Es gibt kein sexuelles Verhältnis – auch nicht für Trump?
Lacan sagt; „Es gibt kein sexuelles Verhältnis.“ Gilt das auch für Donald Trump? Anders gefragt: Wie verhält sich seine sexuelle Position zu Lacans Formeln der Sexuierung?
Diese Formeln sehen so aus:
Ich habe sie in diesem Blog hier erläutert. Die linke Seite ist die des Mannes, die rechte die der Frau. Die Formel links oben steht für den mythischen Urvater, die Formel links unten für den Mann. Was sieht man, wenn man Trump mithilfe dieser Formeln beschreibt?
Freuds Urvater
Im Hintergrund der linken oberen Formel, , steht Freuds Auffassung, dass die Triebverdrängung dadurch ermöglicht wird, dass die uneingeschränkte Triebbefriedigung den Göttern bzw. dem Urvater zugeschrieben wird. Über die Götter schreibt Freud:
„Ein Stück dieser Triebverdrängung wird von den Religionen geleistet, indem sie den einzelnen seine Trieblust der Gottheit zum Opfer bringen lassen. ‚Die Rache ist mein‘, spricht der Herr. An der Entwicklung der alten Religionen glaubt man zu erkennen, daß vieles, worauf der Mensch als ‚Frevel‘ verzichtet hatte, dem Gotte abgetreten und noch im Namen des Gottes erlaubt war, so daß die Überlassung an die Gottheit der Weg war, auf welchem sich der Mensch von der Herrschaft böser, sozialschädlicher Triebe befreite.“1
Und:
„Den Göttern teilt der Mythos bekanntlich die Befriedigung aller Gelüste zu, auf die das Menschenkind verzichten muß, wie wir es vom Inzest her kennen.“2
In Totem und Tabu wird die Figur des Urvaters so beschrieben:
„Die Darwinsche Urhorde hat natürlich keinen Raum für die Anfänge des Totemismus. Ein gewalttätiger, eifersüchtiger Vater, der alle Weibchen für sich behält und die heranwachsenden Söhne vertreibt, nichts weiter.“3
Der Urvater besitzt „alle Weibchen“, seine sexuelle Lust bezieht sich, in Lacans Deutung dieser Passage, auf Frauen qua biologische Frauen, auf Die Frau. Der Urvater bezieht sich auf Frauen also in der Beziehungsart, die Lacan „sexuelles Verhältnis“ nennt, er wird nicht – aufgrund seines individuellen Phantasmas – von bestimmten Frauen angezogen, sondern von Frauen schlechthin. Die mit einer solchen Beziehung zum anderen Geschlecht als anderem Geschlecht verbundene Art der sexuellen Lust ist sprechenden Männchen jedoch versperrt; der Urvater steht für eine Lust, die den Sprechwesen unmöglich ist.4
In Massenpsychologie und Ich-Analyse liest man über den Urvater, dass er
„sich selbst freien Sexualgenuß vorbehält und somit ungebunden bleibt“5.
Im Unbehagen in der Kultur heißt es ähnlich, dass der Urmensch
„keine Triebeinschränkungen kannte“, wobei allerdings nur das Oberhaupt der Urfamilie „sich solcher Triebfreiheit erfreute“.6
Urvater Trump und die phallische Funktion
Lange Zeit habe ich nicht begriffen, warum Lacan (mit Freud) der mythischen Gestalt des Urvaters, der „alle Frauen“ genießt, so großen Wert beimisst. Eine Ahnung, was damit gemeint sein könnte, bekam ich, als Gerhard Herrgott mich darauf aufmerksam machte, dass Donald Trump diese Position besetzt.
Im letzten Herbst wurde während des Präsidentschaftswahlkampfs in den USA die berühmt gewordene Videoaufnahme veröffentlicht, in der Donald Trump mit einem Unbekannten und mit dem Rundfunk- und Fernsehmoderator Billy Bush über sein Verhältnis zu Frauen spricht (man findet die Aufnahme am Beginn dieses Artikels).
Die Männer sitzen in einem Bus und warten auf eine Schauspielerin, Arianne Zucker, mit der sie für eine Fernsehaufnahme verabredet sind.
Donald Trump: Weißt du und …
Unbekannter: Sie sah mal toll aus. Sie ist immer noch sehr schön.
Trump: Ich hab mich echt an sie rangemacht. Weißt du, sie war unten in Palm Beach. Ich hab mich an sie rangemacht und bin gescheitert, ich geb’s zu.
