Jacques Lacan
Lituraterre (II)
Übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Rolf Nemitz
Dies ist die 2. Fassung der Übersetzung, 29. März 2025.
1. Fassung vom 9. Mai 2019. hier.
„Lituraterre (II)“ ist die im Druck erschiemene Version von „Lituraterre“. Die im Seminar gesprochene Version, „Lituraterre (I)“, findet man hier.
Erste deutsche Übersetzung von Lacans Aufsatz Lituraterre (Druckfassung von 1971).
Vorbemerkung zur Übersetzung
Lituraterre gibt es in zwei Fassungen; ich nenne sie Lituraterre (I) und Lituraterre (II). Dies hier ist die Übersetzung von Lituraterre (II).
Seinen ersten Auftritt hatte Lituraterre in Seminar 18 von 1971, Über einen Diskurs, der nicht des Scheins wäre, in der Sitzung vom 12. Mai 1971; Lacan hat den Aufsatz hier vollständig vorgelesen. Von dieser Lese-Fassung gibt es mehrere Transkriptionen, diese Transkriptionen nenne ich Lituraterre (I). Meine Übersetzung von Lituraterre (I) habe ich 2015 auf dieser Website veröffentlicht, hier.
Einige Monate nach dem Vortragen des Aufsatzes im Seminar erschien der Text im Druck, in der Zeitschrift Littérature, Nr. 3 (Themenheft Littérature et psychanalyse), 1. Jg., Oktober 1971, S. 3–10. Diese gedruckte Endfassung ist Lituraterre (II), also der hier übersetzte Text. Eine Abschrift der französischen Druckfassung findet man im Internet auf der Seite der ELP, Pas-tout Lacan, hier.
Die inhaltlichen Unterschiede zwischen den beiden Fassungen sind gering. Dennoch handelt es sich deutlich um zwei Fassungen, nur wenige Sätze haben exakt denselben Wortlaut. Lituraterre (II) ist knapper als Lituraterre (I); viele schwierige Stellen erschließen sich, wenn man die Transkription der gesprochenen Fassung heranzieht. Einen Vergleich der beiden Fassungen (von unbekannter Hand) gibt es auf der Website von Patrick Valas, hier.
Im Folgenden findet man die Übersetzung zunächst nur deutsch, dann Satz für Satz deutsch/französisch. Im zweisprachigen Teil hat die Übersetzung ausführliche Anmerkungen mit Literaturhinweisen, Parallelstellen und Erläuterungen; ich habe sie überwiegend aus der Übersetzung von Lituraterre (I) übernommen.
Lituraterre (II) wurde von Jacques-Alain Miller in Lacans Autres écrits aufgenommen, als einleitenden Aufsatz außerhalb der Chronologie, analog zum Poe-Aufsatz in Lacans Schriften.1 Millers Nachdruck von Lituraterre (II) weicht in einigen kleinen Punkten von der Erstveröffentlichung ab; in den Anmerkungen zum französischen Text habe ich die Abweichungen benannt.
Ein wichtiger Hintergrund für Lituraterre in beiden Fassungen ist Lacans Seminar 18 von 1971, Über einen Diskurs, der nicht des Scheins wäre; meine Übersetzung dieses Seminars gibt es auf dieser Website hier. Sekundärliteratur zu Lituraterre findet man am Ende meiner Übersetzung von Lituraterre (I), hier.
Viele Anregungen verdankt diese Übersetzung von Lituraterre (II) Gerhard Herrgott sowie der von Beatrice Khiara-Foxton und Adrian Price erstellten englischen Übersetzung des Aufsatzes.2
Zur Notation
– Einschübe in runden Klammern sind von Lacan.
– Ein Sternchen nach einem Wort* weist darauf hin, dass es im Original deutsch ist.
– Der Schrägstrich / verbindet Übersetzungsvarianten.
Lituraterre (II)
Deutsch
Zahlen in eckigen Klammern und grauer Schrift, z.B. [11], verweisen auf die Seiten von J. Lacan: Autres écrits. Seuil, Paris 2001.
[11] Lituraterre
Dieses Wort findet seine Rechtfertigung im Ernout und Meillet: lino, litura, liturarius. Mir aber kam es durch dieses Wortspiel, aus dem man zuweilen einen Witz macht: die Lautvertauschung kam mir über die Lippen, die Umstellung ans Ohr.
Dieses Wörterbuch (in dem man nachschlagen möge) bietet mir Auspizium, denn es gründet einen Ausgangspunkt [départ], den ich bei der Äquivokation nahm (aufbrechen [partir] ist hier aufteilen [répartir]), mit der Joyce (ich meine James Joyce) von a letter zu a litter hinübergleitet, von einem Buchstaben (ich übersetze) zu einem Abfall.
Man wird sich daran erinnern, dass eine „Metz-Hähnin“, die ihm Gutes tun wollte, ihm eine Psychoanalyse anbot, wie man das mit einer Dusche tun würde. Und auch noch bei Jung …
Bei dem Spiel, das wir ansprechen, hätte er nichts gewonnen, ging er doch geradenwegs auf das Beste dessen zu, was man von einer Psychoanalyse an ihrem Ende erwarten kann.
Wenn er aus dem Buchstaben [lettre] Streu [litière] macht – ist es dann wieder der Heilige Thomas, der ihm hier in den Sinn kommt, wie das Werk es von vorne bis hinten bezeugt?
Oder bekundet die Psychoanalyse hier ihre Konvergenz mit dem, was unsere Zeit als Auflösung des alten Bandes anklagt, das in der Kultur die Verschmutzung zügelt?
Ich habe das früher einmal etwas ausgeführt, wie durch Zufall kurz vor dem Mai ’68, um die Verlorenen der Menschenmengen, die ich jetzt immer dorthin verschiebe, wo ich einen Besuch mache, nicht leer ausgehen zu lassen, an jenem Tag in Bordeaux. Die Zivilisation, daran hatte ich als Prämisse erinnert, ist der Abwasserkanal.
Man muss wohl sagen, dass ich des Mülleimers überdrüssig war, mit dem ich mein Schicksal vernietet habe. Wenn ich es als Vermächtnis eingestehe, bin ich bekanntlich nicht allein.
Das avouer, das Eingestehen, oder, auf alte Weise ausgesprochen, das avoir, das Haben, mit dem Beckett das Soll ausgleicht, das unser Sein zu Abfall macht, rettet die Ehre der Literatur und entbindet mich von dem Privileg, von dem ich glauben könnte, es aufgrund meines Platzes innezuhaben.
Die Frage ist, ob die Literatur, wie die Lehrbücher es anzubieten scheinen, Resteverwertung ist, ob es bei ihr darum geht, eine schriftliche Kollokation dessen vorzunehmen, was zunächst Gesang gewesen wäre, gesprochener Mythos, Dramenprozession.
Was die Psychoanalyse angeht, so qualifiziert die Tatsache, dass sie am Ödipus hängt, sie in keiner Weise dazu, sich im Text des Sophokles zurechtzufinden. Dass Freud einen Text von Dostojewski erwähnt, reicht nicht hin, um zu sagen, die Textkritik, bisher Jagdrevier des Universitätsdiskurses, habe durch die Psychoanalyse frischen Wind bekommen.
Mein Unterricht findet hier statt in einem Wechsel der Konfiguration, der mit einem Slogan zur Förderung des Geschriebenen beworben wird, von dem jedoch andere Zeugnisse – etwa, dass heute endlich Rabelais gelesen wird – eine Interessenverschiebung anzeigen, mit der ich besser zusammengehe.
Als Autor bin ich darin weniger involviert als man sich vorstellt, und meine Schriften, ein Titel, der ironischer ist, als man glauben mag: wenn es sich entweder um Berichte handelt, eine Kongressfunktion, oder um, sagen wir, „offene Briefe“, in denen ich zu einem Stück meiner Lehre Fragen aufwerfe.
Statt mich jedoch auf das literarische Geschmuse einzulassen, das den Psychoanalytiker kennzeichnet, dem es an Erfindungsgabe mangelt, brandmarke ich darin den unausbleiblichen Versuch, die Unausgeglichenheit seiner Praxis zu beweisen, wenn es darum geht, das geringste literarische Urteil zu begründen.
Es fällt jedoch auf, dass ich diese Sammlung mit einem Artikel eröffne, den ich aus der Chronologie herausnehme, und dass es sich dabei um eine Erzählung handelt, die selbst insofern recht speziell ist, als sie in der geordneten Liste dramatischer Situationen nicht unterzubringen ist: eine Erzählung darüber, was sich durch das Versenden eines Briefes [lettre] ereignet, wer von dessen Nachsendungen Kenntnis hat und auf welche Elemente sich stützt, dass ich sagen kann, er habe seinen Bestimmungsort erreicht, nachdem die Erzählung [conte] und ihre Darlegung [compte] sich auf die Umwege, denen er unterworfen war, gestützt haben, ohne jeden Bezug auf seinen Inhalt [contenu]. Dabei ist umso bemerkenswerter, dass die Wirkung, die er auf diejenigen, die nacheinander in seinen Besitz gelangen, ausübt – wobei alles für die Macht spricht, die er überträgt, wenn sie Anspruch auf ihn erheben können –, dass diese Wirkung so gedeutet werden kann wie ich es tue, als Feminisierung.
Damit haben Sie eine gute Zusammenfassung dessen, was den Brief / den Buchstaben von dem Signifikanten, den er übermittelt, unterscheidet. Wobei aus der Epistel keine Metapher gemacht wird. Denn die Erzählung besteht darin, dass in ihr, wie in einer Taschenspielerei, die Botschaft zum Verschwinden gebracht wird und der Brief die Wendepunkte ohne die Botschaft herbeiführt.
Sollte meine Kritik zur Recht für Literaturkritik gehalten werden, kann sie sich nur auf das beziehen – und darum bemühe ich mich –, was Poe daraus, dass er Schriftsteller ist, macht, wenn er eine solche Botschaft über den Brief / Buchstaben gestaltet. Wenn er es nicht als solches sagt, ist klar, dass er es damit nicht unzureichend, sondern umso rigoroser eingesteht.
Dennoch ließe sich diese Elision nicht mithilfe eines Zuges seiner Psychobiografie aufklären: eher würde sie man sie dadurch verschütten.
(So wirft denn auch die Psychoanalytikerin, die die anderen Texte von Poe abgeschrubbt hat, hier das Handtuch.)
Genauso wenig wie mein eigener Text durch meine Psychobiografie aufgeschlüsselt werden könnte: etwa durch den Wunsch, den ich gebildet hätte, endlich auf angemessene Weise gelesen zu werden. Denn dafür müsste man noch darlegen, was ich darunter verstehe, dass der Brief so weit trägt, dass er immer seinen Bestimmungsort erreicht.
Es ist sicher, dass die Psychoanalyse hier wie üblich von der Literatur etwas empfängt, wenn sie von ihr, für ihr eigenes Gebiet, eine weniger psychobiographische Vorstellung der Verdrängung übernimmt.
Was mich angeht, wenn ich der Psychoanalyse den Brief / den Buchstaben als unzustellbar [en souffrance] vorlege, dann deshalb, weil sie hierbei ihr Scheitern [échec] zeigt. Und dadurch kläre ich sie auf: wenn ich so die Aufklärung beschwöre, dann um zu zeigen, wo die Psychoanalyse ein Loch bildet. Man weiß das seit langem: in der Optik nichts Wichtigeres, und die neueste Physik des Photons wappnet sich damit.
Eine Methode, mit welcher die Psychoanalyse ihre Einmischung besser rechtfertigt: denn wenn die Literaturkritik sich tatsächlich erneuern könnte, dann von daher, dass die Psychoanalyse da wäre, damit die Texte sich an ihr messen, wobei das Rätsel auf ihrer Seite ist.
Diejenigen aber, bei denen es keine Verleumdung ist, zu behaupten, dass sie, statt die Psychoanalyse auszuüben, von ihr ausgeübt werden, zumindest als Gemeinschaft [en corps] genommen, verstehen meine Worte schlecht.
An sie gewendet setze ich Wahrheit und Wissen einander entgegen: erstere ist das, worin sie ihr Amt sogleich erkennen, während es, auf der Anklagebank, ihre Wahrheit ist, die ich erwarte. Ich bestehe darauf, meinen Schuss mit einem savoir en échec zu korrigieren, mit einem Wissen im Schach, so wie man sagt figure en abyme, abgründige Figur [= Figur, die sich in sich selbst wiederholt], das ist nicht ein Scheitern des Wissens [échec du savoir]. Daraufhin erfahre ich, dass man sich davon dispensiert glaubt, irgendein Wissen unter Beweis zu stellen.
Sollte es ein toter Buchstabe sein, den ich in den Titel eines der Stücke gesetzt habe, die ich Schriften .… genannt habe, des Buchstabens, das Drängen, als Grund/Räson des Unbewussten?
Genügt das nicht, um im Buchstaben das zu bezeichnen, was, da es insistieren muss, nicht mit vollem Recht da ist, mit wie starker Räson auch immer es sich vorbringt? Diese Räson / dieses Maßverhältnis als mittleres oder äußeres zu bezeichnen, heißt, die Zweiteilung zu zeigen, in der sich jede Messung vollzieht; gibt es aber nichts im Realen, das ohne diese |[14] Vermittlung auskommt? Gewiss, die Grenze, indem sie zwei Gebiete voneinander trennt, symbolisiert, dass die Gebiete für jeden, der die Grenze überschreitet, gleich sind, dass sie ein gemeinsames Maß haben. Das ist das Prinzip der Umwelt*, die eine Widerspiegelung der Innenwelt* ist. Ein Ärgernis, diese Biologie, die sich von vornherein ganz als Prinzip darstellt: insbesondere die Tatsache der Anpassung; ganz zu schweigen von der Auslese, sie ist offen Ideologie, die sich damit segnet, natürlich zu sein.
Ist der Buchstabe nicht eigentlich – litoral, d.h. stellt er nicht dar, dass ein ganzer Bereich für den anderen eine Grenze bildet, von daher, dass sie einander fremd sind, bis dahin, dass sie nicht reziprok sind?
Der Rand (bord) des Lochs im Wissen – ist es nicht das, was der Buchstabe umreißt? Und wie könnte die Psychoanalyse, wenn sie das, was der Buchstabe mit ihrem Mund „buchstäblich“ sagt, nicht verkennen sollte, wie könnte sie leugnen, dass es dieses Loch gibt, da sie ja, um es zu füllen, darauf zurückgreift, hier die Jouissance aufzurufen?
Es bleibt zu klären, wie das Unbewusste – von dem ich sage, dass es eine Wirkung von Sprache ist, da es deren Struktur als notwendig und hinreichend voraussetzt – diese Funktion des Buchstabens bestimmt.
Dass er ein geeignetes Werkzeug für das Schreiben des Diskurses ist, macht ihn nicht dazu ungeeignet, das Wort, das im Satz für ein anderes, ja durch ein anderes genommen wird, zu bezeichnen, also bestimmte Signifikanteneffekte zu symbolisieren, zwingt jedoch nicht dazu, dass er in diesen Effekten primär wäre.
Eine Untersuchung drängt sich nicht hinsichtlich dieses Primats auf, welches nicht einmal zu vermuten ist, sondern in Bezug auf das, was in der Sprache das Litorale dem Literalen zuweist.
Was ich mithilfe von Buchstaben über die Bildungen des Unbewussten geschrieben habe, um sie zurückzugewinnen aus dem, was Freud darüber formuliert, da sie sind, was sie sind, Signifikanteneffekte, ermächtigt nicht dazu, aus dem Buchstaben einen Signifikanten zu machen, und nicht dazu, ihm darüber hinaus dem Signifikanten gegenüber einen Primat zuzuweisen.
Ein verworrener Diskurs wie dieser konnte nur von dem Diskurs her aufkommen, der für mich von Bedeutung ist [qui m’importe]. Er importiert mich [il m’importe] jedoch in einen anderen, den ich zu gegebener Zeit als Universitätsdiskurs etikettiere, nämlich Diskurs des ausgehend vom Schein [semblant] in Gebrauch genommenen Wissens.
Das geringste Gefühl dafür, dass die Erfahrung, mit der ich mich auseinandersetze, nur von einem anderen Diskurs her verortet werden kann, hätte verhindern müssen, ihn zu produzieren, ohne es also von mir einzubekennen. Dass man mir dies, Gott sei Dank, erspart, ändert nichts daran, dass man mich, indem man mich in genannten Sinn importiert, belästigt [importune].
Hätte ich die Modelle für akzeptabel gehalten, die Freud in einem Entwurf artikuliert, über das Bohren von Bahnungen, hätte ich daraus dennoch |[15] nicht eine Metapher für die Schrift genommen. Sie ist nicht die Einprägung, auch wenn das dem Wunderblock nicht gefallen mag.
Wenn ich den zweiundfünfzigsten Brief an Fließ heranziehe, dann um darin zu lesen, was Freud mit einem von ihm gebildeten Ausdruck als Wz bezeichnen konnte, als Wahrnehmungszeichen*, was dem Signifikanten am nächsten kommt, zu einem Zeitpunkt, als Saussure ihn (vom signans der Stoiker) noch nicht wiederaufgegriffen hatte.
Dass Freud dies mit zwei Buchstaben schreibt, beweist nicht mehr als in meinem Fall, dass der Buchstabe primär wäre.
Ich werde also versuchen, den Kern dessen aufzuzeigen, was mir als Konsequenz den Buchstaben hervorzubringen scheint, sowie der Sprache, genau gesagt dessen, dass ich sage, dass derjenige, der spricht, sie bewohnt.
Dafür werde ich die Züge dem entnehmen, was es aufgrund einer Ökonomie der Sprache gestattet, zu umreißen, wodurch meines Erachtens gefördert wird, dass Literatur möglicherweise in Lituraterre umschlägt.
Es wird niemanden überraschen, zu sehen, dass ich hier in einer literarischen Beweisführung voranschreite, denn das heißt, in dem Schritt zu gehen, in dem die Frage vorankommt. Wodurch sich aber feststellen lässt, was das ist, eine solche Beweisführung.
Ich bin gerade zurückgekommen von einer Reise nach Japan, auf die ich mich gefreut hatte, wegen dem, was ich auf einer ersten Reise an … Litoralem erfahren hatte. Man möge mich ohne viel Worte von dem her verstehen, was ich vorhin von der Umwelt* zurückgewiesen habe, da sie die Reise unmöglich macht: also, meiner Formel zufolge, nach einer Seite hin ihr Reales sichert, jedoch verfrüht, indem nur, allerdings versehentlich, der Abflug unmöglich gemacht wird oder höchstens „Fort nun!“ gesungen wird.
Ich möchte nur den Moment festhalten, den ich auf einer neuen Route erfasst habe, die genommen wurde, weil sie nicht mehr, wie beim ersten Mal, verboten war. Ich gestehe jedoch, dass es nicht auf dem Hinflug war, entlang des Polarkreises, dass mir das, was ich von der sibirischen Ebene sah, etwas zu lesen gab.
Mein gegenwärtiger Essay, insofern er als eine Sibiriethik tituliert werden könnte, hätte also nicht das Tageslicht erblickt, wenn das Misstrauen der Sowjets mich die Städte, ja die Industrieanlagen und die militärischen Einrichtungen hätte sehen lassen, die für sie den Wert Sibiriens ausmachen, das ist jedoch nur eine akzidentelle Bedingung, wenn auch vielleicht weniger, wenn ich sie okzidentell nenne, um hier den Unfall [accident] einer Aufschichtung des Tötens [occire] anzuzeigen.
Die einzig entscheidende Bedingung ist die des Litorals, und sie kam erst auf dem Rückflug ins Spiel, da sie buchstäblich darin bestand, dass Japan mir durch seinen Buchstaben zweifellos dieses Ein-wenig-zu-viel verschafft hatte, was genau das ist, was es braucht, damit ich es spüre, denn ich hatte ja bereits gesagt, dass es das ist, wovon seine Sprache in besonderem Maße betroffen ist.
[16] Dieses zu viel rührt gewiss von dem her was die Kunst davon übermittelt: damit spreche ich über die Tatsache, dass die Malerei hier ihre Ehe mit dem Buchstaben demonstriert, und zwar genau in Gestalt der Kalligrafie.
Wie soll ich sagen, was mich an diesen Sachen fasziniert, die dort hängen, Kakemono, so brabbelt man das, die an diesen Orten an jeder Museumsmauer hängen und die Inschriften aus Schriftzeichen tragen, die ihrer Bildung nach chinesisch sind, was ich ein wenig kenne, was mir immerhin, so wenig ich sie auch kenne, zu ermessen erlaubt, was in der Kursivschrift davon getilgt ist, in der das Singuläre der Hand das Universale erdrückt, also eigentlich das, wozu ich Ihnen beibringe, dass es nur vom Signifikanten her Wert hat: ich finde es darin nicht wieder, jedoch weil ich Anfänger bin. Was hier im Übrigen nicht das Wichtige ist, denn selbst wenn dieses Singuläre eine festere Form unterstützt und zu ihm die Dimension hinzufügt, ich habe bereits „die demansion“ gesagt, die demansion des nichmeerallzainz, diejenige, durch welche das evoziert wird, was ich vom Subjekt in das Ainz-Meer einführe, von daher, dass es die Angst der Achose ausfüllt, des Undings, dann fungiert das, was ich hier mit dem klein a konnotiere, als das Objekt, da es Einsatz in welcher Wette ist, die mit Tinte und Pinsel gewonnen wird?
So erschien mir unwiderstehlich, dieser Umstand ist nicht ohne Belang, von zwischen-den-Wolken her, das auf der Oberfläche abfließende Wasser, einzige Spur, die sich zeigte, durch die in diesen Breiten die Oberflächengestalt mehr noch hervorgebracht als angezeigt wird, auf dem, was aus Sibirien eine Ebene macht, eine von jeder Vegetation verlassene Ebene, bis auf einen leuchtenden Glanz, der das, was nicht schimmert, in den Schatten stößt.
Das Abfließen ist eine Bündelung aus dem ersten Zug oder Strich [trait premier] und dem, was ihn auslöscht. Ich habe es bereits gesagt: ihre Verbindung ist das, woraus das Subjekt gebildet wird, jedoch dadurch, dass sich darin zwei Schritte abzeichnen. Also muss darin die Streichung [rature] unterschieden werden.
Streichung [rature] jeglicher Spur, die zuvor dagewesen sein mag, es ist dies, wodurch das Litoral zum Terrain wird. Reine litura [lat. Streichung], das ist das Literale, das Buchstäbliche. Diese Streichung zu produzieren, heißt, die unpaare Hälfte zu reproduzieren, durch welche das Subjekt Bestand hat. Solcherart ist die Leistung der Kalligrafie. Versuchen Sie mal, den waagerechten Balken, der von links nach rechts gezogen wird, zu zeichnen, um durch einen Strich das unäre Eins als Schriftzeichen zu bilden, Sie werden eine Weile brauchen, um herauszufinden, mit welchem Druck er angegangen wird und bei welcher Spannung er zu einem Ende kommt. Für einen Verwesteten ist das, offen gesagt, hoffnungslos.
Man braucht hier eine Abfolge, die man nur erreicht, wenn man sich von allem löst, was einen durchstreicht.
Zwischen Zentrum und Abwesenheit, zwischen Wissen und Jouissance, liegt das Litoral, das nur dann zum Literalen abbiegt, zum Buchstäblichen, wenn Sie in der Lage sind, jederzeit dieselbe Kurve zu nehmen. Einzig das ermöglicht es Ihnen, sich für einen Agenten zu halten, der es unterstützt.
Was sich durch meine Vision des Fließens offenbart, insofern darin die Streichung |[17] dominiert, ist dies, dass sie sich von Zwischen-den-Wolken aus herstellt und dadurch mit ihrer Quelle verbunden ist, und dass es tatsächlich die Wolken sind, zu denen Aristophanes mich ruft, um herauszufinden, worum es beim Signifikanten geht: um den Schein par excellence, wenn es durch ihren Bruch dazu kommt, dass es regnet, eine Wirkung, bei der das, was Materie im Schwebezustand war, daraus hinabstürzt.
