Jacques Lacan
Hommage an Marguerite Duras,
über die Verzückung der Lol V. Stein
Übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Rolf Nemitz
Jim Dine, Robe in the oven, 2006,
Acryl auf Leinwand, 121 x 91 cm, von hier
Erste deutsche Übersetzung von Lacans Aufsatz (1965) über den Roman Die Verzückung der Lol V. Stein von Marguerite Duras.
Vorbemerkung zur Übersetzung
Die Übersetzung wird zweimal gebracht, einmal nur deutsch, einmal deutsch-französisch, Satz für Satz, mit meinen Anmerkungen.
Herzlichen Dank an Gerhard Herrgott für seine Unterstützung bei der Übersetzung. Hilfreich war auch die englische Übersetzung von Peter Connor in: Marguerite Duras u.a.: Marguerite Duras. City Lights Books, San Francisco 1987, S. 122–129 (im Internet auf der Seite freud2lacan.com, hier).
Zur Notation:
Der Schrägstrich verbindet Übersetzungsvarianten und verweist auf Mehrdeutigkeiten.
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Originaltitel: Hommage fait à Marguerite Duras, du ravissement de Lol V. Stein.
Der Aufsatz erschien zuerst in: Les Cahiers Renaud-Barrault, Heft 52, Gallimard, Paris 1965, S. 7–15; dann in: Marguerite Duras. Albatros, Paris 1975, S. 7–15, dann in: J. Lacan: Autres écrits. Seuil, Paris 2001, S. 191–197. Im Internet findet man den französischen Text auf der Seite der ELP, Pas-tout Lacan, hier.
Die Hommage bezieht sich auf: Marguerite Duras: Le ravissement de Lol V. Stein. Gallimard, Paris 1964 (dt.: Die Verzückung der Lol V. Stein. Übersetzt von Katharina Zimmer. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1966).
In Seminar 12 von 1964/65, Schlüsselprobleme für die Psychoanalyse, ist der Roman ein Thema. In der Sitzung vom 23. Juni 1965 hält Michèle Montrelay (Mitglied der Ecole Freudienne de Paris) einen Vortrag über Die Verzückung der Lol V. Stein und Lacan macht dazu einige Bemerkungen.
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Sekundärliteratur zu Lacans „Hommage an Marguerite Duras“:
Jacques-Alain Miller : Les us du laps, Seminar 1999/2000, darin vier Sitzungen über Lacans „Hommage à Marguerite Duras“: 24. Mai 2000 (mit einem Beitrag von Éric Laurent), 31. Mai 2000, 7. Juni 2000 (mit einem Beitrag von Bracha Lichtenberg Ettinger), 14. Juni 2000 (mit einem Beitrag von Catherine Lazarus-Matet).
Erik Porge: Le ravissement de Lacan. Marguerite Duras à la lettre. Érès, Toulouse 2015
Hommage an Marguerite Duras
Zahlen in eckigen Klammern und grauer Schrift, z.B. [191], verweisen auf die Seiten von J. Lacan: Autres écrits. Seuil, Paris 2001.
Deutsch
[191] Über die Verzückung – dieses Wort stellt uns vor ein Rätsel. Ist es, wie es durch Lol V. Stein bestimmt wird, objektiv oder subjektiv?
Verzückt. Man denkt an die Seele und dass es das Schöne ist, das wirkt. Von dieser naheliegenden Bedeutung wollen wir uns, so gut es geht, freimachen, mithilfe des Symbols.
Verzückend ist auch das Bild, das uns durch die Figur einer Verwundeten aufgezwungen wird, einer aus den Dingen Verbannten – die man nicht zu berühren wagt, die einen jedoch zu ihrer Beute macht
Die beiden Bewegungen verknüpfen sich jedoch in einer Chiffre, die sich in diesem kunstvoll geformten Namen offenbart, in dem Schriftzug: Lol V. Stein.
Lol V. Stein: Flügel aus Papier, V Schere, Stein – beim Knobelspiel der Liebe verlierst du dich.
Man antwortet: Oh, offener Mund, was will ich, wenn ich drei Sprünge übers Wasser mache, Abseits des Liebespiels, wo ich getaucht?
Diese Kunst lässt denken, dass Marguerite Duras die Verzückende ist und wir die Verzückten. Wenn wir unsere Schritte beschleunigen, hinter den Schritten von Lol, von denen ihr Roman widerhallt, und wenn wir sie dann hinter uns hören, ohne jemandem begegnet zu sein, bewegt sich ihr Geschöpf dann in einem parallelen Raum? Oder hat einer von uns den andern durchquert, und wer von uns hat sich dann von ihr oder von uns durchqueren lassen?
Woran man sieht, dass die Chiffre anders zu knoten ist, denn um sie zu fassen, muss man sich drei zählen.
