Jacques Lacan
Schlusswort zum Kongress „Die Übermittlung“
Übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Rolf Nemitz
Schamane, der eine kranke Person anbläst
Caduveo-Indianer, Mato Grosso, Brasilien (1901).
Smithsonian-Institution, Bureau of Amercian Ethnology
Erste deutsche Übersetzung von
Jacques Lacan: Conclusions – Congrès de l’École freudienne de Paris sur „La transmission“ (1978)
Vorbemerkung zur Übersetzung
Der 9. Kongress der École freudienne de Paris hatte das Thema „La transmission“ (Die Übermittlung), er fand vom 6. bis zum 9. Juli 1978 in Paris statt, Lacans Schlussbemerkung datiert also auf den 9. Juli 1978.
Veröffentlicht wurde der Text zuerst in: Lettres de l’École Freudienne de Paris, Nr. 25, 1979, Bd. II, S. 219 f. (Kongressbände im Internet hier). Eine Abschrift der Conclusions gibt es auf der In++++++++----
Eine erste Version dieser Übersetzung wurde in der Lacan-Übersetzungswerkstatt an der Psychoanalytischen Bibliothek Berlin diskutiert und danach von mir überarbeitet – herzlichen Dank an alle Beteiligten: Katrin Becker, Marcus Coelen, Eva Maria Jobst, Judith Kaspar und Sissi Tax, sowie an Mai Wegener für ein Freud-Zitat und an Sandrine Aumercier für die Entzifferung einer rätselhaften Formulierung!
– J. Lacan: Vorwort zur englischen Ausgabe von Seminar XI
– J. Lacan: Gespräch mit Studierenden der Yale University
Schlusswort zum Kongress „Die Übermittlung“
Deutsch
Ich soll diesen Kongress schließen. Zumindest war es so geplant.
Freud hat sich um die Übermittlung der Psychoanalyse, um ihre transmission, intensiv bemüht. Das Komitee, das er damit beauftragt hatte, darüber zu wachen, hat sich in die internationale psychoanalytische Institution verwandelt, in die IPA. Ich muss sagen, die IPA ist – unsrem Freund Stuart Schneiderman zufolge, der gestern gesprochen hat –, die IPA ist im Augenblick nicht eben tapfer. Es ist sicher, dass dieser Kongress mit diesem vollen Saal etwas repräsentiert, das zur IPA einen Ausgleich darstellt.
Freud – indem er sich auf diejenigen bezieht, die er seine „Bande“ nannte, französisch sa bande, ohne dass man so recht weiß, ob das sa hierbei ç-a geschrieben werden muss, „es“ –, Freud hat diese, wie man schon sagen muss, ziemlich bizarre Geschichte, die man das Unbewusste nennt, erfunden und das Unbewusste ist vielleicht ein freudscher Wahn. Das Unbewusste, das erklärt alles, aber, wie ein gewisser Karl Popper das gut ausgedrückt hat, es erklärt zu viel, das ist eine Konjektur, die nicht widerlegt werden kann.
Man hat zu uns über das Geschlecht ohne Subjekt gesprochen, de sexe sans sujet. Ist damit gemeint, sofern es ein sexuelles Verhältnis gäbe, das kein Subjekt mit sich führen würde?
Das hieße weit gehen; und vom sexuellen Verhältnis, über das ich gesagt habe, dass es keins gibt, wird angenommen, dass es das, was man die Neurosen nennt, erklärt. Deshalb habe ich mich bemüht herauszufinden, was das ist, die Neurosen; in dem, was man Lehre nennt, habe ich es zu erklären versucht. Da es mir gelungen ist, all diese Teilnehmer zu haben, toute cette assistance, ist anzunehmen, dass diese Lehre immerhin ein gewisses Gewicht hatte.
Ich muss sagen, cette assistance, diese Teilnehmer, ne m’assiste pas, sind mir keine Hilfe. Inmitten dieser Teilnehmer fühle ich mich besonders allein. Ich fühle mich besonders allein, denn die Leute, mit denen ich als Analytiker zu tun habe, diejenigen, die man meine Analysanten nennt, haben zu mir ein ganz anderes Verhältnis als diese Teilnehmer. Sie versuchen, mir zu sagen, was bei ihnen nicht geht.
