Kommentar zu Lacans Seminar Das Sinthom
V. Zur Sitzung vom 20. Januar 1976
Rollender Kleeblattknoten
Kommentar zu Lacans Seminar 23 von 1975/76, “Das Sinthom“
Jacques Lacan: Seminar 23 von 1975/76: Le sinthome / Das Sinthom
Kommentar von Rolf Nemitz
gestützt auf die Treffen der Lesegruppe des Psychoanalytischen Salons Berlin ab März 2013
Einen Überblick über die Kommentare zu den einzelnen Sitzungen findet man hier, über den gesamten Kommentar hier.
Eine Übersicht über die verschiedenen Ausgaben des Sinthom-Seminars gibt es hier.
Sitzung vom 20. Januar 1976
Dritte Fassung vom 2. September 2019. Die erste Fassung erschien am 19. Juni 2014, die zweite Fassung am 2. Mai 2015: Wichtigste Änderungen gegenüber der zweiten Fassung:
(a) Auf der Grundlage der Übersetzung von Max Kleiner wurde eine neue Übersetzung erstellt.
(b) Die „Paraphrase mit Ergänzungen und Fragen“ wurde stark überarbeitet.
(c) Seitenverweise auf die inzwischen erschienene offizielle Übersetzung wurden eingefügt (J. Lacan: Das Sinthom. Das Seminar, Buch XIII (1975–1976). Texterstellung von Jacques-Alain Miller, übersetzt von Myriam Mitelman und Harold Dielmann. Turia und Kant, Wien 2017).
In der von Miller erstellten Version ist dies Complément, S. 74–76, in der Übersetzung dieser Ausgabe durch Mitelman und Dielmann Ergänzung, S. 78–80.
Der folgende Kommentar bezieht sich ausschließlich auf die Bemerkungen von Lacan, nicht auf das Referat, das Jacques Aubert in dieser Sitzung gehalten hat.
Dies ist die zweite Fassung des Kommentars zu dieser Sitzung, veröffentlicht am 2. Mai 2015. Die erste Fassung wurde am 19. Juni 2014 veröffentlicht.
13. Treffen der Lesegruppe des Psychoanalytischen Salons Berlin
am 27. Mai 2014 in der Psychoanalytischen Bibliothek Berlin
QUELLEN
Französischer Text
Zitiert wird der Text der Staferla-Version:
Le sinthome. 1975 – 76. Herausgegeben und veröffentlicht von der Website staferla.free.fr. Variante vom 25.10.2015, PDF-Datei hier.
Die Staferla-Version ist eine Wort-für-Wort-Transkription. Sie unterscheidet sich damit von der offiziellen Ausgabe dieses Seminars, bei welcher der Text redaktionell überarbeitet wurde. Gestrichen sind in der Staferla-Version Wortwiederholungen, wenn sie offensichtlich dazu dienen, während des Sprechens einen Satz zu konstruieren (vom Typ „dass er, dass er kommt“) sowie einige der Rückversicherungsfloskeln wie n’est-ce pas („nicht wahr“). Die Transkription wurde von mir mit der Audioaufnahme verglichen und geringfügig überarbeitet. Den Schnitt der Sätze – Punkt, Komma, Semikolon, Doppelpunkt, Gedankenstrich – habe ich gelegentlich verändert.
Deutscher Text
Die Übersetzung ist von Rolf Nemitz, auf der Grundlage einer von Max Kleiner erstellten Übersetzung, ebenso die Einteilung in Absätze.
Es gibt damit von dieser Sitzung drei deutsche Übersetzungen:
– diese hier (auf der Grundlage einer Wort-für-Wort-Transkription)
– die Übersetzung von Max Kleiner, ebenfalls auf der Grundlage einer Wort-für-Wort-Transkription (herausgegeben vom Lacan-Archiv/Psychoanalytische Bibliothek Bregenz, 2007, und von dort beziehbar)
– die Übersetzung von Myriam Mitelman und Harold Dielmann, auf der Grundlage einer redaktionell überarbeiteten Version (Jacques Lacan: Das Sinthom. Das Seminar, Buch XXIII (1975–1976). Texterstellung durch Jacques-Alain Miller. Übersetzt von Myriam Mitelman und Harold Dielmann. Turia und Kant, Wien 2017)
Zeichnungen
Die Zeichnungen sind, wenn nicht anders vermerkt, aus der ALI-Version dieser Sitzung. Die Untertitel zu den Zeichnungen sind von mir.
Anmerkungen
Die Anmerkungen sind von mir. Anmerkungen zum französischen Text beziehen sich auf Fragen der Transkription; Anmerkungen zur Übersetzung und zur Paraphrase liefern Literaturangaben und Querverweise auf ähnliche Passagen in Lacans Texten.
Seitenzahlen
Um die Arbeit in Lektüregruppen mit unterschiedlichen Übersetzungen zu erleichtern, werden in dieser Übersetzung im französischen Text die Seitenzahlen der Miller-Version angegeben (in eckigen Klammern), im deutschen Text die Seitenzahlen der Übersetzung von Mitelman/Dielmann (in geschweiften Klammern). .
ZUR NOTATION
– Wörter mit Sternchen: im Original deutsch. Eine längere im Original deutsche Wortfolge ist in Sternchen eingeschlossen.
– Der Schrägstrich / verbindet Homophonien und Übersetzungsvarianten.
– Einfügungen in runden Klammern enthalten Formulierungen des französischen Originals.
– Einfügungen in eckigen Klammern dienen der Erläuterung und sind nicht von Lacan.
– Einfügungen in spitzen Klammern: Ersatz für vermutlich ausgefallenen Text.
– Drei Punkte in eckigen Klammern […]: Tonaufnahme unverständlich.
– Zahlen in geschweiften Klammern und grauer Schrift, z.B. {10}, beziehen sich auf die Seiten der Übersetzung von Myriam Mitelman und Harold Dielmann.
– Zahlen in eckigen Klammern und grauer Schrift, z.B. [10], beziehen sich auf die Seiten der von Jacques-Alain Miller erstellten Ausgabe des Seminars.
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TONAUFNAHMEN
Die Aufnahmen sind von der Website von Patrick Valas, hier
Version Lutecium:
Version Ducan & Valas:
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DEUTSCH
{74} Es muss sich Ihnen zeigen, nehme ich an, falls Sie dafür dazu nicht zu sehr zurückgeblieben sind, es muss sich Ihnen zeigen, dass Joyce mich in Verlegenheit bringt wie ein Apfel einen Fisch.
