Jacques Lacan
Vorwort zur englischen Ausgabe von Seminar XI
Übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Rolf Nemitz
Paul Klee, Einst dem Grau der Nacht enttaucht, 1918,
23 x 16 cm, Aquarell, Feder und Bleistift auf Papier, mit Silberpapier kombiniert,
Kunstmuseum Bern, Text hier
Erste deutsche Übersetzung von:
Jacques Lacan: Préface à l’édition anglaise du Séminare XI (1976)
Vorbemerkung zur Übersetzung
Dieser Text ist datiert auf den 17. Mai 1976.
Veröffentlicht wurde er zuerst in : Ornicar?, 1977, Nr. 12/13, S. 124–126.
Dann wieder in: J. Lacan: Autres écrits. Seuil, Paris 2001, S. 571–573.
Sandrine Aumercier hat mir bei einigen kniffligen Stellen geholfen ~ danke, Sandrine! Anregungen verdanke ich auch der von Russell Grigg erstellten englischen Übersetzung.1 Eine erste Version der Übersetzung wurde in der Lacan-Übersetzungswerkstatt an der Psychoanalytischen Bibliothek Berlin Satz für Satz diskutiert und danach von mir stark überarbeitet – herzlichen Dank an alle: Katrin Becker, Marcus Coelen, Arndt Himmelreich, Eva Maria Jobst, Karl-Josef Pazzini, Sissi Tax und Mai Wegener!
Weitere Erzeugnisse der Übersetzungswerkstatt:
– J. Lacan: Schlusswort zum Kongress „Die Übermittlung“
– J. Lacan: Gespräch mit Studierenden der Yale University
Der Text wird im Folgenden doppelt angezeigt, zunächst nur auf deutsch, dann Satz für Satz französisch/deutsch. Die französisch-deutsche Fassung enthält erläuternde Anmerkungen.
Zur Notation
– Einschübe in runden Klammern sind von Lacan.
Vorwort zu englischen Ausgabe von Seminar XI
Deutsch
Vorwort zur englischen Ausgabe von Seminar XI
[571] Wenn der esp eines laps, oder, da ich nur auf Französisch schreibe: l’espace d’un lapsus – der Raum einer Fehlleistung – den Bereich des Sinns (oder der Deutung) erschöpft hat, nur dann ist man sicher, im Unbewussten zu sein. Man weiß es, selbst.
Es genügt jedoch, dass sich die Aufmerksamkeit darauf richtet, und schon ist man wieder draußen. Da gibts keine Freundschaft, von der es gestützt würde, dieses Unbewusste.
Bliebe also, dass ich eine Wahrheit sage. Keineswegs: ich verfehle sie. Es gibt keine Wahrheit, die, wenn sie durch die Aufmerksamkeit hindurchgeht, nicht lügt.
Was nicht verhindert, dass man ihr hinterherläuft.
Es gibt eine bestimmte Art, dieses Kuddelmuddel zu schaukeln, die, aus anderen als formalen Gründen (Symmetrie beispielsweise), befriedigend ist. Als Befriedigung lässt sie sich nur durch Gebrauch erreichen, durch Gebrauch eines schrägen Typen. Desjenigen, den man im Falle einer Psychoanalyse (Psycho = also Fiktion von –) als Analysant bezeichnet. Reine Faktenfrage: Analysanten, hierzulande gibts die. Faktum von menschlicher Realität, was der Mensch so Realität nennt.
Notieren wir, dass die Psychoanalyse sich, seit sie ex-sistiert, verändert hat. Von einem Einzelgänger erfunden, unbestreitbarer Theoretiker des Unbewussten (das nur dann das ist, was man glaubt, ich sage: das Unbewusste, also real, wenn man mir glaubt), wird sie jetzt im Paar praktiziert. Seien wir genau, dafür hatte der Einzelgänger das Beispiel geliefert. Für seine Schüler nicht ohne Missbrauch (denn Schüler waren sie nur aufgrund der Tatsache, dass er nicht wusste, was er tat).
Was durch die Idee, die er davon hatte, übersetzt wird: Pest, dort allerdings, wo er sie hinzutragen glaubte, harmlos, das Publikum arrangiert sich damit.