Und die Neurosen, das existiert. Ich meine, es ist nicht ganz sicher, dass die Hysterieneurose immer existiert, aber sicherlich gibt es eine Neurose, die existiert, nämlich das, was man Zwangsneurose nennt.
Diese Leute, die zu mir kommen, um zu versuchen, mir etwas zu sagen – man muss ja sagen, dass ich Ihnen nicht immer antworte. Ich versuche, dass es geschieht, zumindest wünsche ich das. Ich wünsche, dass es geschieht, und man muss wohl sagen, dass viele Psychoanalytiker darauf reduziert sind.
Deshalb habe ich versucht, das eine oder andere Zeugnis darüber zu erhalten, wie man Psychoanalytiker wird. Was führt dazu, dass man, nachdem man Analysant war, Psychoanalytiker wird?
Ich habe mir, muss ich sagen, Fragen dazu gestellt, und deshalb habe ich meinen Vorschlag gemacht, den Vorschlag, der das, was man „Passe“ nennt, einführt – worin ich Vertrauen in etwas gesetzt habe, das „Übermittlung“ heißen würde, falls es eine Übermittlung der Psychoanalyse gäbe.
Derart, dass ich jetzt dazu gelangt bin, es so zu denken: Die Psychoanalyse ist nicht übermittelbar. Das ist schon ziemlich ärgerlich. Es ist ziemlich ärgerlich, dass jeder Psychoanalytiker gezwungen ist – denn er muss ja dazu gezwungen werden –, die Psychoanalyse neu zu erfinden.
Wenn ich in Lille gesagt habe, dass die Passe mich enttäuscht hat, dann aus diesem Grunde, also deshalb, weil es nötig ist, dass jeder Psychoanalytiker – je nachdem, was er daraus, dass er eine Zeitlang Psychoanalysant war, herausholen konnte –, dass jeder Analytiker neu erfindet, auf welche Weise die Psychoanalyse fortdauern kann.
Ich habe jedoch versucht, dem ein wenig mehr Körper zu verleihen, und dafür habe ich eine Reihe von Schreibweisen erfunden, etwa das S, das den Zugang zum A versperrt, also zu dem, was ich den großen Anderen nenne, denn es ist das S, womit ich den Signifikanten bezeichne, der das große A versperrt. Ich meine dies, was ich gelegentlich geäußert habe, nämlich dass der Signifikant die Funktion hat, das Subjekt zu repräsentieren, jedoch ausschließlich für einen anderen Signifikanten – das ist zumindest das, was ich gesagt habe, und es ist eine Tatsache, dass ich es gesagt habe –, was heißt das? Das heißt, dass es im großen Anderen keinen anderen Signifikanten gibt. Wie ich das mal formuliert habe, es gibt nur einen Monolog.
Also, wie kommt es, dass es Leute gibt, die durch das Operieren des Signifikanten gesund werden? Denn darum geht es ja. Dass es Leute gibt, die gesund werden, ist eine Tatsache. Freud hat deutlich hervorgehoben, dass der Analytiker nicht von dem Wunsch besessen sein sollte zu heilen; es ist jedoch eine Tatsache, dass es Leute gibt, die gesund werden und die von ihrer Neurose, ja sogar von ihrer Perversion geheilt werden.
Wie ist das möglich? Trotz allem, was ich mal dazu gesagt habe – darüber weiß ich nichts.
Dabei geht es um Trickserei. Wie flüstert man man dem Subjekt, das zu einem in Analyse kommt, etwas zu, das die Wirkung hat, es zu heilen? Das ist hier eine Frage von Erfahrung, worin das eine Rolle spielt, was ich le sujet supposé savoir genannt habe, das Subjekt, dem zu wissen unterstellt wird. Ein unterstelltes Subjekt, das ist eine Verdoppelung. Das Subjekt, dem zu wissen unterstellt wird, das ist jemand, der weiß. Er weiß den Trick – denn ich habe ja eben von Trickserei gesprochen –, er kennt den Trick, die Art, wie man eine Neurose heilt.
Ich muss sagen, in der Passe wird das durch nichts angezeigt, ich muss sagen, in der Passe wird durch nichts bezeugt, dass das Subjekt eine Neurose zu heilen weiß. Ich warte immer darauf, dass etwas mir hierzu ein Licht aufsteckt.