Dieser Bruch, der auflöst, was Gestalt, Phänomen, Meteor bildete und worüber ich gesagt habe, dass die Wissenschaft so vorgeht, dass sie deren Anblick aufbricht, ist es nicht auch so, dass von daher, dass verabschiedet wird, was aus diesem Zerbersten Jouissance machen würde, dazu, dass die Welt [monde] oder auch das Schmutzige [immonde] den Trieb hat, das Leben figürlich darzustellen?
Was an Jouissance evoziert wird, wenn ein Schein zerbricht, ist das, was sich im Realen als Bildung von Erosionsrinnen darstellt.
Durch die gleiche Wirkung kommt es, dass die Schrift im Realen die Rinne des Signifikats ist, das nämlich, was vom Schein, insofern er den Signifikanten bildet, herabgeregnet ist. Nicht den Signifikanten gibt die Schrift wieder, sondern seine Sprachwirkungen [effets de langue], das, was daraus durch denjenigen, der sie spricht, gemacht wird. Zu ihm kehrt die Schrift nur zurück, wenn sie einen Name von ihm nimmt, so wie es den Wirkungen unter jenen Dingen geschieht, die die Signifikantenbatterie benennt, da sie sie aufgezählt hat.
Später waren vom Flugzeug aus andere Spuren zu sehen, die sich in Isobaren hielten, indem sie bei Aufschüttungen die Richtung änderten, Normalen im Verhältnis zu denen, deren starkes Gefälle durch Wasserläufe markiert wurde.
Hatte ich nicht bereits in Osaka gesehen, wie die Autobahnen sich übereinanderlegen als kämen Segelflugzeuge vom Himmel herab? Und auch dies, dass die modernste Architektur sich dort mit der alten vereint, um zum Flügel zu werden, um von einem Vogel geschlagen zu werden.
Wie hätte der kürzeste Weg von einem Punkt zu einem anderen sich gezeigt, wenn nicht durch die Wolke, die der Wind treibt, ohne den Kurs zu ändern? Weder die Amöbe, noch der Mensch, noch der Ast, noch die Fliege, noch die Ameise hätten dafür ein Beispiel gegeben, bevor sich erwies, dass das Licht mit einer Krümmung des Universums zusammengeht, derjenigen, bei der die Gerade nur dadurch gestützt wird, dass sie in die Wirkfaktoren einer kaskadenartigen Dynamik den Abstand einschreibt.
Eine Gerade gibt es nur durch Schrift, wie Vermessung nur als eine, die vom Himmel kommt.
Schrift und Vermessung sind jedoch Artefakte, da sie nur die Sprache bewohnen. Wie könnten wir das vergessen, wo unsere Wissenschaft doch nur durch ein Fließen von kleinen Buchstaben und kombinierten Diagrammen zum Tragen kommt?
[18]Sous le pont Mirabeau, gewiss, wie unter der Brücke, die von einer Zeitschrift, die einst meine war, zum Aushängeschild gemacht wurde, wobei sie die Ohrenbrücke Horus Apollo entlieh, unter der Mirabeau-Brücke, ja, da fließt die Ur-Seine, eine Szene von der Art, dass in ihr die römische V der fünften Stunde schlagen kann (vgl. Der Wolfsmann). Man genießt das aber auch nur, wenn das Sprechen der Deutung darauf regnet.
Dass das Symptom die Ordnung errichtet, zu der unsere Politik sich als zugehörig erweist, impliziert andererseits, dass alles, was von dieser Ordnung artikuliert wird, einer Deutung unterzogen werden kann.
Deshalb ist es ganz richtig, wenn man die Psychoanalyse der Politik voranstellt. Und es wäre vielleicht für das, was von der Politik bislang Gestalt angenommen hat, nicht sehr geruhsam, wenn der Psychoanalyse das klar würde.
Es würde vielleicht genügen, wird man sich wohl sagen, wenn wir von der Schrift einen anderen Gebrauch machten als den der Tribüne oder des Tribunals, sodass darin andere Worte ins Spiel kommen, um den Preis, dass wir den Tribut zollen.
Es gibt keine Metasprache, aber das Geschriebene, das aus der Sprache verfertigt wird, ist vielleicht ein Material, das die Kraft hätte, dass sich unsere Behauptungen hierüber ändern.
Ist es möglich, vom Litoral her einen Diskurs zu bilden, der dadurch gekennzeichnet wäre, dass er nicht vom Schein ausgeht? Hier ist die Frage, die sich nur zu der Literatur stellt, die Avantgarde genannt wird und die selbst aus Litoralem besteht: und sich daher nicht auf den Schein stützt, dennoch aber nichts als den Bruch beweist, den, mit Produktionswirkung, einzig ein Diskurs produzieren kann.
Das, was eine Literatur in ihrem Bestreben, Lituraterrain zu betreten / die Streichung zu landen, zu beanspruchen scheint, ist, sich durch eine Bewegung bestimmen zu lassen, die sie wissenschaftlich nennt.
Es ist eine Tatsache, dass die Schrift hier Wunder gewirkt hat und dass alles darauf hindeutet, dass dieses Wunder nicht so bald versiegen wird.
Jedoch wird die physikalische Wissenschaft dazu gebracht oder dazu gebracht werden, in den Tatsachen das Symptom zu bedenken, aufgrund der Verschmutzung dessen, was man, von der Erde, ohne weitere Kritik Umwelt* nennt: das ist die Idee von Uexküll, behaviorisiert, das heißt verblödet.
Da ich selbst Lituraterrain betreten habe, möchte ich darauf hinweisen, dass ich aus der Rinne, die es verbildlicht, keine Metapher gemacht habe. Die Schrift ist genau diese Rinne, und wenn ich von Jouissance spreche, berufe ich mich zu Recht auf das, was ich an Zuhörerschaft anhäufe: nicht weniger auf diejenigen, deren ich mich hierdurch beraube, denn das beschäftigt mich.
[19] Ich möchte etwas bezeugen, das sich aus einer Tatsache ergibt, auf die bereits hingewiesen wurde: aus der Tatsache einer Sprache, des Japanischen, insofern in ihr die Schrift am Werk ist.
Dass in der japanischen Sprache ein Schrifteffekt enthalten ist, daran ist das Wichtige, dass er an die Schrift gebunden bleibt und dass der Träger dieses Schrifteffekts eine Schrift ist, die insofern speziell ist, als sie im Japanischen mit zwei verschiedenen Aussprachen gelesen werden kann: in on’yomi, ihrer Aussprache als Schriftzeichen, wird das Schriftzeichen als solches auf besondere Weise ausgesprochen, in kun’yomi wird es so ausgesprochen, wie man auf Japanisch sagt, was es bedeutet.
Es wäre komisch, wenn man darin, unter dem Vorwand, dass das Schriftzeichen Buchstabe ist, bezeichnet sähe, dass die Trümmer des Signifikanten zu den Flüssen des Signifikats hinunterströmen. Es ist der Buchstabe als solcher, der, gemäß dem Gesetz der Metapher, dem Signifikanten eine Stütze liefert. Es kommt von anderswo her: vom Diskurs, dass der Signifikant den Buchstaben im Netz des Scheins erfasst.
Von dort aus wird der Buchstabe jedoch als ein Referent befördert, der genauso wesentlich ist wie jedwedes Ding, und dies verändert den Status des Subjekts. Dass dieses sich für seine grundlegende Identifizierung auf einen konstellierten Himmel stützt und nicht nur auf den unären Zug, erklärt, dass es sich nur auf das Du stützen kann, und dies in sämtlichen grammatischen Formen, nach denen sich noch die kleinste Aussage entsprechend den Höflichkeitsbeziehungen verändert, die sie in ihrem Signifikat impliziert.
Die Wahrheit verstärkt hier die Struktur der Fiktion, die ich darin bezeichne, dadurch, dass diese Fiktion den Gesetzen der Höflichkeit unterworfen ist.
Bemerkenswerterweise scheint dies zu dem Ergebnis zu führen, dass vom Verdrängten nichts abzuwehren ist, da es dem Verdrängten gelingt, durch den Bezug auf den Buchstaben unterzukommen.
Mit anderen Worten, wie überall ist das Subjekt durch die Sprache gespalten, aber eines seiner Register kann sich mit dem Bezug auf die Schrift und das andere auf das Sprechen begnügen.
Das war es wohl, was Roland Barthes das berauschende Gefühl gab, das japanische Subjekt mit all seinen Manieren sei eine Hülle für nichts. Das Reich der Zeichen betitelt er seinen Essay, was heißen soll: Reich des Scheins.
Der Japaner, so wurde mir gesagt, findet sie schlecht. Denn nichts unterscheidet sich stärker von der durch die Schrift ausgehöhlten Leere als der Schein. Ersterer ist Napf, immer bereit, die Jouissance in Empfang zu nehmen oder sie zumindest mit seinem Kunstgriff [artifice] aufzurufen.
[20] Unseren Gewohnheiten nach kommuniziert nichts von sich weniger als ein solches Subjekt, das letztlich nichts verbirgt. Ihm bleibt nur, Sie zu manipulieren: Sie sind ein Element unter anderen in dem Zeremoniell, in dem sich das Subjekt genau daraus zusammensetzt, dass es sich zersetzen kann. Das Bunraku, ein Figurentheater, macht die ganz gewöhnliche Struktur davon für diejenigen sichtbar, denen diese Struktur ihre eigenen Sitten vermittelt.
Ebenso könnte, wie im Bunraku, alles, was gesagt wird, von einem Rezitator vorgelesen werden. Das ist das, was Barthes sicherlich erleichtert hat. Japan ist der Ort, an dem es ganz natürlich ist, sich auf einen Dolmetscher [interprète] oder eine Dolmetscherin zu stützen, eben deshalb, weil eine Deutung [interprétation] nicht erforderlich ist.
Dies ist ständige Übersetzung, zur Sprache gemacht.
Was mir gefällt, ist dies, dass die einzige Kommunikation, die ich dort hatte (neben den Europäern, mit denen ich unser kulturelles Missverständnis zu handhaben weiß), auch die einzige ist, die dort wie anderswo Kommunikation sein kann, indem sie kein Dialog ist: nämlich die wissenschaftliche Kommunikation.
Sie brachte einen namhaften Biologen dazu, mir seine Arbeiten zu demonstrieren, natürlich an der Tafel. Die Tatsache, dass ich mangels Information nichts verstand, schließt nicht aus, dass das, was dort geschrieben blieb, gültig ist. Gültig für die Moleküle, zu deren Subjekten sich meine Nachkommen machen werden, ohne dass ich je hätte wissen müssen, wie ich sie an sie übermittelt habe, was es wahrscheinlich machte, dass ich mich, rein logisch, zu den Lebewesen zähle.
Eine Askese der Schrift scheint mir nur dann durchgehen zu können, wenn sie an ein „es steht geschrieben“ anschließt, durch welches das sexuelle Verhältnis eingesetzt werden würde.
Französisch/deutsch mit erläuternden Anmerkungen
Zahlen in eckigen Klammern und grauer Schrift, z.B. [11], verweisen auf die Seiten von J. Lacan: Autres écrits. Seuil, Paris 2001.
[11] Lituraterre
Lituraterre
Ce mot se légitime de l’Ernout et Meillet : lino, litura, liturarius.
Dieses Wort findet seine Rechtfertigung im Ernout und Meillet3: lino, litura, liturarius.4
Il m’est venu, pourtant, de ce jeu du mot dont il arrive qu’on fasse esprit : le contrepet revenant aux lèvres, le renversement à l’oreille.
Mir aber kam es durch dieses Wortspiel, aus dem man zuweilen einen Witz macht: die Lautvertauschung kam mir über die Lippen, die Umstellung ans Ohr.
Ce dictionnaire (qu’on y aille) m’apporte auspice d’être fondé d’un départ que je prenais (partir, ici est répartir) de l’équivoque dont Joyce (James Joyce, dis-je), glisse d’a letter à a litter, d’une lettre (je traduis) à une ordure.
Dieses Wörterbuch (in dem man nachschlagen möge) bietet mir Auspizium, denn es gründet einen Ausgangspunkt [départ], den ich bei der Äquivokation nahm (aufbrechen [partir] ist hier aufteilen [répartir]), mit der Joyce (ich meine James Joyce) von a letter zu a litter hinübergleitet, von einem Buchstaben (ich übersetze) zu einem Abfall.5
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On se souvient qu’une « messehaine » à lui vouloir du bien, lui offrait une psychanalyse, comme on ferait d’une douche.
Man wird sich daran erinnern, dass eine „Metz-Hähnin“, die ihm Gutes tun wollte, ihm eine Psychoanalyse anbot, wie man das mit einer Dusche tun würde.
Et de Jung encore…
Und auch noch bei Jung …6
Au jeu que nous évoquons, il n’y eût rien gagné, y allant tout droit au mieux de ce qu’on peut attendre de la psychanalyse à sa fin.
Bei dem Spiel, das wir ansprechen, hätte er nichts gewonnen, ging er doch geradenwegs auf das Beste dessen zu, was man von einer Psychoanalyse an ihrem Ende erwarten kann.7
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A faire litière de la lettre, est-ce saint Thomas encore qui lui revient, comme l’œuvre en témoigne tout de son long?
Wenn er aus dem Buchstaben [lettre] Streu [litière] macht – ist es dann wieder der Heilige Thomas, der ihm hier in den Sinn kommt, wie das Werk es von vorne bis hinten bezeugt?8
Ou bien la psychanalyse atteste-t-elle là sa convergence avec ce que notre époque accuse du débridement du lien antique dont se contient la pollution dans la culture ?
Oder bekundet die Psychoanalyse hier ihre Konvergenz mit dem, was unsere Zeit als Auflösung des alten Bandes anklagt, das in der Kultur die Verschmutzung zügelt?
Rom, Cloaca Maxima9
J’avais brodé là-dessus, comme par hasard un peu avant le mai de 68, pour ne pas faire défaut au paumé de ces affluences que je déplace où je fais visite maintenant, à Bordeaux ce jour-là.
Ich habe das früher einmal etwas ausgeführt, wie durch Zufall kurz vor dem Mai ’68, um die Verlorenen der Menschenmengen, die ich jetzt immer dorthin verschiebe, wo ich einen Besuch mache, nicht leer ausgehen zu lassen, an jenem Tag in Bordeaux.
La civilisation, y rappelai-je en prémisse, c’est l’égout.
Die Zivilisation, daran hatte ich als Prämisse erinnert, ist der Abwasserkanal.10
Il faut dire sans doute que j’étais las de la poubelle à laquelle j’ai rivé mon sort.
Man muss wohl sagen, dass ich des Mülleimers überdrüssig war, mit dem ich mein Schicksal vernietet habe.11
On sait que je ne suis pas seul à, pour partage, l’avouer.
Wenn ich es als Vermächtnis eingestehe, bin ich bekanntlich nicht allein.12
L’avouer ou, prononcé à l’ancienne, l’avoir dont Beckett fait balance au doit qui fait déchet de notre être, sauve l’honneur de la littérature, et me relève du privilège que je croirais tenir de ma place.13
Das avouer, das Eingestehen, oder, auf alte Weise ausgesprochen, das avoir, das Haben, mit dem Beckett das Soll ausgleicht, das unser Sein zu Abfall macht, rettet die Ehre der Literatur und entbindet mich von dem Privileg, von dem ich glauben könnte, es aufgrund meines Platzes innezuhaben.14
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La question est de savoir si ce dont les manuels semblent faire étal, soit que la littérature soit accommodation des restes, est affaire |[12] de collocation dans l’écrit de ce qui d’abord serait chant, mythe parlé, procession dramatique.
Die Frage ist, ob die Literatur, wie die Lehrbücher es anzubieten scheinen, Resteverwertung ist, ob es bei ihr darum geht, eine schriftliche Kollokation dessen vorzunehmen, was zunächst Gesang gewesen wäre, gesprochener Mythos, Dramenprozession.15
Pour la psychanalyse, qu’elle soit appendue à l’Œdipe, ne la qualifie en rien pour s’y retrouver dans le texte de Sophocle.
Was die Psychoanalyse angeht, so qualifiziert die Tatsache, dass sie am Ödipus hängt, sie in keiner Weise dazu, sich im Text des Sophokles zurechtzufinden.
L’évocation par Freud d’un texte de Dostoïevski ne suffit pas pour dire que la critique de textes, chasse jusqu’ici gardée du discours universitaire, ait reçu de la psychanalyse plus d’air.
Dass Freud einen Text von Dostojewski erwähnt, reicht nicht hin, um zu sagen, die Textkritik, bisher Jagdrevier des Universitätsdiskurses, habe durch die Psychoanalyse frischen Wind bekommen.16
Ici mon enseignement a place dans un changement de configuration qui s’affiche d’un slogan de promotion de l’écrit, mais dont d’autres témoignages, par exemple, que ce soit de nos jours qu’enfin Rabelais soit lu, montrent un déplacement des intérêts à quoi je m’accorde mieux.
Mein Unterricht findet hier in einem Konfigurationswechsel statt, der mit einem Slogan zur Förderung des Geschriebenen beworben wird, von dem jedoch andere Zeugnisse – etwa, dass heute endlich Rabelais gelesen wird – eine Interessenverschiebung anzeigen, mit der ich besser zusammengehe.17
J’y suis comme auteur moins impliqué qu’on n’imagine, et mes Écrits, un titre plus ironique qu’on ne croit : quand il s’agit soit de rapports, fonction de Congrès, soit disons de « lettres ouvertes » où je fais question d’un pan de mon enseignement.
Als Autor bin ich darin weniger involviert als man sich vorstellt, und meine Schriften, ein Titel, der ironischer ist, als man glauben mag: wenn es sich entweder um Berichte handelt, eine Kongressfunktion, oder um, sagen wir, „offene Briefe“, in denen ich zu einem Stück meiner Lehre Fragen aufwerfe.18
Loin en tout cas de me commettre en ce frotti-frotta littéraire dont se dénote le psychanalyste en mal d’invention, j’y dénonce la tentative immanquable à démontrer l’inégalité de sa pratique à motiver le moindre jugement littéraire.
Statt mich jedoch auf das literarische Geschmuse einzulassen, das den Psychoanalytiker kennzeichnet, dem es an Erfindungsgabe mangelt, brandmarke ich darin den unausbleiblichen Versuch, die Unausgeglichenheit seiner Praxis zu beweisen, wenn es darum geht, das geringste literarische Urteil zu begründen.19
Il est pourtant frappant que j’ouvre ce recueil d’un article que j’isole de sa chronologie, et qu’il s’y agisse d’un conte, lui-même bien particulier de ne pouvoir rentrer dans la liste ordonnée des situations dramatiques : celui de ce qu’il advient de la poste d’une lettre missive, d’au su de qui se passent ses renvois, et de quels termes s’appuie que je puisse la dire venue à destination, après que, des détours qu’elle y a subis, le conte et son compte se soient soutenus sans aucun recours à son contenu.
Es fällt jedoch auf, dass ich diese Sammlung mit einem Artikel eröffne, den ich aus der Chronologie herausnehme, und dass es sich dabei um eine Erzählung handelt, die selbst insofern recht speziell ist, als sie in der geordneten Liste dramatischer Situationen nicht unterzubringen ist: eine Erzählung darüber, was sich durch das Versenden eines Briefes [lettre] ereignet, wer von dessen Nachsendungen Kenntnis hat und auf welche Elemente sich stützt, dass ich sagen kann, er habe seinen Bestimmungsort erreicht, nachdem die Erzählung [conte] und ihre Darlegung [compte] sich auf die Umwege, denen er unterworfen war, gestützt haben, ohne jeden Bezug auf seinen Inhalt [contenu].20
Il n’en est que plus remarquable que l’effet qu’elle porte sur ceux qui tour à tour la détiennent, tout arguant du pouvoir qu’elle confère qu’ils soient pour y prétendre, puisse s’interpréter, ce que je fais, d’une féminisation.
Dabei ist umso bemerkenswerter, dass die Wirkung, die er auf diejenigen, die nacheinander in seinen Besitz gelangen, ausübt – wobei alles für die Macht spricht, die er überträgt, wenn sie Anspruch auf ihn erheben können –, dass diese Wirkung so gedeutet werden kann wie ich es tue, als Feminisierung.
Voilà le compte bien rendu de ce qui distingue la lettre du signifiant même qu’elle emporte.
Damit haben Sie eine gute Zusammenfassung dessen, was den Brief / den Buchstaben von dem Signifikanten, den er übermittelt, unterscheidet.
En quoi ce n’est pas faire métaphore de l’épistole.
Wobei aus der Epistel keine Metapher gemacht wird.
Puisque le conte consiste en ce qu’y passe comme muscade le message dont la lettre y fait péripétie sans lui.
Denn die Erzählung besteht darin, dass in ihr, wie in einer Taschenspielerei, die Botschaft zum Verschwinden gebracht wird und der Brief die Wendepunkte ohne die Botschaft herbeiführt.21
Ma critique, si elle a lieu d’être tenue pour littéraire, ne saurait porter, je m’y essaie, que sur ce que Poe fait d’être écrivain à former un tel message sur la lettre.
Sollte meine Kritik zur Recht für Literaturkritik gehalten werden, kann sie sich nur auf das beziehen – und darum bemühe ich mich –, was Poe daraus, dass er Schriftsteller, macht, wenn er eine solche Botschaft über den Brief / Buchstaben gestaltet.
Il est clair qu’à n’y pas le dire tel quel, ce |[13] n’est pas insuffisamment, c’est d’autant plus rigoureusement qu’il l’avoue.
Wenn er es nicht als solches sagt, ist klar, dass er es damit nicht unzureichend, sondern umso rigoroser eingesteht.
Néanmoins l’élision n’en saurait être élucidée au moyen de quelque trait de sa psychobiographie : bouchée plutôt qu’elle en serait.
Dennoch ließe sich diese Elision nicht mithilfe eines Zuges seiner Psychobiografie aufklären: eher würde sie man sie dadurch verschütten.22
(Ainsi la psychanalyste qui a récuré les autres textes de Poe ici déclare forfait de son ménage.)
(So wirft denn auch die Psychoanalytikerin, die die anderen Texte von Poe abgeschrubbt hat, hier das Handtuch.)23
Pas plus mon texte à moi ne saurait-il se résoudre par la mienne : le vœu que je formerais par exemple d’être lu enfin convenablement.
Genauso wenig wie mein eigener Text durch meine Psychobiografie aufgeschlüsselt werden könnte: etwa durch den Wunsch, den ich gebildet hätte, endlich auf angemessene Weise gelesen zu werden.
Car encore faudrait-il pour cela qu’on développe ce que j’entends que la lettre porte pour arriver toujours à sa destination.
Denn dafür müsste man noch darlegen, was ich darunter verstehe, dass der Brief so weit trägt, dass er immer seinen Bestimmungsort erreicht.
Il est certain que, comme d’ordinaire, la psychanalyse ici reçoit, de la littérature, si elle en prend du refoulement dans son ressort une idée moins psychobiographique.
Es ist sicher, dass die Psychoanalyse hier wie üblich von der Literatur etwas empfängt, wenn sie von ihr, für ihr eigenes Gebiet, eine weniger psychobiographische Vorstellung der Verdrängung übernimmt.24
Pour moi si je propose à la psychanalyse la lettre comme en souffrance, c’est qu’elle y montre son échec.
Was mich angeht, wenn ich der Psychoanalyse den Brief / den Buchstaben als unzustellbar [en souffrance] vorlege, dann deshalb, weil sie hierbei ihr Scheitern [échec] zeigt.25
Et c’est par là que je l’éclairé : quand j’invoque ainsi les lumières, c’est de démontrer où elle fait trou.
