Regula Schindler:
Ein Liebesbrief Lacans an die Frauen.
Die Logik des pas-tout / nicht-ganz, nicht-alle
.
An der Tafel
Was Sie hier sehen, ist, so trocken es aussieht, ein Liebesbrief – vom Autor im berühmten Seminar XX, Encore, auch als solcher betitelt: une lettre d’âmour, samt ^ auf dem a: lettre d’âmour - l’âme, die anima, die Seele, gleitet im Französischen widerstandslos in l’amour, die Liebe, und j’aime, „ich liebe“, gleitet/geleitet in Richtung âme. Lieben konsonniert auf Deutsch allenfalls mit leben, auf Französisch jedoch mit âme und animer: j’âme, j’anime / ich beseele, ich bewege, ich – Jacques Lacan – spreche den Frauen „das zu, was ich nicht habe“: mit und neben dem sogenannt phallischen Genießen ein anderes Genießen?1
Ich werde diese Encore-Formeln zitieren und kurz kommentieren und dann übergehen zur leichthändigen Wiederaufnahme Lacans derselben Formeln im nächsten Seminar, Les non-dupes errent, letzte Sitzung vom 11. Juni 1974 – die eine noch deutlichere Liebeserklärung an die Frauen macht, einen Widerspruch klärt und dem männlichen Zug zur binären Lektüre der Formeln noch deutlicher widerspricht.2
Groß Phi
Vorerst aber ein Schlenker für diejenigen, die nicht lacanesisch sprechen und sich beim Blick auf dieses groß Phi (Φ), gleich Phallus, fragen mögen: Was soll das mit diesem Phallus, ist doch eine rein männliche Angelegenheit?
Lacan hat ihn – als Signifikanten eins, S1, sowie als imaginäre Vorstellung – aus der Männlichkeit befreit. Wenn denn, erste simple Feststellung, das Begehren und Genießen des Subjekts das Begehren und Genießen des Andern ist, trifft das noch-nicht-sprechende Kind – das schon längst im Sprachbad der lalangue, der Lautsprache, badet – meist primär bei der Mutter erstmals auf den/die Signifikanten. Der oder ein Vater wird sich einmischen und das Kind hoffentlich aus seiner unmöglichen Aufgabe, „alles“ bzw. Phallus für die Mutter zu sein, befreien.
Die Tragikomödie der späteren Geschlechtsbeziehungen wird von diesen ersten Erfahrungen geprägt bleiben. (Freud: Bei jedem Geschlechtsakt sind vier anwesend: Mutter und Vater des jeweiligen Paars.) Knaben und Mädchen werden den Phallus beim Andern suchen: dass das normaler-, nicht aber notwendigerweise das andere Geschlecht ist, ist bekannt. Wie auch immer; die einen stehen vor der Problematik, den Phallus zu haben / nicht zu haben, die andern leben mit der Bürde, Phallus zu sein / nicht zu sein, und was Letzteres für die Frauen bedeutet, dazu später.
Jeder, jedem Liebenden und Hassenden stellt sich seit der frühen Kindheit die Frage: „Du sagst das, aber was meinst Du damit?“, und keine noch so wortreiche Erklärung wird sie je beantworten können. Erklärungen mögen Sinn machen, doch die Tiere, die in und von der Sprache leben, sind süchtig nach Bedeutung. Ton, Stimme, Blick, Zärtlichkeiten, Geld- und anderen Gaben, Liebesgesten, Koitus springen ein und mögen das Loch vorübergehend stopfen – bis die Platte weiterdreht und wieder von vorne beginnt: Was meinst Du damit? Denn das Kind merkt bald einmal, dass es, in seiner ganzen Herrlichkeit, der Mutter dennoch nicht genügt. Was meint, was will sie, diese Mutter? Wenn sie sagt, „ich gehe einkaufen“, wird es das irgendwann hören als „ich will was anderes als Dich“ und damit auch nicht unrecht haben.
Du sagst das, doch was meinst Du? ist die Frage nach der Bedeutung. Der späte Lacan hat den Titel seiner klassischen Schrift Die Bedeutung des Phallus später folgendermaßen zugespitzt: der Phallus ist Bedeutung, es gibt, für die Sprechwesen, keine andere Bedeutung. Was im gleichen Zug heißt: Er hat keine Bedeutung, er ist die „Vorstellung einer Leere“. Zu vergleichen allenfalls mit jener Repräsentanz ohne Vorstellung, die nach Freud die Urverdrängung begründet: ein Rahmen ohne Inhalt, der sich ständig mit Vorstellungen, Wörtern, Bildern füllt und leert. (Übrigens hat schon Freud, sehr spät, den gegenseitigen Ausschluss von Haben und Sein festgehalten: „das Kind drückt die Objektbeziehung gern durch die Identifizierung aus: ich bin das Objekt. Das Haben ist die spätere, fällt nach Objektverlust ins Sein zurück: Muster: Brust. Die Brust ist ein Stück von mir, ich bin die Brust. Später nur: ich habe sie, d.h. ich bin sie nicht …“3)
Sie haben hier, in einer Nussschale, eine erste Version dessen, was sich Kastration nennt. Brust, Kot, Stimme Blick sind die ersten „abgefallenen Objekte“, die objets a, die sich an den phallischen Signifikanten hängen: zu beachten ist, dass sie als Anhängsel der ersten Andern, der Mutter, gefunden/verloren werden.
