Lacans Topologie
Das Loch in der Kreuzhaube
Dolmen in Tiergues, Aveyron, Frankreich;
Foto: Hugo Soria
Lacan zufolge hat die Kreuzhaube ein Loch – und damit hat das Phantasma ein Loch, da es die Struktur einer Kreuzhaube hat. Wo in der Kreuzhaube liegt das Loch? Um welche Art Loch handelt es sich? Was interessiert daran? Lässt sich Lacans These topologisch begründen?
Nachtrag zu einem Artikel auf dieser Seite über die Kreuzhaube und das Phantasma; Bericht über eine Recherche in den Seminaren 9, 10, 13 und 16 sowie im Aufsatz L’étourdit. Mit einem herzlichen Dank an Gerhard Herrgott für das sorgfältige Durchsehen dieses Textes.
Fragestellung
In Seminar 13, Das Objekt der Psychoanalyse (1965/66), untersucht Lacan die Struktur des visuellen Phantasmas anhand des Gemäldes Las meninas von Diego Velázquez (eine Übersetzung gibt es auf dieser Website hier). Er bezieht sich dabei auf die Konstruktion der Perspektive als Zentralprojektion, wie sie in der Renaissance entwickelt wurde, und versucht, die Perspektive mithilfe der projektiven Geometrie neu zu fassen. Die projektive Geometrie beruht darauf, dass die euklidische Ebene (die Ebene der normalen Geometrie, der Schulgeometrie) durch eine Linie erweitert wird, die im Unendlichen liegt und in der sich die Parallelen schneiden. Aus der euklidischen Ebene wird damit eine projektive Ebene.
Die projektive Ebene ist einer Kreuzhaube äquivalent, d.h. sie kann durch kontinuierliche Verformung in eine Kreuzhaube verwandelt werden. Wenn Lacan von Kreuzhaube oder cross-cap spricht, meint er fast immer ein Sphärensegment, dem eine Kreuzhaube aufgesetzt. Ich nenne diese Fläche im Folgenden Sphäre-mit-Kreuzhaube – Sphärensegment-mit-Kreuzhaube wäre korrekter aber umständlicher. Also kann ich sagen: Die projektive Ebene ist einer Sphäre-mit-Kreuzhaube äquivalent.
In diesem Zusammenhang weist Lacan darauf hin, dass man zur Konstruktion eines perspektivischen Bildes ein „Fenster“ benötigt: eine Sichtöffnung, die den Bildausschnitt erzeugt. Damit stellt sich die Frage: Welche Entsprechung hat das Fenster in der projektiven Ebene bzw. in der Kreuzhaube, besser gesagt in der Sphäre-mit-Kreuzhaube? Lacans Antwort lautet:
„Nennen wir sie [die Funktion des Fensters] mit dem Namen, der ihr zukommt, sie ist genau in dieser geschlossenen Struktur […], in der Struktur der projektiven Ebene in ihrer rein topologischen Form, nämlich in der Hülle der cross-cap, sie ist in dieser Struktur dieses Gelochte, das es genau ermöglicht, dass sich hier das Eindringen vollzieht, von dem dann die Herstellung der Subjektspaltung abhängt, also streng gesagt das, was wir das Objekt a nennen.“1
Kreuzhaube, die einer Halbsphäre aufgesetzt ist
Dem Fenster der Perspektivekonstruktion entspricht in der projektiven Ebene bzw. in der Sphäre-mit-Kreuzhaube etwas „Gelochtes“ – die Sphäre-mit-Kreuzhaube hat demnach ein Loch. Dieses Loch ermöglicht das Eindringen, das Hereinbrechen des Objekts a, und das Objekt a führt zur Spaltung des Subjekts.
Was hat es mit diesem Loch auf sich? Über die Beziehung zwischen der Sphäre-mit-Kreuzhaube, dem Objekt a und dem gespaltenen Subjekt kann man sich in der Sekundärliteratur zu Lacans Topologie leicht informieren2, ich habe das auf dieser Internetseite in einem Artikel zusammengetragen (Die Kreuzhaube und die Struktur des Phantasmas); das folgende Diagramm zeigt die wichtigsten Zusammenhänge:
Durch Innenacht-Schnitt zerteilte Sphäre-mit-Kreuzhaube mit den Komponenten des Phantasmas3
Das Loch in der Sphäre-mit-Kreuzhaube ist in der Sekundärliteratur jedoch kein großes Thema. Drei knappe Hinweise habe ich gefunden.
Zum einen bei Juan-David Nasio. In der Zeichnung einer Sphäre-mit-Kreuzhaube sieht man eine senkrechte Durchdringungslinie und am unteren Ende dieser Linie gibt es einen sogenannten singulären Punkt, einen Punkt, der nicht definiert ist; Lacan nennt ihn häufig „Zentralpunkt“. Über diesen Punkt lernte ich von Nasio, dass er
„manchmal ein Loch oder auch ein Lochpunkt ist“4.
Mehr erfuhr ich von ihm nicht über dieses Loch. Aber das gab mir immerhin eine erste Orientierung – das Gelochte in der Sphäre-mit-Kreuzhaube, von dem Lacan im Seminar Das Objekt der Psychoanalyse spricht, ist möglicherweise der Zentralpunkt, und der Zentralpunkt ist ein singulärer Punkt, ein Punkt, der nicht berechenbar ist.
Nur, was soll es heißen, dass dieser Punkt „manchmal“ ein Loch ist? Manchmal in der mathematischen Welt der Flächen? Manchmal in der Darstellung durch Lacan?
Wie kann es in der Welt der Topologie, das heißt unter der Bedingung der kontinuierlichen Verformbarkeit, einen „Lochpunkt“ bzw. ein „Punktloch“ geben, also ein Loch, dessen Durchmesser fixiert ist und die Größe eines Punktes hat?
Und welche Art von Loch ist gemeint, ein Loch mit Rand oder ein Loch ohne Rand?5 Ein Loch mit Rand erhalte ich beispielsweise, wenn ich in eine Sphäre ein Loch schneide. Für einen zweidimensionalen Bewohner der Sphärenwelt (wenn man man die Fläche „intrinsisch“ beschreibt, ohne Beziehung zum umgebenden Raum) gibt es dann zwar kein Loch, aber immerhin einen geschlossenen Rand. Für einen Beobachter („extrinsisch“, mit dem umgebenden Raum als Bezugsrahmen) kann sich diese Randstruktur als Loch darstellen, allerdings nur dann, wenn er die Fläche erstarren lässt – in der Topologie sind Flächen kontinuierlich verformbar, eine Sphäre, in die man ein Loch geschnitten hat, lässt sich hier nicht von einer Ebene mit Rand unterscheiden, etwa von einer Tischdecke.
Ein Loch ohne Rand ist beispielsweise der Bereich, den Lacan als das „zentrale Loch“ eines Torus bezeichnet; in der Abbildung links ist das die Region, durch den die senkrechte Linie führt. Nicht nur gibt es hier für den zweidimensionalen Bewohner der Toruswelt kein Loch, er stößt hier nicht einmal auf einen Rand, dieses Loch existiert noch ausschließlicher nur für einen Beobachter.
Ein Loch mit Rand kann auf einen Schnitt zurückgeführt werden, aber nicht alle Schnitte, so habe ich zu meiner Verblüffung von einem Mathematiker erfahren, erzeugen einen Rand, zumindest nicht in der Welt der Mathematik. Aus einer Fläche kann ich beispielsweise (in der mathematischen Welt) einen Kreis auf zwei Weisen ausschneiden, so, dass er einen Rand hat und so, dass er keine Rand hat. Offenbar muss man drei Arten von Löchern unterscheiden: erstens ein Loch vom Typ „zentrales Loch des Torus“, zweitens ein Loch vom Typ „Loch in einer Sphäre“ mit Rand und drittens ein Loch vom Typ „Loch in einer Sphäre“ ohne Rand.
Ein weiterer Hinweis kam von Jean-Michel Vappereau. In einem Aufsatz von 1987 über die projektive Ebene und die Kreuzhaube hatte Jean-Piere Georgin behauptet, eine Kreuzhaube erhalte man dadurch, dass man in der projektiven Ebene ein Loch anbringt.6 Vappereau hatte darauf erwidert, dass eine durchbohrte projektive Ebene ein Möbiusband ist7 – also keine Kreuzhaube. „Durchbohrt“, hier geht es offenbar um ein Loch vom Typ „Loch in einer Sphäre“, sei es mit oder ohne Rand. Wenn eine projektive Ebene mit Rand ein Möbiusband ergibt, ist dann das Loch in der Sphäre-mit-Kreuzhaube (so fragte ich mich) möglicherweise ein Loch vom Typ des zentralen Lochs eines Torus?
Einen dritten Hinweis fand ich bei Erik Porge. In seiner Lacan-Einführung schreibt er, durch einen Innenacht-Schnitt zerfalle die projektive Ebene (bzw. die Sphäre-mit-Kreuzhaube) in ein Möbiusband und eine „Lochscheibe“8, und er veranschaulicht das durch die folgende Zeichnung (die Lochscheibe habe ich grau gefärbt):
Das Loch in der Lochscheibe ist ein Loch mit Rand. Die Lochscheibe hat zwei geschlossene Ränder, topologisch lässt sie sich nicht von einer Sphäre unterscheiden, in die man zwei Löcher geschnitten hat und auch nicht von einem Zylinder.
Wie kommt die Scheibe an ihre beiden Ränder? Einer ist durch den Schnitt erzeugt worden. Und der andere? Er muss wohl bereits vorher in der projektiven Ebene bzw. der Sphäre-mit-Kreuzhaube existiert haben. Wo? Am Zentralpunkt, wie Nasio schreibt? Ist das Loch in der Sphäre-mit-Kreuzhaube also ein Loch mit Rand?
Mehr habe ich mithilfe der Sekundärliteratur über das Loch in der Sphäre-mit-Kreuzhaube nicht herausfinden können.
Um festzustellen, was es mit diesem Loch auf sich hat, musste ich also zu den Quellen gehen, anders gesagt, mir Lacans Erläuterungen zum Loch in der Sphäre-mit-Kreuzhaube im Detail anschauen. Dies sind die Seminare 9 (Die Identifizierung), 10 (Die Angst), 13 (Das Objekt der Psychoanalyse) und 16 (Von einem Anderen zum anderen) sowie, vielleicht, der Aufsatz L’étourdit.
*
Im Folgenden übersetze ich aus Lacans Seminaren 9, 10 und 13 nach den von Michel Roussan erstellten kritischen Ausgaben.9 Aus Seminar 16 übersetze ich nach Version Staferla, die man im Internet hier findet.
In den Anmerkungen verweise ich, außer auf die Seiten der Roussan-Ausgabe, auf die Seiten der Stenotypie; von Roussan werden sie am Rand notiert, im Internet bekommt man diese Stenotypien auf der Website der ELP hier.
Von Roussan übernehme ich auch die Technik, innerhalb eines Zitats Einrückungen vorzunehmen, die durch drei Punkte eingeklammert sind. Diese Form der Interpunktion ist im Deutschen nicht üblich (im Französischen möglicherweise auch nicht), hilft aber, Lacans gewundene Sätze übersichtlich zu machen, ohne in den Satzbau einzugreifen. Roussans Gliederung in Sätze und Absätze habe ich bisweilen geändert.
Die Abbildungen habe ich im Folgenden, wenn nicht anders vermerkt, aus den Roussan-Ausgabe übernommen, zusammen mit der Beschriftung dieser Abbildungen. Die mit Zahlen versehenen Abbildungen sind Rekonstruktionen der von Lacan gezeichneten Schemata, die mit Buchstaben versehenen Abbildungen sind Roussans Ergänzungen.
Drei Punkte vor einem Zitat zeigen an, dass es an das vorangehende Zitat lückenlos anschließt.
Seminar 9, Die Identifizierung (1961/62)
Eine randlose Fläche mit Loch
Zu Beginn der Sitzung vom 16. Mai 1962 fragt Lacan, was eine Fläche ist. Eine Fläche scheint zwei Seiten zu haben.
„Wie soll man den Begriff der Seite definieren? Am einfachsten so, dass dies das Feld ist, in dem sich eine Linie, ein Weg erstrecken kann, ohne auf einen Rand stoßen zu müssen. Es gibt jedoch Flächen ohne Rand, an erster Stelle die unendliche Ebene, die Sphäre, der Torus und mehrere andere, die sich als Flächen ohne Rand praktisch auf eine einzige Fläche reduzieren: die cross-cap oder Mitra oder Haube, die daneben dargestellt ist [Abb. 1].“10
Man muss also Flächen mit Rand von Flächen ohne Rand unterscheiden, und zu den Flächen ohne Rand gehört die Kreuzhaube, gemeint ist die Sphäre mit Kreuzhaube. Wenn die Sphäre-mit-Kreuzhaube keinen Rand hat und falls sie ein Loch hat, von welcher Art ist dieses Loch? Von der Art des zentralen Lochs eines Torus?
Es folgen bei Lacan Überlegungen zu Körperöffnungen, zum Verhältnis von Innen und Außen und zur Beziehung zwischen Signifikant und Fläche. Danach heißt es:
„Bevor es um Volumina ging, wurde die Architektur dazu gebracht, Flächen um eine Leere herum zu mobilisieren, zu arrangieren. Wozu dienen sie denn, die Megalith-Bauwerke? Dazu, um Reihen oder Tische zu bilden, um etwas herzustellen, das seinen Nutzen in dem Loch hat, um das es herumführt.
Denn das ist ja der Rest, mit dem wir es zu tun haben. Wenn ich, beim Zugang zur Natur der Seite, von der Fläche mit Rändern ausgegangen bin, um Sie darauf aufmerksam zu machen, dass uns bei den Flächen ohne Rand das Kriterium fehlt, wenn es möglich ist, Ihnen eine grundlegende randlose Fläche zu zeigen, bei der die Definition der Seite nicht forciert ist – denn die randlose Fläche ist nicht dazu da, um das Problem von Innen und Außen zu lösen –, dann müssen wir den Unterschied zwischen einer Fläche ‚ohne‘ [Rand] und einer Fläche ‚mit‘ berücksichtigen: er steht in engster Beziehung zu dem, was uns interessiert, nämlich zum Loch, das als solches in die Theorie der Flächen positiv einzubringen ist.
Das ist kein verbaler Kunstgriff. In der kombinatorischen Theorie der allgemeinen Topologie kann jede triangulierbare Fläche – d.h. jede Fläche, die sich aus kleinen Dreieck-Stücken zusammensetzen lässt, die Sie aneinanderkleben, Torus oder cross-cap –, kann jede solche Fläche mithilfe des grundlegenden Polygons [Abb. 5] auf eine Sphäre reduziert werden, der einige Elemente hinzugefügt sind: Torus-Elemente, Cross-cap-Elemente und reine Löcher – unentbehrliche Elemente, die durch diesen auf sich selbst zurückführenden Vektor dargestellt werden.“11
Wesentlich für eine Fläche ist das Verhältnis zu einer Leere; dafür steht das Beispiel der Megalith-Bauwerke, etwa von Stonehenge (Reihe) oder der Dolmen (Tische). Lacan knüpft hier an eine These an, die er zwei Jahre zuvor im Ethik-Seminar entwickelt hatte: Alle Formen der Sublimierung – Kunst, Religion und Wissenschaft – sind durch den Bezug auf eine Leere bestimmt (die er im Ethik-Seminar auch als „Ding“ bezeichnet).12
Außerdem haben Flächen Seiten, ein Blatt Papier hat beispielsweise zwei Seiten. Wenn man Seiten durch die Beziehung zum Rand definiert, gerät man bei Flächen ohne Rand, wie z.B. einer Sphäre, allerdings in Definitionsschwierigkeiten. Das steht in Beziehung zu dem, was Lacan, wie er sagt, interessiert: zum Loch.
Der Begriff des Lochs lässt sich, so führt er aus, topologisch präzisieren. Flächen lassen sich auf Sphären reduzieren, denen man bestimmte Elemente hinzugefügt hat. Drei Arten von Ergänzungen kommen ins Spiel: Tori, Kreuzhauben und Löcher, die Lacan hier „reine Löcher“ nennt. Für die Konstruktion von Flächen ausgehend von der Sphäre sind reine Löcher unentbehrlich; notiert werden sie mit einen in sich zurücklaufenden Pfeil. Im Rahmen der Topologie, also unter der Bedingung der kontinuierlichen Verformbarkeit, ist ein Loch eine Stelle, die nicht zu einem Punkt zusammengezogen werden kann.
Damit weiß ich, dass Lacan in der Topologie den Zusammenhang zwischen Fläche und Loch für grundlegend hält. Und außerdem, dass für ihn die Sphäre-mit-Kreuzhaube eine Fläche ohne Rand ist. Ist also das Loch in der Sphäre-mit-Kreuzhaube ein Loch ohne Rand?
Vom Loch in der Sphäre zur Sphäre-mit-Kreuzhaube
In der Folgesitzung, am 23. Mai 1962, umkreist Lacan das Loch in der Sphäre-mit-Kreuzhaube, ohne es klar zu verorten.
Er spricht zunächst über die Sphäre. Sie schließt ein Volumen ein, sie zieht eine Grenze zwischen einem Innen und einem Außen. Bringt man in ihr einen Schnitt an, der einer geschlossenen Linie folgt, bekommt sie ein Loch mit Rand und damit verschwindet der Gegensatz von Innen und Außen.
„Das Loch hätte für uns also keinen großen Sinn, wenn es nicht etwas anderes gäbe, um diese grundlegende Intuition zu stützen – ich denke, dass Ihnen das heute vertraut ist. Ein Loch, ein Schnitt, das ist Verwandlungen ausgesetzt, und die erste mögliche Verwandlung besteht darin, dass zwei Punkte des Randes sich miteinander verbinden, was also heißt, eine der ersten das Loch betreffenden Möglichkeiten besteht darin, dass aus ihm zwei Löcher werden.“13
In einer Sphäre wird ein Schnitt angebracht, der einer geschlossenen Linie folgt. Man erhält ein Loch und dieses Loch hat einen Rand. Das Loch mit Rand hat Prozesscharakter, es kann geschlossen werden und die Schließungstechnik ist hier die Verklebung, die Gleichsetzung, die Identifizierung von zwei Randpunkten.