Und dadurch kläre ich sie auf: wenn ich so die Aufklärung beschwöre, dann um zu zeigen, wo die Psychoanalyse ein Loch bildet.26
On le sait depuis longtemps : rien de plus important en optique, et la plus récente physique du photon s’en arme.
Man weiß das seit langem: in der Optik nichts Wichtigeres, und die neueste Physik des Photons wappnet sich damit.27
Méthode par où la psychanalyse justifie mieux son intrusion : car si la critique littéraire pouvait effectivement se renouveler, ce serait de ce que la psychanalyse soit là pour que les textes se mesurent à elle, l’énigme étant de son côté.
Eine Methode, mit welcher die Psychoanalyse ihre Einmischung besser rechtfertigt: denn wenn die Literaturkritik sich tatsächlich erneuern könnte, dann von daher, dass die Psychoanalyse da wäre, damit die Texte sich an ihr messen, wobei das Rätsel auf ihrer Seite ist.28
Mais ceux dont ce n’est pas médire à avancer que, plutôt qu’ils l’exercent, ils en sont exercés, à tout le moins d’être pris en corps, entendent mal mes propos.
Diejenigen aber, bei denen es keine Verleumdung ist, zu behaupten, dass sie, statt die Psychoanalyse auszuüben, von ihr ausgeübt werden, zumindest als Gemeinschaft [en corps] genommen, verstehen meine Worte schlecht.29
J’oppose à leur adresse vérité et savoir : c’est la première où aussitôt ils reconnaissent leur office, alors que sur la sellette, c’est leur vérité que j’attends.
An sie gewendet setze ich Wahrheit und Wissen einander entgegen: erstere ist das, worin sie ihr Amt sogleich erkennen, während es, auf der Anklagebank, ihre Wahrheit ist, die ich erwarte.30
J’insiste à corriger mon tir d’un savoir en échec : comme on dit figure en abyme, ce n’est pas échec du savoir.
Ich bestehe darauf, meinen Schuss mit einem savoir en échec zu korrigieren, mit einem Wissen im Schach, so wie man sagt figure en abyme, abgründige Figur [= Figur, die sich in sich selbst wiederholt], das ist nicht ein Scheitern des Wissens [échec du savoir] .
J’apprends alors qu’on s’en croit dispensé de faire preuve d’aucun savoir.
Daraufhin erfahre ich, dass man sich davon dispensiert glaubt, irgendein Wissen unter Beweis zu stellen.31
Serait-ce lettre morte que j’aie mis au titre d’un de ces morceaux que j’ai dits Écrits…, de la lettre l’instance, comme raison de l’inconscient?
Sollte es ein toter Buchstabe sein, den ich in den Titel eines der Stücke gesetzt habe, die ich Schriften .… genannt habe, des Buchstabens, das Drängen, als Grund/Räson des Unbewussten?32
N’est-ce pas désigner assez dans la lettre ce qui, à devoir insister, n’est pas là de plein droit si fort de raison que ça s’avance?
Genügt das nicht, um im Buchstaben das zu bezeichnen, was, da es insistieren muss, nicht mit vollem Recht da ist, mit wie starker Räson auch immer es sich vorbringt?33
La dire moyenne ou bien extrême, c’est montrer la bifidité où s’engage toute mesure, mais n’y a-t-il rien dans le réel qui se passe de cette |[14] médiation ?
Diese Räson / dieses Maßverhältnis als mittleres oder äußeres zu bezeichnen, heißt, die Zweiteilung zu zeigen, in der sich jede Messung vollzieht; gibt es aber nichts im Realen, das ohne diese Vermittlung auskommt?34
La frontière certes, à séparer deux territoires, en symbolise qu’ils sont mêmes pour qui la franchit, qu’ils ont commune mesure.
Gewiss, die Grenze, indem sie zwei Gebiete voneinander trennt, symbolisiert, dass die Gebiete für jeden, der die Grenze überschreitet, gleich sind, dass sie ein gemeinsames Maß haben.
C’est le principe de Umwelt, qui fait reflet de Innenwelt.
Das ist das Prinzip der Umwelt*, die eine Widerspiegelung der Innenwelt* ist.35
Fâcheuse, cette biologie qui se donne déjà tout de principe : le fait de l’adaptation notamment; ne parlons pas de la sélection, elle franche idéologie à se bénir d’être naturelle.
Ein Ärgernis, diese Biologie, die sich von vornherein ganz als Prinzip darstellt: insbesondere die Tatsache der Anpassung; ganz zu schweigen von der Auslese, sie ist offen Ideologie, die sich damit segnet, natürlich zu sein.36
Topographie eines Sees37
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La lettre n’est-elle pas… littorale plus proprement, soit figurant qu’un domaine tout entier fait pour l’autre frontière, de ce qu’ils sont étrangers, jusqu’à n’être pas réciproques?
Ist der Buchstabe nicht eigentlich – litoral, d.h. stellt er nicht dar, dass ein ganzer Bereich für den anderen eine Grenze bildet, von daher, dass sie einander fremd sind, bis dahin, dass sie nicht reziprok sind?38
Le bord du trou dans le savoir, voilà-t-il pas ce qu’elle dessine.
Der Rand [bord] des Lochs im Wissen – ist es nicht das, was der Buchstabe umreißt?39
Et comment la psychanalyse, si, justement ce que la lettre dit « à la lettre » par sa bouche, il ne lui fallait pas le méconnaître, comment pourrait-elle nier qu’il soit, ce trou, de ce qu’à le combler, elle recoure à y invoquer la jouissance?
Und wie könnte die Psychoanalyse, wenn sie das, was der Buchstabe mit ihrem Mund „buchstäblich“ sagt, nicht verkennen sollte, wie könnte sie leugnen, dass es dieses Loch gibt, da sie ja, um es zu füllen, darauf zurückgreift, hier die Jouissance aufzurufen?40
Reste à savoir comment l’inconscient que je dis être effet de langage, de ce qu’il en suppose la structure comme nécessaire et suffisante, commande cette fonction de la lettre.
Es bleibt zu klären, wie das Unbewusste – von dem ich sage, dass es eine Wirkung von Sprache ist, da es deren Struktur als notwendig und hinreichend voraussetzt – diese Funktion des Buchstabens bestimmt.41
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Qu’elle soit instrument propre à l’écriture du discours, ne la rend pas impropre à désigner le mot pris pour un autre, voire par un autre, dans la phrase, donc à symboliser certains effets de signifiant, mais n’impose pas qu’elle soit dans ces effets primaire.
Dass er ein geeignetes Werkzeug für das Schreiben des Diskurses ist, macht ihn nicht dazu ungeeignet, das Wort, das im Satz für ein anderes, ja durch ein anderes genommen wird, zu bezeichnen, also bestimmte Signifikanteneffekte zu symbolisieren, zwingt jedoch nicht dazu, dass er in diesen Effekten primär wäre.42
Un examen ne s’impose pas de cette primarité, qui n’est même pas à supposer, mais de ce qui du langage appelle le littoral au littéral.
Eine Untersuchung drängt sich nicht hinsichtlich dieses Primats auf, welches nicht einmal zu vermuten ist, sondern in Bezug auf das, was in der Sprache das Litorale dem Literalen zuweist.
Ce que j’ai inscrit, à l’aide de lettres, des formations de l’inconscient pour les récupérer de ce dont Freud les formule, à être ce qu’elles sont, des effets de signifiant, n’autorise pas à faire de la lettre un signifiant, ni à l’affecter, qui plus est, d’une primarité au regard du signifiant.
Was ich mithilfe von Buchstaben über die Bildungen des Unbewussten geschrieben habe, um sie zurückzugewinnen aus dem, was Freud darüber formuliert, da sie sind, was sie sind, Signifikanteneffekte, ermächtigt nicht dazu, aus dem Buchstaben einen Signifikanten zu machen, und nicht dazu, ihm darüber hinaus dem Signifikanten gegenüber einen Primat zuzuweisen.43
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Die vier Diskurse (Seminar 17, Die Kehrseite der Psychoanalyse)44
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Un tel discours confusionnel n’a pu surgir que de celui qui m’importe.
Ein verworrener Diskurs wie dieser konnte nur von dem Diskurs her aufkommen, der für mich von Bedeutung ist [qui m’importe].
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Die vier Diskurse (Radiophonie)45
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Mais il m’importe dans un autre que j’épingle, le temps venu, du discours universitaire, soit du savoir mis en usage à partir du semblant.
Er importiert mich [il m’importe] jedoch in einen anderen, den ich zu gegebener Zeit als Universitätsdiskurs etikettiere, nämlich Diskurs des ausgehend vom Schein [semblant] in Gebrauch genommenen Wissens.46
Le moindre sentiment que l’expérience à quoi je pare, ne peut se situer que d’un autre discours, eûs dû le garder de le produire, sans l’avouer de moi.
Das geringste Gefühl dafür, dass die Erfahrung, mit der ich mich auseinandersetze, nur von einem anderen Diskurs her verortet werden kann, hätte verhindern müssen, ihn zu produzieren, ohne es als von mir einzubekennen.47
Qu’on me l’épargne Dieu merci ! n’empêche pas qu’à m’importer au sens que je viens de dire, on m’importune.
Dass man mir dies, Gott sei Dank, erspart, ändert nichts daran, dass man mich, indem man mich in genannten Sinn importiert, belästigt [importune].
Freuds Zeichnungen im Entwurf einer Psychologie (1895)48
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Si j’avais trouvé recevables les modèles que Freud articule dans une Esquisse à se forer de routes impressives, je n’en aurais pas pour |[15] autant pris métaphore de l’écriture.
Hätte ich die Modelle für akzeptabel gehalten, die Freud in einem Entwurf artikuliert, über das Bohren von Bahnungen, hätte ich daraus dennoch nicht eine Metapher für die Schrift genommen.49
Elle n’est pas l’impression, ce n’en déplaise au bloc magique.
Sie ist nicht die Einprägung, auch wenn das dem Wunderblock nicht gefallen mag.50
Quand je tire parti de la lettre à Fliess 52e, c’est d’y lire ce que Freud pouvait énoncer sous le terme qu’il forge du Wz, Wahrnehmungszeichen, de plus proche du signifiant, à la date où Saussure ne l’a pas encore reproduit (du signans stoïcien).
Wenn ich den zweiundfünfzigsten Brief an Fließ heranziehe, dann um darin zu lesen, was Freud mit einem von ihm gebildeten Ausdruck als Wz bezeichnen konnte, als Wahrnehmungszeichen*, was dem Signifikanten am nächsten kommt, zu einem Zeitpunkt, als Saussure ihn (vom signans der Stoiker) noch nicht wiederaufgegriffen hatte.51
Que Freud l’écrive de deux lettres, ne prouve pas plus que de moi, que la lettre soit primaire.
Dass Freud dies mit zwei Buchstaben schreibt, beweist nicht mehr als in meinem Fall, dass der Buchstabe primär wäre.52
Je vais donc essayer d’indiquer le vif de ce qui me paraît produire la lettre comme conséquence, et du langage, précisément de ce que je dis : que l’habite qui parle.
Ich werde also versuchen, den Kern dessen aufzuzeigen, was mir als Konsequenz den Buchstaben hervorzubringen scheint, sowie der Sprache, genau gesagt dessen, dass ich sage, dass derjenige, der spricht, sie bewohnt.53
J’en emprunterai les traits à ce que d’une économie du langage permet de dessiner ce que promeut à mon idée que littérature peut-être vire à lituraterre.
Dafür werde ich die Züge dem entnehmen, was es aufgrund einer Ökonomie der Sprache gestattet, zu umreißen, wodurch meines Erachtens gefördert wird, dass Literatur möglicherweise in Lituraterre umschlägt.54
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On ne s’étonnera pas de m’y voir procéder d’une démonstration littéraire puisque c’est là marcher du pas dont la question se produit.
Es wird niemanden überraschen, zu sehen, dass ich hier in einer literarischen Beweisführung voranschreite, denn das heißt, in dem Schritt zu gehen, in dem die Frage vorankommt.
En quoi pourtant peut s’affirmer ce qu’est une telle démonstration.
Wodurch sich aber feststellen lässt, was das ist, eine solche Beweisführung.
Je reviens d’un voyage que j’attendais de faire au Japon de ce que d’un premier j’avais éprouvé… de littoral.
Ich bin gerade zurückgekommen von einer Reise nach Japan, auf die ich mich gefreut hatte, wegen dem, was ich auf einer ersten Reise an … Litoralem erfahren hatte.55
Qu’on m’entende à demi-mot de ce que tout à l’heure de Umwelt j’ai répudié comme rendant le voyage impossible : d’un côté donc, selon ma formule, assurant son réel, mais prématurément, seulement d’en rendre, mais de maldonne, impossible le départ, soit tout au plus de chanter « Partons ».
Man möge mich ohne viel Worte von dem her verstehen, was ich vorhin von der Umwelt* zurückgewiesen habe, da sie die Reise unmöglich macht: also, meiner Formel zufolge, nach einer Seite hin ihr Reales sichert, jedoch verfrüht, indem nur, allerdings versehentlich, der Abflug unmöglich gemacht wird oder höchstens „Fort nun!“ gesungen wird.56
Je ne noterai que le moment que j’ai recueilli d’une route nouvelle, à la prendre de ce qu’elle ne fut plus comme la première fois interdite.
Ich möchte nur den Moment festhalten, den ich auf einer neuen Route erfasst habe, die genommen wurde, weil sie nicht mehr, wie beim ersten Mal, verboten war.
J’avoue pourtant que ce ne fut pas à l’aller le long du cercle arctique en avion, que me fit lecture ce que je voyais de la plaine sibérienne.
Ich gestehe jedoch, dass es nicht auf dem Hinflug war, entlang des Polarkreises, dass mir das, was ich von der sibirischen Ebene sah, etwas zu lesen gab.
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Polarkreis über Sibirien (gestrichelte Linie „Arctic Circle“)57
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Mon essai présent, en tant qu’il pourrait s’intituler d’une sibériéthique, n’aurait donc pas vu le jour si la méfiance des Soviétiques m’avait laissé voir les villes, voire les industries, les installations militaires qui leur font prix de la Sibérie, mais ce n’est que condition accidentelle, quoique moins peut-être à la nommer occidentelle58, à y indiquer l’accident d’un amoncellement de l’occire.
Mein gegenwärtiger Essay, insofern er als eine Sibiriethik tituliert werden könnte, hätte also nicht das Tageslicht erblickt, wenn das Misstrauen der Sowjets mich die Städte, ja die Industrieanlagen und die militärischen Einrichtungen hätte sehen lassen, die für sie den Wert Sibiriens ausmachen, das ist jedoch nur eine akzidentelle Bedingung, wenn auch vielleicht weniger, wenn ich sie okzidentell nenne, um hier den Unfall [accident] einer Aufschichtung des Tötens [occire] anzuzeigen.
Seule décisive est la condition littorale, et celle-là ne jouait qu’au retour d’être littéralement ce que le Japon de sa lettre m’avait59 sans doute fait ce petit peu trop qui est juste ce qu’il faut pour que je le ressente, puisque après tout j’avais déjà dit que c’est là ce dont sa langue s’affecte éminemment.
Die einzig entscheidende Bedingung ist die des Litorals, und sie kam erst auf dem Rückflug ins Spiel, da sie buchstäblich darin bestand, dass Japan mir durch seinen Buchstaben zweifellos dieses Ein-wenig-zu-viel verschafft hatte, was genau das ist, was es braucht, damit ich es spüre, denn ich hatte ja bereits gesagt, dass es das ist, wovon seine Sprache in besonderem Maße betroffen ist.60
[16] Sans doute ce trop tient-il à ce que l’art en véhicule : j’en dirai le fait de ce que la peinture y démontre de son mariage à la lettre, très précisément sous la forme de la calligraphie.
Dieses zu viel rührt gewiss von dem her was die Kunst davon übermittelt: damit spreche ich über die Tatsache, dass die Malerei hier ihre Ehe mit dem Buchstaben demonstriert, und zwar genau in Gestalt der Kalligrafie..
Kakemono (hängendes Rollbild) mit chinesischen Schriftzeichen (Kanji)
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Comment dire ce qui me fascine dans ces choses qui pendent, kakémono que ça se jaspine, pendent aux murs de tout musée en ces lieux, portant inscrits des caractères, chinois de formation, que je sais un peu, mais qui, si peu que je les sache, me permettent de mesurer ce qui s’en élide dans la cursive, où le singulier de la main écrase l’universel, soit proprement ce que je vous apprends ne valoir que du signifiant : je ne l’y retrouve plus mais c’est que je suis novice.
Wie soll ich sagen, was mich an diesen Sachen fasziniert, die dort hängen, Kakemono, so brabbelt man das, die an diesen Orten an jeder Museumsmauer hängen und die Inschriften aus Schriftzeichen tragen, die ihrer Bildung nach chinesisch sind, was ich ein wenig kenne, was mir immerhin, so wenig ich sie auch kenne, zu ermessen erlaubt, was in der Kursivschrift davon getilgt ist, in der das Singuläre der Hand das Universale erdrückt, also eigentlich das, wozu ich Ihnen beibringe, dass es nur vom Signifikanten her Wert hat: ich finde es darin nicht wieder, jedoch weil ich Anfänger bin.61
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Entwicklung der Kursivschrift Hiragana (unten) aus der chinesischen Regelschrift (oben) auf dem Weg über die Grasschrift (mitte, rot)62
Là au reste n’étant pas l’important, car même à ce que ce singulier appuie une forme plus ferme, et y ajoute la dimension, la demansion, ai-je déjà dit, la demansion du papeludun, celle dont s’évoque ce que j’instaure du sujet dans le Hun-En-Peluce, à ce qu’il meuble l’angoisse de l’Achose, soit ce que je connote du petit a ici fait l’objet d’être enjeu de quel pari qui se gagne avec de l’encre et du pinceau ?
Was hier im Übrigen nicht das Wichtige ist, denn selbst wenn dieses Singuläre eine festere Form unterstützt und zu ihm die Dimension hinzufügt, ich habe bereits „die demansion“ gesagt, die demansion des nichmeerallzainz, diejenige, durch welche das evoziert wird, was ich vom Subjekt in das Ainz-Meer einführe, von daher, dass es die Angst der Achose ausfüllt, des Undings, dann fungiert das, was ich hier mit dem klein a konnotiere, als das Objekt, da es Einsatz in welcher Wette ist, die mit Tinte und Pinsel gewonnen wird?63
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Oberflächenabfluss (ruissellement)64
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Tel invinciblement m’apparut, cette circonstance n’est pas rien : d’entre-les-nuages, le ruissellement, seule trace à apparaître, d’y opérer plus encore que d’en indiquer le relief en cette latitude, dans ce qui de la Sibérie fait plaine, plaine désolée d’aucune végétation que de reflets, lesquels poussent à l’ombre ce qui n’en miroite pas.
So erschien mir unwiderstehlich, dieser Umstand ist nicht ohne Belang, von zwischen-den-Wolken her, das auf der Oberfläche abfließende Wasser, einzige Spur, die sich zeigte, durch die in diesen Breiten die Oberflächengestalt mehr noch hervorgebracht als angezeigt wird, auf dem, was aus Sibirien eine Ebene macht, eine von jeder Vegetation verlassene Ebene, bis auf einen leuchtenden Glanz, der das, was nicht schimmert, in den Schatten stößt.65
Le ruissellement est bouquet du trait premier et de ce qui l’efface.
Das Abfließen ist eine Bündelung aus dem ersten Zug oder Strich [trait premier] und dem, was ihn auslöscht.66
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Je l’ai dit : c’est de leur conjonction qu’il se fait sujet, mais de ce que s’y marquent deux temps.
Ich habe es bereits gesagt: ihre Verbindung ist das, woraus das Subjekt gebildet wird, jedoch dadurch, dass sich darin zwei Schritte abzeichnen.67
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Il y faut donc que s’y distingue la rature.
Also muss darin die Streichung [rature] unterschieden werden.68
Rature d’aucune trace qui soit d’avant, c’est ce qui fait terre du littoral.
Streichung [rature] jeglicher Spur, die zuvor dagewesen sein mag, es ist dies, wodurch das Litoral zum Terrain wird.
Litura pure, c’est le littéral.
Reine litura [lat. Streichung], das ist das Literale, das Buchstäbliche.69
La produire, c’est reproduire cette moitié sans paire dont le sujet subsiste.
Diese Streichung zu produzieren, heißt, die unpaare Hälfte zu reproduzieren, durch welche das Subjekt Bestand hat.70
Tel est l’exploit de la calligraphie.
####Solcherart ist die Leistung der Kalligrafie.
Essayez de faire cette barre horizontale qui se trace de gauche à droite pour figurer d’un trait l’un unaire comme caractère, vous mettrez longtemps à trouver de quel appui elle s’attaque, de quel suspens elle s’arrête.
Versuchen Sie mal, den waagerechten Balken [barre], der von links nach rechts gezogen wird, zu zeichnen, um durch einen Strich [trait] das unäre Eins als Schriftzeichen zu bilden, Sie werden eine Weile brauchen, um herauszufinden, mit welchem Druck er angegangen wird und bei welcher Spannung er zu einem Ende kommt.71
A vrai dire, c’est sans espoir pour un occidenté.
Für einen Verwesteten ist das, offen gesagt, hoffnungslos.72
Il y faut un train qui ne s’attrape qu’à se détacher de quoi que ce soit qui vous raye.
Man braucht hier eine Abfolge, die man nur erreicht, wenn man sich von allem löst, was einen durchstreicht.73
Entre centre et absence, entre savoir et jouissance, il y a littoral qui ne vire au littéral qu’à ce que ce virage, vous puissiez le prendre le même à tout instant.
Zwischen Zentrum und Abwesenheit, zwischen Wissen und Jouissance, liegt das Litoral, das nur dann zum Literalen abbiegt, zum Buchstäblichen, wenn Sie in der Lage sind, jederzeit dieselbe Kurve zu nehmen.74
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Diskurs der Universität (oben links),
Diskurs des Herrn (oben rechts) und
Diskurs des Analytikers (unten links)
mit Bezeichnung der vier Plätze
(Seminar 17, Die Kehrseite der Psychoanalyse)75
C’est de ça seulement que vous pouvez vous tenir pour agent qui le soutienne.
Einzig das ermöglicht es Ihnen, sich für einen Agenten zu halten, der es unterstützt.76
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Szene aus Aristophanes, Die Wolken, mit Sokrates in einem Wolken-Korb77
Ce qui se révèle de ma vision du ruissellement, à ce qu’y domine |[17] la rature, c’est qu’à se produire d’entre les nuages, elle se conjugue à sa source, que c’est bien aux nuées qu’Aristophane me hèle de trouver ce qu’il en est du signifiant : soit le semblant, par excellence, si c’est de sa rupture qu’en pleut, effet à ce qu’il s’en précipite, ce qui y était matière en suspension.
Was sich durch meine Vision des Fließens offenbart, insofern darin die Streichung |[17] dominiert, ist dies, dass sie sich von Zwischen-den-Wolken aus herstellt und dadurch mit ihrer Quelle verbunden ist, und dass es tatsächlich die Wolken sind, zu denen Aristophanes mich ruft, um herauszufinden, worum es beim Signifikanten geht: um den Schein par excellence, wenn es durch sein Zerbersten dazu kommt, dass es regnet, eine Wirkung, bei der das, was Materie im Schwebezustand war, daraus hinabstürzt.78
Cette rupture qui dissout ce qui faisait forme, phénomène, météore, et dont j’ai dit que la science s’opère à en percer l’aspect, n’est-ce pas aussi que ce soit d’en congédier ce qui de cette rupture ferait jouissance à ce que le monde ou aussi bien l’immonde, y ait pulsion à figurer la vie.