Der Phallus ist, in einer simplen späten Definition Lacans, „das, was den Körper-Zipfel mit dem Sprechen verbindet.“, anders gesagt, das, was diesen Zipfel-Gipfel der jouissance, des Genießens / der Lust, mit gewissen Gesetzen verbindet – und somit dieses Genießen in Bahnen lenkt, überformt, entfremdet, pervertiert, gleichzeitig erweitert: es zu einem Genießen des Sprechens macht, was sich dann plus de jouir – Mehrlust – nennt.
Der besagte Zipfel, der Penis, mag aufgrund seiner sichtbaren Erektionsfähigkeit, seiner Zeugungskraft und seiner Hinfälligkeit ausgewählt worden sein. Wenn Sie Kinder haben oder gehabt haben, wissen sie wohl, dass seine manifeste An- und Abwesenheit stets noch ein Drama ist. Nach wie vor ist seine Abwesenheit bei der Mutter für manche eine Katastrophe, die nur mit einem Fetisch in Schach gehalten werden kann.
Später spielt er seine Rolle verschleiert (die antiken Mysterien). Er verbirgt und zeigt sich in seinen endlos wuchernden Metonymien: Mädchen, Junge, Pferd, Tiger, Hund, Katze, Pistole, Sportwagen, was immer sie wollen, sublimierter in der gewandten Rede, der Exzellenz des Musikinterpreten, dem Geschick der Tänzerin, jedenfalls präsentiert als schön, glänzend, beweglich, bewegend : und/oder als Kehrseite derselben Show: hinfällig, geknickt, traurig, verwüstet, eingefroren, tot.
Der Phallus führt jene Kastration ein, an deren gewachsenem Fels, nach Freud, Männer wie Frauen scheitern. Für Lacan hingegen ist der befürchtete Verlust des Körper-Glieds und sein weibliches Pendant, der sogenannte Penisneid, schon eher die Verschleierung der Tatsache, dass die Sprechenden den „natürlichen“ Zugang zum Gebrauch ihrer Lust- und Zeugungsorgane schon längst verloren haben. Das ist die eine Seite der sogenannten Kastration, die andere ist die, dass die parlêtre-Sprechwesen sujets/Unterworfene eines sedimentierten sprachlichen Wissens sind, eines weitgehend unbewussten Wissens, das sich, über die bekannten Fehlleistungen und Träume hinaus, in der Art und Weise des Sprechens eines, einer jeden zeigt: viel stärker im dire, im Sagen, als im Ausgesagten, das sich am Ausgesagten der anderen orientiert.
Von der Präsenz der Kastration und ihrer Verleugnung zeugt das schillernde Spektrum der Perversionen auch im Herz normaler Familien, Schulen, Verbände, Kirchen – wo, am deutlichsten in der SadoMaso-Szene, das Verhältnis zu dem oder einem väterlichen Gesetz jedem ins Auge springen müsste. Lacan hat den allgemeineren Begriff der père-version geprägt, der die Freud’sche Vater-Sehnsucht wiederaufnimmt – und lässt uns Heutige vor der Wahl: père-version, oder geteilte, gewöhnliche (commune) Paranoia.4
Ob und inwiefern die neuerdings staatliche Verordnung eines Vertrags der Einwilligung in den Geschlechtsakt, allenfalls mündlich, besser schriftlich (wie er offenbar in Schweden explizit, in den US-College-Kreisen schon längst implizit zum Gesetz geworden ist5), in Richtung Perversion oder Paranoia geht – ich überlasse es Ihnen.
Nicht Lacan hat diese Welt erfunden, er hat diesen Signifikanten der Bedeutung / der Kastration aus der Attributionslogik auch noch Freuds befreit – wobei schon dieser den Versuch, Männlichkeit/Weiblichkeit an Attributen/Prädikaten festzumachen, resigniert aufgab: was da übrigbleibe, sei bloß „Anatomie und Konvention“. Lacan nun hat das, was man nicht sagen kann, geschrieben: er hat Φ damit universalisiert, um dann, mit den Formeln, eben diese Universalität in Frage zu stellen und den besagten Signifikanten für kontingent, für zu-fällig, zu erklären. Ob Φ notwendig sei oder bloß kontingent, lassen wir es offen. Als Signifikant des Zeugungsakts ist er jedenfalls schon länger nicht mehr notwendig.
Die Formeln
Nun ein erster formaler Lektüre-Durchgang der Formeln: Lacan bedient sich der von Frege entwickelten Quantoren-Logik (oder Prädikatenlogik) und erlaubt sich, Φ im Rahmen einer Aussage-Funktion zu verwenden.6
Für die klassische Logik besteht eine Aussage (ein Urteil) aus (logischem) Subjekt, Kopula und (logischem) Prädikat bzw. Attribut (Menschen sind -- sterblich, gut, böse etc.; Frauen sind -- passiv, haben keine Moral etc.). Die Quantoren-Logik fasst die Aussage anders auf. Sie kennt keine Kopula. Außerdem enthält eine Aussage hier immer einen Quantor, entweder „alle“, „Allquantor“ genannt und mit dem Symbol ∀ geschrieben, oder „einige“, „Existenzquantor“ geheißen und als ∃ notiert. Und schließlich fasst sie das (logische) Subjekt als eine Variable auf, die als x geschrieben wird. Aus „Alle Zuhörer in diesem Saal sind Schweizer“ wird dann „∀x (Schweizer x)“, zu lesen als „Für alle x gilt, dass x Schweizer ist“; zusätzlich wird ein Bereich definiert, zu dem die mit x bezeichneten Individuen gehören, in diesem Falle wäre dies der Bereich „Zuhörer in diesem Saal“. Wenn man für x den Namen eines Zuhörers einsetzt, erhält man eine wahre oder falsche Aussage. Man kann die Aussageform „∀x (Prädikat x)“ deshalb als eine Funktion auffassen (eine Zuordnungsvorschrift), die jedem x – bestehend beispielsweise aus dem Namen eines Zuhörers in diesem Saal – eine bestimmte Aussage zuordnet oder auch deren Wahrheitswert. Aus diesem Grunde werden solche Aussageformen auch als „Aussagefunktionen“ oder als „Satzfunktionen“ bezeichnet.
