Lacans Schemata
Schema L
Herstellung einer Triodenröhre
Autor: „F2FO, Radioamateur seit 1959“
Schema L ist ein von Lacan häufig verwendetes Diagramm der psychoanalytischen Kommunikation. Es wird eingeführt in Seminar 2 von 1954/55, Das Ich in der Theorie Freuds und in der Technik der Psychoanalyse. Danach entwickelt Lacan zahlreiche Varianten des Schemas, zuletzt im Aufsatz Kant mit Sade von 1963. In Seminar 17 von 1969/70 mutiert es zu den sogenannten Diskursmathemen, in den Seminaren 18 bis 21 sowie in L’étourdit verwandeln diese sich wiederum in die Formeln der Sexuierung.
Im Folgenden zitiere und kommentiere ich Lacans Erläuterung des Schemas in Seminar 2.
Hintergrund
Eingeführt wird das Diagramm in der Sitzung vom 25. Mai 1955.1 Wie es in Seminar 2 genau aussah, ist nicht bekannt, es hat dort auch keinen Titel. In Seminar 3 bezeichnet Lacan es als „Schema der analytischen Kommunikation“2.
Miller druckt in seiner Version von Seminar 2 eine später von Lacan veröffentlichte Variante des Schemas ab, das Diagramm aus dem Poe-Aufsatz von 1957.3 Im Poe-Aufsatz wird die Zeichnung als „Schema L“ bezeichnet, vielleicht für die Anfangsbuchstaben von „Lacan„4, vielleicht deshalb, weil man, wenn man das Schema vertikal spiegelt, den kleingeschriebenen griechischen Buchstaben Lambda, also λ, darin wiederentdecken kann.5 Im Französischen meint lambda das Typische, das Gewöhnliche, le schéma lambda wäre also so etwas wie „das Normalschema“.
Die im Poe-Aufsatz veröffentliche Version weicht von der Version oder den Versionen, die in Seminar 2 an der Tafel standen, leicht ab.
In Seminar 2 bezeichnete Lacan die beiden Endpunkte der imaginären Beziehung meist als m (für moi, Ich) und a (für autre, anderer), im Diagramm des Poe-Aufsatzes heißen sie a (für Ich) und aꞌ (für anderer). In der nebenstehenden Darstellung habe ich die Bezeichnungen aꞌ und a gegen a und m ausgetauscht. Der Buchstabe a bezieht sich also in der Version des Poe-Aufsatzes auf das Ich, in Lacans Erläuterungen in Seminar 2 hingegen auf den anderen.
Außerdem stand in Seminar 2 das S unten, wie der Stenotypie zu entnehmen ist6; im Poe-Aufsatz steht es oben links. Möglicherweise ist das Schema in diesem Aufsatz gegenüber der Version, die in Seminar 2 an der Tafel stand, um 90 oder 180 Grad gedreht worden.
Pfeillinien, wie sie das Schema in der Version des Poe-Aufsatzes zeigt, oder einseitige Orientierungen der Verbindungslinien werden in Seminar 2 nicht erwähnt.
Im Folgenden beziehe ich mich, entsprechend der Miller-Version des Seminars, auf das Schema in der Version des Poe-Aufsatzes, jedoch nicht auf die Erläuterungen in diesem Aufsatz, sondern auf die in Seminar 2.
Für Schema L hat Lacan sich vermutlich von Lévi-Strauss, Shannon/Weaver und Guilbaud anregen lassen.7
Lévi-Strauss verwendet in Die elementaren Strukturen der Verwandtschaft (1949) das links abgebildete Diagramm.8 Es repräsentiert den verallgemeinerten Tausch. Wie Levi-Strauss bezieht auch Lacan das Schema auf die Symbolisierung des Realen durch ein von der symbolischen Ordnung ausgehendes Gebot.
Shannon und Weaver verwenden in ihrer mathematischen Kommunikationstheorie (1949) das rechts abgebildete Schema der Kommunikation (zum Vergrößern anklicken); die Pfeile haben hier eine andere Orientierung als später bei Lacan.9 Das Schema von Shannon und Weaver bezieht sich auf das Verhältnis von Botschaft und Rauschen: wie wird eine Botschaft durch die Übermittlung verzerrt? Von Lacan wird dies vermutlich umformuliert in die Frage nach den Auswirkungen des Ichs auf die unbewusste Botschaft.10
Georges-Théodule Guilbaud veröffentlicht in dem Aufsatz La théorie des jeux, ebenfalls von 1949, das rechts reproduzierte Schema der unvollständigen Netze (zum Vergrößern anklicken).11 Guilbaud, ein Mathematiker, war mit Lacan befreundet, die Beziehung geht auf das Jahr 1950 zurück; ab 1951 trafen sich Lacan, Guilbaud, Lévi-Strauss und Benveniste, um über Strukturen zu arbeiten und Brücken zwischen den Humanwissenschaften und der Mathematik zu schlagen.12
Die dargestellten Schemata sind „Graphen“ im Sinne der Mathematik, d.h. sie bestehen nicht aus Flächen, also beispielsweise nicht aus Dreiecken, sondern aus Kanten und Eckpunkten; die Eckpunkte werden „Knoten“ genaannt. Bei den Graphen von Lévi-Strauss und von Shannon/Waever haben die Kanten Pfeile, d.h. es handelt sich um sogenannte „gerichtete Graphen“; die Schemata von Guilbaud sind „ungerichtete Graphen“. Auch Lacans Schema L ist ein Graph, d.h. er besteht nur aus den Kanten und Knoten; die Kanten haben Pfeile, also geht es hier um einen gerichteten Graphen.
Zugleich mit dem Schema führt Lacan die Unterscheidung zwischen den zwei „anderen“ ein: zwischen dem anderen mit kleinem a und dem Anderen mit großem A. Der andere mit kleinem a wird in Seminar 2 als der objektivierte andere des imaginären Verhältnisses bezeichnet, der Andere mit großem A als der „reale Pol der subjektiven Beziehung“.13 Die Termini „imaginärer anderer“ und „symbolischer Anderer“ werden in Seminar 2 nicht verwendet, man findet sie erstmals in Seminar 3.14
In der Übersetzung besagt ein Sternchen nach einem Wort (etwa Überlegenheit*), dass Lacan im Original den deutschen Ausdruck verwendet.
Zahlen in Klammern nach einem Zitat sind Seitenangaben; sie beziehen sich auf Version Miller/Metzger von Seminar 2. Drei Punkte vor einem Zitat weisen darauf hin, dass es an das vorangehende Zitat lückenlos anschließt.
Kommentar
25. Mai 1955
„S, das ist der Buchstabe S, aber das ist auch das Subjekt [sujet], das analytische Subjekt, das heißt nicht das Subjekt in seiner Totalität. Man verbringt seine Zeit damit, uns auf den Wecker zu fallen, indem man uns erzählt, man müsse es in seiner Totalität nehmen. Weshalb sollte es total sein? Davon wissen wir nichts. Haben Sie schon mal totale Wesen getroffen? Das ist vielleicht ein Ideal. Ich habe noch nie eins gesehen. Ich bin nicht total. Sie auch nicht. Wenn man total wäre, dann wäre jeder seinerseits total, dann wäre man nicht da, gemeinsam, um zu versuchen, sich zu organisieren, wie man sagt. Es ist das Subjekt, nicht in seiner Totalität, sondern in seiner Offenheit. Wie gewöhnlich weiß es nicht, was es sagt. Wüßte es, was es sagt, dann wäre es nicht da. Es ist da.“ (310, Übersetzung geändert)
Lacan erläutert den Punkt, der im Schema (in der Version des Poe-Aufsatzes) oben links steht. An der Tafel ist er in dieser Sitzung offenbar nur mit „S“ bezeichnet, nicht, wie im Poe-Aufsatz, mit „(Es) S“.
S steht für sujet, Subjekt, aber nicht für das Subjekt ganz allgemein, sondern für das Subjekt im Sinne der Psychoanalyse, für das „analytische Subjekt“.
Das Subjekt, mit dem die Analyse es zu tun hat, ist keine Totalität, sondern eine Offenheit.15 Unter „Totalität“ versteht Lacan eine in sich geschlossene Einheit oder Ganzheit. Das Subjekt ist nicht total, denn es ist offen, und zwar für die Dimension des Symbolischen, für die Sprache und das Sprechen. Sprache und Sprechen kommen nicht von innen, das Subjekt empfängt sie von außen; damit dies möglich ist, muss es für sie offen sein.16
Dieses Subjekt empfängt nicht nur das Sprechen und die Sprache, es spricht selbst. Es sagt etwas, aber es weiß nicht, was es sagt. Es spricht eine Art Symptomsprache: es produziert Symptome, Wiederholungen, Versprecher. Für diese Gebilde ist charakteristisch, dass es nicht weiß, dass es, das Subjekt sie sagt, es erlebt sie als fremdartig, von außen kommend. Das Subjekt ist ein gespaltenes Subjekt, wie Lacan einige Jahre später sagen wird, es spricht auf zwei Ebenen, auf der Ebene des gewöhnlichen Sprechens und auf einer zweiten Ebene, auf der es nicht weiß, was es sagt, auf der es nicht weiß, dass es, das Subjekt, es sagt.
Eine Schwierigkeit der weiteren Lektüre wird darin bestehen, dass Lacan den Ausdruck sujet in zwei verschiedenen Bedeutungen verwendet, theoriesprachlich und umgangssprachlich. Mit sujet ist einerseits, wie hier, die Instanz gemeint, die für die von außen kommende Sprache offen ist und die selbst in Wiederholungszwängen und anderen Symptomen spricht; im Schema ist das der Punkt oben links. Das ist ein spezieller Subjektbegriff, den man nur bei Lacan findet. Mit sujet bezeichnet Lacan aber häufig auch einfach den Patienten. In der französischen Umgangssprache oder im Jargon der französischen Ärzte ist das offenbar so üblich, zumindest gewinnt man den Eindruck, wenn man Lacan liest. Es wird nicht immer einfach sein, festzustellen, ob sich sujet auf das Subjekt speziell im Sinne von Lacan bezieht oder diffus derjenige gemeint ist, der in Psychoanalyse ist.
Miller fügt in seiner Ausgabe nach „Es ist da“ hinzu: „unten rechts“. Das findet man nicht in der Stenotypie des Seminars (Version J.L.), Miller übernimmt es vielleicht aus einer anderen Mitschrift, die mir jedoch nicht bekannt ist. Lacan zeigt dabei sicherlich auf den mit S bezeichneten Punkt des Subjekts. Also ist zu vermuten, dass das Diagramm des Poe-Aufsatzes gegenüber dem in Seminar 2 an der Tafel stehenden um 90 oder 180 Grad gedreht wurde.
… „Selbstverständlich sieht es sich nicht da – das ist niemals der Fall, nicht einmal am Ende der Analyse. Es sieht sich in a, und deshalb hat es ein Ich (moi). Es kann glauben, daß es dieses Ich ist, so weit ist alle Welt, und es ist unmöglich, da herauszukommen.“ (310)
Das Subjekt (der Patient) sieht sich niemals am Punkt des Subjekts, also in seinem Verhältnis zur Sprache und an dem Punkt, von dem aus es Symptome erzeugt. Der Punkt, an dem es steht, ist verdrängt, einzelne Verdrängungen können aufgehoben werden, aber nicht die Verdrängung insgesamt. Damit wissen wir über das Subjekt im Sinne von Lacan:
– es ist offen für die von außen kommende Sprache und für das von außen kommende Sprechen,
– es spricht selbst, aber es weiß nicht, was es sagt, es spricht in Symptomen,
– der Punkt, von dem aus für die Sprache offen ist und Symptome erzeugt, ist unwiderruflich verdrängt.
Das Subjekt (der Patient) sieht sich nicht am Ort des Subjekts (am Punkt oben links), es sieht sich immer anderswo, am Punkt a, am Punkt des Ichs (moi) (am Punkt unten links). In der Stenotypie wird dieser Punkt mit Sꞌ bezeichnet17; im Diagramm des Poe-Seminars trägt er die Bezeichnung a, und Miller hat den Vorlesungstext entsprechend überarbeitet.
Das Subjekt (der Patient) sieht sich in a und deshalb hat es ein Ich, moi. Das Ich, um das es geht, ist das von Freuds Lehre über die drei Instanzen Ich, Es und Über-Ich, im Lichte von Lacans Theorie des Spiegelstadiums aufgefasst. Das Subjekt hält sich für ein Ich, so wie jedermann und jedefrau; der Ichglaube, die Vorstellung, ein Ich zu sein, lässt sich nicht abschütteln.
… „Was uns andererseits die Analyse lehrt, ist, daß das Ich eine ganz und gar grundlegende Form für die Konstituierung von Objekten ist. Vor allem sieht es in Form des spiegelhaften anderen den, den wir aus Gründen, die struktural sind, als seinen Seinesgleichen [semblable] bezeichnen. Diese Form des anderen hat die größte Beziehung zu seinem Ich, sie läßt sich ihm überlagern, und wir schreiben sie a‘.“ (310, Übersetzung geändert)
Lacan wechselt zur Beziehung zwischen dem Ich und dem mit kleinem a geschriebenen anderen. Das Ich existiert nicht isoliert, es funktioniert als Bestandteil einer Beziehung, unvorsichtig gesprochen: es ist Teil einer Sozialbeziehung. Der am Punkt aꞌ (oben rechts) lokalisierte andere ist der andere, in dem das Ich sich spiegelt, le semblable, der Nächste, der Mitmensch, das Ebenbild, Seinesgleichen. In einer psychoanalytischen Kur kann der Psychoanalytiker als dieser andere fungieren. Der andere dient als Projektionsfläche und dies ist eine Grundlage dafür, dass der andere zum Objekt wird. Da das Ich sich in seinen Objekten spiegelt, wird es selbst wiederum zum Objekt und das heißt: zum Ich. Das Verhältnis zwischen dem Ich und dem anderen ist, so könnte man sagen, eine Beziehung der Interobjektivität.
Das Ich und das Ebenbild bilden ein Paar. Der andere wird durch das Ich konstituiert und das Ich existiert in der Beziehung zum anderen. Das Ich erschöpft sich zwar nicht darin, den anderen hervorzubringen, Lacan wird das in einer späteren Sitzung ausführen, aber die Erzeugung des anderen als Objekt ist die normale und wesentliche Leistung des Ichs.
… „Es gibt also die Ebene des Spiegels, die symmetrische Welt der Egos und der homogenen anderen. Davon zu unterscheiden ist eine andere Ebene, die wir die Sprachmauer (mur du langage) nennen wollen.
Ausgehend von der durch die Sprachmauer definierten Ordnung nimmt das Imaginäre seine falsche Realität an, die trotzdem eine verifizierte Realität ist. Das Ich, so wie wir’s verstehen, der andere, seinesgleichen, all diese Imaginären sind Objekte. Gewiß, sie sind nicht Monden homogen – und wir laufen jeden Augenblick Gefahr, das zu vergessen. Aber das sind eben Objekte, weil sie als solche benannt sind in einem organisierten System, das das der Sprachmauer ist.
Wenn das Subjekt mit seinesgleichen [semblables] spricht, dann spricht es in der Umgangssprache [langue commun], die die imaginären Ich [moi] nicht bloß für ex-sistente, sondern für reale Dinge hält. Da es nicht wissen kann, was in dem Feld ist, wo der konkrete Dialog sich hält, hat es mit einer Reihe von Personen, aꞌ, aꞌꞌ, zu tun. Sofern das Subjekt sie mit seinem eigenen Bild in Beziehung setzt, sind diejenigen, zu denen es spricht, auch diejenigen, mit denen es sich identifiziert.“ (311)
Die Beziehung zwischen a und aꞌ, zwischen dem Ich und den anderen, die ihm ähnlich sind, ist eine symmetrische Spiegelbeziehung. Statt des Ausdrucks moi verwendet Lacan auch den Terminus ego, womit Freuds Ich-Begriff üblicherweise ins Englische übersetzt wird.
Die anderen sind „nicht Monden homogen“. Als Monde werden sie angesehen, wenn man gewissermaßen ihre Masse berechnet, ihre Beziehungen, ihre Schwerkraft – eine mechanistische Illusion, die unter Gelehrten und Politikern verbreitet ist.18
Von der imaginären Beziehung zum anderen unterscheidet Lacan die „Sprachmauer“. Was ist damit gemeint und wie ist sie im Schema zu verorten?
Die Sprachmauer ist das in der Umgangssprache enthaltene System von Benennungen. Dieses System wird im Sprechen ins Spiel gebracht, dann, wenn das Subjekt (der Patient) mit anderen spricht, mit denjenigen, die für es die Position einnehmen, seinesgleichen zu sein. Die Sprachmauer gehört aber nicht zur Ordnung des Sprechens (parole), sondern der Sprache (mur du langage). Lacan hatte das in Seminar 2 an früherer Stelle erläutert und sich dabei auf den biblischen Mythos von der Benennung der Tiere durch Adam bezogen.19 Die imaginär konstituierten Objekte sind instabil, erst durch die Benennung erhalten sie eine stabile Identität.20 Die Benennung verwandelt die noch unbestimmte Welt in eine Welt von Objekten; vgl. diesen Blogbeitrag.
Die Sprachmauer verleiht dem imaginären Ich und den imaginären anderen den Charakter einer verifizierten Realität, so dass das Subjekt die anderen und das Ich für reale Dinge hält. Die Beziehung zwischen a und aꞌ, die Beziehung zwischen Objekten, ist demnach nicht einfach ein imaginäres Verhältnis. Sie wird gestützt durch die Sprachmauer, durch das System der Benennungen. Zwischen dem Imaginären und der Sprache gibt es nicht nur einen Gegensatz, die Sprache fungiert auch als Stütze des Imaginären.
Lacan unterscheidet bereits in diesem Seminar das Reale und die Realität. Das Reale ist das, was nicht zu symbolisieren und nicht zu imaginieren ist, so heißt es in den ersten beiden Seminaren (vgl. diesen Blogbeitrag). Die Realität hingegen wird durch das Zusammenspiel der Sprache und des Imaginären konstruiert.
Im Rom-Vortrag wird das Ineinandergreifen des Imaginären und des Symbolischen auf das Sprechen bezogen; die Stützung der imaginären Beziehung durch das Sprechen wird dort als „leeres Sprechen“ bezeichnet.21 Sein Beispiel für die „Sprachmauer“ ist dort die allgemeine Verbreitung der Freud’schen Grundbegriffe in allgemeinen Bewusstsein.22 An der hier behandelten Stelle von Seminar 2 wird die Stützung des Imaginären nicht dem Sprechen, sondern der Sprache zugeschrieben und als Effekt des geteilten Lexikons gedeutet, der Sprachmauer. Man könnte eine transparente Folie über das L-Schema legen; dort, wo auf dem darunterliegenden Blatt die imaginäre Beziehung aꞌ→a eingetragen ist, stünde auf der Folie eine symbolische Größe: die Sprachmauer.
Die Sprachmauer entspricht einigermaßen Freuds Begriff des Vorbewussten. Das System des Vorbewussten entsteht dadurch, dass die Sachvorstellungen durch Wortvorstellungen überbesetzt werden23; das Vorbewusste besteht also aus dem Lexikon, mit Lacan: es ist das System der Benennungen, die Sprachmauer. Freud bindet das Vorbewusste an das Ich24; bei Lacan wird die imaginäre Beziehung durch die Sprachmauer gestützt. Offenkundig versucht Lacan, die Grundbegriffe von Freuds zweiter Topik in Schema L zu übertragen: das Es (oben links), das Ich (unten links) und das Vorbewusste (die Sprachmauer).
.. „Dies gesagt, darf man nicht die uns als Analytiker eigene Basisannahme auslassen – wir glauben, daß es andere Subjekte als uns gibt, daß es authentisch intersubjektive Beziehungen gibt. Wir hätten keinen Grund, das zu denken, hätten wir nicht das Zeugnis dessen, was die Intersubjektivität charakterisiert, nämlich daß das Subjekt uns belügen kann. Das ist der entscheidende Beweis. Ich sage nicht, daß das das einzige Fundament der Realität des anderen Subjekts ist, es ist sein Beweis. Anders ausgedrückt, wir wenden uns faktisch an die A1, A2, die das sind, was wir nicht kennen, veritable Andere, wahre Subjekte.“ (311, Übersetzung geändert)
Lacan wechselt zur vierten Ecke des Schemas, zum Anderen; der Buchstabe A steht nicht für einen bestimmten Anderen, sondern für eine Serie von Anderen mit großem A, A1, A2 usw.
Zu unterscheiden sind zwei Formen der Beziehung zum anderen. In der ersten Beziehung ist der andere unser Ebenbild und damit derjenige, in dem wir uns wiedererkennen. Dies ist ein Verhältnis zwischen Objekten. Es hat zwar imaginären Charakter, wird aber zugleich durch die Sprache vermittelt, durch das System der Benennungen, durch die Sprachmauer.
In der zweiten Form der Beziehung ist der andere ein wahres Subjekt. Als Subjekt ist er wahrhaft anders, also gerade kein Ebenbild, nicht jemand, in dem wir uns wiedererkennen. Die Beziehung zu ihm ist ein Verhältnis zwischen Subjekten, eine Intersubjektivität. Lacan bezeichnet von nun an den anderen in dieser zweiten Funktion als Anderen mit großem A.
Die Subjekthaftigkeit des Anderen zeigt sich darin, dass wir ihn nicht kennen, sowie darin, dass er uns belügt. Man denke an eine Beziehungskrise. Eine Frau sagt zu ihrer besten Freundin: „Ich dachte, ich würde ihn kennen, aber ich fürchte, er hat mich nach Strich und Faden betrogen. Ich durchschaue ihn nicht. Ich weiß nicht, ob ich ihm noch glauben kann.“ Die lacanianisch gebildete Freundin denkt: „Er hat aufgehört, für dich der andere zu sein, jetzt ist er für dich der Andere.“
Wenn der Andere uns belügt, wird damit seine Subjekthaftigkeit sogar bewiesen.25 Wenn wir genau wissen, dass der Andere uns belügt, ist das Problem harmlos, immerhin sind wir dann im Besitz der Wahrheit. Gravierender ist die Situation, wenn wir nicht wissen, ob er lügt oder die Wahrheit spricht. Ich nehme an, dass das Zweite gemeint ist, da Lacan in späteren Seminaren so argumentiert: Unsere einzige Garantie für die Wahrheit dessen, was der Andere uns sagt, ist seine Aufrichtigkeit, und auf die ist kein Verlass (vgl. diesen und diesen Blogbeitrag). Ab Seminar 6 wird dies „Mangel im Anderen“ oder „Mangel des Anderen“ genannt.
Mit der Lüge entzieht sich der Andere, er operiert als Subjekt. Wenn er lügt, spricht er, und er behauptet in seinem Sprechen, dass das, was er sagt, wahr ist. Mit der Lüge bringt er den Wahrheitsbezug ins Spiel, der unvermeidlich mit dem Sprechen einhergeht. Später, im Poe-Aufsatz von 1957, erläutert Lacan diesen Gedanken so: Der Eintritt in die symbolische Ordnung als Subjekt wiederholt sich vollständig jedesmal, „wenn sich das Subjekt an den Anderen als absoluten wendet, nämlich als Anderen, der es annullieren kann, auf dieselbe Weise, wie es mit ihm verfahren kann, nämlich so, dass es sich zum Objekt macht, um ihn zu täuschen.“26
Der Ausdruck „Subjekt“ wird also noch in einer dritten Bedeutung verwendet. Er meint erstens, ganz allgemein, den Patienten. Er meint zweitens das Subjekt, das von der linken oberen Ecke des Schemas repräsentiert wird. Und er meint drittens den Anderen in seinem Unterschied zum imaginären anderen, den Anderen-als-Subjekt.
Das Schema bezieht sich primär auf solche Andere, auf die sich das Subjekt im Sprechen bezieht, und zwar in der Weise, dass das Subjekt oder der Andere durch das Sprechen einen Wahrheitsanspruch erheben, etwa durch eine Lüge.