Jetzt, also spät, füge ich mein Körnchen Salz hinzu: ein Faktum der Hystorie, um es anders zu sagen: der Hysterie, in diesem Fall derjenigen meiner Kollegen, ein Fall von geringer Bedeutung, in den ich jedoch zufällig verwickelt war, da ich mich für eine Person interessiert hatte, die mich dazu brachte, zu ihnen hinüberzugleiten, dadurch, dass sie, die Aimée meiner Diss, mir Freud aufnötigte.
Lieber hätte ich’s vergessen: aber woran das Publikum einen erinnert, das vergisst man nicht.
[572] Also gibt es den Analytiker, der in der Kur zählt. Sozial, denke ich, würde er nicht zählen, gäbe es nicht Freud, der ihm den Weg gebahnt hat. Freud sage ich, um ihn hier zu nennen. Denn niemand kann jemanden Analytiker nennen, und Freud hat niemanden dazu ernannt. Den Initiierten Ringe zu geben, heißt nicht, zu ernennen. Von daher mein Vorschlag, dass der Analytiker nur durch ihn selbst hystorisiert wird: offenkundiges Faktum. Selbst dann, wenn er sich durch eine Hierarchie bestätigen lässt.
Welche Hierarchie könnte ihm bestätigen, dass er Analytiker ist, könnte ihm den Stempel dafür geben? Ein Cht sagte mir, ich sei ein geborener Analytiker. Dieses Zertifikat lehne ich ab: ich bin kein Dichter, sondern ein Gedicht. Eines, das geschrieben wird, auch wenn es so aussieht, als sei es ein Subjekt.
Die Frage bleibt, was jemanden dazu treiben kann, vor allem nach einer Analyse, durch ihn selbst hystorisiert zu werden.
Das kann nicht von ihm selbst ausgehen, denn mit dem Analytiker kennt er sich ein bisschen aus, jetzt, wo er seine Übertragung-für, wie man sagt, aufgelöst hat. Wie kann ihm der Gedanke kommen, die Staffel dieser Funktion zu übernehmen?
Anders gesagt, gibt es Fälle, in denen ein anderer Grund Sie dazu treibt, Analytiker zu sein, als der, sich niederzulassen, das heißt das zu bekommen, was man üblicherweise Kohle nennt, um damit für die Bedürfnisse ihrer Sorgebefohlenen aufzukommen, zu denen in erster Linie Sie selbst gehören – der jüdischen Moral zufolge (derjenigen, an der Freud in dieser Sache festhielt).
Man muss zugeben, dass die Frage (die Frage nach einem anderen Grund) erforderlich ist, um den Status einer Profession zu tragen, die in der Hystorie ein Neuankömmling ist. Eine Hystorie, die wir nicht als ewig bezeichnen, da ihr aetas nur dann seriös ist, wenn es sich auf die reelle Zahl bezieht, das heißt auf das Serielle der Grenze.
Warum sollten wir also diese Profession nicht der Überprüfung der Wahrheit unterziehen, von der die unbewusst genannte Funktion träumt, an der sie herummacht? Das Trugbild der Wahrheit, von der einzig die Lüge zu erwarten ist (was man höflich als Widerstand bezeichnet), hat keinen anderen Endpunkt als die Befriedigung, die das Ende der Analyse kennzeichnet.
Da diese Befriedigung zu geben die Dringlichkeit ist, bei der die Analyse bestimmend ist, sollten wir uns fragen, wie jemand sich dem widmen kann, diese dringlichen Fällen zu befriedigen.
Und das ist ein eigentümlicher Aspekt der Nächstenliebe, der von der jüdischen Tradition herausgestellt wurde. Selbst wenn man sie christlich interpretiert, das heißt als hellenische Nichtsnutzigkeit, ist das, was sich dem Analytiker |[573] präsentiert, etwas anderes als der Nächste: vielmehr das Allerlei eines Anspruchs, der nichts mit der Begegnung zu tun hat (mit einer Person aus Samaria, die in der Lage wäre, die Christenpflicht zu diktieren). Das Angebot geht der Nachfrage voraus, mit einer Dringlichkeit, bei der man nicht sicher sein kann, sie zu befriedigen, außer, man hat sie gewogen.
Weshalb ich die Überprüfung der Hystorisierung der Analyse als Passe bezeichnet habe – wobei ich mich davor hüte, diese Passe allen aufzuzwingen, da es hierbei nicht alle gibt, sondern unverbunden Vereinzelte. Ich habe die Passe denen zur Verfügung gestellt, die es wagen, von der lügnerischen Wahrheit, so gut es geht, Zeugnis abzulegen.