Die Sphäre-mit-Kreuzhaube als der Platz des Lochs, des Begehrens, des Mangels
Etwas später heißt es in dieser Sitzung:
„In Bezug auf das hier in die Fläche der Sphäre eingezeichnete Loch kann man behaupten, formulieren, wünschen, dass jeder Punkt mit seinem antipodischen Punkt verbunden ist [Abb. 2], dass sich, ohne irgendeine Spaltung der Kluft, die Kluft in einer Weise zu einer Fläche organisiert, durch welche die Kluft, ohne das Medium der vermittelnden Spaltung, vollständig ausgeschöpft wird.“14
Durch die Gleichsetzung der gegenüber liegenden Randpunkte einer gelochten Sphäre erhält man am Ende ein Sphärensegment, dem eine Kreuzhaube aufgesetzt ist. Die Verbindung der ersten beiden Diametralpunkte führt zu einer Spaltung der Öffnung; wenn man das Verfahren bis zu Ende durchführt, wird die Kluft vollständig geschlossen.
Die Sphäre-mit-Kreuzhaube geht also gewissermaßen aus einem Loch hervor, aus einem Loch mit Rand.
Wenige Sätze später:
„Anders ausgedrückt, was wird von dieser Fläche getragen? Wir möchten sie so nennen…
denn das sind hier die Thesen, die ich zunächst einmal vorbringe und die es uns dann erlauben werden, der Verwendung, die ich Ihnen für die verschiedenen Flächen vorschlagen werde, ihren Sinn zu geben
…wir möchten sie, diese Fläche, nicht ‚das Loch‘ nennen – denn wie Sie sehen, es gibt zumindest eines, das von ihr [von der Kreuzhaube] eskamotiert wird, das in ihrer Form völlig verschwindet –, sondern ‚der Platz des Lochs‘. Die so strukturierte Fläche ist besonders geeignet, dieses für uns ungreifbarste Element funktionieren zu lassen, das sich das Begehren als solches nennt, anders gesagt der Mangel.“15
.
„Was wird von dieser Fläche getragen“ – „diese Fläche“, das ist immer noch die Sphäre mit Kreuzhaube.
Die Späre-mit-Kreuzhaube soll als Platz des Lochs aufgefasst werden – auch für diese Fläche ist das Loch wesentlich, sie hat letztlich die Funktion, dem Loch einen Ort zu geben. Um welche Art von Loch handelt es sich? Die Sphäre-mit-Kreuzhaube ist eine Fläche ohne Rand, so hatte Lacan gleich zu Anfang festgehalten, also muss es sich wohl um ein Loch ohne Rand handeln.
Eines der Löcher wird von der Sphäre-mit-Kreuzhaube zum Verschwinden gebracht, gemeint ist sicherlich das Loch in einer Sphäre.
Ich erfahre immerhin, was der theoriestrategische Einsatz der Frage nach dem Verhältnis von Fläche und Loch ist. Lacan begreift die Fläche deshalb vom Loch her, weil es ihm geht darum, das Begehren als Mangel topologisch zu verorten.
Der Zentralpunkt und das Loch
Wieder geht es um die Identifizierung der Diametralpunkte einer gelochten Sphäre:
„Es bleibt jedoch, dass für diese Fläche, durch welche die Kluft [der Sphäre] ausgefüllt wird, trotz des Anscheins, der aus all diesen [Rand-]Punkten äquivalente Punkte macht, aus Punkten, die wir, wenn Sie mögen, antipodisch nennen wollen, sie können in dieser antipodischen Äquivalenz jedoch nur funktionieren, wenn es zwei spezielle Punkte gibt. Sie werden hier durch diesen ganz kleinen Kreis dargestellt [Abb. 5], zu dem mich bereits der Scharfblick eines meiner Hörer gefragt hat: ‚Was wollen Sie denn mit diesem ganz kleinen Kreis darstellen?‘
Das ist natürlich in keiner Weise etwas, das mit dem zentralen Loch des Torus äquivalent wäre, da all das – wo auch immer Sie sich im Verhältnis zu diesem speziellen Punkt platzieren –, da all das, was von der einen Seite der Figur zur anderen übergeht, hier durch diese falsche Dekussation hindurchgeht [Abb. 5 b], durch dieses Chiasma, durch diese Überkreuzung, aus der ihre Struktur besteht.“16
Die Sphäre-mit-Kreuzhaube hat zwei spezielle Punkte, zwei singuläre Punkte, zwei Stellen, die mathematisch nicht definiert sind. Sie werden in der Zeichnung durch einen kleinen Kreis am unteren Ende der Durchdringungslinie dargestellt. Lacan macht hier indirekt darauf aufmerksam, dass er die beiden singulären Punkte auf einen reduziert. Er nennt ihn häufig „Zentralpunkt“.
Das ist für ihn der Anlass zu einer negativen Bestimmung des Verhältnisses von Sphäre-mit-Kreuzhaube und Loch: Die beiden singulären Punkte der Sphäre-mit-Kreuzhaube sind nicht dem zentralen Loch des Torus gleichwertig. Inwiefern nicht? Ich nehme an, weil das zentrale Loch eines Torus nicht als Definitionslücke aufgefasst werden kann.
Einige Sätze danach liest man:
„Dieser zugleich doppelte und einfache Punkt, um den herum die Möglichkeit der überkreuzten Struktur der Haube oder der cross-cap getragen wird, mit diesem Punkt symbolisieren wir das, wodurch irgendein Objekt a an den Platz des Lochs eingeführt werden kann. Wir kennen die Funktionen und die Natur dieses speziellen Punktes: das ist der Phallus, der Phallus insofern durch ihn als Operator ein Objekt a an eben den Platz gesetzt werden kann, wo wir in einer anderen Struktur [in der des Torus] nur seinen Umriss erfassen. Das ist der exemplarische Wert der Struktur der cross-cap, die ich vor Ihnen zu artikulieren versuche: der Platz des Lochs, das ist im Prinzip der Punkt einer besonderen Struktur, insofern es darum geht, ihn von anderen Formen von Punkten zu unterscheiden, etwa von diesem Punkt hier, der durch die Überschneidung eines Schnitts mit sich selbst definiert ist, erste mögliche Form, die sich meiner Innenacht geben lässt.“17
Der Zentralpunkt der Sphäre-mit-Kreuzhaube ist zugleich doppelt und einfach. Damit dürfte gemeint sein, dass die Mathematiker bei der Kreuzhaube von zwei singulären Punkten sprechen, dass er, Lacan, die beiden jedoch auf einen reduziert.
Der Zentralpunkt ermöglicht die Kreuzhaube – das ist vielleicht eine Weise zu erläutern, was Mathematiker unter einem singulären Punkt verstehen.
Dieser Punkt symbolisiert eine Beziehung zwischen dem Objekt a und dem Platz des Lochs. Es gibt etwas, wodurch das Objekt a in den Platz des Lochs eingeführt werden kann, und dieses einführende Etwas wird durch den singulären Punkt symbolisiert. Soweit haben wir es mit einer dreigliedrigen Struktur zu tun: Objekt a, Platz des Lochs, singulärer Punkt als einführendes Etwas.
Dem singulären Punkt wird seine Entsprechung im Feld der Psychoanalyse zugewiesen, psychoanalytisch gesehen ist dieser Punkt der Phallus (als Signifikant für das, was einem im Bereich der Sexualität fehlt oder zu fehlen droht).
Der Phalluspunkt hat eine bestimmte Funktion, sie bezieht sich auf das Objekt a und auf den Platz des Lochs. Unter dem Objekt a versteht Lacan in diesem Seminar das Objekt des Begehrens18, noch nicht das Objekt der Liste Brust, Kot, Blick, Stimme, also noch nicht die Ursache des Begehrens (dieses Objekt a wird erst im Folgeseminar erfunden).
Der Phallus funktioniert als Operator, als eine Art Platzanweiser, er sorgt dafür, dass ein Objekt an den Platz des Lochs gelangen kann. Ordnet man dem Loch das Begehren zu, ergibt sich: Der Phallus (als Signifikant der Kastration) rückt ein Objekt an den Platz des Begehrens und macht es so zum Objekt des Begehrens. Die Kastration ermöglicht es, dass ein Objekt zu einem Objekt des Begehrens wird.
Wo ist der Platz des Lochs in der Sphäre-mit-Kreuzhaube zu lokalisieren? Die zuletzt zitierte Stelle gibt hierzu keine klare Auskunft. Immerhin erfährt man: Der Platz des Lochs ist ein besonderer Punkt, der sich von anderen Punkten unterscheidet. Ist hier mit „Punkt“ einfach nur diffus eine Stelle gemeint oder ein Punkt im Sinne der Mathematik? Ist der „Punkt“ nichts anderes als der singuläre Punkt? In diesem Falle wäre der Phallus-Zentralpunkt dasselbe wie der Platz des Lochs und die dreigliedrige Struktur würde sich auf eine zweigliedrige reduzieren mit dem Objekt a einerseits und dem Zentralpunkt gleich Phallus gleich Platz des Lochs andererseits; der Phallus wäre dann gewissermaßen das Loch, von dem ein Objekt auf die Weise angesaugt wird, dass es zum Objekt des Begehrens wird, zum Objekt a (in dem Sinne, den dieser Ausdruck in diesem Seminar noch hat).
Lacan ist hier dicht an der zu Beginn zitierten Formulierung Seminar 13, wo er von etwas Gelochtem in der Kreuzhaube spricht, durch welches Eindringen des Objekts a ermöglicht wird. Allerdings geht es dort um das Objekt a im Sinne der Ursache des Begehrens (Brust, Kot, Blick, Stimme).
Der singuläre Punkt der Sphäre-mit-Kreuzhaube: ein Lochpunkt
Am 13. Juni 1962 greift Lacan das Thema „Das Loch und die Sphäre-mit-Kreuzhaube“ wieder auf. Die Beziehung zwischen dem Phallus als Zentralpunkt und dem Platz des Lochs wird vereindeutigt. Der Zentralpunkt, so erfahren wir in dieser Sitzung, ist ein Lochpunkt. Offenbar bezog sich Nasio in der eingangs zitierten Bemerkung auf diese Sitzung.
Im Verlauf dieses Treffens bekräftigt Lacan sein Topologie-Programm:
„Ich sage nicht aus Spaß an der Paradoxie, dass die Flächen Organisationen des Lochs sind.“19
Die Flächen der Topologie sollen vom Loch her begriffen werden – auch die projektive Ebene bzw. die Sphäre-mit-Kreuzhaube.20
Der Lochpunkt
Zu Beginn der Sitzung beschreibt Lacan einen einfachen (also nicht innenachtförmigen) Schnitt in die Sphäre-mit-Kreuzhaube um den Zentralpunkt herum. Dieser Schnitt trennt eine zweiseitige Fläche mit Selbstüberlappung heraus. Die Fläche überlappt sich entlang einer Linie, die durch einen Punkt begrenzt wird, durch den herausgeschnittenen Zentralpunkt.
„Ich weiß persönlich, dass Sie über die Funktion dieses Punktes bereits beunruhigt waren, denn Sie haben mir mal privat die Frage gestellt, warum wir – ich selbst und die Autoren – ihn immer in dieser Form darstellen, die im Zentrum eine Art kleines Loch anzeigt. Und es ist ist ziemlich sicher, dass dieses kleine Loch zu denken gibt. Und genau darauf möchten wir beharren, denn es liefert die absolut besondere Struktur dieses Punktes, der kein Punkt wie die anderen ist.“21
Der Punkt, um den es geht, wird durch einen Kreis markiert, durch ein „Loch“. Das Loch ist aber nicht nur ein graphisches Darstellungsmittel, es liefert auch die Struktur dieses Punktes. Der fragliche Punkt ist demnach ein Loch. Der Zentralpunkt der Sphäre-mit-Kreuzhaube hat die Struktur eines Lochs.
Später in dieser Sitzung heißt es über den Zentralpunkt: Dieser Punkt
„ist ein mathematischer Punkt, ein abstrakter Punkt. Wir können ihm also keine Dimension zuweisen. Dennoch können wir ihn nur als einen Schnitt denken, dem wir paradoxe Eigenschaften zuweisen müssen, zunächst deshalb, weil wir diesen Schnitt nur als punktförmig begreifen können, andererseits ist er irreduzibel, anders ausgedrückt, was die Auffassung der Fläche angeht, so können wir sie nicht als ausgefüllt ansehen, das ist ein Lochpunkt (point-trou), wenn man so sagen kann.“22
Wir erfahren also: Der Zentralpunkt ist tatsächlich ein mathematischer Punkt im engen Sinn des Wortes, ein Element mit der Dimension Null.
Und außerdem gilt: Der Zentralpunkt ist ein Schnitt und dieser Schnitt ist irreduzibel. Wenn er ein Schnitt ist, ist er ein Loch, das nicht größer ist als ein Punkt. Dieser Lochpunkt ist irreduzibel, damit dürfte gemeint sein: Es lässt sich durch Verformung nicht zum Verschwinden bringen.
Wie kann es in einer randlosen Fläche einen Einschnitt geben? Haben wir es hier mit einem Schnitt ohne Rand zu tun?
Und wie kann ein Loch sich darauf beschränken, einen Durchmesser von einem Punkt zu haben, wo die Fläche doch kontinuierlich verformbar ist? Ich nehme an, dass gemeint ist, dass die Fläche für diesen Punkt nicht definiert ist und dass die Undefiniertheit eines Punktes auch bei Verformung erhalten bleibt.
Wenn das so wäre, hätte die Sphäre-mit-Kreuzhaube nicht „manchmal“ ein Loch (wie Nasio in der eingangs zitierten Bemerkung schreibt), sondern immer, es wäre ein irreduzibles Merkmal ihrer Struktur.
Die Unzerschneidbarkeit des Lochpunkts
Lacan fährt so fort23:
… „Mehr noch, wenn wir diesen Schnitt als Lochpunkt auffassen, d.h. als etwas, das aus der Verbindung zweier Ränder besteht, wäre er in der Richtung, von der er durchquert wird, gewissermaßen unzerschneidbar, und man kann das tatsächlich durch diese Art von Einzelschnitt illustrieren, den man in der Kreuzhaube anbringen kann [Abb. 4, Schnitt b] – es gibt solche Schnitte, die in den technischen Büchern zu diesem Thema normalerweise gemacht werden, um das Funktionieren der Fläche zu erläutern.“24
Der Zentralpunkt ist ein Lochpunkt, und das heißt, so erfahre ich jetzt, er ist die Verbindung von zwei Rändern. Offenbar sind wir hier wieder bei der Erzeugung einer Sphäre-mit-Kreuzhaube durch Identifizierung der Diametralpunkte einer gelochten Sphäre; die erste Identifizierungsoperation erzeugt, in Lacans Sicht, den Zentralpunkt. Aber inwiefern ist der so generierte Zentralpunkt ein Loch? Weil er aus der Schließung eines Lochs hervorgeht? Wenn ich einen Abgrund durch einen Steg überbrücke, wird der Steg nicht zum Abgrund.
Festzuhalten ist, dass für Lacan der Lochpunkt die Verbindung von zwei Rändern ist. Heißt das, dass er selbst Ränder hat? Hat die Sphäre-mit-Kreuzhaube, eine randlose Fläche, also einen Rand?
Weiter heißt es an der zitierten Stelle: Wenn der Zentralpunkt als Lochpunkt aufgefasst wird, wäre er in der Richtung, in der er durchquert wird, unzerschneidbar. Durchquert wird er von einem Schnitt, das bezieht sich vermutlich auf Schnitt b in der Abbildung; der Zentralpunkt liegt ja auf der Bahn dieses Schnitts. Welchen Sinn könnte die Behauptung haben, der Zentralpunkt sei durch diesen Schnitt „unzerschneidbar“? Vermutlich den, dass der Schnitt nicht durch diesen Punkt geführt werden kann, da der Punkt ein Lochpunkt ist – ein Loch kann ja nicht zerschnitten werden.
Unmittelbar danach heißt es:
… „Wenn es einen Schnitt gibt, der durch diesen Punkt geht [Schnitt b in der Abbildung], wie müssen wir ihn dann begreifen? Ist er gewissermaßen homolog, und einzig und allein homolog, zu dem, was geschieht, wenn Sie eine dieser Linien, die die strukturale Linie der falschen Durchdringung durchqueren, höher durchgehen lassen? Das heißt gewissermaßen, ob etwas existiert, das wir ‚Lochpunkt‘ nennen können, derart, dass der Schnitt, selbst wenn er sich diesem Punkt so weit nähert, dass er mit ihm verschmilzt, die Runde um dieses Loch dreht?“25
Der Schnitt, von dem zu Beginn der zitierten Stelle die Rede ist, Schnitt b, dreht eine einzelne Runde und verschmilzt mit dem Zentralpunkt, womit wohl gemeint ist: der Zentralpunkt liegt, wie in der Zeichnung dargestellt, auf der Linie dieses Schnitts. Lacan vergleicht diesen Schnitt mit einem anderen Schnitt, mit Schnitt a; dieser Schnitt dreht eine einzelne Runde um das zentrale Loch, ohne ihm nahezurücken. Lacans Frage scheint zu sein, ob ein Schnitt, der durch den Lochpunkt führt, sich strukturell von einem Schnitt um den Lochpunkt herum unterscheidet. (Das erinnert von ferne an die beiden Runden, die auf einem Torus gedreht werden können, um das zentrale Loch und um das periphere Loch.)
Das Loch im Möbiusband und das Loch in der Sphäre-mit-Kreuzhaube
Etwas später in dieser Sitzung bezieht Lacan die Sphäre-mit-Kreuzhaube auf das Möbiusband. Dieses Band, so betont er, hat ein Loch, wie reduziert das Loch auch immer sein mag (gemeint ist das Loch, durch das man wie bei einem Armreif gewissermaßen die Hand schieben kann, ein Loch mit einem einzigen Rand). Dann sagt er über den Zentralpunkt:
Möbiusband26
„Das ist ja das, was uns den irreduziblen Charakter der Funktion dieses Punktes anzeigt. Und wenn wir ihn zu artikulieren und seine Funktion zu zeigen versuchen, werden wir dazu gebracht, indem wir ihn als Ursprungspunkt der Organisation der Fläche auf der projektiven Ebene bezeichnen, hier Eigenschaften wiederzufinden, die nicht vollständig die des Randes der Möbiusfläche sind, die aber dennoch etwas sind, was dermaßen ein Loch ist, dass, wenn man versucht, es durch diese Operation des Schnitts zu unterdrücken, durch den Schnitt, der durch diesen Punkt geht, dass es auf jeden Fall ein Loch ist, das man auf ganz unbestreitbare Weise erscheinen lässt.“27
Lacan stellt hier eine Verbindung her zwischen dem Loch im Möbiusband und dem singulären Punkt der Sphäre-mit-Kreuzhaube am Ende der Durchdringungslinie. Der Zentralpunkt, so sagt er, hat zwar nicht genau dieselben Eigenschaften wie der Rand des Möbiusbandes, es gibt jedoch Gemeinsamkeiten. So wie der Rand des Möbiusbandes um ein Loch herum führt, so ist auch der Zentralpunkt der Sphäre-mit-Kreuzhaube ein Loch.
