Der Phallus als Signifikant der (geopferten) Jouissance (1962)
Sonia Lewitska, Illustration zu: Paul Valéry, Le serpent. Éos, Paris 1926
Was versteht Lacan unter dem symbolischen Phallus? Im Aufsatz Subversion des Subjekts und Dialektik des Begehrens im Freud’schen Unbewussten, der vermutlich 1962 geschrieben wurde, definiert er den symbolischen Phallus als signifiant de la jouissance, als Signifikanten der Jouissance (der Lust, des Genusses, des Genießens). Das ist ein auffälliger Begriffswechsel. Davor, von 1958 bis 1961, hatte er den Phallus als Signifikant des Begehrens bezeichnet (oder auch des Seinsmangels).
Im Folgenden übersetze und kommentiere ich die einschlägige Passage zum Phallus qua Signifikant der Jouissance aus dem Subversions-Aufsatz.1 Vorangestellt habe ich einige Bemerkungen von Lacan zum Phallus und zur Jouissance, die man in diesem Aufsatz an früherer Stelle findet.
Einleitung
Lacan hält die Existenz des Phallus im Unbewussten für eine unbestreitbare empirische Tatsache. Er hatte sich bemüht, sein Funktionieren durch zwei Begriffsgefüge aufzuklären, durch die Unterscheidung zwischen dem imaginären, dem symbolischen und dem realen Phallus sowie durch Bezug auf den Gegensatz von désir und jouissance.
Zwischen 1956 und 1959 hatte er die Unterscheidung zwischen dem imaginären, dem symbolischen und dem realen Phallus eingeführt und Symbole für den imaginären und den symbolischen Phallus festgelegt, die er dann auch im Subversions-Aufsatz verwenden wird: für den imaginären Phallus ist dies das Symbol klein phi (φ), für den symbolischen Phallus das Symbol groß Phi (Φ).2 Unter dem realen Phallus versteht Lacan meist den Penis. Der imaginäre Phallus ist der Phallus, insofern er sich letztlich auf das Körperbild bezieht, also in der Ordnung des Narzissmus funktioniert; diese Zuordnung ist stabil. Den symbolischen Phallus bestimmt er wechselnd. Anfangs (in Seminar 4 von 1956/57, Die Objektbeziehung) gilt ihm der symbolische Phallus als Objekt der realen Privation, d.h. als Signifikant dessen, dass die Mutter den Penis nicht hat3; symbolisch ist er insofern, als es dabei um den Gegensatz von Anwesenheit und Abwesenheit geht und diese Opposition für das Symbolische grundlegend ist. In Seminar 8 von 1960/61, Die Übertragung, definiert er den symbolischen Phallus neu: als „reale Präsenz“.4 Im Subversions-Aufsatz nimmt Lacan eine dritte Zuordnung vor, hier wirden der symbolische Phallus (und damit das Zeichen Φ) zum Signifikanten der Jouissance (und natürlich fragt man sich, ob mit der „realen Präsenz“ die Präsenz der Jouissance gemeint war).
Auf den Phallus bezieht sich auch der Begriff der Kastration (Lacan sagt statt „Kastrationskomplex“ häufig „Kastration“). In Seminar 4 von 1956/57, Die Objektbeziehung, hatte Lacan die Kastration so definiert: der symbolische Mangel eines imaginären Objekts (des imaginären Phallus); der Agent, der diesen Mangel herbeiführt, ist der reale Vater. Der symbolische Mangel, um den es bei der Kastration geht, ist eine „symbolische Schuld“5. Diese Schuld ist insofern symbolisch, als die Kastration eine Sanktion ist, eine Bestrafung für das Übertreten des Gesetzes; damit wird durch sie eine symbolische Schuld gestiftet, eine Schuld gegenüber dem Gesetz, gegenüber der symbolischen Ordnung.6
In Seminar 6 von 1958/59, Das Begehren und seine Deutung, bestimmt Lacan die Kastration neu, sie besteht jetzt darin, dass die Position „der Phallus zu sein“ aufgegeben wird (die Position, der Phallus als Objekt des Begehrens der Mutter zu sein) und dass übergegangen wird zu einer Position, die Lacan für den Mann so charakterisiert: „er ist nicht ohne ihn zu haben“ (der Ausdruck signalisiert ein prekäres Haben, das Haben des Phallus steht unter der Kastrationsdrohung), und für die Frau so: „sie ist ohne ihn zu haben“ (unbewusst ist sie, in der Beziehung zum Mann, der Phallus)7. Es geht dabei um die bereits von Freud aufgeworfene Frage nach dem Unterschied zwischen Mann und Frau in der Beziehung zum Kastrationskomplex; dieses Problem wird Lacan bis zu den späten Seminaren beschäftigen und er antwortet darauf letztlich mit der Ausarbeitung der sogenannten Formeln der Sexuierung in den Seminaren 18 bis 21 sowie im Aufsatz L’étourdit.
Nicht nur den Phallus, auch die Kastration ordnet Lacan seinen drei Registern zu. Unter der realen Kastration versteht er die Entfernung der männlichen Geschlechtsorgane; der psychoanalytische Begriff des Kastrationskomplexes bezieht sich nicht auf die reale Kastration.8 Der Begriff der imaginären Kastration bezieht sich (im Anschluss an Abraham) darauf, dass im Körperbild etwas fehlt; hierfür verwendet Lacan ab Seninar 6 das Symbol minus klein phi (–φ).9
Von der Kastration als einem „symbolischen Mangel“ spricht Lacan, wie gesagt, in Seminar 4, Die Objektbeziehung: der Mangel, auf den sie sich bezieht, ist die Schuld, und dieser Mangel ist insofern symbolisch, als es um eine Schuld gegenüber dem Gesetz geht.
Lacan spricht aber auch von der „symbolischen Kastration“.10 Was ist damit gemeint? Das ist mir nicht klar. Geht es dabei weiterhin um die Schuld gegenüber dem Gesetz? Verändert sich die Bedeutung von symbolische Kastration, nachdem Lacan in Seminar 8 einen neuen Begriff der Kastration eingeführt hatte, nämlich das Aufgeben der Position, der Phallus (der Mutter) zu sein? Entspricht die symbolische Kastration dem Symbol S(Ⱥ), „Signifikant eines Mangels im Anderen“, ist also die „Kastration“ des Symbolischen gemeint?
Das Begriffspaar von désir und jouissance wird von Lacan ab 1953 verwendet, seit dem Aufsatz Funktion und Feld des Sprechens und der Sprache in der Psychoanalyse. Dabei geht es ihm zunächst um die Auseinandersetzung mit Hegels Dialektik von Herr und Knecht in der Phänomenologie des Geistes, die bei Hegel mit den Begriffen Begierde und Genuss verbunden ist, Termini, die Lacan, Kojève folgend, mit désir und jouissance übersetzt.11 Fünf Jahre nach dem Rom-Vortrag, 1958, kündigt er in seinem Seminar an, dass er die Opposition von Begehren und Jouissance für das Feld der Psychoanalyse ausarbeiten werde.12 Im selben Jahr bezeichnet er dann den Phallus als Signifikant des Begehrens des Anderen.13 Der Wechsel des Phallus vom Signifikanten des Begehrens zum Signifikanten der Jouissance gehört in den Zusammenhang der Entwicklung des Begriffspaars von Begehren und Jouissance.
Die Rede vom Phallus als signifiant du désir oder als signifiant du désir de l’Autre (Signifikant des Begehrens des Anderen) oder auch als signe du désir, als Zeichen des Begehrens, findet man in den Seminaren 5 bis 8, d.h. von 1958 bis 1961 sowie in den Aufsätzen Die Lenkung der Kur und die Prinzipien ihrer Macht, Die Bedeutung des Phallus und Zum Gedenken an Ernst Jones, die im selben Zeitraum geschrieben wurden. Meist arbeitet Lacan mit einer scharfen Unterscheidung zwischen Signifikant und Zeichen. Signfiikanten funktionieren differentiell, sie verweisen durch den Bezug auf andere Signifikanten auf Signifikate. Zeichen beziehen sich gewissermaßen ohne Umweg auf das Bezeichnete, in Husserls Terminologie könnte man sagen: Zeichen sind Anzeichen, der Rauch ist ein „Zeichen“ für Feuer, nämlich ein Anzeichen für Feuer. Das Begehren im Sinne der Umgangssprache führt bei Männern zur Erektion; nennt man den erigierten Penis Phallus, ist der Phallus ein Zeichen des Begehrens im Sinne von: ein Anzeichen für sexuelle Erregung.
An der Rede vom Phallus als „Signifikant des Begehrens“ wird Lacan bis 1961 festhalten, danach – also nach dem Subversions-Aufsatz – wird er diese Wendung fallenlassen. An ihre Stelle tritt, wie gesagt, in Subversion des Subjekts, also vermutlich 1962, die Bezeichnung des Phallus als Signifikant der Jouissance sowie, das erste Mal ein Jahr später, 1963, die Bestimmung des Objekts a als Ursache des Begehrens.14 Die Beziehung zwischen dem Phallus und dem Begehren wird von Lacan jedoch nicht aufgegeben: die imaginäre Kastration (–φ) ist grundlegend für das Phantasma und damit für das Begehren.
Bereits mehrere Jahre vor dem Subversions-Aufsatz hatte Lacan, zugleich mit der Einführung des Phallus als Signifikant des Begehrens, einen Zusammenhang zwischen Phallus und Jouissance hergestellt: im selben Jahr, 1958, hatte er in seinem Seminar von der jouissance phallique gesprochen, von der phallischer Jouissance.15 Er hatte diesen Ausdruck jedoch nur einmal verwendet, erst 12 Jahre später, in Seminar 17, Die Kehrseite der Psychoanalyse, wird er darauf zurückkommen; in den darauf folgenden Seminaren wird dieser Begriff zunehmend wichtiger.
Zur Notation
Im Französischen beginnen die meisten Substantive (bis auf Eigennamen) mit einem Kleinbuchstaben, man kann aber, wenn sie ein starkes Gewicht haben sollen, auch einen Großbuchstaben an den Anfang stellen. Beispielsweise schreibt man normalerweise maître (Herr), kann aber abweichend auch Maître verwenden. Um das nachzubilden, übersetze ich Substantive, die Lacan durch eine Anfangsmajuskel herausstellt, mit dem ersten Buchstaben in fetter Schrift, also beispielsweise „Herr“.
Vorhergehende Bemerkungen zum Phallus und zur Jouissance
(1) Der Phallus als Signifikant
Für das Unbewusste, so schreibt Lacan im Aufsatz Subversion des Subjekts, ist die Physiologie nur von geringer Bedeutung. Er fährt dann fort:
« On l’appréciera à la contre-épreuve de la contribution que la psychanalyse a apportée à la physiologie depuis qu’elle existe : cette contribution est nulle, fût-ce concernant les organes sexuels. Aucune fabulation ne prévaudra contre ce bilan.
Car la psychanalyse implique bien entendu le réel du corps et de l’imaginaire de son schéma mental. Mais pour reconnaître leur portée dans la perspective qui s’y autorise du développement, il faut d’abord s’apercevoir que les intégrations plus ou moins parcellaires qui paraissent en faire l’ordonnance, y fonctionnent avant tout comme les éléments d’une héraldique, d’un blason du corps. Comme ceci se confirme à l’usage qu’on en fait pour lire les dessins d’enfant.
Là est le principe, nous y reviendrons, du privilège paradoxal, qui reste celui du phallus dans la dialectique inconsciente, sans que suffise à l’expliquer la théorie produite de l’objet partiel. »16
–
„Das lässt sich anhand einer Gegenprobe einschätzen: anhand des Beitrags, den die Psychoanalyse, seit es sie gibt, zur Physiologie geleistet hat. Dieser Beitrag ist nichtig, selbst in Bezug auf die Sexualorgane. Gegen diese Bilanz wird kein Fabulieren etwas ausrichten.
Denn selbstverständlich impliziert die Psychoanalyse das Reale des Körpers sowie des Imaginären seines mentalen Schemas. Um jedoch deren Reichweite zu erkennen, in der Perspektive, die sich dabei auf die Entwicklung beruft, muss man sich zunächst klarmachen, dass die mehr oder weniger parzellenhaften Integrationen, die das in eine Ordnung zu bringen scheinen, darin vor allem als Elemente einer Heraldik fungieren, eines Körperwappens. Was dadurch bestätigt wird, wie man dies verwendet, um Kinderzeichnungen zu lesen.
Hier liegt das Prinzip – wir werden darauf zurückkommen – der paradoxen Sonderstellung, die in der unbewussten Dialektik die des Phallus bleibt, ohne dass die zum Partialobjekt erarbeitete Theorie hinreichen würde, sie zu erklären.“17
Die geringe Bedeutung der Physiologie für das Unbewusste sieht man daran, so erfährt man hier, dass die Psychoanalyse keinen Beitrag zur Physiologie geleistet hat, nicht einmal zur Physiologie der Sexualorgane. In den Seminaren sagt Lacan hierzu: Die Psychoanalyse hat nicht dazu beigetragen, in den Fragen zur Physiologie des weiblichen Orgasmus und der männlichen Impotenz auch nur einen Schritt weiterzukommen.18
Das heißt jedoch keineswegs, so heißt es im Subversions-Aufsatz weiter, dass der Körper für die Erkundung des Unbewussten ohne Belang wäre. Wie also bezieht sich die Psychoanalyse auf den Körper?
Lacans Antwort lautet an dieser Stelle: Sie „impliziert“ ihn, anders gesagt, sie setzt den Körper als notwendige Bedingung voraus. Die Psychoanaslyse impliziert „das Reale des Körpers“, heißt es genauer, womit hier offenbar der Körper als Organismus gemeint ist, vielleicht in Anspielung auf Lacans These von der Frühgeburt des Menschen als Bedingung des Spiegelstadiums. Sie impliziert außerdem, so erfährt man schließlich, das Reale des imaginären Körperschemas. Lacan spricht hier hier nicht vom Körper-Bild, sondern vom Körper-Schema, vermutlich mit Bezug auf das im Nervensystem verankerten Körper-Schema, das zuerst 1911 von dem Neurologen Henry Head beschrieben wurde.
Lacans optisches Modell
Gelb markiert: Hohlspiegel (Kortex)19
Im sogenannten optischen Modell hatte Lacan Wert darauf gelegt, den neuronalen Aspekt der Bindung an das Spiegelbild einzubeziehen, also das Körperschema; in der Zeichnung zu diesem Modell stellt die gekrümmte doppelte Linie links (zwischen x und y) einen Hohlspiegel dar und dieser Hohlspiegel repräsentiert, wie Lacan sagt, den Kortex.20
In der anfangs zitierten Passage aus dem Subversions-Aufsatz geht es Lacan nun darum, wie sich eine bestimmte Richtung der Psychoanalyse auf den Körper bezieht, diejenige nämlich, die sich am Paradigma der Entwicklung orientiert. Aus Hinweisen in den Seminaren und Schriften geht hervor, dass hier vor allem drei Autoren gemeint sind: Karl Abraham, Melanie Klein und Ernest Jones; zu deren Arbeiten hatte Lacan sich immer wieder geäußert.21
Die psychoanalytische Entwicklungstheorie bringt die Beziehungen zum Körper in eine Ordnung, und dies, wie Lacan sagt, durch „mehr oder weniger parzellenhafte Integrationen“. Diese Integrationen sind, so nehme ich an, die Entwicklungsstufen. Sie haben „parzellenhaften“ Charakter, diese Beschreibung bezieht sich vermutlich darauf, dass Abraham seine Stadienkonzeption durch eine Tabelle dargestellt hatte, also durch Anordnung von Feldern, von „Parzellen“, wenn man so will. Im Seminar Die Bildungen des Unbewussten hatte Lacan sich über Abrahams Tabelle lustig gemacht, da sie „Scheinfenster“ enthalte.22
Die Integrationen sind „mehr oder weniger“ parzellenhaft – die tabellarische Darstellung hat, wie Abraham betont, vorläufigen Charakter und beschränkt sich auf die Hauptstationen.23
Abrahams Tabelle der Entwicklungsstufen24
In den so beschriebenen Entwicklungsstufen erscheint der Körper, sagt Lacan, im Rahmen einer Wappenkunde, der Körper wird zum Körperwappen. Mir ist nicht klar, worauf er sich hier bezieht. Im sogenannten Rom-Vortrag hatte er von den blasons der Phobie gesprochen, ihren „Wappenschildern“25, anders gesagt, die Tiere einer Tierphobie funktionieren ähnlich wie Wappentiere (Freud hatte die Phobie eines Kindes als infantile Wiederkehr des Totemismus gedeutet26, vom Totemtier zum Wappen ist kein weiter Schritt); an der zitierten Stelle des Subversions-Aufsatzes geht es jedoch nicht speziell um die Phobie.
Zeichnung I von Kleins Patient
(Die unterschiedlichen Graustufen entsprechen unterschiedlichen Farben der Originalzeichnung27)
Auf ähnliche Weise – so fährt Lacan fort – werden auch Kinderzeichnungen gedeutet. Damit ist vermutlich Melanie Kleins Aufsatz Der Ödipuskomplex im Spiegel früher Angstsituationen gemeint, den er in seinem Seminar einmal kommentiert hatte.28 Einer von Kleins Patienten, ein zehnjähriger Junge, hatte während der Sitzungen Zeichnungen von Seesternen angefertigt, und Klein interpretiert diese Bilder so, dass die verschiedenen Farben der Felder dieser Zeichnung bestimmte Personen symbolisieren: Schwarz repräsentiert den Vater, Blau die Mutter usw. 29 Sie deutet die Zeichnung also ähnlich wie ein Wappen, dessen Komponenten, etwa die Farben, Verwandtschaftsbeziehungen symbolisieren können.
Im Unbewussten, so behauptet Lacan an der zitierten Stelle weiter, behält der Phallus eine Vorrangstellung. Das ist eine der Hauptthesen von Lacan, von den frühen Seminaren bis zu seinen letzten Äußerungen: Das Unbewusste ist phallozentrisch organisiert.
Diese Vorrangstellung ist paradox, sagt Lacan, wohl im Sinne von: sie ist äußerst merkwürdig und verblüffend. Denn warum sollte ein bestimmtes Organ im Unbewussten eine Schlüsselrolle spielen?30
Worauf beruht diese Sonderstellung, was ist ihr „Prinzip“, wie Lacan sich ausdrückt, ihr Ursprung? In den Seminaren hatte Lacan darauf die folgende Antwort gegeben:
„Wir wissen, warum er [der Phallus] dieses Privileg verdient – qua Signifikant.“31
Der Phallus hat im Unbewussten deshalb eine Sonderstellung, weil er dort als Signifikant fungiert.
Diese Vorrangstellung, so heißt es in der zitierten Passage aus dem Subversions-Aufsatz weiter, gehört zu einer unbewussten Dialektik. Damit knüpft er an den Titel dieses Beitrags an, Subversion des Subjekts und Dialektik des Begehrens im Freud’schen Unbewussten. Also ist vermutlich gemeint: Die Vorrangstellung des Phallus ist ein wichtiges Moment der Dialektik des Begehrens im Unbewussten.
Die zum Partialobjekt ausgearbeitete Theorie reicht nicht aus, sagt Lacan am Schluss der zitierten Passage, um zu erklären, warum der Phallus im Unbewussten eine Sonderstellung hat. Gemeint sind hier wieder die Entwicklungstheorien von Abraham, Klein und Jones. Zu Abraham hatte Lacan früher geschrieben, er bedaure es, dass der approximative Begriff des Partialobjekts, den Abraham eingeführt hatte, niemals einer Kritik unterzogen worden sei.32 Zu Klein hatte er 1958 im Seminar gesagt:
„In der kleinianischen Dynamik oder Mechanik ist der Phallus völlig unbegreiflich. Begreiflich nur als einer, der jetzt schon als der Signifikant des Mangels impliziert ist, als Signifikant der Distanz des Anspruchs des Subjekts zu seinem Begehren.“33
Die kleinianische Theorie der guten und bösen Objekte kann die Sonderstellung des Phallus deshalb nicht erfassen, weil sie den Phallus darauf reduziert, ein Partialobjekt zu sein und damit seine Signifikantenfunktion verkennt und das heißt 1958: sie verkennt, dass der Phallus der Signifikant des Mangels ist, der Signifikant des Begehrens. An Jones hatte er im selben Jahr kritisiert, dass dieser den Phallus zum Partialobjekt „normalisiert“ habe.34 Anders gesagt, Jones gleicht das Funktonieren des Phallus an die Funktionsweise der Partialobjekte Brust und Kot an und verfehlt damit seine Sonderrolle.
Der Phallus hat für Lacan also eine Sonderstellung im Unbewussten, und diese beruht darauf, dass er kein (oder nicht nur ein) Partialobjekt ist, sondern (nur oder auch?) ein Signifikant. Mit dieser These weist Lacan das Konzept der Partialobjekte übrigens keineswegs insgesamt zurück. Die Entdeckung der Funktion des Partialobjekts ist für ihn, so sagt er 1961 im Seminar Die Übertragung, „eine der größten Entdeckungen der analytischen Forschung“35, und im Anschluss an den Begriff des Partialobjekts wird er im Übertragungs-Seminar damit beginnen, den Begriff des Objekts a auszuarbeiten; der Zusammenhang ist so eng, dass er jahrelang, bis 1968, „Partialobjekt“ und „Objekt a“ miteinander gleichsetzt.
(2) Der Jouissance-Verzicht des Zwangsneurotikers
Lacan spricht über Hegel: über dessen Dialektik von Herrschaft und Knechtschaft36 sowie über die „List der Vernunft“, also über Hegels Auffassung, dass sich im Lauf der Geschichte, jenseits der Leidenschaften der Akteure, ein Zweck verwirklicht: das Bewusstsein der Freiheit37. Er fährt dann so fort:
« Le travail, nous dit-il, auquel s’est soumis l’esclave en renonçant à la jouissance par crainte de la mort, sera justement la voie par où il réalisera la liberté. Il n’y a pas de leurre plus manifeste politiquement, et du même coup psychologiquement. La jouissance est facile à l’esclave et elle laissera le travail serf.
La ruse de la raison séduit par ce qui y résonne d’un mythe individuel bien connu de l’obsessionnel, dont on sait que la structure n’est pas rare dans l’intelligentsia. Mais pour peu que celui-ci échappe à la mauvaise foi du professeur, il ne se leurre qu’assez difficilement de ce que ce soit son travail qui doive lui rendre l’accès à la jouissance. Rendant un hommage proprement inconscient à l’histoire écrite par Hegel, il trouve souvent son alibi dans la mort du Maître. Mais quoi de cette mort? Simplement il l’attend. »38
–
„Die Arbeit, sagt uns Hegel, der sich der Knecht unterworfen hat, als er, aufgrund der Furcht vor dem Tod, dem Genuss – der Jouissance – entsagte, wird dann genau zu dem Weg, auf dem er die Freiheit verwirklicht. Es gibt keine sowohl politisch als auch psychologisch offensichtlichere Täuschung. Der Genuss fällt dem Knecht leicht und sorgt dafür, dass die Arbeit knechtisch bleibt.
Die List der Vernunft verführt durch das, was darin von einem wohlbekannten individuellen Mythos nachklingt, dem des Zwangsneurotikers, dessen Struktur in der Intelligentzija bekanntlich nicht selten ist. Vorausgesetzt, dass er der Perfidie des Professors entgeht, lässt er sich jedoch nur schwer dadurch ködern, dass ausgerechnet seine Arbeit ihm den Zugang zum Genuss verschaffen soll. Unbewusst erweist er der von Hegel geschriebenen Geschichte die Ehre – unbewusst im strengen Sinne des Wortes –, indem er sein Alibi oftmals im Tod des Herrn findet. Was aber ist mit diesem Tod? Ganz einfach, er wartet darauf.“39
Bei Hegel liest man: Im tödlichen Kampf der Selbstbewusstseine um Anerkennung wird zum Knecht derjenige, der, aus Furcht vor dem Tod, die Arbeit übernimmt. Darin bezieht er sich auf das Ding in seiner Selbständigkeit, d.h. auf den Gegenstand der Begierde des anderen. Derjenige aber, der das Risiko des Todes auf sich genommen hat, wird zum Herrn und befriedigt sich im Genuss. Allerdings: Die Arbeit, als gehemmte Begierde, bildet den Knecht und auf diesem Wege wird sein Selbstbewusstsein zu einem freien Selbstbewusstsein.
Lacan widerspricht: Der Knecht entsagt keineswegs dem Genuss; der Genuss fällt ihm leicht und das verhindert, dass die Arbeit ihn befreit. Lacan hält das für offensichtlich, sowohl in politischer als auch in psychologischer Hinsicht. Möglicherweise orientiert er sich hier an den Theorien zur „Konsumgesellschaft“, an deren gesellschaftskritischer Variante. (Eine ergänzende These hatte er in seinem Gide-Aufsatz vorgebracht: Das, was den Herrn beschäftigt, ist keineswegs der Genuss, sondern die Begierde.40)
Lacan fährt fort: Das Hegel’sche Konzept von der List der Vernunft (und damit von der Bildung des Knechts zur Freiheit durch Arbeit und Genussverzicht) hat gleichwohl etwas Verführerisches. Und zwar deshalb, weil darin etwas von dem Mythos nachklingt, der für den Zwangsneurotiker bestimmend ist, und weil es unter den Intellektuellen viele Neurotiker dieses Typs gibt. Lacan verwendet den russischen Terminus, Intelligenzija, vielleicht in Anspielung auf Alexandre Kojève, einen russischen Intellektuellen, an dessen Deutung von Hegels Herr-Knecht-Dialektik er anknüpft.41
Die Zwangsneurose ist ein „individueller Mythos“, sagt Lacan – die Formulierung verweist auf Claude Lévi-Strauss, sie entstammt dessen Aufsatz Die Wirksamkeit der Symbole von 194942. In der „schamanischen Kur“, so konnte man dort lesen, empfange der Kranke einen „gesellschaftlichen Mythos“, in der psychoanalytischen Kur gehe es darum, dass der Kranke mithilfe von Elementen seiner Vergangenheit einen „individuellen Mythos“ errichtet.43 Lévi-Strauss ersetzt mit dem Begriff des individuellen Mythos den des Komplexes („die Komplexe, diese individuellen Mythen …“44, heißt es bei ihm); der “individuelle Mythos” des Zwangsneurotikers ist demnach, in traditioneller Terminologie, der „Komplex“ des Zwangsneurotikers.
Lacan hatte die Formulierung von Lévi-Strauss aufgegriffen, in einem Vortrag von 1953 mit dem Titel Der individuellen Mythos des Neurotikers oder Dichtung und Wahrheit in der Neurose.45 Darin hatte er sich ausführlich auf eine von Freuds Untersuchungen zur Zwangsneurose bezogen, auf den Fall des sogenannten Rattenmanns46; der Neurotiker des Vortragstitels ist vor allem der Zwangsneurotiker.
In der Perspektive des Zwangsneurotikers also ist die Vorstellung von der Befreiung durch Arbeit und durch Genussverzicht durchaus plausibel. Warum?
Wir erfahren zunächst, dass der Zwangsneurotiker in Gefahr steht, dem mauvoise foi, der Bösartigkeit, des Professors zu erliegen47; vielleicht denkt Lacan hier an diejenigen seiner Patienten, die als Universitätsassistenten (als Knechte) unter ihren Professoren (ihren Herren) leiden oder gelitten haben. Wenn ein Zwangsneurotiker dieser Gefahr entronnen ist, lässt er sich nur schwer dadurch ködern, dass seine Arbeit ihm den Zugang zum Genuss verschaffen soll, zur Jouissance. Der Weg zur Freiheit und zum Genuss eröffnet sich ihm auf andere Weise.
Der Zwangsneurotiker arbeitet also, und die Arbeit, so konnte man im Rom-Vortrag lesen, hat bei ihm etwas Zwanghaftes:
„Man kennt diese Note von Zwangsarbeit, die bei diesem Subjekt [dem Zwangsneurotiker] noch seine Freizeitbeschäftigungen umfasst.“48
Er arbeitet und er verzichtet auf den Genuss. Aus welchem Grund? Weil er wartet. Und worauf? Auf den Tod des Herrn. Im Tod des Herrn findet er oftmals sein „Alibi“, seine Ausrede, seine Entschuldigung. Wofür? Dafür (nehme ich an), dass er sich dem Kampf entzieht.
Im Rom-Vortrag hatte Lacan den Zwangsneurotiker so beschrieben:
„Der Zwangsneurotiker weist tatsächlich eine der Einstellungen auf, die Hegel in seiner Dialektik von Herr und Knecht nicht entwickelt hat. Angesichts der Todesgefahr, in der sich ihm in einem Kampf um reine Anerkennung die Gelegenheit zur Herrschaft geboten hatte, war der Knecht ausgewichen. Da er jedoch weiß, dass er sterblich ist, weiß er auch, dass der Herr sterben kann. Folglich kann er akzeptieren, für den Herrn zu arbeiten und in der Zwischenzeit auf den Genuss zu verzichten: und in der Ungewissheit über den Zeitpunkt, an dem der Tod des Herrn eintreten wird, wartet er.“49
Der Zwangsneurotiker wartet unbewusst auf den Tod des Herrn, und er erwartet, dass die Jouissance, das wahre Leben, danach kommt. Im Rom-Vortrag heißt es an der eben zitierten Stelle weiter:
„Solcher Art ist der intersubjektive Grund sowohl des Zweifels als auch des Aufschubs, die beim Zwangsneurotiker Charakterzüge sind.“50
Das beständige Zweifeln und das Verschieben – die Prokrastination, wie man heute zunehmend sagt – beruhen beim Zwangsneurotiker demnach darauf, dass er, unbewusst, auf den Tod des Herrn wartet. Er ist, so heißt es an der zuletzt zitierten Stelle weiter,
„in dem antizipierten Moment des Todes des Herrn, von wo aus er leben wird, doch in der Zwischenzeit identifiziert er sich mit ihm als Toten und ist dadurch selbst bereits tot.“51
Vielleicht darf man das so zusammenfassen: Die Begierde, le désir, hat beim Zwangsneurotiker die Form des Wartens (auf den Tod des Herrn), und diese Begierde versperrt ihm dem Zugang zum Genuss, zur jouissance.
In Seminar 2 von 1954/55, Das Ich in der Theorie Freuds, hatte Lacan den Zusammenhang von Zwangsneurose und Jouissance so dargestellt:
„Die grundlegende Geschichte des Zwangsneurotikers ist, dass er gänzlich entfremdet ist in einem Herrn, dessen Tod er erwartet, ohne zu wissen, dass er schon tot ist, so daß er keinen Schritt mehr tun kann. […] Je mehr er sich nach den Dingen richtet, desto mehr richtet er sie an dem anderen, an dem Tod aus, und er sieht sich ewig jeglichen Genusses des Dings beraubt.“52
(3) Der imaginäre Phallus: ein Partialobjekt des Triebs
Es geht um den Trieb und um das Verhältnis zwischen der Quelle des Triebs und dem Objekt des Triebs. Die Quellen des Triebs – die erogenen Zonen wie Mund und Anus – werden durch einen Rand, durch eine Grenze von ihrem Umfeld isoliert: durch eine coupure, wie Lacan sagt, einen Schnitt, einen Einschnitt. Danach heißt es:
« Observons que ce trait de la coupure n’est pas moins évidemment prévalent dans l’objet que décrit la théorie analytique : mamelon, scybale, phallus (objet imaginaire), flot urinaire. (Liste impensable, si l’on n’y ajoute avec nous le phonème, le regard, la voix, – le rien.) Car ne voit-on pas que le trait : partiel, à juste titre souligné dans les objets, ne s’applique pas à ce qu’ils soient partie d’un objet total qui serait le corps, mais à ce qu’ils ne représentent que partialement la fonction qui les produit. »53
–
„Wir wollen festhalten, dass dieses Merkmal des Schnitts nicht weniger offensichtlich bei dem Objekt vorherrscht, das von der analytischen Theorie beschrieben wird: Brustwarze, Skybalum, Phallus (imaginäres Objekt), Urinfluss. (Eine Liste, die undenkbar wäre, wenn man nicht mit uns hinzufügen würde das Phonem, den Blick, die Stimme – das Nichts.) Sieht man denn nicht, dass der Zug des Partialen, den man an den Objekten zurecht herausstreicht, sich nicht etwa darauf bezieht, dass sie Teil eines totalen Objekt wären, des Körpers, sondern darauf, dass sie die Funktion, die sie hervorbringt, nur teilweise repräsentieren.“54
Der Begriff des Partialobjekts reicht nicht aus, um die Sonderstellung des Phallus im Unbewussten zu erklären, das war die Hauptthese des zu Anfang kommentierten Zitats aus dem Subversions-Aufsatz. In dieser neuen Passage erfährt man nun, dass der imaginäre Phallus durchaus ein Partialobjekt ist, genauer: ein Partialobjekt des Triebs.
Nicht nur die Quellen des Triebs, sondern auch die Objekte des Triebs sind durch einen Schnitt charakterisiert: das Triebobjekt ist für das Subjekt etwas Abgetrenntes. Die Brustwarze ist insofern abgetrennt, als sie dem Säugling immer wieder entzogen wird, Kot (Skybalum) und Urin werden beim Ausscheiden gewissermaßen abgeschnitten.
Auch der Phallus unterliegt dem Schnitt, genauer: der Phallus als imaginäres Objekt des Triebs. Offenbar bezieht Lacan sich hier auf den imaginären Phallus als Objekt der Kastration. Die Kastration ist ein symbolischer Mangel (Schuld) in Bezug auf ein imaginäres Objekt (den imaginären Phallus), herbeigeführt durch einen realen Agenten (den realen Vater); diese These hatte er in Seminar 4 von 1956/57, Die Objektbeziehung, ausgearbeiteerweitert an t.55 Seit dem Seminar 6, Das Begehren und seine Deutung (1958/59) hatte er die imaginäre Kastration mit minus klein phi (–φ) notiert.
