebracht wird, weil er in Reserve gehalten wird, geschützt wird.
Nun, Sie werden sehen, dass es Neurotisierenderes gibt als die Furcht, den Phallus zu verlieren, als die Furcht vor der Kastration.
Die absolut grundlegende Triebfeder der Neurose ist die, nicht zu wollen, dass der Andere kastriert sei.“ (275)
Die Suche nach dem Phallus ist die Hauptquelle des Komischen. Das bezieht sich im Kontext auf das Gelächter der Götter beim Anblick von Venus und Mars in kopulatorischer Verklammerung, aber sicherlich auch darauf, dass die griechische Komödie aus dem Dionysoskult mit seinen Phallus-Prozessionen entstanden ist. Jones zufolge ist eine Hauptklasse von Phallus-Symbolen der komische und lächerliche Phallus, etwa in Gestalt des Pulcinella im italienischen Volkstheater, einem Vorbild für die Figuren des deutschen Kasper und des englischen Punch.45
Bei der Phantasie von der Blockierung des Königspaars geht es primär um die Inkongruenz zwischen dem erhabenen Gefährt der Regenten und der peinlichen Reifenpanne des Träumers. Lacan spielt damit vermutlich auf die Inkongruenz des Penis an: er kann im Verhältnis zum weiblichen Organ als zu klein oder auch als zu groß erscheinen; die Inkongruenz ist Anlass für das Gelächter der Anderen und Quelle der Scham des Subjekts (als einer Form seines Verschwindens).
Der Traum von Ella Sharpes Patienten findet seine Einheit in der Aphanisis, nicht im Sinne von Jones, nicht qua Verschwindens des Begehrens, sondern im Sinne des Zum-Verschwinden-Bringens.
Das, was zum Verschwinden gebracht wird, ist der Phallus – also nicht das Begehren, sondern das Symbol des Begehrens.
Der zum Verschwinden gebrachte Phallus ist der Phallus der Anderen. Bezogen auf den Patienten von Ella Sharpe ist dies der Phallus der Analytikerin und ebenso der Phallus der Ehefrau. Der Phallus ist das, was dem Anderen (oder der Anderen) fehlt; das darf aber nicht sein, der/die Andere darf nicht kastriert sein, dies ist die grundlegende neurotische Position. Die Neurose beruht nicht auf der Angst, den Phallus zu verlieren, sondern darauf, nicht zu wollen, dass der/die/das Andere kastriert sei.46
Der Patient erträgt nicht das Begehren des Anderen und hat deshalb keinen Zugang zum Begehren. Er macht den Anderen vollständig, er schützt den Anderen vor der Kastration, indem er das Symbol des Begehrens zum Verschwinden bringt. Er bringt es zum Verschwinden, indem er sich mit dem Phallus des Anderen identifiziert – indem er der Phallus (des Anderen) ist (das ist gewissermaßen die präödipale Position) –, und indem er diesen Phallus (der er ist) in Sicherheit bringt.
Lacan spielt hier vermutlich auf Freuds Thesen über den Untergang des Ödipuskomplexes an: der Junge steht vor dem Wahl zwischen der libidinösen Besetzung der Eltern-Objekte und dem narzisstischen Interesse am Penis; um das Organ zu retten, verzichtet er auf das Objekt.47 Ella Sharpes Patient ist fortwährend damit beschäftigt, das Organ zu retten; der Weg zu den Objekten ist ihm deshalb versperrt.
Der Patient findet erst dann einen Zugang zur Pluralität der Objekte, die die Welt des Menschen charakterisieren, wenn er darauf verzichtet hat, der Phallus [für den Anderen] zu sein48, d.h. wenn der Andere für ihn zum begehrenden Anderen geworden ist – zu einem Anderen, dessen Begehren sich auf etwas anderes richtet als auf das Subjekt; erst dann kann er selbst zu einem Subjekt werden, dessen Begehren sich auf andere Objekte richtet.
Die Kastration, um die es im Kastrationskomplex geht, ist wesentlich die Kastration des Anderen.
V. Fading und Aphanisis
Vier Sitzungen nach diesem impressionistischen Gebrauch des Wortes Aphanisis, am 8. April 1959, führt Lacan einen eigenen Terminus für das Verschwinden des Subjekts ein: Fading. Am Schluss des Seminars setzt er Fading und Aphanisis gleich. Im Folgenden übersetze und erläutere ich sämtliche Passagen, in denen Lacan in Seminar 6 den Ausdruck Fading verwendet einschließlich der Gleichsetzung mit Aphanisis.
1. Das dem Fading unterworfene Subjekt, $, ist das kastrierte Subjekt
Der Kontext ist Shakespeares Hamlet, und eines von Lacans Themen ist das Verhältnis des Prinzen zu Ophelia, seine Objektbeziehung also, sowie die Darstellung der Objektbeziehung durch die Formel für das Phantasma ($ ◊ a).
„Ich habe Ihnen gesagt, dass die Analyse einen falschen Weg eingeschlagen hat, insofern nämlich, als sie dieses Objekt auf eine Weise artikuliert und definiert, durch die sie ihr Ziel verfehlt und womit sie nicht das stützt, worum es in der Beziehung zum Objekt als solchem – wie sie in der Formel ($ ◊ a) geschrieben wird – wirklich geht. Das kastrierte Subjekt, $, ist hier dem unterworfen, was ich Sie beim nächsten Mal entziffern lehren werde, unter dem Namen, den ich ihm gebe, dem des Fading des Subjekts, was im Gegensatz steht zum Begriff des Splitting des Objekts.“ (361)
Hier wird der Ausdruck „Fading“ zum ersten Mal verwendet. Die alltagssprachliche Rede vom Verschwinden des Subjekts wird durch einen auffälligen Terminus ersetzt.
Das durchgestrichene S wird hier zunächst als „kastriertes Subjekt“ gelesen. Dieses Subjekt ist dem fading unterworfen, dem Verschwinden. Möglicherweise hat man das so zu lesen, dass das Symbol $ allgemein für das kastrierte Subjekt steht und dass es in dieser Formel – also in der Konfrontation mit dem Objekt, mit a – das kastrierte Subjekt darstellt, insofern es im Verschwinden ist. Das Verschwinden wäre dann einer der Aspekte, einer der Modi des kastrierten Subjekts.
Vom Verschwinden des Subjekts unterscheidet Lacan die Spaltung des Objekts. Mir ist nicht klar, was damit gemeint ist. Geht es darum, dass der Andere zugleich in einer symbolischen und in einer imaginären Funktion erscheint, einerseits als Ort des Anspruchs (wie in $ ◊ D) und andererseits als verlockendes Bild (wie in $ ◊ a)?
2. Das Fading des Subjekts wird im Graphen des Begehrens in zwei Beziehungen dargestellt: im Verhältnis zum Anspruch, $ ◊ D, und im Verhältnis zum Objekt, $ ◊ a
Das war nur ein Vorgriff; erst in der Folgesitzung wird der Begriff Fading regelrecht eingeführt. Ausgangspunkt ist auch hier die Objektbeziehung, diesmal eine Vermengung im Begriff der Objektbeziehung; Lacan verweist dazu auf den Graphen des Begehrens.
„Die Verwechslung, um die es geht, wird für Sie durch dieses Schema präzise materialisiert. Sie besteht darin, die Dialektik des Objekts für die Dialektik des Anspruchs zu halten. Diese Verwechslung ist erklärlich, denn in beiden Fällen befindet sich das Subjekt in seiner Beziehung zum Signifikanten in einer Position, die dieselbe ist – das Subjekt ist darin in einer Position der Eklipse.“ (368)
Die Theorien der Objektbeziehung werfen zwei Relationen durcheinander, das Verhältnis des Subjekts zum Objekt und das Verhältnis des Subjekts zum Anspruch. Beides muss scharf unterschieden werden, das Objekt hat imaginären Charakter, der Anspruch ist etwas Symbolisches.
Die Verwirrung erklärt sich daraus, dass die Beziehungen etwas gemeinsam haben, in beiden Fällen ist das Subjekt in einer Position der Eklipse, in beiden Fällen gibt es eine Subjektfinsternis. Der astronomische Terminus „Eklipse“ (Verfinsterung eines Himmelskörpers) kommt vom griechischen Wort ekleípō, „ich verschwinde“; die Subjektfinsternis besteht darin, dass das Subjekt verschwindet.
Über die Verfinsterung erfährt man, dass sie eine Beziehung des Subjekts zum Signifikanten darstellt; das, wodurch das Subjekt verfinstert wird, ist der Signifikant. Das entspricht dem Symbol $: das S steht darin für Subjekt, und der Schrägstrich über dem S, also das Symbol /, ist der Signifikant, der das Subjekt verdunkelt. Aus dem Verschwinden des Subjekts hinter einem Signifikanten (vgl. 108) wird hier die Verfinsterung des Subjekts durch den Signifikanten. Wie früher dürfte auch hier gemeint sein: Auf der Ebene der Signifikanten des Unbewussten ist das Subjekt nicht repräsentiert, es gibt keinen Signifikanten des Subjekts; auf der symbolischen Ebene ist das Subjekt etwas, das fehlt.
… „Schauen Sie sich diese beiden Punkte unseres Diagramms an. Hier, der Code auf der Ebene des Unbewussten, ($ ◊ D), das heißt die Reihe der Beziehungen, die das Subjekt zu einem bestimmten Apparat des Anspruchs unterhält. Dort die imaginäre Beziehung ($ ◊ a), durch die es vorzugsweise konstituiert wird, in einer bestimmten Haltung, ebenfalls definiert durch seine Beziehung zum Signifikanten, gegenüber einem Objekt a. An beiden Punkten ist das Subjekt in einer Position der Eklipse.“ (368)
Das Subjekt hat nicht nur eine, sondern zwei Möglichkeiten, mit der Abdunkelung durch den Signifikanten fertig zu werden, neben der imaginären Option steht ihm die symbolische Lösung zur Verfügung. Es kann auf die durch den Signifikanten herbeigeführte Subjektfinsternis damit reagieren, dass es sich auf Ansprüche bezieht, es kann aber auch so vorgehen, dass es eine imaginäre Beziehung zu Objekten herstellt. Beide Verarbeitungsweisen werden im oberen Stockwerk des Graphen repräsentiert.
Der obere rechte Knotenpunkt, ($◊D), steht für den Code auf der Ebene des Unbewussten. Der Ausdruck ($ ◊ D) stellt dar, dass das Subjekt, $, sich, angesichts seiner Verfinsterung durch den Signifikanten, auf den Apparat des Anspruchs bezieht, auf D, also auf ein Ensemble von Forderungen, etwa auf orale und anale Forderungen.49 Das Subjekt verschwindet hinter dem Signifikanten, hinter dem Anspruch, und es löst das Problem, indem es regrediert: indem es andere Ansprüche mobilisiert, archaische Ansprüche.
Die korrespondierende Formel im Graphen oben links, ($ ◊ a), stellt eine imaginäre Beziehung dar. Das vom Signifikanten verdunkelte Subjekt bezieht sich auf ein Objekt, auf a, womit in diesem Kontext das Objekt des Begehrens gemeint ist.
An früherer Stelle hatte Lacan die Position des Subjekts im Verhältnis zum imaginären Objekt als „Verschwinden“ des Subjekts bezeichnet (vgl. 108); die „Verdunkelung“ des Subjekts ist ein Synonym für das „Verschwinden“ des Subjekts.
… „Diese Position, ich habe das letzte Mal angefangen, sie mit dem Begriff des Fading darzulegen. Diesen Ausdruck habe ich aus verschiedenen philologischen Gründen gewählt und auch, weil er, bezogen auf den Gebrauch der Kommunikationsgeräte, welche die unseren sind, völlig vertraut geworden ist. Das Fading ist genau das, was sich in einem Gerät zur Kommunikation, zur Wiedergabe der Stimme, dann herstellt, wenn die Stimme verschwindet, einbricht, sich verflüchtigt, um dann aufgrund einer Veränderung im Träger, in der Übertragung wiederaufzutauchen. Wir werden natürlich noch dazu kommen, dem, was hier nur eine Metapher ist, seine realen Koordinaten zu geben.“ (368)
Das ausgesperrte Subjekt, dargestellt durch das ausgestrichene S, also durch $, ist in beiden Formeln in der Position des „Fading“.
Statt vom „Fading“ das Subjekts hatte Lacan vorher von der „Eklipse“ des Subjekts gesprochen, und „Eklipse“ verweist etymologisch auf das „Verschwinden“ des Subjekts. Das Verschwinden des Subjekts soll nicht so sehr mit der astronomischen Metapher der Eklipse als vielmehr mit der Metapher des Fading bezeichnet werden.
Ausdrücklich beruft Lacan sich auf die Verwendung des Ausdrucks Fading in der Elektrotechnik. Hier bezieht sich Fading auf die Funkübertragung und meint das Schwanken zwischen schlechterem und besserem Empfang, hervorgerufen durch die Oszillation in der Stärke des Empfangsfeldes. Der Terminus bezieht sich also auf die Nachrichtenübermittlung und dieser Bezug ist für Lacan wichtig. Er rekonstruiert in den Seminaren 5 und 6 (wie schon im Rom-Vortrag) die Funktionsweise des Unbewussten als Kommunikationsvorgang, als Kommunikation zwischen dem Subjekt und dem Anderen, als eine Kommunikation, die auf einem Code beruht, in der Fragen gestellt und Botschaften gesendet werden.
Die Metapher vom „Fading des Subjekts“ konnotiert: Das Subjekt kann die Botschaft über sein Begehren nicht empfangen (da es keinen Signifikanten des Subjekts gibt).
… „Insofern sich also das Subjekt im selben Moment des Oszillierens befindet, demjenigen, der das Fading vor dem Anspruch und vor dem Objekt kennzeichnet, kann es zur Verwechslung kommen.“ (368)
Die Oszillation hat zwei Momente, Verschwinden und Wiederauftauchen; das Fading bezieht sich (in Seminar 6) nur auf einen dieser Momente, auf das Verschwinden.
Sowohl in Bezug auf den Anspruch, $ ◊ D, als auch im Verhältnis zum Objekt, $ ◊ a, ist das Subjekt im Fading, im Verschwinden. Deshalb kann man die Beziehungen leicht verwechseln.
