Ding – Objekt a – Objekt des Begehrens
In welcher Beziehung stehen bei Lacan diese Begriffe:
– Ding
– Objekt a
– Objekt des Begehrens
?
Den Begriff „Objekt des Begehrens“ findet man in den Seminaren von Anfang an.1 Der Begriff des Dings wird fast nur in Seminar 7 verwendet.2 Der Terminus „Objekt (a)“ erscheint zum ersten Mal in Seminar 93, in einem zweiten Anlauf wird der Begriff in Seminar 10 eingeführt.4
Bernard Baas hat das Verhältnis der drei Begriffe rekonstruiert, auf eine Weise, die mir einleuchtet.5 Der Zusammenhang wird von ihm in einem Diagramm dargestellt (Abbildung links).6 Das Bild zu Beginn dieses Artikels zeigt meine vereinfachte Version seines Diagramms.
Mit Baas ist mein Schema so zu lesen:
Ding.– Durch den Eintritt des kleinen Menschenwesens in die Welt der Sprache kommt es zu einem unwiderruflichen Verlust. Lacans Bezeichnung für das Fehlende ist in Seminar 7 das Ding. Das Ding ist reiner Mangel, ursprünglicher Verlust. Das Ding ist kein verlorenes Objekt, da das Subjekt sich auf Objekte nur durch Signifikanten beziehen kann; d.h. sobald das Subjekt sich auf etwas als auf ein Objekt bezieht, ist im selben Zug etwas verloren, das „Ding“. In der späteren Ausarbeitung der Theorie wird aus dem Ding die unmögliche jouissance, die unmögliche Lust jenseits des Lustprinzips.
Begehrungsvermögen.– Der Verlust des Dings erzeugt das Begehren als Vermögen. Den Begriff des Begehrungsvermögens findet man nicht bei Lacan, Baas übernimmt ihn von Kant. Der Terminus hat schweres Gepäck, er verweist auf die Vermögenspsychologie7 und auf den aristotelischen Gegensatz von dynamis und energeia (lateinisch: von potentia und actus, deutsch: von Möglichkeit und Wirklichkeit/Tätigkeit). Er ist aber, denke ich, kaum vermeidbar, wenn man die kausale Funktion des Objekts a klären will.
Objekt a.– Das Objekt a (Brust, Kot, Stimme, Blick) ist die Ursache des Begehrens, jenes Etwas, wodurch das Begehrungsvermögen dazu angereizt wird, tätig zu werden. Das Objekt a steht in Verbindung zum Ding, und zwar dadurch, dass es, das Objekt a, aus der Erfahrung einer Trennung hervorgegangen ist. Das Objekt a funktioniert im Rahmen eines Phantasmas.
Objekt des Begehrens.– Das Begehren richtet sich auf bestimmte sinnlich fassbare Objekte, auf Individuen oder Sachen (Fetische). Hierdurch werden diese Objekte zu Objekten des Begehrens, zu begehrten Objekten. Ein Objekt des Begehrens wird gefunden, nicht wiedergefunden. Dadurch jedoch, dass die Beziehung zu ihm sich vor dem Hintergrund des Dings herstellt, bekommt das Objekt die Qualität eines wiedergefundenen Objekts. Das Begehren richtet sich auf die Objekte des Begehrens in Form der Metonymie, des Wechsels von Anspruch zu Anspruch, von Forderung zu Forderung. Eine präzisere Bezeichnung für das Objekt des Begehrens wäre deshalb „Objekt des Anspruchs“. (Vgl. Alenka Zupančič: Ethics of the real. Kant, Lacan. Verso, London 2000, S. 251.)
Der Buchstabe J steht für „jouissance“, Genießen. Das Genießen ist die Befriedigung, auf die das Begehren abzielt, eine Lust jenseits des Lustprinzips, d.h. eine Lust, die häufig als Unlust, als Schmerz als Leid empfunden wird und die aufgrund der Intervention des Lustprinzips weitgehend verfehlt wird.8 Das Ding ist der Anteil des Genießens, der unerreichbar ist. Ein Rest des Genießens ist uns zugänglich: die Objekte a als plus-de-jouir. Plus-de-jouir meint „Mehrlust“ (in Anspielung auf Marxens Begriff des Mehrwerts); in Freudscher Terminologie geht es bei der Mehrlust um die mit dem Symptom verbundene Ersatzbefriedigung.
Der durchgestrichene Pfeil soll anzeigen, dass der Zugang zum Ding versperrt ist. Der Verlust ist reiner Verlust; das Ding muss, in der Sprache der Buchhaltung, abgeschrieben werden.
Kommentare
Siehe hier
Verwandte Beiträge
- Die Innenacht (Subjekt und Objekt a)
- Das Auge von Elle Driver (Blick als Objekt a)
- Ein Loch im Zentrum des Realen (Das Ding)
Anmerkung
- Etwa in Seminar 1, Version Miller/Hamacher, S. 219.
- Er wird eingeführt in der Sitzung vom 2. Dezember 1959.
- In der Sitzung vom 23. Mai 1962.
- In der Sitzung vom 16. Januar 1963.
- Vgl. Bernard Baas: Das reine Begehren. Wien, Turia und Kant 1995, S. 44-72, 125-127.
- Ebd., S. 64.
- Die Vermögenspsychologie begreift den psychischen Apparat als ein Ensemble von Vermögen oder Fakultäten: Begehren, Wille, Sinnlichkeit, Verstand, Vernunft usw. Diese Konzeption findet man bereits bei Thomas von Aquin; noch Kant stützt sich auf die Vermögenspsychologie. Eine moderne Variante der Fakultätenpsychologie ist die am Computermodell orientierte Kognitionswissenschaft, für die der Geist aus verschiedenen Modulen mit unterschiedlichen Aufgaben besteht (Langzeitgedächtnis, Kurzzeitgedächtnis usw.). Gegen die Vermögenspsychologie wenden sich die vom Atomismus des 17. Jahrhunderts inspirierten Konzeptionen des Psychischen von Leibniz, Hume und Herbart; Freud schließt an sie an und mit ihm Lacan. Der psychische Apparat besteht hiernach aus Elementen: aus Perzeptionen (Leibniz), ideas (Hume), Vorstellungen (Herbart), Gedanken (Freud), Signifikanten (Lacan).
- Den Gedanken, dass das Begehren auf das Genießen abzielt und es, aufgrund des Lustprinzips, nur in geringem Maße realisieren kann, findet man zuerst in Seminar 7, Sitzung vom 23. März 1960. In Subversion des Subjekts und Dialektik des Begehrens im Freudschen Unbewussten, einer Veröffentlichung von 1966, die auf einem Vortrag von 1960 beruht, heißt es: „die Lust setzt dem Genießen Grenzen“, Schriften II, hg. v. N. Haas, S. 198. Vom Ding als unerreichbarem Objekt des Genießen spricht Lacan in Seminar 7, 27. April 1960, Version Miller/Haas S. 246.