Erik Porge
Die Namen des Vaters - warum „die“?
Marc Chagall, Mose und der brennende Busch (1966, Ausschnitt)
אהיה אשר אהיה – ehyeh asher ehyeh – Ich bin was ich bin
Noch einmal zum Buch von Erik Porge, Die Namen des Vaters bei Jacques Lacan. Warum „DIE Namen“ und nicht „DER Name“? Klar ist, dass Porge sich damit auf den Titel des abgebrochenen Seminars von 1963 bezieht, Die Namen des Vaters, sowie auf das Seminar von 1973/74 mit dem Titel Les non-dupes errent, „Die Nicht-Betrogenen irren“, was mit Les noms du père, „Die Namen des Vaters“ homophon ist.
Worum geht es bei diesem Plural? Ich übersetze die Antwort, die Porge im Vorwort zur Neuauflage gibt.1
„Im November 1963 vollzog sich damit, dass das Seminar mit dem Titel Die Namen des Vaters nach der ersten Vorlesung beendet wurde, der große Bruch, als Reaktion auf den Ukas, den die Internationale Psychoanalytische Vereinigung gegen Lacan erlassen hatte und den seine eigene psychoanalytische Gesellschaft, die Société Française de Psychanalyse, weitergegeben hatte. Was hier zu beachten ist, ist die Deutung, die Lacan diesem Vorgang gegeben hat: ihn daran zu hindern, über die Namen des Vaters zu sprechen.
Warum? Weil er darin etwas in Frage stellte, das bei Freud nicht analysiert worden war.
Was? Obgleich Lacan sich hierzu nicht ausdrücklich geäußert hat, kann man es erschließen und annehmen, dass es darum ging, wie Freud in Totem und Tabu den Ödipuskomplex durch den Mythos vom Vater der Urhorde erklärt. Diese Vater-Version, die den toten Vater und das Genießen zu Äquivalenten macht, steht nicht nur im Widerspruch zur tragischen Version der Ermordung des Vaters durch Ödipus2, man kann in ihr außerdem die Bejahung einer Singularität des Namens-des-Vaters aufdecken. Nun wird durch diese Singularität die Pluralität der Namen des Vaters in Frage gestellt, deren Projektion man in der jüdischen Religion in Gestalt der Vielzahl der Gottesnamen wiederfindet. Man kann also annehmen, dass Lacan 1963 Freuds Beziehung zu dieser Pluralität in Frage stellte sowie zum unaussprechlichen Namen Jahwes, der damit in Zusammenhang steht.
Mit dem heutigen Abstand lässt sich die bis 1969 aufrechterhaltene Weigerung, über die Namen des Vaters zu sprechen, als etwas deuten, was dieselbe Struktur hat wie die Weigerung Gottes auf dem Sinai, Mose seinen Namen zu nennen, denn dies ist der Sinn, den Lacan, jenseits von Fragen der Übersetzung, dem berühmten ehié asher ehié gibt (‚ich bin was ich bin‘): ein ‚verpisst euch‘.3
Indem Lacan sein Seminar abbricht und danach über die Namen des Vaters Schweigen bewahrt, inszeniert er die Unaussprechlichkeit des Gottesnamens; er lässt ihn als Signifikanten agieren und darüber hinaus als Stimme, wobei diese mit dem Schweigen im Bunde ist. Dieses Schweigen bildet eine Eintrittspforte dazu, dass man den Übergang vom Singular ‚der Name des Vaters‘ (dessen Orthographie wechselt) zum Plural ‚die Namen des Vaters‘ versteht. Beim Plural geht es darum, eine Sprechunmöglichkeit verständlich zu machen, ein Loch in der Struktur des Signifikanten Name des Vaters, wobei das Schweigen zu einer Stilfigur wird. Kein Singular also, weil es keinen letzten Namen gibt, den ein Subjekt vom Platz eines Vaters aus artikulieren könnte, vielmehr eine Vielfalt von Signifikanten, die an dieses Loch angrenzen. Der Name des Vaters ist ‚ein Name des Namens des Namens‘4. Durch die Pluralität der Namen des Vaters wird der Name des Vaters von seinem symbolischen Sockel gestürzt und seine Überlagerung mit der anthropologischen, juridischen und kulturellen Realität wird in Frage gestellt. Die ausdrückliche Wiederaufnahme der Dreigliedrigkeit des Namens des Vaters, die in der Unterscheidung zwischen dem symbolischen, dem imaginären und dem realen Vater bereits enthalten war, sollte eine ganze Serie von Konsequenzen haben.