… „Tatsächlich ist das, was man Objektbeziehung nennt, stets eine Beziehung des Subjekts nicht, wie man sagt, zu Objekten, sondern zu Signifikanten des Anspruchs und dies vorzugsweise im Moment besagten Fadings des Subjekts. Insofern der Anspruch fixiert bleibt, kann man die Modi des Signifikantenapparats aufgliedern, entsprechend den unterschiedlichen Typen des Anspruchs, oral, anal und andere, und dies auf eine Weise, die tatsächlich eine Art klinische Entsprechung zur Objektbeziehung darstellt. Nichtsdestoweniger hat es beträchtliche Nachteile, wenn man das, was eine Beziehung zum Signifikanten ist, mit dem verwechselt, was eine Beziehung zum Objekt ist.“ (368)
Die sogenannte Objektbeziehungstheorie, wie sie von Ronald Fairbairn, Harry S. Sullivan, Melanie Klein, Margaret Mahler und anderen entwickelt wurde, handelt nicht, wie der Name behauptet, von der Beziehung des Subjekts zu Objekten, sondern tatsächlich von der Beziehung des Subjekts zu Ansprüchen, wobei das Subjekt in der Position des Fading ist, des Verschwindens. Die Objektbeziehungstheorie unterscheidet orale, anale und andere Objektbeziehungen und bezieht sich damit faktisch auf Ansprüche unterschiedlicher Art – auf orale, anale und andere Forderungen, auf die das Subjekt fixiert ist. Die Objektbeziehungstheorie ist also in Wirklichkeit eine Theorie des Anspruchs. Der Gegenstand der Objektbeziehungstheorie wird im Graphen des Begehrens deshalb durch den Schnittpunkt oben rechts repräsentiert, $ ◊ D.
Dass es hierbei um Ansprüche geht, ist auch deshalb nicht leicht zu durchschauen, weil es zwischen den verschiedenen Arten des Anspruchs und den verschiedenen Objektbeziehungen tatsächlich Entsprechungen gibt. Gleichwohl ist der Unterschied zwischen den Beziehungen des Subjekts zu Ansprüchen ($ ◊ D) und denen zu Objekten ($ ◊ a) praktisch bedeutsam.
3. Das Fading des Subjekts ist ein Effekt des Mangels im Anderen
In der Sitzung vom 13. Mai 1959 verortet Lacan das Fading in einem Schema, das die Beziehung des Subjekts zum Anderen darstellt.
Er bezieht sich hier auf die nebenstehende Tabelle.50 Die linke Spalte ist die des Anderen, die rechte die des Subjekts. Das Verhältnis zwischen dem Anderen und dem Subjekt wird schrittweise aufgebaut. Dabei orientiert Lacan sich am Algorithmus der schriftlichen Division. Die linke Spalte enthält den Dividenden und die rechte den Divisor. Der Andere wird durch das Subjekt geteilt, damit ist gemeint: das Subjekt versucht, sich in der Sprache zu verorten, im Symbolischen seinen Platz zu finden. Das angestrebte Ergebnis dieser Division, der Quotient, ist ein an die Bedingungen des Sprechens angepasstes Subjekt. Die Rechnung beginnt in der ersten Zeile, jedes Mal ergibt sich ein Rest, anders gesagt: die Subjektivität geht im Symbolischen nicht auf (das Subjekt verschwindet im Symbolischen). Dieser Rest wird in die nächste Zeile übertragen, und die Operation wird wiederholt.51 Erst im vierten Schritt – in der vierten Zeile – haben wir es mit dem Subjekt im Lacan’schen Sinne zu tun, repräsentiert durch das durchgestrichene große S in der rechten Spalte; in den ersten drei Zeilen werden in der rechten Spalte Vorformen des Subjekts angezeigt, Proto-Subjekte. (Die Zeilenzählung und die Spaltenüberschriften habe ich hinzugefügt, der Terminus „Proto-Subjekt“ findet sich nicht bei Lacan.) In diesem Schema hat das Fading in der Beziehung zwischen der dritten und der vierten Zeile seinen Ort.
Ich beginne mit Lacans Erläuterung der dritten Zeile und zitiere seine Erläuterungen vollständig; bis zum Erscheinen des Terminus „Fading“ braucht man ein wenig Geduld.52
Lacan zeigt auf die dritte Zeile des Schemas, auf Ⱥ – S:
„Auf der Stufe, auf der das Subjekt sich aufhebt, setzt sich tatsächlich, wenn Sie mir ein Wortspiel gestatten, das S nicht nur als das S, geschrieben als Buchstabe, sondern auch als das Es* der topischen Formel, die Freud für das Subjekt liefert. Das S ist das Es, und dies in der Form des Fragens. Wenn Sie ein Fragezeichen setzen, wird das S ja so ausgesprochen: Est-ce? Das ist auf dieser Stufe alles, was das Subjekt noch von sich formuliert. Es ist hier im Entstehungszustand, der Artikulation der Anderen gegenüber, insofern diese auf ihn antwortet.“ (445)
Der Buchstabe S steht erstens für das Subjekt, zweitens für das Es im Sinne von Freuds sogenannter zweiter Topik (Ich, Es, Über-Ich), drittens für das französische Est-ce („Ist das?“), die Einleitung einer Frage, die ebenfalls „es“ ausgesprochen wird. Das Subjekt ist eine Frage, das Subjekt fragt sich, was mit seinem Sein ist, im Falle der Hysterie fragt es sich, was es mit seinem Geschlecht auf sich hat, im Falle der Zwangsneurose fragt es nach seiner Existenz, nach Leben und Tod.53 Im Graphen des Begehrens wird das Subjekt, das sich fragt, was mit ihm ist, durch die von A ausgehende, nach oben führende Linie dargestellt; sie steht für “Que vuoi?“, italienisch für die Frage des Anderen an das Subjekt „Was willst du?“ (vgl. hierzu diesen Blogartikel). Die Frage „Was will ich?“ stellt sich dem Subjekt in umgekehrter Form, in Gestalt von: „Was willst du?“
Deutet man das Schema gegen Lacans erklärte Absicht entwicklungspsychologisch (wie auch Lacan es gelegentlich tut), kann man an das Kind denken, das sexuelle Erregungen verspürt (das Subjekt als Es), das sich fragt, was mit ihm ist (das Subjekt als Frage) und das sich damit an die Mutter wendet, die damit die Funktion des Anderen bekommt.
Sie soll ihm darauf antworten; „in dieser Anderen hat es sich als Subjekt anerkennen zu lassen – nicht mehr als Anspruch, nicht mehr als Liebe, sondern als Subjekt.“54 Die Beziehung zum Anderen ist hier nicht der Anspruch auf Bedürfnisbefriedigung, wie in der ersten Zeile des Schemas; es geht auch nicht um den Liebesanspruch, der sich an die Andere richtet (zweite Zeile), also nicht um die Forderung nach Anwesenheit; in der Beziehung zur Anderen geht es jetzt, in der dritten Zeile, vielmehr darum, sich von der Anderen als Subjekt in seinem Begehren anerkennen zu lassen (zur Anerkennung des Begehrens vgl. diesen Blogbeitrag).
… „Nun antwortet in dieser Artikulation der Andere dem Subjekt aber jenseits dessen, was es selbst in seinem Anspruch formuliert hat. Wenn das Subjekt sich in diesem Jenseits des Sprechens selbst erfassen will, wird es also den Schritt tun müssen, der es zur nächsten Etappe führt: a / $.“ (445 f.)
Die Antwort der Anderen (Ⱥ in der dritten Zeile des Schemas) bezieht sich nicht auf den Anspruch des Subjekts auf Bedürfnisbefriedigung (erste Zeile), auch nicht auf dessen Liebesanspruch (zweite Zeile). Sie bezieht sich auf das Begehren des Subjekts, jenseits der vom Subjekt artikulierten Forderungen nach Bedürfnisbefriedigung und nach Liebe.
Dadurch, dass die Andere eine Antwort gibt, die sich nicht auf die Ansprüche des Subjekts bezieht, sondern auf dessen Begehren, hat es die Chance, sich in seinem Begehren zu erfassen. Dazu muss es zur nächsten Etappe übergehen, dargestellt durch die vierte Zeile des Schemas.
… „Dieses Subjekt ist durch den Schrägstrich markiert, durch die Sperre, durch die es als Subjekt des Sprechens grundlegend von sich selbst getrennt ist. Als ausgesperrtes Subjekt kann es, muss es, versucht es die Antwort zu finden. Es findet sie jedoch nicht, denn auf dieser Stufe begegnet es im Anderen der Aushöhlung, der Leere, die ich dargestellt habe, als ich Ihnen sagte, dass es keinen Anderen des Anderen gibt, dass kein möglicher Signifikant die Authentizität der Folge der Signifikanten garantiert, dass es nichts gibt, was auf der Ebene des Signifikanten die Signifikantenkette und das Sprechen authentifizieren würde, garantieren würde, wodurch auch immer. Eben darin hängt das Subjekt wesentlich vom guten Willen des Anderen ab.“ (446)
Das Subjekt ist jetzt (vierte Zeile rechts) nicht mehr einfach das begehrende Subjekt, abgekürzt durch S ohne Schrägstrich, sondern das „vom Schrägstrich markierte“ Subjekt, $, das Subjekt, dass so an die Bedingungen des Sprechens angepasst ist, dass es gespalten ist in das sinnorientierte Sprechen einerseits und den Diskurs des Unbewussten andererseits, also die Produktion von Träumen, Symptomen, Fehlhandlungen.
Lacan springt zurück in die dritte Zeile zum Symbol Ⱥ: als ein solches gespaltenes Subjekt versucht es, vom Anderen die Anerkennung seines Begehrens zu erlangen, die Antwort auf die Frage, was es mit dem Sein des Subjekts, mit seinem Es, seinem Begehren auf sich hat. Vom Anderen bekommt es jedoch keine Antwort. Deutet man den Anderen entwicklungsgeschichtlich als repräsentiert durch ein konkretes Individuum, kann man sagen: das Subjekt bekommt von ihm Antworten, Informationen, Versprechungen, Kritiken, Verbote aller Art, aber keine Antwort, deren Wahrhaftigkeit, deren Ehrlichkeit, deren Aufrichtigkeit garantiert wäre. Dies hat strukturelle Gründe – es gibt keine Garantie für die Aufrichtigkeit des Anderen (vgl. diesen Blogeintrag), es gibt keinen Signifikanten, der garantieren könnte, dass die Antwort des Anderen wahr ist (vgl. diesen Blogeintrag).
Auf diese Weise eröffnet sich dem Subjekt (wieder in biographischer Sichtweise) die Kluft zwischen dem, was der Andere sagt, und dem, was der Andere denkt oder fühlt, und damit die Dimension des Begehrens des Anderen.
Das Subjekt ist vom guten Willen des Anderen abhängig, nicht nur beim Anspruch auf Bedürfnisbefriedigung (1. Zeile), und nicht nur beim Anspruch auf Liebe (2. Zeile), sondern auch beim Anspruch auf Wahrheit bei der Anerkennung oder Zurückweisung des Begehrens.
… „Daraufhin lässt das Subjekt von anderswo her, aus dem imaginären Register, etwas von einem Teil von sich selbst kommen, insofern es in die imaginären Beziehung zum anderen verwickelt ist. Dieses Etwas ist das klein a. Es taucht genau an dem Platz auf, an dem sich die Befragung des S darüber vollzieht, was es in Wahrheit ist, was es in Wahrheit will.“55
Das Subjekt fragt sich, was es wahrhaft ist, was es in Wahrheit will. Eine Antwort auf diese Frage bekommt es nur dadurch, dass der Andere das Begehren des Subjekts anerkennt. Der Andere reagiert auf das Begehren des Subjekts, aber das Subjekt hat keine Garantie dafür, dass die Antwort des Anderen wahr ist, dass der Andere aufrichtig ist. Man kann das unter anderem so deuten: das Kind ist mit dem Rätsel der Sexualität des Erwachsenen konfrontiert, und dieses Rätsel ist auch für den Erwachsenen ein Rätsel.
Der Versuch des Subjekts, in der symbolischen Dimension eine sichere Antwort auf die Frage nach seinem Begehren zu erhalten, ist gescheitert. Das Subjekt kann aber von dieser Frage nicht ablassen. Seine Lösung besteht darin, dass es die imaginäre Dimension ins Spiel bringt. Es lässt einen Teil von sich auftreten, der in die imaginäre Beziehung verwickelt ist (Freud würde vielleicht sagen: es projiziert), und hierdurch wird ein Objekt zum Objekt des Begehrens; im Schema wird es durch das kleine a repräsentiert (vierte Zeile, linke Spalte). Dieses a erhält die Funktion, dem Subjekt zu sagen, was es – das Subjekt – wahrhaft begehrt.
… „Das, was wir klein a nennen, ist das Objekt des Begehrens, sicherlich, doch unter der Bedingung, dass wir klarlegen, dass es sich gleichwohl nicht an das Begehren koaptiert. Es kommt in einem Komplex ins Spiel, den wir als Phantasma bezeichnen. In diesem Objekt findet das Subjekt in dem Moment, in dem es verschwindet (s’évanouit), seine Stütze, angesichts des Ausfallens des Signifikanten, auf der Ebene des Anderen für den Platz des Subjekts zu bürgen.“56
Der Buchstabe klein a steht für das, was üblicherweise als Objekt des Begehrens bezeichnet wird. Man kann es durchaus so nennen, muss sich dabei allerdings klar machen, dass dieses Objekt an das Begehren keineswegs angepasst ist.57
Das Objekt a gehört zum Phantasma, das heißt: In diesem Objekt findet das Subjekt seine Stütze, und zwar genau dann, wenn es verschwindet. Das Verschwinden des Subjekts beruht auf dem Mangel im Anderen, darauf, dass es im Anderen keinen Signifikanten gibt, der dessen Aufrichtigkeit garantiert. Das Subjekt und der Andere sind also auf negative Weise miteinander verkoppelt. Auf der Seite des Anderen gibt es das Fehlen eines wahrheitsgarantierenden Signifikanten, und dem entspricht das Verschwinden des Subjekts, das Fehlen eines Signifikanten des Subjekts. In der Lacan’schen Algebra: das Fading des Subjekts, $, bezieht sich auf den Mangel im Anderen, Ⱥ.
… „Auf der Stufe, auf der das Subjekt versucht, sich wiederherzustellen, sich – in dem Anspruch, den es an den Anderen richtet – mit sich selbst wieder zu vereinigen und sich als Subjekt des Sprechens zu authentifizieren, auf dieser Stufe kommt die Operation der Teilung zu einem Halt. Dies dadurch, dass der Quotient, den das Subjekt zu erreichen sucht, auf der Ebene des Anderen vom Erscheinen des Rests abhängig bleibt, durch den das Subjekt selbst das Lösegeld liefert und einen Ersatz bildet für das Ausfallen des Signifikanten auf der Ebene des Anderen, des Signifikanten, der ihm entspricht. Dieser Quotient und dieser Rest bleiben hier einander gegenüber und stützen sich, wenn man so sagen kann. Das Phantasma ist nichts anderes als diese fortwährende Konfrontation des durchgestrichenen S und des klein a.“58
Das Subjekt richtet einen Anspruch an den Anderen, den Liebesanspruch (1. Zeile des Schemas). Dies setzt eine Teilungsbewegung in Gang (das Schema der Division), die dadurch bestimmt ist, dass das Subjekt versucht, sich mit sich wiederzuvereinigen. Auf einer bestimmten Ebene (nämlich in der 4. Zeile) kommt die Divisionsbewegung zu einem Halt: das Subjekt ist hier ein Quotient (Ergebnis einer Teilungsoperation) und es steht in Beziehung zu einem Rest, dem Objekt a. Diese Beziehung ist das Phantasma, $ ◊ a.