Aber lesen Sie.
Die Szene – und der gesamte Roman ist nur Erinnerung daran – ist wirklich die Verzückung von zweien in einem Tanz, der sie miteinander verschweißt, unter den Augen von Lol, der dritten, mitsamt dem gesamten Ball, die hier die Entführung ihres Verlobten erleidet, durch eine, die einfach nur plötzlich erscheinen musste.
Und um an das zu rühren, was Lol von nun an sucht, kommt uns da nicht in den Sinn, sie ein „je me deux“ sagen zu lassen, „ich leide / ich zweie mich“, um mit Apollinaire douloir, leiden, zu konjugieren?
[192] Dass sie leidet, kann sie jedoch nicht sagen.
Man wird, einem Klischee folgend, denken, dass sie das Ereignis wiederholt. Man möge jedoch genauer hinschauen.
Grob betrachtet, ist es in dem Ausspähen erkennbar, auf das Lol von nun an immer wieder zurückkommt, dem Ausspähen eines Liebespaares, bei dem sie, wie durch Zufall, eine Freundin wiedergefunden hat, die ihr vor dem Drama nahe stand und ihr in ihrer Stunde beistand: Tatiana.
Das ist nicht das Ereignis, sondern ein Knoten, der hier neu geknüpft wird. Was tatsächlich verzückt, ist das, was dieser Knoten verschnürt, aber auch hier wieder: wen?
Das Mindeste, das man sagen muss, ist dies, dass die Geschichte hier jemanden ins Gleichgewicht bringt, und nicht nur deshalb, weil Marguerite Duras ihn zur Stimme des Romans macht: den anderen Partner des Paares. Sein Name: Jacques Hold.
Denn auch er ist nicht, was er zu sein scheint, wenn ich sage, die Stimme des Romans. Er ist vielmehr seine Angst. Womit die Mehrdeutigkeit wiederkehrt: ist es seine oder die des Romans?
Jedenfalls ist er darin nicht einfach Vorführer der Maschine, sondern eine ihrer Triebfedern, die nicht alles weiß, was ihn hier erfasst.
Dies rechtfertigt es, dass ich hier Marguerite Duras in eine dritte Dreiheit einführe, wozu ich im Übrigen ihr Einverständnis habe, deren einer Term die Verzückung der Lol V. Stein ist, als Objekt in ihrem Knoten erfasst, und worin ich selbst der Dritte bin, indem ich hier eine Verzückung einbringe, die in meinem Fall entschieden subjektiv ist.
Das ist hier kein Madrigal, sondern ein Markstein der Methode, die ich hier in ihrem positiven und in ihrem negativen Wert bestätigen möchte. Ein Subjekt ist Terminus (terme) von Wissenschaft, als etwas vollkommen Berechenbares, und die Erinnerung an seinen Status sollte dem, was man wirklich mit seinem Namen bezeichnen muss, ein Ende (terme) setzen: Rüpelei, sagen wir der Pedanterie einer bestimmten Psychoanalyse. Diese Seite ihrer Belustigungen – da sie für diejenigen, die sich darin vertiefen, hoffentlich spürbar ist – könnte dazu dienen, ihnen zu zeigen, dass sie in bestimmte Dummheiten verfallen, etwa in jene, die eingestandene Technik eines Autors einer Neurose zuzuschreiben – eine Flegelei –, und sie als ausdrückliche Übernahme der Mechanismen zu demonstrieren, die daraus das unbewusste Gebäude machen – eine Dummheit.
Ich denke, selbst wenn Marguerite Duras mir mit eigenem Munde versicherte, dass sie nicht weiß, von woher in ihrem gesamten Werk ihr Lol gekommen ist, und selbst wenn ich es von dem her ahnen könnte, was sie mir im nächsten Satz sagt, so besteht der einzige Vorteil, den ein Psychoanalytiker aus seiner Position zu Recht bezieht – falls sie ihm denn als solche zuerkannt wird –, darin, sich mit Freud daran zu erinnern, dass ihm in seiner Materie der Künstler immer voraus ist, |[193] er also nicht dort, wo der Künstler ihm den Weg bahnt, den Psychologen zu spielen hat.
Das ist genau das, was ich in der Verzückung der Lol V. Stein erkenne, worin sich zeigt, dass Marguerite Duras weiß, was ich lehre, ohne mich.
Weshalb ich ihrem Genie keinen Abbruch tue, wenn ich meine Kritik auf das stütze, was sie an Fähigkeiten hat.
Dass die Praxis des Buchstabens damit konvergiert, dass man vom Unbewussten Gebrauch macht, ist alles, was ich mit dieser Hommage bezeugen möchte.