Das ist offensichtlich verbunden – ich kann das sagen, weil ich es in diesen Tagen täglich erlebe –, das ist offensichtlich verbunden mit meiner mangelnden Übung, sagen wir mit meiner Unerfahrenheit mit der Sprache, in der er schreibt. Nicht dass ich des Englischen völlig unkundig wäre. Aber er schreibt das Englische ja mit diesen besonderen Raffinessen, die dazu führen, dass er die Sprache, hier die englische, desartikuliert. Man darf nicht glauben, dass das mit Finnegans Wake anfängt. Schon lange vor Finnegans Wake hat er eine bestimmte Art, die Sätze zu zerhacken, besonders im Ulysses. Das ist wirklich ein Prozess, der mit der Stoßrichtung betrieben wird , von der Sprache, in der er schreibt, einen anderen Gebrauch zu machen, einen Gebrauch, der jedenfalls alles andere als gewöhnlich ist. Das gehört zu seinem Savoir-faire, und dazu habe ich bereits den Artikel von Sollers zitiert, es wäre nicht schlecht, wenn Sie dessen Relevanz erwägen würden.
{75} Daraus ergibt sich also, dass ich heute Vormittag jemandem das Wort erteile, dessen Übung weit über die meine hinausgeht, nicht nur im Umgang mit der englischen Sprache, sondern mit Joyce, vor allem mit Joyce. Es handelt sich um Jacques Aubert. Und ich werde ihm, um nicht ewig herumzureden, ich werde ihm sogleich das Wort erteilen, da er freundlicherweise bereit war, das für mich zu übernehmen. Ich werde ihm mit all dem Ermessen zuhören, das ich aus seiner Erfahrung mit Joyce gewonnen habe.
Ich werde ihm zuhören, und ich hoffe, dass die kleinen Überlegungen, nicht wahr – ich rate ihm nicht, abzukürzen, weit davon entfernt –, dass die kleinen Überlegungen, die ich dazu hinzuzufügen haben werde, mit all dem Respekt angestellt sein werden, den ich ihm für dafür schulde, dass er mich in das eingeführt hat, was ich Joyce das Symptom genannt habe.
Kommen Sie, Jacques, stellen Sie sich dorthin.
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Es folgt der Vortrag von Jacques Aubert.
Aubert kommentiert eine Passage aus Joyce, Ulysses, Kapitel XV, Circe-Episode. Die französische Version von Auberts Vortrag findet man in:
– J. Aubert (Hg.): Joyce avec Lacan. Navarin, Paris 1987, S. 49–66 („Intervention de J. Aubert“)
– Seminar 23, Version Miller, S. 171–188 („Exposé au Séminare de Jacques Lacan“)
– Seminar 23, Version Staferla, Sitzung vom 20. Januar 1976 („Intervention de Jacques Aubert“)
Eine deutsche Übersetzung ist in Max Kleiners Übersetzung von Seminar 23 enthalten sowie in der Übersetzung von Myriam Mitelman und Harold Dielmann.
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LACAN
Ich möchte ein Schlusswort sagen.
Ich danke Jacques Aubert, dass er das Wagnis eingegangen ist.
Denn es ist offensichtlich, dass, wie der Autor von Surface and symbol, dessen Namen ich Ihnen beim letzten Mal genannt habe, es ist offensichtlich, dass der Ausdruck, dessen sich dieser Autor bedient, um die Kunst von Joyce zu bestimmen, um sie festzumachen, dass es sich da um inconceivably, unerfassbar, private jokes handelt, um unerfassbar private jokes.
Im selben Text erscheint das Wort, das ich im Wörterbuch nachschlagen musste, eftsooneries. Ich weiß nicht, ob dieses Wort gebräuchlich ist. [Zu Jacques Aubert gesprochen:] Kennen Sie es nicht? Eftsooneries, sagt Ihnen das nichts? Das heißt after soon – eftsooneries, also Dinge, die man auf nachher verschoben hat. Nur darum geht es. Nicht nur sind diese Wirkungen auf nachher verschoben, sondern sie haben eine Wirkung, die meist verwirrend ist.
Das ist offensichtlich die Kunst von Jacques Aubert, der Sie einen dieser Fäden hat so verfolgen lassen, dass er Sie in Atem hielt.
All dies ist offensichtlich so, dass es das begründet, dem ich eine Konsistenz zu geben versuche, eine Konsistenz im Knoten.
Was ist in diesem Gleiten von Joyce, auf das ich mich, wie ich bemerkt habe, in meinem Seminar Encore bezogen habe. Das verblüfft mich. Ich habe Jacques Aubert gefragt, ob das der Anlass für sein Angebot war, über Joyce zu sprechen, und er hat mich darauf hingewiesen, dass zu diesem Zeitpunkt das Encore-Seminar noch nicht erschienen |{80} war: sodass es nicht das gewesen sein kann, was ihn veranlasst hat, mir dieses Loch zu präsentieren, in das ich mich nicht reinwage, sicherlich aufgrund einer gewissen Umsicht, der Umsicht, wie er sie definiert hat.
Aber das Loch des Knotens gibt mir nicht weniger Fragen auf.
Wenn ich Soury und Thomé glauben darf, da ich ihnen ja auch den Hinweis auf etwas verdanke, das ich natürlich sicherlich bereits wahrgenommen hatte, nämlich dass der borromäische Knoten – der kein Knoten ist, sondern eine Verkettung –, wenn dieser Knoten –; man kann seine Duplizität – ich will sagen, dass es zwei davon gibt – nur dann ausfindig machen, wenn die Kreise, die Schnur-Ringe, gefärbt sind. Wenn sie [die Ringe] nicht gefärbt sind – was bedeutet, dass etwas jeden von den beiden anderen unterschedet, etwas: die farbliche Qualität –, wenn wir nicht mit Hilfe dieser Pinselei dafür sorgen können, dass es zwei Knoten gibt [zwei Verkettungen], da dies damit äquivalent ist, dass sie [die Ringe] gefärbt sind, anders gesagt, wenn nichts sie [die Ringe] voneinander unterscheidet, unterscheidet auch nichts die beiden [Verkettungen] voneinander.
Sie werden mir sagen, dass es in der Plättung einen gibt, der linksdrehend ist und den anderen, der rechtsdrehend ist, aber gerade darin besteht die ganze Fragwürdigkeit der Plättung. Die Plättung impliziert einen Betrachterstandpunkt, einen bestimmten Betrachterstandpunkt.
Und es ist sicherlich nicht ohne Grund, dass sich die Begriffe von rechts und links auf keine Weise ins Symbolische übersetzen lässt.