Zunächst führt sie Bezüge zum Namen des Vaters ein, die andere sind als die, dass er der Signifikant ist, der in der Vatermetapher das Begehren der Mutter ersetzt, und dass er derjenige ist, dessen Ausfallen psychotisierende Wirkungen hat. Insbesondere wird ein Bezug auf den Vater eingeführt, bei dem er, nämlich im Falle der Hysterie, derjenige ist, der aufgefordert wird, zu sprechen und sich zu erheben um zu antworten.5 Sicherlich als Folge dieser anderen Bezüge zum Namen des Vaters erscheint bei Lacan die benennende, nicht mehr nur die benannte Funktion des Namens des Vaters, der sich das ‚Ernennen‘ entgegenstellt, Zeichen einer verheerenden sozialen Degenerierung.6
Also geht es nicht nur darum zu sagen, dass es eine Pluralität von Namen des Vaters gibt, sondern dass der Name des Vaters eine Pluralität ist, ein Name des Namens des Namens. Der genannte Name, der dem Vater von der Mutter oder einem Äquivalent zuerkannt wird, der benennende Name, der vom Vater gegeben wird, und schließlich etwas, was der Eigenname des Vaters wäre, was aber unnennbar bleibt und was in der Benennung ein Loch der Benennung enthüllt. Dies ist für Lacan die Bedeutung des ‚ich bin was ich bin‘. ‚Ich bin was ich bin, das ist ein Loch, nicht wahr? Von da aus, durch eine umgekehrte Bewegung – denn ein Loch, wenn sie meinen kleinen Schemata glauben, ein Loch, das strudelt, oder vielmehr, das verschlingt. Und dann gibt es Momente, in denen es wieder ausspuckt, und es spuckt was aus? Den Namen. Das ist der Vater als Name‘ sowie als benennend.7 Und: ‚Die Benennung, das ist das einzige, wovon wir sicher wären, dass das ein Loch bilden würde.‘8
Dadurch, dass Lacan nach 1963 aufhörte, über die Namen des Vaters zu sprechen, hat er die Existenz dieses Lochs vergegenwärtigt und dieses ‚tour-billon‘ (Strudel)9, woraus ‚Les non-dupes errent‘ hervorgegangen sind.
Mit der Topologie des borromäischen Knotens, von dem er 1972 gesagt hat, dass sie ihm als ‚Fingerring‘ gekommen ist, hat Lacan die Mittel gefunden, seine Bahn der Umrundung des Lochs wieder aufzunehmen. Das Loch des borromäischen Knotens ist tatsächlich ‚unverletzlich‘, denn keiner der Ringe geht durch das Loch des anderen hindurch (wie beispielsweise bei den olympischen Ringen), und genau deshalb, weil sie nicht durch das Loch des anderen hindurchgehen, halten sie zusammen, ausgehend von dreien. ‚Dreifach ist das Reale‘10, denn das Loch beginnt mit den drei borromäisch verknoteten Ringen.“
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Anmerkungen
- Erik Porge: Les noms du pére chez Jacques Lacan. Érès, Toulouse 2013, darin: „Avant-propos à l’édition de poche“, S. 7-14, davon im Folgenden übersetzt: S. 9-12.
- J. Lacan: L‘envers de la psychanalyse. Séminaire 17 (1969-1970). Le Seuil, Paris 1991, S. 131, 143.
- J. Lacan: D’un Autre à l’autre. Séminaire 16 (1968-69). Le Seuil, Paris 2006, S. 70.
- J. Lacan: RSI. Seminar 22 (1974-1975), unveröffentlicht.
- J. Lacan: D’un discours qui ne serait pas du semblant. Séminaire 18 (1971). Le Seuil, Paris 2006, S. 170-172.
- J. Lacan: Les non-dupes errent. Seminar 21 (1972-73), 19. März 1973, unveröffentlicht.
- J. Lacan: RSI. 15. April 1975.
- Ebd.
- Anm. d. Übers.: „tour-billon“ im Original. Ein Wortspiel, das ich nicht verstehe, mit tourbillon, Wirbel, Strudel, einerseits und tour (Tour, Runde), nämlich um das Loch, und billon (Balken, Scheidemünze), andererseits.
- J. Lacan: Les non-dupes errent. Seminar 21 (1973-74), 15. Januar 1974, unveröffentlicht.