Dieser Bruch, der auflöst, was Gestalt, Phänomen, Meteor bildete und worüber ich gesagt habe, dass die Wissenschaft so vorgeht, dass sie deren Anblick aufbricht, ist es nicht auch so, dass von daher, dass verabschiedet wird, was aus diesem Zerbersten Jouissance machen würde, dazu, dass die Welt [monde] oder auch das Schmutzige [immonde] den Trieb hat, das Leben figürlich darzustellen?79
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Erosionsrinne im Grand-Canyon-Nationalpark80
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Ce qui de jouissance s’évoque à ce que se rompe un semblant, voilà ce qui dans le réel se présente comme ravinement.
Was an Jouissance evoziert wird, wenn ein Schein zerbricht, ist das, was sich im Realen als Bildung von Erosionsrinnen darstellt.81
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C’est du même effet que l’écriture est dans le réel le ravinement du signifié, ce qui a plu du semblant en tant qu’il fait le signifiant.
Durch die gleiche Wirkung kommt es, dass die Schrift im Realen die Rinne des Signifikats ist, das nämlich, was vom Schein, insofern er den Signifikanten bildet, herabgeregnet ist.82
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Elle ne décalque pas celui-ci, mais ses effets de langue, ce qui s’en forge par qui la parle.
Nicht den Signifikanten gibt die Schrift wieder, sondern seine Sprachwirkungen [effets de langue], das, was daraus durch denjenigen, der sie spricht, gemacht wird.83
Elle n’y remonte qu’à y prendre nom, comme il arrive à ces effets parmi les choses que dénomme la batterie signifiante pour les avoir dénombrées.
Zu ihm kehrt die Schrift nur zurück, wenn sie einen Name von ihm nimmt, so wie es den Wirkungen unter jenen Dingen geschieht, die die Signifikantenbatterie benennt, da sie sie aufgezählt hat.84
Plus tard de l’avion se virent à s’y soutenir en isobares, fut-ce à obliquer d’un remblai, d’autres traces normales à celles dont la pente suprême du relief se marquait de cours d’eau.
Später waren vom Flugzeug aus andere Spuren zu sehen, die sich in Isobaren hielten, indem sie bei Aufschüttungen die Richtung änderten, Normalen im Verhältnis zu denen, deren starkes Gefälle durch Wasserläufe markiert wurde.85
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Autobahnkreuz in Osaka86
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N’ai-je pas vu à Osaka comment les autoroutes se posent les unes sur les autres comme planeurs venus du ciel?
Hatte ich nicht bereits in Osaka gesehen, wie die Autobahnen sich übereinanderlegen als kämen Segelflugzeuge vom Himmel herab?
Outre que là-bas l’architecture la plus moderne retrouve l’ancienne à se faire aile à s’abattre d’un oiseau.
Und auch dies, dass die modernste Architektur sich dort mit der alten vereint, um zum Flügel zu werden, um von einem Vogel geschlagen zu werden.
Comment le plus court chemin d’un point à un autre se serait-il montré sinon du nuage que pousse le vent tant qu’il ne change pas de cap ?
Wie hätte der kürzeste Weg von einem Punkt zu einem anderen sich gezeigt, wenn nicht durch die Wolke, die der Wind treibt, ohne den Kurs zu ändern?
Ni l’amibe, ni l’homme, ni la branche, ni la mouche, ni la fourmi n’en eussent fait exemple avant que la lumière s’avère solidaire d’une courbure universelle, celle où la droite ne se soutient que d’inscrire la distance dans les facteurs effectifs d’une dynamique de cascade.
Weder die Amöbe, noch der Mensch, noch der Ast, noch die Fliege, noch die Ameise hätten dafür ein Beispiel gegeben, bevor sich erwies, dass das Licht mit einer Krümmung des Universums zusammengeht, derjenigen, bei der die Gerade nur dadurch gestützt wird, dass sie in die Wirkfaktoren einer kaskadenartigen Dynamik den Abstand einschreibt.
Il n’y a de droite que d’écriture, comme d’arpentage que venu du ciel.
Eine Gerade gibt es nur durch Schrift, wie Vermessung nur als eine, die vom Himmel kommt.
Mais écriture comme arpentage sont artefacts à n’habiter que le langage.
Schrift und Vermessung sind jedoch Artefakte, da sie nur die Sprache bewohnen.87
Comment l’oublierions-nous quand notre science n’est opérante que d’un ruissellement de petites lettres et de graphiques combinés ?
Wie könnten wir das vergessen, wo unsere Wissenschaft doch nur durch ein Fließen von kleinen Buchstaben und kombinierten Diagrammen funktioniert?
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Titelemblem von „La Psychanalyse“ aus Horus Apollo
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La Psychanalyse, Bd. 1, 195688
[18] Sous le pont Mirabeau certes, comme sous celui dont une revue qui fut la mienne se fit enseigne, à l’emprunter ce pont-oreille à Horus Apollo, sous le pont Mirabeau, oui, coule la Seine primitive, et c’est une scène telle qu’y peut battre le V romain de l’heure cinq (cf. L’Homme aux loups).
Sous le pont Mirabeau, gewiss, wie unter der Brücke, die von einer Zeitschrift, die einst meine war, zum Aushängeschild gemacht wurde, wobei sie die Ohrenbrücke Horus Apollo entlieh, unter der Mirabeau-Brücke, ja, da fließt die Ur-Seine, eine Szene von der Art, dass in ihr die römische V der fünften Stunde schlagen kann (vgl. Der Wolfsmann).89.
Mais aussi bien n’en jouit-on qu’à ce qu’y pleuve la parole d’interprétation.
Man genießt es aber auch nur, wenn das Sprechen der Deutung darauf regnet.90
Que le symptôme institue l’ordre dont s’avère notre politique, implique d’autre part que tout ce qui s’articule de cet ordre soit passible d’interprétation.
Dass das Symptom die Ordnung errichtet, zu der unsere Politik sich als zugehörig erweist, impliziert andererseits, dass alles, was von dieser Ordnung artikuliert wird, einer Deutung unterzogen werden kann.91
C’est pourquoi on a bien raison de mettre la psychanalyse au chef de la politique.
Deshalb ist es ganz richtig, wenn man die Psychoanalyse der Politik voranstellt.92
Et ceci pourrait n’être pas de tout repos pour ce qui de la politique a fait figure jusqu’ici, si la psychanalyse s’en avérait avertie.
Und es wäre vielleicht für das, was von der Politik bislang Gestalt angenommen hat, nicht sehr geruhsam, wenn der Psychoanalyse das klar würde.
Il suffirait peut-être, on se dit ça sans doute, que de l’écriture nous tirions un autre parti que de tribune ou de tribunal, pour que s’y jouent d’autres paroles à nous en faire le tribut.
Es würde vielleicht genügen, wird man sich wohl sagen, wenn wir von der Schrift einen anderen Gebrauch machten als den der Tribüne oder des Tribunals, sodass darin andere Worte ins Spiel kommen, um den Preis, dass wir den Tribut zollen.
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Il n’y a pas de métalangage, mais l’écrit qui se fabrique du langage est matériel peut-être de force à ce que s’y changent nos propos.
Es gibt keine Metasprache, aber das Geschriebene, das aus der Sprache verfertigt wird, ist vielleicht ein Material, das die Kraft hätte, dass sich unsere Behauptungen hierüber ändern.93
Esti-l possible du littoral de constituer tel discours qui se caractérise de ne pas s’émettre du semblant?
Ist es möglich, vom Litoral her einen Diskurs zu bilden, der dadurch gekennzeichnet wäre, dass er nicht vom Schein ausgeht?94
Là est la question qui ne se propose que de la littérature dite d’avantgarde, laquelle est elle-même fait de littoral : et donc ne se soutient pas du semblant, mais pour autant ne prouve rien que la cassure, que seul un discours peut produire, avec effet de production.
Hier ist die Frage, die sich nur zu der Literatur stellt, die Avantgarde genannt wird und die selbst aus Litoralem besteht: und sich daher nicht auf den Schein stützt, dennoch aber nichts als den Bruch beweist, den, mit Produktionswirkung, einzig ein Diskurs produzieren kann.95
Ce à quoi semble prétendre une littérature en son ambition de lituraterrir, c’est de s’ordonner d’un mouvement qu’elle appelle scientifique.
Das, was eine Literatur in ihrem Bestreben, Lituraterrain zu betreten / die Streichung zu landen, zu beanspruchen scheint, ist, sich durch eine Bewegung bestimmen zu lassen, die sie wissenschaftlich nennt.96
Il est de fait que l’écriture y a fait merveille et que tout marque que cette merveille n’est pas près de se tarir.
Es ist eine Tatsache, dass die Schrift hier Wunder gewirkt hat und dass alles darauf hindeutet, dass dieses Wunder nicht so bald versiegen wird.
Cependant la science physique se trouve, va se trouver ramenée à la considération du symptôme dans les faits, par la pollution de ce que du terrestre on appelle, sans plus de critique de Umwelt, l’environnement : c’est l’idée d’Uexküll behaviourisée, c’est-à-dire crétinisée.
Jedoch wird die physikalische Wissenschaft dazu gebracht oder dazu gebracht werden, in den Tatsachen das Symptom zu bedenken, aufgrund der Verschmutzung dessen, was man, von der Erde, ohne weitere Kritik Umwelt* nennt: das ist die Idee von Uexküll, behaviorisiert, das heißt verblödet.97
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Pour lituraterrir moi-même, je fais remarquer que je n’ai fait dans le ravinement qui l’image, aucune métaphore.
Da ich selbst Lituraterrain betreten habe, möchte ich darauf hinweisen, dass ich aus der Rinne, die es verbildlicht, keine Metapher gemacht habe.
L’écriture est ce ravinement même, et quand je parle de jouissance, j’invoque légitimement ce que j’accumule d’auditoire : pas moins par là celles dont je me prive, car ça m’occupe.
Die Schrift ist genau diese Rinne, und wenn ich von Jouissance spreche, berufe ich mich zu Recht auf das, was ich an Zuhörerschaft anhäufe: nicht weniger auf diejenigen, deren ich mich hierdurch beraube, denn das beschäftigt mich.98
[19] Je voudrais témoigner de ce qui se produit d’un fait déjà marqué : à savoir celui d’une langue, le japonais, en tant que la travaille l’écriture.
Ich möchte etwas bezeugen, das sich aus einer Tatsache ergibt, auf die bereits hingewiesen wurde: aus der Tatsache einer Sprache, des Japanischen, insofern in ihr die Schrift am Werk ist.
Qu’il y ait inclus dans la langue japonaise un effet d’écriture, l’important est qu’il reste attaché à l’écriture et que ce qui est porteur de l’effet d’écriture y soit une écriture spécialisée en ceci qu’en japonais elle puisse se lire de deux prononciations différentes : en on-yomi sa prononciation en caractères, le caractère se prononce comme tel distinctement, en kun-yomi la façon dont se dit en japonais ce qu’il veut dire.
Dass in der japanischen Sprache ein Schrifteffekt enthalten ist, daran ist das Wichtige, dass er an die Schrift gebunden bleibt und dass der Träger dieses Schrifteffekts eine Schrift ist, die insofern speziell ist, als sie im Japanischen mit zwei verschiedenen Aussprachen gelesen werden kann: in on’yomi, ihrer Aussprache als Schriftzeichen, wird das Schriftzeichen als solches auf besondere Weise ausgesprochen, in kun’yomi wird es so ausgesprochen, wie man auf Japanisch sagt, was es bedeutet.99
Ça serait comique d’y voir désigner, sous prétexte que le caractère est lettre, les épaves du signifiant courant aux fleuves du signifié.
Es wäre komisch, wenn man darin, unter dem Vorwand, dass das Schriftzeichen Buchstabe ist, bezeichnet sähe, dass die Trümmer des Signifikanten zu den Flüssen des Signifikats hinunterströmen.100
C’est la lettre comme telle qui fait appui au signifiant selon sa loi de métaphore.
Es ist der Buchstabe als solcher, der, gemäß dem Gesetz der Metapher, dem Signifikanten eine Stütze liefert.101
C’est d’ailleurs : du discours, qu’il la prend au filet du semblant.
Es kommt von anderswo her: vom Diskurs, dass der Signifikant den Buchstaben im Netz des Scheins erfasst.102
Elle est pourtant promue de là comme réfèrent aussi essentiel que toute chose, et ceci change le statut du sujet.
Von dort aus wird der Buchstabe jedoch als ein Referent befördert, der genauso wesentlich ist wie jedwedes Ding, und dies verändert den Status des Subjekts.103
Qu’il s’appuie sur un ciel constellé, et non seulement sur le trait unaire, pour son identification fondamentale, explique qu’il ne puisse prendre appui que sur le Tu, c’est-à-dire sous toutes les formes grammaticales dont le moindre énoncé se varie des relations de politesse qu’il implique dans son signifié.
Dass dieses sich für seine grundlegende Identifizierung auf einen konstellierten Himmel stützt und nicht nur auf den unären Zug, erklärt, dass es sich nur auf das Du stützen kann, und dies in sämtlichen grammatischen Formen, nach denen sich noch die kleinste Aussage entsprechend den Höflichkeitsbeziehungen verändert, die sie in ihrem Signifikat impliziert.104
La vérité y renforce la structure de fiction que j’y dénote, de ce que cette fiction soit soumise aux lois de la politesse.
Die Wahrheit verstärkt hier die Struktur der Fiktion, die ich darin bezeichne, dadurch, dass diese Fiktion den Gesetzen der Höflichkeit unterworfen ist.105
Singulièrement ceci semble porter le résultat qu’il n’y ait rien à défendre de refoulé, puisque le refoulé lui-même trouve à se loger de la référence à la lettre.
Bemerkenswerterweise scheint dies zu dem Ergebnis zu führen, dass vom Verdrängten nichts abzuwehren ist, da es dem Verdrängten gelingt, durch den Bezug auf den Buchstaben unterzukommen.
En d’autres termes le sujet est divisé comme partout par le langage, mais un de ses registres peut se satisfaire de la référence à l’écriture et l’autre de la parole.
Mit anderen Worten, wie überall ist das Subjekt durch die Sprache gespalten, aber eines seiner Register kann sich mit dem Bezug auf die Schrift und das andere auf das Sprechen begnügen.106
C’est sans doute ce qui a donné à Roland Barthes ce sentiment enivré que de toutes ses manières le sujet japonais ne fait enveloppe à rien.
Das war es wohl, was Roland Barthes das berauschende Gefühl gab, das japanische Subjekt mit all seinen Manieren sei eine Hülle für nichts.
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L’Empire des signes, intitule-t-il son essai voulant dire : empire des semblants.
Das Reich der Zeichen betitelt er seinen Essay, was heißen soll: Reich des Scheins.107
Le Japonais, m’a-t-on dit, la trouve mauvaise.
Der Japaner, so wurde mir gesagt, findet sie schlecht.
Car rien de plus distinct du vide creusé par l’écriture que le semblant.
Denn nichts unterscheidet sich mehr von der durch die Schrift ausgehöhlten Leere als der Schein.108
Le premier est godet prêt toujours à faire accueil à la jouissance, ou tout au moins à l’invoquer de son artifice.
Ersterer ist Napf, immer bereit, die Jouissance in Empfang zu nehmen oder sie zumindest mit seinem Kunstgriff [artifice] aufzurufen.109
[12] D’après nos habitudes, rien ne communique moins de soi qu’un tel sujet qui en fin de compte ne cache rien.
Unseren Gewohnheiten nach kommuniziert nichts von sich weniger als ein solches Subjekt, das letztlich nichts verbirgt.
Il n’a qu’à vous manipuler : vous êtes un élément entre autres du cérémonial où le sujet se compose justement de pouvoir se décomposer.
Ihm bleibt nur, Sie zu manipulieren: Sie sind ein Element unter anderen in dem Zeremoniell, in dem sich das Subjekt genau daraus zusammensetzt, dass es sich zersetzen kann.
Bunraku110
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Le bunraku, théâtre des marionnettes, en fait voir la structure tout ordinaire pour ceux à qui elle donne leurs mœurs elles-mêmes.
Das Bunraku, ein Figurentheater, macht die ganz gewöhnliche Struktur davon für diejenigen sichtbar, denen diese Struktur ihre eigenen Sitten vermittelt.111
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Tayū (Rezitator) und Samisen-Spieler beim Bunraku112
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Aussi bien, comme au bunraku tout ce qui se dit pourrait-il être lu par un récitant.
Ebenso könnte, wie im Bunraku, alles, was gesagt wird, von einem Rezitator vorgelesen werden.113
C’est ce qui a dû soulager Barthes.
Das ist das, was Barthes sicherlich erleichtert hat.
Le Japon est l’endroit où il est le plus naturel de se soutenir d’un ou d’une interprète, justement de ce qu’il ne nécessite pas l’interprétation.
Japan ist der Ort, an dem es ganz natürlich ist, sich auf einen Dolmetscher [interprète] oder eine Dolmetscherin zu stützen, eben deshalb, weil eine Deutung [interprétation] nicht erforderlich ist.114
C’est la traduction perpétuelle faite langage.
Es ist die zu Sprache [langage] gemachte ständige Übersetzung.
Ce que j’aime, c’est que la seule communication que j’y aie eue (hors les Européens avec lesquels je sais manier notre malentendu culturel), c’est aussi la seule qui là-bas comme ailleurs puisse être communication, de n’être pas dialogue : à savoir la communication scientifique.
Was mir gefällt, ist dies, dass die einzige Kommunikation, die ich dort hatte (neben den Europäern, mit denen ich unser kulturelles Missverständnis zu handhaben weiß), auch die einzige ist, die dort wie anderswo Kommunikation sein kann, indem sie kein Dialog ist: nämlich die wissenschaftliche Kommunikation.115
Elle poussa un éminent biologiste à me démontrer ses travaux, naturellement au tableau noir.
Sie brachte einen namhaften Biologen dazu, mir seine Arbeiten zu demonstrieren, natürlich an der Tafel.
Le fait que, faute d’information, je n’y compris rien, n’empêche pas d’être valable ce qui restait écrit là.
Die Tatsache, dass ich mangels Information nichts verstand, schließt nicht aus, dass das, was dort geschrieben blieb, gültig ist.116
Valable pour les molécules dont mes descendants se feront sujets, sans que j’aie jamais eu à savoir comment je leur transmettais ce qui rendait vraisemblable qu’avec moi je les classe, de pure logique, parmi les êtres vivants.
Gültig für die Moleküle, zu deren Subjekten sich meine Nachkommen machen werden, ohne dass ich je hätte wissen müssen, wie ich sie an sie übermittelt habe, was es wahrscheinlich machte, dass ich mich, rein logisch, zu den Lebewesen zähle.117
Une ascèse de l’écriture ne me semble pouvoir passer qu’à rejoindre un « c’est écrit » dont s’instaurerait le rapport sexuel.
Eine Askese der Schrift scheint mir nur dann durchgehen zu können, wenn sie an ein „es steht geschrieben“ anschließt, durch welches das sexuelle Verhältnis eingesetzt werden würde.118..
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Anmerkungen
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Vgl. J. Lacan: Lituraterre. In: Ders.: Autres écrits. Seuil, Paris 2001, S. 11–20.
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Vgl. J. Lacan: Lituraterre. Übersetzt von Beatrice Khiara-Foxton und Adrian Price. In: Hurly-Burly. The International Lacanian Journal of Psychoanalysis 9 (2013), S. 29–38. Im Internet gibt es diese Übersetzung auf der Website freud2lacan.com (Richard G. Klein), zusammen mit drei weiteren englischen Übersetzungen, hier.
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Vgl. Alfred Ernout, Antoine Meillet: Dictionnaire étymologique de la langue latine. Histoire des mots. Klincksieck, Paris 1959.
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Man soll in diesem etymologischen Wörterbuch der lateinischen Sprache unter diesen drei Stichworten nachlese:
– lino ist die erste Person Singular Präsens von linere, „ausstreichen von Geschriebenem“;
– litura bedeutet „Streichung in einem Text“;
– liturarius meint „etwas, das Streichungen zeigt“.Eine der Bedeutungen des Titels ist also litura-terre, „Streichung in einem Text, bezogen auf den Boden“.
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In Lacans Poe-Aufsatz (1956) heißt es zu Poes Erzählung Der gestohlene Brief:
„In dem, was sie zwischen ihren Fingern drehten, was hielten sie da anderes als das, was nicht dem Steckbrief entsprach, den sie davon hatten? A letter, a litter, ein Brief, ein Abfall. Man hatte sich in dem Kreis um Joyce über die Homophonie dieser zwei Wörter im Englischen in Äquivokationen ergangen.“
(J. Lacan: Das Seminar über „Der gestohlene Brief“. In: Ders.: Schriften. Band I. Vollständiger Text. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien 2016, S. 12–73, hier: S. 30)
In einer Anmerkung zu diesem Satz verweist Lacan auf den von Samuel Beckett herausgegebenen Sammelband: Our exagmination round his factification for incamination of work in progress. Sylvia Beach (Shakespeare & Company), Paris 1929 (a.a.O., S. 30). Der Sammelband enthält den Brief eines Vladimir Dixon, der mit A litter to Mr Joyce überschrieben ist. Hierin heißt es:
„Please froggive my t’Emeritus and any inconvince that may have been caused by this litter. Yours veri tass, Vladimir Dixon.“
Der Brief wurde lange Zeit irrtümlich Joyce zugeschrieben. Joyce selbst verwendet das Wortspiel letter/litter häufig aber auch selbst in Finnegans Wake; vgl. die Belege in Santanu Biswas: A literary introduction to „Lituraterre“. In: Ders. (Hg.): The literary Lacan. From literature to lituraterre and beyond. Seagull, Calcutta u.a. 2012, S. 173–195, hier: S. 175 f.
Das günstige Vorzeichen besteht vermutlich darin, dass im Ernout/Meillet zu lesen ist, dass man neben littera (für „Buchstabe“) noch eine zweite Schreibweise findet, litera, also mit nur einem t, und dass die zweite Schreibweise auf einen etymologisch falschen Vergleich mit lino, litum zurückzuführen ist, also auf die Angleichung an litura, „Streichung“ (vgl. Biswas, a.a.O., S. 174).
Lacan setzt in Lituraterre den Versuch fort, die Beziehung zwischen dem Signifikanten und dem Buchstaben näher zu bestimmen. Anfangs hatte er die Begriffe synonym verwendet (in Das Drängen des Buchstabens im Unbewussten oder die Vernunft seit Freud). In Seminar 9, Die Identifizierung (1961/62), hatte er begonnen, die Begriffe zu differenzieren. Der Wiederholungszwang ist demnach ein Versuch, einen verdrängten Signifikanten wieder hochkommen zu lassen, der jedoch urverdrängt ist und den Lacan in Seminar 9 als Buchstabe bezeichnet. (Vgl. Seminar 9, Die Identifizierung, Sitzungen vom 13. Dezember 1961, S. {19 f.}, vom 20. Dezember 1961, S. {2} und vom 10. Januar 1962, S. {21}) Er ist urverdrängt, das heißt: er treibt die normale Verdrängung an, kann aber durch freie Assoziation nicht zur Sprache gebracht werden.
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Die Mäzenin, die Joyce anbot, eine Psychoanalyse bei Jung zu finanzieren (1919 in Zürich), war Edith Rockefeller McCormick; vgl. Richard Ellmann: James Joyce. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1979, S. 713 f.– Joyce lehnte das Angebot ab.
In Seminar 23, Das Sinthom (1975/76), sowie in den beiden Aufsätzen Joyce das Symptom (I) und Joyce das Symptom (II) wird Lacan ausführlich auf Joyce zurückkommen.
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?? Demnach ist das Beste, das man von einer Psychoanalyse erwarten kann, dass eine Beziehung zwischen a letter und a litter hergestellt wird, zwischen eine Buchstaben und einem Abfall. Was ist damit gemeint?
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Anspielung auf die Wendung sicut palea, „wie Streu“.