Was den Knoten angeht, so beginnt das erst jenseits der Dreierbeziehung zu ex-sistieren. Wie kommt es, dass die Dreierbeziehung einen solchen Vorrang hat? Das ist die Frage, die zu aufzulösen ich mich bemühen möchte.
Es muss hier etwas geben, das nicht ohne Bezug sein kann zu der von Jacques Aubert durchgeführten Isolierung der Funktion der Phonation, genau dabei, wenn es darum geht, den Signifikanten zu stützen. Das ist hier jedoch der Kernpunkt, den ich in der Schwebe lasse, das heißt, ab wann sich die Signifikanz, insofern sie geschrieben ist, von den einfachen Phonationseffekten unterscheidet.
Die Phonation übermittelt die dem Namen eigene Funktion, und vom Eigennamen werden wir ausgehen, hoffe ich, wenn wir uns das nächste Mal treffen.
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FRANZÖSISCH/DEUTSCH
Die Zahlen in [eckigen Klammern] und grauer Schrift beziehen sich auf die Seiten der von Jacques-Alain Miller erstellten Ausgabe des Seminars.
Die Zahlen in {geschweiften Klammern} und grauer Schrift beziehen sich auf die Seiten der Übersetzung von Myriam Mitelman und Harold Dielmann.
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[74] Il doit vous apparaître… je le suppose, si vous n’êtes pas trop arriérés pour ça …il doit vous apparaître que je suis embarrassé de Joyce comme un poisson d’une pomme.
{78} Es muss sich Ihnen zeigen, nehme ich an, falls Sie dafür dazu nicht zu sehr zurückgeblieben sind, es muss sich Ihnen zeigen, dass Joyce mich in Verlegenheit bringt wie ein Apfel einen Fisch.
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C’est lié évidemment… je peux le dire parce que je l’éprouve, ces jours-ci, journellement …c’est lié évidemment à mon manque de pratique, disons à mon inexpérience de la langue dans laquelle il écrit.
Das ist offensichtlich verbunden – ich kann das sagen, weil ich es in diesen Tagen täglich erlebe –, das ist offensichtlich verbunden mit meiner mangelnden Übung, sagen wir mit meiner Unerfahrenheit mit der Sprache, in der er schreibt.
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Non pas que je sois totalement ignorant de l’anglais.
Nicht dass ich des Englischen völlig unkundig wäre.
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Mais justement, il écrit l’anglais avec ces raffinements particuliers qui font que la langue – anglaise en l’occasion – il la désarticule.
Aber er schreibt das Englische ja mit diesen besonderen Raffinessen, die dazu führen, dass er die Sprache, hier die englische, desartikuliert.1
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Il faut pas croire que ça commence à Finnegans Wake.
Man darf nicht glauben, dass das mit Finnegans Wake anfängt.
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Bien avant Finnegans Wake, il a une façon de hacher les phrases, dans Ulysses notamment.
Schon lange vor Finnegans Wake hat er eine bestimmte Art, die Sätze zu zerhacken, besonders im Ulysses.
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C’est vraiment un processus qui s’exerce dans le sens de donner à la langue dans laquelle il écrit, un autre usage, un usage en tout cas qui est loin d’être ordinaire.
Das ist wirklich ein Prozess, der mit der Stoßrichtung betrieben wird , von der Sprache, in der er schreibt, einen anderen Gebrauch zu machen, einen Gebrauch, der jedenfalls alles andere als gewöhnlich ist.
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Ça fait partie de son savoir-faire, et là-dessus j’ai déjà cité l’article de Sollers, il ne serait pas mauvais que vous en mesuriez la pertinence.
Das gehört zu seinem Savoir-faire, und dazu habe ich bereits den Artikel von Sollers zitiert, es wäre nicht schlecht, wenn Sie dessen Relevanz erwägen würden.2
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Alors, il en résulte que ce matin je vais laisser la parole à quelqu’un qui a une pratique bien au-delà de la mienne, non seulement de la langue anglaise, mais de Joyce, de Joyce nommément.
{79} Daraus ergibt sich also, dass ich heute Vormittag jemandem das Wort erteile, dessen Übung weit über die meine hinausgeht, nicht nur im Umgang mit der englischen Sprache, sondern mit Joyce, vor allem mit Joyce.
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Il s’agit de Jacques Aubert.
Es handelt sich um Jacques Aubert.3
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Et je vais – pour ne pas m’éterniser – je vais tout de suite lui laisser la parole, puisqu’il a bien voulu prendre mon relais.
Und ich werde ihm, um nicht ewig herumzureden, ich werde ihm sogleich das Wort erteilen, da er freundlicherweise bereit war, das für mich zu übernehmen.
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Je l’écouterai avec toute la mesure que j’ai prise de son expérience de Joyce.
Ich werde ihm mit all dem Ermessen zuhören, das ich aus seiner Erfahrung mit Joyce gewonnen habe.
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Je l’écouterai, et j’espère que les réflexions petites, n’est-| [75] ce pas… je ne lui conseille pas d’abréger, bien loin de là …les réflexions petites que j’aurai à y ajouter seront faites, avec tout le respect que je lui dois pour le fait qu’il m’ait introduit à ce que j’ai appelé Joyce le Symptôme.
Ich werde ihm zuhören, und ich hoffe, dass die kleinen Überlegungen, nicht wahr – ich rate ihm nicht, abzukürzen, weit davon entfernt –, dass die kleinen Überlegungen, die ich dazu hinzuzufügen haben werde, mit all dem Respekt angestellt sein werden, den ich ihm für dafür schulde, dass er mich in das eingeführt hat, was ich Joyce das Symptom genannt habe.
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Venez Jacques, mettez-vous là.
Kommen Sie, Jacques, stellen Sie sich dorthin.
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Es folgt der Vortrag von Jacques Aubert.
Aubert kommentiert eine Passage aus Joyce, Ulysses, Kapitel XV, Circe-Episode.4 Die französische Version von Auberts Vortrag findet man in:
– J. Aubert (Hg.): Joyce avec Lacan. Navarin, Paris 1987, S. 49–66 („Intervention de J. Aubert“)
– Seminar 23, Version Miller, S. 171–188 („Exposé au Séminare de Jacques Lacan“)
– Seminar 23, Version Staferla, Sitzung vom 20. Januar 1976 („Intervention de Jacques Aubert“)
Eine deutsche Übersetzung ist in Max Kleiners Übersetzung von Seminar 23 enthalten5 sowie in der Übersetzung von Myriam Mitelman und Harold Dielmann6.
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LACAN
Je vais dire un mot de conclusion.
Ich möchte ein Schlusswort sagen.
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Je remercie Jacques Aubert de s’être mouillé.
