Erik Porge
Schnitte
Lucio Fontana, Concetto spaziale, Attese
Wasserfarbe auf Leinwand, 65 x 82 cm, 1964
.
Übersetzung von: Coupures. Kapitel 13 von: Erik Porge: Des fondements de la clinique psychanalytique (Grundlagen der psychoanalytischen Klinik). Éditions érès, Ramonville Saint-Agne 2008, S. 133–142. Übersetzt von Rolf Nemitz, unterstützt von Gerhard Herrgott..
PDF des Inhaltsverzeichnisses des Buches hier
Weitere Übersetzungen aus diesem Buch auf dieser Website:
– Einleitung: Schnitt und Wiederkehr als Grundlagen der psychoanalytischen Klinik, hier
– Kapitel 5: Die Regel der gleichschwebenden Aufmerksamkeit, das Gegenstück zur Grundregel, hier
– Kapitel 6: Das Zurückbringen des Anspruchs zum Trieb, hier
– Kapitel 11: Der topologische Raum, hier
– Kapitel 12: Das Qualitative (de)chiffrieren, hier
.
Schnitte
Empirisch ist die Kategorie des Schnitts ein Bezugspunkt. In der Klink hat der Schnitt vielfältige Entsprechungen. Beispielsweise gibt es einen subjektiven Durchbruch, wenn ein Autist von einer Phase, in der er das, was ihm in die Hände fällt, zerreißt, in die Phase übergeht, in der er nach einer Schere greift, um es zu zerschneiden. Zerschneiden heißt bereits, eine Spur zu ziehen.
Die phantasmatische Anatomie der Hysterikerin („Anatomie“ kommt von griechisch temmein, schneiden) gehört in den Bereich des Symbols und des Signifikanten, nicht der Nervenbahnen.
Der „Wolfsmann“ halluziniert, dass er sich einen Finger abgeschnitten hat.
Das Problem besteht darin, dass diese und viele andere wertvolle Hinweise nicht hinreichen, um den Schnitt in der Struktur zu legitimieren. Wenn der Schnitt überall ist, gibt es keinen Schnitt mehr.
Der Orientierungspunkt (repère) wird zum Schlupfwinkel (repaire).1
.
Erinnern wir uns daran, dass das Wort coupure, „Schnitt“, von coup kommt, „Schlag“, vom spätlateinischen colpus („Hieb“), vom griechischen kolaphizein („ohrfeigen“). Der Schnitt ist sowohl die Handlung des Schneidens als auch das Ergebnis dieser Handlung. L’après-coup, die „Nachträglichkeit“ – wörtlich der „Nachschlag“ – gehört also zur selben Familie wie der Schnitt. Culpabilité hingegen, „Schuld“, hat einen anderen etymologischen Ursprung, Lacan hat ihn jedoch an den von coupure angenähert, aus Gründen der Assonanz und der Lehre, und er hat sogar das Wort coulpabilité geprägt, womit er sich auf den Schnitt des borromäischen Knotens bezog. Wir erwähnen das, um auf diese Weise einzuführen, dass der strukturelle Referent des Wortes „Schnitt“ die Topologie ist.
Die Topologie versieht den Schnitt mit einer Verbindung zum Realen, mit dem Realen der Zahl. Der Zugang zum Realen vermittels der Zahl wird beispielsweise dadurch angezeigt, dass „die größte ganze Zahl“ nicht existiert, es ist unmöglich, dass sie existiert, das gehört also zum Realen.
In der Topologie ist der Schnitt mit der Zahl verbunden, um die Flächen und ihre Transformationen zu identifizieren. Die „Zusammenhangszahl“ einer geschlossenen Fläche ist, wie wir gesehen haben, die maximale Anzahl von geschlossenen Schnitten, die man an ihr vornehmen kann, ohne sie zu zerstückeln.
Lacan gibt dem Wort „Schnitt“ kein besonderes Signifikat, sondern etabliert das Feld seines realen Referenten. Er gibt dem Wort „Schnitt“ keinen Sinn, sondern eine Bedeutung (Referent, Denotation) – um die Unterscheidung von Frege (in Über Sinn und Bedeutung) aufzugreifen, die Lacan bei anderen Gelegenheiten verwendet (in den Seminaren Schlüsselprobleme für die Psychoanalyse und Über einen Diskurs, der nicht vom Schein wäre).