Im Hintergrund steht Freges Deutung der Aussage als einem Gebilde, das aus Funktion und Argument besteht. Unter einer Funktion versteht Frege nicht eine Zuordnungsvorschrift, sondern einen Ausdruck mit einer Leerstelle, etwa „__ ist Schweizer“; an dieser Leerstelle wird ein „Argument“ eingesetzt, etwa „Herr Müller“, hierdurch erhält man eine Aussage, die wahr oder falsch ist – „Herr Müller ist Schweizer“.
Lacans Formeln schreiben das Prädikat als Φ, die Variable – das leere Subjekt – als x, die Funktion ist dann Φx. Dieses Verhältnis von x zu Φ nennt er phallische Funktion und/oder Funktion der Kastration.7 Hinzu kommt ein Quantor, entweder „Es existiert“ (∃) oder „Alle“ (∀), außerdem eine oder mehrere Negationen, die durch einen Querstrich über den Symbolen geschrieben werden.
Oben links und rechts haben wir je einen Existenzquantor, ∃. Links oben: es existiert ein x, das nein sagt zur phallischen Funktion und sie damit begrenzt und begründet. Rechts oben: es existiert kein x, das nein sagt, keiner/keine, der oder die begrenzt, begründet.
Unten zwei All-bzw Universal-Quantoren, ∀: alle x sagen ja zu Φ – nicht-alle x sagen ja zu Φ.
Doch Achtung: Lacan barriert, verneint den Allquantor rechts unten; er hat diese Barrierung unabhängig von Frege gebastelt, ja schlicht erfunden. Es geht dabei um eine der Aussage interne Subversion des tout/alle-ganz; sie ist der Dreh-und Angelpunkt der pas-tout-Logik. Also rechts unten kein „einige sagen ja zu Φ, andere nein“, vielmehr sagen diese x nicht-alle, nicht-ganz ja zu Φ.
Erste Version: Seminar Encore
Nun zum Kommentar; ich folge hier dem Encore-Text, getreu meinem Mantra: lest Lacan, statt ihn zu paraphrasieren, er ist viel genauer. (Des Umfangs wegen dennoch einige Kürzungen.)
„Zur Formel links unten : sie gibt an, dass l’homme, der Mann-Mensch, sich über die phallische Funktion comme tout, als ganzer, einschreibt, bis dorthin, wo diese Funktion ihre Begrenzung findet in einem x, das die Funktion Φx verneint, links oben. Das ist das, was man die väterliche Funktion nennt, von der aus über die Negation der phallischen Funktion die Einübung in die Kastration begründet wird, die sich dem nicht-einschreibbaren sexuellen Verhältnis supplementiert. Das tout, das alle/ganz beruht also auf der Ausnahme, als terme/Begrenzung gesetzt, die das Φx integral negiert.
Auf der anderen Seite haben Sie die Schrift des Frauen-Anteils (de la part femme) der Sprechwesen. Es ist einem jeden parlêtre/Sprechwesen, habe es die männlichen Attribute oder nicht – Attribute, die noch bestimmt werden müssen –, erlaubt, sich hier einzuschreiben. Wenn es sich hier einschreibt, wird es keinerlei Universalität erlauben, es wird dieses pas-tout, nicht-alle, nicht-ganz sein, insofern es die Wahl haben wird, sich in die Funktion Φ von x zu stellen, oder nicht daran teilzunehmen.
Dies sind die einzig möglichen Definitionen des Mann oder Frau genannten Teils jener, die sich in der Lage finden, die Sprache zu bewohnen.
Unter der Querbarre haben Sie die entsprechenden signifikanten Skandierungen, wo sich die vertikale Teilung dessen überschneidet, was sich uneigentlich (improprement) die Menschheit nennt, insofern sie sich aufteilt in geschlechtliche Identifizierungen.
Links habe ich, gewiss nicht um ihn, l’homme, zu privilegieren, das gebarrte Subjekt eingeschrieben, $, und Φ, was sich auch im S1 verkörpert, der unter allen Signifikanten derjenige ist, der kein Signifikat hat und der, was den Sinn angeht, dessen Scheitern symbolisiert: es ist der mi-sens, l’indécens vor allem, und wenn Sie noch mehr wollen, der réti-sens [kaum übersetzbare Spiele mit Halb-Sinn, Unanständigkeits-Sinn, Rückwärts/Zurückhaltungs-Sinn, RS].(…)
Dieses Subjekt $ kann seine sexuelle Partnerin nur erreichen über das objet a, mittels dessen, dass es Grund seines/ihres Begehrens ist. Diese Beziehung zwischen $ und a ist, wie es meine Formel $◊a indiziert, nichts anderes als das Fantasma, (…) die Stütze dessen, was man in der Freud’schen Theorie ausdrücklich das Realitätsprinzip nennt.
Auf der anderen Seite nun das, was Freud mit ‚was will das Weib?‘ beiseitegelassen hat,“
– immerhin etwa die Hälfte der sogenannten Menschheit –
„indem er sagte, es gebe keine Libido außer der maskulinen. (…) Dieses Feld ist dasjenige all der Wesen, die ihren Status als Frau annehmen – wenn denn ein solches Wesen irgendetwas von seinem Los annimmt. Im Weiteren ist es ungebührlich (impropre), es die Frau zu nennen, denn das die der Frau kann im Moment, wo sie sich vom nicht-alle her aussagt, nicht geschrieben werden. Es gibt hier das die nur als gebarrtes, durchgestrichenes La. Dieses La hat Verhältnis zum Signifikanten A als durchgestrichenem.