Ich möchte gern wissen, von jemandem, der dafür in der Passe ein Zeugnis liefern würde, dass ein Subjekt – denn es geht ja um ein Subjekt – in der Lage ist, mehr als das zu produzieren, was ich das gewöhnliche Geschwätz nennen möchte, denn darum geht es. Wenn der Analytiker nur schwätzt, kann man sicher sein, dass sein Schuss danebengeht, der Schuss, der darin besteht, das Resultat wirklich aufzuheben, also das, was man Symptom nennt.
Ich habe versucht, über das Symptom etwas mehr zu sagen. Ich habe es sogar in seiner alten Rechtschreibung geschrieben. Warum habe ich sie gewählt? S, i, n, t, h, o, m; es würde natürlich ein bisschen dauern, Ihnen das zu erklären. Um den Namen Symptom zu stützen, habe ich diese Schreibweise gewählt, wobei dieser Name zur Zeit – man weiß nicht so recht warum – „Symptom“ ausgesprochen wird, also etwas, womit das Fallen von etwas evoziert wird, ptōma bedeutet ja „Fall“.
Was zusammenfällt, ce qui choit ensemble, ist etwas, das mit dem ensemble, mit dem Gesamt, nichts zu tun hat. Ein Sinthom ist kein Fall, kein Sturz, auch wenn es so aussieht.
Das geht so weit, dass ich annehme, Sie alle wie Sie da sind, haben als Sinthom jeder seine jede. Es gibt ein Er-Sinthom und ein Sie-Sinthom. Das ist alles, was von dem, was man das sexuelle Verhältnis nennt, bleibt. Das sexuelle Verhältnis ist ein intersinthomatisches Verhältnis.
Aus diesem Grunde ist es so, dass der Signifikant, der ebenfalls zur Ordnung des Sinthoms gehört, deshalb ist es so, dass der Signifikant Wirkung hat. Aus diesem Grunde ist es so, dass wir dazu, wie er Wirkung haben kann, eine Vermutung haben, nämlich durch Vermittlung des Sinthoms.
Wie also den Virus dieses Sinthoms in Form des Signifikanten kommunizieren? Das ist das, was ich im Verlauf meiner gesamten Seminare zu erklären versucht habe.
Ich glaube, mehr kann ich heute dazu nicht sagen.
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Französisch/Deutsch
Je dois conclure ce Congrès.
Ich soll diesen Kongress schließen.
C’est tout au moins ce qui a été prévu.
Zumindest war es so geplant.
Freud s’est vivement préoccupé de la transmission de la psychanalyse.
Freud hat sich um die Übermittlung der Psychoanalyse, um ihre transmission, intensiv bemüht.
Le comité qu’il avait chargé d’y veiller s’est transformé dans l’institution psychanalytique internationale, l’I.P.A.
Das Komitee, das er damit beauftragt hatte, darüber zu wachen, hat sich in die internationale psychoanalytische Institution verwandelt, in die IPA.1
Je dois dire que l’I.P.A., si nous en croyons notre ami Stuart Schneiderman, qui a parlé hier, pour l’instant n’est pas vaillante.
Ich muss sagen, die IPA ist – unsrem Freund Stuart Schneiderman zufolge, der gestern gesprochen hat –, die IPA ist im Augenblick nicht eben tapfer.2
Il est certain que ce Congrès représente, avec cette salle pleine, quelque chose qui équilibre l’I.P.A.
Es ist sicher, dass dieser Kongress mit diesem vollen Saal etwas repräsentiert, das zur IPA einen Ausgleich darstellt.
Freud, désignant ce qu’il appelait sa « bande », sans qu’on sache très bien si « sa bande », ça doit s’écrire « ç-a », Freud a inventé cette histoire, il faut bien le dire assez loufoque, qu’on appelle l’inconscient; et l’inconscient est peut-être un délire freudien.
Freud – indem er sich auf diejenigen bezieht, die er seine „Bande“ nannte, französisch sa bande, ohne dass man so recht weiß, ob das sa hierbei ç-a geschrieben werden muss, „es“ –, Freud hat diese, wie man schon sagen muss, ziemlich bizarre Geschichte, die man das Unbewusste nennt, erfunden und das Unbewusste ist vielleicht ein freudscher Wahn.3
L’inconscient, ça explique tout mais, comme l’a bien articulé un nommé Karl Popper, ça explique trop – c’est une conjecture qui ne peut pas avoir de réfutation.
