Die Stimme der toten Sängerin
Francis Barraud, His master’s voice, 1898
Lacan knüpft mit seiner Konzeption des Objekts a an Arbeiten von Karl Abraham, Melanie Klein und Donald Winnicott an.
Abraham spricht 1924 von der „Partialliebe“, die sich auf einen „Teil des Objektes“ richtet, auf einen „einzelnen Körperteil“, auf die Brust, den Kot oder den Penis.1 Für diesen Körperteil, sofern er libidinös oder aggressiv besetzt ist, prägt Klein 1935 den Terminus „partial object“, also „Teilobjekt“, wie der Ausdruck meist übersetzt wird, oder „Partialobjekt“.2 Winnicott bestimmt 1953 das Übergangsobjekt als ein Objekt, das für die innere (vorgestellte) Brust oder den (vorgestellten) Kot steht, damit aber (für das Kind) keineswegs identisch ist. Das Übergangsobjekt ist irgendein weicher Gegenstand, der dem Kind dazu dient, sich zu beruhigen, etwa ein Bindfaden. Dieses Objekt existiert in einer Zwischenzone zwischen dem Subjektiven und dem objektiv Wahrnehmbaren; für den Erwachsenen gehört er zur Außenwelt, für das Kind ist es ein untrennbarer Teil seiner selbst, ohne dass es sich jedoch um einen eigenen Körperteil oder um eine Halluzination handelt.3
Lacan erweitert die Palette der drei Teilobjekte um den Blick und die Stimme und behauptet für alle fünf, dass sie den Status von abgelösten, abgetrennten („absoluten“) Objekten haben.4
Was hat man sich unter einer abgetrennten Stimme vorzustellen? Zum Beispiel die von Edmea Tetua.
In dem Film Schiff der Träume erzählen Fellini und Guerra die Geschichte einer Seebestattung. Kurz nach den Schüssen von Sarajevo kreuzt ein Luxusschiff im Mittelmeer. An Bord ist eine Urne mit den Überresten von Signora Tetua, einer Sängerin, begleitet von Prominenten aus der Welt der Kunst und der Politik. Die Gespräche drehen sich um die Diva und um das Geheimnis ihrer Stimme. Einer der Passagiere, Sir Reginald Dongby, erzählt:
„Sie sagte einmal zu mir: ‚Sie sprechen immer über meine Stimme. Aber manchmal habe ich das Gefühl, dass es gar nicht meine Stimme ist. Ich bin eine Stimme, ein Zwerchfell, ein Atem. Ich weiß nicht, wo die Stimme herkommt. Ich bin nur ein Instrument, einfach ein Mädchen, das sich vor dieser Stimme sogar fürchtet. Mein Leben lang war ich gezwungen, das zu tun, was sie wollte.‘ “
Dann beginnt das Bestattungsritual. Man hört das Geräusch des Windes, der die Asche ins Meer bläst, und gleichzeitig, von einem Grammophon, die Stimme der toten Sängerin – die Stimme als Objekt a.
Oder die Stimme eines Urgroßvaters im Ulysses von Joyce, in der Hades-Episode. Bloom geht über einen Friedhof und denkt:
„Nebenbei, wie könnte man sich überhaupt an alle erinnern? Augen, Gang, Stimme. Nun ja, die Stimme: Grammophon, das geht. Ein Grammophon auf jedem Grab oder doch zu Hause. Und sonntags dann nach dem Essen. Leg uns doch mal den armen alten Ugroßvater auf. Kraahraark! Hallohallohallo chfreumich schrecklich kraark michschrecklich euchwiederzu hallohallo chfreumichschreck krackszschsss .“5
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Anmerkungen
- Karl Abraham: Versuch einer Entwicklungsgeschichte der Libido, auf Grund der Psychoanalyse seelischer Störungen. Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Leipzig u.a. 1924.– Nachgedruckt in: Ders.: Gesammelte Schriften in zwei Bänden. Hg. v. J. Cremerius. Bd. II. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1982, S. 32-102, darin vor allem der zweite Teil, Anfänge und Entwicklung der Objektliebe, S. 83-102.
- Melanie Klein: A contribution to the psychogenesis of manic-depressiv states. In: International Journal of Psycho-Analysis, 16. Jg. (1935), S. 145-174.– Dt.: Zur Psychogenese der manisch-depressiven Zustände. Übersetzt von Hans A. Thorner. In: Dies.: Das Seelenleben des Kleinkindes und andere Beiträge zur Psychoanalyse. Hg. von Hans A. Thorner. Klett-Cotta, Stuttgart 2. Aufl. 1983, S. 55-94. Den Ausdruck „Teilobjekt“ findet man auf hier den Seiten 58, 59, 63, 69, 88, 90, 91 und 92; ich führe die Seiten an, weil man in der Sekundärliteratur oft den Hinweis findet, der Ausdruck „Partialobjekt“ sei von „den Kleinianern“ kreiert worden. No, by Mrs. Klein herself.
- Donald W. Winnicott: Transitional objects and transitional phenomena – A study of the first not-me posession. In: The International Journal of Psycho-Analysis, 34. Jg. (1953), S. 89-97.– dt.: Übergangsobjekte und Übergangsphänomene. In: Ders.: Vom Spiel zur Kreativität. Klett-Cotta 12. Auflage 2010, S. 10-36.
- Seminar 11, Version Miller/Haas, vor allem die Vorlesungen ab dem 8. Mai 1963, S. 265 ff.- Zum „absoluten“, d.h. abgelösten Charakter des Objekts: Subversion des Subjekts und Dialektik des Begehrens (1960), Schriften II, hg. v. N. Haas, S. 190.
- James Joyce: Ulysses. Übersetzt von Hans Wollschläger. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1979, S. 161.