Lacan ergänzt an dieser Stelle die übliche Liste der Partialobjekte (Brust, Kot, Phallus) um weitere Objekte: Phonem, Blick und Stimme. Zum Phonem wird es in Seminar 10 von 1962/63, Die Angst, heißen, die Konsonanten seien diejenigen Phoneme, die am stärksten an den Schnitt gebunden sind, nämlich auf der Ebene der Lippen, er verweist hierfür auf die Worte Mama und Papa – die Phoneme /m/ und /p/ werden bilabial artikuliert, durch Verschließen der Lippen.56 In der endgültigen Liste der Objekte, die Lacan dann im Angst-Seminar aufstellt, wird das Phonem nicht mehr enthalten sein, es bleiben Brust, Kot, Phallus, Blick und Stimme.57
Wie ist an der zuletzt zitierten Stelle aus dem Subversions-Aufsatz das „Nichts“ zu verstehen? Als ein weiteres Partialobjekt? Als Charakteristikum aller Partialobjekte? Als Merkmal des davor zuletzt genannten Partialobjekts, also der Stimme? In Seminar 9, Die Identifizierung (1961/62), verortet Lacan das Nichts im zentralen Loch des Torus58; also ist im Subversions-Aufsatz das Nichts wohl als Kennzeichen sämtlicher Partialobjekte aufzufassen. Im Seminar über die Angst wird es heißen:
„Das Objekt ist in der Tat an sein notwendiges Fehlen gebunden“59.
Und in Seminar 11, Die vier Grundbegriffe (1964), wird Lacan über das orale Objekt a sagen, es sei das Nichts, insofern das, wovon das Subjekt sich entwöhnt, „nicht länger nichts für es ist“ (insofern dieses Nichts für es nicht länger irrelevant ist); bei der Anorexia nervosa esse das Subjekt „das Nichts“60. Also ist im Subversions-Aufsatz wohl gemeint: Die Partialobjekte sind abgetrennt, sie fehlen, und insofern sind sie ein Nichts.
Das Merkmal des Partialen – sagt Lacan – streicht man an diesen Objekten zurecht heraus; der Begriff des Partialobjekts wird von ihm also nicht zurückgewiesen. Er wird allerdings umgedeutet. Bei Abraham steht die unvollkommene Objektliebe – die Partialliebe – im Gegensatz zur vollkommenen Objektliebe, zu einer Liebe, die sich auf das Objekt in seiner Gesamtheit bezieht. Den Bezug auf Gesamtheit als Norm weist Lacan als idealisierend zurück. Bei ihm wird aus dem Partialobjekt: Dieses Objekt ist insofern partial, als es bestimmte Funktionen nur teilweise repräsentiert. Mit diesen Funktionen sind hier, nehme ich an, biologische Funktionen gemeint: Essen, Ausscheidung, Sehen und Hören. Welche Funktion wird vom imaginären Phallus teilweise repräsentiert?
Wie auch immer, klar ist an dieser Stelle, dass für Lacan der Phallus ein Signifikant ist, dass er im imaginären Phallus ein Partialobjekt sieht, und dass er die Reduktion des Phallus auf ein Partialobjekt zurückweist, da man damit die Sonderstellung des Phallus verkennt.
(4) –1 / √–1
Lacan bezieht sich auf den sogenannten Graphen des Begehrens und darin auf das Symbol S(Ⱥ) am Schnittpunkt oben links, zu lesen als „Signifikant eines Mangels im Anderen“.
Graph des Begehrens61
Das große A steht darin für Anderer, womit hier der „Thesaurus der Signifikanten“ gemeint ist oder, wie Lacan auch sagt, die „Batterie der Signifikanten“, d.h. gewissermaßen der Wortschatz. Der Andere in der oberen Etage des Graphen ist der Signifikantenschatz des Unbewussten, das unbewusste Lexikon. (Das Unbewusste ist strukturiert wie eine Sprache, und das heißt unter anderem: es verfügt über eine Art Wortschatz.) Der Schrägstrich auf dem A soll anzeigen, dass dem unbewussten Signifikantenschatz unaufhebbar etwas fehlt. Das große S vor der Klammer steht für Signifikant, was heißen soll: Das, was im Anderen fehlt, ist ein Signifikant, oder auch: Es gibt einen Signifikanten, der darauf hinweist, dass im Anderen etwas fehlt. Dieser strukturelle Mangel im Signifikantenschatz ist eben derjenige, sagt Lacan, auf den er sich immer wieder mit dem folgenden Satz bezogen hatte: „Es gibt keinen Anderen des Anderen“, und damit sei gemeint, dass die Wahrheit einen Zug von Sans-Foi habe, von Unglauben; im Seminar Das Begehren und seine Deutung hatte er von einer „Wahrheit ohne Wahrheit“ gesprochen.62 Anders gesagt: Weil Worte immer nur auf Worte verweisen und die Sprache keinen Zugang zum Referenten hat, gibt es keine Wahrheitsgarantie, fehlt ein Signifikant, der die Wahrheit garantieren könnte (vgl. auf dieser Website den Artikel Signifikant eines Mangels im Anderen).
Im Seminar über die Ethik der Psychoanalyse hatte er das Symbol S(Ⱥ) so erläutert:
„An seinem Ort, Sie wissen wo, im oberen Teil [des Graphen] links, zeigt es sich als letzte Antwort auf die vom Anderen geforderte Garantie des Sinns des im tiefsten Unbewussten artikulierten Gesetzes.“63
Das Subjekt möchte eine Garantie dafür, dass das im Unbewussten artikulierte Gesetz einen Sinn hat, und das Symbol S(Ⱥ) zeigt an, dass der Signifikant, der den Sinn des Gesetzes garantieren würde, fehlt. In anderer Terminologie: S(Ⱥ) steht dafür, dass Gott tot ist.64
Im Feld der Psychoanalyse bezieht sich der Mangel im Anderen außerdem auf die Frage „Was bin ich?“ und dies vermittels der Frage, was ich dem Anderen bedeute, welche Rolle ich im Begehren des Anderen spiele: ob er mich will, was er von mir will und was ich ihm bedeute. Auf diese Frage gibt es im Anderen keine Antwort – dafür fehlt ein Signifikant, der Andere kann mir nicht sagen, was ich bin.
Das unvermeidliche Fehlen einer Sinngarantie für das Gesetz, das unvermeidliche Fehlen einer Antwort auf die Frage „Was bin ich?“ ist, wie die Architektur des Graphen anzeigt, einer der Dreh- und Angelpunkte des Unbewussten.65 Ich nehme an, dass Lacan hier versucht, Freuds Konzept der psychischen Hilflosigkeit angesichts der traumatischen Gefahr des Nichtgeliebtwerdens zu rekonstruieren66, der Angst vor Liebesverlust67, was sich ins Umgangssprachliche vielleicht so übersetzen lässt: Es gibt kein Wort, das mir garantieren könnte, dauerhaft geliebt zu werden.
Danach heißt es:
« Pour nous, nous partirons de ce que le sigle S(Ⱥ) articule, d’être d’abord un signifiant. Notre définition du signifiant (il n’y en a pas d’autre) est : un signifiant, c’est ce qui représente le sujet pour un autre signifiant. Ce signifiant sera donc le signifiant pour quoi tous les autres signifiants représentent le sujet : c’est dire que faute de ce signifiant, tous les autres ne représenteraient rien. Puisque rien n’est représenté que pour.
Or la batterie des signifiants, en tant qu’elle est, étant par là même complète, ce signifiant ne peut être qu’un trait qui se trace de son cercle sans pouvoir y être compté. Symbolisable par l’inhérence d’un (–1) à l’ensemble des signifiants.
Il est comme tel imprononçable, mais non pas son opération, car elle est ce qui se produit chaque fois qu’un nom propre est prononcé. Son énoncé s’égale à sa signification.
D’où résulte qu’à calculer celle-ci, selon l’algèbre dont nous faisons usage, à savoir
,
avec S = (–1), on a : s = .
C’est ce qui manque au sujet pour se penser épuisé par son cogito, à savoir ce qu’il est d’impensable. Mais d’où provient cet être qui apparaît en quelque sorte en défaut dans la mer des noms propres ?
Nous ne pouvons le demander à ce sujet en tant que Je. Pour le savoir il lui manque tout, puisque si ce sujet, moi J’étais mort, nous l’avons dit, il ne le saurait pas. Qu’il ne me sait donc pas vivant. Comment donc me le prouverai-Je?
Car je puis à la rigueur prouver à l’Autre qu’il existe, non bien sûr avec les preuves de l’existence de Dieu dont les siècles le tuent, mais en l’aimant, solution apportée par le kérygme chrétien. »68
–
„Was uns angeht, so werden wir von dem ausgehen, was das Sigel S(Ⱥ) dadurch artikuliert, dass es zunächst einmal ein Signifikant ist. Unsere Definition des Signifikanten lautet (es gibt keine andere): Ein Signifikant ist das, wodurch für einen anderen Signifikanten das Subjekt repräsentiert wird. Dieser Signifikant wird also der Signifikant sein, für den alle anderen Signifikanten das Subjekt repräsentieren: das heißt, ohne diesen Signifikanten würden alle anderen nichts repräsentieren. Da nichts repräsentiert wird außer für.
Da nun die Batterie der Signifikanten eben dadurch, dass sie ist, vollständig ist, kann dieser Signifikant nur ein Strich sein, der von ihrem Kreis gezogen wird, ohne dazugezählt werden zu können. Was sich so symbolisieren lässt, dass der Menge der Signifikanten ein (–1) innewohnt.
Als solches ist es unaussprechbar, nicht jedoch sein Wirken, denn dies ist das, was jedes Mal geschieht, wenn ein Eigenname ausgesprochen wird. Dessen Ausgesagtes ist gleich seiner Bedeutung.
Das ergibt, wenn man sie mit der Algebra berechnet, die wir verwenden, nämlich
,
dass man mit S = (–1) dann s = erhält.
Das ist das, was dem Subjekt fehlt, um sich als durch sein Cogito ausgeschöpft zu denken, also das, was es an Undenkbarem ist. Woher aber kommt dieses Sein, das gewissermaßen im Meer der Eigennamen als fehlend erscheint?
Das können wir dieses Subjekt als Je, als Ich, nicht fragen. Das zu wissen, fehlt ihm alles, denn wenn dieses Subjekt, wenn Ich, tot wäre, dann, wie gesagt, wüsste es das nicht. Sodass es mich also nicht lebend weiß. Wie werde Ich es mir dann beweisen?
Denn dem Anderen kann ich notfalls beweisen, dass er existiert, natürlich nicht mit dem Beweisen für die Existenz Gottes, mit denen die Jahrhunderte ihn töten, sondern indem ich ihn liebe, eine vom christlichen Kerygma eingeführte Lösung.“69
.
Definition des Signifikanten
Die Passage beginnt mit dem Hinweis, dass S(Ⱥ) zunächst einmal ein Signifikant ist (vereinfacht gesagt: ein Wort). Der Ausdruck selbst ist eine Folge von Buchstaben und anderen Schriftzeichen, und er bezieht sich auf einen Signifikanten, wie das große S zu Beginn des Kürzels anzeigt.
Was also ist ein Signifikant? Lacan gibt eine Definition: Ein Signifikant ist das, wodurch für einen anderen Signifikanten das Subjekt repräsentiert wird. Diese Definition trägt er zuerst im Seminar Die Identifizierung vor70; von da an gehört sie zu den ultrastabilen Elementen seiner Theorie, noch 1977, alkso etwa 15 Jahre später, wird er darauf zurückkommen.71
Drei Terme und zwei Relationen: Es gibt einen ersten Signifikanten, einen zweiten Signifikanten und das Subjekt. Der erste Signifikant steht zum Subjekt in einer Beziehung der Repräsentation – der erste Signifikant repräsentiert das Subjekt. Zum zweiten Signifikanten steht der erste in einer „Für-Beziehung“, wie man sagen könnte, er repräsentiert (das Subjekt) für den zweiten Signifikanten. Ein Signifikant verweist also auf einen anderen Signifikanten und diese Verweisungsbeziehung ist für einen Signifikanten konstitutiv; ohne Verweisung auf einen anderen Signifikanten – z.B. eines Wortes auf ein anderes Wort – ist ein Signifikant kein Signifikant (das liegt nahe bei Saussures Konzept von der Differentialität des Zeichens72). In dieser Verweisungsbewegung wird etwas repräsentiert: das Subjekt, genau gesagt das Subjekt, mit dem die Psychoanalyse es zu tun hat, das Subjekt, das ein Unbewusstes hat. Der erste Signifikant repräsentiert das Subjekt und dies nicht etwa für jemanden, sondern für einen anderen Signifikanten.
Etwa drei Jahre später, im Seminar Schlüsselprobleme für die Psychoanalyse, wird Lacan zu seiner Definition des Signifikanten eine Art Formel liefern, die folgendermaßen aussieht73:
Aus dem ersten Signifikanten wird hier ein S mit tiefgestellter 1, also S1, aus dem zweiten Signifikanten ein S mit tiefgestellter 2, also S2, und aus dem Subjekt ein durchgestrichenes S, $. Die Repräsentationsbeziehung zwischen dem ersten Signifikanten und dem Subjekt wird durch eine Art Bruchstrich zwischen $ und S1 angezeigt; das „für“ der Repräsentation („für einen anderen Signifikanten“) wird durch den Pfeil dargestellt, der sich von S1 auf S2 richtet. (Vgl. auf dieser Website den Artikel Die Formel für den Signifikanten.)
Bei der Einführung dieser Formel gibt Lacan auch Anwendungsbeispiele.74 Eines davon bezieht sich auf eine Passage aus Freuds Studie über den sogenannten Rattenmann. Dieser Patient kommt plötzlich im Urlaub auf die Idee, er sei zu dick und müsse abmagern; zwanghaft widmet er sich entsprechenden Aktivitäten: er rennt in der Sonnenglut des Augusts ohne Hut auf die Straße, steigt dann im Laufschritt die Berge hinauf usw. Auf Freuds Couch wird klar, worum es bei diesem „unsinnigen Zwangshandeln“ (wie Freud sagt) geht. Dem Patienten fällt dazu ein, dass die von ihm geliebte Dame im selben Urlaubsort war und das in Begleitung eines englischen Vetters, der Dick genannt wurde. Der Patient war auf den Konkurrenten eifersüchtig, mehr als er sich eingestehen mochte: er wollte ihn töten.75 Lacan nimmt folgende Zuordnungen vor: Der erste Signifikant (S1) ist hier „abmagern“, der zweite Signifikant (S2) ist „Dick“; „abmagern“ und „Dick“ stehen in einer sprachlichen Beziehung zueinander: abmagern = nicht-dick. Das Subjekt ($) ist Freuds Patient, insofern nämlich, als er einen Todeswunsch gegen seinen Rivalen hegt, einen Todeswunsch, der ihm nicht bewusst ist. „Abmagern“ (Nicht-Dick) ist ein Signifikant, der das versperrte Subjekt (den verdrängten Todeswunsch) für den Signifikanten „Dick“ repräsentiert.
An der zuletzt zitierten Stelle des Subversions-Aufsatzes fügt Lacan zu seiner Definition des Signifikanten hinzu: „es gibt keine andere“. Was will er damit andeuten? Dass sich diese Definition auf den Signifikanten im Sinne von Lacan bezieht, nicht jedoch auf den Signifikanten im Sinne der Linguistik?
Anderer → S(Ⱥ)
Im Subversions-Aufsatz verwendet Lacan im nächsten Schritt seine Definition des Signifikanten, um damit das Verhältnis zwischen dem Anderen und dem Signifikanten eines Mangels im Anderen näher zu bestimmen. Das ergibt dann: Alle anderen Signifikanten repräsentieren das Subjekt für den Signifikanten eines Mangels im Anderen. Was man so schreiben könnte: A repräsentiert $ für S(Ⱥ).
Die anderen Signifikanten, heißt es weiter, können die Funktion, das Subjekt ($) zu repräsentieren, nur dann wahrnehmen, wenn sie sich auf den Signifikanten beziehen, der einen Mangel im Anderen anzeigt, also auf S(Ⱥ). Denn ein Signifikant könne das Subjekt nur „für“ repräsentieren, nur für einen anderen Signifikanten. (Wenn mir jemand sagen würde: „Dieser Signifikant repräsentiert das Subjekt“, müsste ich demnach zurückfragen: „Wofür? Für welchen anderen Signifikanten?“)
Im Stil der Lacan’schen Algebra kann man das so schreiben:
(In dieser Formel steht „/A“ aus technischen Gründen für Ⱥ.)
Das „A“ steht hier für „alle anderen Signifikanten“.
Natürlich stellt sich sofort die Frage, was es heißen soll, dass im Signifikantenschatz des Anderen, im Signifikantenschatz des Unbewussten, ein Signifikant fehlt.
Die Batterie der Signifikanten ist vollständig, sagt Lacan, und sie sei es bereits einfach dadurch, dass sie „ist“, also dadurch, dass es sie gibt. Im Seminar 8, Die Übertragung, hatte er das so formuliert:
„Wie viele Male habe ich Ihnen nicht gesagt, dass, sobald die Batterie des Signifikanten einmal gegeben ist – über ein gewisses Minimum hinaus, das festzulegen bleibt, doch im äußersten Fall müßten vier für all die Bedeutungen genügen können, wie Jakobson es uns lehrt –, nichts fehlt. Es gibt keine Sprache, so einfach sie auch sein mag, in der nicht letztlich alles ausgedrückt werden könnte, ansonst gilt das waadtländische Sprichwort, dem Menschen ist alles möglich, was er nicht tun kan, läßt er – was in besagter Sprache nicht ausgedrückt werden kann, nun ja, das wird ganz einfach weder empfunden noch subjektiviert werden.“76
Was kann es also heißen, dass ein Signifikant fehlt?
(–1)
Lacan fährt fort mit der Behauptung, der im Anderen fehlende Signifikant, also S(Ⱥ), könne nur ein Strich sein, ein trait. Mit der Verwendung dieses Ausdrucks knüpft er an Überlegungen an, die er im Seminar Die Identifizierung entwickelt hatte (beziehungsweise die er dort noch vortragen wird, die genaue Datierung des Subversions-Aufsatzes im Jahr 1962 ist unbekannt). Aus Freuds Identifizierung mit einem „einzigen Zug“77 wird bei Lacan die Identifizierung mit einem trait unaire, einem einzelnen Zug, einem Einzelstrich, einem Unärstrich; dessen Paradigma ist der Strich einer Strichliste (vgl. auf dieser Website den Artikel Unärer Zug (I)). Der Unärstrich steht für eine einzelne Identifizierung, für ein einzelnes Ichideal, und eine Serie von Unärstrichen entspricht einer Folge von Identifizierungen, von Ichidealen.
Im Graphen des Begehrens wird das Ichideal durch das Symbol I(A) dargestellt (unten links), zu lesen als idéal de l’Autre, Ideal des Anderen; der Buchstabe I bezieht sich darin nicht nur auf das Wort „Ideal“, sondern auch auf den Unärstrich. Der „einzige Zug“, mit dem das Subjekt sich identifiziert, kommt vom Anderen.
Der Signifikant S(Ⱥ) kann nur ein Strich sein, der – so heißt es im Subversions-Aufsatz weiter – vom Kreis der Signifikantenbatterie gezogen wird, ohne dazugezählt werden zu können; S(Ⱥ) ist in irgendeinem Sinne ein fehlender Strich. Dieser Hinweis erschließt sich, wenn man das Seminar über die Identifizierung (1961/62) hinzuzieht.
Torus mit zwei Arten von nicht reduzierbaren Kreisen
Lacan beschreibt darin die Struktur der Identifizierung anhand eines Torus, also eines Ringes oder Reifens. Man kann darauf zwei Arten von Kreisen eintragen, die sich nicht auf einen Punkt zusammenziehen lassen: periphere Kreise und zentrale Kreise. Nimmt man als Beispiel für den Torus einen Fahrradschlauch, sind die peripheren Kreise diejenigen, die man um die Dicke des Schlauchs herumführen kann (in der Abbildung sind dies Kreise vom Typ 1), die zentralen Kreise sind solche, die gewissermaßen um die Achse des Rades herumführen (in der Abbildung: Kreise vom Typ 2).
Periphere Kreise in Form einer geschlossenen Spirale
Nun kann man auf einem Torus eine Serie von peripheren Kreisen nebeneinandersetzen (in der Abbildung oben wird das durch eine spiralförmige Anordnung der Kreisbewegungen dargestellt), und man kann diese Runden zählen. Wenn man auf diese Weise wieder beim Ausgangskreis angelangt ist und zählt, wie viele Runden man gedreht hat, hat man einen Kreis nicht mitgezählt, sagt Lacan, den man aber dennoch vollzogen hat: einen zentralen Kreis um die Öffnung in der Mitte des Torus. Die peripheren Kreise, so erläutert er im Identifzierungsseminar, entsprechen der Serie der Identifizierungen, der nicht mitgezählte zentrale Kreis steht für das Objekt des Begehrens.78 Der zentrale Kreis ist gewissermaßen ein Strich, der vom Kreis der peripheren Umdrehungen gezogen wird (von der Serie der Identifizierungen), ohne dazu gezählt werden zu können.
Lacan wechselt nun (in der zuletzt zitierte Passage des Subversions-Aufsaatzes) die Notation für Signifikant eines Mangels im Anderen und ersetzt die Buchstabenfolge durch eine Zahl, aus S(Ⱥ) wird (–1). Damit kann die Bedeutung von Signifikant eines Mangels im Anderen neu artikuliert, neu metaphorisiert werden, nämlich so: Der Menge der Signifikanten wohnt ein (–1) inne.
Ein einzelner Signifikant, eine einzelne Identifizierung, ein einzelnes Ichideal wird hier implizit (und im Seminar Die Identifizierung ausdrücklich) durch die Ziffer 1 dargestellt bzw. durch den trait unaire, den Einzelstrich, den Unärstrich. Die Serie der Identifizierungen – der Andere als Signifikantenbatterie, als Signifikantenschatz – kann als einer Menge solcher Einsen geschrieben werden: 1, 1, 1 usw., bzw. als einer Menge von Einzelstrichen, gewissermaßen als Strichliste. Die Menge der Identifizierungen impliziert einen fehlenden Signifikanten, ein fehlendes 1, einen fehlenden Unärstrich, wobei dieses Fehlen von Lacan durch ein Minuszeichen notiert wird, durch ein Minuszeichen in der Funktion, eine negative Zahl zu bezeichnen. Die Menge der Identifizierungen – die Serie der Signifikanten (1, 1, 1, 1 usw.) – impliziert eine negative Eins (–1).
Damit ergeben sich die folgenden Entsprechungen (mit ≅ für „entspricht ungefähr“):
– Identifizierung, Ichideal ≅ Unärstrich ≅ 1
– Anderer qua Signifikantenbatterie, qua Serie der Identifizierungen ≅ | | | usw. ≅ 1, 1, 1 usw.
– S(Ⱥ) ≅ fehlender Strich ≅ (–1)
Was hat es mit diesem (–1) auf sich? Lacans erste Auskunft ist negativ. Das der Signifikantenmenge innewohnende (–1) lässt sich nicht aussprechen. Immerhin sind wir damit beim Sprechen, also im Bezugsfeld der Psychoanalyse. In diesem Sprechen gibt es etwas, das nicht ausgesprochen werden kann. Vielleicht soll angedeutet werden, dass es in diesem Sprechen etwas gibt, das mit den Mitteln der freien Assoziation nicht zur Sprache gebracht werden kann.
Eigenname
Das (–1) hat jedoch eine bestimmte Wirksamkeit, heißt es weiter. Das Wirken des (–1) ereignet sich immer dann, wenn ein Eigenname ausgesprochen wird. Auch zu diesem Hinweis muss man das Seminar über die Identifizierung zurate ziehen. Eines der Theman ist dort der Eigenname und man erfährt, dass Lacan ihn als eine spezielle Form der Identifizierung begreift. Die einzelne Identifizierung wird von ihm, wie gesagt, mit 1 bezeichnet; offenbar geht es an dieser Stelle des Subversions-Aufsatzes darum, dass beim Aussprechen eines Eigennamens nicht nur ein (+1) ins Spiel kommt, eine Identifizierung, sondern zugleich das Fehlen eines Signifikanten, also (–1).
Lacan scheint sich hier auf den Gegensatz von énoncé und énonciation zu beziehen, von Ausgesagtem und Äußerung. Allerdings verwendet er an dieser Stelle nicht énoncer (äußern), sondern pronconcer (aussprechen, verkünden), und das gleich zwei Mal im selben Satz (imprononçable, prononcé). Zum Verständnis dieser Akzentuierung kann man wieder seine Überlegungen zum Eigennamen im Identifizierungs-Seminar heranziehen.79 Dann erschließt sich, dass Lacan mit dem Hervorheben des Aussprechens des Eigennamens anzeigen will, wodurch sich, seines Erachtens, ein Eigenname gegenüber anderen Signifikanten auszeichnet: dadurch, dass er nicht übersetzbar ist. Und er ist deshalb nicht übersetzbar, so führt Lacan in diesem Seminar aus, weil er wie eine Markierung funktioniert, wie das Anbringen eines Zeichens auf einem Gegenstand. (Mich hat das an einen Satz von Freud erinnert: „Goethe bemerkt einmal, wie empfindlich man für seinen Namen ist, mit dem man sich verwachsen fühlt wie mit seiner Haut […].“80) Ähnlich – so heißt es im Identifizierungs-Seminar weiter – müssen wir am Ursprung des Unbewussten eine ursprüngliche Markierung annehmen, einen Ursignifikanten: das Urverdrängte. (Vgl. auf auf dieser Website die Übersetzung der Erläuterungen zum Eigennamen aus dem Identifizierungs-Seminar, hier.)
Also darf man den Hinweis auf den Eigennamen vielleicht so ergänzen: Beim Aussprechen eines Eigennamens kommt das dem Signifikantenschatz innewohnende (–1) insofern zur Wirkung, als der Eigenname unübersetzbar ist und er wie eine Markierung funktioniert. Beim Eigennamen kommt insofern ein (–1) ins Spiel, ein fehlender Signifikant, als in anderen Sprachen eine Übersetzungsmöglichkeit fehlt. Die Verweisungsbewegung von Signifikant zu Signifikant kommt hier zu einer Art Halt. Wer ist Peter? Derjenige, der „Peter“ heißt. (Das gilt natürlich nur, wenn man ein sehr restriktives Sprachspiel annimmt, man könnte ja auch antworten: „Peter ist der Sohn von Paul und Paula.“ Und wer sind Paul und Paula?)
Als nächstes erfährt man: Das Ausgesagte des Eigennamen ist gleich seiner signification, gleich seiner Bedeutung. Das könnte heißen: Das Signifikat des Eigennamens (sein Ausgesagtes, sein Sinn) ist: das, was von diesem Namen markiert worden ist (seine Bedeutung im Sinne von Frege, sein Referent, sein Denotat).
Das soll durch diese Formel plausibel gemacht werden:
Links neben dem Gleichheitszeichen findet man eine formale Darstellung des Verhältnisses von Signifikant und Signifikat, die an einen mathematischen Bruch erinnert, wobei groß S (für Signifikant) über dem Bruchstrich steht und klein s (für Signifikat) darunter. Lacan hatte diese Schreibweise zuerst vorgestellt in dem Aufsatz Das Drängen des Buchstabens im Unbewussten oder die Vernunft seit Freud (1957)81, die Umkehrung einer Notation, die Saussure verwendet hatte; im Subversions-Aufsatz hatte Lacan sich bereits darauf bezogen.82
Auf der rechten Seite des Ausdrucks steht ein kleines s für „Signifikat“, ergänzt um „(das Ausgesagte)“. Unter dem Signifikat versteht Lacan zu dieser Zeit das Subjekt als Effekt der Einwirkung des Signifikanten auf die Bedürfnisse oder auf das Leben (vgl. auf dieser Website den Artikel Das Signifikat).
Die rechte Seite des Ausdrucks lässt sich ab dem Gleichheitszeichen so lesen: „ist gleich dem Signifkat bzw. dem Ausgesagten“. Man darf deshalb vermuten, dass der gesamte Ausdruck den Satz „Das Ausgesagte ist gleich seiner Bedeutung“ darstellt, nur in umgekehrter Form, das heißt in Gestalt von „Die Bedeutung (des Eigennamens) ist gleich seinem Ausgesagten“, dass also die linke Seite, der Ausdruck , für signification steht, für „Bedeutung“.83
Der gesamte quasi-algebraische Ausdruck soll offenbar so gelesen werden: Die Bedeutung
(des Eigennamens) ist gleich seinem Ausgesagten.
Der Ausdruck erinnert an Lacans Formel für die Metapher in Das Drängen des Buchstabensn84:
Falls Lacan darauf anspielt (und wie sollte er nicht?), bezieht sich in der Formel des Subversions-Aufsatzes das s auf der linken Seite auf etwas Verdrängtes – unter dem Bruchstrich: unter der Sperre, durch welche das Unbewusste unter Verschluss gehalten wird. Die Metaphernformel zeigt auf der linken Seite an, dass ein Signifikant S durch einen Signifikanten S‘ verdrängt ist; das kleine s auf der rechten Seite steht für die Schöpfung einer neuen Bedeutung durch die Metapher.
Später in diesem Text wird Lacan diese „Gleichung“ wieder aufgreifen und deutlicher sagen, was es damit auf sich hat85, ich komme darauf zurück.
–1 /
Was ergibt sich, man die Formel auf den im Anderen fehlenden Signifikanten bezieht, auf (–1)? Wenn S = (–1), was ist dann s? Diese Frage lässt sich so schreiben:
Lacan tut nun so, als handele es sich um eine echte Gleichung und „berechnet“ die Antwort.86 Ausgangspunkt ist diese „Gleichung“:
Multipliziert man beide Seiten mit s, erhält man:
–1 = s2
Durch Wurzelziehen auf beiden Seiten kommt man zu:
= s
Den gesamten „Bruch“ darf man demzufolge so schreiben:
Zur Erinnerung an die Schulmathematik: ist diejenige Zahl, die, wenn man sie mit sich selbst multipliziert, den Wert (–1) ergibt. Da nun aber gilt: Minus mal Minus gleich Plus, kann eine negative Zahl, die mit sich selbst multipliziert wird, keine negative Zahl ergeben;
ist so gesehen eine unmögliche Zahl (wie man sie früher nannte), heute bezeichnet man Zahlen dieses Typs als imaginäre Zahlen. Eine imaginäre Zahl ist eine unmögliche Zahl, mit der man gleichwohl rechnen kann, d.h. mit der man Gleichungen lösen kann, etwa die auf den ersten Blick harmlos aussehende Gleichung x2 + 4 = 0.
Der Signifikant, für den die anderen Signifikanten das Subjekt repräsentieren, ist (–1), d.h. ein in der Signifikantenbatterie fehlender Signifikant. Das Signifikat dieses fehlenden Signifikanten ist , d.h. eine unmögliche Zahl. Zwischen den beiden Zahlen des „Signifikanten-Bruchs“, also zwischen (–1) über dem Strich und
unter dem Strich, gibt es einen mathematischen Zusammenhang, hergestellt durch die reziproke Beziehung zwischen Wurzelziehen und Potenzieren: Die Zahl unter dem Bruchstrich ist die Quadratwurzel der Zahl über dem Bruchstrich, die Zahl über den Bruchstrich ist das Qadrat der Zahl unter dem Bruchstrich.
Die erste Frage, die sich damit stellt, lautet: Was entspricht dem im Gebiet der Psychoanalyse? Wir wissen, dass sich der Ausdruck auf die Seite des Subjekts bezieht; die Verwendung einer imaginären Zahl deutet an, dass es um eine Unmöglichkeit geht. Der Ausdruck
steht demnach, so lässt sich erahnen, für eine Unmöglichkeit auf der Seite des Subjekts.
Zweite Frage: Gibt es zur wechselseitigen Beziehung von Wurzelziehen und Quadrieren eine Entsprechung im Feld der Psychoanalyse? Wie also verhält sich die Unmöglichkeit auf der Seite des Subjekts zum Signifikantenmangel auf der Seite des Anderen?
Cogito und Sein
Lacan erläutert seine Zahlenmetapher anschließend mithilfe von Descartes’ berühmtem Satz „Cogito ergo sum“, „Ich denke, also bin ich“. „ist das, was dem Subjekt fehlt, um sich durch sein Cogito“ – durch sein Ich denke – „ausgeschöpft zu denken“. Der Ausdruck
steht also für etwas „Undenkbares“, genauer: für das, was das Subjekt an Undenkbarem ist, noch genauer: für das, worin das Subjekt für sich selbst etwas Undenkbares ist.
Die Beziehung zwischen dem Anderen und dem Subjekt ist also, auf der Ebene des Unbewussten, die Beziehung zwischen zwei Negativitäten, zwischen einem im Anderen unzugänglichen Signifikanten und dem Undenkbaren des Subjekts.
Was könnte das sein: das „Undenkbare“ des Subjekts?
Vorfrage: Was ist das Denkbare des Subjekts, was entspricht im Bereich der Psychoanalyse dem kartesischen Cogito, dem „Ich denke“? Im Seminar über die Identifizierung wird das von Lacan breit ausgeführt.87 Descartes’ „Cogito“ wird von ihm nicht als ein Gedanke aufgefasst, sondern als ein Wort, als ein Signifikant, mit dem „Ich bin“ als Signifikat, was sich so schreiben lässt88:
Damit gibt es zwei verschiedene Ichs: das Ich des „ich denke“ und das Ich des „ich bin“. Descartes schließt vom „Ich denke“ auf das „Ich bin“, vom Denken auf das Sein. Lacan weist diesen Schluss zurück, in seiner Deutung ist das Sein das, was im „ich denke“ notwendigerweise verfehlt wird, es liegt jenseits der Identifizierung. Aus dem „Ich denke, also bin ich“ wird damit ein Hinweis auf die Spaltung des Subjekts: Zwischen der Wiederholung des „ich denke“ (der Serie der Identifizierungen) und dem undenkbaren Sein des Subjekts, also zwischen (1, 1, 1 …) und (), liegt eine Kluft.
Dieses Sein erscheint im Meer der Eigennamen als fehlend, es ist das Sein, das in der Serie der Identifizierungen verfehlt wird.