Das Unbewusste, es erklärt alles, aber, wie ein gewisser Karl Popper das gut ausgedrückt hat, es erklärt zu viel, das ist eine Konjektur, die nicht widerlegt werden kann.4
On nous a parlé de sexe sans sujet.
Man hat zu uns über das Geschlecht ohne Subjekt gesprochen, de sexe sans sujet.
Est-ce que ça veut dire pour autant qu’il y aurait un rapport sexuel qui ne comporterait pas de sujet ?
Ist damit gemeint, sofern es ein sexuelles Verhältnis gäbe, das kein Subjekt mit sich führen würde?
Ce serait aller loin ; et le rapport sexuel, dont j’ai dit qu’il n’y en avait pas, est censé expliquer ce qu’on appelle les névroses.
Das hieße weit gehen; und vom sexuellen Verhältnis, über das ich gesagt habe, dass es keins gibt, wird angenommen, dass es das, was man die Neurosen nennt, erklärt.5
C’est ce pourquoi je me suis enquis de ce que c’était que les névroses ; j’ai essayé de l’expliquer dans ce qu’on appelle un enseignement.
Deshalb habe ich mich bemüht, herauszufinden, was das ist, die Neurosen; in dem, was man Lehre nennt, habe ich es zu erklären versucht.
Il faut croire que quand même cet enseignement a eu un certain poids puisque j’ai réussi à avoir toute cette assistance.
Da es mir gelungen ist, all diese Teilnehmer zu haben, toute cette assistance, ist anzunehmen, dass diese Lehre immerhin ein gewisses Gewicht hatte.
Cette assistance, je dois dire, ne m’assiste pas.
Ich muss sagen, cette assistance, diese Teilnehmer, ne m’assiste pas, sind mir keine Hilfe.
Je me sens au milieu de cette assistance particulièrement seul.
Inmitten dieser Teilnehmer fühle ich mich besonders allein.
Je me sens particulièrement seul parce que les gens à qui j’ai affaire comme analyste, ceux qu’on appelle mes analysants ont avec moi un tout autre rapport que cette assistance.
Ich fühle mich besonders allein, denn die Leute, mit denen ich als Analytiker zu tun habe, diejenigen, die man meine Analysanten nennt, haben zu mir ein ganz anderes Verhältnis als diese Teilnehmer.
Ils essaient de me dire ce qui chez eux ne va pas.
Sie versuchen, mir zu sagen, was bei ihnen nicht geht.
Et les névroses, ça existe.
Und die Neurosen, das existiert.
Je veux dire qu’il n’est pas très sûr que la névrose hystérique existe toujours, mais il y a sûrement une névrose qui existe, c’est ce qu’on appelle la névrose obsessionnelle.
Ich meine, es ist nicht ganz sicher, dass die Hysterieneurose immer existiert, aber sicherlich gibt es eine Neurose, die existiert, nämlich das, was man Zwangsneurose nennt.
Ces gens qui viennent me voir pour essayer de me dire quelque chose, il faut bien dire que je ne leur réponds pas toujours.
Diese Leute, die zu mir kommen, um zu versuchen, mir etwas zu sagen – man muss ja sagen, dass ich Ihnen nicht immer antworte.
J’essaie que ça se passe ; du moins je le souhaite.
Ich versuche, dass es geschieht, zumindest wünsche ich das.
Je souhaite que ça se passe, et il faut bien dire que beaucoup de psychanalystes en sont réduits là.
Ich wünsche, dass es geschieht, und man muss wohl sagen, dass viele Psychoanalytiker darauf reduziert sind.
C’est pour ça que j’ai essayé d’avoir quelque témoignage sur la façon dont on devient psychanalyste : qu’est-ce qui fait qu’après avoir été analysant, on devienne psychanalyste ?
Deshalb habe ich versucht, das eine oder andere Zeugnis darüber zu erhalten, wie man Psychoanalytiker wird. Was führt dazu, dass man, nachdem man Analysant war, Psychoanalytiker wird?
Je me suis, je dois dire, là-dessus enquis, et c’est pour ça que j’ai fait ma Proposition, celle qui instaure ce qu’on appelle la passe, en quoi j’ai fait confiance à quelque chose qui s’appellerait transmission s’il y avait une transmission de la psychanalyse.