…“Sie sind auf der andere Seite der Sprachmauer, da, wo ich sie im Prinzip niemals erreiche. Im Grunde sind sie’s, die ich anvisiere, jedesmal, wenn ich ein wahres Sprechen artikuliere, aber ich erreiche immer aꞌ, aꞌꞌ, per Reflexion. Ich visiere immer die wahren Subjekte, und ich muß mich bescheiden mit Schatten. Das Subjekt ist von den Anderen, den wahren, durch die Sprachmauer getrennt.“ (311, Übersetzung geändert)
Das Subjekt versucht, sich auf den Anderen zu beziehen, aber dies gelingt ihm nicht. Stattdessen bezieht es sich auf die anderen der imaginären Beziehung. Der Grund hierfür ist die Sprachmauer – das Vokabular in seiner benennenden, objektivierenden Funktion, das Vorbewusste. Das Vorbewusste hat, in den Augen von Lacan, eine verdrängende Funktion.
Das Sprechen, mit dem ich den Anderen als Subjekt zu erreichen versuche, wird hier als „wahres Sprechen“ bezeichnet. Lacan spielt damit auf seinen Aufsatz Funktion und Feld des Sprechens und der Sprache in der Psychoanalyse an. Darin hatte er zwei Arten des Sprechens unterschieden, das volle und das leere Sprechen; statt vom „vollen Sprechen“ spricht er dort auch vom „wahren Sprechen“.27
In der nebenstehenden Abbildung habe ich die Begriffe „Sprachmauer“ und „wahres Sprechen“ in das Diagramm eingetragen.
In der Staferla-Version des Seminars wird die Sprachmauer nicht der Achse a-a‘, sondern der Achse A-S zugeordnet. Meines Erachtens ist das falsch, eine ausführliche Begründung findet man in diesem Artikel weiter unten in der Kritik an Brousse.
… „Während das Sprechen [parole] sich gründet in der Existenz des Anderen, des wahren, ist die Sprache [langage] dazu da, um uns auf den objektivierten anderen zu verweisen, den anderen, mit dem wir alles machen können, was wir wollen, einschließlich dessen, zu denken, daß er ein Objekt ist, das heißt, daß er nicht weiß, was er sagt. Wenn wir uns der Sprache bedienen, spielt unsere Beziehung zum anderen die ganze Zeit in dieser Ambiguität. Anders gesagt, die Sprache ist ebenso dazu da, um uns im Anderen zu gründen, wie um uns radikal daran zu hindern, ihn zu verstehen. Und eben darum geht es in der analytischen Erfahrung.“ (311, Übersetzung geändert)
Statt, wie in Funktion und Feld des Sprechens und der Sprache in der Psychoanalyse, zwei Arten des Sprechens gegenüberzustellen, leeres und volles (oder wahres) Sprechen, operiert Lacan hier mit dem Gegensatz von Sprechen und Sprache.
Das Sprechen gründet sich auf die Existenz des Anderen in seiner Wahrheit, es hat seine Grundlage darin, dass der Andere ein Subjekt ist, das mich zu überlisten versucht und das durch Lügen einen Wahrheitsbezug herstellt.
Die Sprache hingegen, also die Sprachmauer, die Wortvorstellungen, konstituiert den anderen als objektivierten anderen, als denjenigen, in dem ich mich wiedererkenne und der für mich ein manipulierbares Objekt ist.
Der objektivierenden Dimension der Sprache kann man sich nicht entziehen. Unser Verhältnis zur Sprache ist also ambivalent. In einer psychoanalytischen Kur wird diese Ambivalenz ausgetragen, sie spielt sich ab im Spannungsfeld zwischen der objektivierenden Funktion der Sprache (z.B. „ich bin wie X“, „ich bin neurotisch“) und der subjektivierenden Funktion des Sprechens, in dem ein Wahrheitsbezug am Werk ist.
Ich überspringe zwei Seiten.
„Die Analyse muß abzielen auf den Übergang zu einem wahren Sprechen, durch welches das Subjekt mit einem anderen Subjekt verbunden wird, auf der anderen Seite der Sprachmauer. Das ist die letzte Beziehung des Subjekts zu einem veritablen Anderen, zu dem Anderen, der die Antwort gibt, die man nicht erwartet, die den Schlußpunkt der Analyse definiert.“ (314, Übersetzung geändert)
Eine psychoanalytische Kur ist dann wirksam, wenn sich die Funktion des Sprechens verändert. Der Analytiker ist für den Patienten zunächst der imaginäre andere, sein Ideal und sein Rivale; dies ist die Grundlage des Widerstands gegen die Symbolisierung des Unbewussten. In dieser Beziehung macht der Patient den Analytiker und sich selbst durch die Sprachmauer – durch klassifizierende Benennung – zum Objekt, etwa durch Subsumtion unter die Kategorien „guter Analytiker“ versus „schlechter Psychoanalytiker“.
Die Analyse zielt darauf ab, dass das Sprechen des Patienten sich statt an an ihn als imaginären anderen an den wahren Anderen wendet. Unter dieser Bedingung ist der Patient in der Lage, von ihm eine Antwort zu erhalten, die er nicht erwartet hat. Der Weg hierzu ist, wie Lacan in den nächsten Sätzen erläutern wird, die Übertragung, in ihr hat der Analytiker für das Ich des Patienten die Funktion des Anderen.
… „Was unter der einen Bedingung, daß das Ich [moi] des Analytikers bereit ist, nicht da zu sein, unter dieser einen Bedingung, daß der Analytiker kein lebender Spiegel ist, sondern ein leerer Spiegel, während der ganzen Zeit der Analyse vor sich geht, geht vor sich zwischen dem Ich [moi] des Subjekts – es ist immer das Ich des Subjekts, das spricht, scheinbar – und den Anderen. Der ganze Fortschritt der Analyse ist die fortlaufende Verschiebung dieser Relation, die das Subjekt in jedem Augenblick erfassen kann jenseits der Sprachmauer, als die Übertragung, die von ihm ausgeht und wo es sich nicht wiedererkennt [reconnait]. Es geht nicht darum, diese Relation zu reduzieren, wie man schreibt, es geht darum, daß das Subjekt sie an seinem Platz aufnimmt. Die Analyse besteht darin, es das Bewußtsein seiner Beziehungen gewinnen zu lassen, nicht zum Ich des Analytikers, sondern zu all diesen Anderen, die seine wirklichen Respondenten/Bürgen/répondants sind und die es nicht anerkannt hat. Es geht darum, daß das Subjekt mehr und mehr entdeckt, an welchen Anderen es sich wahrhaft wendet, wenn auch ohne es zu wissen, und daß es mehr und mehr die Übertragungsbeziehungen aufnimmt an dem Platz, wo es ist und wo es zunächst nicht wußte, daß es war.“ (314, Übersetzung geändert)
Das Ich des Analytikers muss bereit sein, nicht da zu sein, anders gesagt: der Analytiker muss darauf abzielen, für den Patienten nicht die Position des anderen einzunehmen, des Partners, des Rivalen, des Ideals; der Spiegel muss leer sein, der Platz des anderen muss frei bleiben, das Ich soll nicht in Beziehung zum anderen treten, die Beziehung von m zu a soll nicht hergestellt werden (bzw. in der Version des Poe-Aufsatzes: die Beziehung von a zu a‘). Umgekehrt heißt das: Häufig kommt es vor, dass das Ich des Analytikers da ist, was bedeutet, dass der Analytiker den Widerstand gegen die Symbolisierung des Unbewussten stützt.
Wenn es dem Analytiker gelingt, nicht da zu sein, bezieht sich das Ich des Subjekts auf den Analytiker nicht als anderen, sondern als Anderen. Im Original steht hier „autre“ mit kleinem a, „anderer“, aber das ergibt keinen Sinn: der Platz des anderen soll ja gerade nicht besetzt sein. Es ist klar, dass es an diesem Punkt Transkriptionsprobleme gibt – wie soll die Stenographin erkennen, ob Lacan, wenn er „anderer“ sagt, sich auf den anderen mit kleinem a bezieht oder auf den mit großem A?
Lacan spricht hier vom „Ich des Subjekts“. Was ist hier mit „Subjekt“ gemeint, das Subjekt im Sinne des Punktes (Es) S im Schema? Dann gäbe es zwischen S und a, zwischen dem Subjekt und dem Ich, eine Fundierungsbeziehung. Sie hätte vermutlich ihre Entsprechung in der Beziehung zwischen dem Anderen und dem anderen: der andere wäre der andere des Anderen so wie das Ich das Ich des Subjekts wäre. In Seminar 2 habe ich nichts gefunden, was diese Deutung stützen könnte und die Pfeilverbindungen des Schemas aus dem Poe-Aufsatz geben keine Hinweis auf ein Relation dieser Art. Eine Stütze für diese Auffassung findet man im Aufsatz Die Freudsche Sache, wo es heißt: „Aus diesem Grund besagt unsere Lehre, dass es in der analytischen Situation nicht nur zwei präsente Subjekte gibt, sondern zwei Subjekte, von denen jedes mit zwei Objekten versehen ist, dem Ich/moi und dem anderen, wobei dieser andere ein kleines a als Anfangsbuchstaben hat.“28 Aber was meint Lacan hier mit „Subjekt“?
Die andere Möglichkeit besteht darin, dass mit sujet hier der Patient gemeint ist; das „Ich des Subjekts“ wäre dann das „Ich des Patienten“. An der zitierten Stelle ist die Rede vom „Ich des Subjekts“ das Gegenstück zur Rede vom „Ich des Analytikers“, die zweite Bedeutung ist deshalb plausibler.
Das Ich des Subjekts, das Ich des Patienten ist der scheinbare Agent des Sprechens; wenn es im Verlauf einer Analyse gelingt, dass der Analytiker nicht den Platz des anderen besetzt, kann das Ich des Patienten eine Beziehung zum Anderen herstellen, jenseits der Sprachmauer. Eben dies ist die Übertragung: der Analytiker fungiert für das Ich des Patienten als Verkörperung des Anderen oder der verschiedenen Anderen seiner Geschichte. Es entdeckt, an welche Anderen es sich wendet, ohne es zu wissen.
Manche fordern, in der psychoanalytischen Behandlung die Übertragungsbeziehung zu reduzieren; Lacan weist diese Auffassung zurück. Vielmehr soll das Ich des Patienten ein Bewusstsein davon bekommen, in welchen Beziehungen das Subjekt (am Platz oben links) zu diesen Anderen steht, und das wird durch die Übertragung ermöglicht. Eben deshalb, weil das Subjekt die Beziehungen zu diesen Anderen nicht anerkannt hat, können sie vom Ich des Patienten nicht erinnert werden und genau deshalb werden sie in der Übertragung wiederholt.
Auf diese Weise entdeckt das Subjekt (der Patient), an welchen Anderen es sich wendet und von welchem Platz aus es sich an diese Anderen wendet. Dieser Platz ist der Platz des Subjekts im Sinne des Schemas, also der Platz (Es) S. Vorher hatte Lacan erklärt, dass sich der Patient auch am Ende einer Analyse nicht am Platz des Subjekts sehen kann (310). Vielleicht geht es darum, diesen Platz, der nicht erreichbar ist, einzukreisen.
…“Dem Satz Freuds – Wo Es war, soll Ich werden* – sind zwei Bedeutungen zu geben. Dieses Es*, nehmen Sie das wie den Buchstaben S. Es ist da, es ist immer da. Das ist das Subjekt. Es kennt sich oder es kennt sich nicht. Das ist nicht einmal das Wichtigste – es kommt oder es kommt nicht zum Sprechen. Am Ende der Analyse soll es das Wort ergreifen und mit dem wahren Anderen in Beziehung treten. Da, wo das S war, da soll das Ich* sein.
Da reintegriert das Subjekt authentisch seine membra disjecta und anerkennt, reaggregiert seine Erfahrung.“ (314, Übersetzung geändert)
Der Buchstabe S des Schemas steht nicht nur für „Subjekt“, sondern auch für das Freudsche Es. Diese Zuordnung wird im Poe-Aufsatz dadurch bekräftigt, dass die obere linke Ecke des Schemas als „(Es) S“ bezeichnet wird; in einer zum Poe-Aufsatz hinzugefügten Erläuterung des Schemas aus dem Jahre 1966 heißt es, das „S (Es)“ symbolisiere „das als vervollständigt angenommene Subjekt des Freudschen Es“29.
Das Es ist bei Freud die Instanz, in der die Triebe verortet sind, es besteht aus den psychischen Repräsentanzen der Triebe.30; das an der linken oberen Ecke des Schemas lokalisierte Subjekt ist demach ein Triebsubjekt. Wir haben jetzt folgende Informationen über dieses Subjekt:
– Sein Platz ist verdrängt, die Verdrängung ist nicht aufhebbar.
– Das Subjekt ist für das von außen kommende (vom Anderen kommende) Sprechen offen.
– Das Subjekt spricht von diesem Platz aus und wendet sich damit an den Anderen, allerdings weiß es nichts davon; es spricht in Symptomen.
– In diesem Sprechen wird ein Wahrheitsanspruch erhoben.
– Das Subjekt ist ein Es-Subjekt, beim Angesprochen werden durch den Anderen und bei der Symptombildung kommt der Trieb ins Spiel.
Freuds Diktum „Wo Es war, soll Ich werden“31 ist so zu deuten: „Es“ steht hier für den Buchstaben S, also für „Subjekt“, aber wohl auch für den Trieb. Ob das Subjekt sich kennt oder nicht kennt, ist nicht entscheidend; der Imperativ „Erkenne dich selbst“ ist für die Psychoanalyse sekundär. Worauf es ankommt, ist das Sprechen. Das Subjekt (das Es), das zur Psychoanalyse geht, ist zunächst das, was nicht spricht; in der Analyse spricht anfangs das Ich des Patienten zum Analytiker in der Position des anderen. Der Imperativ der Psychoanalyse lautet: Das Subjekt soll sprechen, das Es soll zu Wort kommen. Dazu ist es nötig, dass das Ich dorthin kommt, wo das Es war, das Ich muss einen Zugang dazu gewinnen, von welchem Platz aus das Subjekt seine Symptome produziert und wie der Trieb darin verwickelt ist. Damit wird das Ich ins Spiel gebracht. Das Ich hat nicht nur die Funktion, andere als Objekte zu konstituieren. Es hat auch die Aufgabe, eine Beziehung zwischen dem Subjekt und dem Anderen zu ermöglichen.
Die herzustellende Beziehung zwischen dem Subjekt und dem Anderen besteht darin, dass eine Anerkennung vollzogen wird. Es gibt etwas, was nicht anerkannt wird (das vom Anderen kommende Mandat), diese Nicht-Anerkennung führt zur Symptombildung, dazu, dass das Subjekt in Symptomen spricht. Am Ende der Analyse soll die ausstehende Anerkennung vollzogen werden.
Im Verlauf der Analyse werden Erfahrungen, die nichts miteinander zu tun zu haben schienen, in einen Zusammenhang gebracht.
… „Im Laufe einer Analyse kann es etwas geben, das wie ein Objekt geformt ist. Aber dieses Objekt, weit davon entfernt, das zu sein, worum es geht, ist davon nur eine grundlegend entfremdete Form. Es ist das imaginäre Ich, das ihm sein Zentrum gibt und seinen Verbund, und es ist vollkommen mit einer mit der Paranoia verwandten Form von Entfremdung / Geisteskrankheit / aliénation identifizierbar. Daß das Subjekt schließlich ans Ich glaubt, ist als solches eine Verrücktheit. Gott sei Dank reüssiert hier die Analyse selten genug, aber daß man sie in die Richtung da treibt, dafür haben wir tausend Beweise.
Das wird unser Programm fürs nächste Jahr sein – was heißt Paranoia? Was heißt Schizophrenie? Im Unterschied zur Schizophrenie steht die Paranoia immer in Relation zur imaginären Entfremdung des Ich.“ (314 f., Übersetzung geändert)
Im Verlauf einer Analyse kann ein Objekt gebildet werden, viele Analytiker fordern das sogar. Vermutlich denkt Lacan hier unter anderem an Maurice Bouvet32, den er wegen seiner Konzeption der Objektbeziehung besonders häufig und ausführFlich kritisiert.33 Im Schema wäre dieses Objekt am Platz des anderen zu verorten. Das Zentrum dieses Objekts ist das Ich.
Das ist jedoch nicht das, worum es in einer Analyse geht, sondern eine entfremdete Form davon.
Schema L hat also eine polemische Stoßrichtung. Man kann das Schema unter anderem so lesen: Viele Analytiker fordern, die Analyse an der Beziehung zum Objekt auszurichten, also am imaginären Verhältnis zwischen dem anderen und dem Ich. Das ist falsch. Es kommt darauf an, die Analyse anders zu orientieren, an der Beziehung zwischen dem Anderen und dem Subjekt.
Die imaginäre Objektbeziehung ist mit der Paranoia verwandt. Der Verfolger ist das imaginäre Objekt, das Ideal; Lacan hatte diese These bereits 1932 in Die paranoische Psychose ausgearbeitet.
Die Paranoia kann also in Schema L eingetragen werden, die Beziehung zum Anderen wird hier durch die Beziehung zum anderen ersetzt. Im Aufsatz Über eine Frage, die jeder möglichen Behandlung der Psychose vorausgeht (1958) wird Lacan diesen Gedanken ausarbeiten und Varianten von Schema L entwickeln, die sich speziell auf die Psychose beziehen.34
1. Juni 1955
„Das Schema, das ich Ihnen das letzte Mal gegeben habe, setzt voraus, daß das Sprechen sich ausbreitet wie das Licht, geradlinig. Das soll Ihnen sagen, daß es nur metaphorisch, analogisch ist.
Was mit der Sprachmauer interferiert, ist die Spiegelrelation, durch die das, was zum Ich [moi] gehört, immer durchdrungen, angeeignet wird durch die Vermittlung eines anderen, der für das Subjekt immer die Eigenschaften des Urbildes*, des fundamentalen Bildes des Ich behält. Von daher die Verkennungen, dank denen sich ebenso die Mißverständnisse herstellen wie die gewöhnliche Kommunikation, die auf besagten Mißverständnissen beruht.“ (316)
Im L-Schema wird das wahre Sprechen durch eine gerade Linie repräsentiert, durch die Beziehung zwischen S und A. Auf dieser Metapher beruht das Schema; Lacan betont, dass es sich dabei nur um eine Analogie handelt.
Die Sprachmauer – der objektivierende Charakter der Sprache als Benennungssystem – interferiert mit der imaginären Beziehung zum anderen. In dieser Beziehung hat der andere die Eigenschaften des Urbildes, des Spiegelbildes.35 Das führt dazu, dass der andere in seiner Andersheit verkannt wird. Dies zeigt sich in den Missverständnissen, auf denen die Kommunikation außerhalb der Psychoanalyse beruht; das Fundament dieser Kommunikation ist die Projektion.
… „Das Schema hat mehr als eine Eigenschaft, wie ich Ihnen gezeigt habe, indem ich Sie lehrte, es zu transformieren. Ich habe Ihnen ebenfalls angedeutet, dass die Haltung des Analytikers stark differieren und in der Analyse zu unterschiedlichen, ja sogar gegensätzlichen Konsequenzen führen kann.
Wir sind am Fuß der Mauer angelangt oder an der Wegkreuzung – was geschieht in der Analyse, je nachdem ob man die Beziehung des Sprechens als matriziell setzt, als unentbehrlich oder im Gegenteil die analytische Situation objektiviert, ob man das versucht, worauf ich Sie seit langem hingewiesen habe, nämlich die Widerstandsanalyse in bestimmter Form durchzuführen, was dazu führt, die Objektivierung wiederherzustellen, diesen Objektivierungsversuch. Mit je nach Autor und Praktiker unterschiedlicher Intensität macht jede Objektivierung aus der Analyse einen Prozeß der Ummodelung des Ich nach dem Modell des Ich des Analytikers.“ (316, Übersetzung geändert nach Version Staferla)
Lacan spricht hier als Politiker der Psychoanalyse. Die Psychoanalyse steht vor einer Gabelung ihres Weges. Sie muss sich entscheiden, welchen Weg sie einschlagen will, wie sie die psychoanalytische Situation theoretisch und praktisch angehen will.
Sie hat die Möglichkeit, in der Beziehung zwischen dem Analytiker und dem Patienten das Sprechen für die Matrix zu halten, für die Gebärmutter, in der etwas Neues geschaffen wird. Für diesen Weg optiert Lacan.
Sie kann den Patienten aber auch zum Objekt machen. Das geschieht etwa bei bestimmten Formen der Widerstandsanalyse – nicht bei der Widerstandsanalyse schlechtin, sondern bei bestimmte Formen, die von Lacan an dieser Stelle leider nicht näher bestimmt werden. Hier bildet die imaginäre Beziehung zwischen dem Ich und dem anderen das Zentrum der Analyse. Das heißt aber: der Analytiker versucht, den Patienten nach einem Vorbild umzumodeln, das Modell ist hier das Ich des Analytikers.
29. Juni 1955
„Ehe ich Sie verlasse und weil interpunktiert werden muss, weil ein Schlußpunkt gesetzt werden muß, der Ihnen als Orientierungstafel dient, möchte ich die vier Pole wiederaufnehmen, die ich mehr als einmal an die Tafel geschrieben habe. Ich beginne mit A, das der radikal Andere ist, der der achten oder neunten Hypothese des Parmenides, der ebensowohl der reale Pol der subjektiven Beziehung ist und das, woran Freud die Beziehung zum Todestrieb festmacht.“ (407, Übersetzung geändert)
Lacan bezieht sich auf die vier Eckpunkte von Schema L. Das große A steht für denjenigen, der gerade nicht mein Ebenbild ist, der radikal anders ist.
Vom radikal Anderen spricht Platon in seinem Dialog Parmenides. Wenn Eins nicht ist (so heißt es in der 8. Deduktion), dann sind die Anderen weder Eins noch Vieles, dann gibt es vom Anderen auch keine Vorstellung und keinen Schein (165e–166c). Der Andere ist insofern der radikal Andere, als es dem Subjekt nicht gelingt, ihn zu symbolisieren und auch nicht, ihn zu imaginieren, mit Platon: insofern es von ihm keine Vorstellung gibt (keine Signifikanten) und keinen Schein (keine Bilder).
Der Andere ist der reale Pol der subjektiven Beziehung. In der Beziehung zwischen dem Anderen und dem Subjekt hat der Andere demnach die Funktion des Realen. In Seminar 1 hatte Lacan das Reale so definiert: Das Reale ist das, was der Symbolisierung absolut widersteht36; vgl. diesen Blogbeitrag. Der Andere ist insofern der reale Pol der subjektiven Beziehung, als es in der Beziehung zu ihm etwas gibt, was nicht symbolisiert werden kann. Ich vermute, dass Lacan sich damit wieder auf das Problem der Lüge bezieht: dafür, dass der Andere aufrichtig ist, gibt es im Sprechen keine Garantie; die Wahrheit widersetzt sich der Symbolisierung und ist in diesem Sinne real.
Der Andere steht in Beziehung zum Todestrieb. Der Todestrieb ist, Freud zufolge, stumm.37 Freuds Begriff des Todestriebs gibt einen Hinweis darauf, in welchem Sinne der Andere real ist: insofern als in der Beziehung zu ihm etwas nicht gesagt werden kann.
In der Achse A-S, in der Beziehung zwischen dem Subjekt (bzw. dem Es) und dem Anderen geht es nicht nur um das Symbolische, sondern auch um das Reale (am Ende dieser Sitzung wird Lacan darauf zurückkommen).
… „Dann haben Sie hier m, das moi / das Ich, und a, der andere, der gar kein anderer ist, weil er wesentlich mit dem Ich gekoppelt ist, in einer immer reflexiven, austauschbaren Beziehung – das Ego ist immer ein Alter Ego.“ (407, Übersetzung geändert)
Lacan wechselt im Schema L zu den Punkten unten links und oben rechts. Der Punkt unten links ist hier mit m beschriftet, für moi, Ich (nicht, wie in der Version des Poe-Aufsatzes, mit a). Der imaginäre andere wird mit dem Symbol a bezeichnet (im Poe-Aufsatz mit dem Symbol aꞌ). Der mit kleinem a geschriebene andere ist kein wahrhaft anderer, kein radikal anderer, er ist, unvorsichtig gesprochen, eine Projektion des Ichs.
Das Ich und der andere sind austauschbar; dem liegt der sogenannte Transitivismus zugrunde, den Charlotte Bühler bei Kindern eines bestimmten Alters entdeckte hatte. Paul schlägt Anna und beschwert sich darüber, dass er von Anna geschlagen wurde – nicht etwa um zu täuschen, sondern weil er Anna mit sich identifiziert: wenn er schlug, war es Anna, die ihn schlug. In einem Aufsatz über die Familie von 1938 hatte Lacan dieses Phänomen mit seiner Konzeption des Spiegelstadiums in Verbindung gebracht.38 Später beruht die Austauschbarkeit auf Projektion und Identifizierung.