Demjenigen, der diese Zeilen in einem Rampenlicht liest, das bald verlöschen wird oder das zurückgekehrt ist von den Ufern der Zukunft, an denen Jean-Louis Barrault durch diese Cahiers die Annäherung an die einzigartige Konjunktion des theatralischen Aktes herbeiführen möchte, ihm also versichre ich, dass es bei dem Faden, den ich ausrollen möchte, nichts gibt, was sich nicht buchstabengenau auf die Verzückung der Lol V. Stein bezieht, und dass dieser Faden nichts heraushebt, was ihm nicht ermöglicht wird durch eine weitere Arbeit, die derzeit in meiner Schule erstellt wird. Im Übrigen wende ich mich nicht so sehr an diesen Leser, als dass ich mich vielmehr vor seinem Forum dafür entschuldige, dass ich mich an dem Knoten übe, den ich auflöse.
Dieser Knoten ist in der ersten Szene aufzugreifen, in der Lol ihres Liebhabers entkleidet wird, das heißt, er ist im Motiv des Kleides zu verfolgen, welches hier das Phantasma stützt, an das sich Lol in der Zeit danach binden wird, im Motiv eines Jenseits, für das sie das Wort nicht finden konnte, das Wort, das diese drei, wenn es die Türen über ihnen geschlossen hätte, in dem Moment verbunden hätte, in dem ihr Liebhaber der Frau das schwarze Kleid ausgezogen und ihre Nacktheit enthüllt hatte. Geht das noch weiter? Ja, zum Unsagbaren dieser Nacktheit, die sich eindrängt, um ihren eigenen Körper zu ersetzen. Hier kommt alles zum Stillstand.
Sollte uns das nicht genügen, um zu erkennen, was Lol zugestoßen ist und wodurch enthüllt wird, worum es in der Liebe geht, um dieses Bild nämlich, Bild des Selbst, mit dem der andere Sie bekleidet, und das Sie bekleidet und das Sie, wenn sie seiner entkleidet sind, darunter was sein lässt? Was darüber sagen, als dieser Abend war, Lol, Sie mit Ihrer ganzen Leidenschaft von neunzehn Jahren, mit Ihrem Anlegen des Kleides, und als Ihre Nacktheit darunter war, um ihm seinen Glanz zu verleihen?
Was Ihnen dann bleibt, ist, was man über Sie sagte, als Sie klein waren: dass Sie niemals wirklich da waren.
Was aber ist diese Leere? Sie bekommt dann eine Bedeutung: Ja, Sie waren – für eine Nacht bis zur Morgendämmerung, als an diesem Platz etwas nachgab – das Zentrum der Aufmerksamkeit, der Blicke.
Was verbirgt diese Redewendung? Das Zentrum ist nicht auf allen Flächen dasselbe. Auf einer Ebene singulär, auf einer Sphäre überall, auf einer |[194] komplexeren Fläche kann es einen seltsamen Knoten bilden. Das ist unser eigener.
Denn Sie spüren, dass es um eine Hülle geht, die kein Innen mehr hat und kein Außen, und dass sich in der Naht ihres Zentrums alle Blicke in den Ihren zurückwenden, dass diese Blicke Ihr Blick sind, der sie sättigt, und den Sie, Lol, auf immer von allen Passanten fordern werden. Folgen wir Lol, wie sie beim Wechsel vom einen zum andern diesen Talisman ergreift, dessen jeder sich, wie von einer Gefahr, hastig entledigt: den Blick.
Jeder Blick wird der Ihre sein, Lol, wie Jacques Hold, liebesbereit, fasziniert zu sich sagen wird: „ganz Lol“.
Dieser geniale Zug ist in eine Grammatik des Subjekts einzutragen. Wiederkehren wird er von einer Feder, die ihn für mich gezeigt hat.
Dieser Blick ist im Roman überall, man möge es nachprüfen. Und die Frau des Ereignisses ist leicht daran zu erkennen, dass Marguerite Duras sie als Nicht-Blick beschreibt.
Ich lehre, dass das Sehen sich aufspaltet in das Bild und den Blick, dass das erste Modell des Blicks der Fleck ist, von wo der Radar kommt, den der Schnitt durch das Auge dem Ausgedehnten anbietet.
Vom Blick breitet es sich aus bis zur Pinselführung auf der Leinwand, um Sie den Ihren vor dem Werk des Malers senken zu lassen.
Über das, was Ihre Aufmerksamkeit fordert, sagt man, „ça vous regarde“, das blickt Sie an / das geht sie etwas an.
Es geht jedoch darum, die Aufmerksamkeit dessen zu erlangen, was Sie anblickt. Denn bei dem, was Sie etwas angeht (regarde), ohne Sie zu erblicken (regarder), kennen Sie nicht die Angst.