Ich danke Jacques Aubert, dass er das Wagnis eingegangen ist.
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Car il est évident que… comme l’auteur de Surface and symbol, dont je vous ai dit le nom la dernière fois …il est évident que le terme dont cet auteur se sert pour dire, pour épingler, l’art de Joyce : qu’il s’agit là de inconcevably, inconcevablement, private jokes, des jokes inconcevablement privés.
Denn es ist offensichtlich, dass, wie der Autor von Surface and symbol, dessen Namen ich Ihnen beim letzten Mal genannt habe, es ist offensichtlich, dass der Ausdruck, dessen sich dieser Autor bedient, um die Kunst von Joyce zu bestimmen, um sie festzumachen, dass es sich da um inconceivably, unerfassbar, private jokes handelt, um unerfassbar private jokes.7
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Dans ce même texte apparaît le mot que j’ai dû chercher dans le dictionnaire : « eftsooneries ».
Im selben Text erscheint das Wort, das ich im Wörterbuch nachschlagen musste, eftsooneries.
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Je ne sais pas si ce mot est commun.
Ich weiß nicht, ob dieses Wort gebräuchlich ist.8
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[Zu Jacques Aubert gesprochen:] Vous ne le connaissez pas ? Eftsooneries, ça ne vous dit rien ?
[Zu Jacques Aubert gesprochen:] Kennen Sie es nicht? Eftsooneries, sagt Ihnen das nichts?
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C’est-à-dire « after soon », des eftsooneries, donc des choses renvoyées « à tout à l’heure ».
Das heißt after soon – eftsooneries, also Dinge, die man auf nachher verschoben hat.
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Il ne s’agit que de ça.
Nur darum geht es.
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Non seulement ces effets sont renvoyés à tout à l’heure, mais ils ont un effet le plus souvent déroutant.
Nicht nur sind diese Wirkungen auf nachher verschoben, sondern sie haben eine Wirkung, die meist verwirrend ist.
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C’est évidemment l’art de Jacques Aubert qui vous a fait suivre un de ces fils, de façon telle qu’il vous tienne en haleine.9
Das ist offensichtlich die Kunst von Jacques Aubert, der Sie einen dieser Fäden hat so verfolgen lassen, dass er Sie in Atem hielt.
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Tout ceci n’est évidemment pas sans fonder ce à quoi j’essaie de donner une consistance, et une consistance dans le nœud.
All dies ist offensichtlich so, dass es das begründet, dem ich eine Konsistenz zu geben versuche, eine Konsistenz im Knoten.10
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Qu’est-ce qui, dans ce glissement de Joyce …auquel je me suis aperçu que je faisais référence dans mon séminaire Encore.
Was ist in diesem Gleiten von Joyce, auf das ich mich, wie ich bemerkt habe, in meinem Seminar Encore bezogen habe.11
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J’en suis stupéfait !
Das verblüfft mich.
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J’ai demandé à Jacques Aubert si c’était là le départ de son invitation à parler de Joyce, il m’a affirmé qu’à ce moment-là le séminaire Encore n’était pas encore paru, de sorte que ça ne peut pas être ça qui l’a invité à me présenter ce trou dans lequel je me risque pas, sans doute par quelque prudence, la prudence telle qu’il l’a définie.
Ich habe Jacques Aubert gefragt, ob das der Anlass für sein Angebot war, über Joyce zu sprechen, und er hat mich darauf hingewiesen, dass zu diesem Zeitpunkt das Encore-Seminar noch nicht erschienen |{80} war12: sodass es nicht das gewesen sein kann, was ihn veranlasst hat, mir dieses Loch zu präsentieren, in das ich mich nicht reinwage, sicherlich aufgrund einer gewissen Umsicht, der Umsicht, wie er sie definiert hat.13
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Mais le trou du nœud ne m’en fait pas moins question.
Aber das Loch des Knotens gibt mir nicht weniger Fragen auf.14
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Si j’en crois Soury et Thomé… puisqu’aussi bien c’est eux à qui je dois mention de ceci dont sans doute je m’étais aperçu, bien sûr …c’est que le nœud borroméen – lequel n’est pas un nœud, mais une chaîne – si ce nœud, on ne peut en repérer la duplicité – je veux dire qu’il y en a deux – qu’à ce que les cercles, les ronds de ficelle, soient coloriés.
Wenn ich Soury und Thomé glauben darf, da ich ihnen ja auch den Hinweis auf etwas verdanke, das ich natürlich sicherlich bereits wahrgenommen hatte, nämlich dass der borromäische Knoten – der kein Knoten ist, sondern eine Verkettung –, wenn dieser Knoten –; man kann seine Duplizität – ich will sagen, dass es zwei davon gibt – nur dann ausfindig machen, wenn die Kreise, die Schnur-Ringe, gefärbt sind.
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S’ils ne sont pas coloriés… ce qui veut dire que quelque chose distingue, quelque chose : la qualité colorée distingue chacun des deux autres …si ce n’est qu’à l’aide de ce barbouillage que nous pouvons faire qu’il y ait deux nœuds, puisque ceci est équivalent au fait que s’ils sont incolores, si rien ne les distingue autrement dit, rien non plus ne distingue l’un de l’autre.
Wenn sie [die Ringe] nicht gefärbt sind – was bedeutet, dass etwas jeden von den beiden anderen unterschedet, etwas: die farbliche Qualität –, wenn wir nicht mit Hilfe dieser Pinselei dafür sorgen können, dass es zwei Knoten gibt [zwei Verkettungen], da dies damit äquivalent ist, dass sie [die Ringe] gefärbt sind, anders gesagt, wenn nichts sie [die Ringe] voneinander unterscheidet, unterscheidet auch nichts die beiden [Verkettungen] voneinander.
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Vous me direz que dans la mise à plat, il y en a un qui est lévogyre et l’autre qui est dextrogyre, mais c’est justement là qu’est le tout de la mise en | [76] question de la mise à plat.
Sie werden mir sagen, dass es in der Plättung einen gibt, der linksdrehend ist und den anderen, der rechtsdrehend ist, aber gerade darin besteht die ganze Fragwürdigkeit der Plättung.
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La mise à plat implique un point de vue, un point de vue spécifié.
Die Plättung impliziert einen Betrachterstandpunkt, einen bestimmten Betrachterstandpunkt.
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Et ce n’est sans doute pas pour rien que n’arrive pas d’aucune façon à se traduire dans le symbolique la notion de la droite et de la gauche.
Und es ist sicherlich nicht ohne Grund, dass sich der Begriff von rechts und links auf keine Weise ins Symbolische übersetzen lässt.