… „Hier haben Sie S, das zugleich das Subjekt ist, das Symbol und auch das Es*. Die symbolische Realisierung des Subjekts, die immer symbolische Schöpfung ist, ist die Beziehung, die von A zu S geht. Sie ist zugrundeliegend, unbewußt, wesentlich für jede subjektive Situation.“ (407 f., Übersetzung geändert)
Lacan wechselt zum Punkt oben links. Das S hat drei Bedeutungen, es steht für das Subjekt, für das Symbol und für das deutsche Wort „Es“. Wenn man wissen will, was mit dem Subjekt gemeint ist, muss man den Zusammenhang zwischen dem Subjekt, dem Symbol und dem Es rekonstruieren, d.h. das Verhältnis zwischen dem Subjekt und dem symbolischen Aspekt des Triebs, in Freuds Terminologie: den psychischen Triebrepräsentanzen.
Unter dem Symbol versteht Lacan im Rom-Vortrag das Symptom: Signifikant eines verdrängten Signifikats.39 Das Subjekt ist demnach der Symptomproduzent.
Im selben Aufsatz charakterisiert er die „Subjektivität des Kindes“ dadurch, dass es „aus seinen exkrementellen Ausscheidungen Aggression, aus seiner Verhaltung Verführung und aus seiner Entleerung Symbole macht“40. Damit ist der Zusammenhang zwischen dem Subjekt, dem Symbol und dem Es klar: Die Subjektivität des Kindes besteht darin, dass es aus seinen analen Triebregungen Symbole macht (zu ergänzen ist: mit denen es sich auf den Anderen bezieht). Das Subjekt betätigt sich unter anderem darin, dass es seine Ausscheidungen in Symbole verwandelt (mit denen es sich an den Anderen wendet).
Schema L antwortet damit auf die von Freud in Das Ich und das Es vorgestellte Lehre von den drei Instanzen Ich, Es und Über-Ich. Der Eckpunkt oben links, S, entspricht dem Freudschen Es, die beiden Punkte unten links und oben rechts stellen das Ich dar; aus dem Vorbewussten wird die Sprachmauer. Man kann also vermuten, dass der Punkt unten rechts, A, in Beziehung zum Über-Ich steht, allerdings so, dass dieser Terminus gerade nicht verwendet wird; das Verhältnis zwischen dem Anderen und dem Über-Ich ist für Lacan offenbar problematisch. Damit ist klar: Schema L ist Lacans Alternative zu Freuds zeichnerischer Darstellungen der zweiten Topik in Das Ich und das Es von 1923 (links) und in der Neuen Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse von 1933 (rechts) (zum Vergrößern anklicken).
Die symbolische Realisierung des Subjekts verläuft von A zu S, sie geht vom Anderen aus und zielt auf das Subjekt. Im Schema kann man den von A zu S führenden Pfeil als den der symbolischen Realisierung des Subjekts bezeichnen. A ist nicht nur der reale Pol der Beziehung zwischen A und S, sondern zugleich der Ausgangspunkt der symbolischen Realisierung des Subjekts. Die Achse A – S ist zugleich symbolisch und real.
Die vom Anderen ausgehende symbolische Realisierung des Subjekts ist immer eine symbolische Schöpfung, sie führt etwas radikal Neues in die Welt ein. In Seminar 1 hatte Lacan das anhand eines Autorenvertrages erläutert, den ein gewisser Herr Keller mit einem New Yorker Verlag abschließt. „Von dem Moment an, wo Herr Keller die Bestellung empfangen, mit ja geantwortet, einen Vertrag signiert hat, ist Herr Keller in der Tat nicht mehr derselbe Herr Keller. Es ist ein anderer Keller, ein engagierter Keller, und es ist auch ein anderes Verlagshaus, ein Verlagshaus, das einen Vertrag mehr hat, ein Symbol mehr.“41 Im Ethik-Seminar wird Lacan diesen Gedanken mit der theologischen Figur der creatio ex nihilo erläutern.42
Das Schema bezieht sich jedoch nicht auf bewusste Beziehungen dieser Art, sondern auf unbewusste, auf den vom Anderen ausgehenden unbewussten Diskurs. Im Schema wird dies dadurch angezeigt, dass der von A ausgehende Pfeil mit „unbewusst“ beschriftet ist. Im Rom-Vortrag hatte Lacan geschrieben, das Unbewusste sei der Diskurs des Anderen (der dort noch mit kleinem a geschrieben wird)43; vgl. hierzu in diesem Blog den Artikel „Das Unbewusste ist der Diskurs des Anderen“.
Lacan unterscheidet in Schema L also das Unbewusste und das Es: Das Unbewusste ist der Diskurs des Anderen; das Es wird auf der Seite des Subjekts verortet.
Wie kann der Andere zugleich der reale und der symbolische Pol der symbolischen Realisierung des Subjekts sein? Ich nehme an, dass sich das auflösen lässt, wenn man Beobachterperspektive und Teilnehmerperspektive unterscheidet. Von außen gesehen, aus der Beobachterperspektive des Analytikers, ist der Andere derjenige, der an das Subjekt den universalen Diskurs weitergibt; von ihm aus gesehen gehört der Andere zur Ordnung des Symbolischen. Vom Subjekt aus betrachtet, aus der Teilnehmerperspektive, sind die vom Anderen kommenden Diskurse und Mandate rätselhaft, unsinnig. Es kann sie nicht anerkennen. Mit dem „realen Pol der subjektiven Beziehung“ ist also vermutlich gemeint: „der Pol der Beziehung, der sich vom Standpunkt des Subjekts aus als real darstellt“.
Für das Subjekt ist der Andere ein realer Anderer. Eben deshalb kann es sich zu dessen Appellen nur durch Übertragung in Beziehung setzen, also durch Wiederholung, nicht durch Erinnern.44 Das vom Anderen kommende wahre Sprechen kann vom Subjekt hartnäckig nicht symbolisiert werden, deshalb insistiert es in der Wiederholung und in diesem Sinne ist der Andere für das Subjekt real.
… „Diese Schematisierung geht nicht von einem isolierten und abstrakten Subjekt aus. Alles ist gebunden an die symbolische Ordnung, seit Menschen auf der Erde sind und seit sie sprechen. Und was sich übermittelt und sich zu konstituieren trachtet, ist eine immense Botschaft [message], in der das gesamte Reale nach und nach umgesetzt, neu erschaffen, umgearbeitet wird. Die Symbolisierung des Realen strebt danach, dem Universum äquivalent zu sein, und die Subjekte sind dabei nur Schaltstellen, Träger. Was wir darin vornehmen, ist ein Schnitt auf dem Niveau einer dieser Kopplungen.“ (408, Übersetzung geändert)
Das Schema L geht nicht von einem isolierten Subjekt aus, darin unterscheidet es sich von Freuds Diagramm. Im Schema L ist das Subjekt nicht vor dem Anderen da, es bezieht sich nicht sekundär auf den Anderen. Vielmehr wird es durch die vom Anderen ausgehende Botschaft überhaupt erst konstituiert; der Pfeil geht vom Anderen zum Subjekt.
Ausgangspunkt ist die symbolische Ordnung; es gibt sie, seit Menschen sprechen. Die symbolische Ordnung arbeitet das Reale in das Symbolische um und erschafft es damit neu; dies ist Schöpfung aus dem Nichts. Lacan stellt sich die Symbolisierung des Realen als einen autonomen und expansiven Prozess vor, in dem die Menschen die Funktion haben, Schaltstellen zu sein, Übermittler.45 Die Menschen werden dadurch zu Trägern dieses Prozesses, dass das Symbolische sich in Form von Botschaften an sie wendet.
Die Psychoanalyse bezieht sich auf einen Ausschnitt aus der Verkoppelung des Symbolischen und des Realen.
Im Diagramm ist also nicht nur das Symbolische und das Imaginäre zu verorten, sondern auch das Reale. Es wird hier auf doppelte Weise repräsentiert. Erstens auf der Seite des Anderen; er hat nicht nur eine symbolische Funktion, für das Subjekt ist er auch der reale, der nicht symbolisierbare Andere.
Die vom Anderen ausgehende Beziehung zum Subjekt steht aber zugleich für die Symbolisierung des Realen. Hier ist das Subjekt am Platz des Realen, als das, was symbolisiert werden soll, sich aber der Symbolisierung dadurch widersetzt, dass es die vom Anderen kommenden Botschaften nicht anerkennt. Das könnte eine Nebenbedeutung des Begriffs des „Es“ sein. Das Es im Sinne des Triebs ist für Lacan nicht das Reale. Die Triebe haben aber eine Grundlage, die sich der theoretischen Erfassung entzieht, Freud stellt das immer wieder heraus; er unterscheidet die Triebe nach ihrer organischen Seite und ihre psychischen Repräsentanzen und er betont, dass sich der Zusammenhang dieser beiden Seiten der Erkenntnis entzieht.
Ich überspringe etwa eine Seite.
Auch Tiere, heißt es dann, nehmen bereits Generalisierungen vor.
„Was jedoch neu ist beim Menschen, das ist, daß etwas bereits offen genug ist, unmerklich verrückt in der imaginären Koaptation, so daß sich der symbolische Gebrauch des Bildes einschalten kann.
Es ist bei ihm eine bestimmte biologische Kluft zu supponieren, jene, die ich Ihnen zu definieren versuchte, wenn ich Ihnen vom Spiegelstadium spreche. Die totale Bestrickung des Begehrens, der Aufmerksamkeit, setzt bereits den Mangel voraus. Der Mangel ist schon da, wenn ich vom Begehren des menschlichen Subjekts in bezug auf sein Bild spreche, von jener äußerst allgemeinen imaginären Beziehung, die man Narzißmus nennt.
Die tierischen lebendigen Subjekte sind sensibel für das Bild ihres Typs. Ein absolut wesentlicher Punkt, dank dem die ganze lebendige Schöpfung nicht eine ungeheure Orgie ist. Das menschliche Wesen aber hat eine spezielle Beziehung zu dem Bild, welches das seinige ist – eine Beziehung der Kluft, der entfremdenden Spannung. Da schaltet sich die Möglichkeit der Ordnung der Präsenz und der Absenz ein, das heißt der symbolischen Ordnung. Die Spannung zwischen dem Symbolischen und dem Realen liegt da zugrunde. Sie ist substantiell, wenn Sie schon dem Terminus Substanz seinen reinen etymologischen Sinn geben wollen. Das ist ein hypokeimenon.“ (409)
Die Art und Weise, wie Menschen sich auf Bilder beziehen, unterscheidet sich von der Bildbeziehung der anderen Tiere. Die nicht-menschlichen Tiere sind für das Bild ihres Typs sensibel, was zur Folge hat, dass sie speziell mit Tieren ihrer Gattung kopulieren und nicht etwa mit der gesamten Schöpfung.
Die Beziehung des Menschen zu Bildern ist anders: sie ist offen, sie enthält eine Spannung. Das ermöglicht es, dass sich das Symbolische hier einschreiben kann, die Ordnung von Anwesenheit und Abwesenheit. Die Offenheit zeigt sich gerade darin, dass der Mensch vom Bild völlig gefesselt ist, was von Freud als Narzissmus beschrieben wurde. Diese Faszination setzt einen Mangel voraus, eben die Öffnung, in die sich das Symbolische einschreiben kann.
In Schema L hat die Beziehung zwischen a und aꞌ also nicht nur die Funktion, die von A nach S gehende symbolische Beziehung zu blockieren, sie ist zugleich dafür offen.
In die Kluft des Imaginären schreibt sich das Symbolische ein. Dem liegt die Spannung zwischen dem Symbolischen und des Realen zugrunde. Die Spannung des Symbolischen und des Realen ist die Substanz, das hypokeimenon, das Zugrundeliegende. Lacan spielt hier vermutlich auf ein Diktum von Hegel an, „Die Substanz ist Subjekt“. Das griechische Wort hypokeimenon, Zugrundeliegendes, wurde mit subiectum ins Lateinische übersetzt. Das könnte heißen: das Subjekt ist die Spannung zwischen dem Symbolischen und dem Realen. „S“ meint das Subjekt, das Symbol und das Es. Das heißt wohl: Das Subjekt ist der Ort, an dem die Spannung zwischen dem Symbolischen und dem Realen ausgetragen wird.
Klar ist auf jeden Fall, dass Lacan hier versucht, den Zusammenhang aller drei Register zu bestimmen: des Imaginären, des Symbolischen und des Realen. Beim Schema L geht es keineswegs nur um das Verhältnis zwischen dem Imaginären und dem Symbolischen.
… „Für alle menschlichen Subjekte, die existieren, wird die Beziehung zwischen dem A und dem S immer über die Vermittlung dieser imaginären Substrate laufen, die das Ich und der andere sind und die die imaginären Fundamente des Objekts konstituieren – A, m, a, S.“ (409)
Lacan beschreibt die Gesamtkonstruktion von Schema L. Grundlegend ist die symbolische Beziehung zwischen dem Anderen und dem Subjekt, zwischen A und S. Diese Beziehung wird vermittelt durch die imaginären Substrate, nämlich durch das Verhältnis zwischen dem Ich (m) und dem anderen (a). Zwischen A und S schalten sich m und a ein, was sich durch die Symbolfolge AmaS darstellen lässt.
Im Lateinischen heißt amas „du liebst“. Das wird von Lacan nicht kommentiert, und vielleicht ist der Liebeseffekt hier zufällig. Wenn man mag, kann man „AmaS“ so deuten: Das Schema zeigt, dass sich bei der Liebe zwei gegensätzliche Beziehungen in die Quere kommen: die narzisstische Verliebtheit und die symbolische Beziehung zum Anderen, der mir seinen Subjektcharakter dadurch beweist, dass er mich belügt. Man könnte aber auch behaupten, dass „amas“ darauf verweist, dass das Begehren das Begehren des Anderen ist: du liebst.
… „Versuchen wir ein bißchen Laterna magica zu spielen. Wir werden in die mechanische Untiefe geraten, die der Feind des Menschen ist, indem wir uns vorstellen, daß sich am Schnittpunkt zwischen der symbolischen Richtung und dem Durchgang durchs Imaginäre eine Triodenröhre befindet. Nehmen wir an, daß ein Strom durch den Stromkreis fließt. Besteht ein Vakuum, dann kommt es von der Kathode zur Anode zu einem elektronischen Bombardement, dank dem der Strom fließt. Außer der Anode und der Kathode gibt es eine dritte Ode, die quer steht. Sie können hier den Strom durchfließen lassen, indem Sie positiv laden, so daß die Elektronen zur Anode gleiten werden, oder indem Sie negativ laden und dadurch den Prozeß glatt unterbrechen – was aus dem Negativen emaniert, wird von dem Negativen, das Sie dazwischenschieben, abgestoßen.
Das ist einfach eine neue Illustration der Geschichte von der Tür, von der ich Ihnen neulich wegen der ungleichen Zusammensetzung des Auditoriums gesprochen habe. Sagen wir, es ist eine Tür der Tür, eine Tür in zweiter Potenz, eine Tür in der Tür, das Imaginäre ist auf diese Weise in der Position, zu unterbrechen, zu zerhacken zu skandieren, was auf dem Niveau des Stromkreises geschieht.“ (409 f.)
Die Laterna magica ist ein Gerät zur Bildprojektion, das früher im populärwissenschaftlichen Anschauungsunterricht eingesetzt wurde. Lacan spielt Laterna magica: er wird jetzt sehr anschaulich.
Eine Triodenröhre ist eine Glasröhre mit drei Elektroden, die sich in einem Vakuum befinden. Neben der Kathode und der Anode gibt es das Steuergitter; es hat die Funktion, in den Fluss der Elektronen von der Kathode zur Anode einzugreifen. Wie eine Tür geöffnet und geschlossen werden kann, lässt sich das Steuergitter ein und ausschalten. Wenn es eingeschaltet ist, ist es negativ geladen, hierdurch stößt es die von der Kathode kommenden, ebenfalls negativ geladenen Elektronen ab; der Elektronenfluss von der Kathode zur Anode wird blockiert.
In der nebenstehenden Abbildung habe ich in Schema L das Diagramm einer Triode eingefügt. Der Elektronenfluss von der Kathode zur Anode entspricht der Beziehung des Anderen zum Subjekt; das Steuergitter liegt auf der Ebene der imaginären Beziehung zwischen dem Ich und dem anderen. Die imaginäre Beziehung kann die Beziehung des Anderen zum Subjekt unterbrechen. Wenn die symbolische Realisierung des Subjekts ermöglicht werden soll, muss die blockierende imaginäre Beziehung ausgeschaltet werden.
Mit diesem Bild scheint Lacan sich weit von Freud entfernt zu haben, aber nur auf den ersten Blick. In Jenseits des Lustprinzips erklärt Freud den Unterschied zwischen dem Unbewussten und dem Bewusstsein durch zwei Arten von Erregungsabläufen. Es gibt Erregungen, die Dauerspuren erzeugen (Unbewusstes) und solche, die verpuffen, ohne Spuren zu hinterlassen (Bewusstsein). Die Dauerspuren entstehen möglicherweise dadurch, sagt Freud, dass im Unbewussten beim Übergang von einem Element zum anderen ein Widerstand überwunden werden muss; im Bewusstsein hingegen scheint ein solcher Widerstand nicht zu bestehen. Dies wiederum kann möglicherweise, so spekuliert Freud weiter (er stützt sich dabei auf Breuer), auf den Unterschied zwischen zwei Energiearten zurückgeführt werden: zwischen gebundener und freier Energie. Im Unbewussten ist die Energie vielleicht gebunden oder ruhend, im Bewusstsein frei oder abfuhrfähig.46 Von diesen energietheoretischen Erwägungen ist Lacans Triodenröhre mit dem Gegensatz von ungehemmten und gehemmten Elektronenflüssen nicht so weit entfernt.
Auch für die Dreigliedrigkeit des Modells Kathode – Steuerungsgitter – Anode findet man in Jenseits des Lustprinzips eine Entsprechung. Die lebende Substanz, heißt es hier, wird von Reizeinwirkungen getroffen; um von ihnen nicht erschlagen zu werden, benötigt sie einen Reizschutz.47 Möglicherweise hat Lacan sich davon anregen lassen. Das Verhältnis von Reiz und lebender Substanz ist von ihm vielleicht durch die Beziehung von Kathode und Anode ersetzt worden, von Anderem und Subjekt. Die Entsprechung zum Reizschutz wäre dann das Steuerungsgitter, also das imaginäre Verhältnis zwischen dem Ich und dem anderen. Bei von innen kommenden Reizen besteht der Reizschutz, Freud zufolge, in der Projektion.48 In Lacans Triodenröhre wird das Steuerungsgitter durch die Beziehung zwischen dem Ich und dem anderen erzeugt, es besteht aus einer Art Projektion.
Ähnlich wie der Reizschutz, Freud zufolge, mit einem eigenen Energievorrat ausgestattet ist49, verfügt das Steuerungsgitter der Triode über eine eigene Stromquelle.
… „Beachten Sie, daß das, was zwischen A und S geschieht, einen für sich selbst konflikthaften Charakter hat. Im besten Fall durchkreuzt, stoppt, schneidet, zerhackt der Stromkreis sich selbst. Ich sage im besten Fall, denn der universale Diskurs ist symbolisch, er kommt von weit her, wir haben ihn nicht erfunden. Nicht wir haben das Nicht-Sein erfunden, wir sind in ein Eckchen des Nicht-Seins gefallen. Und was die Übermittlung des Imaginären betrifft, so haben wir davon auch unser Fett weg mit all der Unzucht unserer Eltern, Großeltern und anderen Skandalgeschichten, die das Salz der Psychoanalyse ausmachen.“ (410)
Angenommen, die imaginäre Beziehung zwischen dem Ich und dem anderen ist unwirksam (das Steuergitter ist ausgeschaltet), dann heißt das nicht, dass sich zwischen dem Anderen und dem Subjekt eine konfliktfreie Beziehung herstellen würde. Die Beziehung des Anderen zum Subjekt ist in sich selbst konflikthaft, der von A nach S fließende Strom unterbricht gewissermaßen sich selbst.
Und das ist noch die einfachste Konfliktform in der symbolischen Beziehung zwischen dem Subjekt und seinen Anderen. Der symbolische Konflikt wird dadurch kompliziert, dass die Beziehung zwischen dem Subjekt und dem Anderen eingebettet ist in den „universalen Diskurs“, der seit Urzeiten seinen Fortgang nimmt und zu dem beispielsweise die Wünsche der Eltern noch vor der Geburt des Kindes gehören.50
Das Subjekt ist der Ort, an dem die Spannung zwischen dem Symbolischen (dem universalen Diskurs) und dem Realen ausgetragen wird. Das wird jetzt so formuliert: Das Symbolische erzeugt das Nicht-Sein, den Seinsmangel; das Subjekt ist etwas, was in ein Eckchen dieses Nicht-Seins gefallen ist, Seinsmangel.51 Das Subjekt ist der Ort, an dem die Spannung zwischen dem Realen und dem Symbolischen ausgetragen wird: in der Form des Seinsmangels, des Begehrens.
Nicht nur die symbolische, auch die imaginäre Beziehung wird durch die Generationen überliefert, das zeigen die Geschichten über der Unzucht unserer Eltern und Großeltern, die sich auf das imaginäre Verhältnis stützt.
… „Von da aus sind die Notwendigkeiten der Sprache und die der zwischenmenschlichen Kommunikation leicht zu verstehen. Sie kennen diese Botschaften, die das Subjekt in einer Form aussendet, die sie strukturiert, sie grammatikalisiert, als vom anderen herkommend, in einer umgekehrten Form. Wenn ein Subjekt zu einem anderen sagt, Du bist mein Lehrer oder Du bist meine Frau, so heißt das genau das Gegenteil. Das läuft über A und über m, und das kommt dann zum Subjekt, das davon auf einmal in der gefahrvollen und problematischen Position des Gatten oder des Schülers inthronisiert wird. Auf diese Weise drückt sich das grundlegende Sprechen aus.“ (410)
Der Sender erhält seine eigene Botschaft vom Empfänger in umgekehrter Form, so hatte Lacan im Rom-Vortrag geschrieben (vgl. diesen Blogartikel).52 Wenn das Subjekt zu jemandem sagt „Du bist mein Lehrer“, erhält es die Botschaft „Du bist mein Schüler“ oder auch „Du bist sein Schüler“; wenn es zu jemandem sagt „Du bist meine Frau“, empfängt es die Botschaft „Du bist mein Mann“ bzw. „Du bist ihr Mann“. Das Subjekt erhält seine eigene Botschaft – die Botschaft über das, was es ist – aufgrund der Regeln der Grammatik, durch die „Notwendigkeiten der Sprache“. Wenn es sagt: „Du bist mein Lehrer“ impliziert dies, dass der Adressat zu ihm sagt: „Du bist mein Schüler“ bzw. dass der Andere zu ihm sagt „Du bist sein Schüler“. Das Subjekt erhält seine eigene Botschaft – dass es der Schüler eines anderen ist – in umgekehrter Form.
Das kann in Schema L eingetragen werden. Das Ich sendet dem anderen die Botschaft „Du bist meine Frau“. Dies hat zur Folge, dass es vom Anderen die Botschaft erhält „Du bist ihr Mann“.
Die Botschaften, die das Subjekt vom Anderen erhält, sind keineswegs beruhigend. Sie stellen das Subjekt vor Fragen, die es umtreiben: „Was heißt es, ein Schüler zu sein?“, „Was heißt es, der Mann einer Frau zu sein?“ Das Subjekt ist der Ort, an dem die Spannung zwischen dem Symbolischen und dem Realen ausgetragen wird, das heißt: der Ort, an dem das vom Anderen kommende Mandat eine Krise erzeugt. Die Krise kann etwa darin bestehen, auf die Frage „Was heißt es, die Frau eines Mannes zu sein?“ eine Antwort zu suchen und nicht finden zu können.