Diesen Referenten zu fixieren heißt auch nicht, eine Entsprechung zwischen dem Wort „Schnitt“ und der Sache Schnitt herzustellen, gemäß einer Konzeption der Sprache als Nomenklatur. Vielmehr geht es darum, den Abstand zwischen dem Wort und der Sache zu ermessen, in der Erfahrung des Durchgangs durch die Topologie, da dieser Referent die Eigenschaft hat, nicht (wie ein Begriff) mit einem Schlag fassbar oder sichtbar zu sein. Falls wir uns an die Vorstellungen gewöhnen, wird das topologische Objekt in den Phasen der Umrundungen von Löchern befürchtet und erfasst2 (etwa der beiden Löcher des Torus), in Umrundungen, die gezählt werden. Lacan hat übrigens erklärt, die Klein’sche Flasche gebe den drei logischen Zeiten eine Form.3
In seiner Wirksamkeit und seiner Realisierung, in den Identifizierungen und in den Transformationen, die der Schnitt herbeiführt, bildet er in actu eine Verknotung der Dimension des Symbolischen (der Sprache), des Realen (all dessen, was durch etwas Unmögliches gekennzeichnet ist) und des Imaginären (der Repräsentation durch Plättungen). Die Topologie ist in der Psychoanalyse der reale Referent des Schnitts, insofern die Verknotung real ist.
Für Lacan ist die Topologie kein Modell; mehrmals weist er diese Auffassung ausdrücklich zurück. „Meine Topologie ist nicht von einer Substanz, die jenseits des Realen zu setzen wäre, durch das eine Praxis motiviert wird. Sie ist nicht Theorie. Sie soll vielmehr darüber Auskunft geben, dass es an Schnitten des Diskurses solche gibt, welche die Struktur modifizieren, die er von Anfang an enthält.“ „Die Topologie ist nicht dazu da, um uns in der Struktur Orientierung zu geben. Sie ist diese Struktur – als Rückwirkung der Ordnung der Kette, aus der die Sprache besteht.“ Und dann: „Was den Schnitt betrifft, den von der Topologie eingesetzten Schnitt (der hier korrekterweise geschlossen zu vollziehen ist – das sollte man endlich einmal zur Kenntnis nehmen –, zumindest so wie ich ihn verwende), so ist er das Gesagte der Sprache, jedoch ohne sein Sagen zu vergessen.“4
Lacan erfindet selbst neue Charakteristika des Schnitts, die mit Zahlen verknüpft sind, und trägt so dazu bei, ausgehend vom Prinzip der Zusammenhangszahl, sein Reales einzukreisen: „Was die Topologie lehrt, ist die notwendige Verbindung, die sich vom Schnitt zur Anzahl der Runden herstellt, die mit ihm einhergehen, sodass man von da aus eine Modifikation der Struktur oder der Asphäre erhält, was der einzig denkbare Zugang zum Realen ist, der vom Unmöglichen insofern denkbar ist, als er es demonstriert.“5 Auf diese Weise erklärt er in L’étourdit die Erzeugung eines Möbiusbandes, ausgehend von einer ungeraden Anzahl von Runden des Anspruchs auf dem Torus.
Bereits zehn Jahre zuvor, 1962, im Seminar Die Identifizierung, hatte Lacan akzeptiert, die Identifizierung des Realen des Schnitts durch die Topologie zu bestimmen, eines Realen, von dem sich erweist, dass es dem Realen des Subjekts entspricht. Seinem radikalsten Wesen nach ist der Signifikant, der immer diskontinuierlich ist, Schnitt in eine Fläche. „Die Funktion des Schnitts ist für uns in erster Linie bei dem wichtig, was geschrieben werden kann. Und hier muss in unser mentales Funktionieren die Kategorie der topologischen Fläche eingeführt werden, da nur hier die Funktion des Schnitts relevant wird.“6
Das Subjekt hat „die Struktur der Fläche, zumindest insofern sie topologisch definiert ist“, und „der Schnitt bringt die Fläche hervor“ und nicht umgekehrt. Wir werden darauf zurückkommen.