Der (die, das) Andere ist nicht bloß der Ort, wo die Wahrheit lallt. Er verdient es, das zu repräsentieren, wozu die Frau grundlegend Verhältnis hat. (…) Da sie im sexuellen Verhältnis, bezüglich dessen, was sich vom Unbewussten her sagen lässt, radikal die Andere ist, ist die Frau die, die Verhältnis hat zu diesem Andern.
Die Frau hat Verhältnis zu diesem Signifikanten des Andern insofern, als er als Anderer immer nur anders sein kann. Ich kann hier nur annehmen, Sie erinnern sich an meine Aussage, dass es keinen Andern des Andern gibt. Das Andere, dieser Ort, wo alles, was vom Signifikanten kommt, sich einschreibt, ist in seinem Grund radikal das Andere. Deshalb markiert dieser Signifikant, mit seiner offenen Klammer, den Andern / das Andere als barriert – S(Ⱥ).“
Zwischenfrage: weshalb insistiert Lacan dermaßen auf diesem Signifikanten des barrierten Andern? Zum einen korrigiert er damit frühere Aussagen, die allenfalls Anlass dafür waren, den Vater-Signifikanten im Andern als Garanten der Wahrheit zu interpretieren (bei genauerem Lesen erweist sich das allerdings als Fehllektüre). Zum andern setzt er sich ab von gängigeren Versionen des Andern, ich nehme an von Levinas und weiteren populären Versionen des Andern als Andere(r) des Einen, bzw. des oder der Andern, dessen oder deren Antlitz eine tiefere Wahrheit in sich birgt – polemischer, vom Kitsch des Andern.
Lacans Anderer/Andere/Anderes8 ist „immer nur anders“. Das Axiom „Es gibt keinen Andern des Andern“ impliziert und stellt fest, dass es keinen Garanten seiner Wahrheit gibt. Die Frauen, noch und noch dazu auserkoren, eine andere, tiefere Wahrheit zu verbürgen, wissen bloß etwas gründlicher, dass „die Wahrheit“ so unverfügbar bleibt wie „die Frau“.
„Die Frau hat Verhältnis zu diesem S(Ⱥ), und schon dadurch verdoppelt sie sich, ist sie nicht-ganz, denn andrerseits kann sie Verhältnis haben zu Φ. Den ich als den Signifikanten bezeichnet habe, der kein Signifikat hat, und der vom phallischen Genießen gestützt wird – was ist das? wenn nicht das, was die Bedeutsamkeit der Masturbation in unserer Praxis beweist, das Genießen des Idioten.“9
Soweit Lacan.
Versuchen wir nun, diese Funktions-Aussagen mit gegenwärtigen Diskursen zu verbinden, ohne allzu sehr in die alte Propositions- und/oder Attributionslogik zurückzufallen. Lacan prophezeit, dass sie zu Missverständnissen führen werden, andrerseits rufen sie geradezu nach Interpretationen.
Nochmals also: l’homme, fr. sowohl Mensch wie Mann, schreibt sich alle, ganz in der phallischen Funktion / in der Kastration ein: dieses tout, alle/ganz, beruht auf der Ausnahme, die sie begrenzt.
Letzteres ist sozusagen ein Gemeinplatz der modernen Logik von Russell und Co.: denken Sie an den Kreter, der sagt: Alle Kreter lügen. Lügt er, oder sagt er die Wahrheit? Entweder gehört er, als Kreter, zu denen, die lügen, oder er nimmt sich davon aus. Um die Wahrheit zu sagen, muss er sich aus der Menge „lügende Kreter“ ausnehmen: er ist die Ausnahme, die die Menge „lügende Kreter“ durch sein „ich sage nein“ begrenzt und begründet.
Diverse wissenschaftliche Klassifikationen beruhen auf einem Zug, der nur isoliert werden kann aufgrund dessen, dass er bei anderen nicht präsent ist: so beispielsweise die Mammae, die die Klasse der Säugetiere begründet.
Hier ist es also die „väterliche Funktion“, deren Nein die Universalität des Ja-Sagens zur phallischen Funktion und damit l’exercice / die Einübung in / die Durchführung der Kastration begründet, die sich dem nicht-existenten sexuellen Verhältnis supplementiert. Zur Nicht-Einschreibbarkeit des sexuellen Verhältnis hier nur eine kurze Bemerkung: Sie ist das Grund-Axiom des späten Lacan. Die phallische Funktion / die Kastration ist nur ein supplément, eine Art Ersatzbildung für das fehlende Verhältnis.
Was die „väterliche Funktion“ betrifft, eröffnen sich etliche Möglichkeiten der Deutung, worin diese denn bestehe. Beliebt ist die mythische Version des Freud’schen Urvaters, der alle Frauen genießt. Dies nicht zu Unrecht, denn wo es um logische Aporien geht, springt der Mythos ein, der sich wenig darum kümmert, ob und inwiefern ein Genießen „aller“ Frauen möglich wäre, ob die Mutter dazugehört oder nicht, ob der rein menschliche Begriff „Vater“ auf dieses Ungeheuer zutrifft, was mit den Schwestern los ist, etc. etc. Bestimmt ist es falsch, zu sagen: das ist der Urvater. Ihn assoziieren, warum nicht.