Das ist eine negative Antwort: das ist nicht die Identifizierung, es ist das, was jenseits der Identifizierungen liegt. Und was ist es, positiv formuliert?
Woher kommt das mit bezeichnete Sein, heißt es im Subversions-Aufsatz anschließend, also das Sein jenseits des Cogito, jenseits der Identifizierungen? Das können wir, sagt Lacan, dieses Subjekts als Je, als Ich, nicht fragen.
Was also ist das undenkbare Sein des Subjekts? Ich nehme an: das Urverdrängte. Das Urverdrängte ist das, was die Verdrängung in Gang hält und was niemals erinnert werden kann. Es ist undenkbar = es kann nicht ausgesagt werden, es kann in den freien Assoziationen nicht zu Wort kommen.
Je/ich
Das Je ist hier das Je des Je pense, des „Ich denke“. Allgemeiner ist das Je das Subjekt, es sich darauf bezieht, dass es gerade spricht, wie Lacan früher in diesem Aufsatz erläutert hatte:
„Man kann hier versuchen, aus Gründen der Methode von der streng linguistischen Definition des Je als Signifikant auszugehen, wo es nichts anderes ist als der shifter oder der indexikalische Ausdruck, das als Subjekt der Aussage das Subjekt bezeichnet, insofern es gerade spricht.“89
Das Personalpronomen ich ist ein indexikalischer Ausdruck, genauer ein indexikalisches Symbol. Dieser Terminus stützt sich auf die von Charles Sanders Peirce vorgenommene Unterscheidung von Zeichenarten, darunter von Symbol und Index. Ein Symbol ist hiernach ein konventionelles Zeichen, etwa das Wort Baum, die Bedeutung hängt vom jeweiligen Code ab, in anderen Sprachen verwendet man andere Wörter, etwa tree oder arbre. Ein Index ist ein Zeichen, das in einer „existentiellen“ oder „situativen“ Beziehung zum Objekt steht, beispielsweise das Zeigen (die Bedeutung des Zeige-Zeichens hängt vom räumlichen Verhältnis zum Objekt ab, sie verändert sich, wenn von anderswo aus anderswohin gezeigt wird). Ein indexikalisches Symbol verbindet beide Eigenschaften, das gilt etwa für das Wort jetzt. Es ist konventionell (in anderen Codes gibt es dafür andere Wörter, etwa now oder maintenant), seine Bedeutung hängt aber zugleich von einer existentiellen oder situativen Beziehung ab, nämlich vom Zeitpunkt des Sprechens des Wortes jetzt; die Bedeutung von jetzt verändert sich mit dem Zeitpunkt des Sprechens von jetzt. Dasselbe gilt für das Personalpronomen ich. Es ist ein konventionelles Code-Element (in anderen Sprachen verwendet man andere Wörter wie I oder je usw.). Das Personalpronomen ich erhält seine Bedeutung jedoch zugleich durch eine existentielle oder situative Beziehung: ich bedeutet: die Person, die gerade ich sagt; wenn jemand anders ich sagt, bedeutet ich eine andere Person. Die Bedeutung von ich ist einerseis allgemein (der gerade ich Sagende), andererseits wechselnd (mit der jeweils sprechende Person); wegen dieser Wechselhaftigkeit werden Wörter dieses Typs auch als shifter (oder Verschieber) bezeichnet.90 In einem Satz wie Ich denke ist das Subjekt der Aussage eben das Subjekt, das gerade den Äußerungsvorgang vollzieht, in welchem ich gesagt wird.91
Das Subjekt als Je, als Ich, ist also das Subjekt, insofern es sich auf sein gerade ablaufendes Sprechen bezieht, auf ein Sprechen, in welchem sich beispielsweise Versprecher ereignen, in welchem das Verdrängte wiederkehrt, wie Freud sagen würde. Das Je ist das Subjekt des wiederkehrenden Verdrängten. Der Ausdruck steht für das, was darin nicht wiederkehrt, also vermutlich für das, was urverdrängt ist.
Leben und Tod
Woher also kommt das undenkbare Sein des Subjekts? Das können wir (die Psychoanalytiker) das Subjekt nicht als Je fragen; wir (die Psychoanalytiker) haben keinen Zugang dazu, indem wir das Subjekt auffordern, über sich zu sprechen. Denn diesem Subjekt – dem Subjekt, das über sich spricht – fehlt alles, um dies zu wissen, heißt es weiter im Subversions-Aufsatz. Das mit bezeichnete Sein des Subjekts jenseits der Identifizierungen – fehlend im Meer der Eigennamen – hat für dieses Subjekt nicht den Charakter eines Wissens über sich selbst, nicht den Status eines Wissens, das in Sätzen artikuliert wird, die mit ich beginnen, ich bin ein …
Lacan versucht, das plausibel zu machen, indem er Leben und Tod ins Spiel bringt, die er hier mit dem Sein parallelisiert – Formen des „Seins“ des Subjekts sind, näher an der Psychoanalyse, Leben und Tod des Subjekts.92 Denn wenn dieses Subjekt, dieses Ich (Je), tot wäre, heißt es weiter im Subversions-Aufsatz, dann wüsste es das nicht. Er bezieht sich hierfür auf eine frühere Bemerkung in diesem Text, auf seinen Kommentar zu einem von Freud berichteten Traum, dem Traum vom toten Vater.93 Der Träumer hat einen sich wiederholenden Traum: Sein Vater, der kurz zuvor gestorben war, ist wieder am Leben, er, der Träumende, hat es jedoch im Traum schmerzlich empfunden, dass der Vater bereits gestorben war „und es nur nicht wusste“94. Lacan zufolge wehrt der Träumer – genauer: das Ich (Je) des Träumers – mit diesem Satz ab, dass er selbst es ist, der nicht weiß, dass er tot ist.95
Wenn das Subjekt aber (im Unbewussten) kein Wissen vom eigenen Tod hat, dann – so folgert Lacan – hat es auch kein (unbewusstes) Wissen davon, dass es lebendig ist. Damit könnte gemeint sein: Das Leben ist grundlegend auf den Tod bezogen; nur dann, wenn man ein Wissen vom Tod hat, hat man auch ein Wissen vom Leben. Man kann dafür die beiden Autoren anführen, auf die Lacan sich in diesem Aufsatz immer wieder bezieht, Hegel und Freud. Bei Hegel heißt es:
„Aber nicht das Leben, das sich vor dem Tode scheut und von der Verwüstung rein bewahrt, sondern das ihn erträgt und in ihm sich erhält, ist das Leben des Geistes.“96
Bei Freud kann man lesen:
„Das Ziel alles Lebens ist der Tod“97
und:
„Si vis vitam, para mortem. Wenn du das Leben aushalten willst, richte dich auf den Tod ein.“98
Wenn Ich mich aber nicht als lebend weiß, fragt Lacan im Subversions-Aufsatz weiter, wie werde ich mir dann beweisen, dass ich lebe? Welchen Zugang habe ich zu meinem Sein jenseits des Cogito, jenseits der Identifizierungen? Welchen Zugang habe ich zu ?
Die Existenz des Anderen
Lacan wechselt, bevor er eine Antwort gibt, von der Seite des Subjekts zur Seite des Anderen, sogar zum „höchsten Anderen“, zu Gott. Dem Anderen kann ich notfalls beweisen, dass er existiert. In Bezug auf den höchsten Anderen gibt es demnach ein Problem, es stelklt sich die Frage, ob er existiert. Es gibt einen Mangel im Anderen – dafür steht das Symbol S(Ⱥ) –, und eine der Formen dieses Mangels besteht darin, so soll hier offenbar angedeutet werden, dass nicht klar ist, ob der Andere existiert.
Nicht durch Gottesbeweise (heißt es im Subversions-Aufsatz weiter) kann ich dem Anderen beweisen, dass er existiert, damit wird er vielmehr getötet. Hier gibt es also eine Grenze des Symbolischen. Im Kontext des Cogito bezieht sich diese Bemerkung auch auf Descartes; dessen Meditationen (1641), in denen er (unter anderem) sein Cogito vorbringt, haben den Gottesbeweis bereits im Titel: Meditationes de prima philosophia, in qua Dei existentia et animae immortalitas demonstratur (Meditationen über die erste Philosophie, worin die Existenz Gottes und die Unsterblichkeit der Seele bewiesen wird).
Lacan fährt so fort: Dem Anderen kann ich seine Existenz dadurch beweisen, dass ich ihn liebe, dies sei die vom christlichen Kerygma (von der christlichen Verkündigung) eingeführte Lösung. Das lässt sich belegen – als Jesus gefragt wurde, was das höchste Gebot sei, antwortete er: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben“99. Die Verbindung von „Existenz“ und „Kerygma“ verweist auf die protestantische „dialektische Theologie“ von Karl Barth, Rudolf Bultmann und anderen, wonach die biblischen Texte so zu deuten sind, dass der Mensch sich durch das Kerygma getroffen fühlt und vor eine existenzielle Entscheidung gestellt wird100; Lacan ist diese theologische Strömung bekannt, im Ethik-Seminar bezieht er sich auf sie.101
Um den Anderen seine Existenz zu beweisen – um den Mangel im Anderen auszugleichen –, muss eine andere Dimension ins Spiel kommen als das argumentierende Schreiben: das Lieben. Aber was ist damit hier gemeint? Ein Gefühl, ein Affekt?
(5) Die Schuld
Direkt anschließend heißt es im Subversions-Aufsatz:
… « C’est au reste une solution trop précaire pour que nous songions même à y fonder un détour pour ce qui est notre problème, à savoir : Que suis-Je ?
Je suis à la place d’où se vocifère que „ l’univers est un défaut dans la pureté du Non-Etre “.
Et ceci non pas sans raison, car à se garder, cette place fait languir l’Etre lui-même. Elle s’appelle la jouissance, et c’est elle dont le défaut rendrait vain l’univers.
En ai-je donc la charge ? – Oui sans doute. Cette jouissance dont le manque fait l’Autre inconsistant, est-elle donc la mienne? L’expérience prouve qu’elle m’est ordinairement interdite, et ceci non pas seulement, comme le croiraient les imbéciles, par un mauvais arrangement de la société, mais je dirais par la faute de l’Autre s’il existait : l’Autre n’existant pas, il ne me reste qu’à prendre la faute sur Je, c’est-à-dire à croire à ce à quoi l’expérience nous conduit tous, Freud en tête: au péché originel. Car si même nous n’en avions de Freud l’aveu exprès autant que navré, il resterait que le mythe, dernier-né dans l’histoire, que nous devons à sa plume, ne peut servir à rien de plus que celui de la pomme maudite, à ceci près qui ne vient pas à son actif de mythe, que, plus succinct, il est sensiblement moins crétinisant. »102
–
… „Das ist jedoch eine allzu prekäre Lösung, als dass wir auch nur daran dächten, darauf einen Umweg zu gründen, für das, was unser Problem ist, nämlich: Que suis-Je?, Was bin Ich?
Ich bin an dem Platz, von dem aus gebrüllt wird, ‚dass das Universum ein Fehler ist in der Reinheit des Nichtseins‘.
Und dies nicht ohne Grund, denn, indem er sich schützt, lässt dieser Platz das Sein selbst schmachten. Er heißt Jouissance und es ist ihr Fehlen, was das Universum nichtig machen würde.
Bin ich also dafür zuständig? – Ja, zweifellos. Diese Jouissance, deren Fehlen den Anderen inkonsistent macht, ist also die meine? Die Erfahrung beweist, dass sie mir für gewöhnlich untersagt ist, verboten ist, und dies nicht nur, wie die Dummköpfe glauben mögen, aufgrund einer schlechten Einrichtung der Gesellschaft, sondern, möchte ich sagen, durch die Schuld des Anderen, falls er existierte – existiert der Anderen nicht, bleibt mir nur, die Schuld aufs Je zu nehmen, aufs Ich, das heißt an das zu glauben, wohin die Erfahrung uns führt, uns alle, Freud voran: zur Ursünde. Denn selbst wenn wir dazu nicht Freuds ebenso ausdrückliches wie bedauerndes Eingeständnis hätten, so bliebe, dass der Mythos, den wir seiner Feder verdanken, der letztgeborene in der Geschichte, zu nichts mehr dienen kann als der des verfluchten Apfels, bis auf dies – was nicht auf sein Konto als Mythos geht –, dass er, da prägnanter, spürbar weniger verblödend ist.“103
Dem Anderen seine Existenz dadurch zu beweisen, dass man ihn liebt, ist prekär, sagt Lacan. Damit bezieht er sich wohl auf die Instabilität der Liebe und auf ihre Ambivalenz.
Möglicherweise spielt er aber auch auf Spinozas Begriff des amor intellectualis Dei an, also der intellektuellen (oder geistigen) Liebe zu Gott. In Seminar 7 von 1959/60, Die Ethik der Psychoanalyse, hatte er über diese Art der Liebe zu Gott gesagt, sie sei ein seltenes Gefühl, das man nur bei wenigen außergewöhnlichen Menschen finde; als Beispiele nennt er Spinoza und Freud. Und er charakterisiert dort diese Liebe durch einen berühmten Satz von Hegel: „was vernünftig ist, das ist wirklich, und was wirklich ist, das ist vernünftig“ – auf diesen Glauben sei die moderne Wissenschaft aufgebaut.104
Das Problem ist also (heißt es weiter im Subversions-Aufsatz): Que sui-Je, Was bin Ich? Die Frage bezieht sich auf das Je, auf das Subjekt, insofern es gerade ich sagt. Was ist dieses Ich? Welches Sein hat es jenseits des Cogito, jenseits der Identifizierungen, jenseits dessen, was es in Ich-Sätzen aussagen kann, in Sätzen, in denen es ein Wissen über sich selbst artikuliert? Worauf bezieht sich ?
Ich ist / ich bin an einem bestimmten Platz, und von diesem Platz aus wird etwas gebrüllt, nämlich, „dass das Universum ein Fehler ist in der Reinheit des Nichtseins“.
Ich bin an einem bestimmten Platz – die Frage nach dem Sein des Ichs verlangt offenbar den Bezug auf den Raum, das sprechende Subjekt hat einen speziellen Platz in einem bestimmten Raum und das Symbol bezieht sich auf diesen Platz.
Von diesem Platz aus wird etwas gebrüllt, nicht etwa ein inartikulierter Schrei, sondern zwei Zeilen aus einem Gedicht von Paul Valéry, Ébauche d’un serpent, „Entwurf einer Schlange“.105 Das Wesen, das im Gedicht diese Verse vorbringt, ist die Schlange des Paradieses. Sie spricht zu Gott und zu den Menschen und sie klagt Gott an: dafür, dass er die Welt geschaffen hat. Das von Gott produzierte Universum, das Sein, ist ein Fehler, dem die Schlange (eine Art Anti-Parmenides) die Reinheit des Nichts entgegenhält. (Das erinnert an eine Zeile aus Sophokles’ Ödipus auf Kolonos, die Lacan in den Seminaren mehrfach zitiert hatte: „Nicht geboren zu werden ist weitaus das Beste“.106)
Was also ist ? Wo bin Ich, wo ist das Je, das gerade ich sagende Subjekt, unabhängig von dem, was es über sich aussagt?
Das Je ist, so will Lacan mit dem Valéry-Zitat vielleicht andeuten, am Platz desjenigen, der den Anderen anklagt. Ein soliderer Beweis für die Existenz des Anderen scheint demnach zu sein, ihn zu hassen statt ihn zu lieben. Ich übersetze mir das so: Das Subjekt, mit dem die Psychoanalyse es zu tun hat, ist häufig ein anklagendes Subjekt, und eine der Funktionen dieser Anklage, dieses Hasses, könnte darin bestehen, sich der Existenz des Anderen zu versichern.
Das sprechende Subjekt, so fährt Lacan im Subversions-Aufsatz fort, hat durchaus Grund zur Klage. Es spricht von einem bestimmten Platz aus, und der Platz, von dem aus es spricht, ist der Platz der Jouissance (des Genusses, des Genießens, mit Freud: der Lust jenseits des Lustprinzips, der Lustbefriedigung, der Triebbefriedigung107). Das Sein des Subjekts im Unterschied zum Cogito, das also, was das Subjekt an Undenkbarem ist, ist Jouissance, genauer: der Platz der Jouissance. Was ist der „Platz der Jouissance“? Man erfährt es hier nicht. Ist damit (vor allem oder nebenb ei) das Geschlechtsorgan gemeint? Die folgende Bemerkung aus dem Angst-Seminar über die Vagina geht ein bisschen in diese Richtung:
„Der Ort, das Haus des Genießens findet sich normalerweise, da natürlicherweise, in einem Organ platziert, für das die Erfahrung wie die anatomisch-physiologische Forschung Sie mit größter Gewissheit lehren, dass es unempfindsam ist in dem Sinne, dass es noch nicht einmal von daher, dass es gereizt wird, zur Empfindsamkeit erweckt werden könnte.“108
Immerhin, im Graphen des Begehrens (der im Subversions-Aufsatz ausführlich kommentiert wird) ist die Jouissance klar verortet, man findet sie hier am Beginn der oberen von links nach rechts verlaufenden Pfeillinie.
Dieser Platz „schützt sich“, so lautet Lacans Formulierung, man könnte wohl auch mit „wird geschützt“ übersetzen, der Platz der Jouissance unterliegt, so soll vermutlich angedeutet werden, irgendeiner Form von Abwehr, er ist nicht ohne weiteres zugänglich. Hierdurch lässt dieser Platz das Sein schmachten (das Sein des Subjekts jenseits des Cogito) – das Subjekt ist manque d’être, „Seinsmangel“, wie Lacan mit Sartre gesagte hatte109, es ist manque-à-être, „Mangel-zum-Sein“, wie er es auch formuliert hatte110. Und vermutlich darf man annehmen, dass die Anklage des Subjekts ihre Ursache darin hat, dass der Platz der Jouissance geschützt ist und das Subjekt deshalb schmachtet.
Offenbar geht es Lacan an dieser Stelle, in Hegel’scher Terminologie, um das Verhältnis von Genuss und Begierde: Wenn die Jouissance unzugänglich ist, wird das Subjekt ein begehrendes Subjekt.
Das Fehlen der Jouissance, so heißt es weiter, würde das Universum nichtig machen – welches „Universum“ ist gemeint, was bedeutet hier „nichtig“ und wieso „würde“?
Im Rom-Vortrag war die Rede vom „Universum des Sinns einer Sprache“111; geht es um dieses Universum? Wohl eher um das Universum des Sinns des Gesetzes. Das hieße: Die sprachlich konstituierte Welt und damit das Gesetz hat für das Subjekt nur dadurch einen Sinn, dass hierbei eine Jouissance ins Spiel kommt – mit Hegel: ein Genuss; mit Freud: eine Triebbefriedigung; wenn diese Jouissance fehlt, hat das sprachlich verfasste Universum und damit das Gesetz für das Subjekt keinen Sinn.– Bezieht sich die drohende Nichtigkeit des Universums auf den Mangel im Anderen?– Soll mit dem Konjunktiv „würde“ angedeutet werden, dass die Tatsache, dass wir in einem Sinn-Universum leben, durch eine Jouissance gestützt wird? Dass also die Existenz des Anderen auf solidere Weise als durch die Liebe durch eine Jouissance „bewiesen“ wird?
Drei Sätze später heißt es: Das Fehlen der Jouissance macht den Anderen „inkonsistent“. Das scheint mir ein ziemlich deutlicher Hinweis auf den „Mangel im Anderen“ zu sein, dem in diesem Text zuvor das Symbol S(Ⱥ) zugewiesen wurde. Es geht also um die Beziehung zwischen dem Fehlen einer Wahrheitsgarantie und dem Fehlen einer Jouissance auf der Seite des Subjekts.
Auch das lässt sich dem Graphen zuordnen; dort gibt es die Beziehung zwischen „Jouissance“ (am Beginn der oberen von links nach rechts führenden Pfeillinie) und „S(Ⱥ)“ (am Schnittpunkt oben links).
Um wessen Jouissance geht es an dieser Stelle des Subversions-Aufsatzes, um die des Subjekts oder um die des Anderen oder um beide? Im Text heißt es: Ich bin am Platz der Jouissance und ich bin dafür zuständig. Also geht es um die Jouissance auf der Seite des Subjekts (das Subjekt, das im Dienste der Jouissance des Anderen steht, ist das perverse Subjekt, wie es später im Subversions-Aufsatz heißen wird, also ein Sonderfall).
Im Subversions-Aufsatz steht das Symbol , nehme ich an, für die fehlende Jouissance des Subjekts bzw. für den Platz der Jouissance des Subjekts, für das Urverdrängte.
Das Fehlen dieser Jouissance würde den Anderen inkonsistent machen; die fehlende Jouissance des Subjekts stellt demnach in einer Beziehung zum Signifikanten eines Mangel im Anderen – zu S(Ⱥ) bzw. zu (–1), etwa zum Problem der Existenz Gottes, zur drohende Nichtigkeit des Universums. Im Graphen besteht eine Beziehung zwischen Jouissance und S(Ⱥ) also vielleicht darin, dass die Jouissance den Mangel im Anderen auszugleichen sucht, um auf diese Weise das Gesetz zu stabilisieren.
Ich vermute, dass dieses angestrebte Kompensationsverhältnis die psychoanalytische Entsprechung zur mathematischen Beziehung zwischen den beiden Termen (–1) und ) ist, also eine Entsprechung zum Verhältnis von Wurzelziehen und Quadrieren.
Auf der Seite des Subjekts gibt es nicht einfach die Jouissance. Der Platz der Jouissance ist geschützt und es droht offenbar ihr Fehlen.
Und außerdem ist dem Je – dem sprechenden Subjekt – die Jouissance, so heißt es weiter im Subversions-Aufsatz, für gewöhnlich interdite. Sie ist ihm „untersagt“, sie ist ihm „verboten“, sie ist ihm „versagt“, wie man vielleicht auch übersetzen könnte (Freud spricht von der „Versagung“ der Befriedigung sexueller Triebregungen112). Das Subjekt ist nicht einfach am Platz der Jouissance, es ist am Platz einer verbotenen, einer untersagten Jouissance. Das mit bezeichnete Sein des Subjekts jenseits der Identifizierungen bezieht sich auf den Platz dieser prekären („geschützten“, möglicherweise fehlenden, verbotenen, untersagten) Jouissance.
Für Lacan ist dies, wie er sagt, eine Erfahrungstatsache. Die Erfahrung der Psychoanalyse hat demnach gezeigt, dass das Subjekt durch eine Jouissance-Untersagung bestimmt ist; in der Terminologie von Freud geht es hier, denke ich, um „Triebverzicht“113, „Triebunterdrückung“114, „Triebversagung“115, „Verdrängung einer Triebregung“116 und nicht zuletzt um die durch das Inzestverbot untersagte Jouissance.
Lacan unterscheidet hier nicht zwei Arten von Jouissance, untersagte Jouissance und nicht-untersagte Jouissance; die Jouissance ist, so behauptet er, insgesamt untersagt.
Die Schuld
Wie kommt es zur Jouissance-Untersagung? Nicht ausschließlich durch die schlechte Einrichtung der Gesellschaft, es wäre dumm, sagt Lacan, das zu glauben (wie etwa Wilhelm Reich es tut). Die Triebunterdrückung hat noch andere Ursachen. Wie soll man sie fassen?
Eine Möglichkeit besteht darin, die Schuld dem Anderen zuzuweisen. Welcher Andere ist gemeint? Der Andere, „falls er existiert“, wie Lacan hier sagt, womit er auf die Frage zurückkommt, wie man dem Anderen beweisen kann, dass er existiert. Der Andere, dem man die Schuld für die Jouissance-Untersagung zuweist, ist demnach der höchste Andere im Feld der Religion, also Gott. Dies wäre also die religiöse Verbindung zwischen Jouissance-Untersagung und Anderem. Der Religionsbildung liegt, wie Freud sagt, die Unterdrückung gewisser Triebregungen zugrunde117, und man kann den göttlichen Anderen zum Urheber dieser Triebunterdrückung erklären, etwa in der Form, dass man ihn – so wie Valérys Schlange – anklagt, dafür, das Universum geschaffen zu haben.
Worauf lässt sich die Jouissance-Untersagung zurückführen, wenn der Andere nicht existiert – wenn Ich nicht gläubig ist, wenn Gott für mich tot ist? Dann bleibt mir nur, die Schuld aufs Ich zu nehmen, anders gesagt, ein „Schuldbewusstsein“ zu entwickeln (wie Freud sich bisweilen ausdrückt118), Schuldgefühle zu haben, und das sind für Freud vor allem unbewusste Schuldgefühle. Die Zwangsneurose ist, wie Freud sagt, eine Art „Privatreligion“119, in deren Mittelpunkt das unbewusste Schuldgefühl steht (das sich in Erwartungsangst und Bestrafungsangst kundtut).120
Lacan geht es hier um die Beziehung zwischen dem Anderen und dem Subjekt, zwischen (–1) auf der Seite des Anderen und auf der Seite des Subjekts, also um den „Bruch“
. Auf der mathematischen Ebene werden die beiden Ausdrücke, wie gesagt, durch die Reziprozität von Quadrieren und Wurzelziehen zusammengehalten. Was entspricht dieser Beziehung im Bereich der Psychoanalyse? Die beziehungsstiftende Größe ist die Schuld, besser gesagt: das Schuldgefühl, also eine bestimmte Art von Jouissance. Der Mangel im Anderen und das Sein des Subjekts jenseits der Identifizierungen, (–1) und
, sind vor allem durch die Schuld miteinander verklammert, sei es durch die dem Anderen zugeschriebene Schuld, sei es durch die Schuld, die das Subjekt in Gestalt des Schuldgefühls auf sich nimmt. (Das erinnert an die in Seminar 4 von 1956/57, Die Objektbeziehung, entwickelte These, dass die Kastration insofern ein symbolischer Mangel ist, als sie sich auf eine Schuld gegenüber dem Gesetz bezieht.) Diese Schuld, dieses Schuldgefühl, funktioniert als eine Art Ausgleich für den Mangel im Anderen. Im Ethik-Seminar hatte Lacan das so formuliert: Sobald ich mich dem Innersten meiner Jouissance nähere,
„erscheint jene unergründliche Aggressivität, vor der ich zurückweiche, die ich gegen mich wende und die dann, an der Stelle des ohnmächtigen Gesetzes eben, ihr Gewicht an das abtritt, was mich hindert, eine bestimmte Grenze an der Schranke des Dings zu überschreiten.“121
Lacan fährt im Subversions-Aufsatz so fort: Wenn ich die Schuld aufs Ich nehme, glaube ich an die Ursünde, an die Erbsünde, dahin führt uns die Erfahrung; allen voran glaubt Freud an die Ursünde, das hat er eingestanden. Bei Freud liest man:
„Das dunkle Schuldgefühl, unter dem die Menschheit seit Urzeiten steht, das sich in manchen Religionen zur Annahme einer Urschuld, einer Erbsünde, verdichtet hat, ist wahrscheinlich der Ausdruck einer Blutschuld, mit welcher sich die urzeitliche Menschheit beladen hat.“122
Die Schuld ist also nicht die Schuld des vereinzelten Einzelnen, sondern eine Schuld, die an das Je, an das Ich, durch Generationen hindurch überliefert worden ist. Das zeigt uns die psychoanalytische Erfahrung, schreibt Lacan im Subversions-Aufsatz; man denke an Freuds „Rattenmann“, der versucht, auf komplizierten Wegen die Schuld(en) (nicht) abzutragen, die sich sein Vater, noch vor der Geburt des „Rattenmanns“, einem Mitsoldaten gegenüber eingehandelt hatte.123 Im Seminar Das Ich in der Theorie Freuds (1954/55) berichtet Lacan über einen Patienten mit einem Schreibkrampf; die Analyse hatte gezeigt, dass dieses Symptom darauf beruhte, dass der Vater des Patienten beschuldigt worden war, ein Dieb zu sein und dass man dem Dieb – nach dem islamischen Gesetz, nach welchem der Patient erzogen worden war – die Hand abschlagen muss.124
Freud hat die Ursünde „bedauernd“ eingestanden, damit könnte gemeint sein, dass, Freud zufolge, das unbewusste Schuldgefühl die Heilung behindert. Ich zitiere noch einmal die eben bereits auszugsweise zitierte Passage aus Das Ich und das Es, diesmal vollständig:
„Die neue Erfahrung aber, die uns nötigt, trotz unserer besseren kritischen Einsicht, von einem unbewussten Schuldgefühl zu reden, verwirrt uns weit mehr und gibt uns neue Rätsel auf, besonders wenn wir allmählich erraten, dass ein solches unbewusstes Schuldgefühl bei einer großen Anzahl von Neurosen eine ökonomisch entscheidende Rolle spielt und der Heilung die stärksten Hindernisse in den Weg legt.“125
Zur Ursünde, so heißt es am Schluss der zuletzten zitierten Passage des Subversions-Aufsatzes, hat Freud einen Mythos ersonnen: die in Totem und Tabu erzählte Geschichte vom Urvatermord.126
Dieser Mythos ist der letztgeborene der Geschichte, behauptet Lacan; im Seminar über die Ethik der Psychoanalyse hatte er gesagt, Totem und Tabu sei
„vielleicht, wie man gesagt hat, der einzige Mythos, zu dem die Moderne fähig war.“127
Der Freud’sche Mythos hat denselben Nutzen wie der biblische Mythos vom Sündenfall (auf den Lacan mit dem Valéry-Zitat bereits angespielt hatte128). Demnach haben die beiden Mythen dieselbe Funktion. Welche? Vermutlich die, einen Zusammenhang von Jouissanceverlust, Gesetz und Schuldgefühl aufzuzeigen. Im Seminar über die Ethik der Psychoanalyse spricht Lacan über den „Bruch“ in Totem und Tabu, der darin besteht, dass die Tötung des Vaters, die den Weg zur Jouissance eröffnen soll, ihn erst recht verbietet:
„Wichtig ist, dass wir an dem festhalten, was dieser Bruch mit sich bringt, daran, dass alles, was ihn überwindet, was sich davon befreit, im Großen Buch der Schuld den Gegenstand einer Schuld bildet. Jede Ausübung der Jouissance führt etwas mit sich, das in diesem Buch der Schuld in das Gesetz eingetragen wird.“129
Lacan hält Freuds Mythos für plus succinct, für knapper, konziser, prägnanter als die Schöpfungsgeschichte und deshalb für weniger verblödend. Worauf stützt sich sein Urteil? Ich kann hier nur eine Vermutung äußern. Der biblische Mythos erzählt von der Scham, nicht von der Schuld. Der Mythos von Totem und Tabu hingegen stellt das Schuldgefühl in den Mittelpunkt. Nachdem die Söhne den Vater erschlagen und verzehrt haben, gewinnt die zärtliche Einstellung ihm gegenüber die Oberhand und sie entwickeln ein Schuldbewusstsein. Aufgrund dieses Schuldgefühls erlassen sie die beiden grundlegenden Gesetze, das Tötungsverbot und das Inzestverbot. Das Schuldgefühl entwickelt sich demnach unabhängig vom Gesetz (vom „Über-Ich“), es geht ihm voraus. In Seminar 5, Die Bildungen des Unbewussten, hatte Lacan erklärt:
„Die die Einwirkungen des Über-Ichs betreffenden Dunkelheiten, die mit der Ausweitung unserer Erfahrung von dieser Instanz einhergingen, gehen im wesentlichen auf das Fehlen einer grundsätzlichen Unterscheidung zurück. Es kommt in der Tat darauf an, Schuld und das Verhältnis zum Gesetz zu unterscheiden. Es gibt ein Verhältnis des Subjekts zum Gesetz. Die Schuld indes entsteht ohne irgendeine Art von Bezug auf das Gesetz. Das ist die Tatsache, die uns von der analytische Erfahrung geliefert worden ist.“130
Haupttext
(1) Jouissance, Untersagung und Gesetz
Lacan betont, dass man bei der Verwendung des Symbols keinen Automatismus anstreben sollte; ich nehme an, dass er sagen will, dass es nur eine Metapher ist, dass man damit also keine Gleichungen lösen kann. Er fährt dann fort:
« Ce à quoi il faut se tenir, c’est que la jouissance est interdite à qui parle comme tel, ou encore qu’elle ne puisse être dite qu’entre les lignes pour quiconque est sujet de la Loi, puisque la Loi se fonde de cette interdiction même.
La loi en effet commanderait-elle : Jouis, que le sujet ne pourrait y répondre que par un: J’ouïs, où la jouissance ne serait plus que sous-entendue. »131
–
„Woran man sich halten muss, ist dies, dass die Jouissance dem, der spricht, als solchem untersagt ist, verboten ist – interdite – oder auch, dass sie nur zwischen den Zeilen gesagt werden kann, für jeden, der Subjekt des Gesetzes ist, da sich das Gesetz auf eben diese Untersagung gründet.
Denn würde das Gesetz befehlen: ‚Jouis!‘ – ‚Genieße!‘ –, könnte das Subjekt nur mit einem ‚J’ouïs‘ antworten – ‚Ich höre‘ –, womit die Jouissance nur noch angedeutet würde.“132
„Woran man sich halten muss“, damit beginnt dieser Absatz. Er schließt direkt an den Satz an, dass man bei der Verwendung des Symbols nicht auf einen Automatismus abzielen sollte. Also geht es offenbar auch darum, wie das
-Symbol zu verwenden ist.
Lacan kommt auf eine Annahme zurück, die er im Subversions-Aufsatz bereits vorher formuliert hatte: dass mir die Jouissance für gewöhnlich untersagt ist, verboten ist.133
Diese These wird jetzt neu artikuliert: Die Jouissance ist dem, der spricht, als solchem interdite – verboten, untersagt.
Das, was dem Sprechenden verboten ist, ist „die“ Jouissance. Da einem nicht jede Art der jouissance, der Lustbefriedigung, verboten ist, muss Lacan auch hier la jouissance wieder für bestimmte Arten der jouissance verwenden. Für welche? Vor dem Hintergrund der Freud’schen Psychoanalyse darf man wieder vermuten, dass er sich hier nicht zuletzt auf den Ödipuskomplex bezieht, also auf die inzestuöse Jouissance, sowie auf den Kastrationskomplex, also auf die mit der Masturbation verbundene Jouissance und damit auf das Masturbationsverbot gegenüber dem Jungen.