… „Nun, worum geht’s beim Symptom, anders gesagt bei einer Neurose? Sie haben feststellen können, daß im Stromkreis das Ich [moi] wirklich vom Subjekt getrennt ist durch das kleine a, das heißt durch den anderen. Und doch besteht eine Verbindung. Ich, ich bin Ich, und Sie, sie sind’s ebenfalls. Zwischen den beiden gibt es jene strukturierende Gegebenheit, daß die Subjekte eingefleischt sind, verkörpert. In der Tat, was auf dem Niveau des Symbols geschieht, geschieht bei Lebewesen. Was in S ist, läuft, um sich durch den körperlichen Träger des Subjekts zu enthüllen, durchläuft eine biologische Realität, die eine Teilung herstellt zwischen der imaginären Funktion des Lebewesens, von der das Ich eine der strukturierten Formen ist – wir brauchen uns darüber nicht so zu beklagen –, und der symbolischen Funktion, die es zu erfüllen imstande ist und die ihm eine herausragende Position gegenüber dem Realen gibt.“ (410 f., Übersetzung geändert)
Wo ist im Diagramm das Symptom bzw. die Neurose zu verorten?
Lacan deutet das Schema an dieser Stelle so: Vom Ich wird gewissermaßen eine Direktverbindung zum Subjekt angestrebt (a-S bzw. m-S); anders gesagt: das Ich des Patienten will wissen, was mit ihm los ist. Dieser Zugang kann jedoch nicht hergestellt werden, und zwar deshalb nicht, weil sich ihm der Narzissmus in den Weg stellt, weil also das Ich sich, statt auf das Subjekt, auf den anderen bezieht; der Beziehung a-S stellt sich dem Verhältnis a-aꞌ in die Quere.
Der Zugang des Ichs zum Subjekt wird durch die imaginäre Beziehung zwischen dem Ich und dem anderen jedoch nicht ganz und gar blockiert. Dem Ich ist der Zugang zum Subjekt dadurch möglich, dass das Subjekt Symptome produziert.
Die imaginäre Beziehung zwischen dem Ich und den anderen beruht auf der biologischen Realität, darauf, dass Menschen Körper haben, dass sie „eingefleischt“ sind.
Die biologische Realität bezieht sich nicht nur auf die imaginäre Relation, sondern auch auf das Symbol. Man muss sich hier daran erinnern, dass der Punkt S im Diagramm nicht nur für „Subjekt“ steht, sondern auch für „Symbol“.53 Das, was auf der Ebene des Symbols geschieht, ereignet sich bei Lebewesen. Der Punkt S repräsentiert nicht das isolierte Symbol, sondern die Beziehung zwischen dem Symbol und der biologischen Realität des Lebewesens. Ich nehme an, dass hier mit der biologischen Realität bestimmte Strebungen gemeint sind, die von anderen (nicht von Lacan) als „Triebe“ bezeichnet werden; zumindest wird der Ausdruck „Realität“ ein paar Seiten später so verwendet (vgl. 412 f.). Damit zeichnet sich andeutungsweise Lacans Triebbegriff ab: der Trieb ensteht durch die Einwirkung des Signifikanten in die biologische Realität, in bestimmte Strebungen, die dadurch Bedeutungen erhalten.
Was in S ist, durchläuft eine biologische Realität, und enthüllt sich im Register des Imaginären durch den körperlichen Träger des Subjekts, ich nehme an: als Symptom.
Die biologische Realität des Körpers ist jedoch nicht nur eine vermittelnde Größe zwischen S und a, sie stellt zugleich eine Teilung her zwischen zwei Größen: zwischen der imaginären Funktion des Lebewesens, wovon das Ich eine strukturierte Form ist, und der symbolischen Funktion, die das Lebewesen zu erfüllen imstande ist, und die ihm eine herausragende Position gegenüber dem Realen gibt, also gegenüber dem, was nicht symbolisiert ist und was zu symbolisieren er sich bemüht.
… „Was geschieht, wenn es eine Neurose gibt, ist dies. Sagen, dass es ein Verdrängtes gibt, ein Verdrängtes, das niemals ohne Wiederkehr abgeht, heißt genau darauf anzuspielen, dass etwas vom Diskurs, der von A nach S geht, durchkommt und zugleich nicht durchkommt. (411, übersetzt nach Version Staferla)
Wenn man sagt, dass es eine Neurose gibt, behauptet man damit, dass es etwas Verdrängtes gibt und dass das Verdrängte wiederkehrt: als Symptom.
Bezogen auf Schema L heißt das, dass in dem Diskurs, der von A nach S verläuft, etwas zugleich durchkommt und nicht durchkommt. Im Diagramm (Version aus dem Poe-Aufsatz) wird der problematische Charakter der Beziehung A-S dadurch repräsentiert, dass die Linie zweigeteilt ist. Bis zur Begegnung mit dem imaginären Verhältnis a-aꞌ ist sie durchgehend gezeichnet, danach gestrichelt. Die Neurose beruht darauf, dass es mit dem Mandat, das der Andere an das Subjekt adressiert, Schwierigkeiten gibt, dass es vom Subjekt nicht anerkannt wird.
Ein Beispiel wäre der Fall des Patienten mit Schreibkrampf, von dem Lacan in Seminar 2 zuvor berichtet hatte (168 f.). Der Vater des Patienten war beschuldigt worden, ein Dieb zu sein. Der vom Anderen (A) übermittelte fundamentale Diskurs lautete „Dem Dieb muss die Hand abgehauen werden“ – der Patient war unter dem islamischen Gesetz erzogen worden. Dieses Gesetz kam nicht durch: Die Beziehung des Patienten zur Ordnung, zu den grundlegenden Koordinaten der sozialen Welt war versperrt, „weil es etwas gab, das er sich weigerte zu verstehen – warum jemandem, der ein Dieb ist, die Hand abgeschlagen werden mußte“ (168). Der Patient weigerte sich, etwas zu verstehen: diese Weigerung kann auf der Ebene der imaginären Beziehung lokalisiert werden, sie blockiert den Durchgang des Gesetzes zum Subjekt. Das Gesetz kam durch: Weil er das Gesetz nicht verstand, war ihm selbst gewissermaßen die Hand abgeschlagen worden (168). Zwischen dem Subjekt und dem Ich gibt es eine Verbindung, die körperliche Realität: was im Subjekt ist, am Punkt S, enthüllt sich im körperlichen Träger des Subjekts, als Schreibkrampf. Über diesen körperlichen Träger steht das Subjekt (Punkt S) in Verbindung mit dem Ich (Punkt a): ein Schreibkrampf ist eine Hemmung, und eine Hemmung ist, wie Freud sagt, die Einschränkung einer Ich-Funktion.54
Die folgende Passage ist in der Miller-Version gestrichen. Sie ist schwer verständlich, gibt aber doch einige Hinweise:
„Anders gesagt, insofern etwas von dem, was in S ist – d.h. von dem, was es im Sprechen gibt, um sich zu enthüllen –, anderswo durchgehen wird, durch die körperliche Stütze des Subjekts hindurchgehen wird, wird dieses Etwas da sein und auch auf eine andere Weise intervenieren.
Sie ist zu dosieren im Verhältnis zum gegebenen Wort / zum gegebenen Sprechen, insofern es durchgeht, insofern ich Ihnen eben dafür ein Beispiel gegeben habe, insofern es einen Teil der menschlichen Beziehungen strukturiert, und bewirkt, dass alle möglichen Arten von Engagements existieren. Denn schließlich ist das ein Akt an der Basis jeder Strukturbildung, sei sie sozial oder von anderer Art.
Das, was wir haben, wenn es um die Neurose geht, ist dies, ist etwas wie dies – jedoch in derjenigen Beziehung betrachtet, die dem Subjekt eigen ist, die ihm innewohnt, zwischen diesem m und dem S. Das heißt, dass etwas da durchkommt und auf eine Weise interferiert hat, die im Verhältnis zum grundlegenden Sprechen noch viel störender zu sein scheint als das, was in diesem gewissermaßen sekundären und abgeleiteten Sprechen geschieht, das diesen Bruch darstellt, diese Skandierung des Diskurses.
Dieser Diskurs ist zugleich Loch der Zeit und Diskurs in seiner Bedeutung: etwas sagen; und das macht aus dem Symptom diese umgekehrte, versiegelte Wahrheit, deren Auflösung die Aufgabe der analytischen Behandlung ist.
Die Bedeutung der Analyse besteht worin? (Meine Übersetzung nach Version Staferla)
Ich verstehe die Passage so (die Wahrscheinlichkeit, dass ich mich irre, ist ziemlich hoch):
In S, im Subjekt, gibt es etwas, was im Sprechen enthüllt wird. S im Sinne von „Symbol“ meint also: hier gibt es etwas, das sich im Sprechen enthüllt. Vorher hieß es: das, was in S ist, enthüllt sich durch die körperliche Stütze des Subjekts, durch die biologische Realität. Ich nehme an, dass gemeint ist: es zeigt sich als Symptom, in der Wiederholung, in der Übertragung.
Dies ist auf das gegebene Wort zu beziehen, insofern es durchkommt. Das könnte heißen: das Symptom ist eine Antwort des Subjekts auf das vom Anderen kommende grundlegende Sprechen, auf das vom Anderen kommende Mandat, etwa „Du bist seine Frau“. Appelle dieser Art strukturieren einen Teil der menschlichen Beziehungen und erzeugen Engagements der verschiedensten Art. Sie sind die Akte, die jeder Strukturbildung zugrundeliegen, und das nicht nur im sozialen Bereich, sondern auch in Bezug auf das Psychische.
Bei der Neurose, also beim Symptom, geht es eben darum: um das vom Anderen kommende wahre Sprechen. Die Psychoanalyse bezieht diesen vom Anderen kommenden Diskurs auf das Verhältnis zwischen dem Subjekt und dem Ich, zwischen S und m. Etwas, was sich auf den Körper stützt, kommt durch und interferiert mit dem grundlegenden Sprechen, mit dem vom Anderen kommenden Diskurs.
Im Verhältnis zum grundlegenden, vom Anderen kommenden Diskurs ist dieses interferierende Etwas noch weitaus störender als das vom Ich ausgehende sekundäre Sprechen, das bedeutungsorientierte Sprechen, das „leere Sprechen“ des Romvortrags, das mit dem grundlegenden Diskurs interferiert.
Der vom Anderen kommende Diskurs ist ein Loch in der Zeit (das Unbewusste ist zeitlos, sagt Freud) und ein Diskurs mit einer bestimmten Bedeutung, das Unbewusste spricht.
Aufgrund der Wirksamkeit des vom Anderen kommenden Diskurses wird das Symptom zu einer Wahrheit, die versiegelt. Die Aufgabe der Analyse besteht darin, das Siegel aufzubrechen.
… „Was Widerstand genannt zu werden verdient, hängt daran, daß das Ich nicht mit dem Subjekt identisch ist und daß es zur Natur des Ich gehört, sich in den imaginären Stromkreis zu integrieren, der die Unterbrechungen des grundlegenden Diskurses bedingt. Es ist dieser Widerstand, auf den Freud den Akzent setzt, wenn er sagt, daß jeder Widerstand von der Organisation des Ich herrührt. Denn sofern es imaginär ist, und nicht einfach sofern es fleischliche Existenz ist, ist das Ich in der Analyse an der Quelle der Unterbrechungen dieses Diskurses, der nur beansprucht, in Taten überzugehen, ins Sprechen, oder ins Wiederholen* – das ist dasselbe.“(411, Übersetzung geändert)
Das, was die Psychoanalyse „Widerstand“ nennt – alles, was sich dem Zugang zum Unbewussten entgegenstellt –, beruht auf der imaginären Beziehung, die das Ich zum anderen herstellt (a-aꞌ) und die den vom Anderen kommenden grundlegenden Diskurs unterbricht. Im Diagramm wird das dadurch dargestellt, dass die von A ausgehende Linie zunächst durchgezogen ist und nach der Querung des imaginären Verhältnisses gestrichelt gezeichnet wird.
Mit Freud: Jeder Widerstand rührt von der Organisation des Ichs her.55
Im Triodenmodell wird der Widerstand dadurch repräsentiert, dass die negative Ladung des Streugitters (die Herstellung der imaginären Beziehung zum anderen) den Elektronenfluss von der Kathode zur Anode (den vom Anderen kommenden Diskurs, der sich an das Subjekt wendet) unterbricht.
Das Ich hat, Lacan zufolge, eine Doppelfunktion, es ist imaginär, und es ist fleischliche Existenz. Sofern es imaginär ist, bildet es die Quelle der Unterbrechungen des vom Anderen kommenden grundlegenden Diskurses.
Vom Anderen geht der grundlegende Diskurs aus (etwa „Du bist meine Frau“). Dieser Diskurs beansprucht, in Taten überzugehen, ins Sprechen, in die Wiederholung. Das ist dasselbe, und zwar insofern, als der Wiederholungszwang auf dem symbolischen Register beruht.56 Die Wiederholung ist eine Art Sprechen, ein Sprechen, bei dem es dem Subjekt nicht möglich ist, sich als Subjekt dieses Sprechens zu erkennen oder zu benennen.
In der nebenstehenden Abbildung habe ich den Widerstand der imaginären Beziehung aꞌ-a zugeordnet und den grundlegenden Diskurs der Linie A-S.
…“Wenn ich Ihnen sagen, daß der einzige wirkliche Widerstand in der Analyse der Widerstand des Analytikers ist, dann heißt das, daß eine Analyse begreifbar ist nur in dem Maße, in dem das a ausgelöscht ist. In der Analyse muss eine gewisse subjektive Läuterung erreicht werden – wenn nicht, wozu dann all diese Zeremonien, denen wir uns hingeben? –, derart, daß man während der ganzen Dauer der analytischen Erfahrung den Pol a mit dem Pol A konfundieren kann.“ (411, Übersetzung geändert)
In der Analyse geht der Widerstand vom Analytiker aus, und zwar dann, wenn er für den Patienten die Position des imaginären anderen einnimmt, des Partners, des Ideals, des Rivalen. Bezogen auf Schema L heißt das, dass er den Platz aꞌ (rechts oben) besetzt. Im Verlauf einer Analyse muss der Analytiker aufhören, für den Patienten diese Funktion zu erfüllen; a soll ausgelöscht sein, a als Gegenstück zu m. Bezieht man sich auf die Nomenklatur im Diagramm des Poe-Aufsatzes, muss man sagen: aꞌ soll ausgelöscht sein.
Dazu dienen bestimmte Zeremonien; gemeint sind vielleicht die Zeremonien im Ausbildungsgang eines Analytikers: Lehranalyse und Supervision, oder auch das psychoanalytische Setting: der Platz hinter der Couch usw.
Im Verlauf einer Analyse kann es dazu kommen, dass zwei ganz unterschiedliche Positionen des Analytikers vermengt werden: die des imaginären anderen und die des symbolischen Anderen.
… „Der Analytiker hat teil an der radikalen Natur des Anderen, insofern er das am schwersten Zugängliche ist. Folglich und von dem Moment an richtet sich das, was vom Imaginären des Ichs (moi) des Subjekts ausgeht, nicht nach diesem anderen, an den es gewöhnt ist und der nur sein Partner ist, derjenige, der dazu da ist, um in sein Spiel einzugehen, sondern gerade nach dem radikal Anderen, der für es verhüllt ist. Was Übertragung genannt wird, geschieht sehr genau zwischen A und m, insofern das durch den Analytiker repräsentierte a fehlt.“ (411, Übersetzung geändert)
Der Analytiker macht sich für den Patienten unzugänglich. Damit hat er teil an der radikalen Natur des Anderen (mit großem A), an dessen Undurchschaubarkeit, an dessen Subjekthaftigkeit. Dies hat zur Folge, dass sich das Ich des Patienten nicht mehr an den Analytiker als imaginären anderen wendet, als Partner und Rivale, sondern als radikal Anderen, in dem es sich nicht wiedererkennt.
Auf der Beziehung zwischen dem Ich und dem Analytiker in der Position des Anderen beruht die Übertragung. In dem Maße, in dem der Widerstand zurücktritt (die Beziehung zum Analytiker als anderem mit kleinem a) kann sich die Übertragung herstellen (die Beziehung zum Analytiker als Anderem mit großem A).
Im Diagramm wird die Übertragung durch die Verbindung zwischen dem Anderen (unten rechts) und dem Ich (unten links) repräsentiert; in der nebenstehenden Abbildung habe ich Widerstand und Übertragung eingetragen.
Das Diagramm ist demnach so zu lesen: Das Ich ist der Zielpunkt zweier Pfeillinien. In ihm endet die vom anderen kommende Linie der imaginären Beziehung (aꞌ→a) und die vom Anderen kommenden Linie der Übertragung (A→a). Die beiden Linien sind exklusiv, die Übertragungsbeziehung kann sich nur in dem Maße herstellen, wie die imaginäre Beziehung zum Analytiker zurücktritt.
… “Worum es sich handelt, wie Freud in bewundernswerter Weise in diesem Text sagt, ist eine Überlegenheit* – was man bei dieser Gelegenheit durch superiorité übersetzt, doch ich vermute, daß es sich da um ein Wortspiel handelt, wie die Folge andeutet –, dank der die Realität, die in der analytischen Situation erscheint, immer* erkannt wird als Spiegelung* – ein erstaunlicher Terminus –, als Spiegelung einer bestimmten vergessenen Vergangenheit. Darin steckt der Terminus Spiegel*. Von dem Moment an, wo nicht mehr der Widerstand der imaginären Funktion des Ich existiert, können sich das A und das m gewissermaßen einstimmen, hinreichend kommunizieren, so daß sich zwischen ihnen eine gewisse Isochronie herstellt, eine bestimmte gleichzeitige Positivierung mit Bezug auf unsere Triodenröhre. Das fundamentale Sprechen, das von A nach S geht, trifft hier auf eine harmonische Schwingung, etwas, das, statt zu interferieren, seinen Durchgang ermöglicht. Man kann diese Triodenröhre sogar ihre reale Rolle spielen lassen, die oft die eines Verstärkers ist, und sagen, daß der fundamentale Diskurs, der bis dahin zensiert ist – um den Terminus zu verwenden, der der beste ist –, sich lichtet.“ (412, Übersetzung geändert)
Freud sagt, durch eine „Überlegenheit“ kann der Patient die Realität, die in der analytischen Situation erscheint, als Spiegelung einer bestimmten vergessenen Vergangenheit erkennen.57 Lacan vermutet, dass es sich bei „Überlegenheit“ um ein Wortspiel handelt, vielleicht mit „überlegen sein“ und „überlegen“ im Sinne von „nachdenken“; mir ist nicht klar, was damit gemeint sien könnte.
Dass das a in der psychoanalytischen Behandlung ausgelöscht wird, meint, dass der Widerstand nicht mehr existiert.
Von dem Moment an, wo der Widerstand nicht mehr existiert, der durch die Beziehung des Ichs zum anderen hervorgerufen wird, können der Andere und das Ich, A und m, gewissermaßen in Übereinstimmung geraten, miteinander kommunizieren, so dass sich zwischen ihnen eine Gleichzeitigkeit herstellt. In diesem Fall trifft das grundlegende Sprechen, das von A nach S geht, dort, wo im Schema die imaginäre Beziehung eingezeichnet ist, auf eine Schwingung, die so beschaffen ist, dass sie einen Durchgang ermöglicht.
Das Ich reduziert sich nicht auf seine imaginäre Funktion. Analog zum Streugitter, dass nicht nur, durch negative Ladung, dazu dienen kann, den Elektronenfluss zu blockieren, sondern auch dazu, durch positive Ladung, ihn zu verstärken, kann das Ich dafür sorgen, dass der fundamentale Diskurs sich lichtet, sich entwirrt; dies hat zur Voraussetzung, dass die imaginäre Funktion des Ichs – die Beziehung zum objektivierten anderen – stillgelegt ist.
Bis dahin hat die imaginäre Beziehung zum anderen jedoch den Effekt, dass der vom Anderen kommende Diskurs zensiert wird; Lacan betont diesen Terminus. Für ihn ist die Zensur, zumindest an dieser Stelle, eine Funktion des Ichs, eine Funktion der Beziehung des Ichs zum andern.
…“Dieser Fortschritt vollzieht sich durch die Wirkung der Übertragung, die anderswo geschieht als da, wo die Wiederholungstendenz vor sich geht. Was insistiert, was nur überzugehen beansprucht, geht über zwischen A und S. Die Übertragung hingegen geschieht zwischen m und A. Und in dem Maße, in dem das m, wenn man das so sagen kann, nach und nach lernt, sich in Übereinstimmung zu bringen mit dem fundamentalen Diskurs, kann es in der gleichen Weise behandelt werden, wie das A behandelt wird, das heißt, es kann nach und nach an S gebunden werden.“ (412, Transkription geändert, im Original: „zwischen m und a“)
Wenn es im Verlauf einer psychoanalytischen Kur einen Fortschritt gibt, so besteht er darin, dass der vom Anderen ausgehende fundamentale Diskurs sich aufklärt. Ermöglicht wird dieser Fortschritt durch die Übertragung.
Die Übertragung ereignet sich anderswo als dort, wo die Wiederholungstendenz vor sich geht. Die Wiederholung vollzieht sich zwischen A und S, sie besteht darin, dass etwas von A nach S überzugehen beansprucht. Die Übertragung hingegen ereignet sich zwischen m und A, zwischen dem Ich und dem Anderen.
In den Seminar-Versionen von Miller und von Staferla heißt es, dass die Übertragung sich zwischen m und a ereignet. Ich halte das für einen Transkriptionsfehler und habe es deshalb geändert. Denn einige Sätze zuvor hatte Lacan erklärt, dass die Übertragung sich zwischen m und A vollzieht und dass sie zur Voraussetzung hat, dass a ausgeschaltet wird, das imaginäre Verhältnis zum anderen (vgl. 411).
Durch die Übertragung lernt das Ich (m), sich allmählich in Übereinstimmung mit dem von A ausgehenden Diskurs zu bringen. Im Diagramm steht der von A ausgehende und zu m führende Pfeil demnach dafür, dass sich das Ich an den grundlegenden Diskurs anpasst.
Dies führt dazu, dass das Ich nach und nach mit S verbunden wird, mit dem Subjekt, mit dem Adressaten des vom Anderen ausgehenden Mandats. Es realisiert nicht nur, an welchen Anderen es sich, ohne es zu wissen, wendet, sondern auch, von welchem Platz aus es das gut (vgl. 314).
…“Das heißt nicht, daß ein als autonom unterstelltes Ich sich auf das Ich des Analytikers stützt, wie Loewenstein in einem Text schreibt, den ich Ihnen heute nicht vorlesen möchte, den ich jedoch sorgfältig ausgewählt hatte, und ein immer stärkeres, integrierendes und wissendes Ich wird. Es heißt im Gegenteil, daß das Ich wird, was es nicht war, daß es an den Punkt gelangt, wo das Subjekt ist.“ (412)
Rudolph Loewenstein zufolge vollzieht sich der Fortschritt der Analyse so, dass sich ein als autonom unterstelltes Ich auf das Ich des Analytikers stützt, wodurch ein immer stärkeres, integrierenderes und wissenderes Ich entsteht. Lacan verweist hierfür auf einen Aufsatz von Loewenstein, dessen Titel er nicht angibt.
Lacan lehnt diese Konzeption ab.
Der Fortschritt der Analyse vollzieht sich, Lacan zufolge, vielmehr so, dass das Ich an den Punkt gelangt, an dem das Subjekt ist und dass es auf diese Weise etwas wird, was es nicht war. Wie für Loewenstein besteht auch für Lacan das Ziel der Analyse in einer Veränderung des Ichs. Das Ich soll sich jedoch nicht dadurch verändern, dass es sich auf das Ich des Analytikers stützt und stärker und wissender wird. Das Ich soll an den Punkt kommen, wo das Subjekt ist, es soll die Äußerungen des Unbewussten subjektivieren, sich als deren Subjekt annehmen.
Freuds Diktum „Wo Es war, soll Ich werden“, heißt in dieser Lesart: das Ich soll dort hinkommen, wo das Subjekt war.
In der Version von Schema L, die im Poe-Aufsatz veröffentlicht wurde, wird dieser Zusammenhang dadurch hergestellt, dass der Punkt oben links nicht nur mit S bezeichnet ist (für „Subjekt“ und „Symbol“), sondern auch mit „Es“.
Was meint konkret, dass das Ich an den Punkt kommt, wo das Subjekt ist? Das wird in den nächsten Sätzen erläutert.