Im Dezember 1273 hatte Thomas von Aquin eine mystische Erfahrung, die ihn dazu brachte, die Arbeit an der Summa Theologica einzustellen und nichts mehr zu schreiben. Er erklärte dies damit, dass alles, was er bisher geschrieben habe, „wie Streu“ für ihn sei, verglichen mit dem, was er gesehen habe (vgl. Biswas 2012, a.a.O., S. 177).
Die Wendung geht auf das Buch Jesaja der hebräischen Bibel zurück:
„Aber die Menge deiner Feinde soll werden wie Staub und die Menge der Tyrannen wie wehende Spreu.“ (Jesaja 29, Vers 5)
Lacan hatte den Ausdruck „sicut palea“ bereits verwendet in Proposition du 9 octobre 1967 sur le psychanalyste de l’École (Vorschlag vom 9. Oktober 1967 über den Analytiker der Schule, in: J. Lacan: Autres écrits. Seuil, Paris 2001, S. 243–259, hier: S. 254); in der Note italienne (Notiz für die Italiener, 1973) wird er ihn wieder aufgreifen (Autres écrits, S. 307–311, hier: S. 311).
„Streu“ steht hier sicherlich euphemistisch für „Mist“, also für die Verbindung von Stroh und Exkrementen (so Christian Fierens: Lecture d’un discours qui ne serait pas du semblant. Cours „lire-en-psychanalyse“ de 2009–2010 sur le livre XVIII du Séminare de Lacan. EME, Louvain-la-Neuve 2012, darin: Chapitre VII: Lituraterre, S. 143–164, hier: S. 145).
Bezieht man Joyce auf Thomas von Aquin erhält man:
– Summa theologica: a letter;
– wie Streu: a litter. -
Quelle der Abbildung: Artikel „Cloaca Maxima“ der deutschen Wikipedia.
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Offenbar ist der Abwasserkanal für Lacan eine Verbindung von a letter (vielleicht im Sinne der Ingenieurskunst) und a litter (Exkrementen).
Er bezieht sich hier auf den Vortrag Mon enseignement, sa nature et ses fins, den er am 20. April 1967 im psychiatrischen Krankenhaus Charles Perrens in Bordeaux gehalten hatte und in dem er sich über die Beziehung der Zivilisationen zu Mülldeponien und Abwassersystemen geäußert hatte:
„Es ist stets schockierend, darüber zu sprechen, obwohl das doch immer ein Teil von dem gewesen ist, was man die Kultur (civilisation) nennt. Eine Hochkultur ist zunächst einmal eine Kultur, die eine Müllkippe hat. Solange man nicht von Dingen dieser Art ausgeht, wird man nichts Seriöses sagen.
Bei den Völkern, die man seit einiger Zeit primitiv nennt, ich weiß nicht warum, wo sie doch absolut nichts von Primitivität an sich haben, oder sagen wir, in den Gesellschaften, mit denen sich die Ethnologen befassen (…), nun ja, gibt es weniger an Müllproblemen. Ich behaupte nicht, dass es dergleichen nicht gibt. Und eben, weil sie weniger von diesen Problemen haben, hat man sie Wilde genannt und sogar gute Wilde, und man sieht sie als Leute an, die näher an der Natur sind.
Doch für die Gleichung Hochkultur = Rohre und Kloaken gibt es keine Ausnahme. In Babylon gibt es Kloaken, in Rom gibt es nur das. Die Stadt beginnt damit, Cloaca maxima. Das Reich der Welt war ihr verheißen. Man sollte folglich stolz darauf sein. Der Grund dafür, dass man es nicht ist, ist der, dass man, wenn man dieser Tatsache ihre, wenn man das sagen kann, fundamentale Tragweite geben würde, der erstaunlichen Analogie gewahr werden würde, die zwischen Müllkippe und Kultur (civilisation) besteht.
Das ist jetzt kein Privileg mehr. Alle Welt ist davon mehr als zugedeckt. Das verfestigt sich über ihnen, die Kultur. Eingeschlossen, wie man es ist, in diesen Panzer aus Abfällen, die auch von da herkommen, versucht man, dem vage eine Form zu geben.“
(J. Lacan: Meine Lehre, ihre Beschaffenheit und ihre Zwecke. In: J. Lacan: Meine Lehre. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien 2008, S. 67–100, hier: S. 73 f.)
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des Mülleimers überdrüssig: In Seminar 3, Die Psychosen, hatte Lacan erklärt:
„Das Leben des Psychoanalytikers - wie es mir mehrmals am gleichen Tag von meinen Analysierten in Erinnerung gerufen wurde -, das Leben des Psychoanalytikers ist nicht rosig.
Der Vergleich, den man anstellen kann zwischen dem Analytiker und einem Müllabladeplatz, ist gerechtfertigt. Er muß tatsächlich ganze Tage lang Äußerungen einstecken, deren Wert gewiß zweifelhaft ist, und zwar viel mehr noch als für ihn selbst, für das Subjekt, das sie ihm mitteilt. Das ist ein Gefühl, über welches der Psychoanalytiker, wenn er wirklich einer ist, nicht nur längst gewohnt ist, sich hinwegzusetzen, sondern das er in Wirklichkeit ganz einfach abschafft in sich, in der Ausübung seiner Praxis.“
(J. Lacan: Die Psychosen. Das Seminar, Buch 3 (1955–1956). Textherstellung durch Jacques-Alain Miller, übersetzt von Michael Turnheim. Quadriga, Weinheim 1997, Sitzung vom 30. November 1955, S. 38)
Zum Zeitpunkt von Lituraterre konnotiert die Rede vom „Mülleimer“ darüber hinaus das anale Objekt a, auf das auch der Bezug auf litter und auf die Kanalisation verweist.
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Um welches Eingeständnis geht es? Anscheinend um das der Beziehung zum Mülleimer.
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Die Formulierung „tenir de ma place“ findet man in der Originalversion von 1971; der Autres-écrits-Nachdruck von 2001 hat hier „tenir ma place“.
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Im 17. Jahrhundert wurde „oir“ als „ouère“ ausgesprochen, was für „avoir“ also „avouère“ ergibt. (Anm. von Beatrice Khiara-Foxton und Adrian Price in ihrer englischen Übersetzung dieses Aufsatzes.)
Um welches Privileg geht es? Wohl um das der Vernietung mit einem Mülleimer. In Samuel Becketts Drama Endspiel (Uraufführung 1957) ist die Bühne von Müll übersät und zwei der Figuren, Nagg und Nell, leben in Mülltonnen.
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Klassische Arbeiten zum Übergang von mündlicher zu schriftlicher Literatur sind die Homer-Studien von Milman Parry (The Making of Homeric Verse: The Collected Papers of Milman Parry. Oxford University Press 1971) und die hieran anschließenden Untersuchungen von Albert Lord über slawische Barden (The singer of tales. Harvard University Press, Cambridge, Massachusetts, 1960).
Im Folgenden wird Lacan den Primat des Signifikanten und der gesprochenen Sprache gegenüber dem Buchstaben und dem Geschriebenen behaupten.
?? Deutet das darauf hin, dass für ihn, wie für die Lehrbücher, schriftliche Literatur anfangs die Verschriftlichung von gesprochener Literatur ist?
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Vgl. S. Freud: Dostojewski und die Vatertötung (1928). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 10. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 267–286. Freud bezieht sich hier auf Dostojewskis Roman Die Brüder Karamasow (geschrieben 1878–1880).
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Éric Laurent (1999) verweist hierfür auf Michael Bachtin, Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur, eine Arbeit, die 1965 auf Russisch erschien und von der eine französische Übersetzung 1970 veröffentlicht wurde, im Jahr vor Lituraterre. Laurent betont, dass Bachtin das Lachen in den Mittelpunkt stellt. Also ist der Grund, aus dem Lacan mit der neueren Rabelais-Rezeption zusammengeht, vielleicht, dass darin eine Beziehung zwischen Literatur und Jouissance hergestellt wird.
(Vgl. Éric Laurent: La lettre volée et le vol sur la lettre (Vortrag von 1998 oder 1999). In: La Cause freudienne Nr. 43, 1999, S. 22, im Internet hier: https://www.lacanchine.com/Laurent_01.html. Englische Übersetzung: E. Laurent: The purloined letter and the tao of the psychoanalyst. In: Véronique Voruz, Bogdan Wolf (Hg.): The later Lacan. An introductíon. State University of New York Press, Albany 2007, S. 25–52.)
Die deutsche Übersetzung von Bachtins Arbeit erschien 1987 bei Suhrkamp.
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meine „Schriften“: Vgl. J. Lacan: Écrits. Seuil, Paris 1966.– dt.: Schriften. Band I und Band II. Vollständiger Text. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant 2016 und 2015.
„offene Briefe“: Die Formulierung „offene Briefe“ ist vielleicht auch eine Anspielung auf die später in diesem Aufsatz thematisierte Poe-Geschichte über den Gestohlenen Brief, der gerade dadurch, dass er offen zu Tage liegt, versteckt ist.
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?? Was ist mit dem literarischen Geschmuse (frotti-frotta) gemeint?
die Unzulänglichkeit seiner Praxis: Möglicherweise soll Folgendes angedeutet werden: In meiner (Lacans) Praxis geht es um die Beziehung zwischen a letter und a litter zwischen der Wiederkehr des Verdrängten und dem Objekt a, und eben dies ermöglicht mir die Begründung eines literarischen Urteils, die Begründung meiner Wertschätzung von Joyce und Beckett. – ?
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Lacan bezieht sich auf seinen Aufsatz Le Séminaire sur „La Lettre volée“. Grundlage dieses Textes ist die Vorlesung vom 26. April 1955 im Rahmen von Seminar 2. Die ausgearbeitete schriftliche Fassung wurde 1956 verfasst und 1957 veröffentlicht (vgl. Écrits, a.a.O., S. 11–41, mit Nachträgen S. 41–61); die deutsche Übersetzung hat den Titel Das Seminar über „Der gestohlene Brief‘“ (Schriften. Band I. Vollständiger Text. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien 2016, S. 12–73).
Poes Detektivgeschichte The purloined letter (1844) findet man, in der Buchausgabe von 1845, hier; eine Übersetzung von Hedda Eulenberg (von 1901) steht hier.
Der Hinweis auf die geordnete Liste dramatischer Situation verweist auf: George Polti: Les 36 situations dramatiques. Mercure de France, Paris 1895, im Internet hier (neure Ausgabe : Éditions d’aujourd’hui 1980), vgl. die Wikipedia-Artikel zu diesem Buch, französisch und englisch.
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Ist dies eine Annäherung an eine Definition des Buchstabens im Sinne von Lacan? Sind Buchstaben Elemente, welche die Wendepunkte einer Geschichte ohne Bezug auf das Signifikat herbeiführen? Darin würden sie sich von Signifikanten unterscheiden – Signifikanten dienen der Erzeugung von Signifikaten.
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In Seminar 2 sagt Lacan über die Psychobiografie:
„Man muß vom Text ausgehen, und zwar so, wie Freud es tut und empfiehlt, wie von einem heiligen Text. Der Autor, der Schreiber ist bloß ein Schreiberling und kommt erst an zweiter Stelle. Die Kommentare der Schrift waren unrettbar verloren an dem Tag, an dem man die Psychologie von Jeremias, von Isaias, ja von Jesus hat ermitteln wollen. Ebenso bitte ich Sie, wenn’s um unsere Patienten geht, mehr Aufmerksamkeit auf den Text zu verwenden als auf die Psychologie des Autors – das ist die ganze Orientierung meines Unterrichts.“
(Sitzung vom 9. März 1955, Version Miller/Metzger, a.a.O., S. 197)
In Radiophonie heißt es über die Literatur:
„Denn der Dichter produziert sich daraus … (es sei mir gestattet, den zu übersetzen, der dies dartut, mein Freund Jakobson in dem Fall) … produziert sich daraus, von Versen verzehrt zu werden, die unter sich ihr Arrangement treffen, ohne sich, das ist offenkundig, um das zu sorgen, was der Dichter davon weiß oder nicht. (…) Man sieht, wie kostbar der Formalismus war, die ersten Schritte der Linguistik zu stützen.“
(J. Lacan: Radiophonie (1970). Übersetzt von Hans-Joachim Metzger. In: J.L.: Radiophonie. Television. Quadriga, Weinheim 1988, S. 9)
Lacan kommentiert hier Jakobsons Begriff der poetischen Funktion.
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Anspielung auf Marie Bonaparte: Edgar Poe. Étude psychanalytique. Denoël, Paris 1933 (dt.: Edgar Poe. Eine psychoanalytische Studie. 3 Bände. Internationaler psychoanalytischer Verlag, Wien 1934, Band 1 hier, Band 2 hier, Band 3/4 hier).
Die Erzählung Der gestohlene Brief wird in Band 2 kurz behandelt (S. 415–418 der deutschen Übersetzung). Poe bringt hier, Bonaparte zufolge, sein Bedauern über das Fehlen des mütterlichen Phallus zum Ausdruck.
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In Der Wahn und die Träume in Jensens „Gradiva“ (1907) schreibt Freud über die Dichter:
„In der Seelenkunde gar sind sie uns Alltagsmenschen weit voraus, weil sie da aus Quellen schöpfen, welche wir noch nicht für die Wissenschaft erschlossen haben.“
(In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 10. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 9–85, hier: S. 14)
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?? Der Buchstabe ist demnach der Punkt, an dem die Psychoanalyse scheitert. Inwiefern?
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Der Text auf der hinteren Umschlagseite der Schriften beginnt mit dem Satz:
„Man muss diese Sammlung gelesen haben, und zwar in ihrer vollen Länge, um zu spüren, dass darin eine einzige Auseinandersetzung verfolgt wird, stets dieselbe, und die, sollte es so scheinen, als sei sie älteren Datums, als die Auseinandersetzung über die Aufklärung zu erkennen ist.“
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Lacan spielt mit dem Doppelsinn von les lumières, „die Aufklärung“ / „die Lichter“, und wechselt damit zur Optik. Die neueste Photonenphysik ist die Quantenelektrodynamik; sie beschreibt die Photonen, auch Lichtquanten oder Lichtteilchen genannt. Das „Loch“ in der Physik ist vielleicht der Welle-Teilchen-Dualismus, also die prinzipielle Unmöglichkeit, eine vereinheitlichte Lichttheorie zu bilden.
Offenbar scheitert die Psychoanalyse am Buchstaben, weil er etwas mit einem ähnlichen Loch im Bereich der Psychoanalyse zu tun hat.
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?? Was könnte es heißen, dass das Rätsel auf der Seite der Psychoanalyse ist? Bezieht Lacan sich hier auf den rätselhaften Charakter von Lituraterre?
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Die Psychoanalytiker werden von der Psychoanalyse insofern ausgeübt, als der psychoanalytische Diskurs primär ist und die Psychoanalytiker ein Effekt dieses Diskurses sind; Lacan stützt sich hier auf seine in Seminar 17, Die Kehrseite der Psychoanalyse, entwickelte Diskurstheorie.
In Seminar 18 heißt es über die Diskurse:
„Von diesen Plätzen und diesen Elementen her bestimmt sich, dass das, was im eigentlichen Sinne Diskurs ist, in keiner Weise von einem Subjekt, wiewohl der Diskurs es determiniert, ausfindig gemacht werden kann.
Da liegt wahrscheinlich die Ambiguität dessen, wodurch ich das eingeführt habe, was ich innerhalb des psychoanalytischen Diskurses zu verstehen geben zu müssen meinte. (…)
Der Diskurs, das ist nicht nur, dass er folglich nur mehr im Lichte seiner unbewussten Triebfeder beurteilt werden kann; das ist, dass er nicht mehr als etwas anderes als das ausgesagt werden kann, was sich aus einer Struktur darlegt, worin er sich irgendwo auf eine irreduzible Weise als entäußert erweist.“
(Sitzung vom 13. Januar 1971, Version Miller/Gondek S. 8)
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Vgl. J. Lacan: Die Wissenschaft und die Wahrheit (1966). In: Ders.: Schriften. Band II. Vollständiger Text. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien 2015, S. 401–427; Stenogramm der Eröffnungsvorlesung von Seminar 13 am 1. Dezember 1965.
Analytiker erkennen in der Wahrheit sogleich ihr Amt: sie haben die Aufgabe, den Analysanten dabei zu unterstützen, die verborgene Wahrheit seiner Symptome aufzudecken.
Lacan hingegen erwartet die Wahrheit der Psychoanalytiker, dieser Hinweis könnte sich auf die Formel vom Diskurs des Psychoanalytikers beziehen. Das Wissen, S2, ist dort am Platz der Wahrheit. Der Platz der Wahrheit ist links, das heißt auf der Seite des Analytikers.
?? Was ist damit gemeint, dass Lacan die Wahrheit der Psychoanalytiker erwartet?
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Ab Seminar 12, Schlüsselprobleme für die Psychoanalyse, verwendet Lacan den Terminus Wissen für das Unbewusste (zuerst in der Sitzung vom 19. Mai 1965, vgl. J.L: Problèmes cruciaux pour la psychanalyse. Le séminaire, livre XII. Texte établi par J.-A. Miller. Seuil, Le Champ freudien, Paris 2025, S. 285).
In den Formeln für die vier Diskurse (Seminar 17, Die Kehrseite der Psychoanalyse) verwendet er Wissen allgemeiner für eine Signifikantenverbindung, symbolisiert durch S2; das Unbewusste ist dann eine von mehreren Formen des Wissens. Im Diskurs des Herrn geht es um das Wissens des Knechts, etwa um sein Savoir-faire, im Diskurs der Universität geht es um das an den Universitäten gelehrte Wissen, im Diskurs des Psychoanalytikers um das Unbewusste des Analytikers, im Diskurs der Hysterikerin um das Wissen, das der Herr über die Hysterikerin produziert.
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Lacan bezieht sich auf seinen Aufsatz L’instance de la lettre dans l’inconscient ou la raison depuis Freud, deutsch: Das Drängen des Buchstabens im Unbewussten oder die Vernunft seit Freud (1957), in: Ders.: Schriften. Band I. Vollständiger Text. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien 2016, S. 582–626.
Von einem „toten Buchstaben“ spricht man, wenn der entscheidende Sinn eines Textes nicht verstanden wird und das Wort deshalb nicht „lebendig“ wird.
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Der Buchstabe ist nicht mit vollem Recht da – damit soll vermutlich auf die Verdrängung angespielt werden.
Die Andeutung wird verständlich, wenn man sich auf die Konzeption des Buchstabens bezieht, die Lacan in Seminar 9, Die Identifizierung, vorgetragen hatte. Der Wiederholungszwang (das Insistieren) ist demnach ein Versuch, etwas Verdrängtes wieder hochkommen zu lassen, das jedoch urverdrängt ist und deshalb nicht erinnert werden kann und das Lacan in Seminar 9 als Buchstabe bezeichnet. (Vgl. Seminar 9, Die Identifizierung, Sitzungen vom 13. Dezember 1961, S. {19 f.}, vom 20. Dezember 1961, S. {2} und vom 10. Januar 1962, S. {21}).
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In Die Bedeutung des Phallus (1958) schreibt Lacan:
„Der Phallus als Signifikant gibt die raison des Begehrens (nach der Bedeutung, die dieser Begriff in der französischen Sprache hat, wenn von einer ‚mittleren und äußeren raison‘ im Goldenen Schnitt die Rede ist).“
(J. Lacan: Die Bedeutung des Phallus. In: Ders.: Schriften. Band II. Vollständiger Text. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien 2015, S. 192–205, hier: S. 201)
Vermutlich spielt Lacan hier darauf an, dass der Goldene Schnitt in der Mathematik üblicherweise mit φ bezeichnet wird.
Beim Goldenen Schnitt wird eine Gerade in zwei Abschnitte so geteilt, dass sich die gesamte Gerade zum längeren Abschnitt so verhält wie der längere Abschnitt zum kürzeren. Die lateinische Übersetzung von Euklids Beschreibung dieser Beziehung lautet: proportio habens medium et duo extrema, „dasjenige Verhältnis, das eine Mitte und zwei Extreme hat“ (Buch VI, Definition 3); im Französischen wird diese Proportion als extrême et moyenne raison bezeichnet, als „äußere und mittlere Proportion“ („und“, nicht „oder“).
Der entscheidende Punkt ist hierbei, dass der goldene Schnitt eine irrationale Zahl ist, und das heißt, dass sie nicht als Bruch zweier ganzer Zahlen geschrieben werden kann. Die längere Strecke verhält sich zur Gesamtstrecke wie
: 2, was den Wert 0,618… ergibt. Anders gesagt: Die beiden Strecken, die beim Goldenen Schnitt aufeinander zu beziehen sind, haben kein gemeinsames Maß, sie sind „inkommensurabel“. Die Division muss beständig fortgesetzt werden, da immer ein Rest bleibt.
Wenn man das zusammenfügt, erhält man: Der Phallus ist der Signifikant einer Inkommensurabilität – und damit eines „Lochs im Wissen“.
In Seminar 14 von 1966/67, Die Logik des Phantasmas, kommt Lacan darauf zurück und entwickelt das Konzept der „mittleren und äußeren raison“ für den sexuellen Akt und für den psychoanalytischen Akt (Sitzungen vom 22. Februar bis zum 14. Juni 1967). In Seminar 16 von 1968/69, Von einem Anderen zum anderen, wird das wieder aufgegriffen (Sitzungen vom 22. Januar 1969 und vom 5. März 1969).
Die Zweiteilung der Messung ist die Inkommensurabilität.
Der Phallus ist insofern die raison des Begehrens, als er der Signifikant der Inkommensurabilität ist.
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Vielleicht soll angedeutet werden: Die Annahme von der genauen Passung von Umwelt und Innenwelt bringt das Loch im Wissen zum Verschwinden. – ?
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Lacan bezieht sich auf den Begriff „natürliche Selektion“ bzw. „natürliche Auslese“.
Indirekt sagt Lacan hier wohl: Wenn die Psychoanalyse begreifen will, was ihr Gegenstand ist, muss sie sich vor zwei biologischen Ideologien hüten: vor der Ideologie der Anpassung (der Innen-Außen-Komplementarität) und vor der Ideologie der natürlichen Auslese.
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Quelle der Abbildung: Artikel „Litoral“ in der deutschsprachigen Wikipedia.
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Das Litoral ist die Zone, wo Land und Wasser aufeinanderstoßen: „Küstenstreifen“, „Uferzone“, „Uferstreifen“, „Strand“ usw.; im Niederdeutschen sagt man „Waterkant“. Das deutsche Adjektiv „litoral“ meint laut Duden: „die Küsten-, Ufer-, Strandzone betreffend“.
Der Buchstabe ist litoral, d.h. er bildet eine Zwischenzone zwisches zwei heterogenen Bereichen.
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Der eine der Bereiche, an die der Buchstabe angrenzt, ist das Wissen. Das Wissen im Feld der Psychoanalyse hat ein Loch, ähnlich wie die Optik ein Loch hat. Das räumliche Struktur des Buchstabens, zunächst als Literal beschrieben, wird jetzt als Rand bezeichnet, als Rand eines Lochs im Wissen.
Worin besteht das Loch im Wissen? Möglicherweise bezieht Lacan sich mit dieser Formulierung auf das, was er sonst als „Mangel im Anderen“ bezeichnet, das Symbol hierfür ist S(Ⱥ) oder einfach nur Ⱥ. Hierbei geht es um die Konfrontation mit dem Rätsel des Begehrens des Anderen und dem Rätsel der Jouissance des Anderen.
In Seminar 16, Von einem Anderen zum anderen, heißt es:
„Die Kastration, nämlich das Loch in der Auffassung, das Ich weiß nicht, was das Genießen des Anderen angeht, muss unter dem Blickwinkel seines Verhältnisses zu den verbreiteten, omnipräsenten Auswirkungen unserer Wissenschaft überdacht werden.“
(J. Lacan: Von einem Anderen zum andern. Das Seminar, Buch XVI (1968–1969). Texterstellung Jacques-Alain Miller, übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien 2022, Sitzung vom 23. April 1969, S. 328)
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Der andere Bereich, an den der Buchstabe als Litoral angrenzt, ist die Jouissance. Der Buchstabe ist ein Zwischenbereich – ein Litoral – zwischen Wissen und Jouissance.