Ich habe es von daher getan, dass ich die einzig denkbare Idee des Objekts hervorgebracht habe, die der Ursache des Begehrens, also dessen, was fehlt.
Das Fehlen des Fehlens macht das Reale, das nur dort herauskommt, zum Stöpsel. Zu dem Stöpsel, der vom Terminus des Unmöglichen gestützt wird, bei dem das Wenige, das wir in Sachen Reales wissen, die Antinomie im Verhältnis zu jeder Wahr-Scheinlichkeit zeigt.
Von Joyce, mit dem ich mich in diesem Jahr befasst habe, will ich hier nur sprechen, um zu sagen, dass er die einfachste Konsequenz einer mentalen Ablehnung ist, und was für einer!, der Ablehnung einer Psychoanalyse, was dazu führte, dass er sie in seinem Werk illustriert. Das habe ich jedoch nur angerissen, angesichts meiner Verlegenheit in Bezug auf die Kunst, in der Freud, nicht ohne Missgeschick, badete.
Ich weise darauf hin, dass ich, während ich dies schrieb, wie immer in dringliche Fälle verwickelt war.
Ich schreibe dennoch, soweit ich glaube, es tun zu müssen, um mit diesen Fällen pari zu stehen, mit ihnen das Paar zu bilden.
Paris, am 17.V.76
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Französisch/deutsch
Préface à l’édition anglaise du Séminare XI
Vorwort zur englischen Ausgabe von Seminar XI
[571] Quand l’esp d’un laps, soit puisque je n’écris qu’en français : l’espace d’un lapsus, n’a plus aucune portée de sens (ou interprétation), alors seulement on est sûr qu’on est dans l’inconscient.
Wenn der esp eines laps, oder, da ich nur auf Französisch schreibe: l’espace d’un lapsus – der Raum einer Fehlleistung – den Bereich des Sinns (oder der Deutung) erschöpft hat, nur dann ist man sicher, im Unbewussten zu sein.2
On le sait, soi.
Man weiß es, selbst.
Mais il suffit que s’y fasse attention pour qu’on en sorte.
Es genügt jedoch, dass sich die Aufmerksamkeit darauf richtet, und schon ist man wieder draußen.
Pas d’amitié n’est là qui cet inconscient le supporte.
Da gibts keine Freundschaft, von der es gestützt würde, dieses Unbewusste.
Resterait que je dise une vérité.
Bliebe also, dass ich eine Wahrheit sage.3
Ce n’est pas le cas : je la rate.
Das ist nicht der Fall: ich verpfusche sie.
Il n’y a pas de vérité qui, à passer par l’attention, ne mente.
Es gibt keine Wahrheit, die, wenn sie durch die Aufmerksamkeit hindurchgeht, nicht lügt.
Ce qui n’empêche pas qu’on coure après.
Was nicht verhindert, dass man ihr hinterherläuft.
Il y a une certaine façon de balancer stembrouille qui est satisfaisante pour d’autres raisons que formelles (symétrie par exemple).
Es gibt eine bestimmte Art, dieses Kuddelmuddel zu schaukeln, die, aus anderen als formalen Gründen (Symmetrie beispielsweise), befriedigend ist.4
Comme satisfaction, elle ne s’atteint qu’à l’usage, à l’usage d’un particulier.
Als Befriedigung lässt sie sich nur im Gebrauch erreichen, im Gebrauch eines schrägen Typen.5
Celui qu’on appelle dans le cas d’une psychanalyse (psych =, soit fiction d’-) analysant.
Desjenigen, den man im Falle einer Psychoanalyse (Psycho = also Fiktion von –) als Analysant bezeichnet.
Question de pur fait : des analysants, il y en a dans nos contrées.
Reine Faktenfrage: Analysanten, hierzulande gibts die.
Fait de réalité humaine, ce que l’homme appelle réalité.
Faktum von menschlicher Realität, was der Mensch so Realität nennt.6
Notons que la psychanalyse a, depuis qu’elle ex-siste, changé.
Notieren wir, dass die Psychoanalyse sich, seit sie ex-sistiert, verändert hat.7
Inventée par un solitaire, théoricien incontestable de l’inconscient (qui n’est ce qu’on croit, je dis : l’inconscient, soit réel, qu’à m’en croire), elle se pratique maintenant en couple.