Danach geht es an der zitierten Stelle um einen Schnitt in die Sphäre-mit-Kreuzhaube, der durch den Zentralpunkt führt; offenbar bezieht sich das ein weiteres Mal auf Schnitt b in der Abbildung. Dieser Schnitt sollte, so erfahre ich jetzt, das Loch des Zentralpunkts unterdrücken; der Unterdrückungsversuch lasse das Loch jedoch erst recht erscheinen. Klar ist, dass Lacan hier auf eine Dialektik des Schnitts abzielt: Je mehr versucht wird, durch einen Schnitt das Loch zu unterdrücken, desto deutlicher tritt das Loch in Erscheinung. Vielleicht darf ich mir das so übersetzen: Je mehr versucht wird, durch den Schnitt (des Sprechens) das Loch (der Kastration) zu unterdrücken, desto mehr tritt das Loch (im Symptom) in Erscheinung.
Was damit topologisch gemeint sein könnte, ist mir allerdings nicht klar. Geht es einfach darum, dass es nicht möglich ist, einen Schnitt durch einen Punkt zu führen, der ein Loch ist, da Löcher nicht zerschnitten werden können?
Von der gelochten Sphäre zum Möbiusband
In der Schluss-Sitzung dieses Seminars, am 27. Juni 1962, geht es ein weiteres Mal um das Loch in der Sphäre-mit-Kreuzhaube.
Identifizierung der Diametralpunkte einer gelochten Sphäre28
„Was ist eine cross-cap? Das ist eine Sphäre…
ich hab’s Ihnen bereits gesagt, sie ist nötig, auf den Boden dieser Sphäre kann man nicht verzichten
…das ist eine Sphäre mit einem Loch, das Sie auf bestimmte Weise organisieren, und Sie können sich sehr gut vorstellen, dass Sie, wenn Sie an einem seiner Ränder ziehen, mehr oder weniger indem sie den Rand festhalten, dass Sie dann das erscheinen lassen, wodurch das Loch verstopft wird, unter der Bedingung, dass Sie dafür sorgen, dass jeder seiner Punkte sich mit dem entgegengesetzten Punkt vereinigt. Was der Intuition natürlich beträchtliche Schwierigkeiten bereitet, die uns sogar zu der ganzen Konstruktion genötigt haben, die ich vor Ihnen in Gestalt der cross-cap, die im Raum verbildlicht ist, ausgeführt habe.
Wie nun? Was ist das Wichtige? Dass sich durch diese Operation, die sich auf der Ebene des Lochs herstellt, die restliche Sphäre in eine Möbiusfläche verwandelt.“29
Auch hier geht es wieder um die Herstellung einer Sphäre-mit-Kreuzhaube durch Identifizierung der Diametralpunkte einer gelochten Sphäre. Die Vereinigung der gegenüberliegenden Punkte ist eine Operation (so heißt es im Zitat) auf der Ebene des Lochs – das Loch ist in diesem Falle das Loch in der Sphäre.
Seminar 10, Die Angst (1962/63)
Ein gelochter Punkt in der Scheibe
Im Angst-Seminar heißt es in der Sitzung vom 9. Januar 1963:
„Sie wissen andererseits, dass ich Ihnen gesagt habe, dass in der cross-cap, wenn Sie – durch eine Sektion, durch einen Schnitt, für den keine andere Bedingung gilt als die, dass er wieder zu sich selbst zurückführt, nachdem er den gelochten Punkt (le point troué) der cross-cap eingeschlossen hat –, wenn Sie, sage ich, einen Teil der cross-cap isolieren, dass dann ein Möbiusband übrigbleibt.“30
Die cross-cap (die Sphäre-mit-Kreuzhaube) hat einen Punkt, der gelocht ist, und der hier gemeinte Schnitt in die cross-cap führt um diesen Lochpunkt herum. Lacan knüpft hier an seine Ausführungen im Identifizierungsseminar an, demnach ist dieser Lochpunkt der Zentralpunkt (vgl. Sitzung vom 13. Juni 1962). Auffällig ist, dass Lacan hier die Bedingung fallen lässt, dass der Schnitt zweimal um die Durchdringungslinie herumführen muss.
Gondek übersetzt „le point troué“ mit „die gelöcherte Stelle“. Dabei denkt man an eine kleine Fläche mit mehreren Löchern. Plausibler ist es, anzunehmen, dass Lacan sich hier auf seine Bemerkungen zum Loch in der Kreuzhaube im vorangegangenen Seminar stützt, in dem über die Identifizierung, und dass hier mit „point“ deshalb nicht eine zweidimensionale Fläche, sondern ein nulldimensionaler mathematischer Punkt gemeint ist und dass es nur einen solchen Punkt gibt, eben den Zentralpunkt (der zugleich aus zwei Punkten besteht, vermutlich deshalb, weil es zwei singuläre Punkte gibt, die Lacan jedoch auf einen reduziert).
Eine Fläche ohne reduziblen Kreis
Lacan unterscheidet zwei Arten von Kreisen: solche, die sich durch Schrumpfen auf einen Punkt reduzieren lassen, und solche, bei denen das nicht möglich ist, reduzible Kreise und irreduzible Kreise (vgl. Seminar 10, Sitzung vom 30. Januar 1963, Version Miller/Gondek S. 166–169). Lacan nennt an einen Kreis auch Loch, es gibt also reduzible und irreduzible Löcher, das heißt Löcher, die sich schließen lassen, und solche, bei denen das nicht möglich ist. Das Loch ist für ihn wiederum eine räumliche Darstellung des Mangels – es gibt reduzible und irreduzible Mängel.
Wie verhalten sich diese Kreise, diese Löcher, zu den verschiedenen Flächen? Auf einer Ebene – darstellbar etwa durch ein Blatt Papier – lassen sich sämtliche Kreise, die man darauf einträgt, so zusammenziehen, dass man schließlich nur noch einen Punkt übrig behält; alle Kreise sind hier reduzibel, alle Löcher lassen sich schließen, es gibt keinen irreduziblen Mangel.
Auf einem Torus gibt es sowohl reduzible als auch irreduzible Kreise. Die Kreise, die um die zentrale Leere herumlaufen, sind irreduzibel, ebenso diejenigen, die gewissermaßen um den Schlauch des Torus herum geführt werden.31
Welche Arten von Kreisen bzw. Löchern gibt es auf einer Kreuzhaube?
„Wenn wir sie auf eine Weise zeichnen, die das Homologe des Schnittes ist, der auf dem Torus an zwei Arten Kreis Anteil hat, oder indem man durch den privilegierten Punkt γ hindurchgeht, auf den ich das letzte Jahre Ihre Aufmerksamkeit gelenkt habe – auf der Stufe des cross-cap werden Sie stets etwas haben, was sich scheinbar auf die minimale Oberfläche wird reduzieren lassen können, nicht ohne dass am Ende, welches die Verschiedenheit des Schnittes ist, etwas bleibt, das sich symbolisiert, nicht wie eine konzentrische Reduktion, sondern in einer irreduziblen Gestalt, diese hier oder jene da, welche dieselbe ist, die besagte der inneren Acht, die man nicht umhin kann, von der konzentrischen Punktifizierung zu differenzieren.
Darin ist das cross-cap für uns ein anderer Weg gewesen, die Möglichkeit einer irreduziblen Art von Mangel anzugehen.“32
Reduziert man auf der Kreuzhaube einen Kreis (eine geschlossene, sich nicht überschneidende Linie), wird stets eine minimale Fläche übrig bleiben, und der Rand dieser Fläche wird durch eine Innenacht gebildet. Damit ist die Kreuzhaube geeignet, einen irreduzibel Mangel darzustellen.
Mir ist nicht klar, ob das topologisch haltbar ist – sind tatsächlich alle geschlossenen Linien auf einer Kreuzhaube so beschaffen, dass sie nicht auf einen Punkt zusammengezogen werden können? Wie auch immer, klar ist, wie Lacan diese Fläche verwendet – die Kreuzhaube ist für ihn durch und durch um ein irreduzibles Loch herum organisiert. Sie steht für eine Struktur, die durch einen Mangel bestimmt ist, der sich nicht aufheben lässt.
Strukturähnlichkeit mit der abgetrennten Vorhaut
In der Sitzung vom 27. März 1963 zeigt sich Lacan verwundert darüber, dass Freud in Der Mann Moses und die monotheistische Religion nicht über die jüdische Beschneidung spricht.
„Sie müssen sehen, dass es bei der Ablation der Vorhaut auf jeden Fall etwas gibt, bei dem Sie nicht umhin kommen, es mit diesem komischen gewundenen kleinen Objekt zu vergleichen, dass ich einmal, materialisiert, durch Ihre Hände gehen ließ, damit Sie sehen konnten, wie es strukturiert ist, wenn es in Gestalt von einem kleinen Stück Karton realisiert ist, dieses Ergebnis des zentralen Schnitts in das, was ich hier für Sie in Gestalt der cross-cap veranschaulicht habe, verkörpert habe: um Ihnen zu zeigen, worin diese Isolierung – von etwas, das als eine Form definiert ist, die als solche das Nicht-Spiegelbare verkörpert –, worin diese Isolierung etwas zu tun haben kann mit der Konstituierung der Autonomie des klein a, des Objekts des Begehrens.
Dass in dieses Loch, in die konstitutive Schwäche der primordialen Kastration etwas wie eine Ordnung gebracht werden kann, das wird, so glaube ich, von der Beschneidung ‚verkörpert‘, im wahrsten Sinne des Wortes.“33
Die operativ entfernte Vorhaut ähnelt dem gewundenen Objekt, das abfällt, wenn man in einer Sphäre-mit-Kreuzhaube einen Schnitt um den Zentralpunkt herum anbringt, sie ähnelt der Scheibe als Repräsentation des Objekts klein a. Die abgetrennte Vorhaut ist bei einem kreisförmigen Schnitt eine Art Zylinder, also eine Fläche mit zwei geschlossenen Rändern. Will Lacan damit andeuten, dass es sich bei der Scheibe um eine Art Lochscheibe handelt? Durch kontinuierliche Verformung lässt sich ein Zylinder ja in eine Lochscheibe verwandeln. Die Scheibe korrespondiert dem Objekt a, und das Loch in der Scheibe, der Zentralpunkt, entspräche dann möglicherweise der Kastration.
Es bleibt auch hier das Rätsel, wie im Rahmen der Topologie das Loch des Zentralpunkts auf stabile Weise die Größe eines mathematischen Punkts haben kann. Ändert das Loch nach dem Schnitt seinen Charakter? War es vor dem Schnitt ein Lochpunkt und wird es nach dem Schnitt dehnbar?
Hält man sich an die Anschauliche Geometrie von David Hilbert und Stephen Cohn-Vossen, entsteht eine Lochscheibe dadurch, dass man in einer Kreuzhaube im engeren Sinne, also einer Kreuzhaube mit Rand, einen Schnitt entlang der Durchdringungslinie anbringt34 (vgl. auf dieser Seite den Artikel Millers Kreuzhauben-Supplement). Das lässt sich intuitiv nachvollziehen: Die Kreuzhaube hat von vornherein einen Rand, der Schnitt fügt einen zweiten Rand hinzu, das ergibt die beiden konzentrischen Ränder der Lochscheibe. Wie kann es sein, dass sich dasselbe Ergebnis einstellt, wenn man in einer Sphäre-mit-Kreuzhaube einen geschlossenen Schnitt anbringt? Muss die Sphäre-mit-Kreuzhaube dafür nicht von vornherein einen inneren Rand haben, ein Loch mit Rand? Wie kann sie dann eine randlose Fläche sein?
In den Seminaren 11 (Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse) und 12 (Schlüsselprobleme für die Psychoanalyse) spricht Lacan über die Kreuzhaube oder cross-cap (über die Sphäre-mit-Kreuzhaube), nicht jedoch über das Loch darin.
Seminar 13, Das Objekt der Psychoanalyse (1965/66)
Das Objekt der Psychoanalyse ist für Lacan das Objekt a, und in diesem Seminar untersucht er vor allem den Blick. Wie also funktioniert das Phantasma, dessen Objekt a der Blick ist? Wenn man die Struktur des Phantasmas von der Sphäre-mit-Kreuzhaube aus begreift, die in ein Möbiusband und eine Scheibe zerteilt ist, wobei das Möbiusband das spaltbare Subjekt repräsentiert und die Scheibe das Objekt a, in welcher Beziehung steht dann die Scheibe zum Blick?
Dieselbe Funktion wie das Loch in einer Sphäre
(Für das Lesen dieses Abschnitts braucht man etwas Geduld – Lacan spricht zunächst über das Loch in einem Blatt Papier und in einer Sphäre und erläutert dann ausführlich den Schnitt in die Kreuzhaube, bevor er auf die Frage des Lochs in der Kreuzhaube zu sprechen kommt.)
Zu Beginn der Sitzung vom 15. Dezember 1965 spricht Lacan über eine Kalligraphie von Jiun Sonja, einen japanischen Gelehrten des 18. Jahrhunderts, die aus chinesischen Schriftzeichen und aus einem Kreis besteht; Lacan übersetzt den Text mit „In dreitausend Jahren, wie viele Menschen werden wissen?“. Und er geht zu seinem eigenen „Kreis“ über, einer Scheibe mit Selbstüberlappung und dem Umriss einer Innenacht, wie sie sich ergibt, wenn man eine Kreuzhaube, die einem Sphärenabschnitt aufgesetzt ist, durch einen geschlossenen Schnitt zerteilt, der sich zweimal um die Durchdringungslinie dreht. Er fährt dann so fort:
„Nehmen wir also wieder unser Blatt Papier. Unser Blatt Papier, wir wissen nicht, was das ist. Wir wissen, was der Schnitt ist und dass derjenige, der diesen Schnitt eingetragen hat, von seiner Wirkung abhängt. ‚In dreitausend Jahren werden wie viele Menschen wissen?‘ Man müsste wissen, welche Bedingungen ein Blatt Papier erfüllen muss – das, was man in der Topologie als Fläche bezeichnet, das, wohinein wir die Löcher gemacht haben –, damit dieses Loch eine Ursache ist, also etwas verändert hat.
Beachten Sie, dass wir, um zu begreifen, was es mit dem Loch auf sich hat, nicht so vorgehen, dass wir ein weiteres annehmen. Dieses hier genügt uns. Wenn dieses Loch zur Wirkung hatte, ein Stückchen, einen Fetzen herausfallen zu lassen, dann kann das, was zurückbleibt, nicht dasselbe sein, denn wenn es dasselbe ist, ist es eben das, was man ein Loch nennt oder einen Schlag ins Wasser.
Gut, wenn wir uns der zugänglichsten, der vertrautesten, der grundlegendsten intuitiven Stütze anvertrauen, bei der es gewiss nicht darum geht, ihre historische Relevanz oder ihre reale Wichtigkeit herabzusetzen, nämlich einer Sphäre…
ich bitte hier die Mathematiker um Entschuldigung, ich appelliere hier an die Intuition, da wir nur eine Fläche haben, in die wir schneiden, und ich muss nicht an etwas appellieren, das in den dreidimensionalen Raum eingebettet ist
…also was ich einfach sagen will, wenn ich Sie bitte, sich eine Sphäre vorzustellen, ist dies, zu denken, dass das, was um den Kreis herum bleibt, keinen weiteren Rand hat. Beim gegenwärtigen Stand der Dinge können Sie das intuitiv nur in Gestalt einer Sphäre erfassen, einer Sphäre mit einem Loch. Wenn Sie darüber nachdenken, was das ist, eine Sphäre mit einem Loch, dann ist das genau dasselbe wie der Deckel, den Sie gerade haben fallen lassen. Die Sphäre hat dieselbe Struktur [Abb. b].
Das Herausfallen, um den es in dieser grundlegenden Zeichnung geht, hat keinen anderen Effekt als den, das, was soeben entfernt wurde, am selben Platz wieder auftauchen zu lassen. Das erlaubt uns keinesfalls, etwas zu begreifen, das im Hinblick auf das Subjekt, das uns interessiert, strukturell wäre.“35
Der Ausgangspunkt ist hier ein Blatt Papier. Wir wissen nicht, sagt Lacan, was das ist – wir haben noch keinen Begriff der Fläche. Wir haben jedoch einen Begriff des Schnitts. Damit will er vielleicht andeuten, dass nicht etwa, wie man meinen könnte, der Begriff des Schnitts von dem der Fläche aus zu entwickeln ist, sondern dass umgekehrt (und kontra-intuitiv) die Fläche vom Schnitt aus zu begreifen ist.
Wir wissen auch, heißt es weiter, dass derjenige, der den Schnitt eingetragen hat – das Subjekt –, von der Wirkung des Schnitts abhängt. Anders gesagt: Das Subjekt ist ein Schnitt-Effekt.
Der Schnitt erzeugt ein Loch; also ist der Schnitt eine Ursache.
Der Schnitt hat ein Loch erzeugt und damit zugleich die Fläche geteilt. Die eine Teilfläche ist ein Stück Papier, das jetzt aus der Fläche herausgelöst ist; Lacan nennt das herausgetrennte Stück Papier „Fetzen“ und den Prozess des Herauslösens chute – „Fall“, „Fallen“, „Herausfallen“, „Sturz“ –, der Schnitt bewirkte das „Herausfallen“ eines „Fetzens“. Die andere Komponente ist das Papier, das zurückbleibt. Der Fetzen und die restliche Fläche unterscheiden sich, andernfalls wäre das Loch kein Loch.
Die Fläche, in der der Schnitt angebracht wurde, wird dann von Lacan als Sphäre bestimmt, d.h. als Kugeloberfläche oder Hohlkugel (nicht zu verwechseln mit einer Vollkugel). Diese Fläche sollen wir uns unabhängig von ihrer Einbettung in den dreidimensionalen Raum vorstellen, „intrinsisch“, wie die Topologen sagen. Intrinsisch betrachtet ist diese Fläche dadurch charakterisiert, dass sie nur einen Rand hat, denjenigen, der durch den Schnitt erzeugt wurde. Strukturell gesehen ist diese Fläche dasselbe wie ein Deckel – ein Deckel ist ein Sphärensegment, die Kalotte einer Hohlkugel.