Von dieser Angst wird Jacques Hold erfasst, als er vom Fenster des Stundenhotels aus, in dem er auf Tatiana wartet, Lol gegenüber am Rande des Roggenfeldes liegen sieht.
Werden Sie Zeit haben, seine panische Erregung, ob heftig oder geträumt, ins Register des Komischen einzutragen, bevor er sich beruhigt, bezeichnenderweise indem er sich sagt, dass Lol ihn sicherlich sieht. Nur etwas ruhiger, indem er die zweite Phase bildet, dass sie sich von ihm gesehen weiß.
Er muss ihr noch Tatiana zeigen, Sühneopfer am Fenster, ohne dass es ihn weiter bewegt, dass diese nichts bemerkt hat, zynisch, da er sie bereits dem Gesetz von Lol geopfert hat, denn in der Gewissheit, das Begehren von Lol zu befolgen, wird er es seiner Geliebten mit entfesselter Kraft besorgen und sie mit Liebesworten erregen, von denen er weiß, dass es die andere ist, welche die Schleusen öffnet, mit diesen feigen Worten jedoch, von denen er auch spürt, dass er sie nicht für sie haben möchte.
[195] Täuschen Sie sich vor allem nicht darüber, welchen Platz hier der Blick hat. Es ist nicht Lol, die blickt, schon deshalb nicht, weil sie nichts sieht. Sie ist nicht der Voyeur. Durch das, was sich ereignet, wird sie realisiert.
Wo der Blick ist, zeigt sich, als Lol ihn mit passenden Worten auftauchen lässt, im Zustand des reinen Objekts, für Jacques Hold, der noch unschuldig ist.
„Nackt, nackt unter ihrem schwarzen Haar“, diese Worte aus dem Munde von Lol vollziehen den Übergang von Tatianas Schönheit zur Funktion des unerträglichen Flecks, der zu diesem Objekt gehört.
Diese Funktion ist unvereinbar mit dem Aufrechterhalten des narzisstischen Bildes, in das die Liebenden ihr Verliebtsein einzuschließen suchen, und Jacques Hold spürt ihre Wirkung sofort.
Von da an lässt sich lesen, dass beide, dem hingegeben, das Phantasma von Lol zu realisieren, immer weniger der eine und die andere sein werden.
Bei Jacques Hold ist es nicht länger die Subjektspaltung – bei ihm manifest –, die uns festhalten wird, sondern, was er in dem Zu-dritt-Sein ist, an das Lol sich klammert, wobei er seine Leere mit dem „ich denke“ eines bösen Traumes überdeckt, der den Stoff des Buches ausmacht. Dabei begnügt er sich jedoch damit, ihr ein Bewusstsein des Seins zu geben, das sich auf etwas stützt, das außerhalb von ihr ist, auf Tatiana.
Dieses Zu-dritt-Sein aber wird von Lol arrangiert. Und deshalb, weil Jacques Holds „ich denke“ Lol schließlich mit einer Sorge verfolgt, die allzu nah ist, am Ende des Romans bei der Fahrt, auf der er sie bei einer Wallfahrt zum Ort des Ereignisses begleitet, deshalb wird Lol verrückt.
Wovon die Episode tatsächlich Zeichen trägt, wobei ich hier betonen möchte, dass ich es von Marguerite Duras habe.
Das heißt, dass der letzte Satz des Romans, indem er Lol in das Roggenfeld zurückbringt, mir einen Schluss zu bilden scheint, der weniger entscheidend ist als diese Bemerkung. Wo sich die Warnung vor dem Pathos des Verstehens erraten lässt. Verstanden zu werden ist nicht etwas, das Lol, die man vor der Verzückung nicht bewahrt, angemessen wäre.
Noch überflüssiger bleibt mein Kommentar zu dem, was Marguerite Duras tut, wenn sie ihrem Geschöpf Diskursexistenz verleiht.
Denn der Gedanke, mit dem ich ihr ihr Wissen zurückgeben würde, könnte sie mit dem Bewusstsein, in einem Objekt zu sein, nicht vollstopfen, da sie durch ihre Kunst dieses Objekt bereits wiedererlangt hat.
Eben das ist der Sinn der Sublimierung, von der die Psychoanalytiker noch benommen sind, da Freuds Lippen, als er Ihnen den Terminus hinterließ, versiegelt geblieben sind.
[196] Wobei er sie nur warnte, die Befriedigung, die sie mit sich bringt, für illusorisch zu halten.
Das wurde wohl nicht laut genug gesagt, denn dank ihnen bleibt das Publikum vom Gegenteil überzeugt. Das bleibt so, falls sie nicht auch noch verkünden, die Sublimierung werde an der Anzahl der Exemplare gemessen, die für den Autor verkauft werden.