Von einem Einzelgänger erfunden8, unbestreitbarer Theoretiker des Unbewussten (das nur dann das ist, was man glaubt, ich sage: das Unbewusste, also real, wenn man mir glaubt9), wird sie jetzt im Paar praktiziert.10
Soyons exact, le solitaire en a donné l’exemple.
Seien wir genau, dafür hatte der Einzelgänger das Beispiel geliefert.
Non sans abus pour ses disciples (car disciples, ils n’étaient que du fait que lui, ne sût pas ce qu’il faisait).
Für seine Schüler nicht ohne Missbrauch (denn Schüler waren sie nur aufgrund der Tatsache, dass er nicht wusste, was er tat).11
Ce que traduit l’idée qu’il en avait : peste, mais anodine là où il croyait la porter, le public s’en arrange.
Was durch die Idee, die er davon hatte, übersetzt wird: Pest, dort allerdings, wo er sie hinzutragen glaubte, harmlos, das Publikum arrangiert sich damit.12
Maintenant, soit sur le tard, j’y mets mon grain de sel : fait d’hystoire, autant dire d’hystérie : celle de mes collègues en l’occasion, cas infime, mais où je me trouvais pris d’aventure pour m’être intéressé à quelqu’un qui m’a fait glisser jusqu’à eux de m’avoir imposé Freud, l’Aimée de mathèse.
Jetzt, also spät, füge ich mein Körnchen Salz hinzu: ein Faktum der Hystorie, um es anders zu sagen: der Hysterie, in diesem Fall derjenigen meiner Kollegen, ein Fall von geringer Bedeutung, in den ich jedoch zufällig verwickelt war, da ich mich für eine Person interessiert hatte, die mich dazu brachte, zu ihnen hinüberzugleiten, dadurch, dass sie, die Aimée meiner Diss, mir Freud aufnötigte.13
J’eusse préféré oublier ça : mais on n’oublie pas ce que le public vous rappelle.
Lieber hätte ich’s vergessen: aber woran das Publikum einen erinnert, das vergisst man nicht.14
[572] Donc il y a l’analyste à compter dans la cure.
Also gibt es den Analytiker, der in der Kur zählt.
Il ne compterait pas, j’imagine, socialement, s’il n’y avait Freud à lui avoir frayé la voie.
Sozial, denke ich, würde er nicht zählen, gäbe es nicht Freud, der ihm den Weg gebahnt hat.
Freud, dis-je, pour le nommer lui.
Freud sage ich, um ihn hier zu nennen.
Car nommer quelqu’un analyste, personne ne peut le faire et Freud n’en a nommé aucun.
Denn niemand kann jemanden Analytiker nennen, und Freud hat niemanden dazu ernannt.
Donner des bagues aux initiés, n’est pas nommer.
Den Initiierten Ringe zu geben, heißt nicht, zu ernennen.15
D’où ma proposition que l’analyste ne s’hystorise que de lui-même : fait patent.
Von daher mein Vorschlag, dass der Analytiker nur durch ihn selbst hystorisiert wird: offenkundiges Faktum.16
Et même s’il se fait confirmer d’une hiérarchie.
Selbst dann, wenn er sich durch eine Hierarchie bestätigen lässt.
Quelle hiérarchie pourrait lui confirmer d’être analyste, lui en donner le tampon ?
Welche Hierarchie könnte ihm bestätigen, dass er Analytiker ist, könnte ihm den Stempel dafür geben?
Ce qu’un Cht me disait, c’est que je l’étais, né.
Ein Cht sagte mir, ich sei ein geborener Analytiker.17
Je répudie ce certificat : je ne suis pas un poète, mais un poème.
Dieses Zertifikat lehne ich ab: ich bin kein Dichter, sondern ein Gedicht.
Et qui s’écrit, malgré qu’il ait l’air d’être sujet.
Eines, das geschrieben wird, auch wenn es so aussieht, als sei es ein Subjekt.
La question reste de ce qui peut pousser quiconque, surtout après une analyse, à s’hystoriser de lui-même.
Die Frage bleibt, was jemanden dazu treiben kann, vor allem nach einer Analyse, durch ihn selbst hystorisiert zu werden.
Ça ne saurait être son propre mouvement puisque sur l’analyste, il en sait long, maintenant qu’il a liquidé, comme on dit, son transfert-pour.