Um das Loch im Wissen zu füllen, greift die Psychoanalyse auf die Jouissance zurück. In ihren Deutungen bezieht sie sich auf zwei heterogene Größen, auf das Wissen (auf das Verdrängte) und auf die Jouissance (auf die Lust jenseits des Lustprinzips). Dort wo der Bezug auf das Verdrängte nicht greift (Loch im Wissen), wird von der Psychoanalyse die Jouissance ins Spiel gebracht.
Was könnte es heißen, dass der Buchstabe (die Verdrängung und die Wiederkehr des Verdrängten) eine Zwischenzone zwischen diesen beiden Bereichen bildet? Ich vermute, dass es beim Buchstaben um den Bereich geht, an dem das Wissen (die Signifikantenverbindungen, die Sprache) in die Jouissance eingreifen und sie transformieren, indem sie einen Jouissance-Verlust herbeiführen. In Die Bedeutung des Phallus (1958) bezeichnet Lacan diesen Vorgang als Urverdrängung (er spricht dort noch nicht von Wissen und Jouissance, sondern von Sprache und Bedürfnis).
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Insgesamt bestimmt demnach die Sprache das Unbewusste und das Unbewusste wiederum den Buchstaben: Sprache → Unbewusstes → Buchstabe.
Ist der Buchstabe (in Bezug auf das Feld der Psychoanalyse) der Überschneidungsbereich zwischen dem Unbewussten und der Jouissance?
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Die Beziehung zwischen dem Wort, das für ein anderes genommen wird, ist in Lacans Begrifflichkeit eine Metapher, die Beziehung zwischen dem Wort, das durch ein anderes genommen wird, offenbar eine Metonymie.
?? Inwiefern verweist das „durch“ auf eine Metonymie?
Mit Metapher und Metonymie bezeichnet Lacan in Das Drängen des Buchstabens die Dynamik des Unbewussten, für Freuds Verdichtung und Verschiebung. Diesen Gedanken übernimmt er von Roman Jakobson. In Two aspects of language and two types of aphasic disturbances (1956) schreibt dieser:
„Eine Rivalität zwischen den beiden Mechanismen, metonymischen und metaphorischen, manifestiert sich in jedem symbolischen Prozess, sei er intrapersonal oder sozial. So lautet bei der Erforschung der Struktur der Träume die entscheidende Frage, ob die Symbole und die verwendeten zeitlichen Sequenzen auf Kontiguität beruhen (Freuds metonymische ‚Verschiebung‘ und synekdocheische ‚Verdichtung‘) oder auf Similarität (Freuds ‚Identifizierung und Symbolik‘).“
(In: Ders. und Morris Halle: Fundamentals of language. Mouton & Co, ’s-Gravenhage (Den Haag) 1956, darin Teil II, S. 53–82, hier: S. 80 f., meine Übersetzung, RN. )
In Radiophonie (1970) bezieht Lacan die Metonymie auf die Jouissance (im Folgenden mit „Genuss“ und „Genießen“ übersetzt):
„Die Metonymie, es ist nicht aus dem Sinn von vor dem Subjekt, daß sie spielt (also von der Barriere des Nichtsinns her), es ist aus dem Genuß, worin das Subjekt sich produziert als Schnitt: der ihm also Stoff macht, aber indem er es dafür auf eine an diesen Körper gebundene Oberfläche reduziert, schon das Faktum des Signifikanten.
Nicht, wohlverstanden, daß der Signifikant sich verankere (noch sich verfärbe) im Kitzel (immer noch die Kiste Napoleon), sondern daß er ihn unter anderen Zügen ermögliche, mit denen sich der Genuß bedeutet und wovon das Problem ist, zu wissen, was sich daraus befriedigt.
Daß unter dem, was sich einschreibt, die Passion des Signifikanten gleitet, muß man sie: Genuß des Anderen nennen, denn darin, daß sie hingerissen sei von einem Körper, wird er darüber der Ort des Anderen.
Die Metonymie, wirkend aus einem Metabolismus des Genießens, dessen Potential durch den Schnitt des Subjekts geregelt wird, kotiert als Wert, was sich davon überträgt.“
(Radiophonie, a.a.O., S. 21)
Der Zusammenhang führt hier von der Signifikantenbeziehung (von der Metonymie) zum Schnitt des Subjekts und vom Schnitt des Subjekts zur Jouissance – entspricht der Buchstabe dem Schnitt des Subjekts?
Das Subjekt wird zum Schnitt, indem es durch den Signifikanten auf eine Körperoberfläche reduziert wird – darf man hierbei vielleicht sogar an die sibirische Ebene denken?
In Seminar 18 sagt Lacan zu Metapher und Metonymie:
„Daraus, dass die Sprache nur aus einer einzigen Bedeutung* gebildet ist, bezieht sie ihre Struktur, welche darin besteht, dass man daraus, wenn man sie bewohnt, nur Gebrauch machen kann für die Metapher, woraus all die mythischen Unsinnigkeiten resultieren, unter denen ihre Bewohner leben, und für die Metonymie, wovon sie das Wenige an Realität hernehmen, das ihnen bleibt, in der Form des Mehrgenießens.“
(Sitzung vom 9. Juni 1971, Version Miller/Gondek S. 178; Lacan spielt hier auf Freges Gegensatz von Sinn und Bedeutung an.)
Ist die Jouissance, an welche das Litoral des Buchstabens angrenzt, das Mehrgenießen (plus-de-jouir), die Mehrlust?
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Lacan bezieht sich hier und in den folgenden Sätzen auf Jacques Derrida: Freud und der Schauplatz der Schrift (1966). In: Ders.: Die Schrift und die Differenz. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1972, S. 302–350.
In Seminar 18 hatte er hierzu in der Sitzung vom 17. Februar 1971 angemerkt:
„Es ist sehr wichtig in unserer Zeit, und zwar ausgehend von bestimmten Aussagen, die getätigt wurden und die die Tendenz haben, äußerst bedauerliche Verwirrungen zu stiften, in Erinnerung zu rufen, dass trotzdem das Geschriebene nicht Erstes, sondern Zweites ist im Verhältnis zu jeglicher Funktion der Sprache, und das nichtsdestoweniger ohne das Geschriebene es in keiner Weises möglich ist, zurückzukommen, um das zu befragen, was an erster Stelle aus der Sprachwirkung als solcher hervorgeht, anders gesagt aus der symbolischen Ordnung ‚das heißt der Dimension, um Ihnen eine Freude zu machen, aber Sie wissen, dass ich einen anderen Terminus eingeführt habe, die demansion, die Wohnstatt, der Ort des Anderen der Wahrheit.“
(Version Miller/Gondek S. 74)
In der Sitzung vom 10. März 1971 hieß es, nach Bemerkungen über Heideggers Begriff des Daseins, zu Derrida (dessen Name nicht genannt wird):
„Besagte Präsenz als logozentrisch zu denunzieren, wie dies geschehen ist, die Idee des inspirierten/geisterfüllen [inspirée] Sprechens, wie es heißt, in Namen von jenem, dass das inspirierte Sprechen, selbstverständlich kann man darüber lachen, dem Sprechen die ganze Dummheit anzulasten, in die sich ein gewisser Diskurs verirrt hat, und uns hin zu einer mythischen Urschrift [archi-écriture] mitzuschleppen, einzig und allein gebildet alles in allem aus dem, was man ganz zu Recht als einen gewissen blinden Punkt wahrnimmt, den man an allem denunzieren kann, was über die Schrift nachgedacht wurde – all das bringt kaum voran.“
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Sitzung vom 11. Februar 1970, vgl. Version Miller/Gondek S. 87
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In den Formeln der vier Diskurse ist der Platz des Scheins (semblant) der Platz oben links (vgl. Seminar 18, Sitzung vom 20. Januar 1971; vgl. Version Miller S. 25).
Im Diskurs der Universität ist das Wissen, S2, am Platz oben links, also am Platz des Scheins.
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Abbildungen aus: S. Freud: Gesammelte Werke. Nachtragsband. S. Fischer, Frankfurt am Main 1987, S. 407, 417, 446.
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Vgl. S. Freud: Entwurf einer Psychologie (1895). Von diesem Text gibt es zwei deutsche Ausgaben mit unterschiedlichen Transkriptionen:
(a) S. Freud: Aus den Anfängen der Psychoanalyse 1887–1902. Briefe an Wilhelm Fließ. S. Fischer, Frankfurt am Main 1950, S. 299–384.– Abschrift (mit den Seitenzahlen dieser Ausgabe) auf der Website Lutecium, hier.
(b) Da die 1950 veröffentlichte Transkription fehlerhaft ist, wurde in den Gesammelten Werken eine neue Transkription veröffentlicht, erstellt von Ingeborg Meyer-Palmedo: S. Freud: Gesammelte Werke. Nachtragsband. S. Fischer, Frankfurt am Main 1987, S. 375–486.
Vgl. hierzu: Mai Wegener: Neuronen und Neurosen. Der psychische Apparat bei Freud und Lacan. Ein historisch-theoretischer Versuch zu Freuds „Entwurf“ von 1985. Fink, München 2004.
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Vgl. S. Freud: Notiz über den „Wunderblock“ (1925). In: Ders.: Studienausgabe, Bd.. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 363–370.
Auf diese beiden Texte von Freud, den Entwurf und die Notiz über den „Wunderblock“, bezieht sich Derrida in Freud und der Schauplatz der Schrift.
Die weiter unten in Lituraterre entwickelte Metapher der sibirischen Oberflächenabflüsse ist Lacans Alternative zum Wunderblock.
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Vgl. Brief von Freud an Wilhelm Fließ vom 6. Dezember 1896. Vgl. S. Freud, Aus den Anfängen der Psychoanalyse, a.a.O., S. 151–156. In der Neuausgabe der Fließ-Briefe ist dies der 112. Brief: S. Freud: Briefe an Wilhelm Fließ 1887–1904. Ungekürzte Ausgabe. Hg. v. Jeffrey Moussaieff Masson. S. Fischer, Frankfurt am Main 1986, S. 217–226.
Das Wahrnehmungszeichnen steht demnach (Lacan zufolge) nicht für die Schrift, sondern für den Signifikanten.
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Freud schreibt:
„Wz [Wahrnehmungszeichen] ist die erste Niederschrift der Wahrnehmungen, des Bewußtseins ganz unfähig, nach Gleichzeitigkeitsassoziationen gefügt.“
(Briefe an Wilhelm Fließ 1887–1904, a.a.O., S. 218, Einfügung in Klammern von Masson)
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Im Poe-Aufsatz heißt es umgekehrt, dass „wir lehren, daß das Unbewußte, will heißen: daß der Mensch vom Signifikanten bewohnt wird“ (Schriften I, hg. v. N. Haas, S. 35).
In Seminar 18 hatte Lacan die folgende Verbindung zwischen der Schrift und dem Bewohnen der Sprache hergestellt:
„Was bedeutet das, die Schrift? Man muss freilich ein wenig eingrenzen. Wenn man sieht, was man gemeinhin Schrift zu nennen pflegt, ist das völlig klar und gewiss, dass das etwas ist, das in gewisser Weise auf das Sprechen durchschlägt.
Über das Habitat des Sprechens, ich denke, dass wir die letzten Male bereits genügend Dinge gesagt haben, um zu sehen, dass unsere Entdeckung allerwenigstens eng mit der Tatsache verbunden ist, dass es kein sexuelles Verhältnis, so wie ich es definiert habe, gibt. Oder, wenn Sie so wollen, dass das sexuelle Verhältnis das Sprechen selbst ist. Geben Sie zu, dass das trotzdem ein wenig zu wünschen übrig lässt / ein wenig zu begehren lässt. Im Übrigen denke ich, dass Sie davon ein Ende wissen.
Dass es kein sexuelles Verhältnis gibt, das habe ich bereits in jener Form fixiert, dass es keinen Modus gibt, das derzeit zu schreiben.“
(Sitzung vom 10. März 1971, Version Miller/Gondek S. 97)
„L’habite qui parle“ ist lautgleich mit „la bite qui parle“. „La bite“ ist ein vulgäres Wort für den Penis, „der Schwanz, der spricht“. Vielleicht ist also mitgemeint: Dadurch, dass der Mensch die Sprache bewohnt, kommt der Phallus ins Spiel, die Kastration.
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Mit „Ökonomie der Sprache“ spielt Lacan auf Freuds Begriff der Ökonomie an, also auf den theoretischen Gesichtspunkt quantitativ bestimmbarer Erregungsmengen; in Lacans Begrifflichkeit geht es bei der „Ökonomie der Sprache“ um das Verhältnis von Jouissance und Wissen.
In der ersten Sitzung von Seminar 18 hatte er diesen Zusammenhang so hergestellt:
„Wer nicht sieht, dass die Ökonomie, selbst jene so genannte der Natur, stets eine Diskurstatsache ist, eben der kann nicht erfassen, dass dies ein Hinweis darauf ist, dass es sich hierbei [in Jenseits des Lustprinzips] um das Genießen nur handeln kann, insofern es selbst nicht nur Diskurstatsache, sondern Diskurseffekt ist.“
(Sitzung vom 13. Januar 1971, Version Miller/Gondek S. 22)
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Über seine erste Japan-Reise berichtet Lacan in Seminar 10, Die Angst, in der Sitzung vom 8. Mai 1963.
Mit dem „Litoralen“ ist hier wohl die Einwirkung des Buchstabens bzw. der Schrift auf die Sprache gemeint.
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Demzufolge macht die Umwelt (die Komplementarität von Innen und Außen) die Reise unmöglich. Inwiefern? Vielleicht insofern, als die Reise einen Zwischenbereich (ein Litoral) zwischen Ausgangsregion und Zielregion voraussetzt, der von der Reiseroute durchquert wird.
Lacan bezieht sich hier auf seine Formel „Das Reale ist das Unmögliche“, die er zuerst in Seminar 9 vorgebracht hatte, in den Sitzungen vom 14. und 21. März 1962. Vgl. hierzu auf dieser Website den Artikel „Das Reale ist das Unmögliche“.
Fort nun! Möglicherweise eine Anspielung auf die Operette Die Großherzogin von Gerolstein von Jacques Offenbach, Libretto von Henri Meilhac und Ludovic Halévy (1867). In Akt I, Szene 13, singt der Chor im Original: „Partons!“ (Hinweis von Beatrice Khiara-Foxton und Adrian Price in ihrer englischen Übersetzung von Lituraterre (II)); in der deutschen Übersetzung des Librettos findet man hier: „Fort nun!“
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Abbildung aus: getamap.net, hier
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„Occidentelle“ heißt es in der Originalversion von 1971; in den Autres écrits steht hier „accidentelle“.
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Die Schreibweise „m’avait“ findet man in der Version von 1971; in den Autres écrits steht hier „n’avait“.
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Anspielung auf die Beziehung zwischen dem Litoral (dem Buchstaben) und der Jouissance (dem Ein-wenig-zu-viel); in Lituraterre (I) spricht Lacan an dieser Stelle von dem „klein wenig Zuviel an Kitzel“.
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Die japanische Schrift besteht aus drei Schriftarten: aus chinesischen Schriftzeichen, Kanji genannt, und aus zwei Kursivschriften, Hiragana und Katakana.
Von 1942 bis 1945 hatte Lacan an einem Chinesisch-Kurs teilgenommen, der von dem angesehenen Sinologen Paul Demiéville geleitet wurde (vgl. hier); Lacan erinnert daran in Seminar 18 (Sitzung vom 10. Februar 1971, Version Miller/Gondek S. 52). Zwischen 1969 und 1973 traf er sich einmal wöchentlich mit dem Sinologen François Cheng und sprach mit ihm über chinesische Klassiker, vor allem über Lao Tse, Mencius und Shi Tao (vgl. François Cheng: Le Docteur Lacan au quotidien. In: L’Âne, Nr. 48, Oktober–Dezember 1991, im Internet hier).
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Quelle der Abbildung: Artikel „Hiragana“ in der deutschen Wikipedia.
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festere Form: Welche „festere Form“ ist gemeint? Vermutlich die Verwendung der beiden Kursivschriften nicht als Handschrift, sondern als Druckschrift.
demansion: Den Terminus demansion hatte Lacan in Seminar 18 eingeführt:
„Die Wahrheit ist nicht das Gegenteil des Scheins. Die Wahrheit ist jene Dimension oder Demension – wenn Sie mir gestatten, ein neues Wort zu erschaffen, um diese Näpfe zu bezeichnen –, die in strikter Korrelation steht zu jener des Scheins. Die Demansion der Wahrheit trägt jene des Scheins.“
(Sitzung vom 20. Januar 1971, Version Miller/Gondek S. 27)
Miller transkribiert hier falsch mit „demension“ – der Tonbandtranskription von Espaces Lacan lässt sich klar entnehmen, dass Lacan den vierten Buchstaben als a buchstabiert, nicht als e.
Das französische Wort mansion meint das „Haus“, z.B. in der Astrologie. Offenbar spielt Lacan hier auf eine Formulierung von Heidegger an: „Die Sprache ist der Bezirk (templum), d. h. das Haus des Seins.“ (M. Heidegger: Wozu Dichter? (1926) In: Ders.: Holzwege. Gesamtausgabe, Bd. 5. Klostermann, Frankfurt am Main 1977, S. 310)
Die vier Becher – die vier Plätze der Diskursformeln – bilden demnach die vier Dimensionen der Sprache, ihre vier demansions. Eine dieser vier Dimensionen oder demansions ist die Wahrheit (unten links), sie steht in Verbindung mit der Dimension bzw. demansion des Scheins (oben links).
Zu demansion heißt es in Seminar 18 in der Sitzung vom 17. Februar 1971:
„Ich weiß, daß diese demansion für manche eine Frage aufgeworfen hat, die entsprechenden Echos sind zu mir zurückgekommen. Nun, wenn demansion in der Tat ein neuer Terminus ist, und wenn er noch Bedeutung [sens] hat, so heißt das, dass es Ihnen zukommt, ihm eine zu geben. Die demansion der Wahrheit in ihrer Bleibe [demeure] zu befragen, ist etwas – darin besteht die Neuheit dessen, was ich heute einführe –, das nur durch das Geschriebene geschieht, und durch das Geschriebene als dieses, dass sich nur durch das Geschriebene die Logik bildet.
Das ist es, was ich an dieser Stelle meines diesjährigen Diskurses einführe – Es gibt logische Frage nur ausgehend vom Geschriebenen, insofern das Geschriebene eben nicht die Sprache ist. Insofern habe ich ausgesagt, dass es keine Metasprache gibt. Das Geschriebene selbst, insofern es sich von der Sprache unterscheidet, ist da, um uns zu zeigen, dass, wenn vom Geschriebenen her die Sprache befragt wird, es eben geschieht, insofern das Geschriebene nicht Sprache ist, sondern nur durch seinen Bezug auf die Sprache konstruiert, fabriziert ist.“
(Version Miller/Gondek S. 74)
nichmeerallzainz: für „papledun“, phonetisierende Schreibweise für „pas-plus-d’un“, „einer, aber nicht mehr als einer“, „genau einer“.
Den Terminus pas-plus-d’un hatte Lacan in Seminar 18 eingeführt:
„Auf der anderen Seite ist das, was ich mit Bezug auf diesen Lettre volée [gestohlenen Brief] hervorhebe, dass es, wenn es nur eine Frau und nicht Die Frau, mit anderen Worten, wenn sich die Funktion der Frau nur aus dem entfaltet, was der große Mathematiker Brouwer im Zusammenhang mit dem, was ich gerade über die Diskussion in der Mathematik vorgetragen habe, die Multi-Einheit nennt, eine Funktion gibt, die im ganz eigentlichen Sinne die des Vaters ist, der da ist. Der Vater ist da, um sich darin Anerkennung zu verschaffen, in seiner radikalen Funktion, in derjenigen, die er stets an den Tag gelegt hat, und zwar jedes Mal, wenn es beispielsweise um den Monotheismus ging.
Nicht grundlos wird Freud da scheitern. Es ist deshalb so, weil es eine ganz und gar wesentliche Funktion gibt, die es als im ganz eigentlichen Sinne am Ursprung des Geschriebenen stehend vorzubehalten gilt. Es ist das, was ich das Nicht-mehr-als-Ein(e)s nennen werde.
Aristoteles, ganz klar, unternimmt ganz hinreißende und aufwendige Anstrengungen, wie er das üblicherweise tut, um uns das stufenweise im Namen seines Prinzips zugänglich zu machen, das man als Prinzip des Wiederaufstiegs auf der Stufenleite von Ursache zu Ursache und von Wesen zu Wesen usw. qualifizieren kann, doch irgendwo werden Sie natürlich anhalten müssen. Das ist etwas ganz Liebevolles, das es bei ihm gibt. Nämlich, dass er wahrlich für die Dummen sprach. Von daher die Entwicklung der Funktion des Subjekts.
Auf eine ganz und gar originelle Weise wird das Nicht-mehr-als-Ein(e)s gesetzt. Ohne Nicht-mehr-als-Ein(e)s können Sie nicht einmal beginnen, die Reihe der ganzen Zahlen zu schreiben. Ich werde Ihnen das nächstes Mal an der Tafel zeigen. Es muss eine 1 geben, und dann muss Sie anschließend nur noch den rundgemachten Mund aufplatzen lassen, jedes Mal, wenn Sie wieder beginnen wollen, damit das jedes Mal 1 mehr macht, aber nicht dasselbe. Dagegen sind all diejenigen, die so wiederholt werden, dieselben, sie können addiert werden. Man nennt das die arithmetische Reihe.“
(Sitzung vom 17. März 1971, Version Miller/Gondek S. 125)
Die Funktion pas-plus-d’un (nicht-mehr-als-einer) wird demnach durch den Monotheismus realisiert (es gibt genau einen Gott, nicht mehr) und außerdem durch die Nachfolgerfunktion in der Konstituierung der ganzen Zahlen (die nächste Zahl wird gebildet, indem genau eins addiert wird, jedoch nicht mehr).
Ainz-Meer: für „Hun-En-Peluce“, phonetisierende Schreibweise für „un-un-plus“, „eins mehr“. Weder Hun noch peluce sind Worte des Französischen. Hun lässt an Huns denken, „Hunnen“. Peluce erinnert an peluche, was einerseits „Samt“ bedeutet, andererseits „Fussel“ oder „Staubflocke“.
Den Terminus un-en-plus „eins mehr“, hatte Lacan in Seminar 14 eingeführt, in der Sitzung vom 23. November 1966. Um eine Menge zu bilden, braucht es, außer den Elementen der Menge, ein weiteres Element, das beispielsweise durch den Kreis um die Elemente herum repräsentiert wird; Lacan symbolisiert es mit (+1). Dieses zusätzliche Element ist eines, das den Elementen fehlt, also zugleich „eins weniger“ (−1).
Mit Hun-En-Peluche (bzw. un-en-plus), Eins-mehr, scheint also das Ausnahmeelement gemeint zu sein, durch das eine Menge konstituiert wird. Eine Entsprechung in den Formeln der Sexuierung wäre dann der Ausdruck
, den Lacan durch den Bezug auf den mythischen (nicht-kastrierten) Urvater erläutert, als Bedingung für die Verwendung des Allquantor
Der Gedanke geht auf Seminar 9 zurück, dort noch ohne diese Terminologie (Sitzung vom 9. Mai 1962).