Ich habe mir, muss ich sagen, Fragen dazu gestellt, und deshalb habe ich meinen Vorschlag gemacht, den Vorschlag, der das, was man „Passe“ nennt, einführt – worin ich Vertrauen in etwas gesetzt habe, das „Übermittlung“ heißen würde, falls es eine Übermittlung der Psychoanalyse gäbe.6
Tel que maintenant j’en arrive à le penser, la psychanalyse est intransmissible.
Derart, dass ich jetzt dazu gelangt bin, es so zu denken: Die Psychoanalyse ist nicht übermittelbar.
C’est bien ennuyeux.
Das ist schon ziemlich ärgerlich.
C’est bien ennuyeux que chaque psychanalyste soit forcé – puisqu’il faut bien qu’il y soit forcé – de réinventer la psychanalyse.
Es ist ziemlich ärgerlich, dass jeder Psychoanalytiker gezwungen ist – denn er muss ja dazu gezwungen werden –, die Psychoanalyse neu zu erfinden.
Si j’ai dit à Lille que la passe m’avait déçu, c’est bien pour ça, pour le fait qu’il faille que chaque psychanalyste réinvente, d’après ce qu’il a réussi à retirer du fait d’avoir été un temps psychanalysant, que chaque analyste réinvente la façon dont la psychanalyse peut durer.
Wenn ich in Lille gesagt habe, dass die Passe mich enttäuscht hat, dann aus diesem Grunde, also deshalb, weil es nötig ist, dass jeder Psychoanalytiker – je nachdem, was er daraus, dass er eine Zeitlang Psychoanalysant war, herausholen konnte –, dass jeder Analytiker neu erfindet, auf welche Weise die Psychoanalyse fortdauern kann.7
J’ai quand même essayé de donner à cela un peu plus de corps ; et c’est pour ça que j’ai inventé un certain nombre d’écritures, telles que le S barrant le A, c’est-à-dire ce que j’appelle le grand Autre, car c’est le S, dont je désigne le signifiant qui, ce grand A, le barre.
Ich habe jedoch versucht, dem ein wenig mehr Körper zu verleihen, und dafür habe ich eine Reihe von Schreibweisen erfunden, etwa das S, das den Zugang zum A versperrt, also zu dem, was ich den großen Anderen nenne, denn es ist das S, womit ich den Signifikanten bezeichne, der das große A versperrt.
Je veux dire que ce que j’ai énoncé à l’occasion, à savoir que le signifiant a pour fonction de représenter le sujet, mais et seulement pour un autre signifiant – c’est tout au moins ce que j’ai dit, et il est un fait que je l’ai dit – qu’est-ce que ça veut dire ?
Ich meine dies, was ich gelegentlich geäußert habe, nämlich dass der Signifikant die Funktion hat, das Subjekt zu repräsentieren, jedoch ausschließlich für einen anderen Signifikanten – das ist zumindest das, was ich gesagt habe, und es ist eine Tatsache, dass ich es gesagt habe –, was heißt das?8
Ça veut dire que dans le grand Autre, il n’y a pas d’autre signifiant.
Das heißt, dass es im großen Anderen keinen anderen Signifikanten gibt.
Comme je l’ai énoncé à l’occasion, il n’y a qu’un monologue.
Wie ich das mal formuliert habe, es gibt nur einen Monolog.9
Alors comment se fait-il que, par l’opération du signifiant, il y ait des gens qui guérissent ?
Also, wie kommt es, dass es Leute gibt, die durch das Operieren des Signifikanten gesund werden?
Car c’est bien de ça qu’il s’agit.
Denn darum geht es ja.
C’est un fait qu’il y a des gens qui guérissent.
Dass es Leute gibt, die gesund werden, ist eine Tatsache.
Freud a bien souligné qu’il ne fallait pas que l’analyste soit possédé du désir de guérir ; mais c’est un fait qu’il y a des gens qui guérissent, et qui guérissent de leur névrose, voire de leur perversion.
Freud hat deutlich hervorgehoben, dass der Analytiker nicht vom Wunsch besessen sein sollte zu heilen10; es ist jedoch eine Tatsache, dass es Leute gibt, die gesund werden und die von ihrer Neurose, ja sogar von ihrer Perversion geheilt werden.
Comment est-ce que ça est possible ?
Wie ist das möglich?
Malgré tout ce que j’en ai dit à l’occasion, je n’en sais rien.
Trotz allem, was ich mal dazu gesagt habe – darüber weiß ich nichts.