Die Jouissance ist dem, der spricht, „als solchem“ untersagt, damit dürfte gemeint sein: sie ist ihm bereits dadurch untersagt, dass er spricht, das Sprechen geht mit einer Jouissance-Untersagung einher. Nicht die Eltern sind der Urheber dieser Untersagung; die Jouissance-Untersagung ist ein Sprecheffekt.
Die Jouissance, heißt es weiter, kann für denjenigen, der Subjekt des Gesetzes ist, nur zwischen den Zeilen gesagt werden. Das Wort loi (Gesetz) wird hier von Lacan wie schon vorher in diesem Aufsatz großgeschrieben, es geht um la Loi, um Das Gesetz, und das Gesetz schlechthin ist für Lacan das Inzestverbot. Im Seminar Die Ethik der Psychoanalyse heißt es:
„Freud bringt, bezüglich des Fundaments der Moral, die Entdeckung, sagen die einen, die Bestätigung, sagen die anderen, die Bestätigung für die Entdeckung, glaube ich, dass das grundlegende Gesetz, das ursprüngliche Gesetz, dasjenige, mit dem die Kultur, insofern sie zur Natur in einen Gegensatz tritt, beginnt – die zwei Dinge werden nämlich von Freud vollkommen im modernen Sinne unterschieden, will sagen, in dem Sinn, in dem Lévi-Strauss das in unseren Tagen zu artikulieren vermag –, daß das grundlegende Gesetz das Gesetz des Inzestverbots ist.“134
Das Gesetz ist also ein Jouissance-Verbot; das Verbot, eine bestimmte Jouissance zu haben, ist ein Jouissance-Verbot in der Beziehung zur Mutter und zum Vater.
Was ist unter dem sujet des Gesetzes zu verstehen? Der Urheber des Gesetzes, der Gesetzgeber? Sicherlich nicht, Lacan hatte in diesem Aufsatz bereits betont, dass derjenige, der vorgibt, das Gesetz aufzustellen, ein Hochstapler ist; das Gesetz, hieß es dort, hat keinen Autor, sondern einen Repräsentanten, und als der ursprüngliche Repräsentant des Gesetzes könne der Vater angesehen werden.135 Ist mit „Subjekt des Gesetzes“ also derjenige gemeint, der im Namen des Gesetzes spricht (wie Fierens annimmt136)? Oder kommt hier eine andere Bedeutung von sujet ins Spiel, sujet als „Untertan“, ist das sujet de la Loi also der dem Gesetz Unterworfene? Oder beides?
Für jeden, der Subjekt des Gesetzes ist, kann die Jouissance nur zwischen den Zeilen gesagt werden, elle ne puisse être dite qu’entre les lignes, ein Wortspiel mit der Lautähnlichkeit von interdite („untersagt“) und dite … entre („zwischen … gesagt“). Auf die Jouissance kann demnach nur angespielt werden. Für Lacan gibt es also nicht nur eine Metonymie des Begehrens (eine Anspielung auf das Begehrte durch Substitution und Kombination von Ansprüchen), sondern auch eine Metonymie der Jouissance, wie Jacques-Alain Miller hervorhebt.137
Mehr als zehn Jahre später wird Lacan den Ausdruck dire entre so erläutern:
„Allerdings hat Freud die Bemerkung gemacht, dass es vielleicht ein Sagen gibt, dessen Wert darin bestünde, bis hier nur untersagt (inter-dit) zu sein. Das heißt unter gesagt (dit-entre), unter, zwischen den Zeilen. Das nannte er das Verdrängte (refoulé).“138
Die Jouissance, die nur zwischen den Zeilen gesagt werden kann, wäre demnach, in Freuds Terminologie, die der „verdrängten Sexualtriebe“139.
Warum kann für ein Subjekt des Gesetzes die Jouissance nur zwischen den Zeilen gesagt werden? Weil sich das Gesetz auf diese Untersagung gründet, auf die Untersagung, die an das Sprechen gebunden ist. Das Über-Ich (das Gesetz) ist sekundär, es stützt sich auf eine primäre Jouissance-Untersagung, die mit dem Sprechen einhergeht. Demnach gibt es einen zweistufigen Aufbau im Verbot der Jouissance. Erste Stufe: die mit dem Sprechen einhergehende Jouissance-Untersagung; zweite Stufe: Jouissance-Verbot durch das Gesetz, Eingreifen des Über-Ichs in die primäre Jouissance-Untersagung.
Das Jouissance-Verbot durch das Gesetz gründet sich auf die mit dem Sprechen einhergehende Jouissance-Untersagung. Inwiefern? Das wird im Folgenden noch ausgeführt, um den Hauptpunkt vorwegzunehmen: entscheidend ist dabei das Schuldgefühl.
Im Seminar Die Ethik der Psychoanalyse hatte Lacan gesagt,
„dass das Inzestverbot nichts anderes ist als die Bedingung dafür, dass das Sprechen subsistiert“140,
dass es fortbesteht. Der Zusammenhang zwischen Sprechen und Gesetz wird im Ethik-Seminar also anders dargestellt als im Subversions-Aufsatz. Im Ethik-Seminar heißt es: Das Sprechen gründet sich auf das Inzestverbot. Im Subversions-Aufsatz erfährt man: Das Inzestverbot gründet sich auf die mit dem Sprechen verbundene Jouissance-Untersagung. Widerspricht sich das? Nicht unbedingt, die beiden Thesen sollen ja etwas Unterschiedliches erklären; im Ethik-Seminar geht es um die Grundlage des Sprechens, im Subversions-Aufsatz um die Grundlage des Gesetzes.
Inwiefern gründet sich das Gesetz, durch das die Jouissance verboten wird, auf eine tiefer liegende Jouissance-Untersagung, eine, die an das Sprechen gebunden ist?
Lacan erläutert das mit einem Wortspiel, mit der Lautgleichheit von Jouis! (Genieße!) und J’ouïs (Ich höre). Ouïr ist ein selten gewordenes Verb, das sich nicht nur auf das akustische Hören bezieht, sondern auch auf das sinnverstehende Hören; ouïr des témoins bedeutet „Zeugen anhören“.
Angenommen also, das Gesetz würde die Jouissance nicht etwa verbieten, sondern gebieten: „Jouis!“, „Genieße!“. Dann wäre es mit der Jouissance-Untersagung keineswegs vorbei. Denn auf das vom Gesetz verkündete „Jouis!“ könnte das Subjekt nur mit einem „J’ouïs“ antworten, mit einem „Ich höre“.
Das Subjekt bleibt in dieser kleinen Lehrfabel nicht stumm, es antwortet. Und es verwendet dabei das Pronomen je, „ich“ („J’ouïs“, „ich höre“). Je es ist ein Element des Codes, der sich auf den Äußerungsvorgang bezieht, in dem das je geäußert wird. Das, worüber mit dem „ich“ gesprochen wird (das Ausgesagte), ist der Sprecher als Subjekt des gerade laufenden Äußerungsvorgangs.
Worüber spricht das Subjekt in seiner Antwort? Nicht über den Inhalt des Befehls, nicht über den Befehl auf der Ebene des énoncé, nicht über die Jouissance. Es spricht darüber, dass es den Befehl gehört und verstanden hat (was nicht unbedingt heißt, dass es ihm gehorchen will oder wird). Unabhängig davon, ob das Subjekt den Befehl befolgt oder sich ihm widersetzt, muss es ihn zunächst einmal hören, anhören, verstehen. Das Subjekt von Lacans Lehrbeispiel spricht darüber, dass es eine dem Inhalt des Befehls vorgelagerte Ebene gibt, die Ebene des Sinnverstehens, und dass es darin durch das Sprechen verwickelt ist. Der Bezug des Subjekts zur Jouissance geht durch das Sprechen hindurch.
In dieser Antwort des Subjekts wäre die Jouissance, sagt Lacan, nur sous-entendue, nur angedeutet, nur stillschweigend vorausgesetzt, auf sie würde nur angespielt. Anders gesagt, es gibt hierbei ein Jouissance-Verfehlen – die Jouissance, zu welcher der Befehl auffordert, wird verfehlt.
Das Subjekt macht sich demnach in jedem Fall dem Gesetz gegegenüber schuldig. Wenn ihm die Jouissance verboten wird, wird es das Verbot übertreten, wenn ihm die Jouissance geboten wird, wird es das Gebot nicht erfüllen können.
Die Jouissance muss also von der Einwirkung des Sprechens auf das Subjekt her verstanden werden, unabhängig vom ausgesagten Inhalt, unabhängig davon, ob in diesem Sprechen die Jouissance verboten oder geboten wird.
Nebenbei: Wer könnte dem Subjekt einen Genussbefehl erteilen? Im Seminar 10, Die Angst (1962/63), legt Lacan offen, wen er dabei im Sinn hat. Er spricht dort über ein Buch der hebräischen Bibel, das unterschiedlich betitelt wird, als Kohelet oder Ekklesiastes oder Prediger, und er sagt dazu:
„Was lehrt es uns, dieses Buch, das ich heiliges und ruchlosestes Buch genannt habe? […] Gott fordert von mir zu genießen – wörtlich. Die Bibel, das ist schließlich das Wort Gottes.“
Damit bezieht er sich auf folgenden Vers:
„Genieße das Leben mit der Frau, die du lieb hast, solange du das eitle Leben hast, das dir Gott unter der Sonne gegeben hat.“141
Der Gott der Juden ist, sagt Lacan im Angst-Seminar weiter, ein Gott,
„mit dem man spricht, ein Gott, der etwas von Ihnen fordert (demande), und der Ihnen im Ekklesiastes befiehlt: Genieße – das ist wahrlich der Gipfel.
Genießen auf Befehl, das ist doch etwas, bei dem jeder spürt, dass es, wenn es eine Quelle, einen Ursprung der Angst gibt, diese Quelle dennoch dadurch sich irgendwo gut finden lassen muss. Auf Genieße (Jouis) kann ich nur eine Sache antworten, das ist Ich höre (J’ouïs), aber natürlich genieße ich deswegen nicht so ohne Weiteres.“142
Derjenige, der den Genussbefehl erteilt, ist hiernach Gott.
In späteren Seminaren wird Lacan mehrmals auf diesen Vers zurückkommen143, in Seminar 20 von 1972/73, Encore, wird daraus: „Das Über-Ich, das ist der Imperativ des Genießens – Genieße!“144
(2) Lustprinzip als Grenze
… « Mais ce n’est pas la Loi elle-même qui barre l’accès du sujet à la jouissance, seulement fait-elle d’une barrière presque naturelle un sujet barré. Car c’est le plaisir qui apporte à la jouissance ses limites, le plaisir comme liaison de la vie, incohérente, jusqu’à ce qu’une autre, et elle non contestable, interdiction s’élève de cette régulation découverte par Freud comme processus primaire et pertinente loi du plaisir. »145
–
… „Doch nicht das Gesetz selbst versperrt den Zugang des Subjekts zur Jouissance, es macht nur aus einer fast natürlichen Sperre ein versperrtes Subjekt. Denn was der Jouissance Grenzen setzt, ist die Lust (plaisir), die Lust als inkohärente Bindung des Lebens, bis sich aus dieser Regulierung – die von Freud als Primärvorgang und als dazugehörendes Gesetz der Lust entdeckt wurde – eine andere Untersagung erhebt, die selbst nicht bestreitbar ist.“146
Es gibt eine weitere Größe, so heißt es im Subversions-Aufsatz weiter, die den Zugang des Subjekts zur Jouissance versperrt und die dem Gesetz und der Sprech-Untersagung gewissermaßen vorgelagert ist. Diese andere Jouissance-Sperre ist die Lust.
Gemeint ist hier die Lust im Sinne der Vermeidung von Unlust und damit das Lustprinzip oder, wie Freud in der Traumdeutung schreibt, die „Regulierung durch das Unlustprinzip“147, also durch das Prinzip, Unlust zu vermeiden.
Im Seminar über die Ethik der Psychoanalyse hatte Lacan es so formuliert: In der Tradition der Moralisten gilt die Lust als ein Gut. Dabei ist klar,
„dass das Lustprinzip in seiner ersten Formulierung als Unlustprinzip oder Prinzip des geringeren Leidens sich tatsächlich auf ein Jenseits bezieht, aber gerade dazu da ist, uns diesseits zu halten. Die Verwendung, die das Gute [also das Lustprinzip] hier erfährt, kann so zusammengefasst werden, dass es uns alles in allem von unserer Jouissance fernhält.
Nichts in unserer klinischen Erfahrung ist offenkundiger. Wer wird, im Namen der Lust, nicht weich beim ersten nur ein wenig ernsthaften Schritt auf seine Jouissance hin? Berühren wir das nicht jeden Tag mit dem Finger?“148
Aus dem „Lustprinzip“ wird bei Lacan im Subversions-Aufsatz le loi du plaisir – loi mit kleinem l –, das Gesetz der Lust (bereits im Ethik- Seminar hatte er das Lustprinzip als „Gesetz“ bezeichnet149).
Beim Blockieren des Jouissance-Zugangs sind also zwei Gesetze wirksam, das Gesetz der Lust, loi mit kleinem l, und das Gesetz aller Gesetze, das Inzestverbot, Loi mit großem L.
Das Lustprinzip oder Gesetz der Lust bestimmt die Arbeitsweise des Unbewussten, den sogenannten Primärprozess.150
Zuvor hieß es, die Jouissance sei dem, der spricht untersagt, jetzt heißt es, das Lustprinzip setze der Jouissance Grenzen. Offenbar stehen das Sprechen und das Lustprinzip für Lacan in einem engen Zusammenhang. Im Seminar über die Ethik der Psychoanalyse hieß es dazu, dass der Mensch
„dem unterworfen ist, was Freud das Lustprinzip nennt, und bei dem es, wie ich hoffe, in ihrem Kopf klar ist, dass es nichts anderes ist als die Herrschaft des Signifikanten – ich sage, das wirkliche Lustprinzip, wie es bei Freud im Spiel ist.“151
In welchem Verhältnis also steht das Lustprinzip zu den Signifikantenbeziehungen und damit zum Sprechen? In derselben Sitzung des Ethik-Seminars hatte Lacan folgende Antwort gegeben:
„Dieses Verhältnis beruht zur Gänze darauf, dass das Lustprinzip fundamental in der Ordnung der Besetzung* wirkt, in deren Bahnungen*, und dass es befördert wird durch die Vorstellungen* und mehr noch […] durch das, was er Vorstellungsrepräsentanzen* nennt. Jedesmal, wenn ein Bedürfniszustand hervorgerufen wird, neigt das Lustprinzip dazu, eine Wiederbesetzung in seinem Grund hervorzurufen – in Gänsefüßchen, denn auf dieser metapsychologischen Ebene geht es nicht um Klinik –, eine halluzinatorische Wiederbesetzung dessen, was ehedem befriedigende Halluzination gewesen ist.“152
Das Sprechen führt zur Herrschaft des Signifikanten, und die Signifikanten sind dem Lustprinzip unterworfen, insofern es eine Tendenz gibt, die Vorstellungen oder Vorstellungsrepräsentanzen oder Signifikanten wiederzubesetzen.
Wie funktioniert das Versperren des Jouissance-Zugangs durch das Lustprinzip? Die Erfüllung bestimmter Wünsche, schreibt Freud,
„würde nicht mehr einen Lust-, sondern einen Unlustaffefkt hervorrufen, und eben diese Affektverwandlung macht das Wesen dessen aus, was wir als ‚Verdrängung‘ bezeichnen.“153
Und in Jenseits des Lustprinzips liest man zu den verdrängten Trieben:
„Gelingt es ihnen dann, was bei den verdrängten Sexualtrieben so leicht geschieht, sich auf Umwegen zu einer direkten oder Ersatzbefriedigung durchzuringen, so wird dieser Erfolg, der sonst eine Lustmöglichkeit gewesen wäre, vom Ich als Unlust empfunden. Infolge des alten, in die Verdrängung auslaufenden Konfliktes hat das Lustprinzip einen neuerlichen Durchbruch erfahren, gerade während gewisse Triebe am Werke waren, in Befolgung des Prinzips neue Lust zu gewinnen. Die Einzelheiter des Vorganges, durch welchen die Verdrängung eine Lustmöglichkeit in eine Unlustquelle verwandelt, sind noch nicht gut verstanden oder nicht klar darstellbar, aber sicherlich ist alle neurotische Unlust von solcher Art, ist Lust, die nicht als solche empfunden werden kann.“154
Die Befriedigung des verdrängten Triebs wird als Unlust empfunden und bringt damit das Lustprinzip als Kraft der neuerlichen Triebverdrängung ins Spiel.
Im Seminar über die Ethik formuliert Lacan diesen Zusammenhang so:
„Schon vor den extremen Formulierungen in Das Unbehagen in der Kultur ist klar, dass das Lustprinzip in seiner ersten Formulierung als Unlustprinzip oder Prinzip des geringsten Leidens sich tatsächlich auf ein Jenseits bezieht, aber gerade dazu da ist, uns diesseits zu halten. Die Verwendung, die das Gute hier erfährt, kann so zusammengefasst werden, dass es uns alles in allem von unserer Jouissance fernhält.“155
Die Sperre, die das Lustprinzip gegenüber der Jouissance verhängt, ist also die Unlust, der Schmerz. Diese Sperre, das muss man hinzufügen, ist keineswegs unüberwindlich; sie sorgt aber dafür, dass man bei ihrer Überwindung nicht weit kommt.
Lacan verweist oft auf diesen Zusammenhang, beispielsweise im Angst-Seminar:
„Das Symptom ist seiner Natur nach Jouissance, eine Jouissance, die sich sicherlich verkrochen hat, unterbliebene Befriedigung*, es braucht Sie nicht, wie das acting out, es ist sich genug. Es gehört in den Bereich dessen, was ich Sie vom Begehren als Jouissance zu unterscheiden gelehrt habe, das heißt das, was selbst in Richtung Ding (Chose) geht, nach Überschreiten der Barriere des Guten – eine Bezugnahme auf mein Seminar über die Ethik –, das heißt des Lustprinzips. und deshalb kann sich diese Jouissance durch eine Unlust* ausdrücken – für diejenigen, die es noch nicht verstanden haben, dieses deutsche Wort bedeutet déplaisir.“156
Die Lust, so heißt es an dieser Stelle im Subversions-Aufsatz, fungiert als inkohärente Bindung des Lebens. Auch damit schließt Lacan an Freud an, an dessen Begriff der Lebenstriebe. Die Lebenstriebe haben, Freud zufolge, das Ziel,
„immer größere Einheiten herzustellen und so zu erhalten, also Bindung“157.
Diese Bindung ist inkohärent, also zugleich nicht-zusammenhaltend; die bindenden Lebenstriebe sind, Freud zufolge, nie ohne die auflösenden Todestriebe wirksam.
Die Versperrung des Jouissance-Zugangs durch das Lustprinzip ist „fast natürlich“, heißt es im Subversions-Aufsatz weiter. Freud begreift das Lustprinzip als etwas Natürliches; er ordnet es den Lebenstrieben zu158 und damit dem Organischen, und er meint,
„dass die Bezeichnung des Lustprinzips als Wächter des Lebens nicht abgelehnt werden kann“159.
Für Lacan ist das Lustprinzip jedoch nur „fast“ natürlich. Im Seminar über die Ethik hatte er Lefèvre-Pontalis darin zugestimmt,
„daß das Lustprinzip keiner Niederschrift fähig ist in einem biologischen Bezug.“160
Vielmehr müsse das Lustprinzip vom Unbewussten her begriffen werden, als Regulierung des Primärvorgangs. Im Ethik-Seminar heißt es hierzu:
„Die Funktion des Lustprinzips besteht in der Tat darin, das Subjekt von Signifikant zu Signifikant zu tragen, indem es soviele Signifikanten setzt, als notwendig ist, um jenes Spannungsniveau möglichst niedrig zu halten, das das gesamte Funktionieren des psychischen Apparats regelt.“161
Über der Regulierung durch das Lustprinzip erhebt sich eine andere Untersagung, ein anderes Verbot, in Freuds Begrifflichkeit: der Sekundärprozess.
Diese zweite Form der Untersagung ist non contestable, nicht bestreitbar, behauptet Lacan. Vielleicht insofern, als man sich, sobald man etwas bestreitet, in der Ordnung des Sekundärprozesses bewegt?
Das Gesetz (das Inzestverbot, das Über-Ich) macht aus einer fast natürlichen Sperre ein sujet barré, ein versperrtes, ein ausgestrichenes Subjekt, ein Subjekt, das durch ein Unbewusstes bestimmt ist, einen Ort, zu dem es keinen Zugang hat, der für es versperrt ist, ausgestrichen ist. Das Inzestverbot (bzw. der Name-des-Vaters) ist für Lacan die Bedingung für das Unbewusste.
In Seminar 16, Von einem Anderen zum anderen, wird Lacan den Zusammenhang von Lustprinzip und Inzestverbot so formulieren:
„Das Denken ist genau die Vorstellungsrepräsentanz*, durch welche die Tatsache repräsentiert wird, dass es Nicht-Repräsentierbares gibt, da es durch die Untersagung der Jouissance versperrt ist. Auf welcher Ebene? Auf der einfachsten, auf der organischen Ebene. Das Lustprinzip ist diese Barriere gegenüber der Jouissance und nichts anderes. Dass diese Barriere durch das Verbot der Mutter metaphorisiert wird, ist letztlich nur ein historischer Zufall, und der Ödipuskomplex selbst ist daran nur angehängt.“162
Das Lustprinzip ist hier nicht mehr nur eine fast natürliche Barriere, sondern schlicht organisch.
(3) Jouissance-Opfer und Phallus-Symbol
… « On a dit que Freud n’a fait là que suivre la voie où déjà s’avançait la science de son temps, voire la tradition d’un long passé. Pour mesurer la vraie audace de son pas, il suffit de considérer sa récompense, qui ne s’est pas fait attendre : l’échec sur l’hétéroclite du complexe de castration.
C’est la seule indication de cette jouissance dans son infinitude qui comporte la marque de son interdiction, et, pour constituer cette marque, implique un sacrifice : celui qui tient en un seul et même acte avec le choix de son symbole, le phallus. »163
–
… „Man hat gesagt, Freud sei hier nur dem Weg gefolgt, den die Wissenschaft seiner Zeit, ja die Überlieferung einer langen Vergangenheit bereits eingeschlagen hatte. Um die wahre Kühnheit seines Schrittes zu ermessen, genügt es, sich die Belohnung anzuschauen, die nicht lange auf sich warten ließ: das Scheitern am Heterokliten des Kastrationskomplexes.
Allein schon der Hinweis auf diese Jouissance in ihrer Unendlichkeit führt die Markierung ihrer Untersagung mit sich und impliziert, zur Konstituierung dieser Markierung, ein Opfer: dasjenige, das in ein und demselben Akt mit der Wahl seines Symbols verbunden ist, dem Phallus.“164
Manche sagen (fährt Lacan also fort), Freud sei den Weg der Wissenschaft seiner Zeit gegangen, ja, er sei nur einer langen Überlieferung gefolgt. In Bezug worauf? Ich nehme an, in Sachen Lustprinzip. Den Terminus „Lustprinzip“ hatte bereits Gustav Theodor Fechner verwendet und Freud hatte sich auf ihn berufen, etwa hier:
„Es kann uns aber nicht gleichgültig lassen, wenn wir finden, daß ein so tiefblickender Forscher wie G. Th. Fechner eine Auffassung von Lust und Unlust vertreten hat, welche im wesentlichen mit der zusammenfällt, die uns von der psychoanalytischen Arbeit aufgedrängt wird.“165
Die „Überlieferung einer langen Vergangenheit“ wäre dann wohl der Hedonismus als Lehre von der Lust als dem höchsten Gut, wie man sie etwa bei Epikur findet und zu der auch Aristoteles’ Diskussion der Lust gehört, auf die sich Lacan im Ethik-Seminar bezogen hatte.166
Der Kastrationskomplex
Mit dieser Einordnung verkenne man jedoch, sagt Lacan, die Kühnheit von Freuds Schritt. Freuds Wagemut sieht man am „Scheitern am Heterokliten des Kastrationskomplexes“. Der Kastrationskomplex ist „heteroklit“; dieser Ausdruck geht auf Heteroklisie zurück, womit in der Grammatik die abweichende Flexion eines Wortes gemeint ist; der Kastrationskomplex passt nicht ins Schema, er ist etwas Unerwartetes, er war „bis Freud vollkommen unbekannt“, wie Lacan im Subversions-Aufsatz zuvor betont hatte.167
Wer scheitert am außergewöhnlichen Charakter des Kastrationskomplexes? Nach früheren Bemerkungen in diesem Aufsatz sind das die Psychoanalytiker; in der Psychoanalyse, so hieß es dort, habe man sich „bemüht, sich mit ihm [mit dem Kastrationskomplex] gerade nicht auseinanderzusetzen“168.
Das Neuartige an Freuds Version des Lustprinzips ist demnach, so deutet Lacan hier an, die Verbindung des Lustprinzips mit dem Kastrationskomplex.
Bereits schon der Hinweis auf diese Jouissance, heißt es weiter, führt das Kennzeichen ihrer Untersagung mit sich. Der Übergang vom Kastrationskomplex zur Jouissance-Untersagung signalisiert, dass beim Kastrationskomplex eine Jouissance-Untersagung im Spiel ist. Das Lustprinzip ist auf eine Jouissance-Untersagung zu beziehen, und damit nähert man sich einem angemessenen Verständnis des Kastrationskomplexes.
Auch dies lässt sich auf den Graphen des Begehrens beziehen, dort ist der im Text angesprochene Zusammenhang die Beziehung zwischen den beiden Enden der oberen von links nach rechts verlaufenden Pfeillinie, die Beziehung zwischen Jouissance und Kastration.
„Allein schon der Hinweis auf die Jouissance …“ – welcher Hinweis, welche indication, ist gemeint? Ich nehme an, dass Lacan sich hier auf seine vorangehenden Bemerkungen über das Verhältnis von Gesetz und Untersagung bezieht sowie auf das Wortspiel jouis/j’ouïs: Ob die Jouissance vom Gesetz nun verboten oder befohlen wird, in beiden Fällen wird über sie gesprochen, in beiden Fällen kommt es zu einer „Unter-Sagung“ im Sinne einer Einwirkung der Sprache; die Lautähnlichkeit von indication und interdiction soll dieses Argument möglicherweise unterstützen.
Lacan bezieht sich an dieser Stelle nicht einfach auf die Jouissance, sondern „auf diese Jouissance in ihrer Unendlichkeit“. Das ist das erste Mal, dass er in seinen Seminaren und Aufsätzen von der Unendlichkeit der Jouissance spricht, erst einige Jahre später wird wieder von einer „unendlichen Jouissance“ die Rede sein169. Da Freud nirgendwo von einer „unendlichen“ Lust oder Triebbefriedigung oder Erregung spricht, muss man nach anderen Stützpunkten suchen. Spielt Lacan hier auf eine Bemerkung von Krafft-Ebing170 in der Psychopathia sexualis an? Dort heißt es:
„Die Liebe ist in beiden Gebieten, dem religiösen und dem sexuellen, eine mystische und transcendente, d. h. es tritt bei der Geschlechtsliebe das eigentliche Ziel des Triebes, die Propagation der Gattung, nicht ins Bewusstsein, und die Stärke des Impulses ist mächtiger, als irgendeine ins Bewusstsein gelangende Befriedigung rechtfertigen könnte. Auf religiösem Gebiete aber ist das erstrebte Gut und das geliebte Wesen seiner Natur nach so beschaffen, dass es nicht in die empirische Erkenntniss eingehen kann. Beide seelische Vorgänge lassen deshalb der Phantasie den weitesten Spielraum.
Beide haben aber auch einen ‚unendlichen‘ Gegenstand, insofern die Seligkeit, welche der Geschlechtstrieb vorspiegelt, gegenüber allen anderen Lustgefühlen als unvergleichbar und unmessbar erscheint, und das Gleiche von den versprochenen Seligkeiten des Glaubens gilt, die als zeitlich und qualitativ unendlich vorgestellt werden.“171
Wie auch immer, auf jeden Fall konnotiert die Rede vom Unendlichen nicht nur die Mathematik, sondern auch die christliche Mystik und Theologie; man denke etwa an Pascals berühmte Wette, in der es heißt, „nun ist hier aber eine Unendlichkeit von unendlich glücklichen Leben zu gewinnen“172. Bei der Jouissance geht es auch, so soll mit dem Verweis auf die Unendlichkeit vielleicht angedeutet werden, um die Beziehung zu Gott, in Lacans Terminologie: zum höchsten Anderen.
Was könnte darüber hinaus mit der unendlichen Jouissance gemeint sein? Die inzestuöse Jouissance in der Beziehung zur Mutter? Dafür spricht, dass Lacan danach zur Untersagung übergeht.
Die Markierung der Jouissance-Untersagung
Der Hinweis auf die Jouissance in ihrer Unendlichkeit führt die „marque“ ihrer Untersagung mit sich. Marque kann mit „Markierung“ übersetzt werden, wie ich es getan habe, aber auch mit „Kennzeichen“, „Marke“, „Abdruck“, „Prägung“ usw. Eine Markierung besteht darin, dass etwas auf etwas einwirkt, und dies nicht nur flüchtig, sondern so, dass die Intervention einen dauerhaften Effekt hinterlässt.
Das erinnert an Lacans Definition des Phallus. Der Phallus ist der Signifikant, so hieß es in Seminar 5 von 1957/58, Die Bildungen des Unbewussten,
„der dazu dient, den Effekt, die Markierung, den Abdruck, die Wunde der Gesamtheit der Signifikanten, insofern er sich auf das menschliche Subjekt bezieht, zu bezeichnen, und dass es im Namen der Instanz des Signifikanten bei ihm Dinge gibt, die bedeutet werden.“173
Eine Markierung ist demnach einem Abdruck vergleichbar oder auch einer Wunde, also einem Trauma. Die Signifikanten sind nicht nur untereinander verbunden, sie wirken auch auf etwas ein, auf etwas, das kein Signifikant ist, und wenn sich diese Einwirkung durch eine gewisse Dauerhaftigkeit auszeichnet, spricht Lacan, vielleicht mit einem Seitenblick auf den Begriff des Traumas, von einer Markierung.
Das Einwirkende ist die Gesamtheit der Signifikanten. Diese Gesamtheit wirkt auf etwas ein, das im Subversions-Aufsatz als jouissance bezeichnet wird. Das Sprechen wirkt auf die Jouissance ein, diese Einwirkung hat den Charakter einer Untersagung, eines Verbots, und mehr noch: sie hinterlässt eine Markierung, sie prägt sich dauerhaft ein.
Die Verbindung zwischen dem Lustprinzip und dem Kastrationskomplex besteht demnach unter anderem darin, dass das Sprechen eine Jouissance-Untersagung hervorruft, die den Charakter einer dauerhaften Einprägung hat.
Das Jouissance-Opfer
Wie kommt es zu dieser Markierung, wodurch wird das Jouissance-Verbot zu einem dauerhaften Merkmal des Unbewussten? Die Markierung der untersagten Jouissance wird, so heißt es an der zuletzt zitierten Stelle des Subversions-Aufsatzes, durch ein sacrifice konstituiert, durch ein Opfer. Der deutsche Ausdruck Opfer ist mehrdeutig, er bezieht sich sowohl auf die Opferhandlung als auch auf das geopferte Objekt, im Französischen wird das unterschieden: als sacrifice (Opferhandlung) und victime (geopfertes Objekt). Die Markierung wird durch eine Opferhandlung erzeugt, durch eine Opferung.
Mit dem Terminus des Opfers knüpft Lacan an Freud an. Freud spricht vom „Opfer an Triebbefriedigung“174, vom „Triebopfer“175, er rezipiert ethnologische Theorien des Opfers und begreift den Urvatermord als erste Opferhandlung.176
Was wird wodurch für wen geopfert?
In Seminar 6, Das Begehren und seine Deutung, hieß es: Was dem Subjekt verborgen bleibt, ist
„dieses Opfer seiner selbst, dieses ‚Pfund Fleisch‘, das verwickelt ist in sein Verhältnis zum Signifikanten; und weil etwas an dessen Platz gelangt, wird dies zum Objekt im Begehren.“177
Was geopfert wird, ist das „Pfund Fleisch“ des Subjekts. Lacan spielt mit dieser Metapher – auf dem Weg über Shakespeares Kaufmann von Venedig – auf den Kastrationskomplex an. In Seminar 7 von 1959/60, Die Ethik der Psychoanalyse, war Lacan auf die Metapher vom Pfund Fleisch zurückgekommen:
„Sublimieren Sie, was immer Sie wollen, es muss jedoch mit etwas bezahlt werden. Dieses Etwas heißt Jouissance, und diese mystische Operation bezahle ich mit einem ‚Pfund Fleisch‘.“178
Das „Pfund Fleisch“, das geopfert wird, ist die Jouissance. Die Jouissance ist in das Verhältnis zum Signifikanten verwickelt, und dies hat zur Folge, dass die Jouissance geopfert wird.
Also wird man sagen dürfen: Die Markierung wird durch ein Opfer konstituiert; das, was geopfert wird, ist die Jouissance (oder ein Teil der Jouissance); das, wodurch sie geopfert wird, ist die Beziehung des Subjekts zum Signifikanten.
Beim Kastrationskomplex handelt es sich also nicht nur darum, dass die Jouissance untersagt wird (durch das Sprechen, durch das Gesetz, durch das Lustprinzip), wichtig ist zudem, dass die Untersagung den Charakter einer Markierung hat, und es geht auch darum, dass diese Markierung durch ein Opfer konstituiert wird.