Interessanter wird es dort, wo Lacan einem jeden, der die Position „Vater“ einzunehmen bereit ist, zubilligt, dass er als sogenannter „realer“ Vater eine Ausnahmeposition besetzt, ja besetzen muss10 – mit, wie Lacan noch und noch betont, den bekannten psychotisierenden Konsequenzen dann, wenn er sich als Gesetzgeber, Lehrer, Meister aufspielt. Das ist die eine Version, die Kastration zu verleugnen. Die andere ist die des duckmäuserischen Vaters, eines Mannes, der nicht dazu steht, gegenüber seinen Frauen und Kindern gelegentlich den „Alleskönner“ zu markieren. Diese zweite Position ist ja wohl auf dem Vormarsch: Männer, die sich gegenüber ihren Frauen ducken, und/oder sie allzu sehr vergöttern und die es damit verpassen, dem Nachwuchs eine Trennung von der überwältigenden Präsenz/Absenz der Mutter zu ermöglichen.
Ein bekanntes Beispiel des neurotisierenden Effekts eines Duckmäuser-Vaters liefert die Freud’sche Geschichte des kleinen Hans, der mangels eines „realen“ Vaters eine Pferde-Phobie entwickelte, in die dann Freud als Alleskönner eingriff. Bestenfalls gibt es, analog zur good enough Mutter Winnicots, „gut genuge“ Väter, die das, worum es geht, die stets mehr oder weniger perverse Geschlechtsbeziehung, in einem mi-dire, einem Halbsagen halten, mit dem Schleier der Liebe verhüllen.
Dass da immer irgendwas schiefläuft, davon zeugen die reduzierbaren, jedoch nie auszuradierenden Rest-Symptome des Nachwuchses. Und mit der offensichtlichen Dekadenz der väterlichen Autorität, wie sie schon in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts ein Paul Claudel brillant in Szene gesetzt hat, wächst der Druck auf die Frauen, die Mütter, die nicht „alles“ können – ja die sich gerade ums „alles“ einigermaßen foutieren –, eben doch fast alles zu leisten.
Nun zur „alle, ganz“-Position links unten, die ja sagt zur phallischen Funktion. Inwiefern äußert sie sich im sozialen Gefüge? Ich würde sagen, im Zug vieler Männer zu irgendeiner Gruppe, einem Verein, einer Kumpel-Gemeinschaft – was ja gerade für junge Männer durchaus wichtig ist: Ohne Peergroup wird keiner „sich finden“, noch umso weniger in einer Zeit, wo namhafte Neurobiologen, so Gerald Hüther, sie, die Männer, zum „schwachen Geschlecht“ erklären.11
Dann genereller im Zug zu einem binären Denken, das wiederum auf einem Denken in begrenzten Kollektiven beruht: gut gegen schlecht, Linke gegen Rechte, Männer gegen Frauen, ja gegen nein, Wahrheit gegen Lüge, Praxis gegen Theorie undsoweiter. Dass ein derart Sprechender implizit eine Ausnahmestellung, eine außerhalb der zu beurteilenden Kollektive, eine Art archimedischen Punkt beansprucht, ist ihm meist nicht bewusst – während die nicht-alle-Wesen nur allzu gut wissen, dass sie mittendrin stecken. Verbunden mit dem von-außen-Blick ist wohl auch eine höher entwickelte Fähigkeit des Einordnens widerspenstiger Phänomene, darin, Ordnungen zu schaffen, zu kategorisieren, zu detaillieren etc., sei es in den Wissenschaften, den Künsten, der Politik usw. Interessanterweise stößt der oben erwähnte Neurobiologe und Gehirnforscher Hüther auf Ähnliches.
Nun ist es ja den Wesen mit männlichen Attributen nicht verboten, sich rechts einzuordnen, im nicht-alle, nicht ganz: also nun zu diesem.
„Wer sich hier einschreibt, wird keinerlei Universalität erlauben, er/sie wird dieses nicht-alle sein, insofern er/sie die Wahl hat, sich in die phallischen Funktion zu stellen oder nicht darin zu sein, daran teilzunehmen.“
Für mich gibt es hier einen Widerspruch zwischen „keinerlei Universalität erlauben“ und „die Wahl haben, sich in diese Funktion zu stellen“. Gehen wir darum zur zweiten Lektüre Lacans in Les non-dupes errent / Die Nicht-Düpierten irren. (Man beachte den unübersetzbaren Gleichklang mit Les Noms-du-père.)
Zweite Version: Seminar Les non-dupes errent
Er habe, sagt Lacan gegen Ende der letzten Sitzung dieses Seminars, mit einem copain über diese Formeln gesprochen und müsse zugeben, dass er sie schlecht erklärt habe. Er bringt sie nochmals vor, und zwar aus der Perspektive der Frauen bzw. der Frau, die es nicht gibt. Was zur Konfusion geführt habe, sei, dass die Formel oben rechts – kein Neinsager, keine Begrenzung der phallischen Funktion – zur kuriosen Konsequenz führe, dass es dort keine gibt, die ja sagen.
Und fährt fort: Es ist der Versuch der Einschreibung einer mathematischen Funktion – nichts Illegitimes an dieser Quantifikation von Sinn. Der Buchstabe x sei undeterminiert, eine Variable, und es gehe um eine Identifikation.
„Doch wenn es eine sexuelle Identifikation gibt und kein sexuelles Verhältnis, was heißt das? Das heißt, dass all diese Identifikationen auf derselben Seite sind: nur eine Frau kann sie machen. Warum nicht l’homme, der Mann? Weil, geben Sie Acht, ich sage l’homme, der Mann, und ‚eine Frau‘ – weil der Mann durch seinen Sex verkrümmt, verzerrt, am phallischen Posten festgebunden ist. Während eine Frau eine sexuelle Identifikation machen kann, machen muss, denn sie muss durch die phallische Funktion hindurch, die eben das ist, was ihr fehlt.