C’est une question de truquage.
Dabei geht es um Trickserei.
Comment est-ce qu’on susurre au sujet qui vous vient en analyse quelque chose qui a pour effet de le guérir ?
Wie flüstert man man dem Subjekt, das zu einem in Analyse kommt, etwas zu, das die Wirkung hat, es zu heilen?
C’est là une question d’expérience dans laquelle joue un rôle ce que j’ai appelé le sujet supposé savoir.
Das ist hier eine Frage von Erfahrung, worin das eine Rolle spielt, was ich le sujet supposé savoir genannt habe, das Subjekt, dem zu wissen unterstellt wird.11
Un sujet supposé, c’est un redoublement.
Ein unterstelltes Subjekt, das ist eine Verdoppelung.12
Le sujet supposé savoir, c’est quelqu’un qui sait.
Das Subjekt, dem zu wissen unterstellt wird, das ist jemand, der weiß.
Il sait le truc, puisque j’ai parlé de truquage à l’occasion ; il sait le truc, la façon dont on guérit une névrose.
Er weiß den Trick – denn ich habe ja eben von Trickserei gesprochen –, er kennt den Trick, die Art, wie man eine Neurose heilt.
Je dois dire que dans la passe, rien n’annonce ça ; je dois dire que dans la passe, rien ne témoigne que le sujet sait guérir une névrose.
Ich muss sagen, in der Passe wird das durch nichts angezeigt, ich muss sagen, in der Passe wird durch nichts bezeugt, dass das Subjekt eine Neurose zu heilen weiß.
J’attends toujours que quelque chose m’éclaire là-dessus.
Ich warte immer darauf, dass etwas mir hierzu ein Licht aufsteckt.
J’aimerais bien savoir par quelqu’un qui en témoignerait dans la passe qu’un sujet – puisque c’est d’un sujet qu’il s’agit – est capable de faire plus que ce que j’appellerai le bavardage ordinaire ; car c’est de cela qu’il s’agit.
Ich möchte gern wissen, von jemandem, der dafür in der Passe ein Zeugnis liefern würde, dass ein Subjekt – denn es geht ja um ein Subjekt – in der Lage ist, mehr als das zu produzieren, was ich das gewöhnliche Geschwätz nennen möchte, denn darum geht es.
Si l’analyste ne fait que bavarder, on peut être assuré qu’il rate son coup, le coup qui est d’effectivement lever le résultat, c’est-à-dire ce qu’on appelle le symptôme.
Wenn der Analytiker nur schwätzt, kann man sicher sein, dass sein Schuss danebengeht, der Schuss, der darin besteht, das Resultat wirklich aufzuheben, also das, was man Symptom nennt.
J’ai essayé d’en dire un peu plus long sur le symptôme.
Ich habe versucht, über das Symptom etwas mehr zu sagen.
Je l’ai même écrit de son ancienne orthographe.
Ich habe es sogar in seiner alten Rechtschreibung geschrieben.
Pourquoi est-ce que je l’ai choisie ? s-i-n-t-h-o-m-e, ce serait évidemment un peu long à vous expliquer.
Warum habe ich sie gewählt? S, i, n, t, h, o, m; es würde natürlich ein bisschen dauern, Ihnen das zu erklären.13
J’ai choisi cette façon d’écrire pour supporter le nom symptôme, qui se prononce actuellement, on ne sait pas trop pourquoi « symptôme », c’est-à-dire quelque chose qui évoque la chute de quelque chose, « ptoma » voulant dire chute.
Um den Namen Symptom zu stützen, habe ich diese Schreibweise gewählt, wobei dieser Name zur Zeit – man weiß nicht so recht warum – „Symptom“ ausgesprochen wird, also etwas, womit das Fallen von etwas evoziert wird, ptōma bedeutet ja „Fall“.14
Ce qui choit ensemble est quelque chose qui n’a rien à faire avec l’ensemble.
Was zusammenfällt, ce qui choit ensemble, ist etwas, das mit dem ensemble, mit dem Gesamt, nichts zu tun hat.
Un sinthome n’est pas une chute, quoique ça en ait l’air.
Ein Sinthom ist kein Fall, kein Sturz, auch wenn es so aussieht.
C’est au point que je considère que vous là tous tant que vous êtes, vous avez comme sinthome chacun sa chacune.