Das kann nicht von ihm selbst ausgehen, denn mit dem Analytiker kennt er sich ein bisschen aus, jetzt, wo er seine Übertragung-für, wie man sagt, aufgelöst hat.
Comment peut-il lui venir l’idée de prendre le relais de cette fonction ?
Wie kann ihm der Gedanke kommen, die Staffel dieser Funktion zu übernehmen?
Autrement dit y a-t-il des cas où une autre raison vous pousse à être analyste que de s’installer, c’est-à-dire de recevoir ce qu’on appelle couramment du fric, pour subvenir aux besoins de vos à-charge, au premier rang desquels vous vous trouvez vous-même, - selon la morale juive (celle où Freud en restait pour cette affaire).
Anders gesagt, gibt es Fälle, in denen ein anderer Grund Sie dazu treibt, Analytiker zu sein, als der, sich niederzulassen, das heißt das zu bekommen, was man üblicherweise Kohle nennt, um damit für die Bedürfnisse ihrer Sorgebefohlenen aufzukommen, zu denen in erster Linie Sie selbst gehören – der jüdischen Moral zufolge (derjenigen, an der Freud in dieser Sache festhielt).
Il faut avouer que la question (la question d’une autre raison) est exigible pour supporter le statut d’une profession, nouvelle-venue dans l’hystoire.
Man muss zugeben, dass die Frage (die Frage nach einem anderen Grund) erforderlich ist, um den Status einer Profession zu tragen, die in der Hystorie ein Neuankömmling ist.
Hystoire que nous ne disons pas éternelle parce que son aetas n’est sérieux qu’à se rapporter au nombre réel, c’est-à-dire au sériel de la limite.
Eine Hystorie, die wir nicht als ewig bezeichnen, da ihr aetas18 nur dann seriös ist, wenn es sich auf die reelle Zahl bezieht, das heißt auf das Serielle der Grenze.19
Pourquoi dès lors ne pas soumettre cette profession à l’épreuve de cette vérité dont rêve la fonction dite inconscient, avec quoi elle tripote ?
Warum sollten wir also diese Profession nicht der Überprüfung der Wahrheit unterziehen, von der die unbewusst genannte Funktion träumt, an der sie herummacht?
Le mirage de la vérité, dont seul le mensonge est à attendre (c’est ce qu’on appelle la résistance en termes polis) n’a d’autre terme que la satisfaction qui marque la fin de l’analyse.
Das Trugbild der Wahrheit, von der einzig die Lüge zu erwarten ist (was man höflich als Widerstand bezeichnet), hat keinen anderen Endpunkt als die Befriedigung, die das Ende der Analyse kennzeichnet.
Donner cette satisfaction étant l’urgence à quoi préside l’analyse, interrogeons comment quelqu’un peut se vouer à satisfaire ces cas d’urgence.
Da diese Befriedigung zu geben die Dringlichkeit ist, bei der die Analyse bestimmend ist, sollten wir uns fragen, wie jemand sich dem widmen kann, diese dringlichen Fällen zu befriedigen.
Voilà un aspect singulier de cet amour du prochain mis en exergue par la tradition judaïque.
Und das ist ein eigentümlicher Aspekt der Nächstenliebe, der von der jüdischen Tradition herausgestellt wurde.20
Même à l’interpréter chrétiennement, c’est-à-dire comme jean-f. trerie hellénique, ce qui se présente |[573] à l’analyste est autre chose que le prochain : c’est le tout-venant d’une demande qui n’a rien à voir avec la rencontre (d’une personne de Samarie propre à dicter le devoir christique).
Selbst wenn man sie christlich interpretiert, das heißt als hellenische Nichtsnutzigkeit, ist das, was sich dem Analytiker präsentiert, etwas anderes als der Nächste: vielmehr das Allerlei eines Anspruchs, der nichts mit der Begegnung zu tun hat (mit einer Person aus Samaria, die in der Lage wäre, die Christenpflicht zu diktieren).21
L’offre est antérieure à la requête d’une urgence qu’on n’est pas sûr de satisfaire, sauf à l’avoir pesée.
Das Angebot geht der Nachfrage voraus, mit einer Dringlichkeit, bei der man nicht sicher sein kann, sie zu befriedigen, außer, man hat sie gewogen.
D’où j’ai désigné de la passe cette mise à l’épreuve de l’hystorisation de l’analyse, en me gardant cette passe, de l’imposer à tous parce qu’il n’y a pas de tous en l’occasion, mais des épars désassortis.