Was also heißt, dass wir hier bei der Ethik der Psychoanalyse ankommen, deren Einführung in mein Seminar auf den brüchigen Dielen seines Parketts eine Trennlinie zog.
Eines Tages jedoch bekannte ich aber vor allen, dass ich das ganze Jahr über im Unsichtbaren die Hand einer anderen Marguerite gedrückt hielt, der des Heptamerons. Nicht umsonst stoße ich hier auf diese Eponymie.
Denn es scheint mir natürlich zu sein, in Marguerite Duras die strenge und militante Barmherzigkeit wiederzuerkennen, welche die Geschichten der Marguerite d’Angoulême belebt, wenn man sie von einigen der Vorurteile befreit lesen kann, bei denen die Art der Belehrung, die wir erhalten, ausdrücklich das Ziel hat, am Ort der Wahrheit für uns einen Schirm zu errichten.
Hier die Idee der „galanten“ Geschichte. In einem meisterhaften Werk hat Lucien Febvre versucht, deren Täuschungsmanöver aufzudecken.
Und ich halte bei dem inne, wovon Marguerite Duras mir bezeugt, dass sie von ihren Lesern eine Zustimmung erhalten hat, die sie überrascht, einhellig darin, dass sie sich auf diese seltsame Art der Liebe bezieht: diejenige, die Lol von der Person – bei der ich vermerkt habe, dass sie die Funktion nicht des Ansagers, sondern des Subjekts wahrnimmt –, die Lol von dieser Person als Opfergabe gereicht wird, Lol sicherlich als Dritte, keineswegs jedoch als ausgeschlossene Dritte.
Das freut mich, als Beweis dafür, dass das Seriöse ein gewisses Recht bewahrt, nach vier Jahrhunderten, in denen das Possenspiel eingesetzt wurde, um die technische Konvention der höfischen Liebe durch den Roman auf ein fiktives Konto zu überweisen und so das Defizit zu verschleiern, vor dem diese Konvention tatsächlich schützte, das Defizit der Promiskuität der Ehe.
Und der Stil, den Sie, Marguerite Duras, durch Ihr Heptameron hindurch entfalten, hätte vielleicht die Wege erleichtert, auf denen der großer Historiker, den ich oben genannt habe, sich bemüht, die eine oder andere dieser Geschichten zu begreifen, die er für das hält, als was sie sich ausgeben: dafür, wahre Geschichten zu sein.
All die soziologischen Überlegungen zu den Wandlungen der Lebensmühe im Wechsel der Zeiten sind nur |[197] wenig, verglichen mit der Struktur, welche das Begehren, da es vom Anderen ist, zu dem Objekt unterhält, durch das es verursacht wird.
Und das exemplarische Abenteuer der zehnten Novelle, das Amador, der kein Chorknabe ist, dazu bringt, sich bis in den Tod einer Liebe zu weihen, die, als unmögliche Liebe, keineswegs platonisch ist, erschien ihm als ein weniger undurchsichtiges Rätsel, da es nicht durch die Ideale des viktorianischen Happy Ends hindurch gesehen wurde.
Dann die Grenze, an der sich der Blick wieder zurück in Schönheit wendet, ist, ich habe sie beschrieben, die Schwelle des Zwischen-zwei-Toden, ein Ort, den ich definiert habe und der nicht einfach das ist, was jene glauben, die davon entfernt sind: der Ort des Unglücks.
Um diesen Ort, so schien es mir, gravitieren in dem, von ich von Ihrem Werk kenne, Marguerite Duras, die Personen, die Sie in unserer Kommune verorten, um uns zu zeigen, dass es überall solche gibt, die ebenso nobel sind wie die edlen Männer und Frauen in den alten Paraden, die ebenso tapfer sind, um sich, auch wenn sie erfasst waren von den Ranken der unmöglich zu zähmenden Liebe, in Richtung auf diesen Fleck zu stürzen, nächtlich am Himmel, eines Seins/Wesens (être), das allen ausgeliefert ist …, im Sommer abends um halb elf.
Sicherlich wüssten Sie, neue Marguerite, Ihren Geschöpfen nicht mit dem Mythos der persönlichen Seele zu helfen. Jedoch, ist die Barmherzigkeit ohne große Hoffnungen, mit der Sie sie beleben, nicht das Faktum des Glaubens, von dem Sie im Überfluss haben, wenn Sie die schweigsame Hochzeit des leeren Lebens mit dem unbeschreiblichen Objekt feiern?
Französisch/deutsch mit erläuternden Anmerkungen
Zahlen in eckigen Klammern und grauer Schrift, z.B. [191], verweisen auf die Seiten von J. Lacan: Autres écrits. Seuil, Paris 2001.
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[191] Du ravissement, – ce mot nous fait énigme.