…“Alle analytische Erfahrung ist eine Erfahrung der Bedeutung (signification). Einer der großen Einwände, die uns entgegengebracht werden, ist der folgende – was für eine Katastrophe wird es geben, wenn man dem Subjekt seine Realität enthüllt, seinen Was-weiß-ich-für-einen Trieb, sein homosexuelles Leben? Gott weiß, ob bei dieser Gelegenheit die Moralisten uns etwas darüber zu sagen haben. Das ist jedoch ein schwacher und wertloser Einwand. Selbst wenn man zugesteht, daß man dem Subjekt irgendeine Strebung enthüllt, die von ihm durch ich weiß nicht was für eine Anstrengung auf immer hätte ferngehalten werden können, so ist doch das, was in der Analyse in Frage gestellt wird, nicht die durch uns dem Subjekt gegenüber erfolgende Enthüllung seiner Realität. Eine bestimmte Konzeption von Widerstandsanalyse schreibt sich in der Tat ziemlich in dieses Register ein. Doch die authentische Erfahrung der Analyse steht dem absolut entgegen – das Subjekt entdeckt durch die Vermittlung der Analyse seine Wahrheit, das heißt die Bedeutung, die in seinem besonderen Geschick (destinée) diese Gegebenheiten gewinnen, die ihm eigen sind und die man sein Los (lot) nennen kann.“ (412 f., Übersetzung geändert)
Das wesentliche Geschehen einer Analyse besteht nicht darin, wie viele Leute befürchten, dass dem Patienten enthüllt wird, welcher verborgene Trieb ihn umtreibt, etwa eine homosexuelle Strebung oder andere Gegebenheiten. Unter den „Gegebenheiten“ versteht Lacan hier biologische Dispositionen, wie einige Sätze später klar wird.
Eine solche Enthüllung mag vorkommen, aber das ist nicht die authentische Erfahrung, die in einer Analyse gemacht wird. Allerdings gehen bestimmte Formen der Widerstandsanalyse in diese Richtung.
In einer Analyse macht ein Patient vielmehr die Erfahrung seiner Wahrheit. Die Wahrheit besteht darin, dass bestimmte Gegebenheiten – bestimmte biologische Strebungen – eine bestimmte Bedeutung gewonnen haben. Statt von „Gegebenheiten“ spricht Lacan hier auch vom „Los“. Durch diese Bedeutung wird die Gegebenheit – das Los, die biologisch verankerte Strebung – in ein individuelles Geschick integriert. Die Bedeutung ist unbewusst und wird duch die Analyse enthüllt; in der Enthüllung der verborgenen Bedeutung besteht die Erfahrung der Wahrheit.
…“Die menschlichen Wesen werden mit allen möglichen äußerst heterogenen Dispositionen geboren. Doch was auch immer das grundlegende Los sein mag, das biologische Los – das, was die Analyse dem Subjekt offenbart, ist seine Bedeutung. Diese Bedeutung ist Funktion eines bestimmten Sprechens (parole), das Sprechen des Subjekts ist und es nicht ist – dieses Sprechen nimmt es bereits fertig in Empfang, es ist sein Durchgangspunkt. Ich weiß nicht, ob dies das ursprüngliche Haupt-Wort des in die rabbinische Tradition eingeschriebenen Buches des Jüngsten Gerichts ist. Wir blicken nicht so weit, wir haben begrenztere Probleme, wo jedoch die Termini der Berufung (vocation) und der Anrufung (appell) all ihren Wert haben.“ (413, Übersetzung geändert)
Die Bedeutung, die in einer Analyse offenbart wird, ist abhängig von einem bestimmten Sprechen.
Dieses Sprechen ist das Sprechen des Subjekts und ist es auch wieder nicht. Es ist ein Sprechen, das das Subjekt vom Anderen empfängt und das es weitergibt, es gehört zum universalen Diskurs, der von Generation zu Generation überliefert wird.
Zur Verdeutlichung bezieht Lacan sich auf ein Hauptwerk der rabbinischen Literatur, auf die Mischna. Das Neujahrsfest, Rosch ha-Schana, wird hier als Tag des himmlischen Gerichts dargestellt, an dem die Bücher geöffnet werden, in denen Sünden und Verdienste eines jeden verzeichnet sind. Lacan fragt sich, ob damit nicht letztlich auf das durch die Generationen hindurch überlieferte Sprechen verwiesen wird.
Wie auch immer, gute Bezeichnungen für die Beziehung des universalen Diskurses zum Subjekt sind auf jeden Fall die Begriffe „Berufung“ und „Anrufung“. Beispiele dafür sind Mandate wie „Du bist mein Lehrer“ und „Du bist mein Mann“; im Rom-Vortrag hatte er dies als „volles“ oder „wahres Sprechen“ bezeichnet. In Schema L wird die Berufung, die Anrufung durch die von A nach S führende Linie dargestellt.
…“Gäbe es nicht dieses vom Subjekt empfangene Sprechen, das auf die symbolische Ebene trägt, dann gäbe es keinen Konflikt mit dem Imaginären und jeder würde einzig und allein seiner Neigung folgen. Die Erfahrung lehrt uns, daß es damit nichts ist. Freud hat niemals einem das Subjekt konstituierenden wesentlichen Dualismus aufgegeben. Das bedeutet nichts anderes als diese Rückkreuzungen. Ihnen möchte ich nachgehen.“ (413, Übersetzung geändert)
Schema L zeigt nicht nur, dass die vom Anderen kommenden Appelle (A→S) von der imaginären Beziehung (aꞌ→a bzw. a→m) blockiert werden, sondern auch, dass die symbolische Beziehung in das imaginäre Verhältnis eingreift.
Gäbe es nicht die Intervention der symbolischen Beziehung in das imaginäre Verhältnis, würde jeder ungestört seinen Neigungen nachgehen; wobei an dieser Stelle vorausgesetzt wird, dass die Befriedigung der Neigungen auf der Beziehung des Ichs zum anderen beruht.
Freuds Theorie war immer dualistisch: Bewusstsein versus Unbewusstes, Ichtriebe versus Sexualtriebe, Ich versus Es, Lebenstriebe versus Todestriebe. An diese dualistische Sichtweise knüpft das Schema an, das Verhältnis zwischen der imaginären Beziehung (anderer-Ich) und der symbolischen Beziehung (Anderer-Subjekt) soll als Dualismus aufgefasst werden. Dieser Dualismus verweist auf einen Triebdualismus, wie Lacan in den anschließenden Bemerkungen andeutet.
…“Das Ich schreibt sich ein ins Imaginäre. Alles, was zum Ich gehört, schreibt sich ein in die imaginären Spannungen, wie die übrigen libidinösen Spannungen. Libido und Ich stehen auf der gleichen Seite. Der Narzißmus ist libidinös. Das Ich ist keine höhere Macht, noch reiner Geist, noch eine autonome Instanz, noch – wie man zu schreiben sich erdreistet – eine konfliktfreie Sphäre, auf die wir uns zu stützen hätten. Was ist denn das für eine Geschichte? Haben wir von den Subjekten zu verlangen, daß sie höhere Strebungen nach der Wahrheit haben? Was ist denn das für eine zur Sublimierung transzendierende Strebung? Freud lehnt sie in Jenseits des Lustprinzips aufs nachdrücklichste ab. In keiner der konkreten und historischen Äußerungen menschlicher Funktionen sieht er die geringste Tendenz zum Fortschritt, und das hat schon seinen Wert bei demjenigen, der unsere Methode erfunden hat. Alle Lebensformen sind so erstaunlich, so wunderbar, es gibt kein Streben zu höheren Formen.“ (413 f., Übersetzung geändert)
Das Ich gehört zum Register des Imaginären. Das Imaginäre ist jedoch nicht nur die auf dem Körperbild beruhende Ordnung der Bilder. Es ist von Anfang an ein Feld von Spannungen, von Strebungen, nämlich der Bereich der Libido. Der Narzissmus besteht in der libidinösen Besetzung des Ichs.58
Das Ich ist keine konfliktfreie Sphäre und keine autonome Instanz, wie Heinz Hartmann erklärt hatte.59
Das Ich ist nicht durch ein Streben nach Sublimierung bestimmt – von Freud wird die Vorstellung, es gebe ein Streben nach Sublimierung, abgelehnt.60
In den historischen Äußerungen menschlicher Funktionen gibt es, Freud zufolge, auch keine Tendenz zum Fortschritt – die Triebe sind konservativ.61 Weder bei Tieren noch bei Pflanzen gibt es, Freud zufolge, ein Streben zu höheren Formen.62
Der Psychoanalytiker kann sich deshalb nicht, wie einige meinen, auf ein Streben nach Wahrheit stützen, das im Ich des Patienten angesiedelt wäre.
… “Hier münden wir ein in die symbolische Ordnung, die nicht die libidinöse Ordnung ist, in die sich ebensowohl das Ich wie alle Triebe einschreiben. Sie strebt, jenseits des Lustprinzips, aus den Grenzen des Lebens hinaus, und deshalb identifiziert Freud sie mit dem Todestrieb. Lesen Sie den Text noch einmal, und Sie werden sehen, ob er Ihnen würdig scheint, gutgeheißen zu werden. Die symbolische Ordnung wird verworfen von der libidinösen Ordnung, die den gesamten Bereich des Imaginären umfaßt, einschließlich der Struktur des Ich. Und der Todestrieb ist nur die Maske der symbolischen Ordnung, insofern – Freud schreibt es – sie stumm ist, das heißt, insofern sie sich nicht realisiert hat. Solange die symbolische Anerkennung nicht hergestellt wurde, ist die symbolische Ordnung per definitionem stumm.“ (414, Übersetzung geändert)
Lacan unterscheidet zwei Triebarten; er stützt sich hierfür auf Freuds Unterscheidung zwischen den Lebenstrieben und den Todestrieben (in Jenseits des Lustprinzips, in Das Ich und das Es und in Das Unbehagen in der Kultur). Das Imaginäre ist nicht nur der Bereich des Ichs, sondern auch der der Libido und des Lustprinzips; hier schreibt sich die Gesamtheit der Triebe ein – bis auf eine Ausnahme.
Das Symbolische ist der Bereich des Todestriebs, jenseits des Lustprinzips. Das Symbolische strebt aus den Grenzen des Lebens hinaus, eben deshalb spricht Freud vom Todestrieb. Der Todestrieb ist eine maskierte Gestalt der symbolischen Ordnung.
Die libidinöse Ordnung verwirft die symbolische Ordnung.
Der Todestrieb ist stumm, sagt Freud. 63 Lacan deutet das so: Die symbolische Ordnung bzw. die vom Anderen kommende Anrufung kann anerkannt oder nicht anerkannt werden. Die libidinöse Ordnung drängt zur Nicht-Anerkennung des vom Anderen kommenden Mandats. Wenn die Anerkennung des Appells nicht vollzogen wird, zeigt die symbolische Ordnung sich als Todestrieb, im Wiederholungszwang. Freuds Rede von der Stummheit des Todestriebs meint die Nicht-Anerkennung der symbolischen Ordnung, die zur Folge hat, dass an die Stelle der Erinnerung die Wiederholung tritt.
Bezieht sich der Begriff „Es“ in der linken oberen Ecke von Schema L auf den Todestrieb? Steht der Buchstabe S insofern für „Symbol“, als etwas nicht symbolisiert worden ist, aber zur Symbolisierung drängt?
Wie auch immer, die Achse A-S steht nicht für das Symbolische, sondern für das Spannungsverhältnis zwischen dem Symbolischen und dem Realen, dafür, dass etwas zur Symbolisierung drängt, aber nicht symbolisiert wird. Hervorgerufen wird die Spannung dadurch, dass die vom Anderen kommende Anrufung vom Subjekt nicht anerkannt wird.
Im Schema kann man also die Libido, die nicht zum Todestrieb gehörenden Triebe (Freuds Lebenstriebe) sowie das Lustprinzip der imaginären Beziehung zuordnen. Der Todestrieb jenseits des Lustprinzips hingegen gehört zur Beziehung zwischen dem Anderen und dem Subjekt.
…“Die symbolische Ordnung, nicht-seiend zugleich und insistierend, um zu sein, das ist es, worauf Freud abzielt, wenn er uns vom Todestrieb als vom Grundlegendsten spricht – eine symbolische Ordnung, die dabei ist, geboren zu werden, im Kommen, insistierend, um realisiert zu werden.“ (414, Übersetzung geändert)
Die symbolische Ordnung ist nicht einfach da. Die symbolische Ordnung ist auch nicht-seiend, aber so, dass sie darauf drängt, zu sein.
Das meint Freud, wenn er vom Todestrieb als dem Grundlegendsten spricht. Der Todestrieb, der Wiederholungszwang ist die symbolische Ordnung, insofern sie dabei ist, geboren zu werden, ohne jedoch bereits vom Subjekt anerkannt zu sein.
Systematisierende Zusammenstellung
Schema L wird von Lacan in Seminar 2 eingeführt, in der Sitzung vom 25. Mai 1955. Das Schema bezieht sich auf die psychoanalytische Kommunikation, also auf das Geschehen zwischen dem Analytiker und dem Patienten während der psychoanalytischen Behandlung (ja, mit dem „Patienten“, in Lacan 2 spricht Lacan beständig vom „Patienten“, den Terminus analysant verwendet er erst ab 1967). Dies entspricht dem Titel des Seminars, Das Ich in der Theorie Freuds und in der Technik der Psychoanalyse.
Zugleich mit der Einführung des Schemas unterscheidet Lacan erstmals zwischen dem anderen mit kleinem a und dem Anderen mit großem A. Der andere mit kleinem a ist ein Objekt in einer imaginären Beziehung, der Andere mit großem A ist ein Subjekt, der Übermittler des universalen Diskurses, er ist aber zugleich der reale Andere. Der andere mit kleinem a wird in Seminar 2 noch nicht als „imaginärer anderer“ bezeichnet, der Andere mit großem A noch nicht als „symbolischer Anderer“.
Welche Gestalt Schema L in Seminar 2 genau hatte, ist unbekannt. Miller fügt in seiner Version des Seminars an der entsprechenden Stelle eine spätere Version ein, sie stammt aus dem Poe-Aufsatz von 1957. Auf diese Version beziehe ich mich im Folgenden. Zu beachten ist, dass die beiden Endpunkte der imaginären Beziehung im Poe-Aufsatz mit a (Ich) und aꞌ (anderer) bezeichnet werden, in Seminar 2 jedoch meist mit m (moi, Ich) und a (autre); a meint im Poe-Aufsatz das Ich, im Seminar den anderen.
Komponenten
a: Ich
Der Buchstabe a (bzw. m), unten links, steht für das Ich im Sinne von Freuds Drei-Instanzen-Lehre (Ich, Es, Über-Ich).
Das Ich stellt die imaginäre Beziehung zum anderen als Objekt her.
Es ist immer das Ich, das scheinbar spricht (314).
Das Ich ist außerdem eine fleischliche Existenz (411).
Die imaginäre Funktion des Ichs kann ausgeschaltet werden. Unter dieser Bedingung kann das Ich lernen, zu dem vom Anderen kommenden Diskurs in Beziehung zu treten und so mit dem S verbunden zu werden, d.h. an den Punkt zu kommen, wo das Subjekt ist (412).
aꞌ: anderer
Der Buchstabe aꞌ steht für den anderen mit kleinem a: für die Objekte des Ichs, in denen das Ich sich spiegelt und mit denen es sich identifiziert (311).
Diesen Objekten liegt das Urbild zugrunde, das Spiegelbild, durch das, Lacans Theorie des Spiegelstadiums zufolge, das Ich entsteht (316).
Lacan bezeichnet diesen anderen auch als objektivierten anderen (311), als spiegelhaften anderen (310), als Seinesgleichen (semblable) (310), als Alter Ego (407).
Im Falle der Paranoia steht aꞌ für das Objekt der Paranoia (314), also für den Verfolger.
Die Herstellung einer Übertragung in der psychoanalytischen Behandlung beruht darauf, dass das a ausgelöscht ist (411), dass der Analytiker nicht die Funktion des Partners und Rivalen erfüllt.
Verhältnis aꞌ-a: imaginäres Verhältnis
Von einer Pfeillinie, die vom anderen zum Ich führt oder von einer einseitigen Orientierung vom anderen zum Ich, wie sie das Schema zeigt, ist in Seminar 2 nicht die Rede.
Das Verhältnis aꞌ→a (bzw. a-m) steht für das imaginäre Verhältnis, für die projektive narzisstische Beziehung zum anderen (409) und damit für die Beziehung zum anderen als Objekt, in der das Ich zum Objekt wird (310). Das Ich und der andere sind wesentlich miteinander verkoppelt: eine entscheidende Funktion des Ichs ist die Konstituierung des anderen, in dem es sich spiegelt; der andere ist ein Alter Ego (407).
Die Beziehung aꞌ-a ist die der imaginären Entfremdung (314 f.)
Dadurch, dass das Ich die anderen zu seinem eigenen Bild in Beziehung setzt, sind diejenigen, mit denen es spricht, auch diejenigen, mit denen es sich identifiziert (311).
Das imaginäre Verhältnis aꞌ-a gibt es nicht nur beim Menschen, sondern auch bei anderen Tieren, es ist die Grundlage dafür, dass Tiere nur mit Artgenossen kopulieren (409).
Die humanspezifische Variante des Imaginären zeichnet sich dadurch aus, dass beim Menschen das Imaginäre eine Spannung enthält, durch die es für die Intervention der symbolischen Ordnung offen ist (409).
Die Beziehung zwischen dem Ich und dem anderen wird beim Menschen durch die „Sprachmauer“ (311) gestützt, durch das System der Benennungen, in Freuds Terminologie: durch die Wortvorstellungen des Vorbewussten. Die Interferenz zwischen der imaginären Beziehung und der Sprachmauer erzeugt eine falsche, aber verifizierte Realität von Objekten (311, 316).
Das imaginäre Verhältnis aꞌ-a erzeugt die Missverständnisse, auf denen die gewöhnliche Kommunikation beruht (316), Kommunikation beruht also meist auf einer Art Projektion.
Das Verhältnis aꞌ-a steht nicht nur für eine Beziehung zum anderen als Projektionsfläche, sondern auch für die Libido, für das Lustprinzip, für die Triebe mit Ausnahme des Todestriebs (413 f.).
Manche Psychoanalytiker fordern, dass sich das als autonom unterstellte Ich des Patienten auf das Ich des Psychoanalytikers zu stützen hat; das Schema dient nicht zuletzt dazu, diese Auffassung zu bekämpfen (412).
Das Verhältnis des Ichs zum anderen ist der Ort des Widerstands im Sinne der Psychoanalyse (411), also all dessen, was sich dem Zutagetreten des Unbewussten entgegenstellt.
Im Verlauf einer Analyse kann es dazu kommen, dass eine Objektbeziehung entsteht, also ein Verhältnis zum anderen. Viele Analytiker gehen in diese Richtung, aber das ist eine grundlegend entfremdete Form dessen, worum es in einer Analyse geht (414).
Im Verlauf einer psychoanalytischen Behandlung solle es dazu kommen, dass der andere ausgelöscht wird (314), dass der Widerstand nicht mehr existiert (412).
Die Bezeichnung „imaginäre Achse“, mit der die Beziehung aꞌ-a in der Sekundärliteratur häufig beschrieben wird, findet sich nicht in Seminar 2.
A: Anderer
Der Buchstabe A, unten rechts, steht für den Anderen mit großem A.
Dieser Andere wird von Lacan auch genannt: anderes Subjekt (314), der Andere als wahres Subjekt (311), veritabler Anderer (311, 314), wahrer Anderer (311), radikal Anderer (407, 411), die wirklichen Respondenten/Bürgen des Subjekts (311).
Dieser Andere ist nicht mein Ebenbild, sondern ein Subjekt: ein Anderer, in dem ich mich nicht wiedererkennen kann (311).
Dass der Andere ein Subjekt ist, wird dadurch bewiesen, dass er mich belügen kann (311). Er ist derjenige, der die Antwort gibt, die man nicht erwartet (314).
Der Andere hat eine Doppelfunktion: Er ist einerseits der Übermittler des universalen Diskurses (410). Er ist zugleich der reale Pol der subjektiven Beziehung (407), d.h. etwas, was vom Subjekt nicht symbolisiert und nicht imaginiert werden kann.
Bezogen auf die psychoanalytische Behandlung steht A für die Anderen, an die sich der Patient wendet, ohne es zu wissen, also für den Anderen in der Übertragung (314). Der Analytiker hat an der radikalen Andersheit des Anderen dadurch teil, dass er schwer zugänglich ist (411).
(Es) S:
„S“ steht für „Subjekt“.
Lacan verwendet im kommentierten Text den Begriff „Subjekt“ in drei verschiedenen Bedeutungen, für den Platz oben links im Schema, für den Anderen und für den Patienten ganz allgemein.
Mit dem Subjekt am Platz oben links ist nicht das Subjekt allgemein gemeint, sondern das Subjekt, um das es in der Psychoanalyse geht (310).
Dieses Subjekt ist keine geschlossene Totalität, sondern offen für die Einwirkung des Sprechens und der Sprache (310). Es steht in einem problematischen Verhältnis zu dem vom Anderen kommenden Diskurs, diese Beziehung ist auch unabhängig von der Intervention des imaginären Registers konflikthaft (410).
Der Buchstabe „S“ steht nicht nur für „Subjekt“, sondern auch für „Symbol“ und für das deutsche Wort „Es“, also für das Freudsche Es (310, 407 f.). Auf die Gleichsetzung von S und Es verweist in der Version des Poe-Aufsatzes außerdem das in Klammern vorangestellte Wort „Es“, das im Original deutsch ist.
Subjekt
Das Subjekt spricht, aber es weiß nicht, was es sagt (310).
Symbol
Unter dem Symbol versteht Lacan im Rom-Vortrag das Symptom als Signifikant eines verdrängten Signifikats.64. Das Sprechen des Subjekts besteht darin, dass es Symptome produziert.
Es
Die Subjektivität des Kindes betätigt sich beispielsweise darin, dass es anale Triebregungen in Symbole eines Symptoms verwandelt.65 Der Zusammenhang von Subjekt, Symbol und Es ist vielleicht so zu verstehen: Die Subjektivität des Subjekts besteht darin, dass es Triebregungen (Es) in Symptome (Symbole) verwandelt.
Das „Es“ wird in Seminar 2 durch Freuds Satz „Wo Es war, soll Ich werden“ erläutert (314). Das Subjekt nimmt einen Platz ein („Es“), von dem es zu Beginn der Analyse nicht wußte, dass es dort war.
Anders als bei Freud wird von Lacan die Libido und das „Gesamt der Triebe“ vom Es ausgeschlossen. Ist mit dem Es der Todestrieb gemeint oder eine Beziehung zum Todestrieb? (407, 414)
Das Subjekt ist das Es, aber nicht der Agent des unbewussten Diskurses; der unbewusste Diskurs geht, wie das Schema zeigt, vom Anderen aus. Das Subjekt nimmt im Verhältnis zum Diskurs des Anderen, zum Unbewussten, einen Platz ein, von dem es nichts weiß (314).
Durch den vom Anderen kommenden universalen Diskurs ist das Subjekt in ein Eckchen des Nicht-Seins geworfen (410), das Subjekt ist Seinsmangel, wie es in Seminar 2 an früherer Stelle geheißen hatte (283 f.).
Was am Punkt S ist, enthüllt sich durch den körperlichen Träger des Subjekts, durch die biologische Realität (410 f.). Offenbar bezieht sich Lacan hier auf Konversionssymptome und auf Fehlhandlungen.
Das Subjekt ist das, was am Ende der Analyse zum Sprechen kommen soll (314). Der Patient sieht sich nicht am Platz des Subjekts, auch nicht am Ende der Analyse (310).
Im Psychose-Aufsatz wird der Punkt S des Schemas als die „unaussprechliche und stupide Existenz“ des Subjekts charakterisiert66; das erinnert daran, dass der Todestrieb stumm ist.
In der Perspektive des Analytikers ist das Subjekt der Andere (311). So wie der Andere ein Subjekt ist, ist das Subjekt ein Anderer.
A-S
Im Diagramm sieht man eine Pfeillinie, die von A zu S führt. Von einer solchen Pfeillinie oder von einer einseitigen Orientierung von A nach S ist in Seminar 2 nicht die Rede.
In der Version des Poe-Aufsatzes geht ein Pfeil von A nach S, er gibt die dominante Richtung an: das Subjekt wird vom Anderen determiniert, der Andere übermittelt den grundlegenden Diskurs an das Subjekt. Es gibt jedoch auch die umgekehrte Richtung, das Subjekt wendet sich an den Anderen.