, die ‚alle, ganz‘ Formel links unten, was heißt das für die Frau, da ich Sie glauben machte, das seien ‚alle Männer‘? Das heißt die Forderung der Frau, dass der Mann ganz ihr gehöre.“
Er beginne damit, weil es am amüsantesten sei.
„Es ist in der Natur einer Frau, eifersüchtig zu sein, in der Natur ihrer Liebe.“12
Ein kurzes Einhalten hier: Die alle-Formel, interpretiert als Forderung, dass der Mannmensch ganz ihr gehöre, löst den obigen Widerspruch auf. Diese x beanspruchen keine Universalität, sie bescheiden sich damit, dass der, den sie gewählt haben, ganz der ihre sei. Anstelle eines „alle Menschen“, der/die Einzige (ich füge das die hinzu, weil mich diese Forderung in lesbischen Beziehungen noch auffälliger dünkt als in den sogenannt heterosexuellen). Ein Spiel auch mit dem französischen Wort tout, das eben sowohl alle wie ganz heißen kann. Und damit, dass es die Frau, im Gegensatz zu l’homme, dem Mann-Mensch, nicht gibt; es gibt immer nur eine Frau und eine weitere und eine weitere. Denn die Formel rechts oben besagt eben dies: Das phallische Feld ist unbegrenzt, „alles lässt sich von dort aus sagen, auch wenn es von außerhalb der raison, der Vernunft [des Mannes] kommt. Es ist ein tout / ein ganz von außerhalb des Universums.“13
Weiter im Text: L’amour, die Liebe, weist Lacan generös tout/ganz der rechten Hälfte zu und kommt zu folgender Interpretation des pas-toutisme, also der nicht-ganz-Formel rechts unten: Da es eben doch
„eine Bremse braucht für diese Liebe, liebt sie pas-toute, nicht-ganz: es bleibt ihr ein Zipfel ihres körperlichen Genießens. Das will der pas-toutisme sagen.“
Weiter dann zur Interpretation der Formel links oben, „es gibt einen, der nein sagt“:
„das könnte zur Verwechslung mit Gott führen, der seinen Exit noch nicht ganz gemacht hat, doch lassen wir das draußen. Es ist der Ort des Genießens der Frau, das viel mehr ans Reden gebunden ist als man meint.“
Und unterstreicht diese Verbindung des Genießens der Frau mit der impudence des Sagens.
„Impudence, nicht impudeur.“
Wie übersetzen? L’impudence du dire d’une femme – gewiss nicht mit Schamlosigkeit, vielleicht mit Unbekümmertheit, Sorglosigkeit, Unvorsichtigkeit: imprudence klingt an: das Reden aus einem außerhalb des Universums eben. Das Universum ist, so Lacan anderswo, nur eine Blüte der Rhetorik. Also ist dieses Reden nicht mit einer psychotischen Rede gleichzusetzen.14
Schließlich noch die Formel rechts oben:
„sie besagt, dass die Frau nicht existiert, was heißt, dass ihr Genießen nicht von ihrer impudence, ihrer Unbekümmertheit aus begründet werden kann.“
Fügen wir hinzu: Auch ein Mädchen wird zum Mädchen und zur Frau über die väterliche Funktion: das beweist die Klinik, oder wenn Sie wollen, das Leben. Heißt aber nicht, dass es der biologische Vater sein muss. Vieles hängt da auch am Verhältnis der Mutter zu den Männern.
Abschließend dann die Bemerkung, das Unbewusste als ein disharmonisches Wissen sei einer Frau fremder als dem Mann, es komme ihr zu über den Mann, von dem sie träumt. Der Mann sei davon échancré, verkrebst gar, während eine Frau etwas mehr „durchlüftet sei in ihren Genüssen“. Und endet damit, dass die Liebe in Richtung eines unterstellten Wissens geht – Definition der Übertragung – und dass nichts dagegen spricht, ein wenig verliebt, düpiert zu sein vom eigenen Unbewussten.
Zusammenfassend dies: Lacan verwehrt sich dagegen, ein Theoriegebäude zu errichten, er spricht als Analytiker, der vielen Männern und Frauen zugehört, einige geliebt, und unendlich viel gelesen hat, von Euripides über Platon und Aristoteles bis zu Shakespeare, Claudel, Duras etc. Für mich ist es eindeutig, dass er in die Schule der Frauen gegangen ist, um zu diesem pas-toutisme der Aussage und zu diesem Rest von Körpergenuss zu gelangen, den er den Frauen unterstellt sowie denen, die sich dort platzieren mögen. Ein Liebesbrief in der Tat, und wie jeder Liebesbrief eröffnet auch dieser eine Büchse der Pandora nicht nur an Interpretationen.
Doch in Abhebung von berühmten klassischen Liebesbriefen – etwa denen Kleists und Kafkas – schreibt er den Frauen nichts vor, sondern bemüht sich, zu lesen, was er gehört hat, und es in die abendländische Überlieferung einzuschreiben.