Über die Verzückung1 – dieses Wort stellt uns vor ein Rätsel.
Est-il objectif ou subjectif à ce que Lol V. Stein le détermine ?
Ist es, wie es durch Lol V. Stein bestimmt wird, objektiv oder subjektiv?2
Ravie.
Verzückt.
On évoque l’âme, et c’est la beauté qui opère.
Man denkt an die Seele und dass es das Schöne ist, das wirkt.3
De ce sens à portée de main, on se dépêtrera comme on peut, avec du symbole.
Von dieser naheliegenden Bedeutung wollen wir uns, so gut es geht, freimachen, mithilfe des Symbols.
Ravisseuse est bien aussi l’image que va nous imposer cette figure de blessée, exilée des choses, qu’on n’ose pas toucher, mais qui vous fait sa proie.
Verzückend ist auch das Bild, das uns durch die Figur einer Verwundeten aufgezwungen wird, einer aus den Dingen Verbannten – die man nicht zu berühren wagt, die einen jedoch zu ihrer Beute macht.4
Les deux mouvements pourtant se nouent dans un chiffre qui se révèle de ce nom savamment formé, au contour de l’écrire : Lol V. Stein.
Die beiden Bewegungen verknüpfen sich jedoch in einer Chiffre, die sich in diesem kunstvoll geformten Namen offenbart, in dem Schriftzug: Lol V. Stein.5
Lol V. Stein : ailes de papier, V ciseaux, Stein, la pierre, au jeu de la mourre tu te perds.
Lol V. Stein: Flügel aus Papier, V Schere, Stein – beim Knobelspiel der Liebe verlierst du dich.6
On répond : O, bouche ouverte, que veux-je à faire trois bonds sur l’eau, hors-jeu de l’amour, où plongé-je ?
Man antwortet: Oh, offener Mund, was will ich, wenn ich drei Sprünge übers Wasser mache, Abseits des Liebespiels, wo ich getaucht?7
Cet art suggère que la ravisseuse est Marguerite Duras, nous les ravis.
Diese Kunst lässt denken, dass Marguerite Duras die Verzückende ist und wir die Verzückten.
Mais si, à presser nos pas sur les pas de Lol, dont son roman résonne, nous les entendons derrière nous sans avoir rencontré personne, est-ce donc que sa créature se déplace dans un espace dédoublé ? ou bien que l’un de nous a passé au travers de l’autre, et qui d’elle ou de nous alors s’est-il laissé traverser ?
Wenn wir unsere Schritte beschleunigen, hinter den Schritten von Lol, von denen ihr Roman widerhallt, und wenn wir sie dann hinter uns hören, ohne jemandem begegnet zu sein, bewegt sich ihr Geschöpf dann in einem parallelen Raum? Oder hat einer von uns den andern durchquert, und wer von uns hat sich dann von ihr oder von uns durchqueren lassen?
Où l’on voit que le chiffre est à nouer autrement car pour le saisir, il faut se compter trois.
Woran man sieht, dass die Chiffre anders zu knoten ist, denn um sie zu fassen, muss man sich drei zählen.
Lisez plutôt.
Aber lesen Sie.
La scène dont le roman n’est tout entier que la remémoration, c’est proprement le ravissement de deux en une danse qui les soude, et sous les yeux de Lol, troisième, avec tout le bal, à y subir le rapt de son fiancé par celle qui n’a eu qu’à soudaine apparaître.
Die Szene – und der gesamte Roman ist nur Erinnerung daran – ist wirklich die Verzückung von zweien in einem Tanz, der sie miteinander verschweißt, unter den Augen von Lol, der dritten, mitsamt dem gesamten Ball, die hier die Entführung ihres Verlobten erleidet, durch eine, die einfach nur plötzlich erscheinen musste.8
Et pour toucher à ce que Lol cherche à partir de ce moment, ne nous vient-il pas de lui faire dire un « je me deux », à conjuguer douloir avec Apollinaire ?
Und um an das zu rühren, was Lol von nun an sucht, kommt uns da nicht in den Sinn, sie ein „je me deux“ sagen zu lassen, „ich leide / ich zweie mich“, um mit Apollinaire douloir, leiden, zu konjugieren?9
[192] Mais justement elle ne peut dire qu’elle souffre.
Dass sie leidet, kann sie jedoch nicht sagen.
On pensera à suivre quelque cliché, qu’elle répète l’événement.
Man wird, einem Klischee folgend, denken, dass sie das Ereignis wiederholt.
Mais qu’on y regarde de plus près.
Man möge jedoch genauer hinschauen.
C’est à voir gros qu’il est reconnaissable dans ce guet où Lol désormais maintes fois reviendra, d’un couple d’amants dans lequel elle a retrouvé comme par hasard, une amie qui lui fut proche avant le drame, et l’assistait à son heure même : Tatiana.