Der Andere ist ein Subjekt (311, 314), also ist die Beziehung zwischen dem Anderen und dem Subjekt eine Beziehung zwischen Subjekten, eine Intersubjektivität (311).
(a) A→S: die symbolische Erschaffung des Subjekts durch das wahre Sprechen, die Berufung
Die Beziehung, die von A zu S geht, ist die der symbolischen Realisierung des Subjekts, der symbolischen Schöpfung (407 f.).
Schema L geht nicht von einem isolierten und abstrakten Subjekt aus, sondern von der symbolischen Ordnung, die, seit Menschen sprechen, eine immense Botschaft übermittelt, den universalen Diskurs; in ihm wird das Reale durch Symbolisierung umgeschaffen; die Psychoanalyse bezieht sich auf einen Ausschnitt aus einer dieser Kopplungen zwischen der symbolischen Ordnung und dem Realen (408). Das, was vom Anderen kommt, ist eine Schaltstelle im universalen Diskurs, der durch die Generationen hindurch übermittelt wird (410).
Brauchbare Begriffe für den Diskurs, der vom Anderen ausgeht und sich an das Subjekt richtet, sind „Berufung“ und „Anrufung“ (413). Beispiele für die vom Anderen ausgehenden Berufungen sind Appelle wie „Du bist meine Frau“ oder „Du bist mein Schüler“ (410) (bzw. „Du bist seine Frau“ und „Du bist sein Schüler“).
Das Schema setzt voraus, das sich das Sprechen geradlinig ausbreitet, wie das Licht, was jedoch nur eine Metapher ist (316).
Vermutlich kann die Beziehung A → S auch so gelesen werden, dass die Sprache auf das mythische vorsymbolische Subjekt einwirkt und hierdurch das von der Sprache geprägt Subjekt erzeugt.
(b) Die Symbolisierung des Realen und das Nicht-Sein
Die Beziehung zwischen A und S ist in sich selbst konflikthaft, unabhängig vom imaginären Verhältnis (410).
Der vom Anderen übermittelte universale Diskurs dient der Symbolisierung des Realen (408).
Durch den vom Anderen kommenden universalen Diskurs wird das Subjekt in ein Eckchen des Nicht-Seins geworfen (410).
(c) Die Spaltung der Linie zwischen A und S durch das imaginäre Verhältnis
Die Beziehung zwischen A und S wird durch das imaginäre Verhältnis unterbrochen, sie ist aber in sich selbst konflikthaft, unabhängig vom imaginären Verhältnis (410).
Im Falle der Neurose, d.h. des Symptoms, gibt es etwas Verdrängtes; bezogen auf das Schema heißt das: etwas, was von A nach S verläuft, kommt durch und kommt zugleich nicht durch (411).
Die Beziehung A-S ist unbewusst, sie ist wesentlich für jede subjektive Situation. (407 f.)
(d) Die Wiederholung
Die Beziehung zwischen A und S ist der Bereich des Wiederholungszwangs; die Wiederholung besteht darin, dass etwas insistiert, dass etwas darauf drängt, von A nach S überzugehen, aber durch die imaginäre Beziehung daran gehindert wird (412).
Das Verhältnis A→S steht für den Todestrieb, d.h. für die symbolische Ordnung, insofern sie sich nicht realisiert hat, deshalb nicht, weil die symbolische Anerkennung nicht vollzogen wurde und die symbolische Ordnung deshalb im Wiederholungszwang insistiert, um realisiert zu werden (407, 414).
(e) S→A
Das Subjekt wendet sich an den Anderen bzw. an die Anderen, diese Beziehung gehört zur Ordnung des Sprechens, nicht der Sprache; hierbei geht es um ein wahres Sprechen (311).
Das Subjekt weiß nicht, an welche Anderen es sich wendet,
– weil es diese Anderen nicht anerkennt,
– aufgrund der Wirkung der Sprache (im Gegensatz zum Sprechen), nämlich der Sprachmauer.
(311).
Durch eine Analyse soll das Subjekt entdecken, an welche Anderen es sich wendet, ohne es zu wissen; es soll durch ein wahres Sprechen mit dem Anderen verbunden werden (311, 314).
Am Ende der Analyse anerkennt das Subjekt seine Erfahrung (410), es stellt die symbolische Anerkennung her (414).
Die Bezeichnung „symbolische Achse“, mit der die Beziehung A-S in der Sekundärliteratur häufig beschrieben wird, findet sich nicht in Seminar 2.
Verhältnis zwischen a und A: Übertragung
Die Beziehung zwischen dem Ich und dem Anderen, a-A (bzw. m-A), steht für die Übertragung im Sinne der Psychoanalyse (411). Die Übertragung kann sich nur dann herstellen, wenn die Beziehung des Ichs des Patienten zum Analytiker als imaginärem anderen ausgeschaltet ist, wenn aꞌ in der Beziehung von a zu aꞌ, der Widerstand, ausgelöscht ist (314). Wenn der Widerstand verschwindet, stellt sich die Übertragung ein und das Subjekt realisiert, an welche Anderen es sich, ohne es zu wissen, wendet.
Indem sich das Ich in der Übertragung auf den Anderen bezieht und sich in Übereinstimmung mit dem vom Anderen kommenden Diskurs bringt, wird es nach und nach mit dem Subjekt verbunden, es realisiert, von welchem Platz aus das Subjekt sich an den Anderen wendet (314). Die Beziehung hat dann die Struktur a-A-S (in Seminar 2: m-A-S).
Verhältnis zwischen S, a und A
Freuds Formel „Wo Es war, soll Ich werden“ wird von Lacan so gedeutet: Da, wo das Subjekt war, ohne es sagen zu können (in der Wiederholung), (Es) S , soll das Ich (a) das Wort ergreifen und auf diese Weise, in der Übertragung, eine Beziehung zum wahren Anderen (A) herstellen, hierdurch kann sich das Ich allmählich auf den Platz des Subjekts beziehen. (314)
Verhältnis zwischen S und a
Das Ich ist vom Subjekt normalerweise durch das imaginäre Verhältnis getrennt, d.h. durch die Beziehung zum anderen als Objekt. Gleichwohl gibt es eine Verbindung zwischen dem Ich und dem Subjekt. Sie wird dadurch ermöglicht, dass die Subjekte „eingefleischt“ sind, dass sie einen biologischen Körper haben; das, was auf dem Niveau des Symbols geschieht, ereignet sich bei Lebewesen. (410 f.)
Unbewusstes
Im Schema des Poe-Aufsatzes wird das Unbewusste vom Es unterschieden. Der vom Anderen ausgehende Pfeil, der sich auf das Subjekt richtet, trägt hier in der ersten Hälfte die Bezeichnung „unbewusst“; der Punkt des Subjekts hingegen heißt „(Es) S“. In Lacans Erläuterungen des Schemas in Seminar 2 wird, bezogen auf das Schema, die Bezeichnung „unbewusst“ nicht erwähnt und nicht kommentiert.
Mit dem vom Anderen kommenden Pfeil „unbewusst“ ist gemeint, dass das Unbewusste des Subjekts der Diskurs des Anderen ist, wie Lacan im Rom-Aufsatz geschrieben hatte67 und wie er zur Erläuterung einer etwas anderen Variante des Schemas im Psychose-Aufsatz wiederholt.68 Das Unbewusste spricht, es stellt die Frage „Was bin ich?“, etwa in der Form „Was heißt es, eine Frau zu sein?“ oder „Warum lebe ich statt dass ich tot bin?“69 Das Unbewusste spricht.
Etwas vereinfacht kann man sagen, der Andere ist das Unbewusste. Lacans spätere Formel wird sein, das Unbewusste ist am Ort des Anderen. Das Unbewusste ist also keineswegs das Subjekt. Das Subjekt ist Adressat des unbewussten Diskurses des Anderen.
Das Es schweigt, heißt es zur Erläuterung des Schemas im Poe-Aufsatz.70
Gesamtschema
Subjekt – Objekt
Die Beziehung zwischen dem Subjekt und dem Anderen ist eine Beziehung der Intersubjektivität (311). Diese Beziehung wird durch die imaginäre Beziehung zugleich durchkreuzt und vermittelt. In der imaginären Beziehung sind die Pole füreinander Objekte (310 f.). A-S ist die Achse der Intersubjektivität; aꞌ-a, so könnte man sagen, ist die Achse der Interobjektivität.
Sprechen und Sprache
Die Beziehung zwischen dem Subjekt und dem Anderen ist eine Beziehung des Sprechens, des wahren Sprechens. Die Beziehung zwischen dem Ich und dem anderen ist eine imaginäre Beziehung, die durch die Sprache stabilisiert wird, durch die Sprachmauer, das System der Benennungen. Das Sprechen stellt eine Beziehung zwischen Subjekten her, die Sprache eine Beziehung zwischen Objekten. (311)
Psychoanalytische Kommunikation
Die Psychoanalyse steht an einer Gabelung ihres Weges, die Psychoanalytiker haben eine Entscheidung zu treffen (316).
Viele Psychoanalytiker treiben die Psychoanalyse in die Richtung, dass das Ich des Patienten sich auf den anderen (mit kleinem a) bezieht, d.h. auf das Ich des Psychoanalytikers (314 f.). Der Patient wird hierbei zum Objekt, und die Analyse besteht in der Ummodelung des Ichs des Patienten nach dem Modell des Ichs des Analytikers, wodurch das Ich des Patienten zu einem immer stärkeren Ich werden soll; diese Auffassung findet man etwa bei Rudolph Loewenstein, sie ist mit bestimmten Formen der Widerstandsanalyse verbunden (316, 412).
Diese Orientierung ist falsch.
Stattdessen kommt es darauf an, dass der Patient ein Bewusstsein davon bekommt, an welche Anderen (mit großem A) er sich wendet, ohne es zu wissen (316) und von welchem Platz aus das Subjekt sich an den Anderen wendet (412). Die Psychoanalyse muss abzielen auf den Übergang zu einem wahren Sprechen, durch welches das Subjekt mit dem Anderen verbunden wird (314).
Die Analyse offenbart dem Subjekt seine Bedeutung; diese Bedeutung entsteht durch ein Sprechen des Subjekts, das es vom Anderen übernimmt, durch eine Berufung, eine Anrufung (413).
Das Sprechen des Anderen kommt zum Subjekt durch und kommt nicht zu ihm durch (411); die Anerkennung ist nicht vollzogen worden (314), die symbolische Ordnung hat sich nicht verwirklicht, sie insistiert im Wiederholungszwang, um realisiert zu werden (414).
Die Beziehung zwischen dem Subjekt und dem Anderen wird durch die Beziehung zwischen dem Ich und dem anderen blockiert; das imaginäre Verhältnis hat die Funktion des Widerstands (411). Damit sich der Bezug zum Anderen herstellen kann, darf der Analytiker nicht als anderer fungieren, der Spiegel muss leer bleiben (316), das Ich des Analytikers muss ausgelöscht sein (411).
Unter dieser Voraussetzung entsteht die Beziehung zum Anderen in Form der Übertragung (314, 316). Durch seine Unzugänglichkeit hat der Analytiker teil an der radikalen Andersartigkeit des Anderen (411).
Die Übertragung ist eine Beziehung zwischen dem Ich des Patienten (Punkt unten links) und dem Anderen (mit großem A) (411 f.). In der Übertragung lernt das Ich, sich in Übereinstimmung zu bringen mit dem vom Anderen kommenden grundlegenden Diskurs (412). Es bezieht sich auf den Anderen, der ein Subjekt ist (314), der es belügen kann (311), der die Antwort gibt, die es nicht erwartet; diese unerwartete Antwort setzt den Schlusspunkt der Analyse (314).
Am Ende der Analyse anerkennt das Subjekt seine Erfahrung (314), hierdurch stellt sich die symbolische Anerkennung her (414).
Durch den Bezug zum Anderen in der Übertragung kann das Ich nach und nach an das Subjekt (Punkt oben links) gebunden werden und ein Bewusstsein davon gewinnen, von welchem Platz aus sich das Subjekt an den Anderen wendet, „wo Es war“ (314, 412). Allerdings kann sich der Patient auch am Ende der Analyse nicht am Platz des Subjekts sehen (310).
A, m, a, S
Die Beziehung von A zu S verläuft immer über das imaginäre Verhältnis, also über die objektivierende Beziehung des Ichs zum anderen, was sich insgesamt so schreiben lässt: A, m, a, S (409).
Wenn ich ein wahres Sprechen artikuliere, ziele ich immer auf den Anderen als Subjekt; ich erreiche jedoch immer nur den anderen, aꞌ; vom Anderen als Subjekt bin ich durch das Zusammenwirken des Imaginären und der Sprachmauer getrennt (311).
Triodenröhre
Der Gesamtzusammenhang wird von Lacan durch eine Triodenröhre veranschaulicht. In die Beziehung des Anderen zum Subjekt (in den Elektronenfluss von der Kathode zur Anode) ist das imaginäre Verhältnis als Widerstand eingeschaltet (ein Steuergitter, wenn es negativ geladen ist). Das imaginäre Verhältnis blockiert die Beziehung des Anderen zum Subjekt. Im Verlauf einer Analyse wird diese Blockierung aufgehoben, und zwar dadurch, dass der Analytiker nicht den Platz des anderen einnimmt, das Ich hat dann die Funktion, die Beziehung zum Diskurs des Anderen aufzuklären (das Steuergitter wird positiv geladen und fungiert dann als Verstärker). (409 f., 412)
Kommunikation
Der Sender empfängt seine eigene Botschaft vom Empfänger in umgekehrter Form, sagt Lacan bereits im Rom-Vortrag. Der Sender sagt „Du bist meine Frau“ und empfängt damit vom Anderen die Botschaft „Du bist mein Mann“ (oder auch „Du bist ihr Mann“). „Du bist meine Frau“ richtet sich an die andere als Partnerin, die Äußerung kann dem imaginären Verhältnis aꞌ-a zugeordnet werden. Die Botschaft „Du bist mein Mann“ ist ein Effekt der symbolischen Ordnung und der Grammatik, sie entspricht der vom Anderen zum Subjekt führenden Beziehung. (410)
Verhältnis zu Freud
Mit Schema L bezieht Lacan sich auf Freuds Schriften Jenseits des Lustprinzips und Das Ich und das Es.
Zwei Termini des Schemas, „Ich“ und „Es“, verweisen direkt auf den Titel von Das Ich und das Es. Die graphische Darstellung der Beziehungen zwischen den Instanzen ist Lacans Antwort auf Freuds zeichnerische Darstellungen der zweiten Topik in Das Ich und das Es71 sowie in der Neuen Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse.72 Unter ausdrücklichem Bezug auf Freud begreift Lacan das Ich als Sitz des Widerstands (411).
Lacan übernimmt zwar die Begriffe „Ich“ und „Es“, nicht aber die Begriffe „Vorbewusstes“ und „Über-Ich“, die man ebenfalls in Freuds Schemata findet. Aus Freuds Vorbewusstem, das mit dem Ich verbunden ist, den Wortvorstellungen, wird bei Lacan die Sprachmauer, die sich der imaginären Beziehung überlagert und sie stabilisiert (311, 314, 316).
Das Schema ist bewusst dualistisch und knüpft damit ausdrücklich an Freuds dualistische Form der Theoriebildung an (413). Die Libido wird der Achse aꞌ-a zugeordnet, der Todestrieb der Achse A-S (407, 414).
Auch der Wiederholungszwang und die Übertragung, Hauptthemen von Jenseits des Lustprinzips, werden im Schema verortet. Die Wiederholung wird der von A ausgehenden, auf S gerichteten Beziehung zugeordnet (411 f.). Die Übertragung wird als Beziehung zwischen dem Ich und dem Anderen (a-A) begriffen, durch die sich eine Verbindung zwischen dem Ich und dem Subjekt herstellt (314, 411 f.).
Freuds Diktum „Wo Es war, soll Ich werden“ wird ebenfalls Schema L zugeordnet (314, 414).
– „Wo Es war …“: Das Subjekt ist an einem Platz, von dem aus es sich auf den Anderen bezieht, ohne dies zu wissen; es befindet sich am Platz (Es) S im Schema oben links.
– “ … soll Ich werden“: In einer psychoanalytischen Kur wird die imaginäre Beziehung des Ichs (a) zum objektivierten anderen (aꞌ) ausgeschaltet. Dies ermöglicht es dem Ich, sich zum wahren Anderen (A) in Beziehung zu setzen, zum Diskurs des Anderen (von A ausgehende Pfeillinie). Auf diesem Wege gelangt es an den Punkt, wo das Subjekt ist (Es) S) (412).
Über-Ich
Lacan bringt in Schema L das Ich und das Es unter, nicht aber das Über-Ich. Dies entspricht Freuds erster zeichnerischer Darstellung der zweiten Topik im Jahr 1923; die zweite Zeichnung, von 1933, enthält auch das Über-Ich.
Wo wäre in Schema L das Über-Ich zu verorten? In Seminar 1 wird das Über-Ich von Lacan so beschrieben:
- Das Über-Ich ist auf der symbolischen Ebene des Sprechens verortet. Es ist ein Imperativ, es steht in Beziehung zum Gesetz.
Das Über-Ich ist aber nicht einfach mit dem Gesetz identisch. Das Über-Ich ist das Gesetz, soweit es vom Subjekt nicht integriert werden kann, nicht verstanden werden kann. Das hat zur Folge, dass es vom Subjekt verkannt wird; das Gesetz reduziert sich für es auf ein reines „Du sollst“. Dies führt zu einer Spaltung des Subjekts im Hinblick auf das Gesetz, die symbolische Welt des Subjekts wird in zwei Teile zerschnitten.73
Das Über-Ich gehört zu den verheerendsten und faszinierendsten frühen Erfahrungen, es erscheint in den „reißenden Gestalten“, die mit den ursprünglichen Traumata verbunden sind.74
Die Forderung, dass der Analytiker die Position des Über-Ichs einnehmen sollte, ist nicht haltbar, denn das Über-Ich ist eine Hauptquelle der Neurose.75
Vielleicht kann man das Über-Ich dem zweiten Abschnitt des von A ausgehenden Pfeils zuordnen, also dem gestrichelt gezeichneten Segment dieser Linie. Das von A ausgehende Gesetz (z.B. „Du bist meine Frau“) wird von der imaginären Beziehung der Zensur unterworfen; es erreicht das Subjekt deshalb in einer Gestalt, die für es keinen Sinn hat und die es deshalb nicht anerkennen kann.
Zur Sekundärliteratur
Bice Benvenuto und Roger Kennedy
Der Pfeil zwischen A und S
Benvenuto und Kennedy erläutern Schema L so:
„Die symbolische Verwirklichung des Subjekts findet zwischen S und A statt und ist unbewusst. Die imaginäre Beziehung bildet ein Hindernis für die symbolische Verwirklichung des Subjekts. Was zwischen S und A durchkommt, beispielsweise im Insistieren einer Signifikantenkette, geht immer durch die Vermittlung der imaginären Beziehung a – aꞌ hindurch. Wenn das Subjekt in der Analyse spricht, wobei es auf die Verwirklichung des wahren Subjekts zielt (wenn es von S nach A geht), wird es durch a -aꞌ abgelenkt.“76
Das bezieht sich auf Lacans Erläuterung des Schemas im Aufsatz Das Seminar über E. A. Poes „Der entwendete Brief“. Zu Lacans Darstellung in Seminar 2 passt die Beschreibung nur halb. Benvenuto und Kennedy stellen die Beziehung zwischen S und A ausschließlich als ein Verhältnis dar, das vom Subjekt ausgeht und sich an den Anderen wendet. In Seminar 2 beschreibt Lacan diese Verbindung anders, als Beziehung, die in beide Richtungen geht. Hier zunächst zwei Formulierungen, mit denen die Darstellung von Benvenuto und Kennedy bestätigt wird:
„Anders ausgedrückt, wir wenden uns faktisch an die A1, A2, die das sind, was wir nicht kennen, veritable Andere, wahre Subjekte.“ (311, Übersetzung geändert)
„Es geht darum, daß das Subjekt mehr und mehr entdeckt, an welchen Anderen es sich wahrhaft wendet, wenn auch ohne es zu wissen, und daß es mehr und mehr die Übertragungsbeziehungen aufnimmt an dem Platz, wo es ist und wo es zunächst nicht wußte, daß es war.“ (314, Übersetzung geändert)
Die Beziehung geht aber auch vom Anderen zum Subjekt, und diese Richtung dominiert:
„Die symbolische Realisierung des Subjekts, die immer symbolische Schöpfung ist, ist die Beziehung, die von A zu S geht.“ (407 f., Übersetzung geändert)
„Sagen, dass es ein Verdrängtes gibt, ein Verdrängtes, das niemals ohne Wiederkehr abgeht, heißt genau darauf anzuspielen, das etwas vom Diskurs, der von A nach S geht, durchkommt und zugleich nicht durchkommt.“ (411, übersetzt nach Version Staferla)
„Das fundamentale Sprechen, das von A nach S geht, trifft hier auf eine harmonische Schwingung, etwas, das, statt zu interferieren, seinen Durchgang ermöglicht.“ (412)
Im Modell der Triodenröhre geht der Strom von der Kathode zur Anode, d.h. vom Anderen zum Subjekt (409 f., 412).
Das im Poe-Aufsatz abgebildete Schema (links) stellt die von A nach S zeigende Richtung in den Vordergrund, sie wird hier durch zwei Pfeile angezeigt. Für die entgegengesetzte Orientierung gibt es keinen Pfeil. Die Richtung von A nach S führende Richtung ist dominant. Es ist also wohl kein Zufall, dass Benvenuto und Kennedy in ihrer Abbildung des Schemas aus dem Poe-Aufsatz (rechts) die beiden von A nach S zeigenden Pfeilspitzen weggelassen haben.77
Marie-Hélène Brousse
Sprachmauer
Marie-Hélène Brousse ordnet den Begriff der Sprachmauer anders zu, als ich es hier getan habe:
„Die Beziehung hier zwischen S und A – wobei S auf das Freudsche Es bezogen wird – ist das, was die Sprachmauer genannt wird: das Symbolische.“78
Die Sprachmauer ist, Brousse zufolge, die Beziehung zwischen dem Subjekt und dem Anderen, und sie ist identisch mit dem Symbolischen. Diese Einordnung findet man auch in Version Staferla von Seminar 2. In meinem Kommentar habe ich die Sprachmauer hingegen der imaginären Beziehung zwischen dem Ich und dem anderen zugeordnet. Diese alternative Zuordnung wird auch von Mikkel Borch-Jacobsen und von Darian Leader vorgenommen.79
Gegen die Lösung von Brousse und Staferla habe ich vier Einwände.
(1) Schema L beruht in Seminar 2 auf dem Gegensatz zwischen der Beziehung zwischen Objekten und der Beziehung zwischen Subjekten; die Sprachmauer stellt, Lacan zufolge, die Beziehung zwischen Objekten her.
Das Ich und der andere sind Objekte:
„Das Ich, so wie wir’s verstehen, der andere, seinesgleichen, all diese Imaginären sind Objekte.“ (Seminar 2, 311)
Das Subjekt und der Andere sind Subjekte. In Seminar 2 heißt es:
„Dies gesagt, darf man nicht die uns als Analytiker eigene Basisannahme auslassen – wir glauben, daß es andere Subjekte als uns gibt, daß es authentisch intersubjektive Beziehungen gibt. Wir hätten keinen Grund, das zu denken, hätten wir nicht das Zeugnis dessen, was die Intersubjektivität charakterisiert, nämlich daß das Subjekt uns belügen kann. Das ist der entscheidende Beweis. Ich sage nicht, daß das das einzige Fundament der Realität des anderen Subjekts ist, es ist sein Beweis. Anders ausgedrückt, wir wenden uns faktisch an die A1, A2, die das sind, was wir nicht kennen, veritable Andere, wahre Subjekte.“ (311, Übersetzung geändert)
Schema L beruht auf dem Dualismus von Interobjektivität, wie man sagen könnte, und Intersubjektivität.
