Lacans Sentenzen
„Das Signifikat gleitet unter dem Signifikanten.“
Video: Point de matellasier vertical, in YouTube hochgeladen von TPSOP am 10.10.2009
Sean Homer stellt Lacans Auffassung von der Beziehung zwischen Signifikanten und Signifikaten so dar1:
Das Schema suggeriert, dass Signifikant und Signifikat miteinander verheiratet sind: dass jeder Signifikant sein eigenes Signifikat hat und jedes Signifikat seinen eigenen Signifikanten. Lacan betont, dass es so gerade nicht ist (wie man auch bei Homer nachlesen kann) und dass der Analytiker sich an dieser Differenz orientieren muss. Die Signifikanten, die in einer Analyse geäußert werden, sind nicht fest mit einem bestimmten Signifikat verbunden, das nur noch aufzudecken wäre. Signifikanten und Signifikate haben eine andere Zeitstruktur. Signifikanten werden wie Perlen auf eine Schnur gereit. Signifikate nur scheinbar. Mit jeder Hinzufügung eines Signifikanten verschiebt sich die Bedeutung der bereits gebildeten Kette, die Bedeutung ist also instabil. Wie kommt es, dass trotzdem ein relativ stabiler Sinn zustande kommt? In einer Signifikantenkette beruht dies auf dem Abbruch der Kette, gewissermaßen auf dem Punkt. Signifikanten, die die Funktion haben, das Gleiten der Bedeutung zu stoppen, werden von Lacan (mit einem Ausdruck aus der Sprache der Polsterer) als points de capiton bezeichnet. Der Ausdruck wird meist mit „Stepppunkt“ übersetzt, „Polsterstich“ wäre eine bessere Übersetzung, wie ich in diesem Blogartikel gezeigt habe.2
Ich würde die Beziehung zwischen Signifikant und Signifikat so darstellen:
Wie bei Lacan steht das großgeschriebene S für den Signifikanten, das kleingeschriebene s für das Signifikat.
Beispiel:
S1: „Ich.“
s1: Der Sprecher (z.B. als Antwort auf eine Frage).
S1‚→S2: „Ich versteh.“
s2: Der Sprecher versteht.
S1‚→S2‚→S3: „Ich versteh nur.“
s3: Der Sprecher beschränkt sich aufs Verstehen, statt beispielsweise einzugreifen (schlechtes Deutsch, aber möglich).
S1‚→S2‚→S3‚→S4: „Ich versteh nur Bahnhof.“
s4: Der Sprecher versteht nichts .
S1‚→S2‚→S3‚→S4‚→S5: „ ‚Ich versteh nur Bahnhof‘, sagte er.“
s5: Eine dritte Person hat gesagt, dass sie nichts versteht.
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- Das Signifikat
- Graf des Begehrens: Polsterstich, auch Stepppunkt genannt
- Herrensignifikant, S1: das Ichideal
Anmerkungen
- Sean Homer: Jacques Lacan. Routledge, London und New York 2005, S. 42.
- Lacan entwickelt das Konzept des point de capiton zuerst in Seminar 3 (1955-56), Die Psychosen, in der Sitzung vom 6. Juni 1956; er greift es auf in Das Drängen des Buchstabens im Unbewussten oder die Vernunft seit Freud, Schriften II, hg. v. N. Haas, S. 27 f. sowie in Subversion des Subjekts und Dialektik des Begehrens im Freudschen Unbewussten, Schriften II, S. 179 f.- In Das Drängen des Buchstabens findet man die oft zitierte Formulierung, „dass das Signifizierte [das Signifikat] unaufhörlich unter dem Signifikanten gleitet“ (Schriften II, S. 27).