Hinweis auf meinen Artikel über Gérard Haddad, Das Buch essen, im neuen Heft der Zeitschrift Y
Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber
(1989, UK und Frankreich, Drehbuch und Regie: Peter Greenaway)
Der Buchhändler (Alan Howard) wird von einem Gehilfen des Diebs gezwungen, ein Buch zu essen.
Über Lacan habe ich bislang nur in diesem Blog veröffentlicht. Das hat sich geändert.
Soeben erschien mein Artikel:
Die Einverleibung der Schrift. Über Gérard Haddads „Manger le Livre“.
In: Y – Revue für Psychoanalyse, 2015, Schreiben und Begehren, hg. v. Corinna Sigmund, S. 93-105
Parodos-Verlag, ISBN 978-3-938880-73-9
Gérard Haddad entwickelt in Manger le Livre (Das Buch essen) eine psychoanalytische, an Lacan orientierte Theorie der primären Identifizierung und damit zugleich eine des Lesens.1
Freud zufolge besteht die primäre Identifizierung in der oralen „Einverleibung“ des Vaters. Was könnte das heißen? Haddad beantwortet die Frage so: Die primäre Identifizierung vollzieht sich dadurch, dass Das Buch gegessen wird, das Heilige Buch, das Buch der Bücher. Beispielsweise durch die jüdischen Speiserituale, in denen das Essen mit dem Erzählen der biblischen Mythen verbunden wird und die Speisen wegen der damit verbundenen Signifikanten auswählt werden. Oder durch ein magisches Ritual, bei dem ein Text aus einer Heiligen Schrift in Wasser aufgelöst und getrunken wird.
Manger le Livre ist zuerst 1984 erschienen und wurde 2010 mit einem neuen Nachwort neu aufgelegt; es gibt keine deutsche Übersetzung. Die Rezension enthält ein ausführliches Referat, um den nicht französisch lesenden Interessenten einen Zugang zu ermöglichen.
In Peter Greenaways Film Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber wird ein Antiquar dadurch getötet, dass man ihn zwingt, seine Bücher zu essen. Am Schluss des Artikels versuche ich, Haddads Konzeption für die Analyse dieser Szenen fruchtbar zu machen.
Ich habe das Buch ausgewählt, weil mich der Zusammenhang zwischen (meinem) Lesen und (meinem) Essen beschäftigt; vor drei Jahren habe ich dazu einen Blogartikel veröffentlicht: Schrift Essen. Außerdem hat mich Haddads Bericht über seine zwölfjährige Analyse bei Lacan fasziniert, wegen der Unerschütterlichkeit der Übertragung im Verhältnis zum Analytiker-Lehrer.2
Die Rezension handelt nicht, wie es dem Heftthema entsprechen würde, von der Beziehung zwischen Schreiben und Begehren, sondern von der zwischen Lesen und Begehren – als ich von Corinna Sigmund um einen Beitrag gebeten wurde, wusste ich zum Thema Schreiben nichts zu schreiben. Inzwischen habe ich mich mit dem Thema beschäftigt, das Ergebnis findet man in diesem Blogartikel: Der Graph des Begehrens oder Auf der Suche nach dem „Schreibbegehren“.
In der neuen Y-Ausgabe findet man außerdem:
– Theres Lehn: Drei Gedichte
– Klaus Böldl: Aus Licht und Nacht gewoben. Einige Anmerkungen zur Prosa Adalbert Stifters und zu deren Wirkungen und Nebenwirkungen
– Marcus Steinweg: Notiz aus Saigon (Über den Begriff „écrire“ bei Marguerite Duras)
– Dominik Barta: Franz Kafkas Schreiben
– Anne Sauvagnargues: Asignifikant, intensiv, unpersönlich (Über das Verständnis von Stil bei Deleuze)
– Marcus Coelen: „Schreibbegehren“
– Franz Kaltenbeck: Über zwei Frauen im Werk Robert Musils
– Eckhard Rhode: Verlorenes Gut (für Joseph Roth)
Anmerkungen
- Gérard Haddad: Manger le Livre. Rites alimentaires et fonction paternelle. Librairie Arthème Fayard / Pluriel, Paris 2010; zuerst Grasset, Paris 1984; nicht ins Deutsche übersetzt.
- Vgl. Gérard Haddad: Le jour où Lacan m’a adopté. Mon analyse avec Lacan. Le Livre de poche, Paris 2005; zuerst Grasset, Paris 2002; nicht ins Deutsche übersetzt.