Der Schnitt in die Sphäre, ihre Verwandlung in einen Deckel, zeigt erst einmal nur an, was der Sphäre fehlt und was wieder in sie eingefügt werden kann, um sie zu vervollständigen. Der Schnitt in die Sphäre ermöglicht noch keinen Zugang zur Struktur des Subjekts.
Lacan fährt dann fort mit Bemerkungen über den Begriff des Zentrums, die ich nicht übersetzt habe. Die Topologie untersucht die Eigenschaften von Flächen, so führt er aus, die bei kontinuierlicher Verformung erhalten bleiben. Auch bei kontinuierlicher Verformung einer Sphäre kann man behaupten, sagt Lacan, dass sie ein Zentrum hat. Danach heißt es:
„Und nun stellt sich das Problem, ob es nicht etwas geben kann – um uns nicht in Bildern auszudrücken, sondern vielleicht in Ideen, die Ihnen eine Idee von dem geben, wohin ich Sie führe –, ob es außerhalb dessen, was ich ganz absichtlich ‚Kreis‘ und nicht ‚Kreisumfang‘ genannt habe…
‚Kreis‘ bedeutet das, was Sie in der Geometrie normalerweise als ‚Kreisumfang‘ bezeichnen, und das, was man für gewöhnlich ‚Kreis‘nennt, werde ich, so wie eben, als ‚Scheibe‘ oder als ‚Fetzen‘ bezeichnen
…was braucht es außerhalb [des Kreises], um das Subjekt zu strukturieren, anders gesagt dafür, dass der Schnitt, der zum Herausfallen des Objekts a führt, Folgendes erscheinen lässt…
auf etwas, das bis dahin völlig geschlossen war, wo also nichts erscheinen konnte
…was braucht es dafür, dass der Schnitt, bezogen auf das, was wir hinsichtlich der Konstitution des Subjekts fordern, das Subjekt als grundlegend gespalten erscheinen lässt?
Es ist einfach, dies erscheinen zu lassen. Denn es genügt, dass Sie sich anschauen, wie dieser Kreis hier angeordnet ist, so wie ich ihn wieder gezeichnet habe, und Sie werden sehen, dass er – wenn Sie diese Linien als leer auffassen, so wie ich Ihnen beigebracht habe, diese hier als leer zu lesen –, dass er dann ganz einfach – und das springt in die Augen, ich denke ja, dass ich Ihnen bis hierher genug über das Möbiusband gesagt habe, sodass Sie es wiedererkennen –, dass er dann ganz einfach das Gestell ist, das Gerüst, das, was es Ihnen erlaubt, dauerhaft und unmittelbar anschaubar ein Möbiusband zu sehen.
Sie sehen es hier [Abb. 4]. Verbinden Sie jeden seiner Ränder mit einer Spur, wenn ich so sagen kann. Sie sehen, wie es umkippt und wie es sich auf der Ebene seiner Rückseite mit dem, was zunächst seine Vorderseite war, vernäht.
Das Möbiusband hat zahlreiche Eigenschaften. Darunter gibt es eine hauptsächliche, eine wesentliche, die ich Ihnen, denke ich, in den letzten Jahren hinreichend dargestellt habe – sogar mit einer Schere, ich habe es Ihnen hier selbst gezeigt –, nämlich dass ein Möbiusband keine Fläche hat, dass es reiner Rand ist. Nicht nur hat die Fläche des Möbiusbandes nur einen Rand, sondern wenn ich es entlang der Mittellinie aufschneide, gibt es kein Möbiusband mehr, denn das, wodurch das Möbiusband eingesetzt wird, ist meine Schnittlinie, ist die Eigenschaft der Spaltung. Sie können vom Möbiusband so viele Stückchen entfernen wie Sie möchten, solange vom Band etwas übrigbleibt, wird es immer ein Möbiusband geben. Aber was sie halten, wird niemals das Band sein. Das Möbiusband ist eine Fläche, die so ist, dass der Schnitt, der in ihrer Mitte vollzogen wird, das Möbiusband ist. Das Möbiusband ist seinem Wesen nach der Schnitt selbst. Und darin kann das Möbiusband für uns die strukturelle Stütze sein für die Konstitution des Subjekts als spaltbar.“36
Gesucht ist ein Schnitt, von dem her sich die Struktur des Subjekts begreifen lässt.
Die Grundstruktur des Subjekts besteht darin, dass es spaltbar ist (in freudscher Terminologie geht es um die Spaltung in Bewusstes und Unbewusstes) und dass diese Spaltung durch das Objekt a erzeugt wird (durch die phantasmatische Wiederkehr des unterdrückten Triebs).
Eine gewisse Entsprechung zum Objekt a wird durch den kreisförmigen Schnitt in eine Sphäre erzeugt, in Gestalt des Deckels, der herausfällt, des „Fetzens“, der „Scheibe“, der bei der Sphäre allerdings dieselbe Struktur hat wie das, was zurückbleibt.
Das ist eine für die Frage nach dem Loch in der Kreuzhaube relevante Bemerkung: Der kreisförmige Schnitt in eine Sphäre erzeugt eine Fläche, die dem Objekt a entspricht. Klar ist, dass die herausgetrennte Fläche kein Loch hat. Allerdings: Diese Fläche hat nur eine „gewisse“ Entsprechung zum Objekt a – es gibt Unterschiede. Der Satz hilft nicht weiter.
Der kreisförmige Schnitt in die Sphäre ermöglicht jedoch keinen Zugang zum Subjekt, insofern es spaltbar ist.
Die Spaltbarkeit des Subjekts wird durch das Möbiusband repräsentiert. Ein Möbiusband ist einseitig (von jedem beliebigen Punkt aus kommt man zur Rückseite dieses Punktes, ohne einen Rand überqueren zu müssen); wenn man dieses Band entlang der Mittellinie aufschneidet, verwandelt es sich in ein zweiseitiges Band; der Schnitt entlang der Mittellinie erzeugt die Spaltung in eine Vorderseite und eine Rückseite. Das Möbiusband ist also durch einen Schnitt spaltbar.
Nicht nur hat das Möbiusband nur einen Rand, es ist nichts als Rand. Es erscheint zunächst als Fläche, von dieser Fläche kann man jedoch beliebig viele Stückchen wegschneiden – solange nur überhaupt etwas übrig bleibt, bleibt es immer ein Möbiusband.
Das Möbiusband verschwindet erst dann, wenn man es entlang seiner Mittellinie durch einen geschlossenen Schnitt auftrennt; es verwandelt sich dann in ein zweiseitiges Band. Also ist das Möbiusband, so folgert Lacan, letztlich nichts anderes als als dieser Schnitt. Darin repräsentiert das Möbiusband das Subjekt, darin, dass es spaltbar ist.
Gesucht ist also ein Schnitt in eine Fläche, der nicht nur eine Scheibe oder einen Fetzen abfallen lässt (als Repräsentation des Objekts a), sondern der zugleich ein Möbiusband hervorbringt (als Entsprechung zum spaltbaren Subjekt). Dieser Schnitt soll in etwas erfolgen, „das bis dahin völlig geschlossen war“, also vermutlich in einer Fläche, die keinen Rand hat. Hat die Kreuzhaube demnach kein Punktloch? Wieder ist die Formulierung zu unbestimmt, als dass sie sich belasten ließe.
Den Schnitt, der ein Möbiusband und einen Rest erzeugt, gibt es. Dieser Schnitt hat nicht die Form eines Kreises, sondern einer Innenacht.
Die Innenacht steht in einer engen Beziehung zum Möbiusband. Wenn man in die Linie einer Innenacht auf bestimmte Weise eine Fläche einspannt, verwandelt sie sich in ein Möbiusband.
Lacan fährt so fort:
… „Ich möchte hier etwas vorbringen, bei dem ich Sie darauf aufmerksam mache, dass es streng topologisch gesehen ungenau ist. Das soll uns jedoch nicht stören, denn ich bin hier dazwischen eingeklemmt, Ihnen etwas ungenau zu erläutern oder es Ihnen gar nicht zu erläutern. Das ist ein greifbares Beispiel für die subjektiven Sackgassen, die eben das sind, worauf wir uns gründen. Also schreite ich voran, nachdem ich Sie hinreichend gewarnt habe, dass dies, der strengen topologischen Lehre zufolge, ungenau ist.
Sie können feststellen, dass mein Möbiusband; ich spreche von dem, das sich auf dem Gestell dieses Objekts a abzeichnet [Abb. c] –. Dieses Gestell, so habe ich gesagt, ist definitiv ein sphärischer Fetzen, der sich in nichts von dem unterscheidet, was ich Ihnen vorhin zum Loch von Jiun Sonja vorgeführt habe. Dafür, dass dieser Fetzen einem Möbiusband als Gestell dienen kann, ist es so, dass das Möbiusband, wenn es sich damit verschweißt, die Natur dieses Fetzens oder Portiönchens radikal verändert.
Es geht hier um einen Text, um ein Gewebe, um den Zusammenhalt eines Stoffes, etwas, das so ist, dass dann, wenn hier die Spur eines bestimmten Schnitts durchgegangen ist, zwei unterschiedliche, zwei heterogene Elemente erscheinen, von denen das eine ein Möbiusband ist und das andere dieser Fetzen, der mit jedem anderen Sphärensegment äquivalent ist [Abb. 5]. Dieses Möbiusband, beleben Sie es durch Ihre Einbildungskraft, es folgt dann notwendigerweise dieser Linie – sofern die Sache in drei Dimensionen eingebettet ist, darin besteht meine Ungenauigkeit.
Das ist jedoch eine Ungenauigkeit, die nicht hinreicht, um das Problem beiseitezuschieben, das in Folgendem besteht. Etwas, das in den drei Dimensionen durch eine Überkreuzung angezeigt wird, durch eine Überschneidung, die letztlich Folgendes liefert – für die Gesamtfigur dessen, was man gemeinhin so bezeichnet, als Sphäre, der eine Kreuzhaube oder eine cross-cap aufgesetzt ist –, die dafür letztlich das liefert, was hier rot eingetragen ist [Abb. 6], nämlich das, was Sie sich als etwas vorstellen können – immer auf eine Weise,
die natürlich ungenau ist, die in die dritte Dimension eingebettet ist –,
was Sie sich als etwas vorstellen können, das im unteren Teil und auf der Ebene dieser Basis – dieses Chiastischen, dieser Überkreuzung – diesen Schnitt hat [Abb. 7]:
.
Jeder Schnitt, der auf der Ebene dessen durchgeht, was hier schematisch als Spur der Überkreuzung dargestellt ist, jeder geschlossene Schnitt, der durch diese Überkreuzung hindurchgeht, ist etwas, wodurch die gesamte Struktur der cross-cap, der Kreuzhaube beziehungsweise der projektiven Ebene, im Nu zum Verschwinden gebracht wird, wenn ich so sagen darf. Im Unterschied zu einer Sphäre, die bei einem beliebigen Schnitt mit geschlossenem Rand, den Sie auf ihrer Fläche beschreiben können, ihre konzentrische Grundstruktur nicht aufgibt, ist es hier so, dass der Schnitt eine wesentliche Veränderung einführt, nämlich das Erscheinen eines Möbiusbandes und, andererseits, dieses Fetzens, dieses Portiönchens [Abb. d].“37
Die gesuchte Fläche, die durch einen Innenacht-Schnitt in ein Möbiusband und und einen „Fetzen“ zerlegt wird, gibt es tatsächlich; sie nennt sich „Sphäre, die mit einer Kreuzhaube versehen ist“.
Lacan betont, dass er an dieser Stelle topologisch ungenau wird. Das Sphärensegment mit Kreuzhaube kommt dadurch zustande, dass eine vierdimensionale Fläche, die projektive Ebene, in den dreidimensionalen Raum eingefügt wird; hierdurch entsteht die sogenannte Durchdringungslinie, für die es im vierdimensionalen Raum keine Entsprechung gibt. Lacans Ungenauigkeit besteht an dieser Stelle vermutlich darin, dass er den Hintergrund der Durchdringungslinie außer Acht lässt.
Das Möbiusband, so sagt er, zeichnet sich ab auf dem „Gestell“ des Objekts a. Ein bestimmter Schnitt in die Sphäre mit Kreuzhaube führt dazu, dass eine Scheibe mit dem Umriss einer Innenacht herausfällt; die Innenacht kann wiederum, wenn man die Ränder auf bestimmte Weise verbindet, in ein Möbiusband verwandelt werden (vgl. Abb. c und 5). Insofern zeichnet sich auf dieser Scheibe das Möbiusband ab.
Topologisch gesehen ist der Innenacht-Umriss des „Fetzens“ jedoch irrelevant, der „Fetzen“ unterscheidet sich topologisch (d.h. unter der Bedingung kontinuierlicher Verformbarkeit) in nichts von dem „Portiönchen“, das man erhält, wenn man in eine Sphäre ein Loch schneidet, also in nichts von der Scheibe, die dann herausfällt.
Man kann den Weg auch rückwärtsgehen, man kommt dann nicht von der Sphäre-mit-Kreuzhaube zu den Teilflächen sondern von den Teilflächen zur Sphäre-mit-Kreuzhaube. Wenn man den Fetzen und das Möbiusband miteinander verklebt, erhält man eine Sphäre-mit-Kreuzhaube, d.h. eine Fläche, die, ihrem Namen zum Trotz, gerade keinen sphärischen Charakter hat, da sie keine Innen-Außen-Trennung erzeugt.
Lacan resümiert: Wenn man in der Sphäre-mit-Kreuzhaube einen geschlossenen Schnitt realisiert, der um die Durchdringungslinie herumführt, zerlegt dieser Schnitt diese Fläche in zwei heterogene Flächen, in das einseitige Möbiusband einerseits und den zweiseitigen Fetzen andererseits; dieser Schnitt zerstört also die Struktur der Sphäre-mit-Kreuzhaube. Bei einer Sphäre ist das anders, wenn man in ihr einen Schnitt mit geschlossenem Rand anbringt, behält sie ihre konzentrische Grundstruktur bei – behauptet er.
Direkt danach heißt es:
… „Und doch, was ich Ihnen gerade gesagt habe, ist dies, dass der Strich, hier schwarz gezeichnet [Abb. 8a] – der ein einfacher Strich ist, ein geschlossener Rand vom selben Typ wie der in der Zeichnung von Jiun Sonja –, dass dieser Strich die Kreuzhaube, wie gesagt, ganz und gar auf dieses Portiönchen reduziert hat. Wo also ist das Rätsel?
Ich denke, dass Sie sich noch an das erinnern, was ich Ihnen eben gesagt habe, nämlich dass der Schnitt selbst ein Möbiusband ist. Wie Sie das an dieser zweiten Zeichnung sehen können, die ich daneben auf derselben Figur angebracht habe – auf einer Figur, die schematisch durch etwas dargestellt ist, einen Luftballon, womit ich versuche, Sie intuitiv spüren zu lassen, worum es bei der projektiven Ebene geht: Wenn Sie, wenn ich so sagen darf, die Ränder auseinander ziehen, die durch den Schnitt entstehen, der hier schwarz eingetragen ist, dann erhalten Sie ein Aufklaffen, das wie ein Möbiusband gebaut ist [Abb. 8b]. Der Schnitt selbst hat die Struktur der Fläche, die Möbiusband heißt.
Hier [Abb. oben38] sehen Sie es bildlich dargestellt, durch eine doppelte Scherenlinie, die Sie ebenfalls ziehen könnten und womit Sie die Gesamtfigur der projektiven Ebene oder Kreuzhaube, wie ich sie genannt habe, tatsächlich in zwei Teile zerschneiden würden, in ein Möbiusband einerseits – hier wird angenommen, dass es abgeschnitten ist, für sich allein – und andererseits in einen Rest, einen Rest, der dieselbe Funktion des Lochs in seiner ursprünglichen Form erfüllt (joue), also des Lochs, das man in einer sphärischen Fläche erhält.“39
Lacan spricht über eine spezielle Linie auf der Sphäre-mit-Kreuzhaube, nicht eine doppelte geschlossene Linie (keine Innenacht), sondern ein einfache geschlossene Linie, einen Kreis wie in der Zeichnung von Jiun Sonja (Abb. 8a). Ein solcher einfacher geschlossener Schnitt reduziert die Sphäre-mit-Kreuzhaube ganz und gar auf den Fetzen, auf das „Portiönchen“, wie Lacan auch sagt. Er bezeichnet hier die Sphäre-mit-Kreuzhaube auch als projektive Ebene – die Sphäre-mi- Kreuzhaube ist eine in den dreidimensionalen Raum immergierte projektive Ebene. Die Darstellung der Sphäre-mit Kreuzhaube erinnert an einen Luftballon (der teilweise eingeklemmt ist).
Wenn man die Ränder des einfachen Schnitts auseinanderzieht, erhält man aufklaffende Ränder, wobei das Aufklaffen (wenn man es in eine Fläche verwandelt) wie ein Möbiusband strukturiert ist [Abb. 8b].
Damit geht Lacan vom einfachen Schnitt in die Sphäre-mit-Kreuzhaube zum doppelten Schnitt über, zum Schnitt in Gestalt einer Innenacht. Die Kreuzhaube (die einer Sphäre aufgesetzt ist) bzw. die projektive Ebene wird hierdurch in zwei Teile zerlegt, in ein Möbiusband und den Rest. Das Möbiusband wird von ihm offenbar auch isoliert an der Tafel dargestellt.
An diesem Punkt nun kommt Lacan zu dem Thema, das mich in diesem Artikel beschäftigt: zum Verhältnis zwischen der Sphäre-mit-Kreuzhaube und dem Loch. Er bezieht den Rest (also die Scheibe, den Fetzen, das Portiönchen) auf das Loch in seiner ursprünglichen Form, auf das Loch, dass man erhält, wenn man in einer Sphäre einen geschlossenen Schnitt anbringt. Seine These lautet: Der Kreuzhaubenrest erfüllt dieselbe Funktion wie das ursprüngliche Loch, wie das Loch, das man in eine Sphäre schneidet; wörtlich, es „spielt“ (joue) die Funktion dieses Lochs,
Wie kann eine Fläche dieselbe Funktion haben wie ein Rand? Die Scheibe hat die Funktion, dass sie als Stütze für ein Möbiusband dient. Vermutlich ist gemeint, dass auch das Loch, das man in eine Sphäre schneidet, als Stütze für ein Möbiusband dient (woraus sich dann eine Sphäre-mit-Kreuzhaube ergibt).