Unbekannter: Wow.
Trump: Ich hab versucht, sie zu ficken. Sie war verheiratet.
Unbekannter: Das sind ja große Neuigkeiten.
Trump: Nein, nein, Nancy. Nein, das war [unverständlich] – und ich hab mich ganz schwer an sie rangemacht. Echt, ich hab sie zum Möbelkaufen eingeladen. Sie wollte sich Möbel besorgen. Ich hab gesagt: „Ich zeig dir, wo es schöne Möbel gibt.“ Ich hab sie zum Möbel –. Ich hab mich an sie rangemacht wie an eine Schlampe. Aber ich konnte nicht rankommen. Und sie war verheiratet. Und plötzlich seh ich sie, und jetzt hat sie die großen falschen Titten und alles. Sie hat ihr Aussehen völlig verändert.
Billy Bush: Mensch, dein Mädchen ist echt heiß. Die da in dunkellila.
Trump: Wow! Wow!
Bush: Wirklich! Der Donald hat gepunktet. Wow! Mannomann!
[Unverständlich]
Trump: Schau dich an, du bist ein Waschlappen.
[Unverständlich]
Trump: Alles klar, du und ich, wir werden jetzt rausgehen.
[Schweigen]
Trump: Vielleicht ist es ja eine andere.
Bush: Besser nicht die Pressesprecherin. Nein, das, das ist sie, das –.
Trump: Ja, das ist sie. Die mit dem Gold. Ich nehm jetzt besser ein paar Tic Tacs, für den Fall, dass ich anfange, sie zu küssen. Weißt du, ich werde automatisch angezogen von schönen –, ich fang einfach an, sie zu küssen. Es ist wie ein Magnet. Einfach Kuss. Ich warte nicht mal. Und wenn du ein Star bist, lassen sie es dich machen. Du kannst alles machen.
Bush: Was immer du willst.
Trump: Sie an der Möse packen. Du kannst alles machen.
Bush: Ach ja, diese Beine, alles, was ich sehen kann, sind die Beine.
Trump: Oh, das sieht gut aus.7
Trump stellt sich als jemand dar, der sich auf seine Sexualpartnerinnen auf die Weise bezieht, die Lacan als „sexuelles Verhältnis“ bezeichnet. Er verhält sich nicht zu bestimmten Frauen, sondern zu Frauen überhaupt, vorausgesetzt, sie genügen den kulturell etablierten Schönheitskriterien. Er beschreibt sich als jemanden, dessen Verhalten automatisch abläuft und der auf kürzest möglichem Weg – Kuss, Griff zwischen die Beine – auf den Geschlechtsakt zusteuert. Dabei betont er, dass es für ihn kein Gesetz gibt – „sie war verheiratet“. Er präsentiert sich als jemand, der nicht von einem Trieb im Sinne der Psychoanalyse bestimmt wird, sondern von einem Instinkt, wie die Verhaltensforscher ihn beschrieben haben, als eine Art Stichling mit verkürztem Balztanz.
In Freuds Begrifflichkeit: Donald Trump stellt sich als Urvater dar, der alle Weibchen hat und sich der Triebfreiheit erfreut. Wenn er Triebeinschränkungen erfährt und keinen freien Sexualgenuss erlebt, liegt das an äußeren Bedingungen (am Desinteresse des Objekts), nicht an einem Verbot, das in seinem seelischen Apparat verankert wäre.
Mit Lacan: Trump beschreibt sich als , als Ausnahmewesen, dessen sexuelle Lustbefriedigung nicht durch den Kastrationskomplex eingeschränkt ist.
Trump nimmt zwar nicht die Position eines Gottes oder eines Urvaters ein, aber es ist ihm durchaus gelungen, eine Ausnahmeposition zu besetzen, schließlich ist er ja Präsident des mächtigsten Staates der Erde geworden. Das ist vielleicht nicht ohne Beziehung zu der Tatsache, dass er sich als jemand aufführt, der alle Frauen hat. Wieviele Männer und wieviele Frauen haben ihn gewählt, nicht obwohl er sich so präsentiert, sondern weil er es tut? Stützen sie sich für ihre Triebeinschränkung auf ihn als Ausnahmeexistenz?