Konstante Objekte entstehen erst durch Benennung:
„Die Macht, die Objekte zu benennen, strukturiert die Wahrnehmung selbst. Das percipi des Menschen vermag sich nur innerhalb einer Zone der Benennung zu halten. Durch die Benennung läßt der Mensch die Objekte in einer gewissen Konsistenz bestehen. Stünden sie nur in einer narzißtischen Beziehung zum Subjekt, dann würden die Objekte immer nur in instantaner Weise wahrgenommen. Das Wort, das Wort, welches benennt, ist das Identische.“ (217)
Die Sprachmauer ist das System der Benennungen, durch welches das Ich und der andere zu Objekten werden:
„Ausgehend von der durch die Sprachmauer definierten Ordnung nimmt das Imaginäre seine falsche Realität an, die trotzdem eine verifizierte Realität ist. Das Ich, so wie wir’s verstehen, der andere, seinesgleichen, all diese Imaginären sind Objekte. Gewiß, sie sind nicht Monden homogen – und wir laufen jeden Augenblick Gefahr, das zu vergessen. Aber das sind eben Objekte, weil sie als solche benannt sind in einem organisierten System, das das der Sprachmauer ist.“ (311)
Die Sprachmauer steht nicht quer zur imaginären Beziehung, sondern stützt sie:
„Wenn das Subjekt mit seinesgleichen [semblables] spricht, dann spricht es in der Umgangssprache [langue commun], die die imaginären Ich [moi] nicht bloß für ex-sistente, sondern für reale Dinge hält. Da es nicht wissen kann, was in dem Feld ist, wo der konkrete Dialog sich hält, hat es mit einer Reihe von Personen, aꞌ, aꞌꞌ, zu tun. Sofern das Subjekt sie mit seinem eigenen Bild in Beziehung setzt, sind diejenigen, zu denen es spricht, auch diejenigen, mit denen es sich identifiziert.“ (311)
Die Sprachmauer wird hier auf die Umgangssprache bezogen und auf das Sprechen mit seinesgleichen – auf das Sprechen mit den anderen, insofern es diese für reale Dinge hält, für Objekte, nicht auf das Sprechen mit dem Anderen.
(2) Das Subjekt und der Andere befinden sich, Lacan zufolge, auf den beiden Seiten der Sprachmauer – nicht an ihren Enden.
Über die Anderen heißt es:
“Sie sind auf der anderen Seite der Sprachmauer, da, wo ich sie im Prinzip niemals erreiche. Im Grunde sind sie’s, die ich anvisiere, jedesmal, wenn ich ein wahres Sprechen artikuliere, aber ich erreiche immer aꞌ, aꞌꞌ, per Reflexion. Ich visiere immer die wahren Subjekte, und ich muß mich bescheiden mit Schatten. Das Subjekt ist von den Anderen, den wahren, durch die Sprachmauer getrennt.“ (311, Übersetzung geändert)
Und etwas später:
„Die Analyse muß abzielen auf den Übergang zu einem wahren Sprechen, durch welches das Subjekt mit einem anderen Subjekt verbunden wird, auf der anderen Seite der Sprachmauer. Das ist die letzte Beziehung des Subjekts zu einem veritablen Anderen, zu dem Anderen, der die Antwort gibt, die man nicht erwartet, die den Schlußpunkt der Analyse definiert.“ (314, Übersetzung geändert)
Die Anderen sind, vom Subjekt aus gesehen, auf der anderen Seite der Sprachmauer. Es gibt ein Diesseits und ein Jenseits dieser Mauer, diesseits ist das Subjekt, jenseits sind die Anderen, die Mauer verläuft zwischen beiden. Das Subjekt und der Andere befinden sich auf den beiden Seiten der Mauer, nicht an ihren beiden Enden, sie werden durch die Sprachmauer nicht etwa verbunden, sondern getrennt. Bezieht man das auf die Topik von Schema L, heißt das: Die Sprachmauer liegt dort, wo auch die imaginäre Beziehung zwischen dem Ich und dem anderen verläuft.
„Was mit der Sprachmauer interferiert, ist die Spiegelrelation, durch die das, was zum Ich [moi] gehört, immer durchdrungen, angeeignet wird durch die Vermittlung eines anderen, der für das Subjekt immer die Eigenschaften des Urbildes*, des fundamentalen Bildes des Ich behält.“(316)
Dieser Satz ermöglicht keine Entscheidung. Die Spiegelbeziehung „interferiert“ mit der Sprachmauer. Das könnte heißen: sie interveniert in die Spiegelbeziehung und unterbricht sie. Es könnte aber auch gemeint sein: sie überlagert sich mit der Spiegelbeziehung.
(3) Schema L beruht nicht nur auf dem Gegensatz von Interobjektivität und Intersubjektivität, sondern auch auf dem von Sprache und Sprechen; die Achse A-S wird von Lacan dem wahren Sprechen zugeordnet, die Sprachmauer gehört zur Sprache.
„Während das Sprechen [parole] sich gründet in der Existenz des Anderen, des wahren, ist die Sprache [langage] dazu da, um uns auf den objektivierten anderen zu verweisen“ (311).
Die Achse A-S ist die Achse des „wahren Sprechens“ (311). Die Sprachmauer hingegen gehört zur Seite der Sprache, das zeigt der Name an: mur du langage.
Das Symbolische wird von Lacan also nicht für die Beziehung zwischen dem Subjekt und dem Anderen reserviert; das Symbolische interferiert, in der Form der Sprachmauer, des Benennungssystems, in das Verhältnis zwischen dem Ich und dem anderen.
(4) Die Sprachmauer ist Lacans Umarbeitung von Freuds Konzept der Wortvorstellungen. Die Wortvorstellungen bilden das Vorbewusste, das Vorbewusste gehört zum Ich. Also ist zu vermuten, dass Lacan die Sprachmauer der imaginären Achse zuordnet.
Schema L ist Lacans Alternative zu Freuds graphischen Darstellungen der zweiten Topik. Wie Freud verortet auch Lacan in seinem Schema das Ich und das Es. In Freuds Diagramm findet man außerdem das Vorbewusste („Vbw“).80 Also kann man sich fragen, ob Lacan auch das Vorbewusste in Schema L unterbringt.
Das Vorbewusste entsteht Freud zufolge dadurch, dass die Sachvorstellungen des Unbewussten durch Wortvorstellungen überbesetzt werden. Das Vorbewusste gehört zum Ich.
Die Sprachmauer besteht aus dem System der Benennungen. Ich nehme an, dass Lacan damit Freuds Begriff der Wortvorstellungen übersetzt. Nun gehören die Wortvorstellungen zum Ich. Also ist anzunehmen, dass Lacan das System der Benennungen ebenfalls dem Ich zuordnet, genauer: der imaginären Beziehung zwischen dem Ich und dem anderen.
Natalie Delafond
Subjekt (S) und Ich (Je)
Natalie Delafond erläutert das Schema so:
„Ich kann mich als Ich nur imaginieren, in a, ausgehend vom Bild des anderen, von meinesgleichen (mon semblable), aꞌ, in einer Spiegelbeziehung. Aber für die Psychoanalyse ist Ich (Je), als Subjekt des Sprechens, S, durch das Symbolische determiniert, das ihm vorausgeht und einen Ort voraussetzt, A, als Ort der Signifikanten.“81
Das S wird hier mit dem Je gleichgesetzt, mit dem Subjekt des Sprechens. In Seminar 2 wird ein solcher Zusammenhang nicht hergestellt.
Subjekt und Anderer
„Wer spricht und zu wem?“ heißt es etwas später.
„Das ist für den Psychoanalytiker die Frage, weil es kein Sprechen gibt, das sich nicht an jemanden wendet. Diese Adressierung ermöglicht es, auszumachen, von wo das Subjekt spricht. Es wendet sich an den anderen, an seinesgleichen (son semblable), in aꞌ, aber sein Sprechen zielt zugleich auf einen Anderen, den es anruft als Garanten für die Wahrheit dessen, was es in seinem Sprechen einbringt.“82
Das bezieht sich auf eine spätere Phase der Theorieentwicklung und kann deshalb hier außer Acht bleiben. Auf welche Weise wird in Seminar 2 die Beziehung zwischen dem Subjekt und dem Anderen hergestellt? Auf dem Weg über das Ich, d.h. auf dem Wege der Übertragung, die von Lacan hier als Beziehung zwischen dem Ich und dem Anderen begriffen wird. Auf der Grundlage der Übertragung bringt sich das Ich allmählich in Übereinstimmung mit dem Anderen. Dies macht es möglich, dass das Ich nach und nach an das Subjekt gebunden wird. (412)
Maire Jaanus
Ich und Subjekt
Maire Jaanus schreibt:
„In Schema L spricht das Ich (a) mit einem anderen (aꞌ), der sein Gegenbild ist, über sich selbst (S), wobei es sich nicht dessen bewusst ist, dass die radikale Andersheit der Sprache es in etwas gespalten hat, was sowohl vom Unbewussten (Es) her spricht als auch vom Bewusstsein (S) her (oder von $ her, wie Lacan später schreiben wird).“83
Demnach ist das Subjekt das Thema, über das das Ich mit dem anderen spricht.
Schema L beruht auf dem Gegensatz von zwei Beziehungsarten: der zwischen Objekten und der zwischen Subjekten. Wenn das Subjekt in der psychoanalytischen Kommunikation zum Thema wird, hört es auf, ein Subjekt zu sein und wird zum Objekt. Wenn der Patient sagt: „Ich bin ein X“ oder „Ich habe X getan“, spricht er über das Ich.
Unbewusstes und Es
Jaanus identifiziert das Unbewusste mit dem Es. Das Schema stellt jedoch beide einander gegenüber: das Es wird dem Subjekt zugeordnet, das Unbewusste ist der Diskurs des Anderen. Für Lacan ist das Es nicht das Unbewusste. Die Achse A-S ist eine Intersubjektivität, die in sich selbst konflikthaft ist, wie er sagt, auch ohne Eingreifen der imaginären Beziehung (Seminar 2, S. 410). Der Konflikt, um den es auf der Achse A-S geht, ist der zwischen dem Diskurs des Anderen und dem Es. Der Andere wendet sich mit dem universalen oder fundierenden Diskurs an das Subjekt; das Subjekt antwortet hierauf dem Anderen, indem es Symptome produziert.
Das Symbol S (oben links) ordnet Jaanus dem Bewusstsein zu. Dafür gibt es in Seminar 2 keine Anhaltspunkte, das S wird hier übersetzt mit „Es“, „Symbol“ und „Subjekt“ (vgl. 407 f.).
Übertragung
Jaanus fährt fort:
„Das Ich vergisst die Tatsache, dass es selbst (S) symbolisch ist, und auch die Tatsache, dass das Sprechen sich ganz und gar dem Symbol (A) verdankt, durch das es menschlich wird. Die Analyse ist deshalb die Eröffnung des Subjekts für dieses Bewusstsein, indem es verschoben wird von der Dialektik von S, a und aꞌ zur Dialektik von S, Es und A.“84
In der Analyse kommt es demnach zu einer Verschiebung. Die Ausgangskonstellation ist S, a und aꞌ, die Endkonfiguration ist S, Es, A.
In Seminar 2 stellt Lacan es anders dar. Ausgangspunkt ist die Widerstandsbeziehung a-aꞌ, nicht etwa S, a, a‘. Diese verwandelt sich durch die Ausschaltung von aꞌ in die Übertragungsbeziehung a-A; von hier aus hat das Ich einen Zugang zum Platz des Subjekts. Die Beziehung, die schließlich hergestellt wird, ist also a-A-S (vgl. Seminar 2, S. 314, 411). In der Auseinandersetzung mit Miller habe ich das ausführlicher dargestellt. Jaanus übersieht die Rolle des Ichs in der Übertragung.
Darian Leader
Sprechen und Anerkennung
Darian Leader (der den instruktivsten Aufsatz zum Schema geschrieben hat) schreibt zu Schema L:
„In gewissem Sinne kann man sagen, dass die Achse A-S die Perspektive des Strukturalismus der späten 40er und frühen 50er Jahre verdichtet, mit der Auffassung, dass das Subjekt bloß ein Effekt, ein Produkt der Dynamik der sozialen Kräfte ist. Das Subjekt S wird durch die soziale Struktur und Organisation streng determiniert werden, beispielsweise durch seine Kultur.“85
Er übersieht die Rolle des Sprechens und der Anerkennung. Lacan erläutert Schema L unter anderem so:
“Dem Satz Freuds Wo Es war, soll Ich werden* sind zwei Bedeutungen zu geben. Dieses Es*, nehmen Sie das wie den Buchstaben S. Es ist da, es ist immer da. Das ist das Subjekt. Es kennt sich oder es kennt sich nicht. Das ist nicht einmal das Wichtigste – es kommt oder es kommt nicht zum Sprechen. Am Ende der Analyse soll es das Wort ergreifen und mit dem wahren Anderen in Beziehung treten. Da, wo das S war, da soll das Ich* sein.
Da reintegriert das Subjekt authentisch seine membra disjecta und anerkennt, reaggregiert seine Erfahrung.“ (314, Übersetzung geändert)
Die Verdrängung des Begehrens beruht auf Nicht-Anerkennung.86 Das Subjekt (S) kommt zum Sprechen oder nicht zum Sprechen; wenn es zum Sprechen kommt, tritt es zum wahren Anderen (A) in Beziehung und vollzieht einen Akt der Anerkennung. Ob es spricht und so die Anerkennung vollzieht – ob die Verdrängung aufgehoben wird –, ist, in Lacans Perspektive, nicht durch die Sozialstruktur determiniert.
Der reale Pol der subjektiven Beziehung
Leader fährt fort:
„Aber der Andere bezieht sich hier nicht nur auf die Menge der Elemente, die die symbolische Welt ausmachen, in die das Subjekt geboren wird, sondern auch auf den symbolischen Platz, der jedesmal gegenwärtig ist, wenn jemand spricht.“85
Anderes als Leader es darstellt, ist der Andere der Achse A-S für Lacan in Seminar 2 keine rein symbolische Instanz. Lacan bezeichnet den Anderen als „realen Pol der subjektiven Beziehung“ (407) , und er erklärt, der Subjektcharakter des Anderen werde dadurch bewiesen, dass er lügt (311). Der Andere ist der Pol, an dem das Subjekt auf das Reale stößt: darauf, dass etwas sich der Symbolisierung widersetzt. Später wird Lacan diesen Gedanken so präzisieren: Es gibt keinen Signifikanten, der die Wahrheit dessen garantieren könnte, was der Andere sagt; die Wahrheit hängt von seiner Aufrichtigkeit ab, und auf die ist kein Verlass (vgl. diesen und diesen Blogbeitrag). In Seminar 6 wird das zum Symbol S(Ⱥ) verdichtet, „Signifikant des ausgestrichenen Anderen“. An genau diesem Punkt wird Lacan sich von Lévi-Strauss abgrenzen: S(Ⱥ) ist nicht ein Nullsymbol im Sinne von Lévi-Strauss (eine Art Joker, der dem Spiel der Signifikanten seine Vollständigkeit sichert), sondern der Signifikant eines Mangels eines solchen Nullsymbols.87
Jacques-Alain Miller
Reales
Miller bezeichnet die Linie a-aꞌ von Schema L als „imaginäre Achse“ und die Linie S-A als „symbolische Achse“.88 Das ist problematisch.
Sicherlich ist die Linie mit den Endpunkten a und aꞌ die imaginäre Achse. Die Beziehung zwischen A und S ist jedoch komplexer, A-S ist eine zugleich symbolische und reale Achse.
Um die symbolische Achse handelt es sich insofern, als die Beziehung von A zu S die der symbolischen Realisierung des Subjekts ist (vgl. Seminar 2, 407 f.), die Linie auf, der der universale Diskurs sich in Form eines Appells, einer Berufung an das Subjekt richtet (410, 413). Allerdings handelt es sich um einen Appell, der nicht anerkannt wird, um eine Berufung, die verkannt wird – und damit kommt das Reale ins Spiel.
Die Achse A-S ist ein Ausschnitt aus der „Symbolisierung des Realen“ (vgl. Seminar 2, 408). Die symbolische Ordnung schaltet sich in das imaginäre Verhältnis ein, ihr liegt, wie Lacan sagt, die „Spannung zwischen dem Symbolischen und dem Realen“ zugrunde (409). Auf der Achse A-S geht es nicht um das Symbolische, sondern um die Symbolisierung des Realen und um die damit verbundene Spannung zwischen dem Symbolischen und dem Realen; S-A ist die Achse der Symbolisierung des Realen.
Der Andere (A), erläutert Lacan, ist der „reale Pol der subjektiven Beziehung und das, woran Freud die Beziehung zum Todestrieb festmacht“ (407). Um es festzuhalten: der Andere wird hier nicht als der symbolische Pol der subjektiven Beziehung bezeichnet, sondern als ihr realer Pol.
Der Andere steht im Verhältnis zum Todestrieb. Der „Todestrieb ist nur die Maske der symbolischen Ordnung, insofern – Freud schreibt es – sie stumm ist, insofern sie sich nicht realisiert hat. Solange die symbolische Anerkennung nicht hergestellt wurde, ist die symbolische Ordnung per definitionem stumm.“ (414) Beim Todestrieb geht es „um eine symbolische Ordnung, die dabei ist, geboren zu werden, im Kommen, insistierend, um realisiert zu werden“ (414).
Dass der Andere im Verhältnis zum Todestrieb steht, meint also: der Andere steht in Beziehung zum Symbolischen, aber nur insofern, als die symbolische Ordnung stumm ist, als sie sich nicht realisiert hat, und zwar deshalb nicht, weil die symbolische Anerkennung nicht vollzogen worden ist.
Der Andere bezieht sich insofern auf die symbolische Ordnung, als sie dabei ist, geboren zu werden, als sie insistiert. Der Begriff des Insistierens verweist auf den Wiederholungszwang. Die Wiederholung ist das, was insistiert, was zwischen A und S überzugehen beansprucht (vgl. 412) – wobei dieser Übergang gerade nicht gelingt.
Die Wiederholung besteht also in einem hartnäckigen Misslingen der Symbolisierung, wobei das Misslingen darin besteht, dass der vom Anderen kommende Diskurs, die vom Anderen kommende Berufung vom Subjekt nicht anerkannt wird. Genau so hatte Lacan in Seminar 1 das Reale definiert: als Scheitern einer Symbolisierung.
Miller schreibt:
„Zu diesem Zeitpunkt [von Seminar 1 und 2] operierte Lacan nur mit dem Symbolischen und dem Imaginären; das Reale war etwas, was in die imaginäre Beziehung nicht eintrat. Man weiß nicht, was das Reale ist, es ist weder symbolisch noch imaginär.“89
In Seminar 1 hatte Lacan das Reale folgendermaßen definiert:
„das Reale oder das, was als solches wahrgenommen wird, ist das, was der Symbolisierung absolut widersteht.“90
In Seminar 2 hatte er die Definition erweitert: das Reale ist das, was weder symbolisiert noch imaginiert werden kann.91 Das Reale ist in den frühen Seminaren keine Restgröße (das, was weder symbolisch noch imaginär ist), es wird vielmehr dynamisch bestimmt: das Reale ist eben das, was der Symbolisierung und der Imaginierung widersteht. An dieser Definition wird Lacan bis zum Schluss festhalten. In Seminar 23 wird es so formuliert: das Reale ist dem Sinn ex-sistent, anders gesagt: das Reale ist das, was dem Zusammenwirken des Imaginären und des Symbolischen (der Erzeugung des Sinns) äußerlich ist, also das, was sich der Symbolisierung und der Imaginierung widersetzt; vgl. diesen Blogartikel.
Schema L bezieht sich auf eine Symbolisierung, die stumm ist, weil die symbolische Anerkennung nicht vollzogen wird. Die Achse A-S steht für die Wiederholung, anders gesagt, dafür, dass etwas der Symbolisierung hartnäckig widersteht: das Reale.
Anderer
Miller zufolge hat der Andere in Schema L eine Doppelfunktion. Er wird einerseits durch den Platz unten rechts dargestellt, andererseits repräsentiert das gesamte Schema den Ort des Anderen. Miller bezieht das zunächst auf die Version des Diagramms in Kant mit Sade, dann auf Schema L allgemein.
„Der Andere ist am Eckpunkt unten rechts lokalisiert, aber zugleich ereignet sich der gesamte Prozess am Ort des Anderen. Das heißt, der Andere ist in einer Ecke lokalisiert, neben anderen Termini, aber all dies ist zugleich innerhalb des Anderen.“92
Für die These von der Doppelfunktion des Anderen in Schema L gibt es in Seminar 2 keine Belege. Sie widerspricht der Tatsache, dass Lacan den dualistischen Charakter des Schemas betont, wobei er ausdrücklich an den Freudschen Triebdualismus anknüpft (Seminar 2, 413). Wenn Miller recht hätte, wäre der Dualismus des Schemas nur die Oberfläche eines umfassenden Monismus des Symbolischen, analog zur monistischen Konzeption der Libido bei C. G. Jung.
Übertragung
Miller zufolge hat Lacan in dieser Phase – während Seminar 1 und 2 – die Übertragung wesentlich als imaginär begriffen, sein Verständnis von Übertragung sei rein negativ.93
Dafür spricht, dass Lacan die Übertragung offenbar als Beziehung zwischen m und a bezeichnet. So findet man es in der von Lacan in Auftrag gegebenen Stenotypie und Miller hat das in seine Version des Seminars übernommen.
„Die Übertragung hingegen geschieht zwischen m und a.“ (412)
Dagegen spricht, dass die Übertragung kurz zuvor von Lacan anders beschrieben wurde:
„Was Übertragung genannt wird, geschieht sehr genau zwischen A und m, insofern das durch den Analytiker repräsentierte a fehlt.“ (411, Übersetzung geändert)
Hiernach geschieht die Übertragung nicht zwischen m und a, sondern zwischen m und A. Beides zugleich kann nicht gemeint sein. Klar ist, dass es hier ein technisches Problem gibt, eine Transkriptionsschwierigkeit: Lacan sagt „a“ und meint damit bisweilen klein a, manchmal aber auch groß A. Man muss sich also entscheiden, welche Transkription richtig ist.
An der zuletzt zitierten Stelle erklärt Lacan, wie die Übertragung funktioniert: die Übertragung setzt voraus, dass die Beziehung zum Analytiker als a fehlt. Der Buchstabe a ist hier Gegenterm zu m, meint also „anderer“. Diese Erklärung wird von Lacan an der Stelle vorausgesetzt, die man als Beleg dafür anführen könnte, dass die Übertragung zwischen zwischen m und a ereignet. Die Transkription ist an dieser Stelle falsch, das kleine a muss durch ein großes A ersetzt werden. Die These, für Lacan sei die Übertragung wesentlich imaginär, beruht auf einem Transkriptionsfehler.
Lacans Verständnis von Übertragung ist in Seminar 2 keineswegs negativ, sondern positiv.
… „Der ganze Fortschritt der Analyse ist die fortlaufende Verschiebung dieser Relation, die das Subjekt in jedem Augenblick erfassen kann jenseits der Sprachmauer, als die Übertragung, die von ihm ausgeht und wo es sich nicht wiedererkennt [reconnait]. Es geht nicht darum, diese Relation zu reduzieren, wie man schreibt, es geht darum, daß das Subjekt sie an seinem Platz aufnimmt. Die Analyse besteht darin, es das Bewußtsein seiner Beziehungen gewinnen zu lassen, nicht zum Ich des Analytikers, sondern zu all diesen Anderen, die seine wirklichen Respondenten/Bürgen/répondants sind und die es nicht anerkannt hat. Es geht darum, daß das Subjekt mehr und mehr entdeckt, an welchen Anderen es sich wahrhaft wendet, wenn auch ohne es zu wissen, und daß es mehr und mehr die Übertragungsbeziehungen aufnimmt an dem Platz, wo es ist und wo es zunächst nicht wußte, daß es war.“ (314, Übersetzung geändert)
Lacan argumentiert so: Dadurch, dass der Analytiker nicht die Position des Objekt-anderen in der imaginären Beziehung einnimmt, kann sich die Übertragung herstellen, nämlich die Beziehung des Ichs zum Anderen. Dies macht es möglich, dass sich das Ich allmählich in Übereinstimmng mit dem vom Anderen kommenden Diskurs bringt. Und dadurch wird das Ich nach und nach mit dem Subjekt verbunden (vgl. 314).94
Gerda Pagel
Subjekt und Ich
Pagel erläutert das Schema so: „Das Subjekt (S) identifiziert sich in der dualen Spiegelbeziehung mit dem anderen (aꞌ) und konstituiert auf der imaginären Basis (aꞌ-a) sein Ich als ‚moi‘.“95 Sie begreift das Subjekt als diejenige Instanz, von der die imaginäre Beziehung letztlich hervorgebracht wird. Das ist nicht Lacans Auffassung. Der Punkt S des Schemas steht nicht für die letzte Instanz, die der imaginären Beziehung zugrunde liegt.