Das Subjekt ist insofern Fläche, als es vom Signifikanten determiniert ist, und das Zeichen des Subjekts ist das Nichts des Schnitts. „Das Möbiusband ist eine Fläche, die so beschaffen ist, dass der Schnitt, der in seiner Mitte der Länge nach vollzogen wird, ein Möbiusband ist. Seinem Wesen nach ist das Möbiusband der Schnitt selbst. Von daher kann das Möbiusband für uns die strukturelle Stütze für die Konstituierung des Subjekts sein, des Subjekts, insofern es teilbar ist.“ Und: „Jedes Mal, wenn wir von etwas sprechen, das Subjekt heißt, machen wir daraus ein ‚ein‘. Nun, was erfasst werden muss, ist eben dies: Es fehlt das Ein, um es zu bezeichnen.“7
.
Das Möbiusband nimmt also eine Sonderstellung ein. Bezogen auf den Schnitt hat es bei Lacan diesen Platz nicht von Anfang an eingenommen. Zu Beginn, in den Seminaren Die Identifizierung und Die Angst, war das Möbiusband deshalb ausgewählt worden, weil es sich um eine einseitige und nicht orientierbare Fläche handelt, und es wurde entweder isoliert betrachtet oder als Ergebnis des Schnitts in eine projektive Ebene. Dann, im Jahre 1965, im Seminar Schlüsselprobleme für die Psychoanalyse, betonte Lacan die Kontinuität von Vorderseite und Rückseite wie auch die Faltungslinien als Stütze für die Trias Subjekt – Wissen – Geschlecht, durch welche die subjektive Position des Seins / des Wesens als solches gestiftet wird. Von da aus wurde der Schnitt zu dem, was am Möbiusband vor allem interessierte, insbesondere im Seminar Das Objekt der Psychoanalyse (1965/66) und im Aufsatz L’étourdit (1972). Am Ende seines Unterrichts (im Seminar Der Moment des Schließens) ist Lacan auf Vorderseite und Rückseite zurückgekommen, auf die Dublüre des Möbiusbandes wie auch auf seine Faltungen, auf den Unterschied zwischen einer halben Verdrehung und drei halben Verdrehungen, auf den Übergang zum Knoten.
Wir wollen also damit beginnen, dass wir den Schnitt in das Möbiusband als solchen betrachten, und dann möchten wir uns anschauen, wie mithilfe des Schnitts die Übergänge von Flächen zu Knoten hergestellt werden.
.„Der Schnitt erzeugt die Fläche“8, das ist die entscheidende Aussage, um den Schnitt anzugehen. Wie ist sie zu verstehen? Sicherlich kann man feststellen, dass ein Schnitt eine Fläche in eine andere Fläche verwandelt. Die Behauptung „der Schnitt erzeugt die Fläche“ geht jedoch darüber hinaus. Sie bindet die Existenz der Fläche an den Schnitt. Der Schnitt ist primär. Er lässt die Fläche in die Existenz übergehen, was heißt, dass er die Existenz der Fläche an ihre Nicht-Existenz bindet, an ihr ex nihilo; er stellt zwischen beiden eine Korrelation her. In L’étourdit demonstriert Lacan das mit dem Möbiusband: „Das Möbiusband ist nichts anderes als dieser Schnitt selbst, derjenige, durch den es von seiner Fläche verschwindet.“9
Bevor wir Lacans Demonstration aufgreifen, sollten wir uns klarmachen, dass es mehrere Arten gibt, das Möbiusband mit dem Schnitt zu verbinden. Das Zerschneiden einer Kreuzhaube entlang der darin eingetragenen Innenacht zerlegt sie in ein Möbiusband und eine Scheibe. Ebenso zerlegt der Schnitt in Form einer Innenacht eine Klein’sche Flasche in zwei Möbiusbänder.In beiden Fällen gehen wir von Flächen der vierten Dimension, die in drei Dimensionen immergiert sind, zu Flächen über, die in drei Dimensionen eingebettet sind. Das zweidimensionale Möbiusband – das auch die Spiegelorientierung zweidimensionaler Flächen so transformiert, als ginge man durch eine dritte Dimension – bildet die Brücke zwischen der vierten und der dritten Dimension. Das Möbiusband ist ein Operator des Dimensionsübergangs.