Grob betrachtet, ist es in dem Ausspähen erkennbar, auf das Lol von nun an immer wieder zurückkommt, dem Ausspähen eines Liebespaares, bei dem sie, wie durch Zufall, eine Freundin wiedergefunden hat, die ihr vor dem Drama nahe stand und ihr in ihrer Stunde beistand: Tatiana.
Ce n’est pas l’événement, mais un nœud qui se refait là.
Das ist nicht das Ereignis, sondern ein Knoten, der hier neu geknüpft wird.10
Et c’est ce que ce nœud enserre qui proprement ravit, mais là encore, qui ?
Was tatsächlich verzückt, ist das, was dieser Knoten verschnürt, aber auch hier wieder: wen?
Le moins à dire est que l’histoire met ici quelqu’un en balance, et pas seulement parce que c’est lui dont Marguerite Duras fait la voix du récit : l’autre partenaire du couple.
Das Mindeste, das man sagen muss, ist dies, dass die Geschichte hier jemanden ins Gleichgewicht bringt, und nicht nur deshalb, weil Marguerite Duras ihn zur Stimme des Romans macht: den anderen Partner des Paares.
Son nom, Jacques Hold.
Sein Name: Jacques Hold.11
Car lui non plus, n’est pas ce qu’il paraît quand je dis la voix du récit.
Denn auch er ist nicht, was er zu sein scheint, wenn ich sage, die Stimme des Romans.
Bien plutôt est-il son angoisse.
Er ist vielmehr seine Angst.
Où l’ambiguïté revient encore : est-ce la sienne ou celle du récit ?
Womit die Mehrdeutigkeit wiederkehrt: ist es seine oder die des Romans?
Il n’en est en tout cas pas simple montreur de la machine, mais bien l’un de ses ressorts et qui ne sait pas tout ce qui l’y prend.
Jedenfalls ist er darin nicht einfach Vorführer der Maschine, sondern eine ihrer Triebfedern, die nicht alles weiß, was ihn hier erfasst.12
Ceci légitime que j’introduise ici Marguerite Duras, y ayant au reste son aveu, dans un troisième ternaire, dont l’un des termes est le ravissement de Lol V. Stein pris comme objet dans son nœud même, et où me voici le tiers à y mettre un ravissement, dans mon cas décidément subjectif.
Dies rechtfertigt es, dass ich hier Marguerite Duras in eine dritte Dreiheit einführe, wozu ich im Übrigen ihr Einverständnis habe, deren einer Term die Verzückung der Lol V. Stein ist, als Objekt in ihrem Knoten erfasst, und worin ich selbst der Dritte bin, indem ich hier eine Verzückung einbringe, die in meinem Fall entschieden subjektiv ist.13
Ce n’est pas là un madrigal, mais une borne de méthode, que j’entends ici affirmer dans sa valeur positive et négative.
Das ist hier kein Madrigal14, sondern ein Markstein der Methode, die ich hier in ihrem positiven und in ihrem negativen Wert bestätigen möchte.
Un sujet est terme de science, comme parfaitement calculable, et le rappel de son statut devrait mettre un terme à ce qu’il faut bien désigner par son nom : la goujaterie, disons le pédantisme d’une certaine psychanalyse.
Ein Subjekt ist Terminus (terme) von Wissenschaft, als etwas vollkommen Berechenbares, und die Erinnerung an seinen Status sollte dem, was man wirklich mit seinem Namen bezeichnen muss, ein Ende (terme) setzen: Rüpelei, sagen wir der Pedanterie einer bestimmten Psychoanalyse.
Cette face de ses ébats, d’être sensible, on l’espère, à ceux qui s’y jettent, devrait servir à leur signaler qu’ils glissent en quelque sottise : celle par exemple d’attribuer la technique avouée d’un auteur à quelque névrose : goujaterie, et de le démontrer comme l’adoption explicite des mécanismes qui en font l’édifice inconscient : sottise.
Diese Seite ihrer Belustigungen – da sie für diejenigen, die sich darin vertiefen, hoffentlich spürbar ist – könnte dazu dienen, ihnen zu zeigen, dass sie in bestimmte Dummheiten verfallen, etwa in jene, die eingestandene Technik eines Autors einer Neurose zuzuschreiben – eine Flegelei –, und sie als ausdrückliche Übernahme der Mechanismen zu demonstrieren, die daraus das unbewusste Gebäude machen – eine Dummheit.