Im Psychose-Aufsatz schreibt Lacan, das Subjekt habe an allen vier Ecken des Schemas teil.66 Das Subjekt, von dem er in dieser Bemerkung spricht, ist jedoch nicht der Punkt (S) des Schemas. „Das Subjekt hat an allen vier Ecken des Schemas teil“ meint: „Der Patient hat an allen vier Ecken des Schemas teil“.
Das Unbewusste
Weiter heißt es bei Pagel: „Es gibt keinen Ort unmittelbarer Kommunikation von Unbewußtem zu Unbewußtem (A-S).“96 Die beiden Endpunkte A und S stehen demnach für das Unbewusste. Von Lacan wird das Unbewusste im Schema an anderer Stelle lokalisiert, er ordnet es dem ersten Segment der von A ausgehenden und zu (Es) S führenden Pfeillinie zu. Im Poe-Aufsatz unterstreicht er, dass er das Es, also den Punkt (Es) S, vom Unbewussten unterscheidet.97 Im Schema steht der Punkt S für das Es im Unterschied zum Unbewussten, das auf den Anderen bezogen wird.
Peter Widmer
Sprache und Sprechen
Widmer ordnet die imaginäre Achse dem Sprechen zu, die Beziehung A-S der Sprache.98 In Seminar 2 stellt Lacan es umgekehrt dar:
„Während das Sprechen [parole] sich gründet in der Existenz des Anderen, des wahren, ist die Sprache [langage] dazu da, um uns auf den objektivierten anderen zu verweisen“ (311).
Die imaginäre Achse wird dadurch gestützt, dass sich das Sprechen auf die Sprache in Gestalt der Sprachmauer stützt, auf das organisierte System der Benennungen; die Sprachmauer (mur du langage) gehört, wie der Name anzeigt, zur Ordnung der Sprache, der langage.
Es und Anderer
Zum Verhältnis zwischen dem Es und dem Anderen sagt Widmer, mit dem Schema lasse sich veranschaulichen, dass Lacan den Term „Anderer“ dem Term „Es“ vorziehe, und zwar deshalb, um nicht dem Missverständnis Vorschub zu leisten, das Es sei eine konkrete Realität, Sitz der Triebe und Leidenschaften.99 Widmer zufolge ersetzt Lacan den Terminus „Es“ durch den Terminus „Anderer“, und eben dies soll sich am Schema zeigen lassen. Mit den Erläuterungen von Schema L in Seminar 2 und mit der graphischen Darstellung im Poe-Aufsatz lässt sich das nicht vereinbaren. Hier gibt es zwischen den Termini „Es“ und „Anderer“ keine Ersetzung, vielmehr werden die beiden Begriffe aufeinander bezogen. Das Es wird am Punkt oben links verortet, der Andere am Punkt unten rechts. Die Achse A-S ist die Beziehung zwischen dem Anderen und dem Es.
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- „Das Unbewusste ist der Diskurs des Anderen.“
Anmerkungen
- Seminar 2, Version Miller/Metzger, S. 310.
- Seminar 3, Version Miller/Turnheim, S. 191.
- Vgl. J. Lacan: Das Seminar über E. A. Poes „Der entwendete Brief“. Übersetzt von Rodolphe Gasché. In: Ders.: Schriften I. Hg. v. Norbert Haas. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1975, S. 7–60, hier: S. 53. Der Aufsatz ist die überarbeitete und mit einer Erläuterung versehene Fassung der Vorlesung vom 26. April 1956. Er wurde Mitte Mai bis Mitte August 1956 geschrieben und 1957 veröffentlicht.
Ich übersetze die Bezeichnungen im Schema nach J. Lacan: Écrits. Le Seuil, Paris 1966, S. 53. Die Übersetzung von Rodolphe Gasché weicht davon ab, u.a. fehlt dort der Strich nach dem a oben rechts. - So vermutet es Moustapha Safouan in: Ders.: Lacaniana. Les séminaires de Jacques Lacan. 1953-1963. Fayard, Paris 2001, in seiner Zusammenfassung von Seminar 2.
- Diese Erklärung findet man bei Dylan Evans: Wörterbuch der Lacanschen Psychoanalyse. Turia + Kant, Wien 2002, S. 260, allerdings bezieht Evans sich auf den großgeschriebenen Buchstaben Lambda, also auf Λ – das kleine Lambda hat mehr Ähnlichkeiten mit dem Schema als das große.
- Vgl. Seminar 2, Sitzung vom 25. Mai 1955, Version J.L., S. 25.
- Auf Lévi-Strauss und Shannon/Weaver verweist Darian Leader , vgl. D. Leader: The schema L. In: Bernard Burgoyne (Hg.): Drawing the soul. Schemas and models in psychoanalysis. Karnac Books, London 2003 (zuerst 2000 bei Rebus Press), S. 172-189, hier: S. 177. Auf Guilbaud als mutmaßliche Quelle bezieht sich Mai Wegener in: M. Wegener: Neuronen und Neurosen. Der psychische Apparat bei Freud und Lacan. Ein historisch-theoretischer Versuch zu Freuds Entwurf von 1895. München, Fink 2004, S. 39.
- Claude Lévi-Strauss: Die elementaren Strukturen der Verwandtschaft (1949). Suhrkamp, Frankfurt am Main 1981, S. 268.
- Claude E. Shannon, Warren Weaver: The mathematical theory of communication. University of Illinois Press, Urbana 1949, S. 76, die Abbildung habe ich dem Aufsatz von Leader entnommen.
- Vgl. Leader, a.a.O., S. 178.
- G. Th. Guilbaud: La théorie des jeux. Contrbution critique à la théorie de la valeur. In: Économie appliquée, 2. Jg. (1949), S. 275-319, hier: S. 294 f.
- Vgl. Elisabeth Roudinesco: Jacques Lacan. Kiepenheuer und Witsch, Köln 1996, S. 513, 535.
- Seminar 2, Version Miller/Metzger, S. 407.
- Vom imaginären anderen spricht Lacan zuerst in Seminar 3, Version Miller/Turnheim, S. 174, vom symbolischen Anderen zuerst in Seminar 3, Version Miller/Turnheim, S. 262, dort in der Gegenüberstellung von imaginärem anderem und symbolischem Anderen.
- Die Kritik wendet sich gegen das Konzept des Totalsubjekts, möglicherweise richtet sie sich aber auch gegen Melanie Kleins Begriff des Totalobjekts.
Der Begriff „total object“ wurde 1935 von Melanie Klein eingeführt; 1937 wurde er wurde er mit „ganzes Objekt“ ins Deutsche übersetzt. Vgl: M. Klein: A contribution to the psychogenesis of manic-depressive states. In: The International Journal of Psycho-Analysis, 16. Jg. (1935), S. 145-174; dt.: Zur Psychogenese der manisch-depressiven Zustände. Übersetzt von Paula Heimann. In: Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse, 23. Jg. (1937), Heft 2, S. 275-305. - „Was jedoch neu ist beim Menschen, das ist, daß etwas bereits offen genug ist, unmerklich verrückt in der imaginären Koaptation, so daß sich der symbolische Gebrauch des Bildes einschalten kann.“ Seminar 2, Version Miller/Metzger, S. 409.
- Vgl. Seminar 2, Version J.L., S. 25.
- Vgl. Seminar 2, Version Miller/Metzger, S. 308.
- Vgl. 1. Mose, Kapitel 2, Verse 19 und 20.
- Vgl. Seminar 2, Version Miller/Metzger, S. 217.
- In La Chose freudienne beschreibt Lacan das mit „leeres Sprechen“ Gemeinte so: „Man sieht, worauf sich die Sprache des Ich/moi reduziert: auf den intuitiven Geistesblitz, auf das Kommando zur Einkehr, auf die zurückweisende Aggressivität des verbalen Echos. Ergänzen wir noch, was auf den automatischen Müll des alltäglichen Diskurses hinausläuft: das ewige Gerede der Erziehung und die delirierende Leier, Kommunikationsweisen, die weniger komplizierte Objekte als dieses Pult hervorragend reproduzieren, eine Feedback-Konstruktion für die Ersteren, eine Schallplatte für die Letzteren, welche vorzugsweise an der richtigen Stelle gerillt ist.“ (Das Freud’sche Ding (Vortrag von 1955, veröffentlicht 1956). Übersetzt von Monika Mager. Turia + Kant, Wien 2011, S. 58)
- Vgl. Funktion und Feld, a.a.O., S. 134.
- Vgl. S. Freud: Das Unbewußte (1915). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 3. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main, S. 160; ders.: Das Ich und das Es (1923). Studienausgabe, Bd. 3, a.a.O., S. 289.
- Vgl. Das Ich und das Es, SA 3, S. 292.
- Vgl. zum Lügen auch Seminar 2, Version Miller/Metzger, S. 306.
- Das Seminar über E. A. Poes „Der entwendete Brief“, Schriften I, S. 52, Übersetzung geändert.
- J. Lacan, Funktion und Feld des Sprechens und der Sprache in der Psychoanalyse, Schriften I, S. 124, 145. Der Aufsatz wurde 1953 geschrieben und 1956 veröffentlicht.
- J. Lacan: Die Freud’sche Sache. Übersetzt von Monika Mager. Wien, Turia + Kant 2011, S. 59, Übersetzung geändert. Der Text beruht auf einem Vortrag vom November 1955 und wurde 1956 veröffentlicht.
- Das Seminar über E. A. Poes „Der entwendete Brief“, hierin: Parenthese der Parenthesen (1966), Schriften I, S. 55.
- Vgl. S. Freud: Das Ich und das Es (1923). In: Ders. Studienausgabe, Bd. 5. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 273-330.
- S. Freud: Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (1933). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 1. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 516.
- Etwa: Maurice Bouvet: Incidences thérapeutiques de la prise de conscience de l’envie du pénis dans la névrose obsessionalle féminine (1950). In: Ders.: Œuvres psychanalytiques, Bd. 1. Payot, Paris 1967, S. 49-75.– Ders.: Le moi dans la névrose obsessionnelle : relations d’objet et mécanismes de défense : rapport clinique. Presses Universitaires de France, Paris 1952.
Eine ausführliche Kritik an Bouvets Aufsatz von 1950 artikuliert Lacan in den letzten Sitzungen von Seminar 5. - Vgl. Leader, a.a.O., S. 185.
- Schriften II, S. 61-117.
- Den deutschen Terminus „Urbild“ findet man bereits in Lacans Aufsatz L’aggressivité en psychanalyse von 1948; vgl. Écrits, 1966, S. 116.
- Vgl. Seminar 1, Version Miller/Hamacher, S. 80.
- Freud: „Immer wieder machen wir die Erfahrung, daß die Triebregungen, die wir verfolgen können, sich als Abkömmlinge des Eros enthüllen. Wären nicht die im Jenseits des Lustprinzips angestellten Erwägungen und endlich die sadistischen Beiträge zum Eros, so hätten wir es schwer, an der dualistischen Grundanschauung festzuhalten. Da wir aber dazu genötigt sind, müssen wir den Eindruck gewinnen, daß die Todestriebe im wesentlichen stumm sind und der Lärm des Lebens meist vom Eros ausgeht.“ S. Freud: Das Ich und das Es (1923). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 3. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000 S. 313.
- Vgl. J. Lacan: Die Familie. Übersetzt von Friedrich A. Kittler. In: J.L.: Schriften III. Hg v. Norbert Haas. Walter, Olten 1980, S. 54-57.
- Funktion und Feld des Sprechens und der Sprache in der Psychoanalyse, Schriften I, hg. v. N. Haas, S. 122, 137.
- Funktion und Feld des Sprechens und der Sprache in der Psychoanalyse, Schriften I, hg. v. N. Haas, S. 101
- Seminar 1, Version Miller/Hamacher, S. 202.
- Seminar 7, Sitzung vom 27. Januar 1960.
- Funktion und Feld des Sprechens und der Sprache in der Psychoanalyse, Schriften I, S. 104.
- Freud: „Er [der Kranke] ist vielmehr genötigt, das Verdrängte als gegenwärtiges Erlebnis zu wiederholen, statt es, wie der Arzt es lieber sähe, als ein Stück der Vergangenheit zu erinnern. Diese mit unerwünschter Treue auftretende Reproduktion hat immer ein Stück des infantilen Sexuallebens, also des Ödipuskomplexes und seiner Ausläufer, zum Inhalt und spielt sich regelmäßig auf dem Gebiete der Übertragung, das heißt der Beziehung zum Arzt ab.“ (S. Freud: Jenseits des Lustprinzips (1920). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 3. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 213-272, hier: S. 228.
- Die Passage erinnert an Lévi-Strauss’ Einleitung zu den Aufsätzen von Marcel Mauss; vgl. Claude Lévi-Strauss: Einleitung. In: Marcel Mauss: Soziologie und Anthropologie, Bd. 1. Ullstein, Frankfurt am Main u.a. 1978, S. 7-41.
- Vgl. S. Freud: Jenseits des Lustprinzips (1920). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 3. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 234-237.
- Jenseits des Lustprinzips, SA 3, S. 239.
- Vgl. Jenseits des Lustprinzips, SA 3, S. 239.
- Vgl. Jenseits des Lustprinzips, a.a.O., S. 237.
- Zum universalen Diskurs vgl. Seminar 2, Version Miller/Metzger, S. 358-360, 389.
- „Das Symbol manifestiert sich so zunächst als Mord am Ding, und dieser Tod konstituiert im Subjekt die Verewigung seines Begehrens.“(Funktion und Feld des Sprechens und der Sprache in der Psychoanalyse, Schriften I, hg. v. N. Haas, S. 166, Übersetzung geändert) „Das Sein der Sprache ist das Nicht-Sein der Objekte“ (Die Ausrichtung der Kur und die Prinzipien ihrer Macht, Schriften I, hg. v. N. Haas, S. 219)
Den Terminus manque d’être, „Seinsmangel“ oder „Mangel an Sein“, übernimmt Lacan aus Sartres Das Sein und das Nichts (vgl. Seminar 2, Version Miller/Metzger, S. 283 f.). Ab 1957 wird er stattdessen manque-à-être sagen, Mangel-zu-sein. - Vgl. Funktion und Feld des Sprechens und der Sprache in der Psychoanalyse, Schriften I, hg. v. N. Haas, S. 141.
- Vgl. Version Miller/Metzger, S. 408.
- Vgl. S. Freud, Hemmung, Symptom und Angst (1926).
- In Jenseits des Lustprinzips (1920) schreibt Freud, „der Widerstand der Analysierten gehe von ihrem Ich aus“ (ders.: Studienausgabe, Bd. 3. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 229). In Hemmung, Symptom und Angst (1926) modifiziert er diese Ansicht. Hier heißt es: Es gibt fünf Arten von Widerständen. Zum einen drei Arten von Ichwiderständen: den Verdrängungswiderstand, den Übertragungswiderstand und denjenigen, der vom Krankheitsgewinn ausgeht. Hinzu kommen zwei weitere Widerstände: derjenige, der vom Es ausgeht, und derjenige, der seine Quelle im Über-Ich hat. (Vgl. Studienausgabe, Bd. 6. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 297 f.)
- Vgl. Seminar 2, Version Miller/Metzger, S. 116.
- Vgl. S. Freud: Jenseits des Lustprinzips (1920), Teil III: „In der Regel kann der Arzt dem Analysierten diese Phase der Kur nicht ersparen; er muß ihn ein gewisses Stück seines vergessenen Lebens wiedererleben lassen und hat dafür zu sorgen, daß ein Maß von Überlegenheit erhalten bleibt, kraft dessen die anscheinende Realität doch immer wieder als Spiegelung einer vergessenen Vergangenheit erkannt wird.“ (A.a.O., S. 229.)
- Für Heinz Hartmann, einen der Vertreter der psychoanalytischen Ich-Psychologie, mit der Lacan sich hier auseinandersetzt, ist die Beziehung des Ichs zu den Trieben sekundär. Das Realitäts-Ich entwickelt sich, indem es sich von der Beeinflussung durch die ihm fremden Triebtendenzen – von Sexualisierung und Aggressivierung – befreit. Der Narzissmus besteht für Hartmann nicht in der libidinösen Besetzung des Ichs, sondern in der libidinösen Besetzung des Selbsts (oder Selbstbildes) im Gegensatz zur libidinösen Besetzung von Objekten; das Selbst wird von Hartmann in allen drei Systemen angesiedelt, im Ich, im Es und im Über-Ich. (Vgl. Heinz Hartmann: Bemerkungen zur psychoanalytischen Theorie des Ichs (1950). In: Ders.: Ich-Psychologie. Studien zur psychoanalytischen Theorie. Klett, Stuttgart 1972, S. 127, 131 f.)
- Für Hartmann gibt es zwar Konflikte innerhalb des Ichs, jedoch zugleich eine „konfliktfreie Sphäre des Ichs“; vgl. Hartmann, Bemerkungen zur psychoanalytischen Theorie des Ichs, a.a.O., S. 127.
Hartmann zufolge gibt es einen autonomen Faktor in der Ich-Entwicklung, d.h. die Entwicklung des Ichs kann nicht vollständig auf den Einfluss der Realität und der Triebe zurückgeführt werden und nicht alle bei der Geburt vorhandenen Anlagen zur psychischen Entwicklung sind ein Teil des Es. Da die Ich-Entwicklung auch auf einem autonomen Faktor beruht, gibt es, Hartmann zufolge, autonome Eigenschaften des Ichs, als Ergebnis von Lernen und Reifung; eine der Funktionen des Ichs ist die Autonomie. Vgl. Heinz Hartmann: Ich-Psychologie und Anpassungsproblem (1939). Klett, Stuttgart 1960 und öfter; derselbe, Bemerkungen zur psychoanalytischen Theorie des Ichs, a.a.O., S. 124-126, 143. - Freud: „Vielen von uns mag es auch schwer werden, auf den Glauben zu verzichten, daß im Menschen selbst ein Trieb zur Vervollkommnung wohnt, der ihn auf seine gegenwärtige Höhe geistiger Leistung und ethischer Sublimierung gebracht hat und von dem man erwarten darf, daß er seine Entwicklung zum Übermenschen besorgen wird. Allein ich glaube nicht an einen solchen inneren Trieb und sehe keinen Weg, diese wohltuende Illusion zu schonen.“ (Jenseits des Lustprinzips, a.a.O., S. 251)
- Die These vom konservativen Charakter der Triebe wurde von Freud aufgestellt in Jenseits des Lustprinzips, Teil V. „Der konservativen Natur der Triebe widerspräche es, wenn das Ziel des Lebens ein noch nie zuvor erreichter Zustand wäre.“ (Jenseits des Lustprinzips, a.a.O., S. 248)
- Freud: „Ein allgemeiner Trieb zur Höherentwicklung in der Tier- und Pflanzenwelt läßt sich gewiß nicht feststellen, wenn auch eine solche Entwicklungsrichtung tatsächlich unbestritten bleibt. Aber einerseits ist es vielfach nur Sache unserer Einschätzung, wenn wir eine Entwicklungsstufe für höher als eine andere erklären, und andererseits zeigt uns die Wissenschaft des Lebenden, daß Höherentwicklung in einem Punkte sehr häufig durch Rückbildung in einem anderen erkauft oder wettgemacht wird. Auch gibt es Tierformen genug, deren Jugendzustände uns erkennen lassen, daß ihre Entwicklung vielmehr einen rückschreitenden Charakter genommen hat. Höherentwicklung wie Rückbildung können beide Folgen der zur Anpassung drängenden äußeren Kräfte sein, und die Rolle der Triebe könnte sich für beide Fälle darauf beschränken, die aufgezwungene Veränderung als innere Lustquelle festzuhalten.“ (Jenseits des Lustprinzips, a.a.O., S. 250 f.)
- „Die Äußerungen des Eros waren auffällig und geräuschvoll genug; man konnte annehmen, dass der Todestrieb stumm im Inneren des Lebewesens an dessen Auflösung arbeite, aber das war natürlich kein Nachweis.“ S. Freud: Das Unbehagen in der Kultur (1930). In: Ders.: Studienausgabe, Bd.9. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 246.
- Funktion und Feld des Sprechens und der Sprache in der Psychoanalyse, Schriften I, S. 122, 137
- Vgl. Funktion und Feld des Sprechens und der Sprache in der Psychoanalyse, Schriften I, S. 101.
- Über eine Frage, die jeder möglichen Behandlung der Psychose vorausgeht, Schriften II, S. 82.
- Vgl. Funktion und Feld des Sprechens und der Sprache in der Psychoanalyse, Schriften I, S. 104.
- Vgl. Über eine Frage, die jeder möglichen Behandlung der Psychose vorausgeht, Schriften II, S. 81.
- Vgl. Über eine Frage, die jeder möglichen Behandlung der Psychose vorausgeht, Schriften II, S. 82.
- Vgl. Das Seminar über E. A. Poes „Der entwendete Brief“, Schriften I, S. 55.
- S. Freud: Das Ich und das Es (1923). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 3. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 293.
- In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 1. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 515.
- Vgl. Seminar 1, Version Miller/Hamacher, S. 133 f., 249-253.
- Vgl. Seminar 1, Version Miller/Hamacher, S. 133 f.
- Vgl. Seminar 1, Version Miller/Hamacher, S. 145.
- Bice Benvenuto, Roger Kennedy: The works of Jacques Lacan. An introduction. Free Association Books, London 1986, S. 100, meine Übersetzung.
- Abbildung aus Benvenuto/Kennedy, a.a.O., S. 100.
- Marie-Hélène Brousse: Language, speech, and discourse. In: Richard Feldstein, Bruce Fink, Maire Jaanus (Hg.): Reading seminars I and II. Lacan’s return to Freud. State University of New York Press, Albany 1996, S. 123-129, hier: S. 128.
- Vgl. Mikkel Borch-Jacobsen: Lacan. Le maître absolu. Flammarion, Paris 1995, S. 166.– Leader, The schema L, a.a.O.,S. 183.
- Freuds Zeichnung aus Das Ich und das Es, SA 3, S. 293.
- Natalie Delafond: Schéma L. In: Roland Chemama, Bernard Vandermersch (Hg.): Dictionnaire de la psychanalyse. Larousse, Paris 2009, S. 512, meine Übersetzung.
- Delafond, a.a.O., S. 513.
- Maire Jaanus: „A civilization of hatred“: the other in the imaginary. In: Richard Feldstein, Bruce Fink, Maire Jaanus (Hg.): Reading seminars I and II. Lacan’s return to Freud. State University of New York Press, Albany 1996, , S. 351, meine Übersetzung.
- Jaanus, a.a.O., S. 351, meine Übersetzung.
- Leader, a.a.O., S. 180, meine Übersetzung.
- Vgl. Seminar 1, Version Miller/Hamacher, S. 235.
- J. Lacan: Subversion des Subjekts und Dialektik des Begehrens, Schriften II, S. 197.
- Jacques-Alain Miller: An introduction to seminars I and II. Lacan’s orientation prior to 1953 (III). In: Richard Feldstein, Bruce Fink, Maire Jaanus (Hg.): Reading seminars I and II. Lacan’s return to Freud. State University of New York Press, Albany 1996, S. 26-35, hier: S. 29, meine Übersetzung.
- Miller, An introduction, a.a.O., S. 33, meine Übersetzung.
- Seminar 1, Version Miller/Hamacher, S. 80.
- Vgl. Seminar 2, Version Miller/Metzger, S. 225.
- J.-A. Miller: A discussion of Lacan’s „Kant with Sade“. In: Richard Feldstein, Bruce Fink, Maire Jaanus (Hg.): Reading seminars I and II. Lacan’s return to Freud. State University of New York Press, Albany 1996, S. 212-237, hier: S. 235, meine Übersetzung.
- Vgl. Miller, An introduction, a.a.O., S. 31.
- Instruktiv zum Verhältnis zwischen Schema L und Übertragung ist Leader, The schema L, a.a.O., S. 184-186.
- Gerda Pagel: Lacan zur Einführung. Junius, Hamburg 1989, S. 55.
- Pagel, a.a.O., S. 55.
- Das Seminar über E. A. Poes „Der entwendete Brief“, Schriften I, S. 55.
- Vgl. Peter Widmer: Subversion des Begehrens. Eine Einführung in Jacques Lacans Werk. Turia + Kant, Wien 2012 (zuerst 1990), S. 66.
- Vgl. Widmer, a.a.O., S. 67.
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