Wie funktioniert ein Opfer? In Seminar 10 von 1962/63, Die Angst, wird Lacan die folgende Antwort geben:
„Ich möchte Ihnen kurz sagen […], dass das Opfer seine Bestimmung keineswegs in der Opfergabe hat und auch nicht in der Gabe, die sich in einer ganz anderen Dimension ausbreiten, sondern darin, das Begehren des Anderen als solchen im Netz des Begehrens einzufangen.“179
In Seminar 11, Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse, wird Lacan darauf hinweisen, dass vom Opfer angenommen wird, dass es die Kraft hat, das Begehren Gottes zu wecken.180
Der Kastrationskomplex stiftet demnach eine Beziehung zwischen Jouissance und Begehren. Durch die Einprägung einer Jouissance-Untersagung auf der Seite des Subjekts wird ein Opfer konstituiert, und dieses Jouissance-Opfer hat die Aufgabe, das Begehren des Anderen einzufangen.
Das Begehren des Anderen wird im Subversions-Aufsatz durch das Symbol Ⱥ repräsentiert, als Komponente der Formel S(Ⱥ). Im Anderen gibt es keine Wahrheitsgarantie, keine Garantie für den Sinn des Gesetzes, es fehlt hier ein Signifikant, es gibt hier eine „symbolische Kastration“, wie Lacan das einmal nennt181, und das Subjekt versucht, dieses Problem dadurch zu lösen, dass es seine Jouissance-Untersagung dem Anderen als Opfer darbringt.
Interessant sind in diesem Zusammenhang Überlegungen von Krafft-Ebing zum Opfer (man findet sie kurz nach seiner weiter oben zitierten Bemerkung über das Unendliche):
„Beide seelische Erregungen [die der Liebe und die der Religion] können aber auch in den Trieb zur (activ geübten oder passiv erduldeten) Grausamkeit umschlagen.
Innerhalb des religiösen Lebens kommt es dazu durch das Opfer. Dieses wird zuerst mit der Vorstellung dargebracht, dass es von der Gottheit materiell genossen wird, dann, dass es ihr zu Ehren, als Zeichen der Unterwerfung, als Tribut, dargebracht wird, endlich dass die Sünde und Verschuldung gegen die Gottheit getilgt und die Seligkeit erworben wird.
Besteht das Opfer aber, wie in allen Religionen vorkömmt, in einer Selbstpeinigung, so dient es bei religiös sehr erregbaren Naturen nicht nur als Symbol der Unterwerfung und als ein Aequivalent im Tausch gegenwärtiger Unlust gegen künftige Lust, sondern Alles, was als von der unendlich geliebten Gottheit kommend gedacht wird, was auf ihren Befehl oder ihr zu Ehren geschieht, wird direct als Lust empfunden. Die religiöse Schwärmerei führt dann zur Ekstase, zu einem Zustand, in dem das Bewusstsein derart von psychischen Lustgefühlen präoccupirt ist, dass die Vorstellung der erduldeten Misshandlung nur ohne ihre Schmerzqualität appercipiert werden kann.
Auch activ kann die Exaltation der religiösen Schwärmerei zur Freude an der Opferung Anderer führen, wenn das Mitleid mit fremdem Schmerz von religiösen Lustgefühlen übercompensirt wird.
Dass es auf dem Gebiete des Geschlechtslebens zu ähnlichen Erscheinungen kommen kann, zeigt der Sadismus und ganz besonders der Masochismus (s. u.).
So lässt sich die oft constatirte Verwandtschaft von Religion, Wollust und Grausamkeit(Anm.) etwa auf die folgende Formel bringen: Religiöser und sexueller Affectzustand zeigen auf der Höhe ihrer Entwicklung Uebereinstimmung im Quantum und Quale der Erregung und können deshalb unter geeigneten Verhältnissen vicariiren. Beide können unter pathologischen Bedingungen in Grausamkeit umschlagen.“182
Der Bezug auf das Opfer ermöglicht es, Krafft-Ebing zufolge, eine Verbindung zwischen sexuellen Lustgefühlen, Schmerz und Gottheit herzustellen. Das Opfer erschließt für ihn einen Zusammenhang von Unterwerfung, Sünde und Schuld, verweist auf den Tausch von gegenwärtiger Unlust gegen zukünftige Lust und bahnt damit einen Weg zum Verständnis von Masochismus und Sadismus.
(Kleine Abschweifung:) Nach dem Hinweis auf „Wollust, Religion und Grausamkeit“ findet man bei Krafft-Ebing die folgende Fußnote:
„Dieses Trivium findet seinen Ausdruck nicht nur in den oben geschilderten Erscheinungen des wirklichen Lebens, sondern auch in der frömmelnden Literatur und selbst in der bildenden Kunst sinkender Zeiten. Berüchtigt in dieser Beziehung ist z. B. die Gruppe der hl. Theresa von Bernini, die in ‚hysterischer Ohnmacht auf eine Marmorwolke sinkt, während ein verbuhlter Engel ihr den Pfeil (der göttlichen Liebe) ins Herz schleudert‘ (Lübke).“183
Vielen Lacan-Lesern ist bekannt, dass Lacan im Encore-Seminare ebenfalls auf Berninis Skulpturengruppe von der Verzückung der heiligen Theresa verweist184; weniger oft wird erwähnt, dass er bereits im Angst-Seminar auf diese Heilige verwiesen hatte. Dort heißt es, die Frau könne sich für ihr Verhältnis zum Objekt a auf ein ready-made-Phantasma beziehen, wofür sie allerdings etwas Mumm brauche; er fährt dann so fort:
„Ich habe im Bereich des Normalen diesen Typ handfeste Fickerin im Auge, wofür uns die heilige Theresa von Avila das edelste Beispiel gibt.“185
Das ready-made Phantasma, für das es etwas Mumm braucht, ist im Falle von Theresa das Bild von Christus als dem Gekreuzigten, mit seinen Wunden und seinen Schmerzen. (Ende der Abschweifung)
Phallus als Symbol der geopferten Jouissance
An dieser Stelle bringt Lacan im Subversions-Aufsatz den Phallus ins Spiel. Die Markierung der Jouissance-Untersagung wird durch ein Opfer konstituiert und dieses Opfer geht einher mit der Wahl eines Symbols für dieses Opfer. Dieses Symbol ist der Phallus. Der Phallus ist das Symbol des Jouissance-Opfers. Der Phallus symbolisiert die durch das „Gesetz“ (durch das Inzestverbot) geopferte Jouissance.
Freud bezeichnet als Symbole solche manifesten Elemente eines Traums, die in einem festen Zusammenhang zu den latenten Bedeutungen stehen, deren Sinn also nicht durch die freien Einfälle des Träumers erschlossen werden muss. Beispielsweise stellen (wie Freud annimmt) Kaiser und Kaiserin zumeist die Eltern des Träumenden dar und längliche Objekte und Waffen das männliche Genitale.186
Lacan hatte den Begriff „Symbol“ zunächst (im Rom-Vortrag von 1953) synonym mit dem des Signifikanten verwendet, hatte sich jedoch in einem Aufsatz über Ernest Jones’ Theorie der Symbolik (geschrieben 1959) einer engeren Verwendung des Begriffs angenähert. Jones zufolge beziehen Symbole sich auf primary ideas wie „Vater sein“, „geboren sein“ usw.187; Lacan hatte diese primary ideas umgedeutet in „Vernabelungsstellen des Subjekts in den Einschnitten des Signifikanten“, grundlegend sei dabei die Urverdrängung.188 Im Seminar Die Übertragung von 1960/62 heißt es über den Phallus-Signifikanten:
„Signifikant sagen ich deshalb, weil er als solcher verwendet wird. Doch als ich ihn gerade einführte, sagte ich: das Symbol Phallus, und das ist vielleicht in Wirklichkeit der einzige Signifikant, der in unserem Register, und zwar auf absolute Weise, den Titel Symbol verdient.“189
Man wird an dieser Stelle des Subversions-Aufsatzes unter einem Symbol also einen Signifikanten verstehen dürfen, der auf eine fundamentale Beziehung des Subjekts zur Sprache verweist. Der Phallus ist das Symbol der Jouissance, und das heißt: der Jouissance in ihrem Verhältnis zum Signifikanten, zur Sprache. Der Phallus ist das Symbol der Jouissance, insofern sie durch den Sprachbezug untersagt ist und geopfert wird.
Möglicherweise stützt Lacan sich hier außerdem auf Saussures Unterscheidung zwischen einem Zeichen und einem Symbol; bei einem Zeichen ist die Beziehung zwischen Signifikant und Signifikat arbiträr, bei einem Symbol nicht. Beispielsweise ist die Waage ein Symbol der Gerechtigkeit, sie kann nicht durch etwas anderes, etwa einen Wagen, ersetzt werden.190
Ein Beispiel für den Phallus als Symbol gibt Lacan in Seminar 6 von 1958/59, Das Begehren und seine Deutung. Es geht um die Beziehung von Hamlet zu Ophelia, in dem Moment, in dem er sie verstößt.191 Lacan deutet die Szene so:
„Sie [Ophelia] wird für ihn [für Hamlet] die Trägerin von Kindern, von allen Sünden, zu derjenigen, die dazu bestimmt ist, die Sünder zu gebären und diejenige, die dann dazu bestimmt ist, unter all den Verleumdungen zusammenzubrechen. Sie wird schlicht und einfach zur Trägerin eines Lebens, dass in seinem Wesen für Hamlet verdammt ist. Kurz, was sich in diesem Augenblick herstellt, ist die Zerstörung oder der Verlust des Objekts, das in seinen narzisstischen Rahmen reintegriert wird. Für das Subjekt erscheint das Objekt, wenn ich so sagen darf, außerhalb.
Das, wovon dieses Objekt das Äquivalent ist, nach der Formel, die ich eben verwendet habe, das, dessen Platz dieses Objekt einnimmt und was dem Subjekt [Hamlet] erst in dem Moment gegeben werden kann, wo es [nämlich das Objekt] sich buchstäblich opfert [durch den Selbstmord], wo es nicht mehr es selbst ist, wo das Subjekt es mit seinem ganzen Sein zurückweist, dieses Objekt ist auf einzigartige Weise der Phallus.
Inwiefern ist Ophelia in diesem Augenblick der Phallus? Insofern das Subjekt hier den Phallus als signifikantes Symbol des Lebens exteriorisiert und als solchen verwirft.“192
Ophelia wird für Hamlet dadurch zum Phallus, dass sie für ihn zum Symbol des Lebens wird und dass er sie in dieser Funktion von sich stößt. Später, im Subversions-Aufsatz, wird der Phallus nicht mehr als Symbol des Lebens bestimmt, das verworfen wird, sondern als Symbol der Jouissance, die untersagt und geopfert wird.
Im Seminar 10, Die Angst (1962/63), also kurz nach dem Subversions-Aufsatz, hat Lacan diesen Begriffswechsel bereits vollziehen, er bezieht den Phallus in diesem Seminar statt auf das Leben auf die Jouissance. Er spricht hier über den Traum des „Wolfsmanns“ von den Wölfen, die auf einem Baum hocken.193
Zeichnung des „Wolfsmanns“ von seinem Traum mit den Wölfen194
Wo ist darin der Phallus?
„Er ist darin, wenn ich so sagen darf, überall, identisch mit dem, was ich die Katatonie des Bildes nennen könnte: dieser Baum, die hockenden Wölfe, die […] das Subjekt starr anblicken. Es ist keineswegs nötig, bei dem fünf Mal wiederholten Pelz vom Schwanz der fünf Tiere zu suchen. Worum es geht, das ist, wie gesagt, hier, in der vom Bild getragenen Spiegelung einer Katatonie, die keine andere ist als die des Subjekts, des wie durch einen Medusenblick erstarrten Kindes, des Kindes, das von dem, was es sieht, fasziniert ist und das durch diese Faszination derart gelähmt ist, dass wir das, wovon es in der Szene angeblickt wird – und das, da es überall ist, in gewissem Sinne unsichtbar ist –, dass wir dies gut als das Bild begreifen können, das hier nichts anderes ist als die Transposition des erstarrten Zustandes seines eigenen Körpers, der hier in diesen Baum verwandelt ist, den wir, um auf einen berühmten Titel ein Echo zu geben195, so nennen möchten: der von Wölfen bedeckte Baum.
Dass es dabei um etwas geht, das ein Echo auf jenen Erlebnispol bildet, den wir als den der Jouissance definiert haben, scheint mir außer Frage zu stehen, um eine Art von Jouissance, die mit der verwandt ist, die Freud an anderer Stelle, bezogen auf den Rattenmann, das ‚Grausen vor seiner ihm selbst unbekannten Lust‘ nennt196. In dieser erigierten Gestalt wird eine Jouissance vergegenwärtigt, die über jede dem Subjekt mögliche Einordnung hinausgeht.
Das Subjekt ist nur noch Erektion, in diesem Erfasstwerden, durch das es zum Phallus wird, durch das es ‚arb-horrifiziert‘ wird, durch das es völlig erstarrt.“197
Das Bild des Baumes repräsentiert demnach eine bestimmte Jouissance, eine Jouissance, von welcher der gesamte Körper des Subjekts erfasst ist. Diese Jouissance kann vom Subjekt nicht eingeordnet, nicht assimliert werden, es ist durch sie „arb-horrifiziert“ (mit Anspielung auf das französische Wort arbre und das lateinische Wort arbor, beides für „Baum“), und sie steht in Verbindung mit dem Blick, durch den das Kind angeblickt wird (mit dem Blick als Objekt a). Die Erstarrung des Baumes, welche die Erstarrung des Kindes reflektiert, ist der Phallus. Lacan verwendet hier nicht den Terminus „Symbol“, aber ich denke, dass man seine Deutung dennoch so zusammenfassen kann: Der Baum und der Körper des Kindes sind in ihrer Erstarrung der Phallus als Symbol der vom Subjekt nicht einzuordnenden Jouissance.
Der Mangel im Anderen, das Opfer und der Phallus
Die Markierung der Jouissance-Untersagung wird durch ein Opfer konstituiert und dieses Opfer ist damit verbunden, dass der Phallus zum Symbol einer nicht einzuordnenden Jouissance wird. In welcher Beziehung steht die durch den Phallus symbolisierte Jouissance zum Opfer?
In Seminar 6 von 1958/59, Das Begehren und seine Deutung, hieß es:
„Es gibt, habe ich Ihnen gesagt, keinen Anderen des Anderen. Es gibt im Anderen keinen Signifikanten, der für das bürgen könnte, was ich bin. Und um die Dinge auf veränderte Weise zu sagen: Die Wahrheit ohne Hoffnung, von der ich eben zu Ihnen gesprochen habe, diese Wahrheit – und das ist die, der wir auf der Ebene des Unbewussten begegnen – ist eine Wahrheit ohne Gesicht, das ist eine verschlossene Wahrheit, eine Wahrheit, die in alle Richtungen gebogen werden kann. Wir wissen es nur zu gut, das ist eine Wahrheit ohne Wahrheit. […]
Dieser Signifikant, über den der Andere nicht verfügt – wenn wir darüber sprechen können, dann natürlich deshalb, weil er dennoch irgendwo ist. Ich habe für Sie dieses kleine Diagramm [den Graphen des Begehrens] angefertigt, damit Sie nicht die Orientierung verlieren. […]
Sie können ihn, diesen verborgenen Signifikanten, überall dort wiedererkennen, wo die Sperre ist, der Schrägstrich, diesen Signifikanten, über den der Andere nicht verfügt und der gerade der ist, der Sie angeht. Das ist eben der, den Sie ins Spiel bringen, insofern Sie, arme Dummerchen, seit Ihrer Geburt von dieser verflixten Sache des Logos erfasst sind, also der Teil von Ihnen, der darin geopfert ist – und der nicht einfach, wie man sagt, physisch geopfert ist, nicht real, sondern symbolisch, und der nicht nichts ist –, der Teil von Ihnen, der Signifikantenfunktion angenommen hat.
Und deshalb gibt es dafür einen einzigen und nicht etwa sechsundreißig, und das genau ist diese rätselhafte Funktion, die wir Phallus nennen. Er ist hier das Etwas vom Organismus, vom Leben, von diesem Drang oder vitalen Drang, wovon Sie wissen, dass ich nicht finde, dass man das wild drauflos verwenden sollte, ein Drang, der aber – wenn er einmal gut eingekreist ist, symbolisiert ist, wenn er dort hingestellt ist, wo er ist, und vor allem dorthin, wo er gebraucht wird, dorthin, wo er im Unbewussten tatsächlich erfasst ist –, der aber dann seinen Sinn annimmt.
Der Phallus, die vitale Anschwellung, dieses rätselhafte, universale Etwas, mehr männlich als weiblich, wofür jedoch das weibliche Wesen zum Symbol werden kann, das ist eben das, worum es geht, und das, was – weil es im Anderen nicht verfügbar ist –, das, was – obwohl es eben dieses Leben ist, das vom Subjekt signifikant gemacht wird –, das, was die Bedeutung des Diskurses des Anderen nirgendwo garantieren kann.
Anders gesagt, auch wenn es geopfert ist, wird dieses Leben ihm vom Anderen nicht zurückerstattet.“198
Ausgangspunkt ist Lacans Formel „Es gibt keinen Anderen des Anderen“. Ihr entspricht der Signifikant eines Mangels im Anderen, S (Ⱥ), als fehlende Antwort auf die Frage, was ich bin.
Der dem Anderen fehlende Signifikant findet sich durchaus irgendwo, überall dort, wo es die Sperre gibt, la barre, den Schrägstrich, d.h. die Verdrängung. Er ist nicht auf der Seite des Anderen, sondern auf der des Subjekts. Dieser Signifikant ist der Phallus. Der Phallus ist etwas vom Leben des Subjekts, das Signifikantenfunktion angenommen hat. Lacan verwendet hier das Verb „opfern“ – der Phallus ist das, was für die Sache der Sprache geopfert worden ist. Drei Jahre später, im Subversions-Aufsatz, wird, wie gesagt, aus dem geopferten vitalen Drang die geopferte Jouissance.
Der Phallus-Signifikant kann die Bedeutung des Diskurses des Anderen nirgendwo garantieren. Er soll den Mangel im Anderen ausgleichen, kann es jedoch nicht.
Damit schließt sich der Bogen der Argumentation und es lässt sich vorläufig zusammenfassen und erraten, was Lacan im Subversions-Aufsatz unter dem Kastrationskomplex versteht.
– Die Jouissance ist versagt/verboten (durch das Sprechen, durch das Lustprinzip, durch das Gesetz).
– Diese Untersagung hat den Charakter einer Markierung, einer dauerhaften Einprägung.
– Die Markierung wird durch ein Opfer konstituiert, durch ein Opfer von Jouissance, mit dem das Begehren des Anderen eingefangen werden soll.
– Das Symbol der (untersagten, verbotenen) Jouissance ist der Phallus.
– Um es auf Freuds Begriff des Inzestverbots zu beziehen: Der Phallus ist das Symbol für diejenige Jouissance, die durch das Inzestverbot verloren geht.
– Der Phallus als Symbol der geopferten Jouissance bezieht sich auf den Mangel im Anderen, auf das Begehren des Andern, er dient dazu, der Wahrheit bzw. dem Gesetz eines Garantie zu verschaffen.
– Dies jedoch ist unmöglich, die Bedeutung des Diskurses des Anderen kann durch den Phallus nicht garantiert werden.
Wie stellt sich dieser Zusammenhang in der Erfahrung dar? Möglicherweise so wie in der folgenden Bemerkung aus dem Ethik-Seminar: Freud sagt
„im Unbehagen in der Kultur, dass die Form, in der sich die Moralinstanz in den Menschen konkret einschreibt und die ihm zufolge alles andere als rational ist, dass diese Form, die er Über-Ich genannt hat, ihrer Ökonomie nach so ist, dass sie, wie Freud sagt, um so fordernder wird, je mehr man ihr Opfer bringt“199.
Das Über-Ich lässt sich durch die Steigerung des Jouissance-Opfers nicht zähmen, das Begehren des Anderen lässt sich durch den Phallus nicht befrieden.
Ausblick auf Seminar 16, „Von einem Anderen zum anderen“: der im System des Subjekts fehlende Signifikant
„Alles reduziert sich auf diesen Signifikanten, nämlich auf den Phallus, der nicht im System des Subjekts ist, weil er nicht das Subjekt repräsentiert, sondern, wenn man so sagen kann, die sexuelle Jouissance, insofern sie außerhalb des Systems ist, d.h. insofern sie absolut ist.16 Die sexuelle Jouissance, insofern sie, verglichen mit allen anderen Formen der Jouissance, die Sonderstellung hat, die darin besteht, dass etwas im Lustprinzip – das bekanntlich gegenüber der Jouissance eine Barriere bildet –, dass etwas im Lustprinzip ihm gleichwohl einen Zugang ermöglicht.17 Geben Sie zu, dass, wenn man sogar aus der Feder von Freud liest, dass dies die Jouissance schlechthin ist, und wahr ist es außerdem, aber wenn man das aus der Feder eines Weisen liest, der diesen Titel so verdient wie unser Freud, dann hat das gleichwohl etwas, das uns zum Träumen bringen kann. Aber es ist nicht im System des Subjekts. Es gibt kein Subjekt der sexuellen Jouissance.
Und diese Bemerkungen zielen auf nichts anderes ab als darauf, uns zu ermöglichen, den Sinn des Phallus als fehlendem Signifikanten zu präzisieren.
Er ist der Signifikant außerhalb des Systems, und, um es klar zu sagen, derjenige, der üblich [conventionnel] ist, um die sexuelle Jouissance zu bezeichnen, die radikal verworfen ist.“200
Meine Übersetzung der Passage, der dieses Zitat ennommen ist, findet man auf dieser Website im Artikel „Der Phallus, ein im System des Subjekts fehlender Signifikant“, hier.
(4) Negativierung im Spiegelbild
… « Ce choix est permis de ce que le phallus, soit l’image du pénis, est négativé à sa place dans l’image spéculaire. C’est ce qui prédestine le phallus à donner corps à la jouissance, dans la dialectique du désir.
Il faut donc distinguer du principe du sacrifice, qui est symbolique, la fonction imaginaire qui s’y dévoue, mais qui le voile du même coup qu’elle lui donne son instrument. »201
–
… „Diese Wahl wird dadurch ermöglicht, dass der Phallus, nämlich das Bild des Penis, an seinem Platz im Spiegelbild negativiert ist. Das ist das, was den Phallus dazu prädestiniert, in der Dialektik des Begehrens die Jouissance zu verkörpern.
Vom Prinzip des Opfers, das symbolisch ist, muss man also die imaginäre Funktion unterscheiden, die sich dem zur Verfügung stellt, die es aber im selben Zug, in dem sie ihm sein Instrument liefert, zugleich verschleiert.“202
Warum wird gerade der Phallus als Symbol der (geopferten) Jouissance gewählt, wodurch wird das ermöglicht?
Dadurch, dass der Phallus im imaginären Register eine bestimmte Rolle spielt. Das Penis-Bild – der imaginäre Phallus – ist „an seinem Platz im Spiegelbild negativiert“.
Es geht um einen bestimmten Platz, möglicherweise erfährt man hier etwas Näheres über den „Platz“, an dem das Ich ist, das Je.
Mit dem Spiegelbild ist hier, umgangssprachlich formuliert, die geliebte Person gemeint, in Freuds Begrifflichkeit: das libidinös besetzte Objekt, in Lacans Begrifflichkeit das Objekt, auf das sich das Begehren richtet, repräsentiert durch das Kürzel i(a), image de l’autre (Bild des anderen).
Die Objektlibido beruht, Freud zufolge, auf der Umwandlung von narzisstischer Libido in Objektlibido.203 Hieran anknüpfend hatte Karl Abraham behauptet, bei der Transfusion von narzisstischer Libido auf das Objekt werde ein Bereich ausgeklammert: das Genitalorgan; die aus dem Narzissmus hervorgehende Liebe sei eine „Objektliebe mit Genitalausschluss“204.
Lacan bezieht sich in den Seminaren zustimmend auf diese Konzeption205 und betont dabei, dass bei Abraham die Partialliebe zum Objekt eine Liebe unter Ausschluss der Genitalien ist, als „Grundlage für die imaginäre Abtrennung des Phallus“206, wie Lacan sagt, für die imaginäre Kastration.
Er reduziert dabei Abrahams geschlechtsneutral formuliertes Theorem vom Ausschluss des Genitalorgans auf den Penis. Damit kann er jedoch an Abraham anknüpfen, der sich in den Erläuterungen zu seiner These speziell auf den Penis bezogen hatte. Eine Patientin, so berichtet Abraham, träumt vom Körper ihres Vaters ohne Schamhaare (die in früheren Träumen die Bedeutung des Genitalorgans hatten); eine andere Patientin stellt im Traum ihren Analytiker ohne die Genitalien dar. Außerdem hatte Abraham den Genitalausschluss für beide Geschlechter auf den Kastrationskomplex zurückgeführt.
„Beim männlichen Geschlecht“
heißt es bei Abrahamn,
„üben die Angst um das eigene Genitale und das Grauen vor dem Fehlen eines entsprechenden Organes am weiblichen Körper die nämliche Wirkung aus wie beim weiblichen Geschlecht der nicht verwundene Schmerz über die Genitalberaubung und die gegen den Mann gerichtete Kastrationslust. Wir müssen außerdem in Betracht ziehen, dass bei jedem Menschen das eigene Genitale stärker als irgendein anderer Körper mit narzisstischer Liebe besetzt ist. Dementsprechend darf am Objekt alles andere früher geliebt werden als das Genitale.“207
Lacan hatte in seinem Seminar Abrahams These vom Genitalausschluss durch das folgende Schema dargestellt:
Verhältnis von narzisstischer Libido und Objektlibido208
Das linke Teildiagramm stellt den Körper des Ichs dar, das rechte den des Objekts, die Schraffur zeigt an, welche Körperbereiche libidinös besetzt sind, die Höhe der Umrisslinie zeigt die Stärke der libidinösen Besetzung an. Die über beide Diagramme verlaufende waagerechte Linie unterscheidet in den Körpern zwei Bereiche mit unterschiedlicher libidinöser Besetzung, die Verbindungslinie zwischen den beiden Zeichnungen soll offenbar andeuten, dass zwischen Ichkörper und Objektkörper eine Libido-Übertragung stattfindet. Insgesamt stellt die Zeichnung dar, dass die Libido der stark besetzten Körperzonen (schraffierter Bereich links) beim Ich verbleibt und dass nur die Libido der schwach besetzten Körperbereiche vom Ich abgezogen und auf die entsprechenden Regionen des Objekts übertragen wird (schraffierter Bereich rechts), und dass dies zur Folge hat, dass die Region, die beim Ich stark besetzt ist (die Genitalregion), beim Objekt ausgespart wird.
Im Spiegelbild – im Objekt des Begehrens – gibt es also einen eigenartigen Platz: eine Leerstelle; möglicherweise ist dies der „Platz“ des Je, des sprechenden Subjekts, von dem aus das Valéry-Zitat gebrüllt wird, der Platz der Jouissance, deren Fehlen das Universum nichtig macht.
Der Penis ist im Spiegelbild „negativiert“, wie Lacan sagt, er ist mit einem Minuszeichen versehen. Damit sind wir bei der imaginären Kastration, die von Lacan als minus klein phi (–φ) notiert wird, mit φ für den imaginären Phallus.209 Mit dem Wort „negativieren“ spielt Lacan wohl zugleich auf den Terminus der Negativität an, einen Grundbegriff der Hegel’schen Dialektik (der Subversions-Aufsatz beruht auf einem Vortrag auf einem Hegel-Kongress).
Möglicherweise geht es Lacan, wenn er Abraham hier folgt, auch darum, eine These von Freud über den Untergang des Ödipuskomplexes umzuarbeiten. Freud zufolge akzeptiert der Junge die Kastrationsdrohung, wenn er bei einem Mädchen die Genitalregion beobachtet. Nun ist es aber zufällig, ob eine solche Drohung ausgestoßen wird, und es ist rätselhaft, warum das weibliche Geschlecht als eine Körperstelle wahrgenommen werden sollte, an der etwas fehlt. Wenn man Abraham folgt, sind beide Probleme gelöst; es ist dann nicht nötig, dass eine Kastrationsdrohung ausgesprochen wird, und der genitale Narzissmus (wenn man so sagen kann) erklärt, warum der Junge das begehrte Bild in der Weise wahrnimmt, dass in ihm „der Penis fehlt“.
Die imaginäre Kastration besteht jetzt also darin – so darf man wohl sagen, auch wenn Lacan den Ausdruck „imaginäre Kastration“ hier nicht verwendet –, dass im Spiegelbild das Genitale ausgespart ist. Auf dieser imaginären Ebene steht der Phallus in Beziehung zum Begehren, zum begehrten Bild.
Eben deshalb, so heißt es weiter, weil der Penis in der narzisstischen Beziehung zum Spiegelbild fehlt, ist er gewissermaßen dazu vorherbestimmt, in der Dialektik des Begehrens die Jouissance zu verkörpern. Bei Abraham ist dies die Libido, die auf der Seite des Subjekts bleibt; also geht es hier wohl um die Jouissance auf der Seite des Subjekts.
Die Sonderstellung des Phallus besteht also darin, nehme ich an, dass er in einem doppelten Bezug zur Kastration steht. Um den imaginären Phallus und um das Begehren geht es in der (imaginären) Kastration, die darin besteht, dass im begehrten Spiegelbild das Genitale fehlt. Auf den symbolischen Phallus bezieht sich das Jouissance-Opfer, mit dem das Begehren des Anderen eingefangen werden soll.
Die imaginäre Funktion des Phallus, so heißt es am Schluss der zuletzt zitierten Passage aus dem Subversions-Aufsatz, ermöglicht seine symbolische Funktion, verschleiert sie aber zugleich. Die imaginäre Kastration liefert die Stütze für die symbolische Kastration; das Bild der Verstümmelung (also die Fesselung durch das Spiegelbild) blockiert jedoch den Zugang zur symbolischen Dimension des Opfers, zum Versuch, durch ein Jouissance-Opfer das Begehren des Anderen einzufangen.
(5) Phantasma der Hinfälligkeit
… « La fonction imaginaire est celle que Freud a formulée présider à l’investissement de l’objet comme narcissique. C’est là-dessus que nous sommes revenu nous-même en démontrant que l’image spéculaire est le canal que prend la transfusion de la libido du corps vers l’objet. Mais pour autant qu’une partie reste préservée de cette immersion, concentrant en elle le plus intime de l’autoérotisme, sa position « en pointe » dans la forme la prédispose au fantasme de caducité où vient s’achever l’exclusion où elle se trouve de l’image spéculaire et du prototype qu’elle constitue pour le monde des objets. »210
–
… „Die imaginäre Funktion ist diejenige, zu der Freud formuliert hat, dass sie die Objektbesetzung als narzisstische bestimmt. Darauf sind wir unsererseits zurückgekommen, mit dem Nachweis, dass das Spiegelbild der Kanal ist, der bei der Transfusion der Libido vom Körper hin zum Objekt verwendet wird. Da bei dieser Immersion jedoch ein Teil zurückbehalten wird, derjenige, der das Intimste an Autoerotismus in sich konzentriert, ist dieser Teil durch seine „Spitzen“-Position in der Form zum Phantasma der Hinfälligkeit prädisponiert, in dem sich dann sein Ausschluss aus dem Spiegelbild vollendet sowie aus dem Prototyp, das dieses für die Welt der Objekte bildet.“211
Lacan erläutert, was er unter der imaginären Funktion versteht: Er knüpft damit, so sagt er, an Freuds These an, dass die Objektbesetzung narzisstischen Charakter hat. Er bezieht sich damit auf Freuds These, dass ursprünglich der eigene Leib und die eigenen Person libidinös besetzt sind und dass von hier aus später Libido an die Objekte abgegeben wird, wobei die Libido jedoch im Grunde genommen beim Ich verbleibt, insofern sie sich zu den Objektbesetzungen verhalte wie der Körper eines Protoplasmatierchens zu den von ihm ausgeschickten Pseudopodien, so nämlich, dass es diese Fortsätze wieder einziehen kann.212
Lacan erinnert daran, dass er mit seiner Theorie des Spiegelstadiums an diese Konzeption angeknüpft hatte. Wenn man Freud folgt, muss man ja erklären, auf welchem Wege die Übertragung der Libido vom eigenen Körper hin zum Objekt erfolgt, und Lacans Lösung hatte darin bestanden, dass diese Umwandlung mithilfe des Spiegelbildes erfolgt und dass das Spiegelbild wiederum den Prototyp für die libidinös besetzten Objekte bildet.213
Im „Graphen des Begehrens“ ist die Spiegelbeziehung im unteren Stockwerk verortet, als Relation zwischen m und i(a) (mit m für moi, imaginäres Ich, und i(a) für image de l’autre, Bild des anderen).
Lacan wiederholt dann die These, die er von Abraham übernimmt, nämlich dass beim Überschwemmen des Objekts mit narzisstischer Libido ein Teil der Libido auf der Seite des eigenen Körpers verbleibt, diejenige, mit der das Genitalorgan besetzt wird. Die Theorie des Spiegelstadiums, deren erste (nicht erhaltene) Fassung auf das Jahr 1936 zurückgeht, wird hier, etwa 25 Jahre später, um ein Theorem ergänzt. Diese Fortentwicklung der Theorie hat in der Darstellung der Spiegelbeziehung im Graphen allerdings keine Entsprechung. Lacan hatte den Graphen in den Seminaren 5 und 6 entwickelt, Die Bildungen des Unbewussten (1957/58) und Das Begehren und seine Deutung (1958/59); Abrahams These vom Genitalausschluss war von ihm erst später rezipiert worden, in Seminar 8 von 1959/60, Die Übertragung.
Das Genitalorgan wird hier von Lacan im Subversions-Aufsatz so charakterisiert, dass es den Autoerotismus in sich konzentriert, also die Befriedigung der Sexualtriebe am eigenen Körper im Gegensatz zur Objektliebe (wie Freud sagt). Er spricht dabei vom „Intimsten“ des Autoerotismus, ihrem Innersten, die genitale Lust bildet den Kern des Autoerotismus. Der Ausdruck spielt sicherlich zugleich auf die zone intime an, auf die Intimzone. Damit ist das Thema wieder die Jouissance, hier als die Triebbefriedigung, die durch Masturbation entsteht.