Direkt danach heißt es:
… „Das ist von grundlegender Bedeutung, und Sie müssen davon eine andere Figur sehen, in einer schematisierten und topologisch strengeren Form, nämlich diese hier [Abb. 9], deren Komplement ich an diese Tafel geschrieben habe, wo Sie sie, denke ich, sehen können.
Im Gegensatz zu der Art, wie das erste Loch vernäht wird, das sphärische Loch [Abb. e], das Loch, das ich konzentrisch genannt habe,
.
.
zeigt uns die Topologie, dass nichts weniger konzentrisch ist als diese Form des Zentrums, das an die Funktion des ersten Fetzens angrenzt [Abb. fα]. Denn um das Loch in der Sphäre zu schließen, genügt eine einfache Naht, die die beiden Stücke zusammenbringt, einfach so, wie eine Schneiderin für Sie irgendeine Ausbesserung vornimmt.
Der angebrachte Schnitt – wenn Sie die Sache durch das Möbiusband in umgekehrter Richtung nehmen – impliziert eine Ordnung, und hier liegt unsere dritte Dimension wirklich, was es rechtfertigt, dass wir vorhin, um Sie das Gewicht dieser Figuren spüren zu lassen, davon eine falsche dritte eingeführt haben.
Mit anderen Worten, die Dimension der Reihenfolge, durch die eine bestimmte Zeitschicht repräsentiert wird, diese Dimension impliziert, dass, um dieses Loch zu realisieren – das zweite Loch, dessen topologische Eigenschaften ich Ihnen gerade erläutere –, dass hierzu eine Ordnung notwendig ist und zwar eine diametrale Ordnung. Diametral, das heißt anscheinend räumlich, auf der Mittellinie aufbauend, die Ihnen die bildliche Stütze gibt und wo klar zu lesen ist, dass diese Art des Schnitts eben die ist, die wir erwartet haben, das heißt diejenige, die sich nur auf die Weise herstellt, dass sie sich zugleich teilen muss; anders gesagt, wenn Sie versuchen, das, worum es geht, nicht intuitiv und visuell zu realisieren, sondern mental, von dem Moment an, in dem Sie denken, dass das a, der Punkt a auf diesem Kreis, identisch ist mit dem diametral entgegengesetzten Punkt a…
was eben die Definition dessen ist, was in einem ganz anderen Kontext, dem der metrischen Geometrie, von Desargues eingeführt wurde, anders gesagt die projektive Ebene, und Gott weiß, dass Desargues, als er das schrieb, selbst hervorgehoben hat, dass eine solche Konzeption etwas Paradoxes hat, etwas Verblüffendes, ja etwas Erschreckendes, was gut beweist, dass die Mathematiker sehr wohl in der Lage sind, bei der Einführung dieser oder jener Strukturkategorie ihre Punkte der Übertretung, der Überschreitung selbst zu erfassen. Vergäßen sie es, hätten sie übrigens immer noch ihre Mitbrüder, um sie daran zu erinnern und ihnen zu sagen, dass man bei dem, was sie sagen, nichts versteht, wie es jedes Mal geschieht und was besonders Desargues zugestoßen ist, bei dem die Mauern von Lyon mit Schriftsätzen bedeckt waren, in denen man sich gegenseitig beschimpfte, wegen Dingen, die, wie Sie sehen, faszinierend waren. Schöne Zeit! Wunderbare Epoche!
…dieses a und dieses a sind dasselbe [kleine Transkriptionslücke], was heißt das, wenn nicht Folgendes, dass selbst dann, wenn wir dies als das Loch auffassen, die Verbindung der Ränder nur dadurch hergestellt werden kann, dass das Loch geteilt wird, dadurch, dass das Loch hier, wenn man so sagen kann, in die Bewegung seiner Verbindung übergeht.
Wir finden hier also das Modell für das, worum es beim Subjekt geht, insofern es durch einen Schnitt determiniert ist. Es muss sich in der Struktur selbst notwendigerweise als gespalten darstellen.“40
Lacan unterscheidet in dieser Passage zwei Typen von Löchern, und dies durch die Art, wie sie geschlossen werden, wobei die Schließungsprozeduren schematisch dargestellt werden.
Die erste Form des Lochs bezeichnet er als „sphärisches Loch“ – gemeint ist ein Loch in einer Sphäre – oder auch als „konzentrisches Loch“. Diese Art des Lochs wird auf die Weise geschlossen, dass man die Ränder so verbindet wie bei einem Kleidungsstück, wenn man einen Riss auf einfache Weise zunäht. Dieses Schließungsverfahren lässt sich durch ein Kreisdiagramm darstellen (vgl. Abb. e). Man teilt die Kreislinie in zwei Hälften, versieht die beiden Hälften mit gleichläufiger Orientierung (z.B. so, dass beide Pfeillinien nach rechts zeigen) und legt die beiden Hälften so aufeinander, dass die Pfeillinien dieselbe Richtung haben.
Danach spricht Lacan nicht sofort vom zweiten Typ des Lochs, sondern vom „Zentrum“, von dem Zentrum, das an die Funktion des ersten Fetzens angrenzt; der Zeichnung zufolge geht es dabei um das Zentrum des Fetzens [Abb. f, Punkt α]. Aus Lacans früheren Ausführungen zur Kreuzhaube (im Seminar über die Identifizierung) lässt sich erschließen, dass mit dem Zentrum der Zentralpunkt der Kreuzhaube gemeint ist, der nach dem Innenacht-Schnitt im Fetzen liegt.
Er spricht dann über die zweite Form des Lochs und beschreibt dessen topologische Eigenschaften wieder durch die Schließungstechnik. In diesem Falle handelt es sich um das Verfahren der Identifizirung der Diametralpunkte.
An dieser Stelle geht es wirklich um den dreidimensionalen Raum, sagt Lacan, er möchte also, dass man die Fläche mit dem Loch nicht intrinsisch betrachtet, sondern extrinsisch. (Mir ist nicht klar, warum man für das beschriebene Verfahren die Einbettung in den dreidimensionalen Raum benötigt.)
Für die Randpunkte wird eine Reihenfolge definiert, eine Operation, die auf den ersten Blick räumlich wirkt, die jedoch, Lacan zufolge, letztlich zeitlichen Charakter hat.
In der Darstellung durch ein Kreisdiagramm wird die Kreislinie wieder in zwei Hälften geteilt und orientiert, diesmal zeigen die beiden Pfeillinien jedoch in entgegengesetzte Richtung, die eine nach links, die andere nach rechts. Nach dieser gegenläufigen Orientierung verläuft die Reihenfolge der zu identifizierenden Punkte in entgegengesetzte Richtung.
Eine einzelne Identifizierung zweier Punkte geht gewissermaßen so vor, dass zwischen den beiden gleichzusetzenden Punkten eine Mittellinie quer über das Loch gezogen wird; die beiden Enden dieser Linie, also die beiden Diametralpunkte, werden miteinander „verklebt“, sie werden identifiziert.
Das Verfahren der Identifizierung der Diametralpunkte ist, so erläutert Lacan, mathematisch äquivalent mit der von Desargues eingeführten projektiven Ebene, also mit der Ebene, für die gilt, dass Parallelen sich im Unendlichen schneiden. Die beiden Verfahren sind äquivalent, beide ergeben eine projektive Ebene.
Die Identifizierung der Diametralpunkte verbindet die Ränder des Lochs der Sphäre in der Weise, dass eine einzelne Identifizierung zweier Punkte das Loch überbrückt. Hierdurch kommt es gewissermaßen zu einer Zweiteilung des Lochs. Auf diesem Wege geht das Loch in die Bewegung seiner Verbindung über (wie Lacan mit einer an Hegel erinnernden Formulierung sagt).
Dies ist für ihn, so erklärt er, das Modell für das Subjekt, insofern es durch einen Schnitt determiniert ist. Welcher Schnitt ist hier gemeint? Der Schnitt in eine Sphäre, deren Ränder der Operation der Identifizierung der Diametralpunkte unterworfen werden? Oder Schnitt entlang der Mittellinie eines Möbiusbandes?
Zur Frage, ob Lacan den beim Innenacht-Schnitt abfallenden Fetzen als Lochscheibe begreift, haben diese Passagen keine definitive Klärung gebracht. Deutlich wurde aber, dass Lacan auch hier, wie schon im Identifizierungsseminar, die Fläche vom Loch her zu begreifen versucht, in diesem Fall geht er die Fläche der Scheibe vom Loch in einer Sphäre aus an.
Der beim Innenacht-Schnitt in eine Sphäre-mit-Kreuzhaube abfallende Fetzen hat dieselbe Funktion wie ein Loch in einer Sphäre, vermutlich insofern, als beide als Stütze für ein Möbiusband dienen können. Die Beziehung zwischen der Scheibe und dem Loch ist hier ein Verhältnis der funktionalen Äquivalenz. Nicht: Die Scheibe, die durch einen Innenacht-Schnitt in eine Sphäre-mit-Kreuzhaube entsteht, hat ein Loch, sondern: Die Scheibe, die durch einen Innenacht-Schnitt in eine Sphäre-mit-Kreuzhaube entsteht, hat dieselbe Funktion wie ein Loch in einer Sphäre.
Eine Scheibe, die sich darauf reduzieren kann, nichts zu sein
Es geht darum, so erklärt Lacan in der Sitzung vom 30. März 1966, das Phantasma kohärent zu artikulieren. Er erinnert daran, dass er das Phantasma mit $ ◊ a formalisiert hat, was man so lesen könne: ausgestrichenes S, Schnitt von klein a. Der Graph des Begehrens zeige, wie das Begehren vom Phantasma bezaubert wird, von der Spaltung des Subjekts, insofern sie durch das Objekt a verursacht ist. Danach heißt es:
„Hier kann die Verwendung der anderen topologischen Flächen, deren Funktion ich Ihnen angekündigt habe, für uns nützlich sein.
Ich muss mich nicht breit darüber auslassen, denke ich, was auf dem Niveau der projektiven Ebene beschrieben werden kann, da es doch besonders einfach ist – und das habe ich oft getan –, sie hier durch etwas darzustellen, was ich vorhin unangemessenerweise als cross-cap bezeichnet habe. Denn dieses Unangemessene erlaubt uns die Bemerkung – aber nennen wir sie doch weiterhin so; ‚mit einer Mitra versehene Sphäre‘, das mag ich nicht besonders –, dass wir wahrnehmen, dass ein Schnitt…
der beeindruckenderweise exakt dieselbe Struktur einer doppelten Schleife hat wie der Schnitt, der es uns auf dem Niveau des Torus gestattet, die Anwesenheit des zentralen Lochs nachzuweisen, selbst für die flachen Wesen – obwohl ich Sie darauf aufmerksam mache, dass diese Anwesenheit auf dem Niveau des einfachen Schnitts [Abb. 6], des Kreises von Villarceau, ganz unerkennbar ist
…dass diese doppelte Schleife hier [Abb. 7] die Wirkung hat…
ich denke, ich habe Ihnen das oft genug beschrieben, sodass Sie sich daran erinnern
…die Fläche zu teilen, im Gegensatz zu dem, was bei der doppelten Schleife dann, wenn sie auf dem Torus realisiert wird, geschieht: der Torus bleibt ein einziges zusammenhängendes Stück.
Hier jedoch [Abb. 8] haben wir im Zentrum die Fläche, die aus dem besteht, was wir, wenn Sie mögen, als falsche Scheibe bezeichnen können, die jedoch tatsächlich eine Scheibe ist, von der wir seit langem wissen, dass ich sie als Stütze oder als Gerüst und schließlich als Ursache für die Illusion des Begehrens auffasse, anders gesagt als Äquivalent für das Objekt a.
Der andere Teil der cross-cap ist ja –; das lässt sich leicht nachweisen, ich habe das mal getan, in derselben lang zurückliegenden Zeit, im Jahre ’62, mit Zeichnungen, an die einige sich noch erinnern, ungewöhnlich raffinierten Zeichnungen, aber dafür, die Details zu reproduzieren, bin ich wirklich ein bisschen zu müde. Daran war uns nur eins wichtig, nämlich dass man bei bestimmten Umwandlungen sieht, bei Umwandlungen, die darin bestehen, dass man die Falte, die hier ist, auseinanderfaltet und sie außerdem hier reduziert, dass man also dabei sieht, dass der andere Teil, nennen wir ihn Teil (B) – und den hier (a) –, dass der andere Teil ein Möbiusband ist.“41
Die projektive Ebene kann durch eine Fläche dargestellt werden, die Lacan zuvor als „Kreuzhaube“ bezeichnet hatte – was unangemessen war, wie er einräumt. Die korrekte Formulierung wäre gewesen, dass die projektive Ebene durch ein Sphärensegment dargestellt werden kann, der eine Mitra bzw. eine Kreuzhaube aufgesetzt ist. Der Ausdruck „mit Mitra versehene Sphäre“ gefällt Lacan jedoch nicht, wie er sagt, er kündigt an, dass er für diese Fläche weiterhin den Ausdruck „Kreuzhaube“ verwenden wird, dass ihm also „Kreuzhaube“ als Kürzel dienen wird für „mit Kreuzhaube versehenes Segment einer Sphäre“.
Er spricht dann über einen bestimmten Schnitt in die Kreuzhaube (die einem Sphärensegment aufgesetzt ist), einen Schnitt in Gestalt einer doppelten Schleife, einer Innenacht.
Diesen Innenacht-Schnitt kann man auch auf einem Torus anbringen und mit ihm das für Lacan entscheidende Merkmal des Torus kenntlich machen, das zentrale Loch; durch den Innenacht-Schnitt kann man es superflachen mathematischen Ameisen zugänglich machen, die auf dem Torus leben und sonst nichts von der Welt kennen. Lacans These hier lautet also: Durch den Innenacht-Schnitt kann das extrinsische Merkmal des zentralen Lochs intrinsisch artikuliert werden.
Der Innenacht-Schnitt öffnet den Torus, zerteilt ihn aber nicht. Bei der Kreuzhaube (die einem Sphärenabschnitt aufgesetzt ist) ist es hingegen so, dass sie durch den Innenacht-Schnitt in zwei Teilflächen zerlegt wird, in eine (zweiseitige) Scheibe und ein (einseitiges) Möbiusband.
Lacan merkt an, dass man die Scheibe als „falsche Scheibe“ bezeichnen könnte (vielleicht deshalb, weil sie in sich verdreht ist), dass sie jedoch eine echte Scheibe ist, nämlich eine zweiseitige Fläche mit Rand, und erinnert daran, dass er die Scheibe als Äquivalent für das Objekt a verwendet, für die Ursache des Begehrens (Abb. 8, Teil a).
Danach heißt es:
… „Im Verlauf der Darlegungen können Sie auf dieser Figur alle möglichen hinreißenden Illusionen erscheinen lassen. Vergleichen Sie es mit der Form der Ohrmuschel, mit einem Medianschnitt, der die Einstülpungen der äußeren Formen des Gehirns zeigt oder auch mit irgendetwas anderem, etwa mit einem Schnitt in die Eihäute – all das hat nur den Wert einer Anregung, vielleicht nicht ohne uns darauf hinzuweisen, dass einige dieser in sich eingerollten Formen überall in das Innere des Organismus eingeschrieben sind.
Können wir uns dann aber nicht die Frage stellen, ob wir hier eine Bestätigung für das finden, was wir gesucht haben – im Hinblick auf das, was ich bislang annäherungsweise als das zentrale Loch des Torus bezeichnet habe –, eine Bestätigung für den Hinweis, dass auf der Ebene des Torus…
und die Sache wird dann von Bedeutung sein, wenn wir beispielsweise dazu kommen, das imitative Funktionieren zweier Tori zu symbolisieren, wobei sie uns etwa dazu dienen, eine bestimmte Beziehung der Neurose darzustellen, jene, bei der das Begehren des Subjekts an den Anspruch des anderen gebunden ist
…für die Anregung, dass hier das Loch, also etwas Ungreifbares, den Platz des Objekts a repräsentiert.
Wenn wir das in seinem Träger auf dem Niveau einer anderen Fläche wie der cross-cap finden, sehen wir da nicht eine Anregung, die vom operativen Standpunkt aus wertvoll sein könnte?“42
Lacan betont zu Beginn der zitierten Stelle die Ähnlichkeit der in Scheibe und Möbiusband zerlegten Kreuzhaube (die einem Sphärensegment aufgesetzt ist) mit bestimmten Formen der menschlichen Anatomie; vielleicht um anzudeuten, dass es für die Psychoanalyse nicht nur um die Phantasmen geht, sondern auch um die Triebe und die Lüste und damit um den Körper.
Er erinnert dann daran, dass das Gebilde, das er als „zentrales Loch des Torus“ bezeichnet hatte – „annäherungsweise“, wie er distanzierend sagt –, dass dieses Gebilde für ihn den Platz des Objekts a repräsentiert. Das Objekt a ist ein Verlust, ein Mangel; es wird durch ein Loch dargestellt, durch etwas Ungreifbares.
Lacan stellt danach die Frage, ob die Kreuzhaube (die einem Sphärensegment aufgesetzt ist) etwas Ähnliches hat, eine Art zentrales Loch. Wir sind also beim Thema.
… „Das wird uns durch etwas bestätigt, und zwar durch Folgendes. Ein Torus besteht aus der Vernähung der beiden Ränder, der beiden Löcher, die die Grenzen eines Zylinders oder, wenn Sie so wollen, eines gelochten Jadesteins bilden [Abb. 9a].
Es ist ja nicht ohne Bedeutung, dass so etwas wie gelochte Jadesteine seit langem hergestellt wird. Natürlich wissen wir nicht mehr, was das bedeutet, es ist jedoch sehr wahrscheinlich, dass diejenigen, die sich ursprünglich die Mühe gemacht haben, sie herzustellen, dass sie wussten, dass das für etwas nützlich sein konnte. Es gibt nicht viele von Natur aus gelochte Formen, und es ist nicht ohne Bedeutung, dass die chinesische Druckgrafik in ihren sämtlichen Aussagen und Assoziationen deutlich bekundet, dass die Formen des Lochsteins, die sie uns überreichlich zeigt, immer mit erotischen Themen verbunden sind. Klammer zu.
Wie ist eine projektive Ebene konstituiert? Ich gebe Ihnen sofort die strenge Form, um Ihnen zu zeigen, an welcher Kreuzung uns diese Ebene begegnet und wie sie konstruiert wird…
diese Form ist jedoch zugleich die Wesentlichste, ich meine in einer topologischen Darstellung, diejenige Form, die üblicherweise völlig akzeptiert wird, die gültig und grundlegend ist
…nämlich diese hier: Gehen Sie von einer Figur aus, die, wie Sie sehen, wie die andere aus zwei Kreisen besteht, die den Rand eines Zylinders bilden [Abb. 9b43], und identifizieren Sie jeden Punkt des einen Kreises mit dem diametral gegenüberliegenden Punkt des anderen.