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Pour le nœud, ceci ne commence à ex-sister qu’au-delà de la relation triple.15
Was den Knoten angeht, so beginnt das erst jenseits der Dreierbeziehung zu ex-sistieren.16
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Comment se fait-il que cette relation triple ait ce privilège ?
Wie kommt es, dass die Dreierbeziehung einen solchen Vorrang hat?
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C’est bien là ce dont je voudrais m’efforcer de résoudre la question.
Das ist die Frage, die aufzulösen ich mich bemühen möchte.
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Il doit y avoir là quelque chose, et qui ne doit pas être sans rapport avec cet isolement que nous a fait Jacques Aubert de la fonction de la phonation précisément dans ce qu’il en est de supporter le signifiant.
Es muss hier etwas geben, das nicht ohne Bezug sein kann zu der von Jacques Aubert durchgeführten Isolierung der Funktion der Phonation, genau dabei, wenn es darum geht, den Signifikanten zu stützen.17
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Mais c’est bien là le point vif sur lequel je reste en suspens : c’est à savoir à partir de quand la signifiance en tant qu’elle est écrite se distingue des simples effets de la phonation ?
Das ist hier jedoch der Kernpunkt, den ich in der Schwebe lasse, das heißt, ab wann sich die Signifikanz, insofern sie geschrieben ist, von den einfachen Phonationseffekten unterscheidet.
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C’est la phonation qui transmet cette fonction propre du nom et c’est du nom propre que nous repartirons, j’espère, la prochaine fois que nous nous retrouverons.
Die Phonation übermittelt die dem Namen eigene Funktion, und vom Eigennamen werden wir ausgehen, hoffe ich, wenn wir uns das nächste Mal treffen.18
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PARAPHRASE MIT ERGÄNZUNGEN
Passagen in schwarzer Schrift sind Zusammenfassungen.
Passagen in eckigen Klammern in grüner Schrift sind meine Ergänzungen.
Passagen in eckigen Klammern, die mit einem Fragezeichen beginnen und hellgrün unterlegt sind, enthalten meine Fragen zum Textverständnis.
Die Zahlen in geschweiften Klammern und grauer Schrift verweisen auf die entsprechenden Seiten von:
Jacques Lacan: Das Sinthom. Das Seminar, Buch XXIII (1975–1976). Textherstellung durch Jacques-Alain Miller. Übersetzt von Myriam Mitelman und Harold Dielmann. Turia und Kant, Wien 2017.
{78} Lacan macht einige einleitende Bemerkungen zu einem Vortrag, den Jacques Aubert anschließend in dieser Seminarsitzung halten wird. Lacan weist darauf hin, dass Joyce das Englische „desartikuliert“; und wie schon in der ersten Sitzung von Seminar 23 verweist er hierfür auf einen Artikel von Philippe Sollers. Joyce zerhackt die Sätze, bereits im Ulysses. Das Ziel dieser Operation ist, von der Sprache einen anderen Gebrauch zu machen als den üblichen. Das macht einen Teil des Könnens von Joyce aus, seines Savoir-faire.
Zwei Arten der borromäischen Verkettung
{79} Nach dem Vortrag charakterisiert Lacan den Vortragsstil von Jacques Aubert mit einem Terminus, den er bei einem anderen Joyce-Spezialisten gefunden hat: eftsooneries [ein von dem veralteten Adverb eftsoon, „bald danach“ abgeleitetes Substantiv, in etwa „Inbälderey“]. Nicht nur werden die Dige auf nachher verschoben, sie haben auch unerwartete Wirkungen. Darum geht es [ich nehme an: im Ulysses]. Das ist [auch] die Kunst von Jacques Aubert, der seine Hörer einen Faden so verfolgen ließ, dass sie das in Atem hielt.
{80} Danach verweist Lacan [ohne sich auf Auberts Vortrag zu beziehen] auf die Konsistenz des Knotens und auf das Loch des Knotens [ohne hierzu weitere Erläuterungen zu geben; über das Loch im Symbolischen hatte Aubert gesprochen]. Der sogenannte borromäische Knoten ist kein Knoten, sondern eine Verkettung (chaîne). Es gibt zwei solcher Verkettungen [wie Lacan bereits in der ersten Sitzung von Seminar 21 ausgeführt hatte]. Die beiden Arten der borromäischen Verkettungen lassen sich nur dann unterscheiden, wenn die Schnur-Ringe gefärbt sind. Wenn man die Ringe nicht unterscheiden kann, kann man auch die beiden Arten der Verkettung nicht unterscheiden. Wie bezeichnet man die beiden Arten der borromäischen Verkettung? In der Plättung [also in der zweidimensionalen Zeichnung] stellen sie sich als rechtsdrehend und linksdrehend dar [im Uhrzeigersinn und gegen den Uhrzeigersinn]. [Bereits in Seminar 21 hatte Lacan die beiden Verkettungsarten als „rechtsdrehend“ und „linksdrehend“ unterschieden.] Das ist jedoch ein Effekt der Plättung. Eine Zeichnung beruht auf einem festen Standpunkt, von dem aus die Verkettung betrachtet wird. [Im dreidimensionalen Raum, in dem der Knoten einzig existiert, ist ein solcher fester Standpunkt jedoch nicht gegeben – man kann gewissermaßen um die Verkettung herumgehen und dann verwandelt sich rechtsdrehend in linksdrehend und umgekehrt.] Nicht ohne Grund kann die Rechts-Links-Opposition nicht ins Symbolische übersetzt werden. [Sie setzt ein Wesen voraus, das eine dominante Bewegungs- und Blickrichtung hat und sich am Gegensatz von Oben und Unten orientiert.] [?? Wie lässt sich präziser fassen, dass die Rechts-Links-Opposition nicht ins Symbolische übersetzt werden kann?]
„Für den Knoten beginnt das erst jenseits der Dreierbeziehung zu ex-sistieren.“ [Sicherlich ein Versprecher, wie der nächste Satz zeigt; gemeint ist: „Für den Knoten beginnt das erst mit der Dreierbeziehung zu ex-sistieren.] Warum hat die Dreierbeziehung diesen Vorrang? Das ist eine der Fragen, die Lacan, sagt er, zu beantworten versucht.