Anschließend spricht Lacan vom Fading:
… „Das ausgesperrte Subjekt kennzeichnet den Moment des Fading des Subjekts, den Moment, in dem es im Anderen nichts findet, das ihm auf sichere und gewisse Weise eine Garantie geben könnte, nichts, durch das es authentifiziert werden könnte, nichts, das es ihm ermöglichen würde, sich auf der Ebene des Diskurses des Anderen – das heißt als Subjekt des Unbewussten – zu verorten und zu benennen. Als Antwort auf diesen Moment, als Ersatz für den fehlenden Signifikanten, taucht das imaginäre Element auf, der korrelative Term der Struktur des Phantasmas. In seiner allgemeinsten Form bezeichnen wir dieses Element als die Stütze von S in dem Moment, wo S versucht, sich selbst als Subjekt des unbewussten Diskurses zu bezeichnen.“ (446 f.)
Das durchgestrichenes Subjekt, $, steht für den Moment des Fadings des Subjekts. Das Fading des Subjekts hat zeitlichen Charakter: es ist ein Moment. Das strukturelle Fehlen eines Signifikanten des Subjektswird vom Subjekt in einem bestimmten Moment auf bestimmte Weise erlebt, erfahren.
Wie kommt es zum Fading des Subjekts, zu seinem Verschwinden? Auf dem Umweg über den Anderen.
Das Subjekt sucht im Anderen nach einer Garantie für die Authentizität des vom Anderen Gesagten.
Es sucht diese Garantie deshalb, weil es, wenn man so sagen darf, „intersubjektiv“ verfasst ist: Es versucht sich, sein (sexuelles?) Begehren zu verorten und zu benennen, und das kann es nur im Diskurs des Anderen.
Hierbei stößt es auf das, was Sartre als das Problem der Unaufrichtigkeit (mauvaise foi) des Anderen artikuliert hat; in Lacans Begrifflichkeit: Es stößt auf das Fehlen eines Signifikanten. Es gibt im Anderen keinen Signifikanten, der dem Subjekt auf sichere und gewisse Weise eine Garantie dafür geben könnte, dass das, was der Andere sagt, authentisch ist.
Das Subjekt sucht aber außerdem einen Signifikanten, mit dem es sich auf der Ebene des Diskurses des Anderen verorten könnte, mit dem es sich benennen könnte. Einen solchen Signifikanten findet es nicht. Hier sind wir nicht zuletzt wir auf der Ebene der „freien Assoziation“ (des Diskurses des Anderen) und der Konfrontation mit der Urverdrängung.
Für diesen fehlenden Signifikanten bildet es einen Ersatz.
Dieser Ersatz gehört zum imaginären Register. Konfrontiert mit dem Fehlen im Symbolischen mobilisiert das Subjekt eine Kompensation im Imaginären.
Das imaginäre Element, durch welches das Fehlen im Symbolischen kompensiert wird, wird in der Formel des Phantasmas durch das a repräsentiert.
In der Formel des Phantasmas ($ ◊ a) meint das $: Das Subjekt versucht (etwa im Rahmen einer Psychoanalyse) auf sich als Subjekt des unbewussten Diskurses zu verweisen. Dies misslingt ihm, unter den Signifikanten, die im Verlauf der „freien Assoziation“ überraschend ins Spiel kommen, gibt es keinen Signifikanten des Subjekts. Dieses Misslingen ist der Moment des Fading.
Im Moment des Fading stützt das Subjekt sich auf ein imaginäres Element; dieses stützende imaginäre Element wird in der Formel des Phantasmas mit a bezeichnet. Mit diesem Objekt bezeichnet das Subjekt auf eine verquere Weise sich selbst: das, was es in Wahrheit will.
4. Am Punkt des Fading dienen dem Subjekt drei Arten von Objekten als Stütze: prägenitales Objekt, Phallus und Wahn
Später in dieser Sitzung heißt es über das Objekt a im Phantasma:
„Von klein a sind in der analytischen Erfahrung bislang drei Arten als solche ausgemacht worden, identifiziert worden: a, φ, d.
Die erste Art ist diejenige, die wir gewöhnlich, zu Recht oder zu Unrecht, als prägenitales Objekt bezeichnen.
Die zweite Art ist die Art von Objekt, die in das verwickelt ist, was man Kastrationskomplex nennt, und Sie wissen, dass dies in seiner allgemeinsten Form der Phallus ist.
Die dritte Art führt den einzigen Terminus ein, der Sie vielleicht als Neuheit überraschen wird, aber ehrlich gesagt denke ich, dass diejenigen unter Ihnen, die das, was ich über die Psychosen zu schreiben vermochte, näher haben studieren können, hierdurch nicht wesentlich verunsichert sein werden. Die dritte Objektart, die im Verhältnis zum Subjekt am Punkt seines Ausfallens, des Fading, genau dieselbe Funktion erfüllt, ist nichts anderes und nicht mehr und nicht weniger als das, was man gemeinhin als Wahn bezeichnet. Genau deshalb konnte Freud, fast zu Beginn seiner Erfahrung, bei seinen ersten Einsichten schreiben: ‚Sie lieben also den Wahn wie sich selbst.‘*
Wir werden diese drei Formen des Objekts, eine nach der anderen, wieder aufgreifen, um zu erfassen, was an ihrer Form es ihnen ermöglicht, die Funktion zu erfüllen, zu den Signifikanten zu werden, die das Subjekt aus seiner eigenen Substanz herauszieht, um das Loch vor sich zu ertragen, die Abwesenheit des Signifikanten auf der Ebene der unbewussten Kette.“ (452 f.)
Lacan (bzw. Miller, sein Herausgeber) verwendet das Symbol a hier in zwei Bedeutungen, einer weiten und einer engen. In der Formel für das Phantasma, $ ◊ a, hat das a eine weitere Bedeutung. Es umfasst drei Objektklassen: die prägenitalen Objekte, den Phallus und den Wahn. Die prägenitalen Objekte, Brust und Kot, werden ebenfalls mit a bezeichnet, dies ist hier das a im engeren Sinne. Der Buchstabe φ, das griechische kleine phi, steht für den imaginären Phallus. Der Wahn wird mit d bezeichnet, für délire, „Wahn“.
Brust und Kot werden „zu Recht oder zu Unrecht“ als prägenitale Objekte bezeichnet: Lacan zufolge bekommen sie ihre Funktion erst nachträglich, rückwirkend, nämlich durch den Kastrationskomplex.
Freud hatte in Manuskript H von 1895 behauptet: Die Paranoia beruht auf dem Projektionsmechanismus, die unerträglich peinliche Vorstellung wird in die Außenwelt projiziert; insofern lieben die Paranoiker ihren Wahn wie sich selbst.59 In Lacans Deutung: Mangels eines Signifikanten, mit dem das Subjekt sich bezeichnen könnte, verwendet es den Wahn, um damit sein eigenes Begehren zu bezeichnen. Das Verschwinden des Subjekts ist demnach mit einer unerträglichen Peinlichkeit verbunden, wie Freud sagt.
Die drei Ausprägungen des Objekts a im Phantasma haben dieselbe Funktion. Sie stützen das Subjekt am Punkt des Fading, des Verschwindens, in dem Moment, in dem es einen Schwächeanfall erleidet, in dem es erfährt, dass es im Symbolischen keinen Signifikanten hat.
Das Subjekt zieht diese Objekte aus seiner eigenen Substanz heraus; sie werden durch Projektion erzeugt.
Das Subjekt braucht diese Objekte, um dem Loch im Anderen standzuhalten, dem Fehlen eines Signifikanten des Subjekts auf der Ebene der unbewussten Kette.
Mit der Unterscheidung der drei Objektarten ist Lacan am dichtesten an der Konzeption des Objekts a als Partialobjekt und Ursache des Begehrens, die er später entwickeln wird, in den Seminaren 9 von 1961/62, Die Identifizierung, und 10 von 1962/63, Die Angst. Im Angst-Seminar wird er das Schema der Teilung und die Metapher des Rests aus Seminar 6 aufgreifen und weiterentwickeln. Das Objekt a ist, so wird es dann heißen, eine allgemeine Funktion, die sich in fünf Objekten realisiert: Brust, Kot, Phallus, Blick und Stimme. Für die ersten drei Objekte, Brust, Kot und Phallus, ist der Zusammenhang mit der zitierten Passage aus Seminar 6 offensichtlich. Wie steht es mit dem Wahn, gibt es Verbindungen zu Blick und Stimme? Lacan erinnert hier an seine Rekonstruktion von Freuds Schreber-Analyse und auf diese Weise daran, dass er sich darin auf die halluzinierte Stimme bezogen hatte. Wenn man an den Beobachtungswahn denkt, ist man beim Auge bzw. beim Blick. Indirekt ging es in Seminar 6 jedoch bereits auf andere Weise um den Blick, ohne den Blick ist die Scham nicht denkbar. Blick und Stimme verweisen nicht nur auf den Wahn, sondern auch auf Scham und Schuld.
5. Das verschwindende Subjekt als imaginäre Einheit √–1
In einer späteren Seminarsitzung heißt es:
„Sie sehen an der Tafel sämtliche Formen des Schnitts angezeigt, einschließlich derjenigen, die den Schnitt des Subjekts reflektieren. [Dieses Schema fehlt.]
Von nun an werden wir auf diese Weise das schräggestrichene Subjekt im Phantasma notieren. Bitte erinnern Sie sich, ich habe Sie gebeten, den Begriff des nicht ein zu akzeptieren. Sie sehen, dass ich mir hier sogar die Lächerlichkeit erlaube, mich der Notation zu bedienen, welche die imaginären Zahlen betrifft.“ (49760)
Das sujet barré im Phantasma – das $ in der Formel $ ◊ a – wird von Lacan auch durch eine Notation dargestellt, die sich auf die imaginären Zahlen bezieht, gemeint ist die imaginäre Einheit , Quadratwurzel aus (–1), also die für die imaginären Zahlen grundlegende Einheit. Das schräggestrichene bzw. ausgesperrte S in der Formel des Phantasmas steht für „Subjekt im fading“, so heißt es in Die Lenkung der Kur und die Prinzipien ihrer Macht, ich habe das zu Beginn dieses Artikels zitiert; das verschwindende Subjekt wird von Lacan demnach auch als notiert. Diese Zahl wird in der Mathematik durch ein kleines i repräsentiert, weshalb sich das Subjekt im Fading auch als i notieren lässt, und Lacan wird es tatsächlich gelegentlich so schreiben.61 Für Lacan sind $, und i äquivalent.
Die imaginäre Einheit ist die Zahl, die mit sich selbst multipliziert die Zahl (–1) ergibt. Von daher erklärt sich im letzten Lacan-Zitat der Bezug auf das nicht ein – frei assoziierend ersetzt Lacan das „nicht“ durch ein „minus“ und kann damit diesen Übergang vollziehen: von „nicht ein“ zu „nicht Eins“ zu „minus Eins“ zu (–1) zu zu den imaginären Zahlen.
Die imaginäre Einheit ist nicht im Lacan’schen Sinne imaginär; die Qualifizierung als imaginär bezieht sich darauf, dass das Quadrat einer negativen Zahl immer eine positive Zahl ist (Minus mal Minus ergibt Plus); von daher ist eine unmögliche Einheit, sie ist barré im Sinne von „ausgeschlossen“, „ausgesperrt“. Eine unmögliche Einheit, mit der man gleichwohl rechnen kann. Ohne die Erfindung der imaginären Einheit wäre es nicht möglich, eine auf den ersten Blick so harmlose Gleichung wie x2 + 4 = 0 zu lösen. Die Umformung ergibt x2 = –4, und das ist unmöglich, das Quadrat einer Zahl kann nicht negativ sein. Akzeptiert man die imaginäre Einheit i, hat die Gleichung sehr wohl eine Lösung: x = +2i und x = –2i, also zwei imaginäre Zahlen. Man kann mit der imaginären Einheit rechnen, weil es Operationen gibt, die sich auf eine Notation stützen, auf einen Buchstaben – auf den Buchstaben i.
So gesehen hat die Notierung von $ durch , wie Lacan einräumt, etwas Lächerliches – man kann damit keine Gleichungen lösen.
In einer früheren Sitzung dieses Seminars hatte er seine Verwendung der imaginäre Einheit so erläutert: Er verstehe darunter einen Signifikanten, der nicht subjektiviert werden kann.62
Die imaginäre Einheit, also , veranschaulicht einen unmöglich zu subjektivierenden Signifikanten und damit das Verschwinden des Subjekts. Das verschwindende Subjekt ist eine unmögliche Größe, die man sich nicht vorstellen kann, mit der man jedoch „rechnen“ kann, wenn man sich auf eine Notation stützt, auf einen Buchstaben.
Auf hatte Lacan sich zuerst in Seminar 6, Das Begehren und seine Deutung, bezogen, in den Sitzungen vom 22. April und 3. Juni 1959 (Version Miller/Gondek S. 424 und 547). Er setzt den Ausdruck dort gleich mit dem Symbol $ in der Formel für das Phantasmas ($◊ a) und in der Formel für den Trieb ($ ◊ D).
Zu heißt es in Seminar 6:
„In der Tat, wenn es etwas gibt, dem nichts Intuitionierbarem entsprechen kann, und das dennoch verlangt, mit seiner vollen Funktion erhalten zu bleiben, dann ist es die Beziehung des Objekts zu dem verborgenen Element, das der lebende Träger des Subjekts ist, insofern es [dieses Element], da es die Funktion eines Signifikanten annimmt, nicht als solches subjektiviert werden kann
Der Wurzel aus minus Eins kann an sich nichts Reelles, im mathematischen Sinne des Ausdrucks, entsprechen. Ebenso verhält es sich, wenn es um das Objekt geht. Wir können seine wahre Funktion deshalb nur so erfassen, dass wir die Reihe seiner möglichen Beziehungen zu dem ausgestrichenen S durchlaufen, das heißt zu dem S, das genau an dem Punkt, an dem das a seinen maximalen Wertes annimmt, nur verdunkelt sein kann.“
(Sitzung vom 22. April 1959, Version Miller/Gondek S. 424, Übersetzung geändert)
(Der Wurzel aus minus Eins kann nichts Reelles entsprechen, gemeint ist: Wurzel aus minus Eins kann keiner reellen Zahl entsprechen.)
$ bzw. repräsentiert demnach den lebendigen Träger des Subjekts, insofern er nicht subjektiviert werden kann, da er Signifikantenfunktion angenommen hat, sagen wir, das durch die Versprachlichung verlorene Leben.
In Seminar 10, Die Identifizierung, wird Lacan auf mehrfach zurückkommen, in den Sitzungen vom 17. Januar (S. {1}), vom 24. Januar (S. {5} und {14}), vom 7. März (S. {26}), vom 4. April (S. {11 f.}) und vom 9. Mai 1962 (S. {12}). In den Schriften verwendet Lacan das Symbol in dem Aufsatz Subversion des Subjekts und Dialektik des Begehrens im Freud’schen Unbewussten (Endfassung vermutlich 1962), in: Schriften, Band II, Vollständiger Text, Übersetzt von Hans-Dieter Gondek, a.a.O., S. 358).