Der irreduzibel narzisstisch besetzte Körperteil, das Geschlechtsorgan, hat seiner Form nach eine Position en pointe, eine Spitzen-Position; damit bezieht Lacan sich möglicherweise auf Position und Gestalt des Penis, also speziell auf den Mann. Position en pointe, sagt man beim Ballett zur Position der Füße beim Spitzentanz; vielleicht vergleicht Lacan hier den erigierten Penis mit der Fußposition auf Spitze, und die Tatsache, dass diese Fuß-Erektion traditionell nicht von Männern, sondern von Frauen vorgeführt wird, ist hier vielleicht eine versteckte Pointe – die Position en pointe gibt es auch bei Frauen.
Durch seine Spitzenposition ist dieser Teil, also das männliche Geschlechtsorgan?, zum Phantasma der caducité prädisponiert, heißt es weiter, der Hinfälligkeit, der Gebrechlichkeit. Offenbar geht es um die Kastration, aber wie genau?
Das erste Mal verbindet Lacan caducité und castration in Seminar 5 von 1957/58, Die Bildungen des Unbewussten. Er argumentiert dort so: Das Subjekt richtet sich im System der Ansprüche ein. Dies hat zur Folge, dass das Subjekt in seiner Lebendigkeit, in seinem Leben, durch den Signifikanten markiert wird, durch die Sprache; diese Einwirkung des Signifikanten auf das Subjekt ist das Signifizierte, das Signifikat. Mit der Einwirkung des Signifikanten auf das Leben des Subjekts wird in das Subjekt die Dimension des Mangels eingeführt. Dieser Mangel wird wiederum symbolisiert, durch das, was „Kastration“ genannt wird. Als Stütze der Kastration, so liest man in Seminar 5, dient etwas, das zum System des Imaginären gehört: ein Bild. Im Bild des anderen wird etwas ausgewählt, um die Markierung eines Mangels zu tragen. Dieser Mangel besteht darin, dass das Lebendige deshalb, weil es menschlich ist, das heißt in einer Beziehung zur Sprache steht, sich als etwas Begrenztes wahrnimmt, als etwas, das von der Allheit der Begierden ausgeschlossen ist. Eben dies wird von Freud (sagt Lacan in Seminar 5) als Todestrieb artikuliert – da der Mensch von einem Signifikantensystem erfasst ist, kann er über seine Immanenz als Lebendiger hinausgehen und sich als bereits tot wahrnehmen. Da es aber keine Erfahrung des eigenen Todes gibt, symbolisiert er seinen Tod auf imaginäre Weise. Danach heißt es in diesem Seminar:
„Das wird durch den Punkt symbolisiert, durch eben das Organ, in dem auf spürbarste Weise der Drang des Lebens erscheint. Aus diesem Grunde nimmt der Phallus, insofern er einfach das Ansteigen (montée) der Lebenskraft (puissance vitale) repräsentiert, in der Signifikantenordnung einen Platz ein, um nämlich, für das menschliche Individuum in seiner Existenz, das zu repräsentieren, was vom Signifikanten markiert ist, was vom Signifikanten mit dieser wesentlichen Hinfälligkeit (caducité) geschlagen ist, wodurch im Signifikanten selbst das Seinsverfehlen artikuliert werden kann, dessen Dimension der Signifikant in das Leben des Subjekts einführt.“214
Lacan verortet hier die „Hinfälligkeit“ in der Dialektik von Leben und Tod, das Leben symbolisiert den Tod. Der Phallus repräsentiert das „Ansteigen“ der Lebenskraft, der vitalen Potenz, und gerade damit repräsentiert er den vom Signifikanten hervorgerufenen Tod, den von der Sprache hervorgerufenen Mangel-zu-sein, das Begehren. Die „Hinfälligkeit“ bezieht sich in dieser Passage auf diesen Mangel-zu-sein, also auf das Begehren, spielt aber, mit dem Gegensatz von Ansteigen und Fallen, zugleich auf das An- und Abschwellen des Penis an.
In Seminar 10 von 1962/63, Die Angst, also vermutlich kurz nach dem Verfassen des Subversions-Aufsatzes, wird der Zusammenhang zwischen der caducité, der Hinfälligkeit, und dem Abschlaffen des Penis direkt hergestellt. Bei manchen Insekten, so heißt es dort, ist das Kopulationsinstrument ein Stachel oder eine Kralle und damit ein Körperteil, der weder anschwellen noch abschwellen kann. Bei den Menschen hingegen geht die Jouissance im Orgasmus damit einher, dass das Instrument der Kopulation durch „Detumeszenz“ – durch Abschwellen – aus dem Spiel gebracht wird. Lacan verweist an dieser Stelle darauf, dass Freud im Coitus interruptus eine Quelle der Angst gesehen hatte215, die daran gebunden ist, dass die Verwendung des Penis als Kopulationswerkzeug und die orgastische Jouissance hier voneinander getrennt sind. Lacan fährt dann fort:
„Die Subjektivität ist [in diesem Falle], wenn Sie so wollen, auf den chute des Phallus fokussiert, auf seinen Fall. Auch beim normal herbeigeführten Orgasmus gibt es den Fall des Phallus. Es lohnt sich, um eine der Dimensionen der Kastration zur Geltung zu bringen, eben dem die Aufmerksamkeit zu widmen.
Wie wird die Kopulation zwischen Mann und Frau erlebt? Das ist hier das, was es der Kastrationsfunktion ermöglicht, also der Tatsache, dass der Phallus im menschlichen Erlebeben bedeutsamer ist durch seinen Fall – durch die Möglichkeit, ein gefallenes [chu] Objekt zu sein – als durch seine Anwesenheit, das ist hier das, wodurch in der Geschichte des Begehrens die Möglichkeit für den Platz der Kastration bezeichnet wird. Es ist wesentlich, das geltend zu machen. Denn womit habe ich beim letzten Mal geendet, wenn nicht damit, dass ich Ihnen sagte, wenn das Begehren nicht strukturell verortet wird, wenn es nicht von der Dimension der Jouissance unterschieden wird, wenn die Frage sich nicht darauf bezieht, worin für jeden Partner das Verhältnis zwischen dem Begehren – vor allem dem Begehren des Anderen – und der Jouissance besteht und ob es ein Verhältnis gibt, dann ist die ganze Angelegenheit dazu verurteilt, im Dunkeln zu bleiben.
Die Ebene der Spaltung – dank Freud haben wir sie, allein das schon ist wunderbar. In der überaus frühzeitigen Wahrnehmung, die Freud von ihrem essentiellen Charakter hatte, haben wir die Funktion der Kastration als etwas, das zuinnerst mit den Merkmalen des hinfälligen Objekts verbunden ist, mit der Hinfälligkeit als etwas, wodurch sie wesentlich gekennzeichnet ist. Erst ausgehend von diesem hinfälligen Objekt werden wir sehen können, was es heißt, dass man von einem Partialobjekt gesprochen hat. Tatsächlich ist das Partialobjekt, ich sag’s Ihnen gleich, eine Erfindung des Neurotikers, das ist ein Phantasma.“216
Lacan bezeichnet hier mit chute – mit „Fall“ – zunächst das Herausziehen des Penis aus der Vagina. Aber auch dann, wenn das Glied während des Orgasmus im Körper der Partnerin bleibt, gibt es einen „Fall“ dieses Organs: sein Abschwellen. Die Kopulation wird beim Menschen so erlebt, behauptet Lacan hier, dass die Möglichkeit, dass der Penis ein „gefallenes Objekt“ ist, im Vordergrund steht, gemeint sind offenbar die verschiedenen Sorgen, die sich auf die Stabilität der Erektion beziehen. An diesem Punkt, sagt Lacan, greift die Kastration ein, sie bezieht sich auf das Verhältnis von Begehren und Jouissance, auf die Spaltung zwischen, einerseits, dem Begehren des Anderen (und damit dem Phantasma) und, andererseits, der Jouissance im Sinne des Orgasmus. Die imaginäre Kastration ist also wesentlich mit der caducité des Objekts verbunden, mit der „Hinfälligkeit“ des Penis. Eine organische Stütze für die Funktion (–φ) im Phantasma (und damit für das Begehren) ist das mit dem Orgasmus verbundene Abschlaffen des Penis.217
Diese Hinfälligkeit hat es ermöglicht – heißt es am Schluss der zitierten Passage aus dem Angst-Seminar –, dass man den Penis als Partialobjekt bezeichnet; ein Partialobjekt sei er im Phantasma des Neurotikers.
Das „Phantasma der Hinfälligkeit“, von dem Lacan im Subversions-Aufsatz schreibt, ist also vermutlich das neurotische Phantasma, insofern darin die imaginäre Kastration eine entscheidende Rolle spielt. Später wird es im Subversions-Aufsatz heißen:
„Das Phantasma in seiner von uns bestimmten Struktur enthält das (–φ), die imaginäre Funktion der Kastration, in einer versteckten und von einem seiner Terme zum anderen reversiblen Gestalt.“218
Die von Lacan definierte Struktur des Phantasmas ist ($ ◊ a), die beiden Terme sind $ (das ausgestrichene Subjekt) und a (das Objekt a); die imaginäre Kastration, also (–φ), kann sich gewissermaßen unter das $ und unter das a schieben, derart, dass entweder das Subjekt oder das Objekt als Symbol und Ersatz für die Kastration fungieren.
Der Satz, der Ausschluss des Genitalorgans aus dem Spiegelbild vollende sich im Phantasma der Hinfälligkeit, meint also vermutlich dies: Der Ausschluss des Genitalorgans aus dem Spiegelbild vollendet sich darin, dass im Phantasma die imaginäre Kastration eine Schlüsselrolle spielt.
Im Graphen des Begehrens entspricht dem die Parallelität zwischen zwei Relationen: zwischen, einerseits, der Beziehung zwischen dem imaginären Ich (moi) und dem Spiegelbild (i(a)) in der unteren Etage des Graphen (sinngesteuertes Sprechen) und, andererseits, der Beziehung zwischen dem Begehren (d) und dem Phantasma ($ ◊ a) in der oberen Etage des Graphen (unbewusstes Sprechen). Auf beiden Ebenen ist ein verdecktes Element im Spiel, der Phallus, insofern er fehlt; dabei vollendet die obere (phantasmatische) Ebene die untere (die spekular-narzisstische). Das versteckte Element ist jedoch nicht an diesen Stellen in den Graphen eingetragen, stattdessen findet man die Kastration oben rechts, am Ende der oberen Pfeillinie.
Das als Spiegelbild fungierende Bild des anderen gewinnt seine Faszinationskraft also dadurch, dass diesem Bild etwas fehlt. Im Seminar Die Übertragung hatte Lacan das so formuliert:
„Was auftaucht im Zustand einer faszinierenden Gestalt, findet sich mit den libidinösen Strömen besetzt, die von da kommen, wo es entzogen wurde, nämlich der, wenn man das sagen kann, narzisstischen Grundlage, aus der sich all das schöpft, was die Objektstruktur bilden wird – als solche, kann man sagen, unter der Bedingung, ihre Bezüge und Elemente zu achten. Was die Triebregung* als Funktion im Begehren konstituiert – das Begehren in seiner privilegierten Funktion, unterschieden von Anspruch und Bedürfnis –, hat seinen Sitz in dem Rest, dem im Bild dieses Trugbild entspricht, wodurch es genau mit dem Teil identifiziert wird, der ihm fehlt, und dessen unsichtbare Gegenwärtigkeit dem, was man die Schönheit nennt, sein Leuchten gibt.“219
(6) –1 / √–1: Rückerstattung der Jouissance
… « C’est ainsi que l’organe érectile vient à symboliser la place de la jouissance, non pas en tant que lui-même, ni même en tant qu’image, mais en tant que partie manquante à l’image désirée : c’est pourquoi il est égalable au de la signification plus haut produite, de la jouissance qu’il restitue par le coefficient de son énoncé à la fonction de manque de signifiant : (–1). »220
–
… „So gelangt das erektionsfähige Organ dazu, den Platz der Jouissance zu symbolisieren, nicht als es selbst, nicht einmal als Bild, sondern als der dem begehrten Bild fehlende Teil: aus diesem Grunde kann es mit dem in der weiter oben vorgebrachten Bedeutung gleichgesetzt werden, in der Bedeutung der Jouissance, die es durch den Koeffizienten seines Ausgesagten der Funktion des Signifikantenmangels, (–1), zurückerstattet.“221
(–φ) als Symbol der Jouissance
Das erektionsfähige Organ – der Penis – symbolisiert den Platz der Jouissance. Lacan spricht hier über den Penis, nicht über den Phallus, und er sagt, dass der Penis zum Symbol wird (ähnlich wie er im Phallus-Aufsatz gesagt hatte, dass das Organ eine Signifikantenfunktion bekommt222). Er bezieht sich nicht auf den erigierten Penis, sondern auf den Penis, insofern er erektionsfähig ist. Selbst der schlaffe Penis fungiert demnach als Symbol – sofern er anschwellen kann. Das ist allerdings nur ein erster Zugang, den Lacan noch im selben Satz modifizieren wird.
Das erektionsfähige Organ symbolisiert die Jouissance – nein, nicht die Jouissance, sondern den „Platz der Jouissance“. Auf den „Platz der Jouissance“ hatte Lacan sich bereits früher im Subversions-Aufsatz bezogen. Das Je – das gerade sprechende Subjekt –, so konnte man lesen, ist am Platz der Jouissance (es hat dort sein Sein jenseits der Identifizierungen), und dieser Platz „schützt sich“223, ich habe das oben kommentiert. Zusammen ergibt das: Der Penis symbolisiert den Platz der Jouissance, also den Platz, an dem das Subjekt, jenseits der Identifizierungen, ist.
Aber nicht der Penis selbst – nicht das Organ selbst – symbolisiert den Platz der Jouissance. Es ist auch nicht das Bild dieses Organs (also nicht φ), wodurch die Jouissance symbolisiert wird. Der Penis symbolisiert den Platz der Jouissance insofern, als der Penis dem begehrten Bild fehlt. Lacan bringt hier wieder das Abraham-Theorem ins Spiel: Bei der libidinösen Besetzung des Liebesobjekts ist die Genitalregion ausgeschlossen, die narzisstische Libido verharrt hier auf der Seite des Subjekts. Im begehrten Bild (mit Abraham: im Liebesobjekt) gibt es demnach einen fehlenden Teil, einen ausgesparten Ort, eine unsichtbare Leerstelle.
Das Symbolisierende ist also: der Penis, insofern er im begehrten Bild fehlt; das Symbolisierte ist: der Platz der Jouissance auf der Seite des Subjekts. Der Penis nimmt seine Symbolisierungsfunktion wahr auf dem Weg über das Register des Imaginären und dies insofern, als im Bild etwas fehlt; Lacans Symbol hierfür ist (seit Seminar 6, Das Begehren und seine Deutung) minus klein phi, (–φ), das Zeichen für die imaginäre Kastration.224 Kurz: (–φ) symbolisiert den Platz des Jouissance.
Wir sind hier offenbar bei dem Zusammenhang, der vorher so beschrieben wurde: Die imaginäre Funktion stellt sich dem symbolischen Prinzip des Opfers zur Verfügung. Die Aussparung des Phallus im Spiegelbild (also die imaginäre Kastration, –φ), stellt sich dem zur Verfügung, den Platz der (geopferten) Jouissance zu symbolisieren und damit den Platz, an dem das Je ist, den Platz des Seins des Je sagenden Subjekts jenseits der Identifizierungen. (Und wir haben bereits erfahren, dass hierdurch das Prinzip des Opfers zugleich verschleiert wird.)
(–φ) =
Im nächsten Schritt stellt Lacan die Verbindung zu der Formel her, die er einige Seiten vorher im Subversions-Aufsatz eingeführt hatte (ich habe das oben kommentiert). Zur Verdeutlichung schreibe ich die Formel so:
Wir wissen bereits: Das Symbol (–1) entspricht dem Symbol S(Ⱥ). Das Symbol wurde von Lacan bislang so erläutert: Es bezieht sich auf das Subjekt, also nicht, wie (–1), auf den Anderen; es entspricht dem Sein des Subjekts im Unterschied zum Cogito, das heißt es steht für das, was das Subjekt, jenseits der Identifizierungen, an Undenkbarem ist; es repräsentiert den Platz der Jouissance, die dem Subjekt für gewöhnlich untersagt ist.225 Darauf kommt Lacan jetzt zurück:
hat die Bedeutung der Jouissance (man kann ergänzen: der Jouissance, die dem Subjekt für gewöhnlich untersagt ist, und dies nur sekundär durch das Gesetz (durch das Inzestverbot), primär durch das Lustprinzip).
Das kann man in die Formel so eintragen:
Man erfährt nun, dass in der Bedeutung der Jouissance mit dem Penis als Teil, der dem begehrten Bild fehlt, gleichgesetzt werden kann, also mit (–φ). Die imaginäre Kastration bezieht sich auf eine Jouissance, die geopfert wird.
Insgesamt kann man das Verhältnis von (–1) zu demnach auch so schreiben:
S(Ⱥ) ist der im Anderen fehlende Signifikant, der Signifikant der Wahrheit und Gesetz garantieren würde. (–φ) repräsentiert die imaginären Kastration, die wiederum auf den Phallus als das Symbol des Jouissance-Opfers verweist. Also lässt sich die Formel so deuten: Im Anderen fehlt ein Signifikant. Was ist das von diesem Signifikanten hervorgerufene Signifikat auf der Seite des Subjekts? Das Signifikat ist, im ersten Schritt die imaginäre Kastration, die wiederum auf die untersagte, auf die geopferte Jouissance verweist.
Zurückerstattung der Jouissance
Lacan gibt an der zuletzt zitierten Stelle einen kleinen aber wohl entscheidenden Hinweis darauf, wie die Beziehung zwischen (–1) und aufzufassen ist, was also im Bereich der Psychoanalyse der Reziprozität von Quadrieren und Wurzelziehen entsprechen könnte.
Im Verhältnis zwischen (–1) und wird etwas „restituiert“, wie es heißt, also wiederhergestellt, zurückerstattet. Ich vermute, dass damit gemeint ist, dass
den mit (–1) bezeichneten Mangel zwar nicht beseitigt, aber doch auszugleichen bemüht ist, zu kompensieren sucht.
Darüber hinaus erfährt man: Das, was rückerstattet wird, ist eine Jouissance. Der Signifikantenmangel (–1) auf der Seite des Anderen wird durch , durch die Kastration, in der Bedeutung der Jouissance „zurückerstattet“. Was hat es mit dieser Rückerstattung auf sich?
An früherer Stelle wurde im Jouissance-Aufsatz angedeutet, dass die Beziehung zwischen dem Anderen und dem Subjekt eine Beziehung der Schuld ist (ich habe das oben kommentiert). Danach hieß es, dass die Jouissance geopfert wird. Also geht es bei der Rückerstattung wohl um den Zusammenhang von Schuld und Opfer und um das Opfer vielleicht im Sinne eines Sühneopfers. Also geht es bei der Kastration wohl darum, dass die Jouissance durch ein Opfer in einen Schuldzusammenhang gebracht wird und dass der Mangel im Anderen durch den Opfer-Schuld-Komplex ausgeglichen werden soll.
Die Jouissance-Rückerstattung wird von „durch den Koeffizienten seines Ausgesagten“ geleistet, und das heißt für das Lesen der Formel vielleicht, dass
unter dem „Bruchstrich“ steht, am Platz des Signifikats, und dass das Signifikat mit dem Ausgesagten gleichzusetzen ist.
Ein „Koeffizient“ ist in der Mathematik ein konstanter Faktor vor einer variablen Größe; beispielsweise kann der Ausdruck (a ∙ x) so beschrieben werden, dass a der Koeffizient ist und x die Variable. Will Lacan hier andeuten, dass , also die Kastration, ein „konstanter Faktor“ ist? In welchem Sinne? Und wäre das Ausgesagte dann die Variable?
(7) Autoerotismus und Schuldgefühl
…« S’il lui est donné de nouer ainsi l’interdiction de la jouissance, ce n’est pas pour autant pour ces raisons de forme, mais bien que leur outrepassement signifie ce qui ramène toute jouissance convoitée à la brièveté de l’auto-érotisme : les voies toutes tracées par la conformation anatomique de l’être parlant, à savoir la main du singe encore perfectionnée, n’ont en effet pas été dédaignées dans une certaine ascèse philosophique comme voies d’une sagesse abusivement qualifiée de cynique. Certains, de nos jours[Anm. Lacan 1971], obsédés sans doute par ce souvenir, ont cru, parlant à notre personne, pouvoir faire relever Freud lui-même de cette tradition : technique du corps, comme dit Mauss. Il reste que l’expérience analytique nous enseigne le caractère originel de la culpabilité qu’engendre sa pratique.
Culpabilité liée au rappel de la jouissance que manque l’office rendu à l’organe réel, et consécration de la fonction du signifiant imaginaire à frapper les objets d’interdiction.
Telle est en effet la fonction radicale à laquelle une époque plus sauvage de l’analyse trouvait des causes plus accidentelles (éducatives), de même qu’elle infléchissait vers le traumatisme les autres formes auxquelles elle avait le mérite de s’intéresser, de sacralisation de l’organe (circoncision). »226
Anm. Lacan von 1971: « Ce pluriel couvre un philosophe contemporain éminent. »227
–
„Wenn es ihm gegeben ist, auf solche Weise die Untersagung der Jouissance zu verknoten, dann allerdings nicht aus diesen Formgründen, sondern weil ihre Übertretung das bedeutet, wodurch jede angezielte Jouissance auf die kurze Dauer des Autoerotismus zurückgebracht wird: Die Wege, die allesamt durch den anatomischen Bau des sprechenden Wesens vorgezeichnet sind – durch die weiter perfektionierte Affenhand –, sind in einer bestimmten philosophischen Askese ja nicht verschmäht worden, als Wege einer fälschlicherweise als kynisch bezeichneten Weisheit. In unseren Tagen haben einige[Anm. Lacan 1971], von dieser Erinnerung offenbar besessen, im Gespräch mit uns geglaubt, Freud selbst dieser Tradition zurechnen zu können: Körpertechnik, wie Mauss sagt. Bleibt, dass die analytische Erfahrung uns den ursprünglichen Charakter des Schuldgefühls lehrt, den ihre Praxis hervorruft.
Ein Schuldgefühl, das verbunden ist mit der Erinnerung an die Jouissance, die der dem realen Organ geleistete Dienst verfehlt, und Weihung der Funktion des imaginären Signifikanten, über die Objekte ein Verbot zu verhängen.
Denn solcher Art ist die radikale Funktion, für die eine wildere Epoche der Analyse akzidentellere (erzieherische) Ursachen fand, wie sie auch die anderen Formen einer Sakralisierung des Organs (Beschneidung), für die sich zu interessieren ihr Verdienst war, zum Trauma hin umbog.“
Anm. Lacan von 1971: „Dieser Plural umfasst einen bedeutenden Philosophen der Gegenwart.“228
Der Phallus als der dem begehrten Bild fehlende Teil hat die Funktion, das Jouissance-Verbot zu nouer, zu „verknoten“. Ich nehme an, dass gemeint ist: es im Psychismus zu verankern.
Lacan spielt hier auf Freuds These über den Zusammenhang von Masturbationsverbot und Kastrationskomplex an an. Dem Jungen wird die Onanie verboten, schreibt Freud, verbunden mit der Drohung, man werde ihm das Organ oder die Hand abschneiden; dieser Drohung schenkt der Junge zunächst keinen Glauben und keinen Gehorsam, er legt weiterhin Hand an sein Organ. Das ändert sich in dem Moment, in dem er die Genitalregion eines kleinen Mädchens beobachtet, der Verlust des eigenen Penis ist für ihn damit vorstellbar geworden. Um sein Organ zu retten, beugt er sich dem Verbot und die Latenzzeit setzt ein. Der Anblick der weiblichen Genitalregion führt demnach dazu, dass das Verbot der Sexualerregung sich im Psychismus festsetzt.229 Lacan ersetzt Freuds Beobachtung des weiblichen Genitales durch Phallus als dem begehrten Bild fehlender Teil.
Allerdings sind es nicht diese Formgründe, heißt es im Subversions-Aufsatz weiter, die dafür sorgen, dass das Jouissance-Verbot sich verankert – für die Etablierung des Verbots ist nicht entscheidend, dass der Phallus der Form nach eine „Spitzenposition“ einnimmt, die ihn zum Phantasma der Hinfälligkeit prädisponiert.
Will man begreifen, wie das Jouissance-Verbot wirksam wird, muss man seine Aufmerksamkeit vielmehr auf das richten, was geschieht, wenn das Masturbationsverbot übertreten wird.
Mit der Onanie wird eine bestimmte Jouissance angezielt; die tatsächlich erreichte Befriedigung ist allerdings schwächer als die angestrebte Jouissance. Die realisierte Erregung ist nur von kurzer Dauer und sie gehört zur Ordnung des Autoerotismus, sie ist narzisstisch, ein zweiter Körper ist nicht beteiligt. Ich vermute, dass Lacan hier auf seine These anspielt, dass nicht das Gesetz, sondern das Lustprinzip der Jouissance eine Grenze setzt. Das Jouissance-Verbot wird dadurch verknotet, verankert, dass bei Übertretung dieses Verbots das Lustprinzip dafür sorgt, dass die angezielte Jouissance verfehlt wird. Das Jouissance-Verbot stützt sich auf das Jouissance-Verfehlen.
Lacan betont, dass die Selbstbefriedigung manuell erfolgt (zumindest bei männlichen Wesen, bei weiblichen Wesen nicht unbedingt, Freud hatte darauf hingewiesen). Die Masturbation stützt sich also auf ein anatomisches Merkmal, das der Mensch mit den Affen teilt. Ein berühmter Philosoph, Diogenes von Sinope (der Tonnenbewohner), hat die Onanie sogar als weise demonstriert, als Weg einer Weisheit, die darauf abzielt, so darf man ergänzen, das sexuelle Begehren auf ein Bedürfnis zu reduzieren, dessen Befriedigung sich – mit einem Begriff von Marcel Mauss230 – durch eine Körpertechnik beherrschen lässt.
In Seminar 6, Das Begehren und seine Deutung, hatte Lacan sich über Diogenes so geäußert:
„Wir haben seinerzeit auf die hedonistische Perspektive verwiesen und darauf, dass sie nicht ausreicht, um das menschliche Begehren als solches zu kennzeichnen. Vergessen wir nicht einen ihrer paradoxen Punkte, der für uns exemplarischen Charakter hat, auch wenn er offensichtlich im Schatten des Lebens derjenigen geblieben ist, die sich in der Geschichte als die Weisen dargestellt haben. Die Disziplin, in der sie die Weisen waren, hatte zum Ziel – zu einem als philosophisch charakterisierten Ziel, und dies aus Gründen, die letztlich gültig sind, da sie methodisch sind –, eine Haltung gegenüber dem Begehren zu wählen, eine Haltung, die von Anfang an darin bestand, das Begehren auszuschließen, es unwirksam zu machen.
Jede im strengen Sinne hedonistische Perspektive hat an dieser Position des Ausschlusses Teil, wie es das paradoxe Beispiel zeigt, an das ich Sie hier erinnern möchte, das Beispiel der Position der Kyniker. Die Tradition – aus dem Munde von Chrysipp, wenn ich mich recht erinnere231 – überliefert uns das Zeugnis davon. Diogenes der Kyniker verkündete, jeder habe die Lösung des Problems des sexuellen Begehrens selbst in der Hand, wenn ich so sagen darf, und er bewies dies brillant durch einen Akt, bei dem es nicht etwa um Exhibitionismus ging, sondern um Beweisführung: dadurch, dass er öffentlich masturbierte.“232
Dieser Diogenes wird häufig, zur Abgrenzung von anderen Philosophen demselben Namens, „Diogenes der Kyniker“ genannt, tatsächlich aber gehört er (wie Lacan meint) nicht zu der philosophischen Strömung, die als Kynismus bezeichnet wird.
Einige haben im Gespräch mit Lacan geglaubt (so teilt er uns mit), Freud selbst der Tradition zurechnen zu können, die das Ziel hat, das sexuelle Begehren auf ein Bedürfnis zu reduzieren, dessen Befriedigung technisch beherrschbar wäre. Wer war es? Lacan verrät uns die Namen nicht, macht sich aber in der Taschbuch-Ausgabe der Écrits die Mühe, eine Fußnote nachzuschieben, in der er präzisiert, dass sich darunter „ein bedeutender Philosoph der Gegenwart“ befand.233 Offenbar möchte er, dass wir raten.
Das Übertreten des Jouissance-Verbots führt jedoch nicht nur dazu, dass das Lustprinzip interveniert und die angezielte Jouissance verfehlt wird. Das Übertreten des Masturbationsverbots geht auch mit Schuldgefühl einher; das gehört, sagt Lacan, zur Erfahrung des Analytikers. Wie entsteht dieses Schuldgefühl?
Das mit der Selbstbefriedigung einhergehende Schuldgefühl ist, wie Lacan sagt, originel, „ursprünglich“ oder „anfänglich“, wohl in Anspielung auf le péché originel, den Sündenfall.
Das Jouissance-Verbot wird demnach – dem Gesetz vorausgehend – durch folgende Größen im Psychismus verankert: durch das Lustprinzip, durch das Schuldgefühl und durch das Prinzip des Opfers.
Das durch die Masturbation hervorgerufene Schuldgefühl ist eng verbunden, so behauptet Lacan, mit der Differenz zwischen der Jouissance, die durch die Onanie angestrebt wird, und der schwachen Empfindung, die hierdurch aufgrund des Lustprinzips tatsächlich erreicht wird, mit Freud könnte man sagen: durch die „Differenz zwischen der gefundenen und der geforderten Befriedigungslust“234.
Bei Freud ist die Quelle des Schuldgefühls die Aggression des Subjekts, die sich ursprünglich gegen das Liebesobjekt richtet; nach dem Verlust dem Objekts und der Identifizierung mit ihm wendet sich diese Aggression, als Aggression des Über-Ichs, gegen das Ich.235 Lacan beschreibt das Schuldgefühl anders, er bringt es damit zusammen, dass eine angestrebte Jouissance verfehlt wird. Soweit ich es überblicke, hat Lacan diesen Zusammenhang nirgendwo näher erläutert, zumindest nicht bis 1962. Ich nehme an, dass er sich hier von Ernest Jones inspirieren lässt, der geschrieben hatte, dass
„die Schuld, und mit ihr das Über-Ich, gewissermaßen künstlich zu dem Zwecke geschaffen werden, das Kind vor dem Leid der Entbehrung (privation), d.h. der unbefriedigten Libido zu schützen und auf diese Weise die damit verbundene Furcht vor Aphanisis [vor dem Verschwinden des Begehrens] abzuwehren“236.
Das Schuldgefühl hat also, Jones zufolge, die Funktion, das Kind vor dem Leid der unbefriedigten Libido zu schützen; aus der unbefriedigten Libdio wird bei Lacan das Verfehlen der angestrebten Jouissance.
Damit wird übrigens klar, warum Lacan später sagen wird (ich habe mich bereits darauf bezogen):
„Das Über-Ich, das ist der Imperativ des Genießens – Genieße!“237
Das Über-Ich ist heimtückisch, es befiehlt die Jouissance deshalb, weil es weiß, dass die Jouissance verfehlt werden wird (aufgrund des Sprechens und des Lustprinzips) und dass dies Schuldgefühle hervorrufen wird.
Der imaginäre Signifikant – also der Phallus – hat die Funktion, so heißt es weiter im Subversions-Aufsatz, über die Objekte ein Verbot zu verhängen. Das ist eine überraschende Formulierung, denn in diesem Aufsatz hatte Lacan bisher gesagt, der Phallus habe die Funktion, über die Jouissance ein Verbot zu verhängen; das Jouissance-Verbot wird jetzt mit einem Objekt-Verbot assoziiert. Sind wir damit beim Inzestverbot? Aber warum dann der Plural? Sind Vater, Mutter und Geschwister gemeint?
Auffällig ist die Rede vom „imaginären Signifikanten“. Sie bezieht sich darauf, dass der Phallus seine Funktion, über die Objekte ein Verbot zu verhängen, nur so wahrnehmen kann, dass dabei sowohl die imaginäre als auch die symbolische Dimension ins Spiel kommt: der imaginäre Phallus interveniert als das, was im begehrten Bild fehlt; der symbolische Phallus ist der Penis als Symbol für eine geopferte Jouissance. In ihrem Zusammenwirken bilden diese beiden Erscheinungsformen des Phallus einen „imaginären Signifikanten“ und verhängen sie über die Objekte ein Verbot.
Lacan bringt den „imaginären Signifikanten“ an dieser Stelle mit dem Begriff der „Weihung“ zusammen, der consécration. Dieser Terminus verweist auf das Opfer, genau gesagt, auf die klassische Theorie des Opfers von Henri Hubert und Marcel Mauss, Essai sur la nature et la fonction du sacrifice (1898) (Versuch über Natur und Funktion des Opfers).238 Lacan hatte Marcel Mauss intensiv studiert239, im Subversions-Aufsatz bezieht er sich auf dessen Konzept der „Körpertechnik“, also ist wahrscheinlich, dass er diese Opfertheorie kannte. Das erste Kapitel der Arbeit von Hubert und Mauss hat die Weihung bereits im Titel: „Definition und Einheit des Opfersystems.– Das Opfer und die Weihung“; hier heißt es:
„Das Wort Opfer (sacrifice) legt unmittelbar die Vorstellung der Weihung (consécration) nahe und man könnte geneigt sein zu glauben, dass die beiden Begriffe ineinander übergehen. Denn es ist ja sicher, dass zum Opfer stets eine Weihung gehört; bei jedem Opfer geht ein Objekt aus dem gemeinen Bereich in den religiösen Bereich über – es wird geweiht. Allerdings, nicht alle Weihungen sind von derselben Natur.“240
So ist beispielsweise (heißt es bei Hubert und Mauss anschließend) die Salbung eines Königs eine Weihung, jedoch kein Opfer. Unter einer Weihung verstehen Hubert und Mauss also den Übergang eines Objekts aus der profanen Sphäre in die sakrale Sphäre.241
Auf den Phallus bezogen würde das heißen, dass er beim Jouissance-Opfer gewissermaßen sakralisiert wird. In diese Richtung geht, dass Lacan sich in früheren Texten auf eine religiöse Verwendung des Phallus bezogen hatte, auf die (mutmaßliche) Enthüllung des Phallus in einem antiken Mysterienkult, überliefert durch Fresken in einer Villa bei Pompeji.242 In Seminar 8 von 1960/61, Die Übertragung, hatte Lacan das Symbol Φ durch zwei Fälle von Zwangsneurose erläutert, bei denen die Religion ins Spiel kommt. Im ersten Fall geht es um eine Patientin, die von einer Zwangsvorstellung gequält wird: bei der Eucharistie stellt sie sich anstelle der Hostie männliche Genitalorgane vor.243 Im anderen Fall geht es um einen Mann, der den Geschlechtsverkehr damit einleitet, dass er eine Hostie in die Vagina seiner Partnerin schiebt, sodass bei der Penetration sein Penis von der Hostie bedeckt ist.244
Lacan ist hier dicht bei Freud, der die Verbindung zwischen dem Opfer und der Heiligung so herstellt:
„das Stück Triebbefriedigung, auf das man verzichtet hatte, wurde der Gottheit zum Opfer gebracht; das so erworbene Gemeingut für ‚heilig‘ erklärt“245.