Die Logik des pas-tout befreit aus vielen Denkschubladen: auch, füge ich hinzu, aus utopischen und insbesondere feministisch-utopischen Denkschubladen. Der jeweilige Sinn ist und bleibt orts- und körper-gebunden. Der Phallus als Aussage-Funktion, dem sich die einen ganz, die andern nicht-ganz unterwerfen, ist weder ein Heilsbringer noch ein Ungeheuer: er ist, wie es im früheren Seminar L’Angoisse heisst, nur da, damit man keine Angst hat, ansonsten purer Schein von Macht – doch wie ohne Schein reden und leben? Die Psychosen lehren uns, was es heißt, außerhalb der phallischen Funktion „schräg zum Signifikanten“ zu stehen: Den Phallus als Gegenüber zu haben, das im Realen erscheint, ist die pure Hölle. Ich habe das anderswo ausgeführt15, möchte noch kurz nachtragen, dass Lacans Geschick, diesen Signifikanten zu isolieren und aus der Männlichkeit zu befreien, undenkbar wäre ohne Lacans Herkunft aus der Psychiatrie.16 Die Schärfe des Lacanschen Blicks auf das Normale verdankt sich dem Hintergrund seines unermüdlichen Erforschens psychotischer Strukturen.
Die Formeln schreiben die Normalität ein, aber eben nicht nur als norme mâle, männliche Norm. Die pas-tout-Seite der x, denen die Beweglichkeit unterstellt wird, von Pfosten zu Pfosten zu hüpfen, öffnet – über das Reden aus einem außerhalb der Vernunft – l’impudence du dire d’une femme, und über die Forderung weiblicher Liebe, dass ein anderer, eine andere „ganz ihr“ gehöre – den Zugang zum Exzess, zur Erotomanie, zu exzentrischen Überhöhungen und Pervertierungen der Liebesschuld à la Medea, Sygne de Coûfontaine etc. Umso wichtiger die Bremsen, also dass eine Frau sich in der Liebe „einen Rest eigenen Körpergenusses“ bewahrt und dass sie irgendwann innehält und weiß, „dass ihre impudence, ihre Sorglosigkeit des Sagens ihr Genießen nicht begründen kann“.
Man mag sich um den Namen des Vaters, die Väter, das sogenannte, in grotesken Figuren überlebende „Patriarchat“ foutieren, doch nicht – so Lacan im Seminar Le Sinthome – ohne sich seiner/ihrer bedient zu haben.17 Wir leben aus der Überlieferung, aus einer Generationenfolge, in der gewisse Signifikanten untergehen und oft erst in einer übernächsten Generation in anderer Form wiederauftauchen.
In neuen Formen des Feminismus – auch eine männliche Kollektivbildung, als gäbe es ein Kollektiv aller Frauen – sind die Forderungen an die Männer, mehr noch aber an die Frauen immens. Sie haben sich zu Recht dagegen gewehrt, „geliebt und begehrt zu werden für das, was sie nicht sind“18: heilige Mütter, Huren, Mannequins, Hexen, Zauberinnen, allesamt phallische Masken.
Doch nun, wo sie zumindest in unsern Breiten rechtlich praktisch gleich gestellt sind, scheint sich das phallische Gefängnis, ein Soll-sein-Gefängnis, noch zu verschärfen. Ich zitiere aus der Republik, einer Zürcher online-Publikation: „Feminismus ist anstrengend, vor allem für Feministinnen. Kämpferisch soll frau sein, dabei gut aussehen, dauerreflektiert, sexuell befreit und ökonomisch komfortabel: eine Hannah Arendt mit Strapsen, mit Dachgeschoss-Wohnung und Molotow-Cocktail in der Chanel-Clutch also.“ Dies als Einleitung zu einem neusten Trend, den der sad girls, die das alles satt haben. „Subversiv in die Kamera heulen. Mit dem richtigen Instagram-Filter, versteht sich.“19 Der Phallus lässt grüßen: wenn nicht von Vaterseite, dann vonseiten der Mütter und Schwestern.
Abschließend: Die Differenz der Logik des Felds tout, ganz, alle, begründet durch die Ausnahme, zur Logik des Felds nicht-alle, keine Ausnahme, und damit das sexuelle Nicht-Verhältnis, ging kürzlich im politischen Deutschland über die Bühne: Seehofer als Achill, Merkel als die Schildkröte. Achill denkt von der Grenze her, schreitet in ganzen Zahlen aus; die Schildkröte macht Schrittchen für Schrittchen im unbegrenzten Raum: wenn man das eine durch das andere teilt, erhält man einen irrationalen Bruch. Fazit: Achill kann die Schildkröte nur überholen, nie einholen. Die Einigung dann ein fauler Kompromiss: noch ist offenbar offen, wie man den Ort oder Nicht-Ort nennen soll, wo Asylbewerber die Grenze „noch nicht“ überschritten haben und demzufolge abgewiesen werden können. Bloß keinesfalls „Lager“.
Wir Schweizerinnen denken bei diesem Wort eher an Ferien- und Pfadfinderlager. Mi-sens, indé-sens, réti-sens der phallischen Funktion.
Urheberrecht (Copyright) für diesen Artikel bei Regula Schindler
Über die Autorin
Regula Schindler ist seit 1979 Psychoanalytikerin in eigener Praxis in Zürich und Autorin, Lacan-Übermittlerin und Übersetzerin. Von 1989 bis 1992 war sie zur Ausbildung in Paris bei der Association lacanienne internationale (Charles Melman et al.) und anderswo, so bei der Ecole Lacanienne (Jean Allouch et al.), bei Derrida, Badiou. Es herrschte damals noch Lacanscher Pioniergeist, frisch und streitlustig, die Gruppierungen und Publikationen waren noch überschaubar, Fremde wurden willkommen geheißen.
Mehrere Jahre war sie Mitglied der Seminarleitung des Psychoanalytischen Seminars Zürich, später des Vorstands des Lacan Seminars Zürich. Ihre Vorträge und Essays zu Psychoanalyse, Klinik, Kunst, Musik, Literatur, Psychiatrie sind versammelt in: fort–da. 2 Bände, Band 1 Psychoanalyse intensiv, Band 2 Psychoanalyse extensiv. Vissivo, Zürich 2017.