6. Das Fading des Subjekts ist die Aphanisis des Subjekts
In der Sitzung vom 10. Juni 1959 verwendet Lacan zum letzten Mal in diesem Seminar die Termini Fading und Aphanisis. Bei dieser Gelegenheit werden die Ausdrücke von ihm gleichgesetzt.
„Ich bitte Sie nun, Ihre Aufmerksamkeit der Struktur des Phantasmas zuzuwenden.
Wie ich bereits betont habe, ist das, was seinen Wert ausmacht, eine angehaltene Zeit. Was seinen Wert ausmacht, ist dies: eine Zeit des Innehaltens. Eine Zeit des Innehaltens, die den Wert eines Index hat und der einem Moment des Handelns entspricht, in dem das Subjekt sich auf eine bestimmte Weise x nur dadurch einrichten kann – was genau das ist, was wir hier als Begehren bezeichnen, was wir in seiner Funktion als Begehren zu isolieren versuchen –, in dem also das Subjekt sich eigentlich nur unter der Bedingung einrichten kann, dass es den Sinn dieser Position verliert. Denn so ist es: das Phantasma ist für es undurchsichtig. Seinen Platz im Phantasma, wir können ihn bezeichnen und es selbst kann ihn möglicherweise erahnen, aber der Sinn dieser Position, also warum sie das ist, was von seinem Sein ans Licht kommt, dies kann das Subjekt nicht sagen.“ (500 f.63)
Das Phantasma hat eine bestimmte Zeitlichkeit, es ist eine Art eingefrorenes Filmbild.
Die angehaltene Zeit des Phantasmas verweist auf einen bestimmten Moment des Handelns des Subjekts.
In diesem Moment geht es dem Subjekt um sein Begehren. Auf welche Weise? Die Formulierung ist an dieser Stelle unklar, ich verstehe sie so: In diesem Filmbild geht es darum, dass das Subjekt versucht, sich in seinem Begehren zu verorten, sich darzustellen, was es mit seinem Begehren auf sich hat.
Einen Platz im Phantasma kann es jedoch nur einnehmen, indem es den Sinn dieser Position verliert, und das soll heißen, dass für das Subjekt undurchsichtig ist, was darin „von seinem Sein ans Licht kommt“. Was könnte das heißen? Ich vermute, dass für das Subjekt undurchschaubar ist, was das Phantasma mit ihm zu tun hat. Offenbar funktioniert das Phantasma wie ein Filmbild, das dem Subjekt als fremd erscheint, obwohl darin ans Licht kommt, wodurch es wesentlich bestimmt ist, etwas von seinem Sein.
$ steht, wie es etwas später heißen wird, für das Verschwinden des Subjekts am Punkt der Annäherung des Begehrens (506).
Der Zusammenhang zwischen dem Phantasma und dem Sein des Subjekts – „wir“ können ihn bezeichnen, wir Psychoanalytiker, das Subjekt kann ihn vielleicht erahnen, es kann darüber jedoch nichts sagen.
… „Das ist der wesentliche Punkt: Aphanisis. Sicherlich ist der Terminus glücklich gewählt und uns dienlich. Aber im Unterschied zu der Funktion, die Jones ihm bei der Deutung des Kastrationskomplexes verleiht, ist seine Form rätselhaft.
Wir sehen im Phantasma, dass die Aphanisis --. Dort zumindest, wo das Wort Verschwinden (disparition) für uns brauchbar ist – Fading habe ich auch gesagt – , ist es nicht als Aphanisis des Begehrens, sondern insofern es, auf der Spitze des Begehrens, Aphanisis des Subjekts gibt, des Subjekts, insofern es sich an seinem Platz verorten würde, insofern dort, wo in der unbewussten Signifikantenkette ‚es spricht‘, es sich als ‚ich (je)‘ artikulieren würde, insofern es sich dort nur dadurch anzeigen kann, dass es von seiner Position als Subjekt verschwindet.“ (50164)
Lacan übernimmt hier den Terminus „Aphanisis“ von Jones und deutet ihn um: „Aphanisis“ soll heißen: das Verschwinden des Subjekts, und nicht, wie bei Jones, das Verschwinden des Begehrens, auch nicht das Verschwindenlassen des Phallus.
Außerdem setzt er „Aphanisis“ mit „Fading“ gleich. Fading, Aphanisis – mit beiden Termini bezieht Lacan sich auf das Verschwinden des Subjekts, im Gegensatz zum Verschwinden des Begehrens.
Das Subjekt verschwindet, wenn es „auf der Spitze des Begehrens“ ist, also nicht dann, wenn sein Begehren verschwindet, sondern im Gegenteil dann, wenn sein Begehren auf die Spitze getrieben ist. Was ist das, ein auf die Spitze getriebenes Begehren? In der Sprache von Freud geht es dabei, so vermute ich, um eine traumatische Erregung. In der Terminologie des späteren Lacan wäre das eine unerträgliche Jouissance; in Seminar 6 sind Begehren und Jouissance jedoch noch nicht scharf getrennt, zu Gegenbegriffen werden sie erst im Angst-Seminar von 1962/63.65 Das würde heißen, das Subjekt verschwindet in dem Sinne, dass die Erfahrung des zugespitzten Begehrens verdrängt oder urverdrängt wird. In Seminar 9, Die Identifizierung, heißt es: Das, was Freud als „Trauma“ bezeichnet, bestehe darin, dass ein „Buchstabe“ verloren geht; der Wiederholungszwang sei der Versuch, den verlorenen Buchstaben wieder hervorzuholen.66 Ich vermute, dass das „Verlorengehen eines Buchstabens“ nichts anderes ist als die Aphanisis des Subjekts.
Die Form der Aphanisis (sagt Lacan) ist rätselhaft; das unterscheide seinen Begriff von Aphanisis von dem von Jones. Bei Jones stellt sich die Aphanisis nicht als Rätsel dar, das könnte heißen, die Angst vor dem Verschwinden der sexuellen Genussfähigkeit ist häufig bewusst. Bei Lacan ist die Aphanisis rätselhaft, damit spielt er wohl auf seine Definition des Rätsels in Seminar 6 an: Ein Rätsel ist eine Äußerung (énonciation), zu der das Ausgesagte (énoncé) gesucht wird.67 Die Aphanisis – die Verdunkelung der Subjektposition im Phantasma – muss auf die Ebene der Äußerung (énonciation) bezogen werden. Sie hat für das Subjekt die Form eines Rätsels, und das Rätsel besteht im Fehlen eines Signifikanten des Subjekts.
Die Aphanisis des Subjekts besteht in seiner Beziehung zur unbewussten Signifikantenkette, zu dem „Es spricht“, zur Äußerung. In dieser Art des Sprechens kann sich das Subjekt nicht als Ich (je) verorten, es kann sich nicht als Sprecher dieses unbewussten Diskurses bezeichnen (vgl. 434 f.), darin besteht das Verschwinden des Subjekts, sein Fading, seine Aphanisis. Lacan beschreibt hier das Unbewusste, nicht psychologisch, nicht durch den negativen Bezug auf das Bewusstsein (un-bewusst), sondern grammatisch, durch den negativen Bezug auf das Personalpronomen der ersten Person Singular (nicht ver-ich-bar).
Für Freud besteht die Urverdrängung darin, dass es bestimmte Vorstellungen gibt, die nicht erinnert werden können und die zugleich die Verdrängung im Gang halten. Lacan rekonstruiert die Urverdrängung als Fehlen bestimmter Signifikanten auf der Ebene der énonciation, der „freien Assoziation“. Die fehlenden Signifikanten sind diejenigen, die es dem Subjekt ermöglichen würden, zu den Signifikanten der énonciation, des Äußerungsvorgangs, „ich“ zu sagen, sich als Sprecher dieses Diskurses zu identifizieren. Das ist zunächst einmal nichts anderes als eine Beschreibung des nicht ver-ich-baren Charakters des Sprechens des Unbewussten.
Das Verschwinden des Subjekts, die Aphanisis, das Fading ist dieses Fehlen der Signifikanten des Subjekts bzw. die Konfrontation des Subjekts mit diesem Fehlen. Die Bezugnahme auf das fading soll offenbar andeuten, dass im Phantasma das Verschwinden in Szene gesetzt wird, prozessualisiert wird, wenn man so sagen darf.
Lacan fährt so fort:
… „Von da aus sehen wir, worum es gehen wird, wenn wir diesen extremen Punkt definiert haben, diesen imaginären Punkt, an dem das Sein des Subjekts in seiner maximalen Dichte liegt – das sind nur Bilder, damit Ihr Geist sich an eine Metapher klammern kann –, worum es gehen wird von dem Moment an, wo wir sehen, wo wir diesen imaginären Punkt definieren, an dem das Sein des Subjekts – als das, was im Unbewussten zu artikulieren und zu benennen ist – letztlich auf keinen Fall benannt werden kann, sondern nur durch etwas angezeigt werden kann, das sich selbst als Schnitt, als Spalt, als Schnittstruktur im Phantasma erweist.“ (50168)
Fünf Thesen:
(1) Das Unbewusste hat eine Funktion: im Unbewussten ist das Sein des Subjekts zu artikulieren und zu benennen.
(2) Nun gibt es einen extremen, einen imaginären Punkt, an dem das Sein des Subjekts in seiner maximalen Dichte liegt (Lacan betont, dass er hier, um sich seinen Hörern verständlich zu machen, eine Metapher verwendet).
(3) Dieser Punkt des dichtesten Seins des Subjekts kann im Unbewussten jedoch auf keinen Fall benannt werden.
(4) Allerdings ist dieser Punkt keineswegs abwesend, auf dem Weg über das Phantasma ist er zugänglich, im Phantasma wird er durch etwas angezeigt.
(5) Der Seinspunkt des Subjekts wird im Phantasma durch einen Schnitt angezeigt durch, einen Spalt, durch die Struktur eines Schnitts.
Zu (1): Das Unbewusste dreht sich um die Frage des Subjekts: „Was bin ich?“ Dies ist eine Frage nach dem Sein des Subjekts („Was bin ich?“).
Zu (2): Welches ist der Punkt der maximalen Dichte des Seins des Subjekts? Ich nehme an, dass Lacan sich damit auf den Phallus bezieht, als Signifikant für das, was dem Subjekt durch die Beziehung zur Sprache verloren geht.
Zu (3): Der Punkt der maximalen Seinsdichte kann im Unbewussten nicht artikuliert, nicht benannt werden. Ich vermute, dass es hier um das Urverdrängte geht. Der Punkt der maximalen Dichte des Seins des Subjekts ist urverdrängt, also auch in freier Assoziation nicht artikulierbar, nicht benennbar.
Zu (4): Dennoch gibt es einen Zugang zu diesem Punkt, und zwar über das Phantasma, genauer: über die Struktur des Phantasmas, $ ◊ a.
Zu (5): Die Raute in der Formel des Phantasmas hat verschiedene Bedeutungen, unter anderem steht sie für den Schnitt.69 (Zum Schnitt vgl. auf dieser Website diesen Artikel.) In der Formel des Phantasmas ($ ◊ a) symbolisiert die Raute ◊ den Schnitt (ab Seminar 6). Der Schnitt manifestiert das Sein des Subjekts in reiner Form (vgl. 471). Der Punkt, an dem das Sein des Subjekts seine maximale Dichte errichtet, stellt sich im Phantasma als Schnitt dar. Der Schnitt zeigt sich auf der symbolischen Ebene beispielsweise in den abgebrochenen Sätzen, die für Schrebers Wahn charakteristisch sind, etwa „Nun will ich mich --.“ oder „Sie sollen nämlich --.“.70 Der Schnitt manifestiert sich auf der imaginären Ebene beispielsweise im Hosenschlitz des Exhibitionisten und in dem Spalt, durch den hindurch der Voyeur das Objekt beobachtet.71 Die Technik der variablen Sitzungsdauer ist eine Schnitt-Technik (vgl. diesen Blogartikel). Der Schnitt wird hier, ähnlich wie in Schrebers Wahn, auf der symbolischen Ebene verortet.
Die Formel des Phantasmas ($ ◊ a) verweist also auf drei verschiedene Weisen auf das Subjekt:
– Das Symbol $ bezieht sich auf das Verschwinden des Subjekts, auf seine Aphanisis, auf sein Fading. Auf der symbolischen Ebene besteht das Fading darin, dass es im Unbewussten keinen Signifikanten des Subjekts gibt, dass das Subjekt zu bestimmten Äußerungen nicht „ich“ sagen kann. Möglicherweise ist außerdem gemeint, dass im Phantasma das Verschwinden des Subjekts als Vorgang dargestellt wird.
– Das Zeichen ◊ symbolisiert die Art und Weise, wie sich das Subjekt im Symbolischen, obwohl es aus ihm ausgeschlossen ist, dennoch manifestiert: im Schnitt, etwa in einem Schlitz.
– Der Buchstabe a stellt dar, dass das Subjekt sich, da es auf der symbolischen Ebene verschwindet, auf einen (imaginären) anderen stützt, der damit zum Objekt des Begehrens wird, zu dem Objekt, in dem das Subjekt das zu finden sucht, was ihm fehlt. (In Seminar 6 steht in der Formel des Phantasmas der Buchstabe a noch nicht für das Partialobjekt als Ursache des Begehrens.)
Die drei Bestandteile des Phantasmas beziehen sich also auf das Reale, das Symbolische und das Imaginäre.
– $ symbolisiert eine Grenze der Symbolisierung, also etwas Reales, speziell die Urverdrängung.
– ◊ symbolisiert eine Beziehung zwischen dem Realen und dem Symbolisches, nämlich den Schnitt als dem Ort, an dem im Symbolischen das Reale erscheint.
– a symbolisiert eine Beziehung zwischen dem Realen und dem Imaginären: ein imaginäres Objekt, mit dem das Subjekt sich im imaginären Register benennt, da es auf der symbolischen Ebene nicht zu sich „ich“ sagen kann.
Weiter heißt es:
… „Um diesen imaginären Punkt herum – und das ist in jedem Bereich legitim, wenn wir seine Struktur durch das, was von ihr ausgeht, artikulieren können – werden wir versuchen, das zu verorten, was in den verschiedenen Formen des Subjekts tatsächlich vor sich geht, Formen, die keineswegs zwingend homogen sind, Formen, die auf der einen Seite von demjenigen, der auf der anderen Seite steht, keineswegs verständlich sind. In dieser Hinsicht wissen wir nur zu gut, was uns beim Verstehen einer Psychose täuschen kann. Beispielsweise müssen wir uns hüten zu verstehen, wenn wir versuchen können, in der Struktur zu rekonstruieren, zu artikulieren, und das ist eben das, was wir hier zu tun versuchen.“ (50172)
Ausgehend vom imaginären Punkt – in dem das Sein des Subjekts in seiner maximalen Dichte erscheint – sollen die verschiedenen Formen des Subjekts artikuliert werden, nicht durch „Verstehen“, sondern durch Rekonstruktion der Struktur. Die Formen des Subjekts sind, so vermute ich, Perversion, Neurose und Psychose.