Kommen wir jetzt zu dem Schnitt, den Lacan in L’étourdit vorschlägt.10 Dabei geht es um einen Schnitt, der den Übergang zwischen einem Torus und einem Möbiusband herstellt. Dieser Schnitt bildet die Grundlage für die Behauptung, dass der Schnitt das Möbiusband ist. Erinnern wir kurz an die Etappen der Beschreibung, die Lacan hier vornimmt, ohne sich auf eine Zeichnung zu beziehen. Man beginnt damit, dass man einen Torus „plättet“; man lässt dann eine Seite gegen die andere verrutschen und zwar so, dass man der Eintragung einer Innenacht folgt, hierdurch erhält man ein „scheinbares“ Möbiusband von doppelter Dicke. Man zerschneidet es dann entlang der Faltungslinie und erhält so ein zweiteiliges Möbiusband mit zwei Seiten. Wenn man die gegenüberliegenden Ränder miteinander verbindet, erhält man das „echte“ Möbiusband. Das Möbiusband ist hier also das Ergebnis der Identifizierung von Rändern, derart, dass die Fläche, die man auf diese Weise erhält, nur einen Rand hat.Der Raum zwischen den beiden Rändern des zweiteiligen Bandes entspricht der Möbiusfläche. Der Raum, der in der Faltung eines zweiteiligen gefalteten Möbiusbandes enthalten ist, ist ein Möbiusraum und zugleich eine Fläche; da die Fläche keine Dicke hat, sie hat nur zwei Dimensionen. Von daher Lacans bereits zitierter Satz, dass das Möbiusband nichts anderes ist als eben dieser Schnitt, derjenige, durch den es von seiner Fläche verschwindet. Entlang der gesamten Fläche und an jedem Punkt sind Vorderseite und Rückseite miteinander verbunden, aneinandergelegt. Das Möbiusband ist nur der Schnitt in die Fläche, ein Schnitt, der über eine Runde geht; wenn sie zerschnitten ist, enthüllt die Fläche, dass sie nur von dieser Möbius’schen Struktur abhing. Wenn man in das Möbiusband einen Schnitt macht, der über zwei Runden geht, materialisiert sich das Möbiusband zwischen den beiden abgeschnittenen Rändern und verkettet sich mit dem zweiseitigen Band. Das zweiseitige Band bildet eine Dublüre oder einen Umschlag für das Möbiusband.
Der Schnitt zerteilt das Möbiusband nicht, er lässt es ankommen, er enthüllt es in seinem Verschwinden als Teilung in eine Vorderseite und eine Rückseite. Das Möbiusband ist Teilung, Schnitt, der die sogenannte möbiussche Fläche hervorbringt. Das „möbiussche“ ist hier der Name für den Schnitt, der die Fläche erzeugt. „Fläche“ ist nicht unter räumlichem Aspekt aufzufassen, sondern als etwas, bei dem jeder Punkt eine Struktur bezeugt, die aus ihr nicht ausgeschlossen werden kann. Die Wirkungen des Schnitts sind in jedem Punkt präsent.11
In diesem Sinne ist, Lacan zufolge, das Möbiusband das Subjekt. Das Subjekt, $, ist Spaltung, Schnitt, der Vorderseite und Rückseite kommunizieren lässt und sie trennt, denn es handelt sich stets um dasselbe Band, um eines – dasselbe und nicht das gleiche – mit einer und mit zwei Seiten. Bereits 1965, vor L’étourdit, sagte Lacan über den Schnitt und das Verbinden der Ränder [beim Möbiusband]:
.„Verbinden Sie, wenn ich so sagen kann, die beiden Ränder durch einen Schussfaden. Sie sehen, wie es sich umkehrt und sich auf der Ebene seiner Rückseite mit dem vernäht, was zunächst seine Vorderseite war. Das Möbiusband hat zahlreiche Eigenschaften. Es gibt eine wichtige, hauptsächliche, die ich Ihnen, denke ich, in den vergangenen Jahren hinlänglich vorgestellt habe – bis dahin, dass ich selbst sie Ihnen hier mit einer Schere demonstriert habe –, nämlich dass ein Möbiusband keine Fläche hat, dass es ein reiner Rand ist. Nicht nur hat die Fläche des Möbiusbandes nur einen Rand, sondern wenn ich es in der Mitte der Länge nach spalte, gibt es kein Möbiusband mehr, denn das, wodurch das Möbiusband gestiftet wird, ist meine Schnittlinie, ist die Eigenschaft der Spaltung. Sie können vom Möbiusband so viele kleine Stücke wegnehmen wie Sie wollen, es wird hier immer, sofern vom Band etwas übrigbleibt, ein Möbiusband geben, es wird jedoch niemals das Band sein, das Sie dann halten. Das Möbiusband ist eine Fläche, die so beschaffen ist, dass der Schnitt, der in seiner Mitte der Länge nach vollzogen wird, eben das Möbiusband ist. Das Möbiusband ist seinem Wesen nach der Schnitt selbst. Von daher kann das Möbiusband für uns die strukturelle Stütze für die Konstituierung des Subjekts sein, des Subjekts, insofern es teilbar ist.“7
Der Knoten als Vollzug des Schnitts mit dem Stoff der Fläche
Der Schnitt ermöglicht es, von der Fläche zum Knoten überzugehen. Er realisiert also das, was man mit einem Oxymoron als Verbindungsschnitt bezeichnen kann. Man kann die Äquivalenzen zwischen dem Schnitt und dem Zusammenhang festhalten. Die Knoten sind Verbindungsschnitte, „der Knoten ist die Erfüllung des Schnitts“, demonstriert Jean-Michel Vappereau12 ausgehend vom Übergang zwischen Flächen und dem borromäischen Knoten.