In beiden Bänden geht es hinter- oder vordergründig um Lacans Entwicklung/Verschiebung/Einkreisung der Vater- und Mutter-Funktion, des Genießens, der Sexuation, der Übertragung, des Sublimierens, des psychotischen und/oder Normalo-Scheiterns, des pas-toutisme und toutisme: Band 1 ist aus der Perspektive der Klinik geschrieben, in Band 2 kommen mit Freud und Lacan Giacometti, Adorno, Benjamin, Binswanger, Claudel, Wedekind zu Wort – oft mittels ihrer weiblichen Heroinen, und/oder ihres Sich-Einschreibens in eine je andere Variante des pas-tout.
Verwandte Beiträge
Anmerkungen
- Vortrag bei der Summerschool 2018 des Studienprogramms Kulturanalyse der Universität Zürich und des Lacan Seminars Zürich, „Liebe und Hass in Philosophie, Psychoanalyse und Kultur“, vorgetragen am 16. Juli 2018,
- Vgl: J. Lacan: Séminaire „Les non-dupes errent“, livre XXI, 1973–74. Letzte séance 11. Juni 1974, insbesondere S. 183–186 , unpubliziert. Mitschrift Clorinda Script 1981 (oder Version der Ecole lacanienne).
- Schriften aus dem Nachlass 1892–1938. Gesammelte Werke XVII. Imago, London 1941.
- Den Ausdruck père-version prägt Lacan in Séminaire „R.S.I.“, livre XXII, 1974–1975, unpubliziert (21. Januar und 8. April 1975), und verwendet ihn weiter im Sinthom-Seminar: Séminaire „Le Sinthome“, livre XXIII, 1975–1976. Texte établi par Jacques-Alain Miller. Le Seuil, Paris 2005, S. 85, 150, 154.
- Vgl. Claudia Mäder: Neue Regelungen in Schweden rücken den Sex in die Nähe des Verbrechens. In: Neue Zürcher Zeitung 12.7.2018, hier.
- Diagramm aus: J. Lacan: Séminaire „Encore“, livre XX, 1972–1973. Texte établi par Jacques-Alain Miller. Le Seuil, Paris 1973, S. 73 (vgl. J. Lacan: Das Seminar, Buch XX. Encore. 1972–1973. Texterstellung durch Jacques-Alain Miller. Übersetzt von Norbert Haas, Vreni Haas, Hans-Joachim Metzger. Quadriga, Weinheim 1986, S. 85).
- Genaueres über Frege und Lacans Aneignung der Frege’schen Logik bei Geneviève Morel: Die phallische Funktion, in diesem Blog, 23. Juli 2017, hier.
- Le grand Autre / der große Andere als Signifikanten-Schatz war einmal; er ist jetzt ein Ort, und je nachdem, ob das Unbewusste, der Körper, das Politische, die Stimme oder eben die Frauen als Autre bezeichnet werden, muss der Artikel unterschiedlich übersetzt werden.
- Lacan, Encore, Seuil-Ausgabe., a.a.O., S. 74 f., Übersetzung: Regula Schindler (vgl. Lacan, Encore, Übersetzung Haas u.a., a.a.O., S. 86 f.).
- Näheres dazu in: R. Schindler: Symbolische Mutter, realer Vater. In: Dies.: fort–da. Band 1. Vissivo, Zürich 2017, S.79.
- Vgl. Gerald Hüther: Männer: Das schwache Geschlecht und sein Gehirn. Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 2009.
- Jacques Lacan: Séminaire „Les non-dupes errent“, livre XXI, 1973–1974. Sitzung vom 11. Juni 1974, Übersetzung: RS.
- J. Lacan: L’étourdit. In: Ders.: Autres écrits. Le Seuil, Paris 2001, S. 449–495, S. 466, Übersetzung: RS.
- In Wedekinds Frühlings Erwachen begegnen wir drei Jugendlichen, die das tout/pas-tout avant la lettre verkörpern: Melchior den phallischen Normalo, Wendla das Mädchen, das nur ihn, den Einen, will, Moritz den Psychotiker, der sich an „die Frau“ anzulehnen versucht, und dabei bodenlos scheitert.
Der paranoische Psychotiker – beispielhaft Schreber – steckt in einem hyper-tout-Gefängnis.
Siehe R. Schindler: Wedekinds „Frühlings Erwachen (Eine Kindertragödie)“ und die Namen-des-Vaters. In: Dies.: fort–da. Band 2. Vissivo, Zürich 2017, S. 139-157. In diesem Essay wird auch die Lacan’sche Verschiebung der „Namen-des-Vaters“ in Richtung „Reales“ diskutiert. - Beispielsweise in: Glaube / Unglaube / Versagen des Glaubens. In: R.Schindler: Fort–da, Band 1. Vissivo, Zürich 2017, S. 139–152.
- Vgl. J. Lacan: Über die paranoische Psychose und ihre Beziehungen zur Persönlichkeit und Frühe Schriften über die Paranoia. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Passagen, Wien 2002.
- „On peut aussi bien s’en passer à condition de s’en servir.“ Seminar 23, Übersetzung: RS nach Version ALI, vgl. Version Miller, a.a.O, S. 136,
- J. Lacan: La signification du phallus. In: Ders.: Écrits. Le Seuil 1966, S. 694, Übersetzung RS.
- Solmaz Khorsand: Klageweiber. In: Republik, 6. Juli 2018, hier.