Signifikanz des Geschriebenen und Signifikanz des Gesprochenen
Die Sitzung endet damit, dass Lacan nach dem Verhältnis von Phonation und Signifikant fragt. [Den Begriff „Phonation“, Stimmgebung, verwendet Aubert in seinem Vortrag. Er versteht darunter zunächst die Aussprache; der Unterschied zwischen „moly“ (mit Diphtong) und „Molly“ (mit einfachem kurzem Vokal) ist für ihn ein Unterschied der Phonation. Später im Vortrag bezieht Aubert sich mit „Phonation“ auf die Prosodie, auf den Klang einer Stimme; aus der Phonation entwickelt sich, Aubert zufolge, die Melodie, etwa die eines Liedes.] Die Phonation trägt den Signifikanten [die gesprochene Sprache mit den Eigentümlichkeiten der Aussprache und der Intonation, der Prosodie ist gewissermaßen das Substrat des Signifikanten].
Das steht vermutlich in Beziehung dazu, dass im Knoten die Dreierbeziehung einen Vorrang hat. [Das könnte heißen: die Funktion der Stimme als Objekt a ist, wie der borromäische Knoten zeigt, nicht nur auf das Loch im Symbolischen zu beziehen, sondern auch auf das im Imaginären und auf das im Realen.] Ab wann unterscheidet sich die Signifikanz als Geschriebenes von den einfachen Effekten der Phonation? [Die Signifikanteneffekte (die Signifikanz), mit denen man es bei Joyce zu tun hat, beruhen auf Geschriebenem, nicht auf Gesprochenem. Es geht hier also nicht einfach um Phonation.] Die Phonation übermittelt die Funktion des Namens. [Aubert hatte in seinem Vortrag zunächst vor allem über Eigennamen gesprochen, dann über das Loch im Symbolischen und schließlich über die Erzeugung der Gewissheit durch die Stimmgebung, durch die Phonation. Eine Verbindung zwischen dem Eigennamen und der Phonation stellt Aubert beim Namen „Molly“ her.] Lacan kündigt an, dass er in der nächsten Sitzung vom Eigennamen ausgehen wird.
KLEINES LACAN-LEXIKON
Das Lexikon ist nicht alphabetisch geordnet, sondern nach der Reihenfolge des Auftretens der Begriffe und Thesen in Lacans Vortrag.
Die Zahlen in Klammern nach den Überschriften und nach den Lacan-Zitaten zu Beginn der Einträge beziehen sich auf die Seiten von Max Kleiners Übersetzung von Seminar 23; oben in der Übersetzung sind sie im deutschen Text nach jedem Satz angegeben.
Am Ende jedes Lexikoneintrags steht ein Pfeil nach unten mit der Spitze nach links (↩); wenn man ihn anklickt, kommt man zur entsprechenden Stelle der Übersetzung zurück.
Zwei Arten von borromäischen Verkettungen (82 f.)
Zu: „Wenn ich Soury und Thomé glauben darf, da ich ihnen ja nun diesen Hinweis verdanke, was ich aber natürlich schon bemerkt hatte, dass der im eigentlichen Sinne borromäische Knoten, der kein Knoten ist, sondern eine Verkettung, wenn [dass] man die Duplizität dieser Verkettung, ich will sagen, dass es zwei davon gibt, nur feststellen kann, wenn die Kreise, die Schnur-Ringe eingefärbt sind. Wenn sie nicht eingefärbt sind, was besagen will, dass etwas – etwas: die farbliche Qualität – einen jeden von den beiden anderen jeweils unterscheidet, wenn wir nicht mit Hilfe dieser Kleckserei bewirken können, dass es zwei Knoten gibt, da dies damit äquivalent ist, dass sie gefärbt sind, anders ausgedrückt, wenn nichts sie unterscheidet, unterscheidet sie auch nichts voneinander.“ (82 f. ).
Borromäische Ringe können auf zwei Arten miteinander verschlungen sein; die eine Art der Verkettung kann nicht in die andere umgewandelt werden, ohne die Ringe aufzuschneiden und neu zu verspleißen.
Die Bedingung dafür, zwei Arten der borromäischen Verkettung unterscheiden zu können, ist die Färbung der Ringe, d.h. ihre Individualisierung.
In Seminar 21 hatte Lacan die beiden Arten der Verkettung als „rechtsdrehend“ und als „linksdrehend“ unterschieden. Diese Zuordnung ist nur in der Zeichnung möglich, im dreidimensionalen Raum ist die Links- oder Rechtsdrehung nicht fixierbar – betrachtet man einen Ring gewissermaßen von der Rückseite, verwandelt sich die Rechtsdrehung in eine Linksdrehung und umgekehrt.
Vgl. in Lacan entziffern den Artikel Über Knoten, darin den Teil über Orientierung. ↩
Signifikanz (83)
Zu: „Das ist allerdings der Kernpunkt, den ich in der Schwebe lasse, das heißt, ab wann sich die Signifikanz, insofern sie geschrieben ist, von den einfachen Effekten der Phonation unterscheidet.“ (83)
Unter „Signifikanz“ (signifiance) versteht Lacan die Wirkung oder die Funktion des Signifikanten. Signifiance (Signifikanz) ist bei ihm Gegenbegriff zu signification (Bedeutung oder Sinn).
In Seminar 3 heißt es:
„Eine ganze phänomenologische Anmaßung, die weit über das Feld der Psychoanalyse hinausgeht, und die dort nur herrscht, sofern sie auch anderswo herrscht, beruht auf der Verwechslung des Bereichs der Signifikanz (signifiance) und des Bereichs der Bedeutung (signification). Von Arbeiten ausgehend, die als Untersuchungen über die Funktion des Signifikanten äußerst rigoros sind, gleitet die vorgeblich psychologische Phänomenologie hinüber zum Bereich der Bedeutung.“19
In Das Drängen des Buchstabens liest man:
„Sˈ, was in dem Zusammenhang den produktiven Terminus des signifikanten Effekts (oder der Signifikanz) bezeichnet […]“
(J. Lacan: Das Drängen des Buchstabens im Unbewussten oder die Vernunft seit Freud. In: Ders.: Schriften. Band I. Vollständiger Text. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien 2016, S. 582–626, hier: S. 610 Fn. 20)[/note]
In Seminar 12 übersetzt Lacan Freges Begriffsopposition von „Sinn“ und „Bedeutung“ mit sens und signifiance.20 ↩
ZUSAMMENSTELLUNG ZU SYMPTOM/SINTHOM
Im Folgenden werden alle Stellen aufgeführt, an denen Lacan die Ausdrücke „Symptom“ oder „Sinthom“ verwendet. Die Zahlen in runden Klammern sind Seitenzahlen, sie verweisen auf die Übersetzung von Max Kleiner.
In der Sitzung vom 20. Januar 1976 wird der Ausdruck „Symptom“ von Lacan nur einmal verwendet, als er den Titel seines Vortrags „Joyce das Symptom“ zitiert (64). Den Ausdruck „Sinthom“ gebraucht er in dieser Sitzung nicht.