Das geht so weit, dass ich annehme, Sie alle wie Sie da sind, haben als Sinthom jeder seine jede.15
Il y a un sinthome il et un sinthome elle.
Es gibt ein Er-Sinthom und ein Sie-Sinthom.
C’est tout ce qui reste de ce qu’on appelle le rapport sexuel.
Das ist alles, was von dem, was man das sexuelle Verhältnis nennt, bleibt.
Le rapport sexuel est un rapport intersinthomatique.
Das sexuelle Verhältnis ist ein intersinthomatisches Verhältnis.
C’est bien pour ça que le signifiant, qui est aussi de l’ordre du sinthome, c’est bien pour ça que le signifiant opère.
Aus diesem Grunde ist es so, dass der Signifikant, der ebenfalls zur Ordnung des Sinthoms gehört, deshalb ist es so, dass der Signifikant Wirkung hat.
C’est bien pour ça que nous avons le soupçon de la façon dont il peut opérer : c’est par l’intermédiaire du sinthome.
Aus diesem Grunde ist es so, dass wir dazu, wie er Wirkung haben kann, eine Vermutung haben, nämlich durch Vermittlung des Sinthoms.
Comment donc communiquer le virus de ce sinthome sous la forme du signifiant ?
Wie also den Virus dieses Sinthoms in Form des Signifikanten kommunizieren?
C’est ce que je me suis essayé à expliquer tout au long de mes séminaires.
Das ist das, was ich mir im Verlauf meiner gesamten Seminare zu erklären versucht habe.
Je crois que je ne peux pas aujourd’hui en dire plus.
Ich glaube, mehr kann ich heute dazu nicht sagen.
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Anmerkungen
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Die Internationale Psychoanalytische Vereinigung (IPV), später in den meisten Ländern International Psychoanalytic Association (IPA) genannt, wurde 1910 von Freud und Ferenczi gegründet und existiert bis heute.
“Komitee“ ist die Bezeichnung für einen 1912 auf Anregung von Ernest Jones gegründeten geheimen Kreis von sechs Personen, denen Freud den Auftrag gab, die psychoanalytische Lehre vor Abweichungen zu schützen (Karl Abraham, Max Eitington, Sandor Ferenczi, Ernest Jones, Otto Rank, Hanns Sachs). Das Komitee bestand bis 1927. (Mehr hier.)
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Stuart Schneiderman, geboren 1943, US-Amerikaner, kam 1973 nach Paris und machte eine Kur bei Lacan.
Lacan bezieht sich auf Schneidermans Beitrag zum Kongress „Die Übertragung“: Stuart Schneiderman: Situation de la psychanalyse aux États-Uni. In: Lettres de l’École Freudienne de Paris, Nr. 25, 1979, Bd. II, S. 202–205; im Internet hier.
Der Vortrag ist im Kongressband dem 9. Juli zugeordnet und damit nicht dem Vortag, sondern demselben Tag wie Lacans Schlusswort.
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Ça bande: (a) es verbindet, (b) es kriegt/hat einen Ständer.
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Popper entwickelte seinen Grundgedanken (die Wahrheit von Allsätzen kann nicht verifiziert, sondern nur falsifiziert werden) in ersten Ansätzen 1919 in Abgrenzung vom Marxismus, von der Freudschen Psychoanalyse und von der Adlerschen Individualpsychologie (vgl. Manfred Geier: Karl Popper. Rowohlt, Reinbek 1994, S. 34–39).
-
Das Prinzip „Es gibt kein sexuelles Verhältnis“ formuliert Lacan zuerst in Seminar 16 von 1968/69, Von einem Anderen zum anderen, in der Sitzung vom 4. Juni 1969 (vgl. J. Lacan: Le séminaire, livre XVI. D’un Autre à lautre. 1968–1969.Textherstellung von Jacques-Alain Miller. Seuil, Paris 2006, S. 226).
-
Vgl. J. Lacan: Vorschlag vom 9. Oktober 1967 über den Psychoanalytiker der École. Übersetzt von Ulrike Oudée Dünkelsbühler. In: Lacan entziffern, Beitrag vom 24. Juni 2019, hier.