7. Das Verschwinden des Subjekts zeigt sich bei Freud im „Nabel des Traums“
Anschließend heißt es:
… „Also von daher, ausgehend von dieser Struktur, wo das Subjekt im Moment seines Verschwindens – und ich wiederhole es Ihnen, das ist ein Begriff, dessen Spur Sie dort finden können, wo Freud vom Nabel des Traums spricht, von dem Punkt, an dem sämtliche Assoziationen zusammenlaufen um dort zu verschwinden und an dem sie sich nur noch mit dem verbinden lassen, was er das Unerkannte* nennt. Darum geht es.“ (501 f.73)
Vom Begriff des Verschwindens des Subjekts gibt es bei Freud eine Spur, die Metapher vom „Nabel des Traums“. Der Nabel des Traums – das unentwirrbare Knäuel, in dem die Traumgedanken zusammenlaufen und das dem Unerkannten aufsitzt – ist die psychologische Manifestation des strukturellen Mangels des Symbolischen, wie Lacan in Seminar 6 bereits früher erläutert hatte (vgl. 130, 402). In Seminar 2 hatte Lacan gesagt, der Nabel des Traums stehe in Beziehung zum Realen jenseits aller Vermittlungen imaginärer und symbolischer Art.74 Das Verschwinden des Subjekts steht also in Beziehung zum Realen.
VI. Zusammenstellung der Zusammenstellungen
Man muss drei Begriffe von Aphanisis unterscheiden:
(1) Aphanisis als Vernichtung der sexuellen Genussfähigkeit. Dies ist der Aphanisisbegriff von Jones.
(2) Aphanisis als Verschwinden des Begehrens. Dies ist Lacans Verständnis von Jones‘ Begriff der Aphanisis. Ein Missverständnis, denke ich, schließlich ist „Begehren“ nicht „sexuelle Genussfähigkeit“. Ein produktives Missverständnis, das es ermöglicht, eine bestimmte Form der Angst zu beschreiben, die Angst vor dem Verschwinden des Begehrens.
(3) Aphanisis als Verschwinden des Subjekts, im Sinne von: Das Subjekt sucht sich in den Signifikanten des Unbewussten und findet sich darin nicht; es stößt auf das Problem der Urverdrängung. Dies ist der von Lacan in Seminar 6 entwickelte Begriff von Aphanisis; statt von „Aphanisis“ (des Subjekts) spricht er auch vom „Fading“ (des Subjekts).
Beim Begriff des Verschwindens geht es Lacan darum, den Zusammenhang zwischen dem Verschwinden des Subjekts des Äußerungsvorgangs und dem Kastrationskomplex theoretisch zu rekonstruieren. Die Frage nach dem Kastrationskomplex übernimmt er von Ernest Jones (vgl. 49, 361, 394, 414).
Terminologie „Verschwinden“, „Fading“, „Aphanisis“
Lacan nennt das Verschwinden zunächst Fading (zuerst 361), dann auch Aphanisis (501).
Unter „Fading“ versteht er das Verschwinden des Subjekts (vgl. 108, 368, 446 f.). Diese Deutung wendet sich gegen Jones: beim Kastrationskomplex geht es um das Verschwinden des Subjekts, nicht, wie Jones annimmt, um die Angst vor dem Verschwinden des Begehrens (vgl. 501).
Am Ende von Seminar 6 setzt Lacan „Fading“ und „Aphanisis“ gleich (501). Die Verwendung des Ausdrucks „Aphanisis“ durchläuft in Seminar 6 vier Phasen:
– Zunächst referiert Lacan Jones’ „Aphanisis“, ohne den Terminus für sich zu übernehmen. Er konfrontiert die Jones’sche „Aphanisis“ des Begehrens mit dem „Verschwinden“ (disparaitre, évanouissement) des Subjekts, mit der Verfinsterung (éclipse) des Subjekts.
– Dann gebraucht er den Terminus „Aphanisis“ vorübergehend „impressionistisch“, wie er sagt (234-275), und zwar im Sinne von: Zum-Verschwinden-Bringen des Phallus. Das Subjekt lässt den Phallus verschwinden, mit dem es sich identifiziert, den Phallus des Anderen, und schützt so den Anderen vor der Kastration.
– Danach verwendet Lacan einen eigenen Terminus für das Verschwinden des Subjekts: „Fading“ (ab 361).
– Schließlich übernimmt er von Jones den Ausdruck „Aphanisis“ und identifiziert ihn mit „Fading“; „Aphanisis“ bezieht sich jetzt auf das Verschwinden des Subjekts (ab 501). Von da an sind zwei Begriffe von Aphanisis im Spiel: Aphanisis im Sinne von Jones, als Verschwinden des Begehrens, Aphanisis im Sinne von Lacan, als Verschwinden des Subjekts.
Für das Verschwinden verwendet Lacan den Terminus „Fading“ deshalb, weil er sich in der Elektrotechnik auf die Funkübertragung bezieht und damit auf die Kommunikation (vgl. 368).
Urverdrängung: das Verschwinden des Subjekts des Äußerungsvorgangs
Das Subjekt verschwindet auf der Ebene des unbewussten Diskurses, des Äußerungsvorgangs (énonciation) (vgl. 49, 96). Es verschwindet hinter einem Signifikanten (vgl. 108), damit vermutlich der Phallus gemeint. Das Verschwinden des Subjekts besteht in der Synkope eines Signifikanten (vgl. 209). Auf der Ebene der Kastration erscheint das Subjekt in einer Signifikantensynkope (vgl. 414). „Verschwinden des Subjekts“ meint „Verschwinden als Subjekt des Äußerungsvorgangs“, auf dem Niveau der „freien Assoziation“, der Versprecher usw. gibt es keinen Signifikanten des Subjekts.
Das Verschwinden des Subjekts besteht darin, dass es im Unbewussten keinen Signifikanten gibt, mit dem das Subjekt sich als Sprecher des unbewussten Diskurses (der énonciation) bezeichnen könnte (vgl. 434). Auf der Ebene des bewussten Diskurses hingegen (der énoncé) gibt es einen Signifikanten, mit dem das Subjekt sich als Sprecher bezeichnen kann: das Personalpronomen, also „ich“ (vgl. 436). Die Subjektspaltung kann doppelt aufgefasst werden. Auf der Ebene des Unbewussten besteht sie in der Kluft zwischen dem Signifikantenapparat des Unbewussten und dem Subjekt als Fehlen-eines-Signifikanten. Man kann sie aber auch rekonstruieren als Spaltung zwischen zwei Arten des Diskurses, auf der Ebene des bewussten Diskurses kann sich das Subjekt als dessen Subjekt bezeichnen, auf der Ebene des Unbewussten hingegen ist es ein Nichts, das Fehlen eines Signifikanten des Subjekts.
Das Verschwinden des Subjekts ist vergleichbar mit der imaginären Zahl (vgl. 501). So wie eine imaginäre Zahl, etwa , aus dem Reich der reellen Zahlen ausgeschlossen ist, gibt es im unbewussten Diskurs keinen Signifikanten des Subjekts. Dennoch gibt es die imaginäre Zahl, sie ist ein Signifikant. Entsprechend gilt: es gibt einen Signifikanten des Subjekts, aber er kann auf der Ebene der énonciation nicht abgerufen werden.
„Nabel des Traums“
Psychologisch manifestiert sich das Verschwindens des Subjekts in dem, was Freud als „Nabel des Traums“ bezeichnet: in einem Knäuel, in dem die Traumgedanken konvergieren, das aber unentwirrbar ist und das dem Unerkannten aufsitzt (vgl. 129 f., 501 f.). Der Nabel des Traums, so hatte Lacan in Seminar 2 ausgeführt, steht in Beziehung zum Realen jenseits aller Vermittlungen imaginärer und symbolischer Art.75 Das Verschwinden des Subjekts ist eine Form des Realen, der Konfrontation mit einer Nicht-Symbolisierbarkeit.
Begehren
Das Verschwinden des Subjekts ereignet sich auf dem Höhepunkt des Begehrens (501). Das Begehren kann nicht sprachlich artikuliert werden – das, was artikuliert wird, ist immer ein Anspruch.
Das Subjekt fragt sich auf der Ebene des Unbewussten „Was will ich?“ Es stellt sich diese Frage in Form der vom Anderen kommenden Frage „Was willst du?“ (vgl. 48 f.).
Das Subjekt kann sein Begehren nur verorten, wenn es sich auf das Begehren des Anderen bezieht.
Hierbei stößt es auf den Mangel im Anderen, darauf, dass es auf dessen Aufrichtigkeit angewiesen ist (vgl. 446).
Das Begehren des Anderen verweist auf ein anderes Begehren, im Grenzfall gibt es eine unendliche Verweisung (vgl. 502).
Diese Konfrontation mit dem Begehren des Anderen ist für das Subjekt traumatisch: es stürzt in eine Situation der Hilflosigkeit, die, wie Freud gezeigt hat, grundlegender ist als die Angst (vgl. 502).
Kastration
Die Antwort auf die Frage nach dem Begehren des Anderen ist der Phallus-Signifikant (vgl. 48 f.).
Diese Antwort führt dazu, dass das Subjekt verschwindet (vgl. 48 f.).
Mit dem Verschwinden des Subjekts erscheint der Phallus in seiner formalen Funktion (394).
Das Verschwinden des Subjekts besteht in der Synkope eines Signifikanten (vgl. 209). Auf der Ebene der Kastration erscheint das Subjekt in einer Signifikantensynkope (vgl. 414).
Das Subjekt im Fading, symbolisiert durch $, ist das kastrierte Subjekt (vgl. 361).
Das Verschwinden des Subjekts ist der Punkt der Panik (108). Das einzige, was von der Phallus-Antwort spürbar ist, ist die Drohung der Kastration und, bei beiden Geschlechtern, der Begriff des Phallusmangels (vgl. 49).
Subjekt im Fading: Code des Unbewussten und Phantasma
In der Position des Fading findet das Subjekt, $, zwei Stützen: den symbolischen Anspruch und das imaginäre Objekt. Beide werden im Graphen des Begehrens dargestellt (vgl. 368):
– Die erste Stützung wird repräsentiert durch die Formel für den Code des Unbewussten (bzw., wie Lacan später sagen wird, für den Trieb): $ ◊ D; das im Fading befindliche Subjekt stützt sich auf den Anspruch.
– Die zweite Stützung wird durch die Formel für das Phantasma dargestellt: $ ◊ a; das im Fading befindliche Subjekt stützt sich auf das Objekt des Begehrens .
In beiden Formeln meint das durchgestrichene $: das Subjekt im Fading, das Subjekt im Verschwinden, das kastrierte Subjekt (vgl. 368). Im Phantasma hat das Verschwinden des Subjekts bildhaften, szenischen Charakter.
Die Beziehung des Subjekts im Fading zum imaginären Objekt beruht darauf, dass das Subjekt aus dem imaginären Register einen Teil von sich kommen lässt, der in die imaginäre Beziehung zum anderen verwickelt ist (vgl. 446), anders gesagt, die Stützung des Subjekts durch das Objekt des Begehrens beruht auf Projektion.
Um diesen Punkt der Panik herum klammert das Subjekt sich an das Objekt des Begehrens (vgl. 108).
In der Formel für das Phantasma steht ◊ für den Schnitt; im Schnitt manifestiert sich das Subjekt (vgl. 501). Im Schnitt manifestiert sich das Reale im Symbolischen (471). Das Subjekt ist verschwunden, urverdrängt, real (unsymbolisierbar); es manifestiert sich gleichwohl auf der Ebene des Symbolischen: im Schnitt.
Beispiel für das Verschwinden des Subjekts im Phantasma: Wenn das Subjekt dem Anderen sein Objekt des Begehrens zeigt, verschwindet es in der Scham (vgl. 109), da es sich hierdurch als begehrendes Subjekt offenbart.
In der Formel für das Phantasma steht der Buchstabe a für drei Arten von Objekten: prägenitales Objekt (Perversion), Phallus (Neurose) und Wahn (Psychose) (vgl. 452 f.). Auf diese drei Arten von Objekten stützt sich das Subjekt im Moment des Fading.
VII. Ganz kurz
Man muss drei Begriffe von Aphanisis unterscheiden:
(1) Aphanisis als Vernichtung der sexuellen Genussfähigkeit. Dies ist der Aphanisisbegriff von Jones.
(2) Aphanisis als Verschwinden des Begehrens. Dies ist Lacans Verständnis von Jones‘ Begriff der Aphanisis. Ein Missverständnis, denke ich, schließlich ist „Begehren“ nicht „sexuelle Genussfähigkeit“. Ein produktives Missverständnis, das es ermöglicht, eine bestimmte Form der Angst zu beschreiben, die Angst vor dem Verschwinden des Begehrens.
(3) Aphanisis als Verschwinden des Subjekts, im Sinne von: Das Subjekt sucht sich in den Signifikanten des Unbewussten und findet sich darin nicht; es stößt auf das Problem der Urverdrängung. Dies ist der von Lacan in Seminar 6 entwickelte Begriff von Aphanisis; statt von „Aphanisis“ (des Subjekts) spricht er auch vom „Fading“ (des Subjekts).
Nachtrag vom 21. Juni 2017:
Inzwischen denke ich, dass mit „Aphanisis des Subjekts“ gemeint: Das Subjekt, insofern es in der Identifizierung nicht aufgeht. Es gibt keinen Signifikanten des Subjekts = die Identifizierung ist nicht das Subjekt. Man kann also sagen, die Aphanisis des Subjekts das Begehren des Subjekts.
In Begriff der Aphanisis wird das jedoch prozessual im Verhältnis zur Identifizierung aufgefasst: Das Subjekt verliert seinen Halt, die Identifizierung wird brüchig. Von hier aus sucht es nach einem Halt anderer Art, jenseits der Identifizierung, und den findet es im Objekt a.
Der Begriff fordert also dazu auf, im Erfahrungsbereich der Psychoanalyse nach Formen der Subjektivität zu suchen, in denen eine Identifizierung sich als problematisch erweist, in denen sie keinen Halt mehr gibt, in denen der Boden unter den Füßen zu rutschen beginnt.
Bezogen auf den Verlauf einer psychoanalytischen Kur könnte das heißen: Die Aphanisis ist vielleicht die Serie der Momente, in denen die verschiedenen Identifizierungen problematisch werden.
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VIII. Das Verschwinden des Subjekts im Phantasma – ein Beispiel
Lacan erläutert das Verschwinden des Subjekts im Phantasma anhand der von Freud analysierten Phantasie „Ein Kind wird geschlagen“.76 Die im Folgenden zitierte Passage findet man in Seminar 5 von 1957/58, Die Bildungen des Unbewussten, sie liegt also ein Jahr vor der Einführung des Begriffs „Fading“.