Es gibt mehrere Arten, um durch den Schnitt in eine Fläche einen Knoten zu erhalten.
Der „mediane“ Schnitt in ein Möbiusband mit drei halben Windungen stellt einen Kleeblattknoten her13:Auch das Zerschneiden eines Torus ermöglicht es, einen Kleeblattknoten zu erhalten, und dies auf zwei Weisen. Die erste besteht darin, dass der Kleeblattschnitt mit dem Stoff verdoppelt wird. Dieses Vorgehen schlägt Lacan in Der Moment des Schließens vor. Er stellt hier eine gewisse Anzahl von Zerschneidungen eines Torus dar und sagt dazu: „So verläuft der Schnitt, der auf dem Torus ein Dreierknoten realisiert“, unter der Bedingung, ihm Stoff zu geben, indem der Schnitt verdoppelt wird.14Das andere Verfahren wird von Jean-Michel Vappereau dargestellt.15 Der Stoff der Torusfläche wird durch den Kleeblattschnitt zu einem Kleeblatt verknotet, d.h. indem drei Runden um das periphere Loch gedreht werden. Der entsprechend einem Kleeblattknoten durchgeführte Schnitt in einen Torus, der in seinen Stoff eingebettet ist, ergibt ein Band mit sechs Falten, das selbst als Kleeblatt verknotet ist:
Kleeblattknoten im StoffDer vollzogene Schnitt ergibt ein Band mit sechs Falten, das selbst als Kleeblatt geknotet ist.
Wir sollten außerdem wissen, dass der Schnitt in einen Torus mit drei Löchern es ermöglicht, einen borromäischen Knoten zu erhalten.
Umgekehrt wird die in einen borromäischen Knoten eingespannte Fläche in einen Dreifachtorus transformiert16:„Die intrinsischen Charakteristika der in einen Knoten eingespannten Fläche sind also Spuren, die Erinnerung daran, dass es einen Knoten gab. Im Stoff wird der Knoten vergessen, wie durch einen Schwamm ausgelöscht; es bleiben davon einige Spuren, die jedoch nicht hinreichen, um ihn wiederherzustellen, denn mehrere unterschiedliche Knoten können eine intrinsische aufgespannte Fläche haben, welche dieselben Invarianten aufweist. Es bleibt bei diesem Stoff ein Kalkül, das sich auf das Geschlecht des Knotens bezieht.“17
Ausgehend von der doppelt gelochten projektiven Ebene erhält man eine Band-Kreuzung und deren Zerschneidung erzeugt den Whitehead-Knoten bzw. den Knoten des Phantasmas:Hier zwei weitere Band-Kreuzungen. Diejenige der Klein’schen Flasche:
Und diejenige der projektiven Ebene:Die Vielfalt der Schnitte in der Topologie macht die Topologie zum realen Referenten für das, was Lalangue mit Schnitt bezeichnet.
Über Erik Porge
Erik Porge ist Psychoanalytiker in Paris. Als Krankenhausarzt in Teilzeit war er für ein medizinisch-psychologisches Zentrum für Kinder und Erwachsene verantwortlich. Er war Mitglied der École freudienne de Paris bis zu deren Auflösung, gegenwärtig ist er Mitglied der Association de psychanalyse Encore. Er war Mitgründer der Zeitschrift Littoral und gibt die Zeitschrift Essaim heraus.