Sicherlich ist er nicht der einzige, der sich so gebärdet. Vielleicht kann man sagen, ein „Playboy“ ist jemand, der sich als Der Mann inszeniert, für den Frauen Die Frau sind. (Auffällig ist, dass er in der Bus-Szene als sein eigener Leporello tätig ist, dass er das Besingen seiner Taten nicht einem anderen überlässt.)
Zu Trumps sexueller Selbstdarstellung passt verblüffend genau seine Position im Felde der Politik. Er begreift alle Schwierigkeiten als Rivalitätsprobleme, er akzeptiert kein Gesetz, das über ihm stünde, und man muss wohl vermuten, dass er dazu schlicht nicht in der Lage ist. Auf lacanesisch: Er definiert politische Fragen rein imaginär, das symbolische Register – das Gesetz – scheint er kaum subjektiviert zu haben.
Trump tritt als großmäuliger Urvater auf – lässt sich daraus schließen, dass er tatsächlich eine Ausnahmeexistenz ist, die dem Gesetz und dem Kastrationskomplex entgangen ist? Die Alltagserfahrung lehrt ja, dass Selbstpräsentation und tatsächliches sexuelles Verhalten weit auseinanderklaffen können. Während des Gesprächs im Bus befindet Trump sich in einer Rivalitätsposition zu seinen Gesprächspartnern („Schau dich an, du bist ein Waschlappen“), in Lacans Terminologie: die Adressaten sind für ihn die imaginären anderen, diejenigen, in denen er sich narzisstisch spiegelt.
Es ist leicht erkennbar, dass im Falle von Trump die Selbstdarstellung eine spezielle Form angenommen hat. Auf verblüffende Weise ist sein Narzissmus unmittelbar mit den Massenmedien verschaltet und er ist darin auf beständige Rückmeldung angewiesen. Er sucht das Duell vor Zuschauern, vor allem vor Fernsehzuschauern und vor seinen Followers in der Twittersphäre. Aber damit sind wir bei der imaginären Dimension, nicht beim Symbolischen, nicht beim Gesetz, nicht bei der Kastration.
Im Jahre 2006 trat er in der Talkshow The View zusammen mit seiner Tochter Ivanka auf, um Werbung für seine eigene Show zu machen, The Apprentice. Er sprach über die Schönheit seiner Tochter und fuhr dann fort:
„Ich habe gesagt, wenn Ivanka nicht meine Tochter wäre, würde ich sie vielleicht daten (perhaps I’d be dating her).“8
Damit bezieht er sich direkt auf das Gesetz aller Gesetze, auf das Inzesttabu. Das verblüfft, denn dieses Verbot funktioniert in der Regel stumm; ausdrücklich erwähnt wird es vor allem dann, wenn es übertreten worden ist und die Übertretung zum Konflikt geführt hat. Trump hingegen stellt sich als jemand dar, für den dieses Gesetz ein äußerer Zwang ist, dem er sich zwar fügt, das er aber nicht verinnerlicht hat.
Äußerliches Verhältnis zum Gesetz – ist das seine sexuelle Position oder gehört das zu dem Bild, das er von sich zeigen möchte? Das Setting, eine Talkshow, spricht für die zweite Möglichkeit, für die Zuordnung zur imaginären Rückkoppelungsschleife. Sein Ideal-Ich ist offenbar der Urvater, der von außen mit dem Urgesetz konfrontiert ist, und der alle Frauen hat, bis auf eine, auf die er widerstrebend verzichtet. (Und sein symbolisches Ichideal, an dem dieses Ideal-Ich gewissermaßen aufgehängt ist? Der Familienname „Trump“, dessen Schriftzug er weltweit vermarktet.)
Trumps Bezugnahme auf das Inzestverbot in The View hat die Form eines Selbstzitats – „ich habe gesagt“. Das ist möglicherweise eine wichtige Einzelheit, da Trump sich damit auf sich selbst als Sprecher bezieht, mit Lacan: auf sich als Subjekt des Äußerungsvorgangs, der énonciation; ich kann dieses Detail aber nicht einordnen.
Soweit also das Inzestverbot, das Gesetz. Und die Kastration?