Was könnte bei Lacan mit der Weihung gemeint sein? Das Heilige ist für Lacan die Macht der Bedeutungsgebung durch den Signifikanten.246 Der imaginäre Phallus wird „geweiht“, um über die Objekte ein Verbot zu verhängen: er bekommt die Funktion eines Signifikanten, er installiert ein Verbot. Die Objekte, über das Verbot verhängt wird, sind sicherlich die Objekte des Ödipuskomplexes, also Vater und Mutter; der imaginäre Phallus, und damit der Kastrationskomplex, verhängt über sie ein Verbot.
Die grundlegende Funktion des „imaginären Signifikanten“ – des Phallus – besteht also darin, über die Objekte ein Verbot zu verhängen. Er tut dies, indem er zum Symbol eines Jouissance-Opfers wird und damit „geweiht“ wird, sakralisiert wird, das heißt (falls ich Lacan in diesem Punkt richtig verstanden habe), indem beim Phallus die Jouissance mit einem Schuldgefühl verbunden wird.
Eine wildere Epoche der Psychoanalyse (so heißt es weiter im Subversions-Aufsatz) fand für das Objektverbot zufälligere, nämlich pädagogische Ursachen; Lacan bezieht sich mit dieser Bemerkung sicherlich nicht zuletzt auf Freuds Erklärung für den Untergang des Ödipuskomplexes beim Jungen (durch eine Kastrationsdrohung sowie durch den Anblick des Geschlechtsorgans eines Mädchens). Zugleich deutet er damit sein eigenes theoretisches Projekt an: Freuds anekdotische Erklärung soll durch eine strukturelle Erklärungen ersetzt werden, durch eine Erklärung, die sich nicht auf biographische Zufälligkeiten stützt.
Es gibt noch eine weitere Form der Sakralisierung des Penis-Organs, fährt Lacan fort, die Beschneidung. Es hält es für verdienstvoll, dass Psychoanalytiker sie zu erklären versucht haben, kritisiert jedoch, dass sie die Beschneidung als Zufügung eines Traumas gedeutet haben (statt zu erkennen, dass es bei ihr darum geht, das Organ zu sakralisieren). Dieser Einwand richtet sich gegen Herman Nunberg, der die Beschneidung genau so gedeutet hatte: als ein Trauma, das im Ich das Bestreben auslöst, es auf irgendeine Weise zu wiederholen und darauf zu reagieren.247 Kurz nach dem Schreiben des Subversions-Aufsatzes, in Seminar 10 von 1962/63, Die Angst, wird Lacan sich explizit auf die Arbeit von Nunberg beziehen; dort wird er die Beschneidung vor allem mit dem Schnitt zusammenbringen.248
(8) Nicht negativierbarer Signifikant der Jouissance
… « Le passage du (–φ) (petit phi) de l’image phallique d’un côté à l’autre de l’équation de l’imaginaire au symbolique, le positive en tout cas, même s’il vient à remplir un manque. Tout support qu’il soit du (–1), il y devient Φ (grand phi), le phallus symbolique impossible à négativer, signifiant de la jouissance. Et c’est ce caractère du Φ qui explique et les particularités de l’abord de la sexualité par la femme, et ce qui fait du sexe mâle le sexe faible au regard de la perversion. »249
–
… „Der Übergang des (–φ) (klein phi) des phallischen Bildes von der einen Seite der Gleichung zur anderen, vom Imaginären zum Symbolischen, positiviert es in jedem Fall, selbst wenn es einen Mangel ausfüllt. Wie auch immer es Stütze für das (–1) ist, es wird dabei zu Φ (groß Phi), zum symbolischen Phallus, der unmöglich zu negativieren ist, zum Signifikanten des Jouissance. Eben dieser Charakter des Φ erklärt sowohl die Besonderheiten des Zugangs zur Sexualität bei der Frau als auch, wie es kommt, dass das männliche Geschlecht hinsichtlich der Perversion das schwache Geschlecht ist.“250
Lacan legt fest, wie er die Symbole verwendet. Das Symbol (–φ), minus klein phi, repräsentiert den negativierten imaginären Phallus, also das, was im begehrten Bild fehlt. Das Symbol Φ, groß Phi, bezieht sich auf den symbolischen Phallus. Zwischen diesen beiden Formen des Phallus gibt es eine Bewegung: der imaginäre Phallus geht in den symbolischen Phallus über, (–φ) wird zu Φ.
Das Symbol (–φ) repräsentiert ab Seminar 6, Das Begehren und seine Deutung, die (imaginäre) Kastration und diese Zuordnung ist stabil.
Signifikant der Jouissance
Der symbolische Phallus, Φ, ist der Signifikant der Jouissance. Diese genaue Formulierung, „Signifikant der Jouissance“, fällt hier zum ersten Mal; in älteren Texten wurde der Phallus immer als „Signifikant des Begehrens“ bestimmt, eine Definition, die Lacan nach dem Subversions-Aufsatz nicht mehr verwendet. Die Bezeichnung des Phallus als „Signifikant der Jouissance“ wird von Lacan später zwar selten, aber doch dauerhaft verwendet: einmal in Seminar 16 von 1968/69, Von einem Anderen zum andern251, und ein weiteres Mal in Seminar 20 von 1972/73, Encore252.
Graph aus Subversion des Subjekts (1962)
ergänzt um „Φ“ und „(–φ)“ (Ergänzung durch RN)
Im Graphen des Begehrens wird die Beziehung zwischen dem symbolischen und dem negativierten imaginären Phallus durch die beiden Endpunkt der oberen von links nach rechts verlaufenden Pfeillinie repräsentiert: am Beginn dieser Linie steht „Jouissance“, wofür sich Φ einsetzen lässt, als Symbol der Jouissance; am Ende findet man „Kastration“.
Graph aus Seminar 5, Die Bildungen des Unbewussten,
Sitzung vom 14. Mai 1958
In einer der früheren Versionen des Graphen stand am Beginn der oberen Pfeillinie tatsächlich „Φ“ statt „Jouissance„253; die Einfügung von „Jouissance“ und von „Kastration“ an den beiden Enden dieser Linie wird von Lacan erstmals im Subversions-Aufsatz vorgenommen.
Es ist übrigens nicht eindeutig, ob sich im Graphen „Kastration“ auf die imaginäre Kastration bezieht (auf das Fehlen im Bild) oder auf die symbolische Kastration; ich habe, etwas unvorsichtig, oben rechts (–φ) hinzugefügt, was heißen soll: „die Kastration, sofern sie sich als imaginäre Kastration manifestiert“.
Ab dem Seminar 10 von 1962/63, Die Angst, wird das Objekt a als „Ursache des Begehrens“254 bestimmmt. Von da an entspricht die Beziehung zwischen, einerseits, dem symbolischen Phallus und, andererseits, der imaginären Kastration und dem Objekt a der Kluft zwischen Jouissance und Begehren, die Lacan im Angst-Seminar vor allem beschäftigt.255 Mit der Unterscheidung zwischen dem symbolischen Phallus als Signifikant der Jouissance und der imaginären Kastration sowie dem Objekt a als Ursache des Begehrens kommt das 1958 von Lacan vorgestellte Projekt, die Hegelsche Opposition von Genuss und Begierde für die Psychoanalyse fruchtbar zu machen256, in den Jahren 1962/63 zu einem ersten Ergebnis.
An der zuletzt zitierten Stelle des Subversions-Aufsatzes spricht Lacan von einer „Gleichung“: (–φ) gehe von der imaginären Seite der Gleichung zu ihrer symbolischen Seite über. Im Subversions-Aufsatz gab es bislang nur eine Gleichung, die Formel zu Signifikant und Signifikat:
,
Offenbar sollen diesem Ausdruck der imaginäre und der symbolische Phallus zugeordnet werden, also (–φ) und Φ. Wie? In Seminar 8 von 1960/61, Die Übertragung, heißt es über Φ:
„Dieser Signifikant ist stets verborgen, stets verschleiert.“257
Das spricht wohl eher dafür, Φ auf der linken Seite unter dem Bruchstrich anzusiedeln, was sich durch folgende Formel darstellen ließe:
Wie kann man das lesen? Möglicherweise so: Die Strukturierung des Unbewussten durch den Signifikanten der Jouissance kann auf der imaginären Ebene zur Sprache kommen, als das, was dem begehrten Bild fehlt und wodurch das Phantasma bestimmt wird.
Positiviert und nicht negativierbar
Der imaginäre Phallus ist an seinem Platz im Spiegelbild negativiert, hatte man an früherer Stelle im Jouissance-Aufsatz erfahren. Der symbolische Phallus hingegen, der Signifikant der Jouissance, ist in jedem Fall „positiviert“, er lässt sich nicht „negativieren“, heißt es an der zitierten Stelle des Subversions-Aufsatzes. Das ist, bei einem Vortrag für einen Kongress über Dialektik, eine starke These. Die Negativität ist für Hegel die Triebkraft der Dialektik, Lacans Text hat die Dialektik des Begehrens im Titel; der symbolische Phallus ist für ihn demnach ein Element, dass sich der Dialektik des Begehrens entzieht.
Was ist damit gemeint? Lacan gibt im Subversions-Aufsatz keine Erläuterung. Im Aufsatz Die Bedeutung des Phallus hatte er erklärt, der Phallus sei der Signifikant des Urverdrängten (vgl. auf dieser Website den Artikel Der imaginäre und der symbolische Phallus 1957–1959). Die Urverdrängung ist für Freud die Verdrängung, die den Verdrängungsprozess in Gang setzt und beständig in Gang hält; das Urverdrängte kann auf keine Weise erinnert werden. Also ist der symbolische Phallus als Signifikant der Jouissance wohl der Signifikant des Urverdrängten.258 Er kann nicht negativiert werden, das würde dann heißen, er wird nicht zu einem Elementen des gewöhnlichen Verdrängten, des Unbewussten im üblichen Sinne, damit unterliegt er nicht den Prozessen von Verdichtung und Verschiebung, von Metonymie und Metapher, also nicht der Dialektik des Begehrens.
Einen Mangel ausfüllend
Der symbolische Phallus, Φ, füllt einen Mangel aus, nämlich den mit (–1) angegebenen Mangel, auf den sich auch das Symbol S(Ⱥ) bezieht (Signifikant eines Mangels im Anderen), er liefert einen Ersatz dafür, dass es keinen Garanten der Wahrheit und keinen Garanten des Gesetzes gibt.
Die Geschlechter
Dieser Charakter des symbolischen Phallus, heißt es weiter, erklärt die Besonderheiten des Zugangs zur Sexualität bei beiden Geschlechtern, jedoch auf unterschiedliche Weise.
Bezogen auf die Sexualität der Frau erfahren wir nur, gewissermaßen leer, dass sie einen besonderen Zugang zur Sexualität hat, nicht welchen, und dass sich diese Besonderheit durch den symbolischen Phallus erklären lässt. Zum Verständnis kann man vielleicht eine Bemerkung aus dem Angst-Seminar heranziehen:
„Dieser Bereich, der Bereich der Jouissance, ist der Punkt, wo sich die Frau, wenn ich so sagen kann, dank dieses Punktes als überlegen erweist, und zwar eben darin, dass ihre Verbindung mit dem Knoten des Begehrens weitaus lockerer ist. Dieser Mangel, dieses Minuszeichen, mit dem beim Mann die phallische Funktion gekennzeichnet ist, die bewirkt, dass die Verbindung mit dem Objekt bei ihm durch diese Negativierung des Phallus hindurchgehen muss, durch den Kastrationskomplex, diese Notwendigkeit, die der Status des (–φ) im Zentrum des Begehrens des Mannes ist, eben das ist für die Frau kein notwendiger Knoten.“259
In den Formeln der Sexuierung (Seminare 18 bis 21 und L’étourdit) wird Lacan die These von der nicht-notwendigen Beziehung der Frau auf den Kastrationskomplex mithilfe des Quantors nichtalle ausarbeiten.
Das männliche Geschlecht ist hinsichtlich der Perversion das schwache Geschlecht, anders gesagt, die Perversion (im Sinne der Psychoanalyse) ist eine typisch männliche Struktur, und auch das erklärt sich durch den Phallus als Signifikanten der Jouissance. Im nächsten Absatz wird Lacan das näher ausführen.
Sekundärliteratur
Baas, Bernard: „Subversion“ et „dialectique“. Lacan avec Hegel. In: Recherches en psychanalyse. Hg.: Association Recherches en psychanalyse, Nr. 18, 2014/2, S. 116–123.
Im Internet hier:
https://www.cairn.info/revue-recherches-en-psychanalyse-2014-2-page-116.htm
Auf hier auf Englisch:
https://www.cairn.info/revue-recherches-en-psychanalyse-2014-2-page-116a.html
Fierens, Christian: Subversion du sujet et dialectique du désir dans l’inconscient freudien. . In: Ders.: Lecture de Lacan. Subversion du sujet et dialectique du désir dans l’inconscient freudien. Lituraterre. E.M.E., Brüssel u.a. 2016 (zuerst 2005), S. 85–248, zur hier kommentierten Passage: S. 220–232
Miller, Jacques-Alain: Les six paradigmes de la jouissance. In: La cause freudienne. Nouvelle revue de psychanalyse, Nr. 43, Oktober 1999, S. 7–29.
Im Internet hier:
http://www.causefreudienne.net/wp-content/uploads/2015/04/JAM-Six-paradigmes-jouissance.pdf
Und hier:
https://de.scribd.com/doc/212235386/Les-Six-Paradigme-de-La-Jouissance
Miller, Jacques-Alain: Une nouvelle alliance avec la jouissance (Vortrag von 2009). In: La cause du désir. Nouvelle revue de psychanalyse. Revue de l’École de la Cause Freudienne, Nr. 92, 2016/1, S. 94–103
Im Internet hier:
https://www.cairn.info/revue-la-cause-du-desir-2016-1-page-94.htm
Sokal, Alan; Bricmont, Jean: Eleganter Unsinn. Wie die Denker der Postmoderne die Wissenschaft mißbrauchen. Beck, München 1999 (zuerst USA 1998), darin Kap. 2, „Jacques Lacan“, S. 36-55, zu „Subversion des Subjekts“: S. 44 f.
Weber, Christophe: La subversion de la jouissance. [Zu Subversion du sujet et dialectique du désir dans l’inconscient freudien]. In: Jean-Marie Jadin, Marcel Ritter (Hg.): La jouissance au fil de l’enseignement de Lacan. Érès, Toulouse 2009, S. 129–148
Verwandte Beiträge
- Der imaginäre und der symbolische Phallus
- Phallisches Genießen (I): Seminar 17
- Phallisches Genießen (II): Seminare 19 und 20
- Der Phallus, ein fehlender Signifikant
Anmerkungen
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In den Écrits von 1966 findet man sie auf den Seiten 821 bis 823, in der Übersetzung des Aufsatzes durch Chantal Creusot und Norbert Haas auf den Seiten 198 bis 200 von Schriften II, in der Übersetzung von Hans-Dieter Gondek auf den Seiten 361 bis 363 von Band II.
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„Imaginärer Phallus“: Lacan verwendet den Ausdruck zuerst in Seminar 3, Die Psychosen, Sitzung vom 4. Juli 1956, Version Miller/Turnheim S. 375 (zuletzt in Seminar 13, Das Objekt der Psychoanalyse, Sitzung vom 15. Juni 1966).
Einführung von klein phi (φ) als Symbol für den imaginären Phallus: Seminar 4, Die Objektbeziehung, Sitzung vom 19. Juni 1957, Version Miller/Gondek S. 447 (zuletzt in Seminar 19, … oder schlimmer, Sitzung vom 9. Februar 1972, Version Miller S. 87, und Seminar 23, Das Sinthom, Sitzung vom 16. März 1976, Version Miller/Mitelman/Dielmann S. 134).
„Symbolischer Phallus“: zuerst in Seminar 4, Die Objektbeziehung, Sitzung vom 30. Januar 1957, Version Miller/Gondek S. 179 (zuletzt in Seminar 8, Die Übertragung, Sitzung vom 14. Juni 1961).
Einführung von groß Phi (Φ) als Symbol für den symbolischen Phallus: zuerst in Seminar 5, Die Bildungen des Unbewussten, Sitzung vom 26. März 1958, Version Miller/Gondek S. 359 (zuletzt verwendet in Seminar 23, Das Sinthom, Sitzung vom 16. März 1976).
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Vgl. Lacan, Seminar 4, Die Objektbeziehung, Tabelle „Kastration – Frustration – Privation“ in den Sitzungen vom 12. Dezember 1956, 6. März 1957, 13. März 1957 und 3. April 1957, Version Miller/Gondek S. 67, 235, 255 und 317.
Vgl. Lacan, Seminar 8, Die Übertragung, Sitzung vom 26. April 1961.
Seminar 4, Die Objektbeziehung, Sitzung vom 28. November 1956, Version Miller/Gondek S. 41. Vgl. auch die Tabelle zur Sitzung vom 12. Dezember 1956, Version Miller/Gondek S. 67.
Vgl. Sitzung vom 12. Dezember 1956, Version Miller/Gondek S.69 f.; Sitzung vom 13. März 1957, Version Miller/Gondek S. 260.
Vgl. Seminar 6, Das Begehren und seine Deutung, Sitzung vom 11. Februar 1959, Version Miller S. 258, meine Übersetzung, RN.
Vgl. etwa Lacan: Über eine Frage, die jeder möglichen Behandlung der Psychose vorausgeht (geschrieben Ende 1957/Anfang 1958). In: Ders.: Schriften. Band II. Vollständiger Text. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien 2015, S. 9–71, hier: S. 49.
Lacan verwendet den Ausdruck imaginäre Kastration in:
– Seminar 8, Die Übertragung, in der Sitzung vom 19. April 1961, Version Miller/Gondek S. 307 und 308,
– Seminar 10, Die Angst, Sitzung vom 5. Dezember 1962, Version Miller/Gondek S. 65,
– Subversion des Subjekts und Dialektik des Begehrens im Freud’schen Unbewussten (1962), Version Miller/Gondek S. 366.Einführung von minus klein phi (–φ) als Symbol für die imaginäre Kastration: Seminar 6, Das Begehren und seine Deutung, Sitzung vom 29. April 1959, Version Miller S. 413.
Nach 1962 verwendet Lacan den Ausdruck imaginäre Kastration nicht mehr, wohl aber das Kürzel ( –φ), besonders häufig in Seminar 10 von 1962/63, Die Angst, zuletzt in Seminar 15 von 1967/68, Der psychoanalytische Akt.
Die Rede von der symbolischen Kastration findet man in:
– Richtungweisende Themenvorschläge für einen Kongress über die weibliche Sexualität (geschrieben 1958). In: Lacan: Schriften. Band II. Vollständiger Text. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien 2015, S. 239–256, hier: S. 247,
– Seminar 6, Das Begehren und seine Deutung, Sitzung vom 29. April 1959, Version Miller S. 412 f. (hier wird die symbolische Kastration mit der Privation gleichgesetzt),
– Seminar 8, Die Übertragung, Sitzung vom 19. April 1961, Version Miller/Gondek S. 308,
– Seminar 19, … oder schlimmer, Sitzung vom 10. Mai 1972, Version Miller S. 169,
– Seminar 21, Les non-dupes errent, Sitzung vom 12. Februar 1974.In den Autres écrits werden die Ausdrücke imaginäre Kastration bzw. ( –φ) und symbolische Kastration nicht verwendet.
Vgl. J. Lacan: Funktion und Feld des Sprechens und der Sprache in der Psychoanalyse (1953). In: Ders.: Schriften. Band II. Vollständiger Text. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien 2016, S. 278–381, hier: S. 371 und 378.
Vgl. Lacan, Seminar 5, Die Bildungen des Unbewussten, Sitzung vom 5. März 1958.
Zuerst in Seminar 5, Die Bildungen des Unbewussten, Sitzung vom 23. April 1958, Version Miller/Gondek S. 413.
Das Konzept Ursache des Begehrens wird von Lacan eingeführt in Seminar 10, Die Angst, in der Sitzung vom 16. Januar 1963, Version Miller/Gondek S. 131.
Vgl. Lacan, Seminar 5, Die Bildungen des Unbewussten, Sitzung vom 19. März 1958, Version Miller/Gondek S. 357.
J. Lacan: Subversion du sujet et dialectique du désir dans l’inconscient freudien. In: Ders.: Ecrits. Seuil, Paris 1966, S. 803 f.
Lacan, Subversion des Subjekts und Dialektik des Begehrens im Freud’schen Unbewussten, meine Übersetzung; vgl. die beiden veröffentlichten deutschen Übersetzungen:
– Subversion des Subjekts und Dialektik des Begehrens im Freudschen Unbewussten. Übersetzt von Chantal Creusot und Norbert Haas. In: J. Lacan: Schriften II. Hg. v. N. Haas. Walter-Verlag, Olten 1975, S. 165–204, hier: S. 178;
– Subversion des Subjekts und Dialektik des Begehrens im Freud’schen Unbewussten. In: J. Lacan: Schriften. Band II. Vollständiger Text. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien 2015, S. 325–368, hier: S. 338.Vgl. Lacan, Seminar 10, Die Angst, Sitzung vom 9. Januar 1963, Version Miller/Gondek S. 119.
Zeichnung aus: J. Lacan: Anmerkung zum Bericht von Daniel Lagache „Psychoanalyse und Struktur der Persönlichkeit“ (1960). In: Ders.: Schriften. Band II. Vollständiger Text. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien 2015, S. 146–191, hier: Abb. 2 auf S. 179. Markierung von mir, RN.
Vgl. Karl Abraham: Versuch einer Entwicklungsgeschichte der Libido auf Grund der Psychoanalyse seelischer Störungen. Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Leipzig, Wien, Zürich 1924.
Nachdruck in: Ders.: Gesammelte Schriften in zwei Bänden. Zweiter Band. Hg. v. J. Cremerius. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1982, S. 32–202.
Lacan bezieht sich auf diese Arbeit u.a. in Die Bedeutung des Phallus (1958). In: Ders.: Schriften. Band II. Vollständiger Text. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien 2015, S. 192–204, hier: S. 194, sowie in Seminar 8, Die Übertragung, in den Sitzungen vom 21. und 28. Juni 1961.
Was Melanie Klein betrifft, ist im Kontext des Subversions-Aufsatzes vor allem der folgende Text relevant: Melanie Klein: Der Ödipuskomplex unter dem Aspekt früher Angstsituationen (1945). Aus dem Englischen von Christa Graf. In: Dies: Frühstadien des Ödipuskomplexes. Frühe Schriften 1928–1945. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1985, S. 107–172.
Lacan bezieht sich häufig auf Melanie Klein, auf ihre Konzeption des Phallus bzw. Penis etwa in Seminar 4, Die Objektbeziehung, in den Sitzung vom 12. Dezember 1956 (Version Miller/Gondek S. 75) und in der vom 30. Januar 1957 (Version Miller/Gondek S. 186 f.); in Seminar 5, Die Bildungen des Unbewussten, in der Sitzung vom 15. Januar (Version Miller/Gondek S. 191 f.) und in der vom 12. März 1958 (Version Miller/Gondek S. 333 f.) und in Seminar 6, Das Begehren und seine Deutung, in der Sitzung vom 11. Februar 1959 (Version Miller S. 271) und in der vom 15. April 1959 (Version Miller S. 365).
Die im Zusammenhang des Subversions-Aufsatzes relevanten Texte von Jones sind: E. Jones: Die erste Entwicklung der weiblichen Sexualität. In: Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse, 14. Jg. (1928), S. 11–25, im Internet hier:
https://archive.org/stream/InternationaleZeitschriftFuumlrPsychoanalyseXvi.Band1928Heft1/IZ_XVI_1928_Heft1#page/n17/mode/2upUnd: E. Jones: The phallic phase. In: International Journal of Psycho-Analysis, 14. Jg. (1933), S. 1–33, im Internet hier:
https://de.scribd.com/document/461106615/Ernest-Jones-The-Phallic-Phase-1933Lacan äußert sich zu diesen Arbeiten von Jones etwa in Seminar 4, Die Objektbeziehung, in der Sitzung vom 27. Februar 1957 (Version Miller/Gondek S. 224); in Seminar 5, Die Bildungen des Unbewussten, in den Sitzungen vom 12. März 1958 (Version Miller/Gondek S. 283) und vom 26. März 1958 (Version Miller/Gondek S. 372) und in Seminar 6, Das Begehren und seine Deutung, in den Sitzungen vom 17. Dezember 1958 (Version Miller S. 127 f.) und vom 4. Februar 1959 (Version Miller S. 234).
In der Seminarsitzung vom 14. Mai 1958 heißt es:
„Wenn man sich ansieht, wie diese Objektbeziehung in Schautafeln aufgegliedert wird, die es ermöglichen sollen, die fortschreitende Konstitution des Objekts zu verfolgen, erkennt man sehr gut, dass es darin, zum Teil zumindest, Scheinfenster gibt. Ich glaube nicht, dass weder das genitale Objekt noch das prägenitale Objekt eine andere bedeutsame Tragweite hätten als die Schönheit besagter Schautafeln zu vollenden.“
Vgl. Abraham, Versuch einer Entwicklungsgeschichte, Ausgabe von 1924, a.a.O., S. 90.
Diagramm aus Abraham, Versuch einer Entwicklungsgeschichte, Version von 1981, a.a.O., S. 98.
Vgl. Lacan, Funktion und Feld, a.a.O., S. 331.– Ähnlich in Seminar 4, Die Objektbeziehung, wo von armoiries (Wappen) die Rede ist, ebenfalls mit Bezug auf die Phobie (Sitzung vom 13. März 1957, Version Miller/Gondek S. 271).
Zeichnung aus Klein, Der Ödipuskomplex, Ausgabe von 1985, a.a.O., S. 171.
Auf diesen Aufsatz bezieht sich Lacans Kommentar in Seminar 5, Die Bildungen des Unbewussten, Sitzung vom 15. Januar 1958, Version Miller/Gondek S. 191 f.
Im Seminar Die Bildungen des Unbewussten, heißt es:
„Aufgrund ihrer außerordentlichen Hemmung, einem besonderen Organ ein solches Privileg zu verleihen, sprechen die Autoren letztlich überhaupt nicht mehr davon, obwohl er quasi in jeder Analyse ist.“
(Lacan, Seminar 5, Die Bildungen des Unbewussten, Sitzung vom 14. Mai 1958, Version Miller/Gondek S. 457)
Lacan, Seminar 5, Die Bildungen des Unbewussten, Sitzung vom 14. Mai 1958, Version Miller/Gondek S. 457, Übersetzung geändert.
Lacan, Seminar 5, Die Bildungen des Unbewussten, Sitzung vom 12. März 1958, Version Miller/Gondek S. 337, Übersetzung geändert.
Vgl. Lacan, Die Bedeutung des Phallus, a.a.O., S. 195, Übersetzung geändert (Gondek übersetzt normaliser mit „Normierung“).
Lacan, Seminar 8, Die Übertragung, Sitzung vom 1. Februar 1961, Version Miller/Gondek S. 184.
Vgl. Hegel, Phänomenologie des Geistes, IV.A. „Selbständigkeit und Unselbständigkeit des Selbstbewusstseins; Herrschaft und Knechtschaft“.
Zum ersten Mal kommentiert Lacan die Herr-Knecht-Dialektik in Die Aggression in der Psychoanalyse (1948). Vgl. ders.: Schriften. Band I. Vollständiger Text. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien 2016, S. 118–145, über Herr und Knecht: S. 142–143.
Vgl. Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, § 209.
Lacan, Subversion, Écrits 1966, S. 811, meine Übersetzung; vgl. die Übersetzungen von Creusot/Haas S. 186 und von Gondek S. 347.
Vgl. J. Lacan: Gides Jugend oder Buchstabe, Brief und Begehren (1958). In: Ders.: Schriften. Band II. Vollständiger Text. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek.Turia und Kant, Wien 2015, S. 257–289, hier: S. 279.
Vgl. Alexandre Kojève: Hegel, eine Vergegenwärtigung seines Denkens. Kommentar zur Phänomenologie des Geistes. Übersetzt von Iring Fetscher. Kohlhammer, Stuttgart 1958.
In: C. Lévi-Strauss: Strukturale Anthropologie. Übersetzt von Hans Naumann. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1967, S. 204–225.
Deutsch in: J. Lacan: Der individuelle Mythos des Neurotikers oder Dichtung und Wahrheit in der Neurose. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien 2008, S. 9–41.
Vgl. S. Freud: Bemerkungen über einen Fall von Zwangsneurose (1909). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 7. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 31–103.
Bei Sartre ist mauvaise foi ein Schlüsselbegriff, der mit „Unaufrichtigkeit“ übersetzt worden ist. Vgl. J.-P. Sartre: Das Sein und das Nichts, Teil 1, Kapitel 2, Die Unaufrichtigkeit, und Teil 4, Kapitel 2, II. Die existentielle Psychoanalyse. Aber an dieser Stelle ist von Lacan vermutlich einfach nur die Bösartigkeit gemeint. Oder versucht er hier, Hegels Herr-Knecht-Dialektik mit Sartres mauvaise foi zu kreuzen?
Lacan, Funktion und Feld des Sprechens und der Sprache, a.a.O., S. 371.
Lacan, Funktion und Feld, a.a.O., S. 271, Übersetzung geändert, RN.
Lacan, Funktion und Feld, a.a.O., S. 372, Übersetzung geändert, RN.
Lacan, Seminar 2, Das Ich in der Theorie Freuds und in der Technik der Psychoanalyse, Sitzung vom 12. Mai 1955, Version Miller/Metzger S. 276.
Lacan, Subversion, Écrits 1966, S. 817, meine Übersetzung; vgl. die Übersetzungen von Creusot/Haas S. 194 und von Gondek S. 356.
Vgl. in Lacans Seminar 4, Die Objektbeziehung, vor allem die Sitzungen vom 12. Dezember 1956, vom 6. März 1957 und vom 3. April 1957.
Vgl. Lacan, Seminar 10, Die Angst, Sitzung vom 15. Mai 1963, Version Miller/Gondek S. 290.
Vgl. Lacan, Seminar 10, Die Angst, Sitzung vom 19. Juni 1963, Version Miller/Gondek S. 371.
Vgl. Lacan, Seminar 9, Die Identifizierung, Sitzung vom 30. Mai 1962.
Lacan, Seminar 10, Die Angst, Sitzung vom 16. Januar 1963, Version Miller/Gondek S. 138.
Lacan, Seminar 11, Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse, Sitzung vom 4. März 1964, Version Miller/Haas S. 110.
Abbildung aus: Lacan, Subversion, Écrits 1966, S. 817, meine Übersetzung.
Vgl. Seminar 6, Sitzung vom 8. April 1958, Version Miller S. 354.
Lacan, Seminar 7, Die Ethik der Psychoanalyse, Sitzung vom 30. März 1960, Version Miller/Haas S. 233.
Vgl. Lacan, Seminar 7, Die Ethik der Psychoanalyse, Sitzung vom 30. März 1960, Version Miller/Haas S. 232–235.
Vgl. Lacan, Subversion, Écrits 1966, S. 818; Übersetzung Creusot/Haas S. 194 f.; Übersetzung Gondek S. 357.
Vgl. S. Freud: Hemmung, Symptom und Angst (1926). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 6. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 227–308, hier: S. 278 f.
Vgl. S. Freud: Das Unbehagen in der Kultur (1930). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 9. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 191–270, hier: S. 251.
Lacan, Subversion, Écrits 1966, S. 819, meine Übersetzung; vgl. die Übersetzungen von Creusot/Haas S. 195 f. und von Gondek S. 357 f.
Vgl. Lacan, Seminar 9, Die Identifzierung, Sitzung vom 6. Dezember 1961.
In Seminar 24, L’insu que sait de l’une bévue s’aile à mourre, in der Sitzung vom 19. April 1977.
Saussure:
„Alles Vorausgehende läuft darauf hinaus, daß es in der Sprache nur Verschiedenheiten gibt. Mehr noch, eine Verschiedenheit setzt im allgemeinen positive Einzelglieder voraus, zwischen denen sie besteht; in der Sprache aber gibt es nur Verschiedenheiten ohne positive Einzelglieder. Ob man Bezeichnetes [Signifikate] oder Bezeichnendes [Signifikanten] nimmt, die Sprache enthält weder Vorstellungen noch Laute, die gegenüber dem sprachlichen System präexistent wären, sondern nur begriffliche und lautliche Verschiedenheiten, die sich aus dem System ergeben.“
(Ferdinand de Saussure: Grundlagen der allgemeinen Sprachwissenschaft. Hg. v. Charles Bally und Albert Sechehaye. Übersetzt von Herman Lommel. De Gruyter, Berlin 1967, Zweiter Teil, Kapitel IV, § 4, „Das Zeichen als Ganzes betrachtet“, S. 143 f.)
Vgl. Lacan, Seminar 12, Schlüsselprobleme für die Psychoanalyse, Sitzung vom 5. Mai 1965.