OFFENE FRAGEN
Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf die Seiten der Übersetzung von Max Kleiner. Sie sind oben in der Übersetzung nach jedem Satz angegeben.
„Für den Knoten beginnt das erst jenseits der Dreierbeziehung zu ex-sistieren.“ (83) Was beginnt erst jenseits der Dreierbeziehung? Dass es zwei Arten von borromäischen Verkettungen gibt, gilt bereits für die Verkettung von drei Komponenten, nicht erst jenseits davon.
Nicht ohne Grund kann die Rechts-Links-Opposition nicht ins Symbolische übersetzt werden (83). Wie lässt sich präzise fassen, dass die Rechts-Links-Opposition nicht ins Symbolische übersetzt werden kann?
LITERATURVERZEICHNIS
Seminar Das Sinthom
Version ALI
Herausgegeben von der Association Freudienne Internationale, 2001 umbenannt in Association Lacanienne Internationale.
Als PDF auf der Internetseite der ELP, hier. S. 212–380.
Version Miller 2005
Jacques Lacan: Le séminaire, livre XXIII. Le sinthome. 1975–1976. Texterstellung durch Jacques-Alain Miller. Le Seuil, Paris 2005
Version Miller/Mitelman/Dielmann
Jacques Lacan: Das Sinthom. Das Seminar, Buch XIII (1975–1976). Texterstellung durch Jacques-Alain Miller. Übersetzt von Miriam Mitelman und Harold Dielmann. Turia und Kant, Wien 2017
Version Miller/Price
Jacques Lacan: The Sinthome. The seminar of Jacques Lacan, Book XXIII. Edited by Jacques-Alain Miller, translated by Adrian R. Price. Polity Press, Cambridge (UK) 2016
Version NN
Lacan: Le sinthome. Wort-für-Wort-Transkription eines anonymen Herausgebers, ohne Ort, ohne Jahr. Schreibmaschine, durch Fotokopien verbreitet. Auf diese Version bezieht sich Max Kleiners Übersetzung, linke Spalte.
Version NN/Kleiner und Version Miller 1976–77/Kleiner
Le sinthom. 1975 – 1976. Seminar XXIII von Jacques Lacan. Übersetzt von Max Kleiner. Herausgegeben vom Lacan-Archiv/Psychoanalytische Bibliothek Bregenz, 2007
Der Text enthält zwei Übersetzungen. Das Layout ist dreispaltig. Erste Spalte: Übersetzung der Transkription eines anonymen Herausgebers (=Version NN/Kleiner), zweite Spalte: Übersetzung der Version Miller 1976/77, dritte Spalte: Anmerkungen des Übersetzers. Zu bestellen beim Lacan-Archiv Bregenz; für 20 Euro erhält man eine PDF-Datei.
Version Staferla
Jacques Lacan: Le sinthome. 1975 — 76. Wort-für-Wort-Transkription, herausgegeben und veröffentlicht von der Website staferla.free.fr, ohne Ort. Diese Transkription wird von Zeit zu Zeit überarbeitet, es gibt also mehrere Varianten der Staferla-Version. Für diesen Kommentar wurde die Variante vom 28.6.2013 verwendet; man findet sie hier.
Version Staferla/Nemitz
Jacques Lacan: Das Sinthom. Seminar 23 von 1975/76. Übersetzt von Rolf Nemitz auf der Grundlage von Version Staferla. In: Lacan entziffern, 2019, hier
Version Stenotypie ELP
Jacques Lacan: Le sinthome. Stenotypie auf der Website der École lacanienne de psychanalyse, hier
Weitere Texte von Lacan
Das Drängen des Buchstabens im Unbewussten oder die Vernunft seit Freud. In: Ders.: Schriften. Band I. Vollständiger Text. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien 2016, S. 582–626
(a) Übersetzt von Rolf Nemitz. In: Lacan entziffern, Beitrag vom 11. September 2013, hier.
(b) Übersetzt von Miriam Mitelman und Harold Dielmann. J. Lacan: Das Sinthom. Das Seminar, Buch XIII (1975–1976). Texterstellung durch Jacques-Alain Miller. Turia und Kant, Wien 2017, S. 181–191
Seminare
Seminar 20 = Das Seminar, Buch XX (1972–1973). Encore. Übersetzt von Norbert Haas, Vreni Haas und Hans-Joachim Metzger, nach einer von Jacques-Alain Miller erstellten Version. Quadriga, Weinheim u.a. 1986
Seminar 21 = Les non-dupes errent. 1973–74. Hg. v. der Website Staferla (staferla.free.fr), auf der Grundlage einer Tonaufnahme sowie der Transkriptionen auf den Websites Lutecium und Gaogoa. Ohne Ort, ohne Jahr
Andere Autoren
Adams, Robert Martin: Surface and symbol. The consistency of James Joyce’s Ulysses. Oxford University Press, New York 1962
Aubert, Jacques: Vortrag im Seminar von Jacques Lacan. In: J. Lacan: Das Sinthom. Das Seminar, Buch XIII (1975–1976). Texterstellung durch Jacques-Alain Miller. Übersetzt von Miriam Mitelman und Harold Dielmann. Turia und Kant, Wien 2017, S. 192–213
Joyce, James: Finnegans Wake. Oxford University Press, Oxford 2012.– Finnegans Wake. Deutsch. Hg. v. Klaus Reichert und Fritz Senn. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1989
---: Ulysses. Penguin Books, London 2000 (Serie „Modern Classics“).– Ulysses. Übersetzt von Hans Wollschläger. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1979
Lalande, André. Le Vocabulaire technique et critique de la philosophie. Presses universitaires de France, Presses universitaires de France, Paris 2006 (zuerst 1902–1923)
Sollers, Philippe: Joyce et Cie. In: Tel Quel, Nr. 64, November 1975, S. 15–24 (englische Teilübersetzung: Philippe Sollers: Joyce & Co. In: D. Hayman, E. Anderson (Hg.): In the Wake of the Wake. University of Wisconsin Press, Madison u.a. 1978)
Verwandte Beiträge
- Jacques Lacan: Joyce das Symptom I
- „Das Sinthom“ entziffern – Kommentare zu den einzelnen Sitzungen
- „Das Sinthom“ entziffern – Gesamtüberblick
Anmerkungen
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Desarticuler: zergliedern, ausrenken. Möglicherweise gibt Lacan hier ein Echo auf den Titel des Buchs Mimesis des articulations (Aubier-Flammarion, Paris 1975), auf das er sich in der Sitzung vom 16. Dezember 1975 bezogen hatte; die Typographie der Titelseite lässt eine zweite Lesart zu: Mimesis desarticulations.