In Seminar 18 heißt es:
„Diese Annahme des zumindest einer, darüber mein Gott, ende ich, weil die Uhr mit die Grenze aufzeigt. Sie werden sehen, dass ich Sie im Weiteren mit dem in eine Funktion zu bringen haben werde, was Sie da bereits dargelegt sehen, nämlich die Funktion des ein mehr/ein im Plüsch [un en peluce], der im Übrigen hier nicht so ist, wie ich ihn letztes Mal geschrieben habe. Nicht grundlos habe ich ihn so geschrieben, ich denke, dass dies dennoch für manche gewisse Echos aufwerfen kann.“
(Sitzung vom 19. Mai 1971, vgl. Version Miller/Gondek S. 171)
Ich verstehe die letzte Formulierung so: Die Angst der Achose, d.h. die Angst, die mit dem Objekt a verbunden ist, wird abgewehrt durch den Bezug auf das Hun-En-Plus, auf das Eins-Mehr, also durch den Bezug auf eine Instanz, die nicht der Kastration zu unterliegen scheint.
Achose: Den Terminus l’achose hatte Lacan in Radiophonie (1970) eingeführt:
„Ich müßte ‚antizipieren‘ (aufnehmend den Sinn meines eigenen Wortes) auf das, was ich vorhabe einzuführen unter der Schreibweise von l’achose, l, Apostroph, a, c, h, o usw., um spüren zu machen, in welchem Effekt die Linguistik Position bezieht.
Das wird kein Progreß sein: eher eine Regression. Das ist es, wessen wir bedürfen gegen die Einheit von Obskurantismus, die sich bereits zusammenschweißt, um der achose zuvorzukommen.“ (Radiophonie. Übersetzt von Hans-Joachim Metzger. In: J. Lacan: Radiophonie. Television. Quadriga, Weinheim 1988, S. 5–54, hier: S. 8)
In Seminar 17 heißt es:
„Den Raum, in dem sich die Schöpfungen der Wissenschaft entfalten, können wir folglich nur als die Insubstanz, als das a-Ding/Unding [l’achose] mit Apostroph bezeichnen. Gemachtes, das den Sinn unseres Materialismus grundlegend verändert.“
(Sitzung vom 20. Mai 1970; J. Lacan: Die Kehrseite der Psychoanalyse. Das Seminar, Buch XVII (1969–1970). Texterstellung durch Jacques-Alain Miller, übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien 2023, S. 208)
klein a: Das Verhältnis zwischen l‘achose und Objekt a war Gegenstand einer Sitzung von Seminar 18. In Anspielung auf Heideggers Begriff des Daseins hatte Lacan dort gesagt:
„Bin ich, bin ich präsent, wenn ich zu Ihnen spreche? Es sollte so sein, dass die Sache, um derentwillen ich mich an Sie wende, da wäre. Nun reicht es aber zu sagen, dass die Sache sich nur als die a-Sache/das Un-Ding [l’achose, statt klanggleich la chose, die Sache, das Ding] schreiben lässt, so wie ich das gerade an die Tafel geschrieben habe, was bedeutet, dass sie da, wo sie ihren Platz hält, abwesend ist. Oder, genauer, dass, einmal beseitigt, das Objekt klein a, das diesen Platz hält, dort, an diesem Platz, nur den sexuellen Akt, so wie wir ihn akzentuieren, das heißt die Kastration, lässt.“
(Sitzung vom 10. März 1971, Version Miller/Gondek S. 89)
Einige Sätze später:
„Wenn es Loch gibt auf der Stufe des Un-Dings, so lässt Sie das bereits erahnen, dass das eine Art und Weise war, es, dieses Loch, bildlich darzustellen (…).“
-
Quelle der Abbildung: Artikel „Ruissellement“ in der französische Wikipedia
-
Das Litoral ist hier nicht eine horizontale, sondern eine vertikale räumliche Struktur, die beiden durch das Litoral voneinander getrennten Bereiche sind hier die Wolken und die Oberfläche der sibirischen Ebene.
das auf der Oberfläche abfließende Wasser: Oberflächenabfluss (ruissellement), Wasser, das nach heftigen Regenfällen nicht versickert, sondern auf der Erdoberfläche, sofern sie eine Neigung hat, abfließt.
In Seminar 20, Encore, wird es heißen:
„Das ist es, was ich gesagt habe in einem Text gewiß nicht ohne Unvollkonmenheiten, den ich Lituraterre genannt habe. Das Gewölk der Sprache – habe ich mich ausgedrückt metaphorisch — macht Schrift. Wer weiß, ob die Tatsache, daß wir diese Rinnsale lesen können, die ich über Sibirien erblickte als metaphorische Spur der Schrift, nicht gebunden ist – lier und lire, das sind dieselben Buchstaben, haben Sie darauf acht - an etwas, das hinausgeht über den Regeneffekt, wofür es keine Chance gibt, daß das Tier es lese als solches?“
(J. Lacan: Das Seminar, Buch XX. Encore (1972–1973). Textherstellung Jacques-Alain Miller, übersetzt von Norbert Haas, Vreni Haas und Hans-Joachim Metzger. Quadriga, Weinheim 1986. Sitzung vom 15. Mai 1973, Version Miller/Haas u.a. S. 129 f.)
Demnach gilt:
– Wolken: Sprache,
– Oberflächenabfluss: Schrift, insofern die Schrift eine Wirkung der Sprache ist, jedoch über die Wirkung der Sprache hinausgeht (und auf die Sprache zurückwirkt, wie Lacan in Lituraterre für das Japanische noch hervorheben wird).in den Schatten stößt: Mit der Beziehung zwischen dem leuchtenden Glänzen und dem Schatten spielt Lacan auf die Fiktionsstruktur der Wahrheit an, wie er Seminar 18 erläutert:
„Genau da wird an die Wichtigkeit der Funktion des Schattens gerührt. Bereits letztes Mal habe ich in dem, was ich über das ausgesagt habe, was genau genommen ein Geschriebenes ist, ich meine über etwas, das sich in buchstäblicher oder literarischer Form darstellte, erwähnt, dass der Schatten zu seiner Hervorbringung einer Lichtquelle bedarf. Ja, wirklich. Aber es ist Ihnen nicht spürbar gewesen, dass von daher die Aufklärung* etwas beinhaltet, das Fiktionsstruktur wahrt. Ich spreche von der geschichtlichen Epoche, die nicht unerheblich gewesen ist, und von der die Bahnen nachzuzeichnen oder sie an sich selbst aufzugreifen für uns nützlich sein kann – das ist hier der Fall, und es ist das, was ich tue. Was das Licht erschafft, geht von diesem Feld aus, das sich selbst als das der Wahrheit definiert. Denn das Licht, sollte es gar einen wirkungsvollen Effekt auf das haben, was Undurchdringlichkeit erschuf, wirft als solches, welches dieses Feld jeden Augenblick verbreitet, einen Schatten, und dieser Schatten zeitigt Wirkung. Darin haben wir diese Wahrheit selbst stets nach ihrer Fiktionsstruktur zu befragen.“
(Sitzung vom 19. Mai 1971, Version Miller/Gondek S. 159)
Lacan beginnt, seine Metapher des Oberflächenabflusses zu erläutern, d.h. in die von ihm entwickelte psychoanalytische Terminologie zu übersetzen.
Der Oberflächenabfluss ist eine Verbindung zwischen dem „ersten Zug“ und seiner Auslöschung.
„Erster Zug“ bzw. „erster Strich“ ist bei Lacan eine seltene Formulierung, jedoch hatte Lacan in Seminar 18 bereits einige Sitzungen vor dem Vorlesen von Lituraterre den Ausdruck verwendet. Dort hieß es,
„dass der Signifikant überall in der Natur herumläuft. Ich habe zu Ihnen über die Sterne, genauer gesagt über die Konstellationen gesprochen, denn es gibt Stern und Stern. Über Jahrhunderte, dennoch, ist der Himmel das – Das ist der erste Strich, der, der oberhalb ist, der wichtig ist. Das ist eine erhöhte Bühne, eine Wandtafel.“
(Sitzung vom 10. Februar 1971, Version Miller/Gondek S. 58)
Entspricht der erste Zug dem unären Zug, dessen Theorie Lacan im Seminar über die identifizierung entwickelt hatte? Sehr wahrscheinlich; im nächsten Satz wird Lacan in Lituraterre über den unären Zug sprechen, und auch später (S. 125) wird er in dieser Arbeit den Terminus wieder verwenden. Also kann man wohl sagen: Mit der Rede vom trait premier bezieht sich Lacan auf ein Größe, die er sonst trait unaire nennt, auf den unären Zugs bzw. den Einzelstrich.
Das Konzept des unären Zugs geht zurück auf Freuds Rede von der Identifizierung mit einem „einzigen Zug“ (vgl. S. Freud: Massenpsychologie und Ich-Analyse (1921). In: GW 13, S. 117). In Seminar 9, Die Identifizierung, hatte Lacan diesen Typ der Identifizierung als Markierung durch die Sprache rekonstruiert. Auf den primären Charakter dieser Identifizierung verweist die Rede vom trait premier, „erster Zug“ (statt trait unaire). (Von der Identifizierung mit den ersten Sexualobjekten, Vater und Mutter, als „primärer Identifizierung“ spricht Freud einmal in Massenpsychologie und Ich-Analyse (GW 13, S. 259).)
Das Auslöschen verweist vermutlich auf die Verdrängung. Der Oberflächenabfluss steht offenbar für die Identifizierung mit dem unären Zug und deren Verdrängung.
Demnach repräsentiert der Oberflächenabfluss das Subjekt im Sinne von Lacan, das gespaltene Subjekt, und die beiden Seiten dieser Spaltung sind der primäre Zug und dessen Auslöschung.
In Seminar 9, Die Identifizierung, hieß es zum Ausstreichen der Spur:
„Aber wenn ich plötzlich die Spur davon finde, dass man sich bemüht hat, die Spur auszulöschen; oder wenn ich sogar von dieser Bemühung keine Spur mehr finde; wenn ich zurückgekommen bin, weil ich weiß – worauf ich keineswegs stolz bin – dass ich die Spur hinterlassen habe; wenn ich finde, dass man – ohne eine Entsprechung, die es gestattet, dieses Auslöschen auf ein allgemeines Auslöschen der Züge/Striche (traits) der Konfiguration zu beziehen –, dass man tatsächlich die Spur als solche ausgelöscht hat, nun, dann bin ich mir sicher, dass ich es mit einem realen Subjekt zu tun habe.“
(Sitzung vom 24. Januar 1962; meine Übersetzung (RN), nach Version Staferla)
Mit rature spielt Lacan auf das Wort littérature (Literatur) an – litté…rature – und damit auf den Titel der Zeitschrift, für die Lituraterre bestimmt ist. Er imitiert damit, ähnlich wie mit Lituraterre, die Arbeitsweise des Unbewussten, hier die Abtrennung von Silben.
Eine frühe Fassung des Themas „Streichung der Spur“ findet man in Seminar 3, Die Psychosen, dort in Bezug auf den Signifikanten, nicht den Buchstaben. Der Signifikant, so heißt es dort, entsteht durch die Streichung der Spur (die Spur steht in einer direkten Beziehung zum repräsentierten Objekt, während ein Signifikant sich auf Signifikanten bezieht). (Vgl. Sitzung vom 14. März 1956, Version Miller/Turnheim S. 198 f.)
?? Die Streichung der Spur führt demnach erstens zur Entstehung des Signifikanten (Seminar 3) und zweitens zur Entstehung des Subjekts. Wie verhält sich das zueinander?
Lacan übersetzt hier rature (Streichung) ins Lateinische: litura. Lituraterre kann demnach auch so gelesen werden: litura – terre, „Streichung – Erde/Boden“.
Das Subjekt (im Sinne von Lacan) ist gespalten. Die eine Seite dieser Spaltung wird durch den unären Zug konstituiert, die andere durch die Streichung (d.h. vermutlich: durch die Verdrängung).
Die beiden Hälften sind „unpaar“, sie bilden kein Paar, damit könnte gemeint sein: sie sind nicht komplementär.
Die Auslöschung des primären Zugs hat demnach die Form, dass ein Strich gemalt wird.
?? Ist das gemeint: Die Streichung des unären Strichs ist selbst wiederum das Anbringen eines Strichs?
Das japanische Schriftzeichen für die Zahl 1 ist ein waagerechter Strich. In Seminar 9 hieß es, dass der trait unaire, der unäre Zug / der Einzelstrich auf zwei Weisen gezeichnet werden kann, als senkrechter Strich, im Französischen batôn geheißen, Knüppel, und als waagerechter Strich, „wie es die Chinesen machen“ (Seminar 9, Sitzung vom 6. Dezember 1961).
Lacan spielt hier auf eine Abhandlung von Shi Tao an, einem chinesischen Maler des 17. Jahrhunderts. Shi Tao zufolge beruht die Arbeit des Malers, des Kalligrafen, auf dem „unären Pinsel“. In Seminar 14 hatte Lacan über Shi Tao gesagt:
„Freud hat den unären Zug/Strich (trait unaire) nicht entdeckt. (…) Öffnen Sie das letzte Heft der ausgezeichneten Zeitschrift, die Arts Asiatiques heißt, und Sie werden hier die Übersetzung einer sehr schönen kleinen Abhandlung über die Malerei sehen, von einem Maler, von dem ich erfreulicherweise das Glück habe, kleine Kakemonos zu besitzen, der Shi Tao heißt und der diesen unären Strich nun wirklich groß herausstellt. Er spricht nur davon, ja, eine ganze Reihe von Seiten über spricht er nur davon. Das nennt sich auf Chinesisch – und nicht nur für die Maler, denn auch die Philosophen sprechen viel davon – yi, das bedeutet Ein, und sua, was „Strich“ heißt. Das ist der unäre Strich.“
(Sitzung vom 26. April 1967, meine Übersetzung nach Version Staferla)
In Shi Taos Abhandlung heißt es:
„Die unterschiedslose Verschmelzung von Yin-Yun bildet das ursprüngliche Chaos. Und wenn es nicht durch das Mittel des unären Pinselstrichs wäre, wie anders könnte das ursprüngliche Chaos erschlossen werden? (…) Die Einheit von Tinte und Pinsel zu verwirklichen heißt, die Unterscheidung von Yin und Yun zu lösen und sich daranzumachen, das Chaos zu erschließen (…). In der Mitte des Ozeans der Tinte, fest den Geist zu errichten; auf der Spitze des Pinsels möge das Leben sich bejahen und aufsteigen; auf der Oberfläche der Malerei die Metamorphose zu vollziehen, dass im Herzen des Chaos das Licht errichtet werde und aufschieße! Ausgehend vom Ein teilt sich das Viele, ausgehend vom Vielen wird das Ein erobert, die Metamorphose des Ein erzeugt Yin und Yun – und da ist es, dass alle Virtualitäten der Welt ihre Erfüllung finden.“
(Meine Übersetzung der Übersetzung von François Cheng in seinem Buch Vide et plein. Le langage pictural chinois. Le Seuil, Paris 1991, übersetzt nach dem Zitat in Laurent, a.a.O.
Verwesteten: für occidenté, ein Kofferwort aus occident (Westen) und accitenté (Verunglückter).
Hier geht es wieder um das Verhältnis zwischen den primären Zug und dem Durchstreichen dieses Zugs. Wenn man, wie ein japanischer Kalligraf, den waagerechten Balkens zeichnen will (den primären oder unären Zug), darf die Streichung (die Verdrängung) nicht ins Spiel kommen. Die unpaare Hälfte, durch die das Subjekt Bestand hat, ist demnach der Buchstabe, der unäre Zug.
Damit wird die These angedeutet, die später in Lituraterre noch ausführlicher begründet wird, dass Japaner kein Unbewusstes haben.
Entre centre et absence, „Zwischen Zentrum und Abwesenheit“, Titel eines Gedichts von Henri Michaux (1936), hier.
Zwischen Zentrum und Abwesenheit, zwischen Wissen und Jouissance: Demnach bezieht sich Lacan hier auf die Jouissance, insofern sie abwesend ist.
das Litoral biegt zum Literalen ab:
?? Geht es hier um die Beziehung zwischen der Wiederkehr des Verdrängten im Symptom (Litoral) und dem verdrängten Buchstaben (Literales)?jederzeit dieselbe Kurve zu nehmen: Vermutlich eine Anspielung auf das Wiederholen im Sinn von Freuds Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten (1914, GW 10, S. 125–136).
Quelle der Abbildung: Seminar 17, Sitzung vom 10. Juni 1970, Version Miller/Gondek, a.a.O., S. 221
Vermutlich eine Anspielung auf den Diskurs des Analytikers mit dem Analytiker am Platz des Agenten.
Bezogen auf die Diskursformeln ist der Platz des Agenten der Platz oben links (vgl. Seminar 17, Version Miller/Gondek S. 221), in Seminar 18 wird dieser Platz als der des Scheins (semblant) bezeichnet (vgl. Sitzung vom 20. Januar 1971, Version Miller/Gondek S. 26).
Quelle der Abbildung: Artikel „The Clouds“ in der englischen Wikipedia. Aus: Emblemata et aliquot nummis antiqui operis, cum emendatione et auctario copioso ipsius autoris by Joannes Sambucus, 1564.
Lacan bezieht sich auf Aristophanes’ Komödie Die Wolken (423 v. Chr). Ein Bauer und sein Sohn lernen Rhetorik, um der schlechten Sache zum Sieg zu verhelfen. Sokrates, der in den Lüften schwebt, erklärt ihnen, die Wolken seien die Götter der neuen Zeit, denn die Wolken verkörpern „die Gedanken, Ideen, Begriffe, die uns Dialektik verleihen und Logik und den Zauber des Wortes und den blauen Dunst, Übertölplung, Floskeln und Blendwerk“ (Aristophanes: Sämtliche Komödien. Bd. 1. Übersetzt von Ludwig Seeger. Artemis-Verlag, Zürich 1952, Verse 317 und 318, zit. nach dem Wikipedia-Artikel „Die Wolken“).
Materie: In Radiophonie (1970) verwendet Lacan den Terminus Materie so:
„Diese intransitive Materialisierung, möchten wir sagen, des Signifikanten zum Signifikat, das ist das, was man das Unbewußte nennt, das nicht Ankerung ist, sondern Ablage, Anschwemmung der Sprache.“
Der Ausdruck „Meteor“ bezog sich ursprünglich auf Himmelserscheinungen jeder Art, auch auf den Regenbogen. Lacan hatte hierüber in Seminar 18 gesprochen: Die erste Operation der Wissenschaft besteht darin, solche Phänomene aufzulösen, durch Buchstaben, also durch algebraische Formeln (13. Januar 1971, Version Miller/Gondek S. 14 f). Meteoriten sind spezielle Formen von Meteoren.
Quelle der Abbildung: Robert E. Kayen auf der Seite research.gat, hier.
wenn ein Schein zerbricht: Mit dem „Zerbrechen des Scheins“ dürfte der Regen gemeint sein, der Wolkenbruch.
Bildung von Erosionsrinnen (ravinement): Nach heftigem Regen kommt es durch Oberflächenabfluss zum Abtransport des Bodens, es bilden sich Rillen (Tiefe <10 cm), Rinnen (<40 cm) und Gräben (>40 cm).
Dies scheinen die Zuordnungen zu sein:
– Wolken: Sprache,
– Regen: Signifikant als Schein (semblant),
– Oberflächenabfluss: unärer Zug, Buchstabe (= Spur der Schrift insofern sie über die Wirkung der Sprache hinausgeht), das Urverdrängte, insofern es sich im Wiederholungszwang manifestiert als Wiederkehr des Verdrängten und in Verbindung zur Jouissance steht,
– von Vegetation verlassene Ebene: Auslöschen des unären Zugs, Konstituierung des Subjekts durch die Urverdrängung,
– Erosionsrinne: Jouissance, vermutlich im Sinne des Jouissance-Verlusts.
– Glanz, der das, was nicht schimmert, in den Schatten stößt: Fiktionsstruktur der Wahrheit.Die Schrift (bzw. der Buchstabe) wird also nicht nur auf den Oberflächenabfluss bezogen, sondern auch auf die hierdurch hervorgerufene Erosionsrinne.
Die Schrift wird hier außerdem dem Realen zugeordnet, nicht dem Symbolischen (in der gesprochenen Fassung von Lituraterre wird Lacan das ausdrücklich sagen).
Die Schrift ist die Erosionsrinne des Signifikats, nicht des Signifikanten.
Das Signifikat ist das, was an Schein geregnet ist; das Signifikat entspricht also dem Regen. Anders gesagt: Wolke verhält sich zu Regen wie Signifikant zu Signifikat.
Insgesamt: Der Regen bildet Erosionsrinnen, das Signifikat bildet Schrift. Die Wirkungskette ist demnach: Wolke → Regen → Erosionsrinne bzw. Signifikant → Signifikat → Schrift.
In welchem Sinne ist die Schrift auf das Signifikat zurückzuführen? Wenn man bei Schrift an die Keramikmarkierungen im vordynastischen Ägypten und auf die Formeln der Physik denkt, bekommt man möglicherweise eine Entsprechung. Dabei geht es um Handlungen in einer sprachlich strukturierten Welt und vielleicht in diesem Sinne um Signifikate. (Auf die Keramikmarkierungen bezieht Lacan sich in Seminar 9, Die Identifizierung, in den Sitzungen vom 20. Dezember 1961, S. {26 f.}, und vom 10. Januar 1962, S. {4}.)
Vielleicht gibt es in diesem Satz ein Wortspiel mit dem Doppelsinn von plu, dem Partizip passiv sowohl von pleuvoir, „regnen“, also auch von plaire, „gefallen“; „das, was vom Schein gefallen hat“.
Wenn man den vorhergehenden Satz hinzuzieht ist mit der Sprachwirkung das Signifikat gemeint.
wenn sie einen Namen von ihm nimmt: Vielleicht geht es hier um die Namen für die Buchstaben, die letztlich auf Wörter für Gegenstände zurückgehen, beispielsweise hat der hebräische Buchstabe Aleph mit dem Rind zu tun (Lacan äußert sich hierzu in Seminar 9, Die Identifizierung, in der Sitzung vom 10. Januar 1962, S. {2} f.).
aufgezählt: Damit könnte gemeint sein, dass etwas dadurch, dass es benannt wird, zu „einem“ (oder zu „eins“) wird.
In Lituraterre (I) heißt es hiernach:
„Da ich mir allerdings nicht sicher bin, dass mein gesamter Diskurs verstanden wird, wird es wohl nötig sein, dass ich eine Opposition fixiere: Die Schrift, der Buchstabe, das ist im Realen, und der Signifikant im Symbolischen. Auf diese Weise werden Sie das runterbeten können.“
Lacan meint Höhenlinien und verwechselt hier Isohypse (Linie gleicher Höhe) mit Isobaren (Linien gleichen Luftdrucks), vielleicht um eine Lautähnlichkeit mit la barre unterzubringen, „der Strich“.
Eine Normale ist eine auf einer Kurve oder einer Ebene errichtete Senkrechte.
Quelle des Fotos: Flickr, https://www.flickr.com/photos/41119677@N05/4275301195
Unter einem Artefakt versteht Lacan eine Diskurstatsache (vgl. Seminar 18, Sitzung vom 13. Januar 1971, Version Miller/Gondek S. 11). Schrift und Vermessung gibt es nur, weil es Diskurse gibt; insofern sind sie Artefakte.
Quelle der Abbildung: amazon.fr, hier.
Sous le pont Mirabeau: Anfang des Gedichts Le Pont Mirabeau von Guillaume Apollinaire (1912).
Lacan bezieht sich auf die Abbildung auf der Titelseite der Zeitschrift La psychanalyse, die von 1956 bis 1964 erschien und von der Société française de psychanalyse herausgegeben wurde. Sie zeigt ein Ohr über einer Brücke.
Die Abbildung ist den Hieroglyphica entnommen, einem Werk des Horus Apollo oder Horapollo über ägyptische Hieroglyphen aus dem 5. Jh. n. Chr. Im Druck erschien es erstmals 1505 bei Alde Manuce in Venedig; die Abbildung entstammt der 1519 im selben Verlag erschienenen Ausgabe, sie ist mit folgender Erläuterung versehen: „Das gemalte Ohr bedeutet das geschaffene Werk oder das Werk, das man erschaffen soll“ (vgl. Lacan, Seminar 4, Verson Miller/Gondek, S. 500).