„Wir können nicht von allem auf einmal sprechen, und überdies war es sehr glücklich, daß wir nicht gleich an diese Rolle der Nachgeborenen gedacht haben, von der wir doch alle wissen, daß sie von entscheidender Bedeutung in der Auslösung der Neurosen ist. Es reicht die kleinste analytische Erfahrung, um zu wissen, wie sehr das Auftauchen eines kleinen Bruders oder einer kleinen Schwester die Rolle eines Kreuzungspunktes in der Entwicklung irgendeiner Neurose hat. Nur, wenn wir gleich daran gedacht hätten, hätte das auf unser Denken genau dieselbe Wirkung gehabt, die wir beim neurotisierten Subjekt beobachten – sich an die Realität dieses Verhältnisses halten, bewirkt eine vollkommene Verfehlung seiner Funktion. Die Beziehung zu dem kleinen Bruder oder zu der kleinen Schwester, zu irgendeinem Rivalen, nimmt ihren entscheidenden Wert nicht auf der Ebene der Realität an, sondern insofern sie sich in eine ganz andere Entwicklung einschreibt, die Entwicklung einer Symbolisierung. Sie macht sie komplizierter und macht eine ganz andere Lösung notwendig, eine Lösung per Phantasievorstellung. Was ist das für eine Lösung? Freud hat uns deren Natur artikuliert – das Subjekt ist auf der symbolischen Ebene abgeschafft, insofern es ein gar nichts ist, dem man jede Würdigung als Subjekt verweigert. In diesem besonderen Fall findet das Kind die sogenannte masochistische Phantasievorstellung vom Auspeitschen, die auf dieser Ebene eine gelungene Lösung des Problems bildet.“77
Die Phantasie „Ein Kind wird geschlagen“ ist eine Masturbationsphantasie; Freud zufolge tritt sie früh auf, vor dem Schulbesuch, im fünften oder sechsten Lebensjahr. Bei sechs Patienten hat er die Phantasie gründlich untersucht, bei vier Frauen und zwei Männern, bei anderen Patienten fand er Hinweise auf die Phantasie, die er jedoch weniger gut untersucht hat.
Die Phantasien der Frauen unterscheiden sich von denen der Männer; bei beiden Geschlechtern durchlaufen sie mehrere Entwicklungsphasen. Lacan bezieht sich hier auf das erste Stadium, das die Phantasie beim Mädchen annimmt. Das geschlagene Kind ist eine andere Person als die Phantasierende, derjenige, der schlägt, ebenfalls; bei näherer Analyse zeigt sich, dass es sich um den Vater handelt. Das erste Stadium der Phantasie lässt sich beim Mädchen durch den Satz wiedergeben: „Der Vater schlägt ein anderes Kind“.
Anlass für die Entstehung der Phantasie ist, Freud zufolge, das Auftreten eines Geschwisters. Der Rivalitätskonflikt wird auf der symbolischen Ebene bewältigt, eben durch die Phantasievorstellung. Die Phantasie hat also (in der ersten Phase) die Form „Der Vater schlägt das mir verhasste Kind“. In ihr wird der Rivale auf der symbolischen Ebene auf ein Nichts reduziert, er wird als Subjekt abgeschafft, ihm wird die Würdigung als Subjekt verweigert. Von der Demütigung als Ziel des Sadismus spricht bereits Krafft-Ebing und Freud übernimmt das.78 In „Ein Kind wird geschlagen“ schreibt er:
„Man [d.h. das Kind] versteht bald, daß Geschlagenwerden, auch wenn es nicht sehr wehe tut, eine Absage der Liebe und eine Demütigung bedeutet. So manches Kind, das sich für sicher thronend in der unerschütterlichen Liebe seiner Eltern hielt, ist durch einen einzigen Schlag aus allen Himmeln seiner eingebildeten Allmacht gestürzt worden. Also ist es eine behagliche Vorstellung, daß der Vater dieses verhaßte Kind schlägt, ganz unabhängig davon, ob man gerade ihn schlagen gesehen hat. Es heißt: ‚Der Vater liebt dieses andere Kind nicht, er liebt nur mich.‘“79
Lacan fährt fort:
„Wir haben uns nicht auf diesen Fall zu beschränken, müssen aber zunächst einmal verstehen, was darin geschieht. Und das, was darin geschieht, ist ein symbolischer Akt, Freud hebt das deutlich hervor – dieses Kind, das sich für jemanden in der Familie hält, eine einzige Ohrfeige reicht häufig, es vom Gipfel seiner Allmacht herabzustürzen. Nun, es handelt sich um einen symbolischen Akt, und die Form selbst, die in der Phantasievorstellung ins Spiel kommt, die Peitsche oder der Stock, trägt in sich den Charakter, hat die Natur von ich weiß nicht was für einer Sache, die sich auf der symbolischen Ebene durch einen Streifen (raie) ausdrückt. Vor was auch immer an anderem, einer Einfühlung* irgendeiner Empathie, die sich einem physischen Verhältnis des Subjekts mit demjenigen, der leidet, zuschreiben ließe, das, was vor allem interveniert, ist etwas, welches das Subjekt streicht, welches es durchstreicht, welches es abschafft, etwas Signifikantes.“80
Das Schlagen ist eine symbolische Handlung, die das Kind früh versteht: ein Akt der Demütigung und ein demonstrativer Liebesentzug. Das Subjekt wird dadurch abgeschafft, dass ihm demonstrativ Wertschätzung, Respekt, Anerkennung entzogen werden (zur Abschaffung des Subjekts durch Entzug der Anerkennung vgl. diesen Blogeintrag). Der Geschlagene stürzt hierdurch vom Gipfel seiner Allmacht. In der Realität kann dieser symbolische Akt in einer Ohrfeige bestehen.
Die Einfühlung des phantasierenden Mädchens in das geschlagene Kind, also die masochistische Dimension, spielt nur eine sekundäre Rolle.
Entscheidend ist vielmehr, wie der Entzug der Anerkennung in Szene gesetzt wird. In der Phantasie wird das Schlagen mithilfe eines Stocks oder einer Peitsche vollzogen, sagt Lacan, mit einem Instruments also, das auf dem Körper des Opfers Striemen erzeugt. Das Instrument schreibt in den Körper Signifikanten ein; traits unaires wird Lacan sie in Seminar 10 nennen, Einzelstriche, einzelne Züge. Das Instrument ist eine Hinzufügung Lacans, Freud spricht in seiner Untersuchung nur vom Schlagen; man findet bei ihm keinen Hinweis darauf, ob in den von ihm untersuchten Phantasien mit der Hand geschlagen wird, mit einem Pantoffel, mit einem Stock oder mit was auch immer. In Das ökonomische Problem des Masochismus spricht Freud über masochistische Phantasien von Männern, hier wird die Peitsche am Rande erwähnt: der manifeste Inhalt dieser Phantasien ist:
„geknebelt, gebunden, in schmerzhafter Weise geschlagen, gepeitscht, irgendwie mißhandelt, zum unbedingten Gehorsam gezwungen, beschmutzt, erniedrigt zu werden.“81
Neben der Peitsche werden hier von Freud drei weitere Instrumente angeführt, die die Funktion haben, das Subjekt abzuschaffen: der Knebel, das Band und der Schmutz.
Der Rivale wird in der Phantasie als Subjekt durch einen Signifikanten ausgestrichen und so zum sujet barré, zum ausgesperrten Subjekt, zu dem Subjekt, das von einem konstituierenden Teil von sich ausgesperrt ist. In der Formel des Phantasmas, $ ◊ a, steht der Strich über dem S also beispielsweise für eine Peitsche oder für die Striemen, die durch eine Peitsche oder einen Stock in einen Körper eingebrannt werden, sofern diese Striemen mit der Abschaffung des Subjekts auf der symbolischen Ebene verbunden sind, sofern sie das Verschwinden des Subjekts herbeiführen.
In der ersten Phase der Phantasievorstellung ist das Verschwinden des Subjekts auf der Seite des anderen verortet, des Rivalen. Die zweite Phase dieser Phantasievorstellung ist beim Mädchen „Ich werde vom Vater geschlagen“; diese Vorstellung ist irreversibel verdrängt. In ihr wandert das Verschwinden des Subjekts von der Seite des anderen auf die des phantasierenden Subjekts.
Es geht in dieser Phantasie, wenn man so will, auf zwei Weisen um das Verschwinden des Subjekts. Zum einen im Sinne der Demütigung, des Entzugs der symbolischen Anerkennung. Zum anderen insofern, als die Vorstellung von der Demütigung des Subjekts für das Subjekt verschwunden ist, nicht erinnerbar ist, und vom Analytiker nur konstruiert werden kann.
IX. Spätere Verwendungen von „Fading“ und „Aphanisis“
Seminar 11, „Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse“
Im Seminar über die vier Grundbegriffe heißt es:
„Wir können sie, diese Vorstellungsrepräsentanz*, in unserem Schema der Ursprungsmechanismen der Entfremdung in dieser ersten Signifikantenkopplung verorten, die es uns ermöglicht, zu begreifen, dass das Subjekt zunächst dadurch im Anderen erscheint, dass der erste Signifikant, der unäre Signifikant, auf dem Feld des Anderen auftaucht, und er das Subjekt für einen anderen Signifikanten repräsentiert, wobei dieser andere Signifikant die Aphanisis des Subjekts zur Wirkung hat. Von daher die Spaltung (division) des Subjekts – wenn das Subjekt irgendwo als Sinn erscheint, manifestiert es sich anderswo als Fading, als Verschwinden (disparition). Es geht also, wenn man so sagen darf, auf Leben und Tod zwischen dem unären Signifikanten und dem Subjekt als binärem Signifikanten, der Ursache seines Verschwindens. Die Vorstellungsrepräsentanz ist der binäre Signifikant.
Dieser Signifikant bildet dann den zentralen Punkt der Urverdrängung, dessen, was, nachdem es ins Unbewusste übergegangen ist, der Anziehungs*punkt sein wird – worauf Freud in seiner Theorie hinweist –, durch den alle anderen Verdrängungen möglich sein werden, alle anderen ähnlichen Übergänge an den Ort des Unterdrückten*, dessen, was als Signifikant nach unten gegangen ist. Darum geht es beim Ausdruck ‚Vorstellungsrepräsentanz‘.“82
Es gibt zwei Signifikanten, den unären Signifikanten und den binären Signifikanten (was man mit S1 und S2 symbolisieren kann).
Der unäre Signifikant repräsentiert das Subjekt. Er realisiert diese Funktion dadurch, dass er das Subjekt als Sinn erscheinen lässt.
Was hat man sich in psychoanalytischer Begrifflichkeit unter dem unären Signifikanten vorzustellen? Der Ausdruck erscheint hier zum ersten Mal bei Lacan, man ist also zunächst auf Mutmaßungen angewiesen. Der Terminus „unär“ erinnert an Lacans These vom „unären Zug“ als Grundlage der symbolischen Identifizierung und damit des Ichideals (eines der Themen von Seminar 9, Die Identifizierung, 1961/62). Also geht es beim unären Signifikanten vermutlich um die symbolische Identifizierung und um das Ichideal. Das wird zwei Sitzungen später bestätigt; Lacan verwendet dort die Ausdrücke trait unaire und signifiant unaire synonym und bezieht sie auf das (symbolische) Ichideal.83 Beim unären Signifikanten geht es demnach um das Ichideal.
Mit dem unären Signifikanten taucht das Subjekt auf dem Feld des Anderen auf, damit dürfte Lacan auf Freuds Formulierung anspielen, dass die Identifizierung nur einen einzigen Zug „von der Objektperson“84 entlehnt; mit dem Anderen wird hier aber auch das Feld der Signifikanten gemeint sein.
Der unäre Signifikant, das Ichideal, repräsentiert das Subjekt als Sinn für einen den binären Signifikanten. Wenn man die Beziehung „repräsentieren für“ durch einen Pfeil symbolisiert, kann man das so schreiben:
Was versteht Lacan unter dem binären Signifikanten? Lacan sagt es klar: Der binäre Signifikant ist die urverdrängte Vorstellungsrepräsentanz. Wenn Freud den Ausdruck Vorstellungsrepräsentanz verwendet, spricht er immer von der Vorstellungsrepräsentanz des Triebs. Die Vorstellungsrepräsentanz des Triebes ist Freud zufolge eine Repräsentanz, an die der Trieb dauerhaft gebunden bleibt, die auch mit den Mitteln der Psychoanalyse nicht bewusst werden kann – die insofern urverdrängt ist – und welche die weitere Verdrängung hervorruft (als „Nachdrängen“, wie Freud sich ausdrückt). Vereinfachend kann man sagen, der binäre Signifikant repräsentiert die Anziehungskraft des unterdrückten Triebs, und dies als Signifikant, der nicht bewusst werden kann.
Der binäre Signifikant hat einen bestimmten Effekt, er bewirkt das Verschwinden des Subjekts, sein Fading, seine Aphanisis. Demnach sind zwei Größen im Spiel: der binäre Signifikant als Ursache und das Verschwinden des Subjekts als Wirkung. Wenn man den binären Signifikanten mit S2 symbolisiert, das verschwundene Subjekt mit dem Zeichen für die leeree Menge, Ø, und die Ursache-Wirkungs-Beziehung mit einem Querstrich (auf Lacanesisch: mit einer „Barre“), lässt sich das formal so darstellen:
Es geht also um zwei Beziehungen:
– Der unäre Signifikant (der einzige Zug, das Ichideal) repräsentiert das Subjekt als Sinn für den binären Signifikanten (für die urverdrängte Vorstellungsrepräsentanz des Triebs):
– Der binäre Signifikant bewirkt das Verschwinden des Subjekts:
Wenn man das zusammensetzt, erhält man:
Der unäre Signifikant (das Ichideal, S1) repräsentiert das Subjekt für den binären Signifikanten (für die urverdrängte Vorstellungsrepräsentanz des Triebes, S2), wodurch das Subjekt verschwindet (∅), anders gesagt, wodurch es keinen Signifikanten des Subjekts gibt (Aphanisis).
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Seminar 13, „Das Objekt der Psychoanalyse“
In diesem Seminar heißt es, nach Bemerkungen zum rätselhaften Charakter der Allgemeinheit des Kastrationskomplexes:
„Es ist nicht möglich, wenn wir mit dieser Perspektive schon ein wenig vertraut sind, nicht das Verhältnis zu sehen, in dem - hinsichtlich des Kastrationskomplexes - die Einführung des Terminus Aphanisis durch Jones zu dem steht, was ich Ihnen als Wesen des Subjekts dargestellt habe, nämlich dieses Fading, diese beständige Bewegung der Verfinsterung hinter dem Signifikanten oder des intermittierenden Auftauchens, wodurch das Subjekt als solches definiert ist in seiner Fundierung, in seinem Status, in dem, was das Sein des Subjekts ausmacht.“85
Das Fading besteht in einer Verfinsterung hinter dem Signifikanten; vermutlich: hinter dem Ichideal. Das Fading besteht in der Verdrängung der Vorstellungsrepräsentanz des Triebs durch das Ichideal.