Die passe (der Übergang) ist das in diesem Vorschlag dargelegte Verfahren, durch das ein einfaches Mitglied von Lacans École freudienne de Paris (EFP) den Titel eines Analyste de l’École (AE, Analytiker der Schule) erwerben kann. Hierzu berichtet der Antragsteller zwei anderen Analytikern über seine eigene Analyse, die dieses Zeugnis an eine Aufnahmejury weitergeben, die dann über den Antrag entscheidet. Der Antragsteller wird als passant bezeichnet, die zwischen dem Passanten und der Jury vermittelnden Analytiker heißen passeurs (Fährleute).
-
Lacan bezieht sich vermutlich auf sein Schlusswort zum Kongress der EFP „Die Erfahrung der Passe“, der vom 7. bis 8. Januar 1978 stattfand, allerdings nicht in Lille, sondern in Deauville.
Er hatte hier zunächst gesagt, die Rolle der Passeure könne nicht nur von denjenigen Mitgliedern der École wahrgenommen werden, die den Titel AE haben, sondern auch von solchen mit dem Titel AME (Analyste Membre de l’École, Analytiker Mitglied der Schule), das sei nicht die entscheidende Frage. Er fährt dann fort:
„Das einzig Wichtige ist der Passant, und der Passant, das ist die Frage, die ich stelle, nämlich was kann jemandem in den Schädel kommen, sodass er sich autorisiert, Analytiker zu sein? Ich wollte Zeugnisse haben, und natürlich habe ich keins bekommen, keine Zeugnisse darüber, wie sich das hergestellt hat. Natürlich ist das ein vollständiges Scheitern, diese Passe.“
(J. Lacan: Conclusions. In: Lettres de l’École Freudienne de Paris, Nr. 23, 1978, Bd. II, S. 180 f.; im Internet hier; Übersetzung RN.)
-
Die Schreibweise, auf die Lacan sich hier bezieht, ist vermutlich das Symbol S(Ⱥ); vgl. auf dieser Website den Artikel Signifikant eines Mangels im Anderen, S(Ⱥ): das Fehlen eines Signifikanten, der die Wahrheit garantiert. In: Lacan entziffern, Beitrag vom 30. November 2013, hier.
-
Eine hierzu passende Bemerkung über den Monolog habe ich weder in den Seminaren, noch in den Écrits noch in den Autres écrits noch in Pas-tout Lacan gefunden.
-
Freud in einem Brief an C.G. Jung:
„Nur nicht Heilen wollen, lernen und Geld erwerben! Das sind die brauchbarsten bewussten Zielvorstellungen.“
(Sigmund Freud / Carl Gustav Jung: Briefwechsel. Hg. v. William McGuire, Wolfgang Sauerländer. Zürich 1976, S. 224 (Brief vom 25.1.1909).
-
Den Terminus sujet supposé savoir verwendet Lacan zuerst in Seminar 9 von 1961/62, Die Identifizierung, in der Sitzung vom 15. November 1961. (Lacans Ausdruck liegt in der Nähe von Freuds Rede von der „gläubigen Erwartung“ des Patienten als Bedingung der Heilung; vgl. etwa S. Freud: Psychische Behandlung (Seelenbehandlung) (1905). In: Ders.: Gesammelte Werke, Bd. 5. S. Fischer, Frankfurt am Main, 4. Aufl. 1968, S. 287–316, hier: S. 297, 300, 302.)
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Eine Wurzel des Subjektbegriffs ist das griechische Wort hypokeimenon, „das Zugrundeliegende“. Supposer kommt vom lateinischen Wort supponere, „unterlegen“.
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Die (latinisierende) Schreibweise sinthome verwendet Lacan (neben der gräzisierenden Schreibweise symptôme) in Seminar 23 von 1975/76, Das Sinthom. Diese Schreibung ermöglicht ihm Wortspiele mit den gleichlautenden Ausdrücken Saint Thome (Heiliger Thomas) und saint homme (heiliger Mann).
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Das Wort „Symptom“ geht zurück auf das Griechische: syn (zusammen) und ptōma (Fall, Sturz), im Symptom fällt etwas zusammen.
-
Lacan bezieht sich hier vermutlich u.a. auf eine These, die er in Seminar 22 von 1974/75, RSI, vorgetragen hatte: Eine Frau ist ein Symptom des Mannes (vgl. Sitzung vom 21. Januar 1975). Siehe hierzu auf dieser Internetseite den Artikel „Eine Frau ist ein Symptom des Mannes“, Beitrag vom 9. Juli 2015, hier.