Zu seinen Veröffentlichungen gehören: Se compter trois. Le temps logique de Lacan (1989) ; Schöne Paranoia. Wilhelm Fließ, sein Plagiat und Freud (frz. 1994, dt. 2005); Freud, Fließ. Mythe et chimère de l’auto-analyse (1996); Le moment cartésien de la psychanalyse. Lacan, Descartes, le sujet (Hg. zusammen mit Antonia Soulez) (1996); Les noms du père chez Jacques Lacan (1997); Jacques Lacan, un psychanalyste. Parcours d’un enseignement (2000, überarbeitete und aktualisierte Auflage 2014); Transmettre la clinique psychanalytique (2005); Des fondements de la clinique psychanalytique (2008); Lettres du symptôme. Versions de l’identification (2010); Voix de l’écho (2012); Le ravissement de Lacan. Marguerite Duras à la lettre (2015); Truth and knowledge in the clinic. Working with Freud and Lacan (2016); La sublimation, une érotique pour la psychanalyse (2018).
Verwandte Beiträge
- Erik Porge: Schnitt und Wiederkehr als Grundlagen der psychoanalytischen Klinik
- Erik Porge: Die Regel der gleichschwebenden Aufmerksamkeit, das Gegenstück zur Grundregel
- Erik Porge: Das Zurückbringen des Anspruchs zum Trieb
- Erik Porge: Der topologische Raum
- Erik Porge: Das Qualitative (de)chiffrieren
- Erik Porge: Die Namen-des-Vaters - warum die?
- Über Knoten
- Von Tabellen und anderen Räumen
- Die Komplexität der Knoten
Anmerkungen
- Anmerkung des Übersetzers: Repère und repaire sind gleichlautend.
- A.d.Ü.: Wortspiel mit appréhender, was sowohl „befürchten“ als auch „erfassen“ bedeutet. Porge weist auf den Doppelsinn ausdrücklich hin.
- Vgl. Jacques Lacan, Seminar Schlüsselprobleme für die Psychoanalyse, 3. Januar 1965, unveröffentlicht.
- Jacques Lacan: L’étourdit. In: Ders.: Autres écrits. Le Seuil, Paris 2001, S. 478, 483, 484.
- L’étourdit, a.a.O., S. 485.
- Jacques Lacan, Seminar Die Identifizierung, 16. Mai 1962, unveröffentlicht.
- Jacques Lacan, Seminar Das Objekt der Psychoanalyse, 15. Dezember 1965, unveröffentlicht.
- Jacques Lacan, Seminar Die Identifizierung, 30. Mai 1962, unveröffentlicht.
- L’étourdit, a.a.O., S. 470.
- Vgl. L’étourdit, a.a.O., S. 469–471, ebenso Jean-Michel Vappereau: Étoffe. Les surfaces topologiques intrinsèques. Éditions Topologie en Extension, Paris 1988, im Internet hier.
- Vgl. Jacques Lacan, Seminar Die Logik des Phantasmas, 25. Januar 1967, unveröffentlicht.
- Vgl. Jean-Michel Vappereau: Nœud. La théorie du nœud esquissée par Jacques Lacan. Éditions Topologie en extension, Paris 1997, Kap. III (im Internet hier). Vgl. auch: Ders: La deuxième. La raison d’un échec (1967). In: Christian Centner (Hg.): L’insistance du réel. Érès, Toulouse 1996. Jean-Michel Vappereau zeichnet den Graphen des Schnitts, der es ermöglicht, einen Dreifachtorus in einen borromäischen chaînœud zu verwandeln.
- Anm. d. Übersetzers: Die Zeichnung zeigt links irrtümlich ein normales Möbiusband, d.h. ein Möbiusband mit einer halben Windung, nicht ein Möbiusband mit drei halben Windungen.
- Jacques Lacan, Seminar Der Moment des Schließens, 9. Mai 1976, unveröffentlicht.
Anm. d. Übersetzers: Ein „Dreierknoten“ ist ein Kleeblattknoten. - Vgl. Vappereau, Étoffe, a.a.O., S. 221.
- Vgl. Vappereau, Étoffe, a.a.O, S.73-76.
Anm. des Übersetzers: Die in eine borromäische Verschlingung eingespannten Flächen heißen „Seifert-Flächen“; ein Dreifachtorus ist ein Torus mit drei Löchern. - Vappereau, Étoffe, a.a.O., S. 76.