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Gemeint ist: Philippe Sollers: Joyce et Cie. In: Tel Quel, Nr. 64, November 1975, S. 15–24. Lacan hatte hierauf bereits in der ersten Vorlesung des Seminars verwiesen; vgl. Kommentar zur Vorlesung vom 18. November 1975.
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Jaques Aubert ist Autor von Introduction à l’esthétique de James Joyce, Didier, Paris 1973. Er gehörte zu den Organisatoren des 5. internationalen James-Joyce-Symposiums in Paris, auf dem Lacan am 16. Juni 1975 den Vortrag Joyce das Symptom gehalten hatte. Aubert hat Seminare von Lacan besucht; er bildet das Gelenk zwischen den Joycianern und den Lacanianern. 1987 wird er, mit einem Vorwort von Jacques-Alain Miller, den Sammelband Joyce avec Lacan herausgeben, der unter anderem die beiden Fassungen von Lacans „Joyce le symptôme“ enthält. 2004 erscheint bei Gallimard eine von Aubert herausgegebene französische Übersetzung des Ulysses.
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Beginnend mit dem Auftritt von Rudolph, etwa 7 Seiten nach Anfang des Kapitels. J. Joyce: Ulysses. Penguin Books, London 2000 (Serie „Modern Classics“), S. 568 ff.– Ulysses. Übersetzt von Hans Wollschläger. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1979, S. 611 ff.
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Lacan bezieht sich auf: Robert Martin Adams: Surface and symbol. The consistency of James Joyce’s Ulysses. Oxford University Press, New York 1962.
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Eftsoonery ist eine Substantivbildung zum Adverb eftsoon, „bald danach“, das nicht mehr gebräuchlich ist, wörtlich also etwa „Balddanacherey“. Statt eftsoon findet man auch eftsoons oder eftsones.
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Staferla transkribiert „un de ses fils“, einen seiner Fäden, aber „un de ces fils“, einen dieser Fäden, passt besser zum Vorhergehenden und zum Folgenden.
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Lacan charakterisiert den borromäischen Knoten insgesamt durch drei Merkmale: imaginäre Konsistenz (Zusammenhalt), symbolisches Loch, reale Ex-sistenz (das Einander-Äußerlich-Sein der Ringe, ihre Nicht-Durchdringung).
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In Seminar 20 von 1972/73, Encore, hatte Lacan gesagt:
„Sie sollten sich trotzdem dranmachen, ein wenig Autoren zu lesen — ich würde nicht sagen, aus Ihrer Zeit, ich würde Ihnen nicht sagen, Philippe Sollers zu lesen, er ist unlesbar, wie ich übrigens — aber Sie können Joyce lesen beispielsweise. Sie werden da sehen, wie die Sprache sich perfektioniert, wenn er zu spielen weiß mit der Schrift. Joyce, es ist mir schon recht, daß das nicht lesbar ist — das ist gewiß nicht übersetzbar ins Chinesische. Was passiert bei Joyce? Der Signifikant trüffelt das Signifikat. Es ist aufgrund der Tatsache, daß die Signifikanten sich verschachteln, sich zusammensetzen, sich ineinanderschieben — lesen Sie Finnegans Wake — daß sich etwas produziert, das, als Signifikat, rätselhaft scheinen kann, aber was eben das Nächste dessen ist, was wir Analytiker, dank dem analytischen Diskurs, zu lesen haben — der Lapsus.“
(Seminar 20, Sitzung vom 9. Januar 1973, Version Miller/Haas u.a. S. 41)
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Jacques-Alain Millers Version von Seminar 20 wurde Anfang 1975 bei Le Seuil veröffentlicht.
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Aubert hatte in seinem Vortrag vom Loch im Circe-Kapitel gesprochen. Ein weiteres Thema von Aubert war die Umsicht von Leopold Bloom; für die Definition der Umsicht (lateinisch prudentia, griechisch phronesis) hatte er sich auf das Philosophiewörterbuch von Lalande bezogen.
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Lacan wechselt von der imaginären Konsistenz des Knotens zum symbolischen Loch des Knotens.
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Miller korrigiert einleuchtend zu: „qu’avec la relation triple, et au-delà“.
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Miller korrigiert einleuchtend zu: „so beginnnt das erst mit und jenseits der Dreierbeziehung zu ex-sistieren“.
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Aubert hatte in seinem Vortrag unter anderem über die Funktion der Stimme des Vaters in der Beziehung zwischen Vater und Sohn gesprochen. Seine These lautete: Gewissheit und Legitimität werden von Joyce im Ulysses auf imaginäre Weise inszeniert, nämlich durch Stimmeffekte. Selbst wenn ein väterliches Wort in dem, was es inhaltlich sagt, umstritten sei, scheine etwas davon in die „Personierung“ überzugehen, „in das, was hinter der Personierung liegt, vielleicht auf Seiten der Phonation“. Das habe etwas mit der Beziehung von Joyce zu seinem eigenen Vater zu tun, zu John Joyce. Dieser war ein guter Sänger, und der Sohn hatte dieselbe Fähigkeit.
„Aber in dieser Kunst der Stimme, der Phonation, ist etwas anderes an den Sohn übergegangen, für ihn bereitgestellt. Kurz, wenn die Gewissheit in Bezug auf das, was er produziert, immer etwas mit dem Spiegel zu tun hat, mit den Spiegelwirkungen, die aufzuzählen wären, hat das auch mit den Stimmwirkungen des Signifikanten zu tun.“
(Jacques Aubert: Vortrag im Seminar von Jacques Lacan. In: Jacques Lacan: Das Sinthom. Das Seminar, Buch XXIII (1975–1976). Texterstellung durch Jacques-Alain Miller. Übersetzt von Myriam Mitelman und Harold Dielmann. Turia und Kant, Wien 2017, S. 192–213, hier: S. 212)
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Aubert hatte über die „Phonation“ des Eigennamens Molly gesprochen, im Verhältnis zu moly (einer zauberkräftigen Pflanze, die in Homers Odyssee erwähnt wird); er verwies auf den lautlichen Wandel von moly (Diphtong, einfaches l) zu Molly (einfaches o, doppelter Konsonant). (Vgl. Version Miller/Mitelman/Dielman S. 210.)
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Seminar 3, Sitzung vom 11. April 1956, Version Miller/Turnheim S. 227, Übersetzung geändert; Turnheim übersetzt signifiance mit „Bedeuten“.
- Sitzung vom 16. Juni 1965.