Trump umgibt sich mit Frauen, die für ihn, in Lacans Terminologie, „der Phallus sind“. Sie machen sich gut sichtbar und präsentieren sich, wandernde Schwellkörper, straff und hochaufgerichtet. Trump sucht ihre Nähe und er bietet sie, an seiner Seite, den Augen der Öffentlichkeit dar. Sie scheinen für ihn als eine Art Blickfalle zu fungieren, als Abwehrzauber gegen die Gefahr des bösen Blicks. Das Publikum birgt in sich die bedrohliche Möglichkeit des vernichtenden Blicks, des Blicks als Objekt a. Zu dessen Abwehr bringt er den imaginäre Phallus ins Spiel, den Phallus als Garanten der körperlichen Ganzheit. Und damit auch dessen Kehrseite, die Kastration.
Über eine Journalistin, die sich kritisch über ihn geäußert hatte, sagte er Ende letzten Jahres in einem Interview :
„Blut kam aus ihren Augen, Blut kam aus ihr, woauchimmer“9.
Allen war klar, dass er damit auf die Menstruation anspielte. Über eine andere Journalistin, die ihn kritisiert hatte, schrieb er vor ein paar Tagen auf Twitter,
„sie blutete schlimm von einem Facelifting“10.
In der Presse wurde auf die Parallele hingewiesen. Für Trump, so konnte man lesen, ist eine Frau, die ihn kritisiert, eine blutende Frau. Ich ergänze: Und im Bluten zeigt sich für ihn, dass sie zugleich minderwertig und gefährlich ist. Muss man nicht annehmen, dass hier, eingeschaltet in die imaginäre Ebene des Duells (des Zweikampfs mit einer Journalistin), die Kastrationsphantasie ins Spiel kommt?
Für Trump sind Frauen entweder in der Position, der imaginäre Phallus zu sein oder aber kastriert zu sein. Beides dürfte zusammenhängen. Dass er sich mit Frauen umgibt, die der Phallus „sind“, ist vermutlich die Abwehr dagegen, dass sie „keinen haben“, dass er sie unbewusst als Wesen auffasst, die aus der Wunde der Kastration bluten.
Falls das stimmt, gilt auch für Trump, dass die Beziehung zu Sexualpartnern des anderen Geschlechts durch den Kastrationskomplex vermittelt ist.
Donald Trump hat den Drang, sich als das Ausnahmewesen darzustellen, das alle Frauen hat und das seine sexuelle Lust frei befriedigen kann: . Genauer, er präsentiert sich als jemand, der fast alle Frauen hat, bis auf eine, und der damit das Inzesttabu befolgt, jedoch als äußeren Zwang, nicht als verinnerlichtes Gesetz.
In der Beziehung zu seinen Sexualpartnerinnen scheint er der Prägung durch den Kastrationskomplex jedoch genauso wenig entgangen zu sein wie irgendein anderer: .
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- Jacques Lacan: Über Rassismus (Übersetzung)
Anmerkungen
- S. Freud: Zwangshandlungen und Religionsübungen (1907). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 7. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 11–21, hier: S. 21.
- S. Freud: Zur Gewinnung des Feuers (1933). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 9. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 445–454, hier: 450.
- S. Freud: Totem und Tabu (1912–1913). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 9. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 287–444, hier: S. 425.
- Vgl. Seminar 14, La logique du phantasme, Sitzung vom 26. April 1967; Seminar 17, L’envers de la psychanalyse, Sitzung vom 18. März 1970 (Version Miller, S. 143); Seminar 18, Über einen Diskurs, der nicht vom Schein wäre, Sitzung vom 20. Januar 1971 (Version Miller S. 33, Übersetzung hier) und vom 17. Februar 1971 (Version Miller S. 64 f., Übersetzung hier).
- S. Freud: Massenpsychologie und Ich-Analyse (1921). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 9. Fischer Taschenbuch Verlag Frankfurt am Main 2000, S. 61–134, hier: S. 130).
- S. Freud: Das Unbehagen in der Kultur (1930). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 9. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 191–270, hier: S. 243 f.
- Transcript: Donald Trump’s taped comments about women. In: New York Times vom 8. Oktober 2016, hier; meine Übersetzung.
- Zitiert nach: Adam Withnall: Donald Trump’s unsettling record of comments about his daughter Ivanka. In: The Independent, 10. Oktober 2016, hier.
- Zitiert nach: Jim Rutenberg: Megyn Kelly’s cautionary tale of crossing Donald Trump. In: New York Times vom 15. November 2016, hier.
- Zitiert nach: Glenn Thrush, Maggie Haberman: Trump mocks Mika Brzezinski; says „She was bleeding badly from a face-lift“. In: New York Times vom 29. Juni 2017, hier.