Mit anderen Worten, das, was beim Möbiusband so dargestellt wird [Abb. 10a]: das heißt, wenn Sie es um eine halbe Runde verdrehen und diesen Pfeil so anlegen, in seiner Richtung natürlich, dass er auf dem anderen Pfeil, der in die entgegengesetzte Richtung zeigt, aufruht, dann erhalten Sie ein Möbiusband.
Vollziehen Sie nun also diese Operation mit zwei kreisförmigen Grenzen.
Damit haben sie dann, dass das, was hier in diese Richtung geht, sich hier in der Richtung verbindet.
Bei diesem Schnitt selbst ist leicht zu sehen, dass in einer solchen Topologie, derjenigen der projektiven Ebene, die zentrale Scheibe…
auch wenn das der Intuition nicht ohne weiteres zugänglich ist, aber als ich es Ihnen so dargestellt habe, haben Sie es sofort gesehen
…dass die zentrale Scheibe kein Loch ist, sondern einen Teil der Fläche bildet.
Deshalb sagt man über die projektive Ebene – ich bringe Ihnen da nichts bei –, ich weiß nicht, das mag Sie überraschen, aber beziehen Sie sich auf die Lehrbücher zur Topologie, Sie werden dort sehen, was als grundlegend angesehen wird, nämlich dies, dass sich die projektive Ebene aus zwei Teilen zusammensetzt, aus einer zentralen Scheibe und aus dem, wovon sie umgeben ist und was die Struktur eines Möbiusbandes hat, von dem ich annehme, dass es durch diese Figur hinreichend veranschaulicht ist.
Bis auf dies, dass diese zentrale Scheibe, da sie eine wahre Scheibe ist, völlig verschwindend ist.
Sodass also gleichermaßen wahr ist, dass die projektive Ebene das ist, was ich jetzt hier für Sie zeichne…
nämlich einfach eine Fläche, die so ist, dass jeder unserer Punkte mit dem diametral gegenüberliegenden Punkt identisch ist
…es ist nicht notwendig, dass die zentrale Scheibe erscheint, sie kann sich darauf reduzieren, nichts zu sein.
Worin sich ihre herausragende Eigenschaft zeigt, um eine bestimmte Dimension des Objekts a zu repräsentieren und ganz besonders beispielsweise den Blick, dessen Eigenschaft als Objekt und als Falle genau darin besteht, dass er vollständig getilgt sein kann.“44
Um die Frage zu beantworten, ob es bei der Sphäre-mit-Kreuzhaube eine Entsprechung zum zentralen Loch des Torus gibt, vergleicht Lacan die Struktur des Torus mit der Struktur der Sphäre-mit-Kreuzhaube. Er geht hierbei vom Rand aus, d.h. von einer bestimmten Form des Lochs.
Ein Torus lässt sich ausgehend von einem Zylinder konstruieren, dadurch, dass man die beiden Ränder miteinander verbindet. Ein Torus entsteht also ausgehend von zwei kreisförmigen Löchern. Die Fläche, die man durch die Verbindung der Ränder erhält, hat ebenfalls ein Loch, ein Loch anderen Typs, ein Loch wie man es beispielsweise von gelochten Jadesteinen her kennt. In chinesischen Graphiken sind sie immer mit erotischen Themen verbunden.
Auch eine projektive Ebene lässt sich so konstruieren, dass man von zwei Kreislinien ausgeht. Man ordnet sie konzentrisch an, legt fest, dass die beiden Ränder entgegengesetzte Orientierung haben und verklebt dann (in Gedanken) Punkt a mit dem gegenüberliegenden Punkt aˈ, Punkt b mit Punkt bˈ usw. Man verfährt also – das ist entscheidend – wie bei der Darstellung eines Möbiusbandes durch ein orientiertes Rechteck oder durch einen orientierten Kreisumfang.
Lacan wechselt nun zu einer anderen Darstellung der projektiven Ebene, zur Sphäre-mit-Kreuzhaube. Wenn man einen Innenacht-Schnitt in ihr anbringt (der zweimal um die Durchdringungslinie herum führt), zerfällt sie in ein Möbiusband und eine Scheibe und es ist leicht zu sehen, sagt er, dass die zentrale Scheibe kein Loch ist, sondern eine Fläche. Das sei der Intuition nicht ohne weiteres zugänglich, in Lacans Darstellung habe man es jedoch sofort sehen können. Entsprechend heiße es in den Lehrbüchern der Topologie, dass die projektive Ebene sich aus zwei Teilflächen zusammensetzt, aus einer zentralen Scheibe und aus einem Möbiusband.
Die Frage war, ob es in der Sphäre-mit-Kreuzhaube eine Entsprechung zum zentralen Loch des Torus gibt, und die erste Antwort ist negativ: Die Scheibe ist keine solche Entsprechung, sie ist kein Loch, sondern eine Fläche.
Am Auffälligsten ist hier, dass Lacan nicht vom Loch in der Scheibe spricht. Hat er die These aufgegeben, dass die Scheibe ein Loch hat?
Es folgt der Satz, der die Wendung bringt, ich zitiere ihn noch einmal:
„Bis auf dies, dass diese zentrale Scheibe, da sie eine wahre Scheibe ist, völlig verschwindend ist.“
Die zentrale Scheibe ist eine „wahre“ Scheibe, eine echte Scheibe. Damit dürfte gemeint sein, dass sie (im Gegensatz zum Möbiusband) eine zweiseitige Fläche ist und dass sie (wie das Möbiusband) nur einen Rand hat.
Da sie eine wahre Scheibe ist, ist sie verschwindend, sie kann sich darauf reduzieren, nichts zu sein.
Inwiefern? Klar ist, dass die Scheibe für Lacan das Objekt a repräsentiert und dass dieses Objekt ein verlorenes oder verschwindendes Objekt ist. Wenn die Scheibe verschwindend wäre, hätte man in ihr eine wunderbare Entsprechung zum zentralen Loch des Torus; das Gesuchte wäre gefunden.
Aber was heißt es topologisch, dass die Scheibe „verschwindend“ ist, dass sie „nichts“ ist?
Lacan deutet sein Argument nur an. Ich kann hier nur Mutmaßungen darüber anstellen, was gemeint sein könnte. Vielleicht dies:
– Die projektive Ebene kann auf verschiedene Weisen erzeugt werden. Eine Form ist die Sphäre-mit-Kreuzhaube. Eine andere Form beruht auf zwei konzentrischen Kreislinien mit entgegengesetzter Orientierung.
– Wenn man von einer Sphäre-mit-Kreuzhaube ausgeht und in ihr einen bestimmten Schnitt anbringt, erhält man ein Möbiusband und eine Scheibe; so gesehen ist die Scheibe eine Komponente der projektiven Ebene.
– Wenn man von zwei konzentrischen Kreisen ausgeht, verfährt man ähnlich wie bei der Konstruktion eines Möbiusbandes. Beim Möbiusband beginnt man mit einem einzelnen Rand, bei der projektiven Ebene mit zweien. Die Herstellung einer projektiven Ebene ausgehend von zwei konzentrischen Kreisen reduziert sich letztlich auf die Erzeugung einer bestimmten Version des Möbiusbandes.
– Wenn wir die projektive Ebene auf diese Weise herstellen, ausgehend von zwei konzentrischen Kreisen, beschränken wir uns auf das Möbiusband, benötigen also keine zweite Fläche, keine Scheibe. Die projektive Ebene reduziert sich letztlich auf ein Möbiusband, das ein zweites Mal in sich verwunden ist.
– Also ist die Scheibe letztlich verschwindend.
Oder hat er hier den Begriff der Kontrahierbarkeit im Sinn? Eine Kreisscheibe kann auf einen Punkt kontrahiert werden. Aber ist ein Punkt ein Nichts?
Lacan fährt an der zuletzt zitierten Stelle so fort: Deshalb, weil die zentrale Scheibe verschwindend ist, weil sie sich darauf reduzieren kann, nichts zu sein, ist sie geeignet, das Objekt a zu repräsentieren, vor allem den Blick. Denn der Blick als Objekt a und als Falle kann völlig getilgt sein. Der Blick kann demnach insofern als Ursache des Begehrens fungieren, als Falle für das Begehren, als er getilgt sein kann.
Etwas Gelochtes, wodurch das Eindringen des Objekts a möglich wird
In der Sitzung vom 11. Mai 1966 spricht Lacan im Zusammenhang der Perspektivenkonstruktion über die Sphäre-mit-Kreuzhaube. Zur Herstellung eines perspektivischen Bildes benötigt man ein „Fenster“, das den Bildausschnitt erzeugt; was entspricht dem Fenster in der projektiven Ebene bzw. in der Sphäre-mit-Kreuzhaube? Ich habe die Stelle zu Beginn dieses Artikels bereits zitiert und wiederhole sie hier:
„Nennen wir sie [die Funktion des Fensters] mit dem Namen, der ihr zukommt, sie ist genau in dieser geschlossenen Struktur […], in der Struktur der projektiven Ebene in ihrer rein topologischen Form, nämlich in der Hülle der cross-cap, sie ist in dieser Struktur dieses Gelochte, das es genau ermöglicht, dass sich hier das Eindringen vollzieht, von dem dann die Herstellung der Subjektspaltung abhängt, also streng gesagt das, was wir das Objekt a nennen.“45
Das Fenster ist in der Kreuzhaube etwas Gelochtes, und das Gelochte ermöglicht das Eindringen (irruption) des Objekts a. Mit „Kreuzhaube“ ist hier die Sphäre-mit-Kreuzhaube gemeint, Lacan bezieht sich ausdrücklich auf die projektive Ebene und spricht von einer geschlossenen Struktur. In der geschlossenen Struktur der Sphäre-mit-Kreuzhaube gibt es demnach „etwas Gelochtes“, also ein Loch. Was für ein Loch, ein Loch ohne Rand oder ein Loch mit Rand? Wo sitzt es?
Das Gelochte in der Sphäre-mit-Kreuzhaube ermöglicht das Hereinbrechen des Objekts a. Dem Objekt a entspricht die zweiseitige Scheibe, und die Scheibe wird durch einen Innenacht-Schnitt um den Zentralpunkt herum abgetrennt.
Ist mit dem „Gelochten“ hier der Innenacht-Schnitt gemeint, also nicht das „Gelochte“, sondern das „Lochen“?
Ist das Gelochte hier der Zentralpunkt, der insofern das Eindringen des Objekts a ermöglicht, als der Schnitt um den Zentralpunkt herumführen muss (zumindest in Lacans Darstellung)?
Oder wird hier die Scheibe selbst als Loch aufgefasst (zuvor hieß es ja, sie habe dieselbe Funktion wie ein Loch)? Wird hier die Konzeption des Zentralpunkts als Loch-in-der-Scheibe fallengelassen?
In der Sitzung vom 25. Mai 1966 kommt Lacan auf die Kreuzhaube zurück; im Kontext geht es um das Bild Las meninas:
„Ich entschuldige mich bei denen, die keine Übung im Umgang mit dem haben, was ich früher zur Ordnung meiner Topologie vorgebracht habe, nämlich mit diesem kleinen Objekt, das cross-cap oder projektive Ebene heißt, wo mit einer schlichten Runde der Schere das Fallen des Objekts a herausgeschnitten werden kann, was dazu führt, dass dieses doppelt eingerollte S erscheint, woraus das Subjekt gebildet ist.
Es ist klar, dass in der Kluft, die durch das Herausfallen des Objekts realisiert wird, welches in diesem Zusammenhang der Blick des Malers ist, das, was sich dann darin einschreibt, ein Doppelobjekt ist, wenn ich so sagen kann, denn es enthält einen Ambozeptor.“46
Mit einer schlichten Runde der Schere kann das Herausfallen des Objekts a herbeigeführt werden. Das ist dicht bei der Formulierung, dass etwas Gelochtes das Eindringen des Objekts a ermöglicht. Und das spricht vielleicht dafür, dass sich das „Gelochte“ im vorhergehenden Zitat auf den Schnitt bezieht, durch den das Objekt a herausgetrennt wird. Oder?
In Seminar 14, Die Logik des Phantasmas, geht es zwar auch um die Sphäre-mit-Kreuzhaube, nicht jedoch um das Loch in dieser Fläche. In Seminar 15, Der psychoanalytische Akt, ist die Sphäre-mit-Kreuzhaube kein Thema.
Seminar 16, Von einem Anderen zum anderen (1968/69)
Das, wo das Objekt a als Abwesenheit gesetzt wird
In der Sitzung vom 27. November 1968 entwickelt Lacan ein Schema über die Beziehung zwischen dem Signifikanten und dem Anderen, mit „S“ für Signifikant und „A“ für Anderer. Ausgehend von S → A kommt er schrittweise zu einem Diagramm, das eine Kaskade von Einschachtelungen darstellt47:Er kommentiert die Zeichnung so:
„Anders gesagt, dieser Kreis – von dem her, was aus dieser Notation der Asymmetrie hervorgeht, am weitesten in eine Richtung vorangetrieben – gelangt letztlich immer dazu, sich mit dem Ausgangskreis zu verbinden; diese Flucht, die dazu führt, dass eine Hülle ihr Außen in ihrem Inneren wiederfindet, ist das, was – ob Sie die Verwandtschaft nun spüren oder nicht –, ist das, was wir in einem der vorangehenden Jahre bereits in der topologischen Form der projektiven Ebene gezeichnet haben und was wir, in einer für das Auge materialisierten Weise, durch die cross-cap veranschaulicht haben.“48
Das Einschachtelungs-Diagramm entspricht demnach – zumindest für den abstrahierenden Blick von Lacan – der projektiven Ebene bzw. der Sphäre-mit-Kreuzhaube. Nach weiteren Erläuterungen zum Schema heißt es:
„Dies – ich entschuldige mich dafür, wenn ich damit schließe – ist sicherlich ein wenig schwierig. Beachten Sie jedoch, wenn Sie sehen, wie dieser Prozess sich ausweitet – von sukzessiven Ausgängen aus Hüllen, die niemals fruchtlos sind und die auch niemals eingeschlossen werden können –, dass damit angezeigt wird, dass das, was hier von der Spaltung des Subjekts greifbar ist, genau aus dem Punkt hervorgeht…
den wir mit einer räumlichen Metapher als Loch bezeichnen, insofern dies die Struktur der cross-cap oder der Klein’schen Flasche ist
…genau aus dem Zentrum hervorgeht, wo das a als Abwesenheit gesetzt wird.“49
Das, was von der Spaltung des Subjekts greifbar ist, geht aus einem Punkt hervor, aus dem Zentrum, wo das a als Abwesenheit gesetzt ist. Anders gesagt, das Objekt a ist ein abwesendes Objekt, ein fehlendes Objekt, und das Fehlen des Objekts ist die Ursache für die Subjektspaltung.
Dieser Punkt wird als Loch bezeichnet. „Loch“ ist hierbei zunächst eine Metapher. Die Spaltung des Subjekts entsteht dadurch, dass an der Stelle des Objekts ein Loch ist, entsteht dadurch, dass das Objekt fehlt.
Die räumliche Metapher des Lochs lässt sich, sagt Lacan, auf topologische Strukturen beziehen, auf die Sphäre-mit-Kreuzhaube und auf die Klein’sche Flasche: Das Loch, so heißt es, ist die Struktur der Sphäre-mit-Kreuzhaube und der Klein’schen Flasche. Die Sphäre-mit-Kreuzhaube wird auch hier vom Loch her begriffen, entscheidend an der Struktur der Sphäre-mit-Kreuzhaube ist das Loch.
Lässt sich an der zitierten Stelle der Begriff des Zentrums auf den Zentralpunkt der Sphäre-mit-Kreuzhaube beziehen?
Das Loch der Sphäre-mit-Kreuzhaube wird an der zitierten Stelle auf das Objekt a bezogen, nicht auf den Phallus. Identifiziert Lacan hier die Scheibe mit dem Loch? Kommt es also in den Seminaren 13 und 16 zu einem Wechsel in der Konzeption der Scheibe, so dass man sagen kann: In diesen Seminaren wird die Scheibe selbst als Loch aufgefasst? Lacans Hinweise sind so spärlich, dass sich das wohl kaum entscheiden lässt. Abgesehen davon: Was könnte es heißen, dass man eine Fläche mit einem Loch gleichsetzt?
L’étourdit (1972)
„bereits von einem Punkt gestochen“
Die späteste Bemerkung, in der Lacan die Kreuzhaube zu einem Loch in Beziehung setzt, findet man in dem Aufsatz L’étourdit, 1972 geschrieben.
Wieder mal geht es um die Kreuzhaube, die durch einen Schnitt in Form einer Innenacht in ein einseitiges Möbiusband und eine zweiseitige Fläche zerlegt wird (wobei das Möbiusband dem Subjekt entspricht und die zweiseitige Fläche dem Objekt a). Nach diesem Schnitt haben das Möbiusband und die zweiseitige Fläche dieselbe Randstruktur: die einer Innenacht, einer Doppelschleife. Das Möbiusband, so hatte Lacan in diesem Aufsatz bereits an früherer Stelle behauptet, lässt sich auf eine geschlossene Linie reduzieren und die zweiseitige Fläche auf einen Punkt; die geschlossene Linie hatte er als „Linie ohne Punkte“ bezeichnet (warum, ist mir nicht klar), den Punkt als „Punkt außerhalb der Linie“ (auch dieser Name ist mir ein Rätsel).
Hier also das die Passage, in der diese Konstruktion auf ein Loch bezogen wird. Ich möchte vorausschicken, dass ich sie nur annäherungsweise verstehe.
„Linie ohne Punkte, habe ich über den Schnitt gesagt, insofern er ja selbst das Möbiusband ist, insofern sich einer der Ränder des Bandes, nach der Runde, womit er sich schließt, im anderen Rand fortsetzt.
Dies kann sich jedoch nur durch eine Fläche herstellen, die bereits durchstochen ist von einem Punkt (déjà piquée d’un point), von dem ich gesagt habe, er sei außerhalb der Linie, von daher, dass er durch eine Doppelschleife gekennzeichnet ist, die sich jedoch auf einer Sphäre ausbreiten kann: derart, dass es zwar eine Sphäre ist, woraus er herausgeschnitten ist, jedoch so, dass er durch die Doppelschleife aus der Sphäre eine Asphäre oder cross-cap macht.