Weshalb ich die Überprüfung der Hystorisierung der Analyse als Passe bezeichnet habe – wobei ich mich davor hüte, diese Passe allen aufzuzwingen, da es hierbei nicht alle gibt, sondern unverbunden Vereinzelte.22
Je l’ai laissée à la disposition de ceux qui se risquent à témoigner au mieux de la vérité menteuse.
Ich habe die Passe denen zur Verfügung gestellt, die es wagen, von der lügnerischen Wahrheit, so gut es geht, Zeugnis abzulegen.
Je l’ai fait d’avoir produit la seule idée concevable de l’objet, celle de la cause du désir, soit de ce qui manque.
Ich habe es von daher getan, dass ich die einzig denkbare Idee des Objekts hervorgebracht habe, die der Ursache des Begehrens, also dessen, was fehlt.
Le manque du manque fait le réel, qui ne sort que là, bouchon.
Das Fehlen des Fehlens macht das Reale, das nur dort herauskommt, zum Stöpsel.
Ce bouchon que supporte le terme de l’impossible, dont le peu que nous savons en matière de réel, montre l’antinomie à toute vraisemblance.
Zu dem Stöpsel, der vom Terminus des Unmöglichen gestützt wird23, bei dem das Wenige, das wir in Sachen Reales wissen, die Antinomie im Verhältnis zu jeder Wahr-Scheinlichkeit zeigt.
Je ne parlerai de Joyce où j’en suis cette année, que pour dire qu’il est la conséquence la plus simple d’un refus combien mental d’une psychanalyse, d’où est résulté que dans son œuvre, il l’illustre.
Von Joyce, mit dem ich mich in diesem Jahr befasst habe, will ich hier nur sprechen, um zu sagen, dass er die einfachste Konsequenz einer mentalen Ablehnung ist, und was für einer!, der Ablehnung einer Psychoanalyse, was dazu führte, dass er sie in seinem Werk illustriert.24
Mais je n’ai fait encore qu’effleurer ça, vu mon embarras quant à l’art, où Freud se baignait non sans malheur.
Das habe ich jedoch nur angerissen, angesichts meiner Verlegenheit in Bezug auf die Kunst, in der Freud, nicht ohne Missgeschick, badete.
Je signale que comme toujours les cas d’urgence m’empêtraient pendant que j’écrivais ça.
Ich weise darauf hin, dass ich, während ich dies schrieb, wie immer in dringliche Fälle verwickelt war.
J’écris pourtant, dans la mesure où je crois le devoir, pour être au pair avec ces cas, faire avec eux la paire.
Ich schreibe dennoch, soweit ich glaube, es tun zu müssen, um mit diesen Fällen pari zu stehen, mit ihnen das Paar zu bilden.
Paris, ce 17.V.76.
Paris, am 17.V.76
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Anmerkungen
- In: The Lacanian Review. Hurly-Burly, Heft 6, Herbst 2018, S. 22–27.
- Esp ist kein Wort des Französischen. Laps (vom lateinischen lapsus, „Fall“) meint (in anderen Zusammenhängen) „Zeitraum“ – Lacan spielt an auf das Verhältnis von Raum und Zeit.
- Anspielung auf Lacans Sentenz „Ich, die Wahrheit, ich spreche“ in dem Aufsatz Die Freud’sche Sache oder Sinn der Rückkehr zu Freud in der Psychoanalyse (1956). In: J. Lacan: Schriften. Band I. Vollständiger Text. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien 2016, S. 472–513, hier: S. 481.
- stembrouille, für c’t’embrouille, Verkürzung von cet embrouille, „dieses Kuddelmuddel“.
- Satisfaction, hier mit „Befriedigung“ übersetzt, geht auf das lateinische Wort satisfacere zurück, von satis facere, „genug tun“. Die satisfaction ist auch die „Genugtuung“.
Lacan verwendet den Terminus satisfaction im Zusammenhang mit dem Ende einer Psychoanalyse bereits im sogenannten Rom-Vortrag von 1953, wo es heißt, „dass die Frage der Beendigung der Analyse die Frage nach dem Moment ist, in dem die Befriedigung [satisfaction] des Subjekts sich in der Befriedigung eines jeden, das heißt all derer, mit denen sie sich zu einem menschlichen Werk zusammenschließt, zu realisieren vermag“ (Funktion und Feld des Sprechens und der Sprache. In: J. Lacan: Schriften. Band II. Vollständiger Text. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien 2016, S. 278–381, hier: S. 379). - Mit réalité humaine (menschliche Wirklichkeit) übersetzt der erste französische Heidegger-Übersetzer (Henry Corbin) Heideggers Begriff „Dasein“; von hier übernimmt Sartre den Terminus réalité humaine.