In Freuds Studie über den „Wolfsmann“ heißt es:
„In einem ganz anderen Zusammenhange, viele Monate später, machte dann der Patient die Bemerkung, das Öffnen und Schließen der Flügel, als der Schmetterling saß, hätte den unheimlichen Eindruck auf ihn gemacht. Dies wäre so gewesen, wie wenn eine Frau die Beine öffnet, und die Beine ergäben dann die Figur einer römischen V, bekanntlich die Stunde, um welche schon in seinen Knabenjahren, aber auch jetzt noch, eine Verdüsterung seiner Stimmung einzutreten pflegte.“ (Aus der Geschichte einer infantilen Neurose (1918). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 8. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 203 f.)
Der Buchstabe ist in diesem Fall also das V, das zugleich das Öffnen und Schließen der Flügel ist, das Öffnen der Beine der Frau und die fünfte Stunde.
?? Inwiefern genießt man die Urszene, wenn die Deutung darauf regnet?
Das Symptom beruht auf der Wiederkehr des Verdrängten, anders gesagt, auf dem Buchstaben.
Unsere Deutungen rufen die Jouissance auf, um das Loch im Wissen zu füllen, hieß es weiter oben (S. 14).
?? In welchem Sinn stiftet das Symptom eine „Ordnung“?
?? Und worauf bezieht sich die Rede von der „Politik“ der Psychoanalyse?
Ist dies gemeint: In der Politik geht es vor allem um die Wiederkehr des Verdrängten und in diesem Sinne um das Symptom – ?
Die Termini Metasprache und Objektsprache bilden ein Paar, wie oben und unten. Die Objektsprache ist die Sprache, die von der Metasprache beschrieben wird.
Die Sentenz „Es gibt keine Metasprache“ findet man zuerst in Seminar 5 von 1957/58, Die Bildungen des Unbewussten, in der Sitzung vom 27. November 1957.Dort heißt es:
„Es gibt keine Metasprache beispielsweise im Sinne einer vollkommenen Mathematisierung des Phänomens der Sprache, und dies genau deshalb, weil es kein Mittel gibt, über das hinaus zu formalisieren, was als ursprüngliche Struktur der Sprache gegeben ist. Nichtsdestoweniger ist diese Formalisierung nicht nur einzufordern, sondern ist sie auch notwendig.“
(Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien 2006, S. 86)
In Seminar 18 hatte Lacan am 10. Februar 1971 gesagt:
„Merkwürdig allerdings ist, dass Linguisten nicht sehen, dass jeder Gebrauch der Sprache, welcher auch immer, sich in die Metapher verschiebt/entstellt [déplace], dass es Sprache nur metaphorisch gibt. Jeder Versuch zu metasprachen, wenn ich mich so ausdrücken kann, beweist das. Er kann nichts anderes tun als zu versuchen, von dem auszugehen, was man stets, jedes Mal, wenn man sich in einer so genannten logizistischen Bestrebung voranbewegt, definiert, von einer Objektsprache. Nun lässt sich aber an den Aussagen welcher dieser logizistischen Versuche auch immer leicht erkennen, dass sie, diese Objektsprache, ungreifbar ist. Es gehört zur Natur der Sprache, ich sage nicht des Sprechens, ich sage der Sprache selbst, dass, wenn es um eine Annäherung an was auch immer geht, was darin bedeutet, der Referent niemals der/das richtige ist, und genau das macht eine Sprache aus.
Jede Bezeichnung ist metaphorisch, sie kann nur vermittels etwas anderem erfolgen. (…)
Eben aus diesem Grunde ist der Referent immer real, weil er unmöglich zu bezeichnen ist. Deshalb bleibt nur mehr übrig, ihn zu konstruieren. Und man konstruiert ihn, wenn man kann.“
(Version Miller/Gondek S. 50 f.)
Und am 10. März 1971 hieß es:
„Schließlich lehrt Sie das viel darüber – viel über dieses, dass die japanische Sprache sich an ihrer Schrift genährt hat. Sie hat sich woran genährt? Am linguistischen Anspruch selbstverständlich, das heißt an der Stelle, an der die Linguistik die Sprache [langue] trifft, das heißt stets im Geschriebenen.
Man wird Ihnen wohl sagen müssen, dass, wenn Herr de Saussure sich vergleichsweise imstande sah, als arbiträr die Signifikanten zu qualifizieren, das einzig auf Grund dessen geschah, dass es sich um geschriebene bildliche Darstellungen handelte. Wie hätte er seinen kleinen Balken anbringen können, mit dem ich hinreichend Ge- und Missbrauch getrieben habe, mit dem Dingsda der Unterseite und dem Dingsda der Oberseite, wenn es hier keine Schrift gäbe?
All dies, um Ihnen in Erinnerung zu rufen, dass, wenn ich behaupte, dass es keine Metasprache gibt, das offensichtlich ist [ça saute aux yeux]. Ich brauche Ihnen nur einen mathematischen Beweis zu erstellen, und Sie werden deutlich sehen, dass ich gezwungen bin, darüber zu diskurieren, weil das ein Geschriebenes ist. Ohne das ginge es nicht.
Wenn ich darüber spreche, so ist das überhaupt nicht Metasprache; es ist das, was man nennt, was die Mathematiker selbst, wenn sie eine logische Theorie darstellen, den Diskurs nennen, den gewöhnlichen Diskurs, den normalen Diskurs.
Dies ist die Funktion des Sprechens, insofern sie, nicht auf eine völlig unbegrenzte, undisziplinierte Weise – das ist es, was ich gerade beweisen genannt habe –, selbstverständlich, aber eben auf die Sprache angewandt wird. Die Schrift ist das, worum es geht, das, worüber man spricht.
Es gibt in dem Sinne keine Metasprache, wie man immer nur von der Schrift her spricht.“
(Version Miller/Gondek S. 107 f.)
Die von Lacan in Seminar 17 vorgestellten Formeln für die vier Diskurse bestehen aus vier Plätzen; der Platz oben links heißt in Seminar 17 „Platz des Agenten“ und wird in Seminar 18 umbenannt in „Platz des Scheins“. In diesem Sinne gehen alle vier Diskurse vom Schein aus. Seminar 18 hat den Titel „Über einen Diskurs, der nicht des Scheins wäre“.
Ein Diskurs ist für Lacan eine sprachlich vermittelte Form der sozialen Bindung. Die Frage scheint zu lauten: Ist eine halbwegs stabile Form der sozialen Bindung möglich, die nicht vom Signifikanten, nicht vom Objekt a und nicht vom Subjekt ($) ausgeht sondern vom Buchstaben?
?? Was ist dabei mit dem Buchstaben gemeint – die Wiederkehr des Verdrängten? „Algorithmen“ im Sinne von Lacan, also Formeln?
Avantgarde-Literatur: Die Avantgarde-Literatur zeichnet sich demnach dadurch aus, dass sie, indem sie die traditionellen literarischen Formen zerbricht, die Dimension des Buchstabens in den Vordergrund rückt; Musterbeispiele sind dann wohl Joyce’ Finnegans Wake und Kurt Schwitters Lautgedichte. „Schein“ ist demnach, bezogen auf Literatur, die Orientierung an traditionellen Form des Erzählens und Dichtens und damit an Sinn und Bedeutung.
den Bruch anzeigt, den einzig ein Diskurs produzieren kann: Möglicherweise ist gemeint: Kann es auf der Grundlage der Avantgarde-Literaturt eine soziale Bindung geben?
ich sage produzieren: Ein Diskurs im Sinne von Lacan besteht aus vier Plätzen; der vierte Platz (unten rechts) ist der der Produktion.
Den Ausdruck „Quadripoden“ verwendet Lacan zuerst in Seminar 17, in der Sitzung vom 26. November 1969, vgl. Version Miller/Gondek S. 15 (dort mit „Vierfüßler“ übersetzt).
Lituraterrir (Lituraterrain betreten) enthält das Verb atterrir, „zu Boden gehen“, „landen“; lituraterrir kann also gelesen werden als Verdichtung aus litura und atterir, „Streichung“ und „zu Boden gehen“, „landen“.
Der Diskurs, der den Bruch vollzieht, ist demnach derjenige der Wissenschaft.
Die Umweltverschmutzung ist demnach ein Symptom, das heißt eine Wiederkehr des Verdrängten und damit ein „Buchstabe“; die Politik, die sich darauf richtet, orientiert sich, ähnlich wie die Psychoanalyse, am Symptom.
Gemeint ist vielleicht: Wenn ich, Lacan, von Jouissance spreche, beziehe ich mich damit auch auf die Jouissance, die ich durch meine Hörerschaft habe, sowie auf den Jouissance-Verlust, den ich erleide. – ?
Die spezielle Schrift, von der Lacan hier spricht, ist das aus chinesischen Schriftzeichen bestehende Kanji, eines der drei im Japanischen gleichzeitig verwendeten Schriftsysteme. Kanji-Schriftzeichen können auf zwei Weisen gelesen werden, in Laut-Lesung (on’yomi) und in Begriffs-Lesung (kun’yomi). Bei Laut-Lesung lehnt sich die Aussprache an den Klang des entsprechenden chinesischen Wortes an. Bei Begriffs-Lesung wird dem Schriftzeichen die Aussprache zugeordnet, die das japanische Wort hat, das dem Schriftzeichen entspricht. Welche der beiden Lesungen die Richtige ist, wird durch den Kontext festgelegt, der Sprecher kann zwischen den Leseweisen also nicht frei wählen. Die beiden Arten der Lesung beziehen sich nur auf das Lesen von geschriebenen Texten, im gesprochenen Japanisch ohne Schriftbezug spielen sie keine Rolle. Mehr dazu hier.
Lacan antizipiert ein Missverständnis: Manche Hörer bzw. Leser werden seine Sibirienmetapher mit dem Dualismus von Signifikant und Signifikat deuten, sie werden den Buchstaben als Signifikanten auffassen und annehmen, mit dem Fluss (mit dem Oberflächenabfluss) sei das Signifikat gemeint sei. Lacan geht es jedoch darum, nicht nur von Signifikanten und Signifikaten zu sprechen, sondern außerdem eine dritte Größe ins Spiel zu bringen, den Buchstaben.
Wenn man Buchstabe und Signifikant unterscheidet, stellt sich die Frage nach ihrer Beziehung. Lacans Antwort: Der Buchstabe fungiert als Metapher für den Signifikanten, als Ersatz.
Eine dreigliedrige Struktur: Diskurs – Signifikant (bzw. Schein) – Schrift. Vom Diskurs her fängt die Sprache die Schrift im Netz der Signifikanten bzw. des Scheins. Damit bekräftigt Lacan seine These vom Primat des Signifikanten gegenüber der Schrift.
Letzte Grundlage für die Beziehung zwischen Signifikant und Buchstabe ist der Diskurs, das heißt die sprachlich vermittelte soziale Bindung in unterschiedlichen Formen. Lacan scheint sich hier speziell auf Japan zu beziehen.
Könnte man nicht auch auf den Schriftbezug der großen Sozialsysteme verweisen, auf die Schriftreligionen, auf die Wirtschaft mit Buchhaltung und Geld, auf das Recht mit der Orientierung an geschriebenen Gesetzen und Verträgen, auf die Wissenschaft mit ihren Formeln, auf die Literatur – ?
Um Lacans These als Frage zu formulieren: Wie verändert sich der Status des Subjekts, wenn die Schrift, wie in Japan, zu einem wesentlichen Referenten wird?
konstellierten Himmel: Anspielung auf eine Formulierung von Kant:
„Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmenden Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir, und das moralische Gesetz in mir.“
(Kritik der praktischen Vernunft, Beschluss)
?? Was ist hier mit der Identifizierung mit dem konstellierten Himmel gemeint?
Fierens macht darauf aufmerksam, dass Lacan nicht ciel étoilé („bestirnter Himmel“) schreibt, sondern ciel constellé (wörtlich „konstellierter Himmel“), und nimmt an, dass sich die Konstellation auf die Schrift bezieht (vgl. Christian Fierens: Lecture d’un discours qui ne serait pas du semblant. Cours „lire-en-psychanalyse“ de 2009–2010 sur le livre XVIII du Séminare de Lacan. EME, Louvain-la-Neuve 2012, darin: Chapitre VII: Lituraterre, S. 143–164, hier: S. 163).
dass er sich nur auf das Du stützen kann: Mit dem Übergang vom konstellierten Himmel zum Du folgt Lacan Kants Übergang vom bestirnten Himmel zum moralischen Gesetz.
In Seminar 18 hatte Lacan gesagt:
„Das, was sich in einem Diskurs an den Anderen als ein Du wendet, lässt die Identifizierung auftauchen, mit etwas, was man das menschliche Idol nennen kann. (…) In jedem Diskurs, der ans Du appelliert, provoziert etwas zu einer getarnten, geheimen Identifizierung, die nichts anderes ist als die mit diesem rätselhaften Objekt, das gar nichts sein kann, die ganz kleine Mehrlust von Hitler, die vielleicht nicht weiter ging als sein Schnurrbart.“ (Sitzung vom 20. Januar 1971; vgl. Version Miller S. 29)
in sämtlichen grammatischen Formen: Das moralische Gesetz ist nicht „in mir“, wie Kant sagt, sondern außer mir in den grammatischen Formen der Höflichkeit. Vgl. den Artikel „Japanische Höflichkeitssprache“ in der deutschen Wikipedia.
Vgl. auf Lacan entziffern den Artikel „Die Wahrheit hat die Struktur einer Fiktion“.
Lacan beantwortet jetzt seine Frage, wie sich im Japanischen durch den Buchstaben der Status des Subjekts verändert.
Hintergrund ist, nehme ich an, die anfangs von mir zitierte Gleichsetzung des Buchstabens mit der Wiederkehr des Verdrängten.
Lacans These scheint zu lauten: Die Spaltung des Subjekts ist letztlich eine Spaltung zwischen dem sinnorientierten Sprechen und dem Buchstaben. Im Französischen oder Deutschen manifestiert sich diese Spaltung als die zwischen dem Sprechen, das durch den Sinnbezug bestimmt ist (énoncé), und dem im Sprechen wirksamen Symptom, in dem sich das Unbewusste manifestiert (énonciation). Im Japanischen hingegen hat die Spaltung zwischen gesprochener Sprache und Buchstaben die Form der Spaltung zwischen Begriffs-Lesung (kun’yomi) und Klang-Lesung (on’yomi). Aus diesem Grunde gibt es für japanische Sprecher keine Notwendigkeit zur Herausbildung des Unbewussten.
(Die Unterscheidung zwischen Begriffs-Lesung und Klang-Lesung bezieht sich auf das Lesen von Texten, nicht auf das gewöhnliche Sprechen. Die von Lacan behauptete Überflüssigkeit des Unbewussten wäre also ein Effekt des Durchlaufens des Schulsystems.)
Im Hinweis für den japanische Leser (1972) zur Übersetzung der Écrits wird Lacan hieraus die Schlussfolgerung ziehen, dass
„niemand, der diese Sprache [das Japanische] bewohnt, einen Bedarf danach hat, psychoanalysiert zu werden“.
(J. Lacan: Autres écrits. Le Seuil, Paris 2000, S. 498, meine Übersetzung)
Und im Nachwort von 1973 zu Seminar 11 von 1964, Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse, heißt es mit Bezug auf die japanische Sprache, dass
„das sprechende Wesen sich dadurch den Kunstgriffen des Unbewussten entziehen kann, die es nicht erreichen, da sie sich darin verschließen“.
(Version Miller/Haas S. 302)
Wenn Lacan sagt, dass das das Unbewusste strukturiert ist wie eine Sprache (langage), ist damit die offenbar die Einzelsprache (langue) gemeint, hier das Japanische.
Vgl. Roland Barthes: L’empire des signes. Skira, Genf 1970; dt.: Das Reich der Zeichen. Übersetzt von Michael Bischoff. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1981.
In Das Reich der Zeichen beschreibt Barthes (in semiologischer Orientierung) Szenen des japanischen Lebens, wie sie sich für ihn als Beobachter darstellen: die Präsentation der Körper, die Gesten beim Zubereiten der Nahrung und beim Essen, der Anblick einer Spielhalle, die visuelle Orientierung in einer Stadt, das Aussehen der Wohnräume, die demonstrativen Formen der Höflichkeit, aber auch das Bunraku und das Haiku, wobei er das, was er sieht und liest, immer wieder mit der graphischen Seite von Schrift und Zeichnung vergleicht. So spricht er etwa von einem „graphischen Modus der Existenz“ (S. 110 der deutschen Übersetzung), von den „zahllosen graphischen Gebärden, die das japanische Leben kennzeichnen“ (113 f.).
Von der Schrift wird eine Leere ausgehöhlt, das entspricht der Beziehung zwischen dem Oberflächenabfluss und den Erosionsrinnen.
Ersterer: Durch die Parallelstelle in Lituraterre (I) ist klar, dass hier der Schein gemeint ist, nicht die Schrift.
Napf: In Seminar 18 hatte Lacan die vier Plätze der vier Diskurse als Näpfe (godets) bezeichnet (vgl. Sitzung vom 20. Januar 1971, Version Miller/Gondek S. 27). Der erste Napf ist demnach der Platz oben links, der Platz des Scheins. In derselben Sitzung bezeichnet er den Diskurs als Artefakt (Version Miller/Gondek S. 28); also ist vermutlich gemeint „oder es mit seinem Diskurs zumindest aufzurufen“.
Der Schein ist mit Jouissance verbunden, die Schrift (bzw. der Buchstabe) hingegen mit Leere, und das heißt wohl indirekt: mit der Abwesenheit oder dem Verlust von Jouissance.
Foto von der Website American Cinematographer, hier.
Roland Barthes bezieht sich in Das Reich der Zeichen ausführlich auf das Bunraku, in den Kapiteln „Die drei Schriften“, „Belebt/unbelebt“ und „Innen/außen“; vgl. dt. Übersetzung, a.a.O., S. 67–86.
Quelle der Abbildung: Artikel „Bunraku“ in der deutschen Wikipedia.
Beim Bunraku sitzt der Rezitator (tayu) an der Seite der Bühne. Er liest vor (damit kommt die Schrift ins Spiel); er artikuliert die Stimmen des Erzählers und sämtlicher Figuren und betont dabei die Emotionen. (Vgl. Wikipedia-Englisch, Artikel „Bunraku“.)
Warum ist eine Interpretation nicht erforderlich? Vermutlich ist gemeint: Weil das Unbewusste seinen Ort im Geschriebenen findet, also nicht durch Deutung erschlossen werden muss.
Unter „Kommunikation“ und „Dialog“ versteht Lacan meist die Auffassung, dass die Sprache ein Werkzeug ist, um Gedanken mitzuteilen (vgl. etwa Radiophonie, a.a.O., S. 8); hier meint er mit Kommunikation offenbar etwas anderes.
In Seminar 18 hatte Lacan daran erinnert, dass er seit langem sagt, es gebe keinen Dialog (Sitzung vom 17. Februar 1971, Version Miller/Gondek S. 83).
In Das Drängen des Buchstabens im Unbewussten (1957) heißt es:
„Die Ansprüche des Geistes bleiben dennoch irreduzibel, wenn der Buchstabe nicht den Beweis erbracht hätte, dass er all seine Wahrheitswirkungen im Menschen zustandebringt, ohne dass der Geist sich auch nur im Geringsten darin einzumischen hätte.“ (A.a.O., S. 602)
1966 verweist Lacan in einem Nachtrag zu seinem Poe-Aufsatz darauf, dass er in diesem Aufsatz vom caput mortuum des Signifikanten gesprochen habe, von seinem „Totenkopf“, d.h. von einem „Loch“, das der Signifikant aufreißt (vgl. Das Seminar über „Der gestohlene Brief“, a.a.O., S. 68); er betont den kausalen Aspekt dieses Lochs, seine Wirksamkeit.
„Ein Effekt, so manifest, dass er sich hier [in dem von Lacan entwickelten Schema einer Kombinatorik] wie in der Fiktion des gestohlenen Briefes erfassen lässt.
Deren Wesen ist es, dass der Brief seine Effekte ins Innere zu den Akteuren der Erzählung [conte], darin inbegriffen den Erzähler [narrateur], ganz ebenso wie ins Äußere: zu uns, den Lesern, und ebenso zu ihrem Autor hätte tragen können, ohne dass jemals jemand sich um das hätte kümmern müssen, was er sagen wollte. Was von allem, was sich schreibt, das normale Los ist.“ (Das Seminar über „Der gestohlene Brief“, a.a.O., S. 68)
In Radiophonie (1970) beschreibt Lacan eine ähnliche Tafel-Szene:
„Ich entsinne mich der Verlegenheit, mit der mich ein Bursche befragte, der sich, da er Marxist sein wollte, unter das aus Leuten der Partei (der einzigen) bestehende Publikum gemischt hatte, das (Gott weiß wieso) zur Mitteilung meiner ‚Dialektik des Begehrens und Subversion des Subjekts in der Psychoanalyse‘ zusammengeströmt war.
Ich habe netterweise (nett, wie ich immer bin) in der Folge in meinen Écrits auf die Verdutztheit hingewiesen, die mir aus diesem Publikum antwortete.
Was ihn angeht, ‚glauben Sie denn‘, sagte er mir, ‚daß es genügt, daß Sie was produziert, Buchstaben an die Tafel geschrieben haben, um davon einen Effekt zu erwarten?‘
Eine derartige Übung hat jedoch getragen, ich habe davon den Beweis, und sei’s nur durch den Abfall, der ihr ein Recht für mein Buch gab – wobei die Fonds der Ford Foundation, die solche Zusammenkünfte anregen, damit sie was haben, um mit dem Schwamm drüberzuwischen, sich unvorstellbar auf dem Trockenen fanden, um mich zu publizieren.
Das ist, weil der Effekt, der sich propagiert, nicht einer von Kommunikation des Sprechens, sondern von Verschiebung des Diskurses ist.
Freud, unbegriffen, und sei’s von ihm selbst, da er sich hat verständlich machen wollen, ist weniger durch seine Schüler gedient als durch diese Propagierung (…).“ (Radiophonie, a.a.O., S. 11)
dass ich mich zu den Lebewesen zähle: Vermutlich eine Anspielung auf die Definition des Lebens durch Übermittlung von Erbinformationen und die Auffassung der Gene als eine Art Buchstabenfolge, die „transkribiert“ wird.
?? Was ist mit „Askese der Schrift“ gemeint?
Lacan bezieht sich hier auf die These, dass es beim „Sprechwesen“ in dem Sinne kein sexuelles Verhältnis gibt, als ein solches Verhältnis nicht geschrieben werden kann. Eben dies versucht er mit den sogenannten Formeln der Sexuierung zu zeigen, die er in den Seminaren 18 bis 20 sowie in dem Aufsatz L’étourdit entwickelt.
In Seminar 18 hatte er in der Sitzung vom 17. Februar 1971 gesagt,
„dass es keine sexuelle Beziehung beim sprechenden Wesen gibt.
Es hat eine erste Bedingung gegeben, die uns das gleich sehen lassen könnte nämlich dass die sexuelle Beziehung wie jede andere Beziehung nur durch das Geschriebene Bestand hat.
Das Wesentliche der Beziehung ist eine Abbildung [im Sinne der Mathematik], a abgebildet auf b –
a → b
Wenn Sie das nicht a und b schreiben, erhalten Sie nicht die Beziehung als solche. Das will nicht heißen, dass nicht Dinge im Realen geschehen. Doch im Namen von was sollten Sie es Beziehung nennen? Diese grobe Sache würde wie alles bereits genügen, um, sagen wir, begreiflich zu machen, dass es keine sexuelle Beziehung gibt, aber würde in nichts über die Tatsache entscheiden, dass man es nicht schafft, das zu schreiben.“