Was der Punkt, da er der Sphäre entlehnt ist, jedoch auf die cross-cap übergehen lässt, ist dies, dass ein Schnitt, den er auf möbiussche Weise in der Fläche anbringt, die er determiniert, indem er ihn ermöglicht, dass ein solcher Schnitt diese Fläche dem sphärischen Modus übergibt: denn von daher, dass der Schnitt ihm/ihr gleichwertig ist, ‚projiziert sich darauf“, wie ich gesagt habe, das, wodurch sie zur cross-cap ergänzt wurde.
Da man jedoch von dieser Fläche, damit sie diesen Schnitt ermöglicht, sagen kann, dass sie aus Linien ohne Punkten besteht, wodurch sich ihre Vorderseite überall mit ihrer Rückseite vernäht, so kann der ergänzende Punkt, da er sich sphärisieren kann, bei einer cross-cap überall fixiert werden.
Jedoch muss diese Fixion als einziger Punkt außerhalb der Linie gewählt werden, damit ein Schnitt, wenn er eine und nur eine Runde um ihn herum dreht, hier die Wirkung hat, sie in einen Punkt aufzulösen, der sphärisch ausgebreitet werden kann.“50
Das Möbiusband, das durch den Innenacht-Schnitt entsteht, ist eine „Linie ohne Punkte“. Zur Begründung verweist Lacan auf den Rand des Möbiusbandes; dieser Rand, soviel ist klar, hat die Form einer Innenacht. Was ist damit gemeint, dass sich der eine Rand nach einer Runde, in der er sich schließt, im anderen Rand fortsetzt? Möglicherweise ist das nichts anderes als eine Beschreibung der Innenacht-Struktur des Randes des Möbiusbandes. Ist die Randlinie des Möbiusbandes vielleicht in dem Sinne eine Linie ohne Punkte, als man keine Kante (keinen Punkt) überqueren muss, um von einem beliebigen Stelle aus zu deren Rückseite zu gelangen? Linie ohne Überquerungspunkt?
Im nächsten Absatz spricht Lacan über die zweite Komponente der zerlegten Kreuzhaube, über die zweiseitige Fläche mit Rand. Diese Fläche ist bereits von einem Punkt durchstochen. Damit haben wir also, wie im Seminar über die Identifizierung, ein Loch, das die Größe eines Punktes hat. Um welchen Punkt und um welches Loch handelt es sich? Und warum heißt dieser Punkt „Punkt außerhalb der Linie“?
Die zitierte Stelle ist für mich rätselhaft. Ich vermute, dass Lacan hier die zweiseitige Fläche mit Rand (die sich beim Innenachtschnitt in die Kreuzhaube ergibt) auf eine Sphäre zurückführt, auf eine zweiseitige Fläche ohne Rand. Wenn man in eine Sphäre ein Loch sticht, verwandelt sie sich in eine zweiseitige Fläche mit Rand. Für diese Vermutung stütze ich mich auf die Beobachtung, dass Lacan Sphäre und Ebene häufig gleichsetzt.51 Dann wäre das Loch, um das es an dieser Stelle geht, also das punktförmige Loch, durch das eine Sphäre in eine Ebene verwandelt wird. Von diesem Loch war bereits im Seminar über die Identifizierung die Rede. Wie dieses Loch im Rahmen der Topologie genau einen Punkt groß sein, ist mir weiterhin schleierhaft. Klar ist: wenn man das punktförmige Loch ausweitet und die genau gegenüberliegenden Punkt des Randes miteinander gleichsetzt, erhält man eine Kreuzhaube. Das Loch, von dem an der zitierten Stelle die Rede ist, wäre also kein Loch in der Kreuzhaube, sondern ein Loch in der Sphäre als Ausgangspunkt zur Konstruktion einer Kreuzhaube.
Warum bezeichnet Lacan diesen Lochpunkt als Punkt außerhalb der Linie? Soll damit gesagt werden, dass die zweiseitige Fläche (also letztlich der Punkt) und das Möbiusband (also letztlich die Linie) voneinander getrennt sind: durch den Schnitt in Form einer Innenacht – ?
Falls man die Gleichsetzung zwischen der Sphäre und der Fläche mit Rand akzeptiert, lässt sich damit immerhin verständlich machen, was es heißen könnte, dass die Doppelschleife sich auf einer Sphäre ausbreiten kann. Damit könnte ganz schlicht gemeint sein: Der Rand der zweiseitigen Fläche hat die Form einer Doppelschleife.
Weiter heißt es bei Lacan: Der Punkt macht durch die Doppelschleife aus der Sphäre eine Kreuzhaube. Das ist vielleicht so zu verstehen: durch den Rand in Form einer Doppelschleife wird die Sphäre (die zweiseitige Fläche mit Rand) zu einer Kreuzhaube, insofern nämlich, als auf diesen Rand ein Möbiusband aufgesetzt werden kann.
Im nächsten Absatz liest man: Der Punkt ist der Sphäre entlehnt. Damit ist immerhin klar, dass der Punkt von der Sphäre her begriffen werden muss, mehr noch: dass er aus der Sphäre hervorgeht.
Danach: Der Punkt bringt auf einer Fläche (auf welcher?) einen Schnitt an; der Schnitt hat möbiusschen Charakter, und das heißt wohl: er hat die Form einer Innenacht. Weiter Lacan: Dieser Schnitt übergibt die Fläche dem sphärischen Modus – also erzeugt dieser Schnitt wohl den Rand der zweiseitigen Fläche. Den Rest dieses Absatzes habe ich so wenig verstanden, dass ich nicht einmal Mutmaßungen anstellen möchte.
Der anschließende Abschnitt scheint zu besagen: Bei einem Möbiusband (Linien ohne Punkte) geht die Vorderseite überall in die Rückseite über; ebenso kann bei einer Kreuzhaube die ergänzende zweiseitige Fläche (Punkt außerhalb der Linie) überall fixiert werden. Dann: Der Punkt kann sich sphärisieren: er geht nicht nur aus der Sphäre hervor, er kann auch wieder zur Sphäre werden. Möglicherweise soll hier außerdem angedeutet werden, dass die Linie insofern eine Linie ohne Punkt ist, als ihre Vorderseite überall in ihre Rückseite; dadurch wird die Vermutung bestärkt, dass „ohne Punkt“ besagen könnte: ohne Übergangspunkt, ohne fixierte Punkte des Übergangs von der Vorderseite zur Rückseite, ohne Kante.
Der letzte zitierte Absatz fügt offenbar eine Spezifizierung hinzu: Der ergänzende Punkt kann zwar überall fixiert werden, es darf jedoch nur einen solchen Punkt geben.
Soweit ich es erkennen oder besser erahnen kann, ist das Loch, von dem in der zitierten Passage die Rede ist, also das Loch, das man in einer Sphäre anbringen muss, um daraus (durch Identifizierung der Diametralpunkte) eine Kreuzhaube zu erzeugen – kein Loch in der Kreuzhaube, sondern ein Loch zur Herstellung einer Kreuzhaube.
Resümee
Im Seminar Das Objekt der Psychoanalyse sagt Lacan, in der Sphäre-mit-Kreuzhaube gebe es etwas „Gelochtes“, durch das sich das Eindringen des Objekts a vollzieht. Was hat es mit diesem Loch auf sich?
Wenn man die einschlägigen Texte der Primär- und der Sekundärliteratur gelesen hat, ist so viel klar: Wenn man eine Sphäre-mit-Kreuzhaube durch einen geschlossenen Schnitt zerteilt, der zweimal um die Durchdringungslinie und um den Zentralpunkt herumführt, zerfällt sie in ein einseitiges Möbiusband und eine zweiseitige Scheibe (als „Zentralpunkt“ bezeichnet Lacan häufig einen der beiden singulären Punkte, die er auf einen reduziert). Dieser Effekt entsteht auch bei bestimmten anderen Schnitten, Lacan klammert sie weitgehend aus. Er ordnet das Möbiusband dem Subjekt zu und die zweiseitige Scheibe dem Objekt a.
Dass die Sphäre-mit-Kreuzhaube durch einen Innenachtschnitt um den Zentralpunkt herum in ein Möbiusband und eine Scheibe zerfällt, scheint topologisch unproblematisch zu sein. Aber was hat es mit dem Loch in der Sphäre-mit-Kreuzhaube auf sich, durch das sich das Hereinbrechen des Objekts a vollzieht? Wo hat die Sphäre-mit-Kreuzhaube ein Loch und um welche Art von Loch handelt es sich, vor und nach dem Schnitt? Ist Lacans Idee vom Loch in der Sphäre-mit-Kreuzhaube topologisch haltbar?
Chronologisch
Hier ein chronologischer Überblick über Lacans Antworten.
Die Identifizierung (Seminar 9 von 1961/62)
Die topologischen Flächen sind vom Loch her zu begreifen, sie sind die Träger, die Stützen, die Organisationen des Lochs.52.
: Demnach ist die Frage nach dem Loch für alles, was die Sphäre-mit-Kreuzhaube angeht, entscheidend.
Für das Loch in der Fläche gibt es eine psychoanalytische Entsprechung: Das Loch entspricht dem Mangel, dem Begehren, dem Phallus.53
Für den Torus und für das Möbiusband ist der Zusammenhang zwischen Fläche und Loch topologisch klar, beide Flächen sind gewissermaßen um ein zentrales Loch herum gebaut.54 (Ich ergänze: Der Torus ist um ein Loch ohne Rand herum organisiert, das Möbiusband um ein Loch mit Rand.)
Auch die Sphäre-mit-Kreuzhaube muss vom Loch her begriffen werden.55
Die Sphäre-mit-Kreuzhaube ist eine Fläche ohne Rand.56.
Die Sphäre-mit-Kreuzhaube ist der „Platz des Lochs“57..
: Demnach wäre das Loch in der Sphäre-mit-Kreuzhaube ein Loch ohne Rand.
Die Sphäre-mit-Kreuzhaube ist um einen singulären Punkt herum organisiert, um den „Zentralpunkt“.58 (Tatsächlich gibt es zwei solche singuläre Punkte, Lacan reduziert sie auf einen.) Der Zentralpunkt der Sphäre-mit-Kreuzhaube ist ein mathematischer Punkt im strengen Sinne des Wortes, er hat also die Dimension Null.59
Der Zentralpunkt der Sphäre-mit-Kreuzhaube ist ein Schnitt, ein punktförmiger Schnitt in die Fläche, ein Lochpunkt (point-trou). Wir können uns die Fläche nicht als ausgefüllt vorstellen.60.
: Demnach ist der singuläre Punkt der Sphäre-mit-Kreuzhaube ein Loch (bzw. sind die beiden singulären Punkte der Sphäre-mit-Kreuzhaube Löcher).
? Lassen sich die singulären Punkte der Sphäre-mit-Kreuzhaube mathematisch als Löcher rekonstruieren? (Etwa als Punkte der projektiven Ebene im vierdimensionalen Raum, die bei der Immersion in den dreidimensionalen Raum verlorengehen?) .
? Wie kann eine Fläche ohne Rand einen Lochpunkt haben? Ist gemeint, dass dieses Loch keinen Rand hat?
? Wie kann im Rahmen der Topologie, also unter der Bedingung der kontinuierlichen Verformbarkeit, die Größe eines Lochs auf einen Punkt fixiert werden? Wechselt Lacan hier zur euklidischen Geometrie?
Der Lochpunkt in der Sphäre-mit-Kreuzhaube ist die Verbindung zweier Ränder.61.
? Was ist damit gemeint? Die erste Identifizierung der Diametralpunkte?
Der Lochpunkt der Sphäre-mit-Kreuzhaube ist in der Richtung, in der er durchquert wird, gewissermaßen unzerschneidbar.62.
? Noch einmal: Was ist damit gemeint? Dass man einen geschlossenen Schnitt nicht durch ein Loch führen kann?
Der Zentralpunkt entspricht dem Phallus.63.
: Also gilt: Singulärer Punkt (Zentralpunkt) = Loch in der Sphäre-mit-Kreuzhaube ==> Phallus (bzw. Kastration).
Der singuläre Punkt der Sphäre-mit-Kreuzhaube, also der Phallus, symbolisiert das, wodurch ein Objekt a an den Platz des Lochs eingeführt werden kann.64 (Unter dem Objekt a versteht Lacan in diesem Seminar noch das Objekt des Begehrens, noch nicht die Ursache des Begehrens.)
: Offensichtlich geht es Lacan beim Loch in der Sphäre-mit-Kreuzhaube um das Verhältnis von Objekt a und Phallus bzw. Kastration: Die Kastration sorgt dafür, dass ein Objekt zum Objekt des Begehrens werden kann. Für diesen Zusammenhang sucht er nach einer topologischen Entsprechung.
? Unterscheidet Lacan an dieser Stelle den Platz des Lochs und den Phallus oder setzt er sie gleich?
Die Angst (Seminar 10 von 1962/63)
Lacan bekräftigt, dass die Sphäre-mit-Kreuzhaube einen gelochten Punkt hat.65
Für alle geschlossenen Linien, die auf einer Kreuzhaube eingetragen werden können, gilt: Sie lassen sich nicht auf einen Punkt reduzieren. Lacan setzt Kreis, Loch und Mangel gleich. Die Kreuzhaube steht also für einen irreduziblen Mangel.66
Die operativ entfernte Vorhaut hat eine ähnliche Struktur wie die Scheibe, die entsteht, wenn man in der Sphäre-mit-Kreuzhaube einen Schnitt um den Zentralpunkt herum in Gestalt einer Innenacht anbringt.67.
: Hieraus ergibt sich, dass die Scheibe eine Lochscheibe ist. Die Scheibenfläche entspricht dem Objekt a, das Loch in der Scheibe dem Phallus bzw. der Kastration.
? Wie soll es möglich sein, dass ein einzelner geschlossener Schnitt eine Fläche mit zwei Rändern erzeugt (eine Lochscheibe)? Muss die (Sphäre mit) Kreuzhaube dafür nicht bereits ein Loch mit Rand besessen haben? Ist sie also keineswegs eine Fläche ohne Rand?
Das Objekt der Psychoanalyse (Seminar 13 von 1965/66)
Die Scheibe, die beim Innenacht-Schnitt in eine Sphäre-mit-Kreuzhaube abfällt, hat dieselbe Funktion wie ein Loch in einer Sphäre. Ich vermute, dass an dieser Stelle gemeint ist: insofern, als beide zweiseitige Flächen sind, die als Stütze für ein (einseitiges) Möbiusband dienen können.68.
: Die Beziehung zwischen der Scheibe und dem Loch ist hier eine der funktionalen Äquivalenz. An dieser Stelle heißt es nicht: Die Scheibe hat ein Loch. Auch nicht: Die Scheibe ist ein Loch. Sondern: Die Scheibe funktioniert wie ein Loch (wie ein Loch in einer Sphäre), sie hat denselben Effekt.
? Deutet Lacan hier (über funktionale Äquivalenz hinausgehend) die Scheibe insgesamt als Loch?
Die durch den Innenacht-Schnitt erzeugte Scheibe ist in gewissem Sinn verschwindend. Möglicherweise ist gemeint: insofern, als die projektive Ebene auch so konstruiert werden kann, dass man ein Möbiusband noch einmal verwindet, ohne dass hierbei eine Scheibe ins Spiel kommt. Vielleicht aber auch, dass die Scheibe auf einen Punkt kontrahiert werden kann. Aufgrund ihres verschwindenden Charakters ist die Scheibe besonders geeignet, den Blick als Objekt a zu repräsentieren.69.
? Ist es also die Scheibe insgesamt, die verschwindet?
? Wird das Loch hier nicht mehr als Loch in der Scheibe begriffen, sondern wird hier die Scheibe insgesamt als Loch aufgefasst?
Das Gelochte in der Sphäre-mit-Kreuzhaube ist das, wodurch das Eindringen des Objekts a möglich wird. Bei der Konstruktion eines perspektivischen Bildes entspricht dem Gelochten das Fenster, das den Bildausschnitt erzeugt.70.
? Ist mit dem „Gelochten“ hier der Innenacht-Schnitt gemeint, also nicht das „Gelochte“, sondern das „Lochen“?
? Ist das Gelochte hier der Zentralpunkt, der insofern das Hereinbrechen des Objekts a ermöglicht, als der Schnitt um den Zentralpunkt herumführen muss (zumindest in Lacans Darstellung)?
? Oder wird hier die Scheibe selbst als Loch aufgefasst (es hieß ja, sie habe dieselbe Funktion wie ein Loch)? Wird hier die Konzeption des Zentralpunkts als Loch-in-der-Scheibe fallengelassen?
Von einem Anderen zum anderen (Seminar 16 von 1968/69)
Die Sphäre-mit-Kreuzhaube wird auch in diesem Seminar durch ihr Loch charakterisiert. Die Spaltung des Subjekts geht aus einem Punkt, einem Zentrum hervor, und dieser Punkt ist ein Loch, nämlich das Objekt a als Abwesenheit. „Loch“ ist hier einerseits eine räumliche Metapher, aber zugleich die Struktur von zwei Flächen: Sphäre-mit-Kreuzhaube und Klein’sche Flasche.71.
: Die Struktur der Sphäre-mit-Kreuzhaube wird in dieser Bemerkung auf das Loch reduziert..
: Die These, dass die Sphäre-mit-Kreuzhaube ein Loch hat und dass dies ihr wesentliches Merkmal ist, ist demnach von Seminar 9 bis Seminar 16 stabil.
: Auch hier wird das Loch als „Punkt“ bezeichnet, allerdings ist unklar, ob der Ausdruck im mathematischen Sinne gemeint ist.
: Das Loch der Sphäre-mit-Kreuzhaube wird hier auf das Objekt a bezogen, nicht auf den Phallus.
? Begreift Lacan hier die Scheibe als Loch?
L’étourdit (1972)
Die Sphäre-mit-Kreuzhaube ist eine Fläche, die bereits von einem Punkt gestochen ist.72..
? Geht es hier um den Lochpunkt der Sphäre-mit-Kreuzhaube?
Systematisch
Flächen
Lacan begreift die topologischen Flächen vom Loch her, als Träger des Lochs. Dies deshalb, weil bei ihm das Loch für das Begehren steht, für den Mangel, für die Kastration, für den Phallus.