- Die Schreibweise ex-sister, die bei Lacan häufig ist, mobilisiert die Bedeutung „im Außen verharren“.
- Die Rede vom „Einzelgänger“ bezieht sich vermutlich auf Freuds Selbstanalyse.
- Die Formulierung „das nur dann das ist, was man glaubt, ich sage: das Unbewusste, also real, wenn man mir glaubt“ spielt an, so vermute ich, auf den ersten Satz („Wenn der esp eines laps, oder, da ich nur auf Französisch schreibe: l’espace d’un lapsus – der Raum eines Versprechers – den Bereich des Sinns (oder der Deutung) erschöpft hat, nur dann ist man sicher, im Unbewussten zu sein.“ Das reale Unbewusste wäre demnach das Unbewusste jenseits des Sinns oder der Deutung, das Unbewusste der „Buchstaben“, wie Lacan sonst sagt, der Elemente jenseits des Sinns. Vgl. hierzu vor allem seinen Aufsatz Lituraterre (Übersetzung auf dieser Website hier (Lituraterre I) und hier (Lituraterre II)).
- Gemeint ist das Paar Analytiker – Analysant.
- Ich verstehe den Satz in der Klammer so: Schüler waren sie nicht, weil er Ihnen ein fertiges Wissen vermittelte, sondern weil er auf der Suche war, weil er versuchte, eine Theorie und eine Praxis zu konstruieren, weil er „ein Wissen begehrte“. Der „Missbrauch“ könnte darin bestanden haben, dass er seine Schüler brauchte, um seine Theorie zu entwickeln.
- 1909 fuhr Freud mit Sándor Ferenczi und Carl Gustav Jung in die USA, um dort die Psychoanalyse bekannt zu machen. Lacan berichtet, Jung habe ihm erzählt, Freud habe in Sichtweite des Hafens von New York zu Jung gesagt: „Sie wissen nicht, dass wir ihnen die Pest bringen.“ (Die Freud’sche Sache, a.a.O., S. 474). Belege zur Stützung dieser Anekdote gibt es nicht. (Vgl. den Artikel „Pest“ in: Elisabeth Roudinesco, Michel Plon: Wörterbuch der Psychoanalyse. Länder, Werke, Begriffe. Springer-Verlag, Wien und New York 2004, S. 781 f.).
- Lacan bezieht sich auf seine thèse (seine Dissertation) von 1932, De la psychose paranoïaque dans ses rapports avec la personnalité, die 1975 nachgedruckt worden war (dt.: Über die paranoische Psychose in ihren Beziehungen zur Persönlichkeit (in: J. Lacan: Über die paranoische Psychose in ihren Beziehungen zur Persönlichkeit und Frühe Schriften über die Paranoia. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Passagen, Wien 2002, S. 13–358). Diese Arbeit enthält eine ausführliche Fallstudie über eine Patientin, die von Lacan mit dem Pseudonym Aimée bezeichnet wird.
Ich verstehe den Satz so: Lacan war Psychiater. Durch die Arbeit an dem Fall Aimée kam er dazu, Freud zu lesen. Dies hatte zur Folge, dass er sich den psychoanalytisch Interessierten unter seinen Kollegen annäherte.
Zum Verhältnis von Hysterie und Psychoanalyse: Lacan zufolge beruht Freuds Orientierung am Ödipusmythos auf der Hysterie (Seminar 18, Über einen Diskurs, der nicht vom Schein wäre (1971), Sitzung vom 9. Juni 1971, Übersetzung auf dieser Website hier).
Der Ausdruck mathèse (für ma thèse, „meine Dissertation“) evoziert die mathesis, die Mathematik. Warum? Will Lacan darauf anspielen, dass seine thèse im Zeichen Spinozas stand, also der Theoriebildung more geometrico? - Anspielung darauf, dass Lacans Dissertation im Jahre 1975 bei Seuil wieder veröffentlicht wurde.