Vgl. Lacan, Seminar 12, Schlüsselprobleme für die Psychoanalyse, Sitzung vom 5. Mai 1965.
Vgl. S. Freud: Bemerkungen über einen Fall von Zwangsneurose (1909). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 7. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 31–104; hier: S. 59.
Lacan, Seminar 8, Die Übertragung, Sitzung vom 19. April 1961, Version Miller/Gondek S. 297.
Vgl. S. Freud: Massenpsychologie und Ich-Analyse (1921), Kap. VII. „Die Identifizierung“. In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 9. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 61–134, hier: S. 100.
Vgl. Lacan, Seminar 9, Die Identifizierung, Sitzung vom 7. März 1962.
Vgl. hierzu und zum Folgenden Seminar 9, Die Identifizierung, Sitzungen vom 13. Dezember 1961 und vom 10. Januar 1962.
S. Freud: Die Traumdeutung (1900). In: Ders.: Studienausgabe, Band 2. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 217, Hervorhebung von Freud.
Vgl. Lacan: Schriften. Band I. Vollständiger Text. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien 2016, S. 582–628, hier: S. 609.
Vgl. Lacan, Subversion, Écrits 1966, S. 801, Übersetzung Creusot/Haas S. 185, Übersetzung Gondek S. 334 f.
Ich folge hier der Erläuterung der Formel durch Bruce Fink in: Ders.: The Lacanian Phallus and the Square Root of Negative One. In: Ders.: Lacan to the Letter. University of Minnesota Press, Minneapolis 2004, S. 129–140, hier: S. 133 f.
Vgl. Lacan. Das Drängen des Buchstabens im Unbewussten, a.a.O., S. 610.
Vgl. Lacan, Seminar 9, Die Identifizierung, vor allem die Sitzungen vom 15. und 22. November 1961 sowie vom 10. Januar 1962.
Vgl. Lacan, Seminar 9, Die Identifizierung, Sitzung vom 10. Januar 1962 (Lacans Schreibweise ist komplexer, ich reduziere sie hier).
Lacan, Subversion, Écrits 1966, S. 800, meine Übersetzung; vgl. Übersetzung Creusot/Haas, a.a.O., S. 173 f., Übersetzung Gondek, a.a.O., S. 333.
Vgl. Roman Jakobson: Verschieber, Verbkategorien und das russische Verb (1957). In: Ders.: Form und Sinn. Sprachwissenschaftliche Betrachtungen. Fink, München 1974, S. 35–54, v.a. S. 37 f., im Internet hier.
Vgl. Emile Benveniste: La nature des pronoms (1956). In: Ders.: Problèmes de linguistique générale. Tome 1. Gallimard, Paris 1966, S. 251–257, im Internet hier.
In Seminar 4, Die Objektbeziehung, stellt Lacan den Übergang vom „Sein“ zu „Leben und Tod“ ausdrücklich her; vgl. Sitzung vom 27. März 1957, Version Miller/Gondek S. 300 f.
Vgl. Lacan, Subversion, Écrits 1966 S. 802; Übersetzung Creusot/Haas S. 176; Übersetzung Gondek S. 336.
S. Freud: Formulierungen über die zwei Prinzipien des psychischen Geschehens (1911). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 3. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 13–24, hier: S. 24.
Die Formulierungen hierzu im Subversions-Aufsatz sind andeutend, sie imitieren eine freie Assoziation:
„Er wusste nicht … Etwas mehr und er wüsste, ach, möge das niemals eintreffen! Eher stürbe ich, als dass er wüsste. Ja, so komme Ich (Je) dorthin, dorthin, wo es war – wer wusste denn, dass Ich (Je) tot war?“ (Meine Übersetzung)
Um es zu verdeutlichen (gestützt auf Lacans Erläuterungen zu diesem Traum in seinem Seminar):
– Er (der tote Vater) war kurz davor, es zu wissen.
– Das soll aber nicht geschehen. (Dies ist der Traumwunsch: Das Ich/Je wünscht, dass der Vater nicht weiß. Es schiebt sein eigenes Nichtwissen auf den Vater ab.)
– Es wäre besser, ich würde sterben, als dass der Vater wüsste. (Damit kommt, nach dem Tod des Vaters, der Tod des Subjekts ins Spiel. Der Tod des Vaters erweist sich als Maske für den Tod des Subjekts.)
– Auf diese Weise komme Ich/Je dorthin, wo es war (in Anspielung Freuds Sentenz „Wo Es war, soll Ich werden“). (Das Ich/Je ist damit bei dem angekommen, was verdrängt war: beim Tod des Subjekts.).
– Wer wusste, dass Ich (Je) tot war? (Je/Ich wusste nicht, dass Ich/Je tot war, es schützt sich mit diesem Traum vor der Todesangst.)Vgl. die Analyse des Traums vom toten Vater in Seminar 6, Das Begehren und seine Deutung: Sitzung vom 26. November 1958 (Version Miller S. 69–78); Sitzung vom 10. Dezember 1958 (Version Miller S. 112–119); Sitzung vom 17. Dezember 1958 (Version Miller S. 121–124); Sitzung vom 7. Januar 1959 (Version Miller S. 140–145); Sitzung vom 8. April 1959 (Version Miller S. 350 f.); Sitzung vom 27. Mai 1959 (Version Miller S. 475).
G.W.F. Hegel: Phänomenologie des Geistes. Werke 3. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1989, Vorrede, S. 36.
S. Freud: Jenseits des Lustprinzips (1920). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 3. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 213–272, hier: S. 248.
Vgl. Matthäus 22, 34–40.
Vgl. zum Gebot, Gott zu lieben: J. Lacan: Die Ethik der Psychoanalyse, Sitzung vom 16. März 1960, Version Miller/Haas S. 216.
Vgl. Karl Barth, Der Römerebrief, 2. Fassung 1922; R. Bultmann: Neues Testament und Mythologie. Das Problem der Entmythologisierung in der neutestamentlichen Verkündigung, 1941.
Vgl. Lacan, Seminar 7, Die Ethik der Psychoanalyse, Sitzung vom 8. Juni 1960, Version Miller/Haas S. 327 f.
Lacan, Subversion, Écrits 1966, S. 819 f., meine Übersetzung; vgl. die Übersetzungen von Creusot/Haas S. 196 und von Gondek S. 358 f.
Vgl. Lacan, Seminar 7, Die Ethik der Psychoanalyse, Sitzung vom 23. März 1960, Version Miller/Has S. 218.
Spinozas Ausführungen zum amor intellectualis dei findet man in der Ethik, V, Lehrsätze 32 bis 36.
Hegels Satz steht in der Vorrede zu den Grundlinien der Philosophie des Rechts.
Die Stelle lautet genau:
„Que l’univers n’est qu’un défaut
Dans la pureté du Non-être. »(Ébauche d’un serpent, 3. Strophe. In: P. Valéry, Charmes, 1922, im Internet hier).
Sophokles, Ödipus auf Kolonos, Chorlied, Vers 1225.
Lacan verweist hierauf u.a. in Seminar 6, Das Begehren und seine Deutung, in der Sitzung vom 10. Dezember 1958 (Version Miller S. 116), in Seminar 7, Die Ethik der Psychoanalyse, in den Sitzungen vom 25. Mai 1960 (Version Miller/Haas S. 301), vom 29. Juni 1960 (vgl. Version Miller/Haas S. 364, 369) und vom 6. Juli 1960 (vgl. Version Miller/Haas S. 373 f.).
Lacan sagt,
dass „die Jouissance sich nicht einfach als die Befriedigung eines Bedürfnisses darstellt, sondern als Befriedigung eines Triebs in dem Sinn, in dem dieser Begriff die komplexe Ausarbeitung verlangt, die ich vor Ihnen hier zu artikulieren versuche“.
(Seminar 7, Die Ethik der Psychoanalyse, Sitzung vom 4. Mai 1960, Version Miller/Haas S. 253)
Lacan, Seminar 10, Die Angst, Sitzung vom 19. Dezember 1962, Version Miller/Gondek S. 95.
Vgl. etwa Lacan, Seminar 2, Das Ich in der Theorie Freuds und in der Technik der Psychoanalyse, Sitzung vom 19. Mai 1955, Version Miller/Metzger S. 283.
Zuerst in Seminar 5, Die Bildungen des Unbewussten, Sitzung vom 18. Juni 1958; vgl. Version Miller/Gondek S. 546 (Gondek übersetzt manque-à-être dort mit „Seinsverfehlen“).
Lacan, Fonction et champ de la parole et du langage en psychanalyse. In: Ders.: Écrits. Seuil, Paris 1966, S. 237–322, hier S. 276, meine Übersetzung; vgl. die Übersetzung von Gondek, a.a.O., S. 325)
Vgl. S. Freud: Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (1916–17). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 1. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 34–445, hier: 22. Vorlesung: S. 338.
Vgl. etwa S. Freud: Zeitgemäßes über Krieg und Tod (1915). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 9. Fischer Taschenbuch Verlag 2000, S. 33–60, hier: S. 42.
Vgl. etwa S. Freud: Zwangshandlungen und Religionsübungen (1907). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 7. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 11–21, hier: S. 20.
Vgl. S. Freud: Das Unbehagen in der Kultur (1930), in: Ders.: Studienausgabe, Bd. 9. Fischer Taschenbuch Verlag 2000, S. 191–270, hier: S. 256 Fn. 2.
Zwangshandlungen und Religionsübungen, a.a.O., S. 18.
Lacan, Seminar 7, Die Ethik der Psychoanalyse, Sitzung vom 23. März 1960, Version Miller/Haas S. 225 f.
Vgl. S. Freud: Bemerkungen über einen Fall von Zwangsneurose (1909). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 7. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 31–104, hier v.a. S. 45 f. und 75.
Vgl. Seminar 2, Das Ich in der Theorie Freuds und in der Technik der Psychoanalyse, Sitzung vom 16. Februar 1955, Version Miller/Metzger S. 168.
Vgl. S. Freud: Totem und Tabu. Einige Übereinstimmungen im Seelenleben der Wilden und der Neurotiker (1912–1913). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 9. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 287–444, hier: S. 426 f.
Lacan, Seminar 7, Die Ethik der Psychoanalyse, Sitzung vom 16. März 1960, Version Miller/Haas S. 214.
In der 21. Strophe von Ébauche d’un serpent berichtet die Schlange, was sie zu Eva gesagt hatte:
« Rien, lui soufflais-je, n’est moins sûr
Que la parole divine, Ève !
Une science vive crève
L’énormité de ce fruit mûr
N’écoute l’Être vieil et pur
Qui maudit la morsure brève
Que si ta bouche fait un rêve,
Cette soif qui songe à la sève,
Ce délice à demi futur,
C’est l’éternité fondante, Ève ! »Wörtlich übersetzt:
„Nichts“, flüsterte ich ihr zu, „ist weniger sicher
Als das göttliche Wort, Eva!
Eine lebendige Wissenschaft lässt zerbersten
Das Ungeheure dieser reifen Frucht
Höre nicht auf das alte und reine Wesen
Das den kurzen Biss verflucht
Damit, wenn dein Mund einen Traum hat,
Dieser Durst, der an den Saft denkt,
Dieser halb-zukünftige Genuss,
Die schmelzende Ewigkeit ist, Eva!“Ce délice à demi futur liegt zwischen Begierde und Genuss.
Lacan, Seminar 7, Die Ethik der Psychoanalyse, Sitzung vom 16. März 1960, meine Übersetzung; vgl. Version Miller/Haas S. 214.
Lacan, Seminar 5, Die Bildungen des Unbewussten, Sitzung vom 2. Juli 1958, Version Miller/Gondek S. 585, Übersetzung geändert.
Lacan, Subversion, Écrits 1966, S. 821, meine Übersetzung; vgl. die Übersetzungen von Creusot/Haas S. 198 und von Gondek S. 360.
Vgl. Lacan, Subversion, Écrits 1966, S. 820; Übersetzung Creusot/Haas S. 196, Übersetzung Gondek S. 358 f.
Lacan, Seminar 7, Die Ethik der Psychoanalyse, Sitzung vom 16. Dezember 1959, Version Miller/Haas S. 84, Übersetzung geändert.
Vgl. Lacan, Subversion, Écrits 1966, S. 813; Übersetzung Creusot/Haas S. 188 f., Übersetzung Gondek S. 350.
Vgl. Christian Fierens: Subversion du sujet et dialectique du désir dans l’inconscient freudien. In: Ders.: Lecture de Lacan. Subversion du sujet et dialectique du désir dans l’inconscient freudien. Lituraterre. E.M.E., Brüssel u.a. 2016 (zuerst 2005), S. 85–248, hier: S. 220.
Vgl. Jacques-Alain Miller: Les six paradigmes de la jouissance. In: La cause freudienne. Nouvelle revue de psychanalyse, Nr. 43, Oktober 1999, S. 7–29, Paradigme 5.
Lacan, Seminar 22, RSI, Sitzung vom 8. April 1975, Übersetzung von Max Kleiner S. 57.
Freud: Jenseits des Lustprizips (1920). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 3. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 213–272, hier: S. 220.
Lacan, Seminar 7, Die Ethik der Psychoanalyse, Sitzung vom 16. Dezember 1959, Version Miller/Haas S. 87.
Prediger 9,9, Übersetzung der Lutherbibel 2017.
Lacan, Seminar 10, Die Angst, Sitzung vom 19. Dezember 1962, Version Miller/Gondek S. 105, Übersetzung geändert.
Vgl. Lacan, Seminar 16, Von einem Anderen zum anderen, Sitzung vom 13. November 1968, Version Miller S. 725; Seminar 18, Über einen Diskurs, der nicht vom Schein wäre, Sitzung vom 16. Juni 1971, Version Miller S. 178 (meine Übersetzung der Sitzung vom 16. Juni 1971 findet man auf der Website Lacan entziffern hier).
Lacan, Seminar 20, Encore, Sitzung vom 21. November 1972, Version Miller/Haas u.a. S. 9.
Lacan, Subversion, Écrits 1966, S. 821, meine Übersetzung; vgl. die Übersetzungen von Creusot/Haas S. 198 und von Gondek S. 360.
Lacan, Seminar 7, Die Ethik der Psychoanalyse, Sitzung vom 23. März 1960, Version Miller/Haas S. 224, Übersetzung geändert.
Vgl. Lacan, Seminar 7, Die Ethik der Psychoanalyse, Sitzung vom 16. Dezember 1959, Version Miller/Haas S. 75.
Die Zuordnung von Primärvorgang und Lustprinzip findet man in Formulierungen über die zwei Prinzipien des psychischen Geschehens (1911). In: Freud: Studienausgabe, Bd. 3. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 13–24.
Seminar 7, Die Ethik der Psychoanalyse, Sitzung vom 3. Februar 1960, Version Miller/Haas S. 166, Übersetzung geändert.
Seminar 7, Die Ethik der Psychoanalyse, Sitzung vom 3. Februar 1960, Version Miller/Haas S. 169.
Freud, Traumdeutung, a.a.O., S. 573, die Hervorhebung ist von Freud.
Lacan, Seminar 7, Die Ethik der Psychoanalyse, Sitzung vom 23. März 1960, Version Miller/Haas S. 224, Übersetzung geändert.
Lacan, Seminar 10, Die Angst, Sitzung vom 23. Januar 1963, Version Miller/Gondek S. 158, Übersetzung geändert.
Freud: Abriss der Psychoanalyse (1938). In: Ders.: Gesammelte Werke, Bd. 17. Imago, London 1955, S. 63–138, hier: S. 71.
Vgl. Freud, Das ökonomische Problem des Masochismus, a.a.O., S. 344.
Freud, Das ökonomische Problem des Masochismus, a.a.O., S. 345.
Lacan, Seminar 7, Die Ethik der Psychoanalyse, Sitzung vom 2. Dezember 1959, Version Miller/Haas S. 51.
Lacan, Seminar 7, Die Ethik der Psychoanalyse, Sitzung vom 27. Januar 1960, Version Miller/Haas S. 147.
Seminar 16, D’un Autre à l’autre. Sitzung vom 23. April 1969. meine Übersetzung nach Version Miller, Seuil, Paris 2006, S. 276 f.
Lacan, Subversion, Écrits 1966, S. 821 f., meine Übersetzung; vgl. die Übersetzungen von Creusot/Haas S. 198 und von Gondek S. 361.
Freud, Jenseits des Lustprinzips, a.a.O., 218.
Freud bezieht sich hier auf Fechners Einige Ideen zur Schöpfungs- und Entwicklungsgeschichte der Organismen, Leipzig 1873.
Vgl. Lacan, Seminar 7, Die Ethik der Psychoanalyse, Sitzung vom 25. November 1959, Version Miller/Haas S. 37.
Lacan, Subversion, Écrits 1966, S. 820, meine Übersetzung; vgl. Übersetzung Creusot/Haas S. 197, Übersetzung Gondek S. 369.
Lacan, Subversion, Écrits 1966, S. 820, meine Übersetzung; vgl. Übersetzung Creusot/Haas S. 197, Übersetzung Gondek S. 359.
Vgl. Lacan, Seminar 13, Das Objekt der Psychoanalyse, Sitzung vom 8. Juni 1966.
Auf Krafft-Ebing, den Erfinder des Begriffspaars Sadismus-Masochismus, bezieht Freud sich in den Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie; Lacan spricht im Ethik-Seminar von der „revolutionären Forschung“ von Krafft-Ebing (Sitzung vom 30. März 1960, Version Miller/Haas S. 235).
Richard von Krafft-Ebing: Psychopathia sexualis, mit besonderer Berücksichtigung der conträren Sexualempfindung. Eine klinisch-forensische Studie. Enke, Stuttgart 1894, 9., verbesserte und teilweise vermehrte Auflage, S. 10.
Lacan, Seminar 5, Die Bildungen des Unbewussten, Sitzung vom 11. Juni 1958, Version Miller/Gondek S. 531, Übersetzung geändert.
Freud: Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (1916–17). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 1. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 34–448, hier: S. 48.
Freud: Die Zukunft einer Illusion (1927). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 9. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 135–190, hier: S. 141; S. Freud: Das Unbehagen in der Kultur (1930). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 9, a.a.O., S. 191–280, hier: S. 226.
Lacan, Seminar 6, Das Begehren und seine Deutung, Sitzung vom 22. April 1959, meine Übersetzung nach Version Staferla; vgl. Version Miller S. 387.
Lacan, Seminar 7, Die Ethik der Psychoanalyse, Sitzung vom 6. Juli 1960, meine Übersetzung nach Version Staferla; vgl. Version Miller/Haas S. 384.
Lacan, Seminar 10, Die Angst, Sitzung vom 5. Juni 1963, meine Übersetzung nach Version Staferla; vgl. Version Miller/Gondek S. 348.
Vgl. J. Lacan, Seminar 11, Sitzung vom 11. März 1964, Version Miller/Haas S. 120.
Vgl. Lacan, Seminar 6, Das Begehren und seine Deutung, Sitzung vom 29. April 1959, Version Miller S. 412 f.
Krafft-Ebing, a.a.O., S. 11.
Die Skulptur bezieht sich auf eine Vision, von der Theresa in ihrer Autobiographie berichtet (Vida, 1556, Kap. 29, Abschnitt 13, von der Wolke spricht sie in den Kapiteln 18 bis 20, vgl. die deutsche Übersetzung hier).
Das von Krafft-Ebing einem Lübke zugeschriebene Zitat geht zurück auf Friedrich Müller, Die Künstler aller Zeiten und Völker (1857), Artikel „Giovanni Lorenzo Bernini“, wo die Skulptur so beschrieben wird: „in welcher die Heilige in hysterischer Ohnmacht, mit gebrochenem Blick, auf einer Wolkenmasse liegend, ihre Glieder streckt, während ein lüsterner Engel mit dem Pfeil (hier dem Sinnbild der göttlichen Liebe) auf sie zielt“ (siehe hier).
Vgl. Encore, Sitzung vom 20. Februar 1973, Version Miller/Haas u.a. S. 83.
Die Angst, Sitzung vom 27. März 1963, Version Miller/Gondek S. 253.
Vgl. S. Freud: Die Traumdeutung, Kap. VI.E, „Die Darstellung durch Symbole im Traume“. In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 2. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 349–394, hier: S. 348..
Vgl. E. Jones: Die Theorie der Symbolik. In: Ders.: Die Theorie der Symbolik und andere Aufsätze. Ullstein, Frankfurt/M. u.a. 1958, S. 50–114.
Vgl. Lacan: Zum Gedenken an Ernest Jones: Über seine Theorie der Symbolik. In: Ders.: Schriften. Band II. Vollständiger Text. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien 2015, S. 205–229, hier: S. 220.
Lacan, Seminar 8, Die Übertragung, Sitzung vom 19. April 1961, Version Miller/Gondek S. 295, Übersetzung geändert.
Vgl. Ferdinand de Saussure: Grundlagen der allgemeinen Sprachwissenschaft. Hg. v. Ch. Bally und A. Sechehaye. Übersetzt von Herman Lommel. de Gruyter, Berlin 1967, S. 80.
Hamlet sagt dort zu Ophelia:
„Ich hab euch einst geliebt. (…) ich liebte euch nicht. (…) Fort mit dir in ein Nonnenhaus (nunnery), was, wolltest du eine Gebärerin von Sündern sein? (…) Falls du heiratest, gebe ich dir diesen Fluch als Mitgift: Seist du auch so keusch wie Eis, so rein wie Schnee, du sollst der Verleumdung nicht entgehn; fort mit dir in ein Nonnenhaus, leb wohl. (…) Auch über eure Anmalerei bin ich unterrichtet, mehr als genug. Gott gab euch ein Gesicht, und ihr macht euch ein andres, ihr tänzelt, ihr wippt und ihr lispelt, ihr mißbenennt Gottes Schöpfungen und gebt eure Lüsternheit für Unwissenheit aus; geht mir doch, ich will nichts mehr davon wissen, es hat mich irrsinnig gemacht.“
(William Shakespeare: Hamlet. Englisch/Deutsch. Übersetzt von Holger M. Klein. Reclam jun., Stuttgart 1985, 3. Akt, 2. Szene, S. 165)
Lacan, Seminar 6, Das Begehren und seine Deutung, Sitzung vom 15. April 1959, meine Übersetzung; vgl. Version Miller S. 380.– Eine Übersetzung der gesamten Sitzung durch Susanne Hommel findet man hier.
Vgl. S. Freud: Aus der Geschichte einer infantilen Neurose (1918). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 8. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 125–234, hier: Teil IV, „Der Traum und die Urszene“.
Abbildung aus: Aus der Geschichte einer infantilen Neurose, a.a.O., S. 150.
Gemeint ist: Pierre Drieu la Rochelle: L’Homme couvert de femmes (1925) (wörtlich übersetzt: „Der von Frauen bedeckte Mann“). Dt.: Der Frauenmann (1972). RN
S. Freud: Bemerkungen über einen Fall von Zwangsneurose (1909). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 7. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 31–103, hier: S. 44, Hervorhebung von Freud.
Lacan, Seminar 10, Die Angst, Sitzung vom 29. Mai 1963, meine Übersetzung nach Version Staferla; vgl. Version Miller/Gondek S. 326.
Lacan, Seminar 6, Das Begehren und seine Deutung, Sitzung vom 8. April 1959, meine Übersetzung nach Version Staferla; vgl. Version Miller S. 354 f.– Eine Übersetzung der gesamten Sitzung durch Michael Turnheim findet man hier.
Lacan, Seminar 7, Die Ethik der Psychoanalyse, Sitzung vom 29. Juni 1960, meine Übersetzung nach Version Staferla; vgl. Version Miller/Haas S. 360 f.
J. Lacan: Seminar 16, D’un Autre à l’autre, Sitzung vom 14. Mai 1969, meine Übersetzung (RN), nach Version Staferla; vgl. Version Miller S. 321 f.
Lacan, Subversion, Écrits 1966, S. 822, meine Übersetzung; vgl. die Übersetzungen von Creusot/Haas S. 198 f. und von Gondek S. 361.
Vgl. S. Freud: Zur Einführung des Narzissmus (1914). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 3. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 37–68, hier: S. 43.
Karl Abraham: Versuch einer Entwicklungsgeschichte der Libido auf Grund der Psychoanalyse seelischer Störungen (1924). In: Ders.: Gesammelte Schriften in zwei Bänden. Zweiter Band. Hg. v. J. Cremerius. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1982, S. 32–202, hier: S. 97.
Lacans erste Darstellung von Abrahams Konzeption der Objektliebe unter Genitalausschluss findet man in Seminar 8, Die Übertragung, in den Sitzungen vom 21. und 28. Juni 1961. In Seminar 9, Die Identifizierung, kommt er darauf zurück, in der Sitzung vom 21. Februar 1962, ein weiteres Mal in Seminar 10, Die Angst, in der Sitzung vom 28. November 1962, Version Miller/Gondek S. 54 f.
Lacan, Seminar 8, Die Übertragung, Sitzung vom 21. Juni 1961, Version Miller/Gondek S. 461.
Abbildung aus Lacan, Seminar 8, Le transfert, Version Ali, Sitzung vom 21. Juni 1961, S. 381.
In Seminar 9, Die Identifizierung, greift Lacan dieses Schema wieder auf; vgl. Sitzung vom 21. Februar 1962.
Diese Schreibweise verwendet Lacan zuerst in Seminar 6, Das Begehren und seine Deutung, Sitzung vom 29. April 1959, Version Miller S. 413.
Lacan, Subversion, Écrits 1966, S. 822, meine Übersetzung; vgl. die Übersetzungen von Creusot/Haas S. 198 f. und von Gondek S. 361.
Vgl. S. Freud: Zur Einführung des Narzissmus (1914). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 3. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 37–68, hier: S. 43.– S. Freud: Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (1916–1917). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 1. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 34–445, hier: S. 401 f.
Zum Spiegelstadium vgl. v.a. die folgenden Arbeiten Lacans:
– Die Familie (1938). Übersetzt von Friedrich A. Kittler. In: Lacan: Schriften III. Hg. v. Norbert Haas. Walter-Verlag, Olten 1980, S. 39–100, darin das Kapitel „Der Komplex des Eindringlings“, S. 54–62,
– Äußerungen über die psychische Kausalität (Vortrag von 1946, zuerst veröffentlicht 1950). In: Ders.: Schriften. Band I. Vollständiger Text. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien 2015, S. 176–227, darin Kapitel 3 „Die psychischen Effekte des imaginären Modus“, S. 209–225,
– Die Aggressivität in der Psychoanalyse (1948). In: Ders.: Schriften Band I. Vollständiger Text. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek, a.a.O., S. 118–145, darin: S. 130–133,
– Das Spiegelstadium als Gestalter der Funktion des Ichs (1949). In: Ders.: Schriften Band I. Vollständiger Text. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek, a.a.O., S. 109–117.Lacan, Seminar 5, Die Bildungen des Unbewussten, Sitzung vom 18. Juni 1958, meine Übersetzung nach Version Ali; vgl. Version Miller/Gondek S. 546.
Vgl. S. Freud: Über die Berechtigung, von der Neurasthenie einen bestimmten Symptomkomplex als „Angstneurose“ abzutrennen (1895). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 6. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 25–49.
Lacan, Seminar 10, Die Angst, Sitzung vom 6. März 1963, meine Übersetzung nach Version Ali; vgl. Version Miller/Gondek S. 210 f.
Vgl. auch Seminar 10, Die Angst, Sitzung vom 13. März 1963, Version Miller/Gondek S. 219 f.; Sitzung vom 15. Mai 1963, Version Miller/Gondek S. 297 f.
Lacan, Subversion, Écrits 1966 S. 825, meine Übersetzung; vgl. Übersetzung Creusot/Haas S. 202, Übersetzung Gondek S. 365.
Lacan, Seminar 8, Die Übertragung, Sitzung vom 28. Juni 1961, Version Miller/Gondek S. 470 f.
Lacan, Subversion, Écrits 1966, S. 822, meine Übersetzung; vgl. die Übersetzungen von Creusot/Haas S. 198 f. und von Gondek S. 361 f.
Vgl.:
„Aber für ihr eigenes Begehren findet sie [die Frau] den Signifikanten im Körper desjenigen, an den sich ihr Anspruch auf Liebe richtet. Zweifellos darf nicht vergessen werden, dass von dieser Signifikantenfunktion her das damit bekleidete Organ den Wert eines Fetischs annimmt.“
(Lacan: Die Bedeutung des Phallus (Vortrag von 1958). In: Ders.: Schriften. Band II. Vollständiger Text. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien 2015, S. 192–204, hier: 203, Übersetzung geändert)
Vgl. Lacan, Subversion, Écrits 1966, S. 819; Übersetzung Creusot/Haas S. 196, Übersetzung Gondek S. 358.
Vgl. Seminar 6, Das Begehren und seine Deutung, Sitzung vom 29. April 1959, Version Miller S. 413.
Lacan: Subversion du sujet et dialectique du désir dans l’inconscient freudien. In: Ders.: Écrits 2. Seuil, Paris 1971, S.151–193, hier: S. 185.
Lacan: Subversion du sujet et dialectique du désir dans l’inconscient freudien. In: Ders.: Écrits 2. Seuil, Paris 1971, S.151–193, hier: S. 185, meine Übersetzung; vgl. die Übersetzungen von Creusot/Haas S. 199 und von Gondek S. 362.
Vgl. S. Freud: Der Untergang des Ödipuskomplexes (1924). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 5. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 243–252.
Vgl. Marcel Mauss: Die Techniken des Körpers. In: Ders.: Soziologie und Anthropologie. Bd. 2. Hanser, München 1974, S. 197–220.
Hauptquelle zu Diogenes dem Kyniker ist nicht Chrysipp, sondern Diogenes Laertios, Über Leben und Lehren berühmter Philosophen.
Lacan, Seminar 6, Das Begehren und seine Deutung, Sitzung vom 10. Juni 1959, meine Übersetzung nach Version Miller S. 512.
Vgl. J. Lacan: Écrits 2. Seuil, Paris 1971; der Subversions-Aufsatz steht hier auf den Seiten 151–193, die neue Fußnote ist auf Seite 185.
S. Freud: Jenseits des Lustprinzips (1920). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 3. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 213–272, hier: S. 251.
Vgl. S. Freud: Das Ich und das Es (1923). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 3. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, darin Kapitel V, „Die Abhängigkeiten des Ichs“.
Ernest Jones: Die erste Entwicklung der weiblichen Sexualität. In: Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse, 14. Jg. (1928), S. 11–25, hier: S. 15, im Internet hier.– Engl. Original: The early development of female sexuality. In: The International Journal of Psycho-Analysis, 8. Jg. (1927), S. 459–472, hier: S. 463, im Internet hier.
Seminar 20, Encore, Sitzung vom 21. November 1972, Version Miller/Haas u.a. S. 9.
In: L´Année sociologique, Paris 1898, S.29–138.– Meines Wissens nicht ins Deutsche übersetzt.
Vgl. Markos Zafiropoulos: Lacan et les sciences sociales. Le déclin du père. Presses Universitaires de France, Paris 2001.
Zitiert nach der Ausgabe im Internet hier; meine Übersetzung.
Wegen der Verbindung von sacrifice und consécration ist die Übersetzung von consécration mit „Billigung“ – wie man das in Gondeks Übersetzung des Subversions-Aufsatzes findet – problematisch.
Vgl. Lacan, Seminar 5, Die Bildungen des Unbewussten, Sitzung vom 23. April 1958, Version Miller/Gondek S. 410; Lacan: Die Bedeutung des Phallus (1958). In: Ders.: Schriften. Band II. Vollständiger Text. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien 2015, S. 192–204, hier: S. 201.– Vgl. hierzu auf dieser Website den Artikel Der imaginäre und der symbolische Phallus (1957–1959), hier.
Vgl. Lacan, Seminar 8, Die Übertragung, Sitzung vom 26. April 1961, Version Miller/Gondek S. 322.
Vgl. Lacan, Seminar 8, Die Übertragung, Sitzung vom 26. April 1961, Version Miller/Gondek S. 323.
S. Freud: Die ‚kulturelle‘ Sexualmoral und die moderne Nervosität (1908). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 9. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 9–32, hier: S. 18.
Vgl. Seminar 4, Die Objektbeziehung, Sitzung vom 27. März 1957, Version Miller/Gondek S. 301 f.
Vgl. Herman Nunberg: Circumcision and problems of bisexuality. In: The International Journal of Psycho-Analysis, 28. Jg. (1947), S. 145–179; Nachdruck bei Imago, London 1949, im Internet hier.
Vgl. Lacan, Seminar 10, Die Angst, Sitzung vom 9. Januar 1963, Version Miller/Gondek S. 117.
Lacan, Subversion, Écrits 1966, S. 823, meine Übersetzung; vgl. die Übersetzungen von Creusot/Haas S. 200 und von Gondek S. 362.
Vgl. Seminar 16, Von einem Anderen zum anderen, Sitzung vom 21. Mai 1969, vgl. Version Miller S. 331.
Vgl. Seminar 20, Encore, Sitzung vom 20. März 1973, Version Miller/Haas u.a. S. 101.
Vgl. Seminar 5, Sitzung vom 14. Mai 1958, Version Miller/Gondek S. 461.
Vgl. Seminar 10, Die Angst, Sitzung vom 16. Januar 1963, Version Miller/Gondek S. 131.
Hauptthese dieses Seminars: Die Angst hat ihren Platz in der Kluft zwischen Jouissance und Begehren. Vgl. etwa die Tabelle in der Sitzung vom 13. März 1963, Version Miller/Gondek S. 217.
- Vgl. Lacan, Seminar 5, Die Bildungen des Unbewussten, Sitzung vom 5. März 1958.
Lacan, Seminar 8, Die Übertragung, Sitzung vom 19. April 1961, Version Miller/Gondek S. 303.
Ich übernehme diesen Gedanken von Henry Hunziker, vorgebracht in meinem Seminar „Die Spiegelbeziehung als Wurzel der Kastration“ beim Lacan Seminar Zürich am 20. März 2021.
Lacan, Seminar 10, Die Angst, Sitzung vom 20. März 1963, meine Übersetzung nach Version Staferla; vgl. Version Miller/Gondek S. 230.