Sphäre-mit-Kreuzhaube vor dem Schnitt
Deshalb ist auch die Sphäre-mit-Kreuzhaube für ihn wesentlich durch das Loch gekennzeichnet, sie ist der „Platz des Lochs“73. Die Charakterisierung der Sphäre-mit-Kreuzhaube durch das Loch findet man in den Seminaren 9, 10, 13 und 16; in Seminar 9 wird die Sphäre-mit-Kreuzhaube eingeführt, in Seminar 16 wird sie in den Seminaren zum letzten Mal erwähnt – die Beziehung zwischen Sphäre-mit-Kreuzhaube und Loch ist bei Lacan stabil. Wird auch in L’étourdit die Sphäre-mit-Kreuzhaube durch das Loch charakteriisert? Das habe ich nicht verstanden.
Die Sphäre-mit-Kreuzhaube hat zwei singuläre Punkte, Lacan reduziert sie auf einen, den er häufig als „Zentralpunkt“ bezeichnet; der Zentralpunkt wiederum entspricht, ihm zufolge, dem Phallus.
In Seminar 9 bestimmt Lacan den Zentralpunkt als Loch, als Lochpunkt. Mir ist nicht klar, ob das topologisch haltbar ist. Lassen sich die singulären Punkte-der-Sphäre-mit-Kreuzhaube als „Löcher“ begreifen?
Was für eine Art Loch ist gemeint, ein Loch mit Rand (wie das Loch in einer Sphäre) oder ein Loch ohne Rand?
In Seminar 9 beschreibt Lacan die Sphäre-mit-Kreuzhaube als randlose Fläche und er charakterisiert das Loch in der Sphäre-mit-Kreuzhaube als Schnitt, als Punktloch. Ist gemeint: Das Loch in der Sphäre-mit-Kreuzhaube hat keinen Rand?
Mir ist auch nicht klar, wie sich im Rahmen der Topologie, also unter der Bedingung der stetigen Verformbarkeit, von einem Loch sagen lässt, dass sich seine Größe auf einen Punkt beschränkt.
Sphäre-mit-Kreuzhaube nach dem Schnitt:
Das Loch in der Scheibe
Die Sphäre-mit-Kreuzhaube zerfällt durch einen bestimmten Schnitt (in Form einer Innenacht um den Zentralpunkt herum) in ein Möbiusband und eine Scheibe. Soweit ist das topologisch unstrittig. (Auch andere Schnitte haben diesen Effekt, Lacan klammert sie jedoch aus.)
Nach dem Schnitt befindet sich der Zentralpunkt, Lacan zufolge, in der zweiseitigen Scheibe, er ist dort ein Loch in der Scheibe, die Scheibe ist nach dem Schnitt eine zweiseitige Lochscheibe.
Die Scheibe ist für Lacan also wesentlich durch ihr Verhältnis zum Loch charakterisiert. In Seminar 9 bezieht er die Scheibe auf das Objekt a und das Loch darin auf den Phallus; das Verhältnis zwischen Scheibe und Loch stellt dar, dass ein Objekt durch den Phallus zum Objekt des Begehrens werden kann (dies ist der Theoriestand von Seminar 9, wo „Objekt a“ für das Objekt des Begehrens steht, noch nicht für die Ursache des Begehrens).
Entsteht aus dem Innenacht-Schnitt in eine Sphäre-mit-Kreuzhaube tatsächlich eine zweiseitige Lochscheibe? Ist das topologisch haltbar?
Unstrittig ist, dass eine Lochscheibe dann entsteht, wenn man eine Kreuzhaube im engeren Sinne, eine Kreuzhaube mit Rand, entlang der Durchdringungslinie aufschneidet; so findet man das in der Anschaulichen Geometrie von Hilbert und Cohn-Vossen, vgl. auf dieser Seite den Artikel Millers Kreuzhauben-Supplement. Mir ist nicht klar, wie dasselbe Ergebnis entstehen kann, wenn die Ausgangsfläche nicht eine Kreuzhaube im strengen Sinne ist, sondern eine Sphäre-mit-Kreuzhaube. Eine Lochscheibe hat zwei Ränder. Ein Rand ist durch den Schnitt produziert worden. Woher kommt der zweite Rand? Hatte die Sphäre-mit-Kreuzhaube bereits vor dem Schnitt einen Rand? War sie also keine randlose Fläche?
Die Scheibe als Loch?
Die durch den Innenacht-Schnitt entstehende Scheibe hat dieselbe Funktion, sagt Lacan in Seminar 13, wie das Loch in einer Sphäre. Was ist damit gemeint? Dass die Scheibe und das Sphärenloch beide Ansatzpunkte für die Bildung einer Sphäre-mit-Kreuzhaube sein können? Deutet Lacan hier die Scheibe insgesamt als Loch?
Die Scheibe ist verschwindend, heißt es ebenfalls in Seminar 13, vermutlich insofern, als man eine Sphäre-mit-Kreuzhaube ohne Umweg über die Scheibe konstruieren kann. Vielleicht aber auch deshalb, weil man eine Scheibe auf keinen Punkt kontrahieren kann. Ist demnach für ihn die Scheibe hier insgesamt ein Loch? Wie könnte eine Scheibe ein Loch sein?
In Seminar 13 heißt es schließlich, etwas Gelochtes in der Sphäre-mit-Kreuzhaube ermögliche das Eindringen des Objekts a. Was ist hier mit dem „Gelochten“ in der Sphäre-mit-Kreuzhaube gemeint? Der Inennacht-Schnitt? Der Zentralpunkt? Die Scheibe insgesamt?
Vollzieht Lacan in Seminar 13 einen Wechsel vom Loch in der Scheibe zur Scheibe als Loch? Lacans Hinweise sind zu knapp, um eine Antwort zu ermöglichen.
In Seminar 16 bezeichnet er das Objekt a, aus dem die Spaltung des Subjekts hervorgeht, als Loch und er bezieht dieses Loch auf die Sphäre-mit-Kreuzhaube (sowie auf die Klein’sche Flasche). Damit stellt sich wieder die Frage, ob er hier die Scheibe insgesamt als Loch deutet. Auch diese Bemerkung von Lacan hat jedoch nur andeutenden Charakter.
Fragen an Y.
Ich glaube verstanden zu haben, dass die Sphäre-mit-Kreuzhaube sich durch Immersion der projektiven Ebene in den dreidimensionalen Raum ergibt. Stimmt das?
Lacan reduziert die beiden singulären Punkte einer Sphäre-mit-Kreuzhaube auf einen und behauptet, dass dieser singuläre Punkt ein Loch ist. Lässt sich das halten?
Meine Hauptidee hierzu ist im Augenblick, dass der singuläre Punkt insofern ein Loch sein könnte, als hier die Immersion der projektiven Ebene in den dreidimensionalen Raum scheitert, der singuläre Punkt bliebe gewissermaßen im vierdimensionalen Raum zurück. Lässt sich das halten oder, falls nicht, in einer verbesserten Fassung retten?
Falls sich die beiden singulären Punkte als Löcher deuten lassen, um was für Löcher handelt es sich: um Löcher mit Rand oder um Löcher ohne Rand?
Kann eine randlose Fläche ein Loch haben, das ein punktförmiger Schnitt ist?
Falls die Sphäre-mit-Kreuzhaube ein Loch hat, was wird daraus nach dem Innenacht-Schnitt um dieses Loch herum? Hat die zweiseitige Scheibe, die dabei abfällt, ein Loch mit Rand?
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Anmerkungen
- Seminar 13, Sitzung vom 11. Mai 1966; meine Übersetzung (von hier) nach Version Roussan S. 238; Stenotypie S. 18 f.
-
Vgl. Marc Darmon: Essais sur la topologie lacanienne. Nouvelle édition, revue et augmentée. Éditions de l’Association Lacanienne Internationale, Paris 2004, darin Kapitel VI: „La topologie du sujet“, S. 177–252, zur Kreuzhaube v.a. S. 179–185, 200–203, 209–211, 225 f.
Jeanne Granon-Lafont: La topologie ordinaire de Jacques Lacan. Point Hors Ligne, Paris 1985, darin Kapitel IV: „Le plan projectif ou cross-cap“, S. 69–90; englische Übersetzung: Jeanne Lafont: The ordinary topology of Jacques Lacan. Übersetzt von Jack W. Stone. University of Missoury, M.I.T 1986, im Internet hier.
Juan-David Nasio: Introduction à la topologie de Lacan. Payots et Rivages, Paris 2010; das Buch ist die überarbeitete Fassung von: Ders.: Topologerie. Introduction à la topologie psychanalytique. In: Ders.: Les yeux de Laure. Le concept d’objet a dans la théorie de J. Lacan. Aubier, Paris 1987, S. 149–219.– Die Passagen über die Kreuzhaube aus dem Buch von 1987 sind ins Englische übersetzt worden: J.-D. Nasio: Object a and the Cross-cap. In: Ellie Ragland, Dragan Milovanovic (Hg.): Topologically speaking. Other Press, New York 2004, S. 98–116.
Jacques Siboni: Plan projectif et sujet lacanien – quelques exemples (2000), auf der Seite Lutecium im Internet hier: http://jacsib.lutecium.org/papers/l960201a/index.html
Als Video von 2012 (auf Englisch, zusammen mit Jeann Lafont): topologos-webex-10 Lutecium Jacques Lacan and the projective plane, im Internet hier, https://www.youtube.com/watch?v=GGG85uY-Tk0Jean-Michel Vappereau: Étoffe. Les surfaces topologiques intrinsèques. Éditions Topologie en Extension, Paris 1988, im Internet hier, darin „Appendice. Eléments pour une théorie de la représentation et de l’objet“, S. 319–326.
- Zeichnung aus: Nasio, Introduction, a.a.O., S. 89, von mir überarbeitet, RN.
- Vgl. Vappereau, Étoffe, a.a.O., S. 79.
- Vgl. Jean-Pierre Georgin: Du plan projectif au cross-cap. In: Littoral, Nr. 17, 1987, S. 147-168, hier: S. 164, im Internet hier.
- Vgl. Vappereau, Étoffe, a.a.O., S. 304.
- Erik Porge: Jacques Lacan, un psychanalyste. Parcours d’un enseignement. Éres, Toulouse 2014, S. 249.
-
Jacques Lacan: L’identification, dit « Séminaire IX ». Prononcé à Sainte-Anne en 1961–1962. Texterstellung Michel Roussan. Selbstverlag, Paris 1992.
Jacques Lacan: L’angoisse, dit „Séminaire X“. Prononcé à Sainte-Anne en 1962–1963. Texterstellung Michel Roussan. Selbstverlag, Paris 2003.
Jacques Lacan: L’objet de la psychanalyse, dit „Séminaire XIII“. Prononcé à l’E.N.S. 1965–1966. Texterstellung Michel Roussan. Selbstverlag, Paris 2006.
- Seminar 9, Sitzung vom 16. Mai 1962; Version Roussan S. 225; Stenotypie S. 2.
- Seminar 9, Sitzung vom 16. Mai 1962; Version Roussan S. 228; Stenotypie S. 7 f.
-
Vgl. Seminar 7, Sitzung vom 3. Februar 1960, Version Miller/Haas S. 167 f.
- Seminar 9, Sitzung vom 23. Mai 1962; Version Roussan S. 237; Stenotypie S. 6 f.
- Seminar 9, Sitzung vom 23. Mai 1962; Version Roussan S. 238; Stenotypie S. 8.
- Seminar 9, Sitzung vom 23. Mai 1962; Version Roussan S 239; Stenotypie S. 8 f.
- Seminar 9, Sitzung vom 23. Mai 1962; Version Roussan S. 239; Stenotypie S. 9.
- Seminar 9, Sitzung vom 23. Mai 1962; Version Roussan S. 239 f.; Stenotypie S. 10.
- Vgl. Seminar 9, Sitzung vom 24. Januar 1962.
- Seminar 9, Sitzung vom 13. Juni 1962; Version Roussan S. 273; Stenotypie S. 7.
- Instruktiv zum Verhältnis von Topologie und Loch bei Lacan ist Vappereau, Étoffe, a.a.O., S. X bis XII.
- Seminar 9, Sitzung vom 13. Juni 1962; Version Roussan S. 270; Stenotypie S. 3.
- Seminar 9, Sitzung vom 23. Juni 1962; Version Roussan S. 272; Stenotypie S. 5.
- Abbildung der Sphäre-mit-Kreuzhaube mit zwei Einzelschnitten aus Roussans Version von Seminar 9, S. 272, Abb. 1‘ .
- Seminar 9, Sitzung vom 23. Juni 1962; Version Roussan S. 272; Stenotypie S.5.
- Seminar 9, Sitzung vom 23. Juni 1962; Version Roussan S. 272; Stenotypie S. 5 f.
- Zeichnung aus: David Hilbert und Stephen Cohn-Vossen: Anschauliche Geometrie. Verlag Julius Springer, Berlin 1932, S. 269; Beschriftung entfernt, RN.
- Seminar 9, Sitzung vom 13. Juni 1962; Version Roussan S. 273; Stenotypie S. 8.
- Zeichnung von hier: https://www.mathcurve.com/surfaces.gb/bonnetcroise/bonnetcroise.shtml
- Seminar 9, Sitzung vom 27. Juni 1962; Version Roussan S. 295; Stenotypie S. 8.
-
Seminar 10, Sitzung vom 9. Januar 1963; meine Übersetzung nach Version Roussan S. 78; Stenotypie S. 29 f.; vgl. Version Miller S. 114, Version Miller/Gondek S. 126.
Version Miller = J. Lacan: Le séminaire, livre X. L’angoisse. 1962–1963. Texterstellung durch Jacques-Alain Miller. Seuil, Paris 2004
Version Miller/Gondek = J. Lacan: Das Seminar. Buch X. Die Angst. 1962–1963. Texterstellung Jacques-Alain Miller, Übersetzung Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien 2010.
-
Abbildung aus Seminar 10, Sitzung vom 30. Januar 1963, Version Miller/Gondek S. 168.
-
Seminar 10, Sitzung vom 30. Januar 1963, Version Miller/Gondek S. 169.
- Seminar 10, Sitzung vom 27. März 1963; meine Übersetzung nach Version Roussan S. 182; Stenotypie S. 23; vgl. Version Miller S. 240; Version Miller/Gondek S. 259.
- Vgl. David Hilbert, Stephen Cohn-Vossen: Anschauliche Geometrie. Julius Springer, Berlin 1932, S. 279 f.
- Seminar 13, Sitzung vom 15. Dezember 1965; Version Roussan S. 43 f.; Stenotypie S. 20 f.
- Seminar 13, Sitzung vom 15. Dezember 1965; Version Roussan S. 44 f.; Stenotypie S. 23–25.
- Seminar 13, Sitzung vom 15. Dezember 1965; Version Roussan S. 45 f.; Stenotypie S. 25–27.
- Diese Abbildung ist aus Version Staferla.
- Seminar 13, Sitzung vom 15. Dezember 1965; Version Roussan S. 46; Stenotypie S. 27 f.
- Seminar 13, Sitzung vom 15. Dezember 1965; Version Roussan S. 46 f.; Stenotypie S. 28–30.
- Seminar 13, Sitzung vom 30. März 1966; Version Roussan S. 189 f.; Stenotypie S. 25–27.
- Seminar 13, Sitzung vom 30. März 1966; Version Roussan S. 190; Stenotypie S. 27 f.
- Diese Abbildung ist aus Version Staferla.
- Seminar 13, Sitzung vom 13. März 1966; Version Roussan S. 190 f.; Stenotypie S. 28–30
- Seminar 13, Sitzung vom 11. Mai 1966; meine Übersetzung nach Version Roussan S. 238 von hier; Stenotypie S. 18 f.
- Seminar 13, Sitzung vom 25. Mai 1966; meine Übersetzung nach Version Roussan S. 271 von hier; Stenotypie S. 27.
- Abbildung aus Version Staferla.
-
Seminar 16, Sitzung vom 27. November 1968, meine Übersetzung nach Version Staferla, vgl. Version Miller S. 59.
Version Miller = J.Lacan: Le séminaire, livre XVI. D’un Autre à l’autre.1968–1969. Seuil, Paris 2006.
- Seminar 16, Sitzung vom 27. November 1968; meine Übersetzung nach Version Staferla; vgl. Version Miller S. 61.
-
J. Lacan: L’étourdit. In: Ders.: Autres écrits. Seuil, Paris 2001, S. 449–495, hier: S. 482, meine Übersetzung .– Vgl. die Übersetzung von L’étourdit durch Max Kleiner auf dieser Website hier.
-
Etwa in Seminar 9, Die Identifzierung: „Im Vergleich zu einer Fläche, die sich allerdings ziemlich gut verkosten lässt und die als Sphäre bezeichnet wird oder einfach als Ebene, hat der Torus den beträchtlichen Vorteil, dass er, bezogen auf Schlaufen irgendwelcher Art, die Sie auf seiner Oberfläche eintragen können – lacs, das ist Lacis – keineswegs homogen ist.“ (Sitzung vom 17. März 1962, meine Übersetzung nach Version Roussan, Hervorhebung von mir)
- Vgl. Seminar 9, Sitzungen vom 16. Mai 1962, 23. Mai 1962 und 23. Juni 1962.
- Vgl. Seminar 9, Sitzung vom 23. Mai 1962.
- Vgl. Seminar 9, Sitzungen vom 23. Mai 1962 und vom 13. Juni 1962.
- Vgl. Seminar 9, Sitzung vom 23. Mai 1962.
- Seminar 9, Sitzung vom 16. Mai 1962.
- Seminar 9, Sitzung vom 23. Mai 1962.
- Vgl. Seminar 9, Sitzungen vom 16. und 23. Mai 1962.
- Vgl. Seminar 9, Sitzung vom 13. Juni 1962.
- Vgl. Seminar 9, Sitzung vom 13. Juni 1962.
- Vgl. Seminar 9, Sitzung vom 13. Juni 1962.
- Vgl. Seminar 9, Sitzung vom 13. Juni 1962.
- Vgl. Seminar 9, Sitzung vom 23. Mai 1962.
- Vgl. Seminar 9, Sitzung vom 23. Mai 1962.
- Vgl. Seminar 10, Sitzung vom 9. Januar 1963.
- Vgl. Seminar 10, Sitzung vom 30. Januar 1963.
- Vgl. Seminar 10, Sitzung vom 27. März 1963.
- Vgl. Lacan, Seminar 13, Sitzung vom 15. Dezember 1965.
- Vgl. Seminar13, Sitzung vom 30. März 1966.
- Vgl. Seminar 13, Sitzung vom 11. Mai 1966.
- Vgl. Seminar 13, Sitzung vom 27. November 1968.
- Vgl. Autres écrits, a.a.O., S. 482.
- Seminar 9, Sitzung vom 23. Mai 1962; Version Roussan S 239; Stenotypie S. 8 f.