- 1912 gründete Freud auf Anregung von Ernest Jones ein geheimes Komitee, das die Aufgabe hatte, die Psychoanalyse vor Abweichungen zu schützen. Die ersten Mitglieder waren Abraham, Ferenczi, Jones, Rank und Sachs. Jedem von ihnen schenkte Freud eine griechische Gemme, die jeder auf einen goldenen Ring montieren ließ. (Vgl. den Artikel „Komitee (1912–1927)“ in: Roudinesco/Plon, Wörterbuch der Psychoanalyse, a.a.O., S. 560 f.)
- Lacan bezieht sich hier auf seine Proposition du 9 octobre 1967 (vgl. J. Lacan: Autres écrits. Seuil, Paris 2001, S. 243–260). Darin findet man (S. 243) den Satz: „D’abord un principe: le psychanalyste ne s’autorise que de lui même.“ (Zuerst ein Prinzip: der Psychoanalytiker wird nur durch sich selbst autorisiert.)
- Das Kürzel Cht steht möglicherweise für Sascha Nacht; vgl. Reginald Blanche: Que cache ledit „Cht“ et pourquoi? Auf der Internetseite für den NLS-Kongress 2019, hier.
- Aetas, lateinisch für „Alter“, „Zeit“, „Zeitalter“. Das französische Wort éternelle (ewig) geht auf lat. aeternus (ewig) zurück, und aeternus wiedeurm auf aetas.
- Die reellen Zahlen umfassen die rationalen Zahlen und die irrationalen Zahlen. Gegenbegriff ist „imaginäre Zahl“.
– Die rationalen Zahlen können als Quotienten zweier ganzer Zahlen dargestellt werden, d.h. als Bruchzahlen oder als Dezimalzahlen.
– Für die irrationalen Zahlen gilt das nicht, sie können nur als unendliche nicht-periodische Dezimalzahlen dargestellt werden, dazu gehören beispielsweise die Quadratwurzel aus 2 (1,4142135…), das Teilungsverhältnis des Goldenen Schnitts, Φ (1,6180339…) und die Kreiszahl π (3,1415926…).
– Eine imaginäre Zahl ist eine Zahl, deren Quadrat eine negative reelle Zahl ist.
Lacan bezieht sich mit den Hinweise auf die reelle Zahl offenbar speziell auf die irrationalen Zahlen, denn hier gibt es das Serielle der Grenze, insofern nämlich, als die unendliche nichtperiodische Zahl einen bestimmten Wert hat.
Der Sinn dieses Satzes ist möglicherweise: „Ewig“ ist Gegenbegriff zu „zeitlich“; die mathematische Grenzoperation der irrationalen Zahlen ist nicht ewig, sondern zeitlich, insofern sie als eine sukzessive Annäherung begriffen werden kann. - Vgl. 3. Moses 19,18: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“
- Anspielung auf das Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Lukas 10, 25–37).
- Der Begriff passe (Übergang) bezieht sich auf das Verfahren, mit dem in Lacans École freudienne de Paris (EFP) ein Mitglied der Schule, das sich einer Analyse unterzogen hatte, die Berechtigung erwarb, den Titel analyste de l’école (AE) zu führen, „Analytiker der Schule“. Hintergrund ist die Abschaffung der Unterscheidung zwischen persönlicher Analyse und Lehranalyse im Rahmen der EFP. Das Verfahren besteht darin, dass der Kandidat (der passant) gegenüber zwei anderen Analytikern (den passeurs), die nicht den Titel AE haben, von seiner Analyse Zeugnis ablegt. Die passeurs vermitteln das Zeugnis des passant an die Aufnahmejury, deren Mitglieder den Titel AE haben und die über die Zulassung entscheidet. Heute wird die Passe von lacanianischen Analytikergruppen teils verwendet, teils nicht verwendet.
- Lacan spielt hier auf seine Formel an „Das Reale ist das Unmögliche“. Vgl. diesen Artikel auf dieser Website.
- Lacan bezieht sich auf das eine Woche zuvor beendete Seminar 23, Das Sinthom (1975/56), in dem er ausführlich den Fall Joyce untersucht hatte.
1919 wurde Joyce, der damals in Zürich lebte, von einer Mäzenin angeboten, eine Analyse bei C.G. Jung zu finanzieren; die Mäzenin war Edith Rockefeller McCormick. Joyce lehnte ab. Vgl. Richard Ellmann: James Joyce. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1979, S. 713 f.