Das Subjekt taucht intermittierend auf; vermutlich: in der Wiederkehr des Verdrängten.
Seminar 16, „Von einem Anderen zum anderen“
In der zweiten Sitzung dieses Seminars erläutert Lacan wieder einmal seine Formel „Ein Signifikant ist das, wodurch für einen anderen Signifikanten das Subjekt repräsentiert wird“. Den Signifikanten, der das Subjekt repräsentiert, bezeichnet er als S1, denjenigen Signifikanten, für den S1 das Subjekt repräsentiert, als S2. Er fährt dann fort:
„Dieser andere Signifikant [S2] ist in dieser grundlegenden Verbindung eben genau das, wodurch das Wissen repräsentiert wird. Das Wissen ist also – in der ersten Artikulation dessen, worum es bei der Funktion des Signifikanten geht, insofern das Subjekt durch sie bestimmt wird –, das Wissen ist, wenn ich so sagen kann, dieser undurchsichtige Terminus, in dem das Subjekt selbst dazu gelangt, verloren zu gehen oder zu erlöschen, wenn Sie so wollen, und das ist das, was seit jeher durch den Begriff dargestellt wird, den ich durch Verwendung des Ausdrucks ‚Fading‘ hervorgehoben habe. In dieser Beziehung, in dieser Genese des Subjekts stellt sich das Wissen zu Beginn als der Terminus dar, wo das Subjekt dazu kommt zu erlöschen.
Eben das ist die Bedeutung dessen, was Freud als ‚Urverdrängung*‘ bezeichnet, diese angebliche Verdrängung, zu der gesagt wird, ausdrücklich formuliert wird, dass es keine ist, sondern dass sie den Kern bildet, der bereits außer Reichweite des Subjekts liegt, wobei er dennoch Wissen ist. Das ist das, was der Begriff der Urverdrängung* bedeutet, insofern er es ermöglicht, dass eine ganze Signifikantenkette an ihn anschließt, worin dieses Rätsel enthalten ist, diese echte contradictio in adiecto, nämlich das Subjekt als unbewusstes.“86
In der Formel „S1 repräsentiert für S2 das Subjekt“ steht S2 für das Wissen, in dem das Subjekt ausgelöscht ist. Die mit dem Wissen verbundene Auslöschung des Subjekts wird von Freud als „Urverdrängung“ bezeichnet, von Lacan als „Fading“. Die sogenannte Urverdrängung ist allerdings keine wirkliche Verdrängung, da sie außerhalb der Reichweite des Subjekts ist (anders gesagt, da es hier kein Erinnern durch „freie Assoziation“ gibt). Die Urverdrängung ist mit einer ganzen Signifikantenkette verbunden (mit einem Wissen); das Rätsel, worum es beim „unbewussten Subjekt“ geht, ist zu artikulieren: Hier verbindet sich das Unbewusste als Wissen bzw. als Signifikantenkette mit der Urverdrängung, mit dem Fading, mit der Auslöschung des Subjekts.
Wie bereits in Seminar 11 wird das Fading hier durch das Symbol S2 repräsentiert, nicht, wie in Seminar 6 und im Graphen des Begehrens, durch das Symbol $.
X. Anknüpfungspunkt bei Heidegger
Heidegger sagt:
„Ein ‚ist‘ ergibt sich, wo das Wort zerbricht.“87
Lacan bezieht sich nicht direkt auf diesen Satz, aber vielleicht hat er sich durch ihn anregen lassen.
Mit Lacan kann man Heideggers Diktum so übersetzen: Das Sein des Subjekts – die Antwort auf die Seinsfrage, auf die Frage „Was bin ich?“ – manifestiert sich dort, wo zwei Signifikanten fehlen, der eine auf der Seite des Anderen, Ⱥ, der andere auf der Seite des Subjekts, $.
XI. Anknüpfungspunkt bei Sartre
Deutlicher ist der Bezug zu Sartre. In Das Sein und das Nichts (1943) heißt es:
„Sein ist für das Für-sich das An-sich, das es ist, nichten. Unter diesen Bedingungen kann die Freiheit nichts anderes sein als diese Nichtung. Durch sie entgeht das Für-sich seinem Sein als seinem Wesen; durch sie ist es immer etwas anderes als das, was man von ihm sagen kann, denn zumindest ist es das, was eben dieser Benennung entgeht, was schon jenseits des Namens ist, den man ihm gibt, der Eigenschaft, die man ihm zuerkennt.“88
Das Für-sich (das bewusste Ich) ist zugleich ein An-sich (ein Sein ohne Selbstbezug). Das Sein des Für-sich besteht darin, das An-sich zu nichten, zu negieren. Das Für-sich kann sich auf sein An-sich nur in der Weise beziehen, dass es das An-sich negiert, also verfehlt. Das Subjekt ist immer etwas anderes als das, was man von ihm sagen kann, es ist das, was dieser Benennung entgeht. Eben darin besteht für Lacan das Verschwinden des Subjekts hinter dem Signifikanten, das Fading, die Aphanisis. Die folgende Bemerkung lässt sich direkt auf die psychoanalytische Behandlung beziehen:
„Denn allein dadurch, daß ich Bewußtsein von den mein Handeln hervorrufenden Motiven habe, sind diese Motive transzendente Gegenstände für mein Bewußtsein, sind sie draußen; vergeblich werde ich versuchen, mich wieder an sie zu klammern: ich entgehe ihnen durch meine Existenz selbst. Ich bin verurteilt, für immer jenseits meines Wesens zu existieren, jenseits der Antriebe und Motive meiner Handlung: ich bin verurteilt, frei zu sein. (…) In dem Maß, wie sich das Für-sich sein eigenes Nichts verhehlen und sich das An-sich als seinen wahren Seinsmodus einverleiben will, versucht es auch, sich seine Freiheit zu verhehlen.“89
XII. Zur Sekundärliteratur
1. Roland Chemama
Im Artikel „Aphanisis“ des Dictionnaire de la psychanalyse referiert Chemama zunächst Lacans Kritik an Jones’ Begriff der aphanisis, dann fährt er fort:
„Es ist interessant festzuhalten, dass Lacan den Terminus Aphanisis wieder aufnehmen und ganz anders verwenden wird, insbesondere in Seminar XI (Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse), dass er einen strukturellen Gebrauch davon machen wird, bezogen auf das Verhältnis des Subjekts zu den Signifikanten. Man weiß ja, dass für Lacan das Subjekt sich zu diesem oder jenem Moment von diesem oder jenem Signifikanten repräsentiert finden kann, unter dem es sich einschreibt. Aber diese Repräsentation vollzieht sich immer im Verhältnis zu anderen Signifikanten oder zumindest zu einem anderen, der sich dem entgegensetzt oder ihn begleitet oder folgt. Von daher hat dieser zweite Signifikant die Hoffnung des Subjekts enttäuscht, endlich Zugang zu einem Terminus zu haben, der sein Sein bezeichnen würde. In diesem Verlust, der an die Existenz des ‚binären‘ Signifikanten gebunden ist, wird Lacan schließlich das verorten, wodurch die Aphanisis hervorgerufen wird.“90
Die Aphanisis besteht darin, dass das Subjekt keinen Signifikanten findet, mit dem es sich bezeichnen könnte. Das ist die beste Darstellung von Lacans Konzept der Aphanisis, die ich in der Sekundärliteratur gefunden habe; der Grundgedanke wird treffend erläutert.
Wichtige Informationen fehlen allerdings, vor allem, dass es Lacan beim Begriff der Aphanisis um eine Rekonstruktion der Beziehung zwischen Urverdrängung und Kastrationskomplexes geht und dass sich das Subjekt am Punkt der Aphanisis auf das Objekt des Begehrens stützt.
2. Dylan Evans
Evans beschreibt richtig den Gegensatz zwischen Jones’ Begriff der aphanisis (Verschwinden des Begehrens) und dem aphanisis-Begriff von Lacan (Verschwinden des Subjekts); von Evans erfährt man auch, dass Lacan Aphanisis und Fading als Synonyme behandelt. Das Verschwinden des Subjekts beschreibt er so:
„Es ist das Ausblenden, die fundamentale Teilung des Subjekts (Spaltung), die die Dialektik des Begehrens einleitet.“91
Es fehlt die Hauptsache: eine Erläuterung, worin das „Ausblenden“ besteht, nämlich darin, dass es im Diskurs des Unbewussten keinen Signifikanten gibt, mit dem das Subjekt sich bezeichnen könnte. Es fehlt also, dass es beim Begriff „Aphanisis“ um die Rekonstruktion der Urverdrängung als Verschwinden des Subjekts des Äußerungsvorgangs geht.
3. Bruce Fink
Fink schreibt:
„Doch auch hier [bezogen auf das Phantasma] spricht Lacan im Allgemeinen eher von der ‚Aphanisis‘ oder dem ‚fading‘ des neurotischen Subjekts in seinem Phantasma, sofern die Objekt-Ursache im Mittelpunkt steht. Objekt a rückt in den Vordergrund und bekommt im Phantasma die Hauptrolle zugeteilt, wodurch das Subjekt in den Schatten gestellt wird.“92
Das Fading des Subjekts im Phantasma beruht demnach darauf, dass das Objekt die Hauptrolle bekommt. In Seminar 6 entwickelt Lacan die entgegengesetzte These: Das Phantasma stellt (szenisch) dar, wie das Subjekt verschwindet, und wie es in diesem Verschwinden eine Stütze in einem Objekt findet (vgl. 108, 452 f.).
4. Erik Porge
Porge schreibt,
„was der Exhibitionist und der Voyeur nicht sehen, ist ihre eigene Spaltung, ihr eigenes Fading, der Spalt selbst, mit dem sie sich identifizieren.“93
Das wirft die Frage auf, wie sich im Phantasma das Fading des Subjekts zum Spalt oder Schnitt verhält.
Ich habe die Beziehung so verstanden:
– Das Fading besteht, unabhängig vom Phantasma, darin, dass es auf der Ebene der énonciation, des Äußerungsvorgangs (etwa der „freien Assoziation“) keinen Signifikanten gibt, mit dem das Subjekt sich bezeichnen könnte. Dies ist Lacans Rekonstruktion der Urverdrängung.
–Im Phantasma wird das Verschwinden des Subjekts szenisch dargestellt, etwa dadurch, dass jemand geschlagen wird, ihm also die symbolische Anerkennung entzogen wird.
– Im Schnitt manifestiert sich das Reale auf der Ebene des Symbolischen.
– Im Phantasma erscheint der Schnitt auf der imaginären Ebene, etwa als Fensterrahmen (vgl. 501).
5. Samuel Weber
In Webers Buch Rückkehr zu Freud: Jacques Lacans Ent-stellung der Psychoanalyse trägt ein Kapitel die Überschrift „Das Subjekt als ‚fader‘: Zum Imaginären und Symbolischen“. Hier heißt es:
„Aber dieses letzte Subjekt der Äußerung verhält sich nicht einfach als symmetrischer Gegenpol zum Subjekt der Aussage, zum moi, sondern im Gegensatz zur vorgeblichen Einheit und Identität dieses moi ist das Subjekt der Äußerung notwendig gespalten, suspendiert zwischen dem Sinn der Aussage und der überschüssigen Bewegung der Signifikantenkette, deren Überdetermination. Das Subjekt der Äußerung ist daher nicht nur ein shifter, sondern noch mehr ein ‚fader‘ (oder eine Feder); daher versucht Lacan, es nicht nur im ‚Ich‘ als Pronomen zu situieren, sondern ebenfalls in einem sogenannten ‚Füllwort‘ wie dem französischen ‚ne‘, das vor allem in subjunktiven Sätzen das Moment des Wunsches betont.“94
Das Subjekt der Äußerung ist demnach ein shifter und ein fader; es ist u.a. im „ich“ als Pronomen situiert.
In Seminar 6 sagt Lacan das Gegenteil. Das Fading des Subjekts besteht darin, dass es auf der Ebene des unbewussten Diskurses keinen Signifikanten gibt, mit dem das Subjekt sich selbst als Subjekt des Äußerungsvorgangs bezeichnen kann; als Ersatz springt das Objekt a ein, das also gewissermaßen wie ein Personalpronomen fungiert, wie ein Shifter, das allerdings kein Symbol ist sondern ein imaginäres Element. Mit ihm bezeichnet sich das Subjekt selbst – durch den Mechanismus der Projektion (vgl. 435 f., 501).
6. Peter Widmer
Widmer sieht in Lacans Begriff der Aphanisis eine Erweiterung von Jones Begriff der Aphanisis, nämlich den Verlust des Begehrens, wenn das Subjekt sich mit dem Objekt identifiziert.95
Das lässt sich nicht halten. Jones’ Begriff der Aphanisis des Begehrens wird von Lacan in Seminar 6 nicht erweitert, sondern als Erklärung des Kastrationskomplexes zurückgewiesen. Dagegen setzt Lacan einen eigenen Begriff von Aphanisis: nicht Verschwinden des Begehrens, sondern Verschwinden des Subjekts des Äußerungsvorgangs (vgl. 501).
Widmer fährt fort:
„Der Aphanisis entspricht auf der andern Seite das fading des Subjekts, sein Schwinden, das dann eintritt, wenn das Objekt fehlt und das Subjekt von den Signifikanten seines Diskurses repräsentiert wird.“96
Widmer scheint Aphanisis (im Sinne von Lacan) und Fading für zwei unterschiedliche Begriffe zu halten, tatsächlich setzt Lacan sie in Seminar 6 gleich (vgl. 501).
Das Fading tritt, Widmer zufolge, dann ein, wenn das Objekt fehlt und das Subjekt von einem Signifikanten seiner Diskurses repräsentiert wird. In Seminar 6 stellt Lacan es anders herum dar. Das Fading des Subjekts wird dadurch hervorgerufen, dass das Subjekt des Äußerungsvorgangs von den Signifikanten des unbewussten Diskurses nicht repräsentiert wird; in dieser Situation stützt sich das Subjekt auf ein Objekt des Begehrens, dass dann wie ein Personalpronomen fungiert (vgl. 108, 452 f.).
Später, mit der Konzeption des Objekts a als Ursache des Begehrens im Angst-Seminar, scheint Lacan die Richtung zu ändern (ich bin mir allerdings nicht sicher): das Objekt a determiniert die Subjektspaltung und damit vermutlich das Verschwinden des Subjekts.97
7. Wikipedia englisch
In der englischsprachigen Version von Wikipedia heißt es im Artikel „Aphanisis“:
„Weil der Andere das einzige Mittel ist, durch das ein ‚Subjekt‘ denkbar gemacht werden kann, ist die Aphanisis, das Verschwinden oder das Fading des Subjekts hinter irgendeinem Signifikanten, der verwendet wird, um es zu erfassen, ein wesentlicher Begriff für das Verstehen von Subjektivität und für die Gefahr der grundlegenden Leere des Subjekts.“98
Was hier verschwindet, ist der Bezug auf das Unbewusste und auf die Subjektspaltung, kurz: auf die Psychoanalyse. Lacan geht es nicht darum, wie das Subjekt denkbar ist, sondern wie es zur Sprache kommen kann und zwar in einer psychoanalytischen Kur. Das Verschwinden des Subjekts ereignet sich, wenn es versucht, sein eigenes Begehren jenseits der Unterordnung unter den Anspruch zu erfassen, es ist dann damit konfrontiert, dass es ihm nicht möglich ist, sich als Subjekt des Äußerungsvorgangs (etwa auf in der „freien Assoziation“) zu benennen, als Urheber des unbewussten Diskurses. Eben darin besteht für Lacan die Urverdrängung. Im bewussten Diskurs hingegen – in der énoncé – gibt es durchaus einen Repräsentanten des Subjekts: das Personalpronomen „ich“ (vgl. 436).
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- Der Phallus: binärer Signifikant der Urverdrängung
Anmerkungen
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Abbildung des Graphen aus J.L.: Subversion des Subjekts und Dialektik des Begehrens im Freud’schen Unbewussten (geschrieben vermutlich 1962). In: Ders.: Schriften. Band II. Vollständiger Text. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien 2015, S. 355), Färbung von mir hinzugefügt.
-
Die Lenkung der Kur und die Prinzipien ihrer Macht. In: J.: Schriften. Band II. Vollständige Übersetzung. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien 2015, S. 72–145, hier: S. 132, Fn. 16, Übersetzung geändert nach J.L.: Écrits. Le Seuil, Paris 1966, S. 634.
-
Vgl. Seminar 9, Die Identifizierung, Sitzung vom 7. März 1962.
-
Ernest Jones: The early development of female sexuality. In: The International Journal of Psycho-Analysis, 8. Jg. (1927), S. 459-472, im Internet hier, Zitat S. 461.
-
Ernest Jones: Die erste Entwicklung der weiblichen Sexualität.In: Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse, 14. Jg. (1928), S. 11-25, Zitat S. 13.
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Vgl. Seminar 7, Die Ethik der Psychoanalyse, Sitzung vom 30 März 1970; Version Miller/Haas S. 240, dort mit „sexueller Genuss“ übersetzt.
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Die genaue Formulierung lautet:
„L’aphanisis de Jones n’est absolument concevable que dans la dimension d’un tel être. Car comment lui-même nous l’articule-t-il ? Quel pourrait être le recul de quoi que ce soit qui ne soit pas de l’ordre du sujet par rapport à une crainte de perdre la capacité de ce qui est dit en anglais : capacity de… le terme sexual enjoyment, je sais qu’il est très difficile de donner un support qui soit équivalent à notre mot français « jouissance », à ce qu’il désigne en anglais. Enjoyment n’a pas les mêmes résonances que jouissance et il faudrait en quelque sorte le combiner avec le terme de Lust qui serait, peut-être un peu meilleur.“
(Seminar 13, Sitzung vom 27. April 1965, Version Staferla)
-
In Seminar 1 von 1953/54 wird der Begriff Aphanisis erwähnt, ohne dass eine Bewertung deutlich erkennbar wäre (vgl. Version Miller/Hamacher S. 280), danach bezieht Lacan sich auf Jones’ Aphanisis deutlich kritisch: in Seminar 4 von 1956/57 (vgl. Version Miller/Gondek S. 257 f.), in Seminar 5 von 1957/58 (vgl. Version Miller/Gondek S. 373), in La psychanalyse et son enseignement (1957) (vgl. Écrits, S. 453 f.) und in Die Bedeutung des Phallus (Vortrag von 1958, zuerst veröffentlicht 1966) (vgl. Schriften II, S. 123).
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Vgl. Seminar 6, Version Miller S. 127, 234, 236 f., 491, 501.
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Vgl. etwa S. Freud: Bruchstück einer Hysterie-Analyse (1905). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 6. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 101. Freud führt die Ohnmacht auf die Wiederkehr einer früher geübten und seither aufgegebenen autoerotischen Befriedigung zurück, z. B. Masturbation durch Berührung oder Schenkeldruck; vgl. S. Freud: Allgemeines über den hysterischen Anfall (1909). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 6, a.a.O., S. 201.
-
Seminar 6, Version Miller S. 48; hier und im Folgenden meine Übersetzung.
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Das nebenstehende Diagramm ist aus Seminar 6, Sitzung vom 19. November 1958, Version Miller S. 50.
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In: Schriften II. Hg. v. Norbert Haas. Walter-Verlag, Olten u.a. 1978, S. 61–117, geschrieben Dezember 1957/Januar 1958, veröffentlicht 1958, übersetzt von Chantal Creusot und Norbert Haas.
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J. Lacan: Die Bedeutung des Phallus. In: Ders.: Schriften. Band II. Vollständiger Text. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien u.a. 2015, S. 192–204, hier: S. 198, Übersetzung geändert. Vortrag vom Mai 1958, zuerst veröffentlicht 1966 in den Écrits.
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Vgl. S. Freud: Die Verdrängung. In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 3. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 103–118, hier: S. 109.
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Die Bedeutung des Phallus, a.a.O., S. 201, Übersetzung geändert.
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J. L.: Zum Gedenken an Ernest Jones: Über seine Theorie der Symbolik. In: J.L.: Schriften. Band II. Vollständiger Text. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien 2015, S. 205-229, hier: S. 220. Verfasst Januar bis März 1959, veröffentlicht 1960. Übersetzung geändert.
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Vgl. Seminar 6, Version Miller S. 169.
Die Unterscheidung énonciation/énoncé wird von Lacan in der ersten Sitzung des Seminars eingeführt, am 12. November 1958, und dort auf die beiden Linien des Graphen bezogen. Er übernimmt die Begriffsopposition einem Aufsatz von Roman Jakobson. R. Jakobson: Shifters, verbal categories, and the Russian verb (1957). In: Ders.: Selected Writings, Vol. II: Word and Language. Den Haag: Mouton 1972. S. 130-147. – Auf deutsch: Verschieber, Verbkategorien und das russische Verb. In: Roman Jakobson: Form und Sinn. Sprachwissenschaftliche Betrachtungen. Fink, München 1974, S. 35-54, im Internet hier.– Vgl. hierzu diesen Blogbeitrag.
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Antoine Arnauld und Claude Lancelot: Grammaire générale et raisonnée, 1660.
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Vgl. S. Freud: Hemmung, Symptom und Angst (1926). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 4. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2000, S. 278-281.
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Josef Breuer, Sigmund Freud: Studien über Hysterie (1895). In: S. Freud: Gesammelte Schriften, Bd. 1. Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Leipzig u.a. 1925, S. 96 Fn. 1, 112 Fn. 1.
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Warum spricht Lacan zu diesem Zeitpunkt über diesen Film?
Das Datum der Sitzung ist der 10. Dezember 1958. Im selben Jahr war von Jacques Durand und Jean Gaborit eine restaurierte Fassung von Die Spielregel erstellt und Jean Renoir vorgeführt worden. 1959 wird die renovierte Fassung bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig gezeigt; in den französischen Kinos ist sie erst ab 1965 zu sehen.
Bezieht sich Lacan auf die alte, stark gekürzte Version? Hatte er eine private Voraufführung der renovierten Fassung gesehen? Sylvia Bataille, Lacans Ehefrau, kannte Renoir; in einem seiner Filme, Eine Landpartie, hatte sie die Hauptrolle gespielt, der Film wurde 1936 gedreht und erstmals 1946 gezeigt.
In Seminar 8 von 1960/61, Die Übertragung, kommt Lacan übrigens auf die Szene aus Die Spielregel zurück (vgl. Version Miller/Gondek S. 173).
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Vgl. Schriften, Band II, Vollständiger Text, a.a.O., S. 201 und Écrits. Seuil, Paris 1966, S. 692.
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Vgl. Seminar 11, Sitzung vom 4. März 1964, Version Miller/Haas S. 101 f.
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Mediziner bezeichnen mit Umbilikation (ombilication) eine nabelförmige Mulde in einer Hautverletzung, z.B. in einer Impfpustel.
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Lacan sagt, auf Deutsch, „Unbekannt“, und entsprechend vorher auf Französisch inconnu; tatsächlich spricht Freud vom „Unerkannten“.
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S. Freud: Die Traumdeutung (1900). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 2. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 130 Fn. 2.
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Vgl. Seminar 1, Version Miller/Hamacher S. 351 f.
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Vgl. Seminar 2, Version Miller/Metzger S. 225.
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Die folgenden Abschnitte überschneiden sich mit Passagen des Artikels Der Signifikant eines Mangels im Anderen.
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Die Auslassungspunkte und die Hervorhebungen sind in der Vorlage.
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Vgl. Ella Freeman Sharpe: Analysis of a single dream. Kapitel V von: Dies.: Dream analysis. A practical handbook for psycho-analysts (1937). Maresfield Library, London 1988, S. 125-148; dt.: Traumanalyse. Übers. v. Ulrike Stopfel. Klett-Cotta, Stuttgart 1984.– Lacans Re-Analyse dieses Traums erfolgt in den Sitzungen vom 14., 21. und 28. Januar, vom 4. und 11. Februar und vom 4. März 1959.
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Vgl. Ernest Jones: Die Theorie der Symbolik. In: Ders.: Die Theorie der Symbolik und andere Aufsätze. Ullstein, Frankfurt am Main u.a., S. 59.
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Vgl. S. Freud: Der Untergang des Ödipuskomplexes (1924). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 5. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 243–251, v.a. S. 248.
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Die Bezeichnung von $ ◊ D als „Formel für den Trieb“ findet man nicht in Seminar 6.
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Die Abbildung ist aus Seminar 6, Version Miller S. 439, von mir überarbeitet.
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Eine Übersetzung von Lacans Ausführungen zu den ersten beiden Zeilen des Schemas findet man in diesem Blogartikel; die Erläuterungen zu den nächsten drei Lacan-Zitaten überschneiden sich mit denen in diesem älteren Artikel.
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Zum Subjekt als Frage vgl. Seminar 3 von 1955/56, Die Psychosen, darin zur hysterischen Frage v.a. die Sitzungen vom 14. und 21. März 1956; Das Drängen des Buchstabens im Unbewussten oder die Vernunft seit Freud, Schriften II, S. 46, Aufsatz von 1957; Über eine Frage, die jeder möglichen Behandlung der Psychose vorausgeht, Schriften II, S. 82-84, Aufsatz von 1958.
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Koaptation ist ein Begriff der Chirurgie: die Anpassung der Bruchstellen einer anatomischen Struktur aneinander, eines Nervs oder eines Knochens; siehe hier.
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Vgl. S. Freud: Manuskript H, Beilage zum Brief an Wilhelm Fließ vom 24.1.1895, in: S. Freud: Briefe an Wilhelm Fließ 1887-1904. Ungekürzte Ausgabe, hg. v. Jeffrey Moussaieff Masson. S. Fischer, Frankfurt am Main 1986. Der von Lacan zitierte Satz findet sich hier auf S. 110.
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Vgl. Seminar 9, Die Identifizierung, Sitzung vom 10. Januar 1961, Schluss.
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Vgl. Seminar 6, Sitzung vom 22. April 1959, Version Miller S. 388).
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Vgl. das Schema „Genießen – Angst – Begehren“ in Seminar 10, Sitzung vom 13. März 1963 (Version Miller/Gondek S. 217).
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Vgl. Seminar 9, Sitzung vom 13. Dezember 1961.
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Vgl. die Erläuterung der Formeln des Phantasmas und des Triebs in Die Lenkung der Kur, a.a.O., S. 132 Fn. 16.
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Vgl. J. Lacan: Über eine Frage, die jeder möglichen Behandlung der Psychose vorausgeht. In: Schriften II, hg. v. N. Haas, S. 72; Aufsatz von 1959.
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Vgl. Seminar 2, Version Miller/Metzger S. 225.
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Vgl. S. Freud: „Ein Kind wird geschlagen.“ Beitrag zur Kenntnis der Entstehung sexueller Perversionen (1919). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 7. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 229-254.
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Seminar 5, Version Miller/Gondek S. 285.
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Vgl. Freud: Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie (1905). In Ders.: Studienausgabe, Bd. 5. Fischer Taschenbuch Verlag 2000, S. 67; ders.: Triebe und Triebschicksale (1915). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 3. Fischer Taschenbuch Verlag 2000, S. 91.
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„Ein Kind wird geschlagen.“, a.a.O., S. 238.
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Das ökonomische Problem des Masochismus (1924). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 3. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 345 f.
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Seminar 11, Sitzung vom 3. Juni 1964, Version Miller/Haas S. 229 f., Übersetzung geändert.
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Vgl. Seminar 11, Sitzung vom 17. Juni 1964, Version Miller S. 231, Übersetzung Haas S. 269; Haas übersetzt dort trait unaire mit „einziger Zug“ und signifiant unaire mit „einziger Signifikant“.
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Massenpsychologie und Ich-Analyse (1920), GW 13, S. 117.
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Seminar 13, Sitzung vom 20. April 1966, Version J.L. S. 26, meine Übersetzung nach Version Roussan.
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Seminar 16, Sitzung vom 27. November 1968, meine Übersetzung nach Version Staferla; vgl. Version Miller S. 55.
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M. Heidegger: Das Wesen der Sprache. In: Ders.: Unterwegs zur Sprache. Neske, Pfullingen 1959, S. 157–216, hier: S. 216.
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J.-P. Sartre: Das Sein und das Nichts. Übers. von Hans Schöneberg und Traugott König. Rowohlt, Reinbek 1994, S. 763, Kursivschreibung im Original.
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Roland Chemama: Artikel „aphanisis“. In: Ders. u. Bernard Vandermarsch: Dictionnaire de la psychoanalyse. Larousse, Paris 2009, S. 66 f., meine Übersetzung
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Dylan Evans: Wörterbuch der Lacanschen Psychoanalyse (1996). Turia + Kant 2006, Artikel „aphanisis“, S. 47 f.
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Bruce Fink: Das Lacansche Subjekt. Zwischen Sprache und jouissance (1995). Turia + Kant, Wien 2006, S. 103.
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Erik Porge: Jacques Lacan, un psychanalyste. Érès, Ramonville Saint-Agne 2000, S. 55 f., meine Übersetzung.
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Samuel M. Weber: Rückkehr zu Freud: Jacques Lacans Ent-stellung der Psychoanalyse. Ullstein, Frankfurt am Main u.a. 1978, S. 93.
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Vgl. Peter Widmer: Subversion des Begehrens. Eine Einführung in Jacques Lacans Werk. Turia + Kant, Wien 2012, S. 63.
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Vgl. Seminar 10 von 1962/63, Die Angst, Sitzung vom 16. Januar 1963.
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Wikipedia, englischsprachige Version, Artikel „Aphanisis“, Abruf am 15. Juni 2014, meine Übersetzung.