Je pense que, même si Marguerite Duras me fait tenir de sa bouche qu’elle ne sait pas dans toute son œuvre d’où Lol lui vient, et même pourrais-je l’entrevoir de ce qu’elle me dit la phrase d’après, le seul avantage qu’un psychanalyste ait le droit de prendre de sa position, lui fût-elle donc reconnue comme telle, c’est de se rappeler avec Freud qu’en sa matière, l’artiste toujours le précède et |[193] qu’il n’a donc pas à faire le psychologue là où l’artiste lui fraie la voie.
Ich denke, selbst wenn Marguerite Duras mir mit eigenem Munde versicherte, dass sie nicht weiß, von woher in ihrem gesamten Werk ihr Lol gekommen ist, und selbst wenn ich es von dem her ahnen könnte, was sie mir im nächsten Satz sagt, so besteht der einzige Vorteil, den ein Psychoanalytiker aus seiner Position zu Recht bezieht – falls sie ihm denn als solche zuerkannt wird –, darin, sich mit Freud daran zu erinnern, dass ihm in seiner Materie der Künstler immer voraus ist, er also nicht dort, wo der Künstler ihm den Weg bahnt, den Psychologen zu spielen hat.15
C’est précisément ce que je reconnais dans le ravissement de Lol V. Stein, où Marguerite Duras s’avère savoir sans moi ce que j’enseigne.
Das ist genau das, was ich in der Verzückung der Lol V. Stein erkenne, worin sich zeigt, dass Marguerite Duras weiß, was ich lehre, ohne mich.
En quoi je ne fais pas tort à son génie d’appuyer ma critique sur la vertu de ses moyens.
Weshalb ich ihrem Genie keinen Abbruch tue, wenn ich meine Kritik auf das stütze, was sie an Fähigkeiten hat.16
Que la pratique de la lettre converge avec l’usage de l’inconscient, est tout ce dont je témoignerai en lui rendant hommage.
Dass die Praxis des Buchstabens damit konvergiert, dass man vom Unbewussten Gebrauch macht, ist alles, was ich mit dieser Hommage bezeugen möchte.
J’assure ici celui qui lit ces lignes à la lumière de la rampe près de s’éteindre ou revenue, voire de ces rives du futur où Jean-Louis Barrault par ces Cahiers entend faire aborder la conjonction unique de l’acte théâtral, que du fil que je vais dérouler, il n’est rien qui ne se repère à la lettre, au ravissement de Lol V. Stein, et qu’un autre travail fait à ce jour à mon école ne lui permette de ponctuer.
Demjenigen, der diese Zeilen in einem Rampenlicht liest, das bald verlöschen wird oder das zurückgekehrt ist von den Ufern der Zukunft, an denen Jean-Louis Barrault durch diese Cahiers die Annäherung an die einzigartige Konjunktion des theatralischen Aktes herbeiführen möchte17, ihm also versichre ich, dass es bei dem Faden, den ich ausrollen möchte, nichts gibt, was sich nicht buchstabengenau auf die Verzückung der Lol V. Stein bezieht, und dass dieser Faden nichts heraushebt, was ihm nicht ermöglicht wird durch eine weitere Arbeit, die derzeit in meiner Schule erstellt wird18.
Au reste je ne m’adresse pas tant à ce lecteur que je ne m’excuse de son for pour m’exercer au nœud que je détords.
Im Übrigen wende ich mich nicht so sehr an diesen Leser, als dass ich mich vielmehr vor seinem Forum dafür entschuldige, dass ich mich an dem Knoten übe, den ich auflöse.
Il est à prendre à la première scène, où Lol est de son amant proprement dérobée, c’est-à-dire qu’il est à suivre dans le thème de la robe, lequel ici supporte le fantasme où Lol s’attache le temps d’après, d’un au-delà dont elle n’a pas su trouver le mot, ce mot qui, refermant les portes sur eux trois, l’eût conjointe au moment où son amant eût enlevé la robe noire de la femme et dévoilé sa nudité.
Dieser Knoten ist in der ersten Szene aufzugreifen, in der Lol ihres Liebhabers entkleidet wird, das heißt, er ist im Motiv des Kleides zu verfolgen, welches hier das Phantasma stützt, an das sich Lol in der Zeit danach binden wird, im Motiv eines Jenseits, für das sie das Wort nicht finden konnte, das Wort, das diese drei, wenn es die Türen über ihnen geschlossen hätte, in dem Moment verbunden hätte, in dem ihr Liebhaber der Frau das schwarze Kleid ausgezogen und ihre Nacktheit enthüllt hatte.
Ceci va-t-il plus loin ? oui, à l’indicible de cette nudité qui s’insinue à remplacer son propre corps.
Geht das noch weiter? Ja, zum Unsagbaren dieser Nacktheit, die sich eindrängt, um ihren eigenen Körper zu ersetzen.
Là tout s’arrête.
Hier kommt alles zum Stillstand.
N’est-ce pas assez pour que nous reconnaissions ce qui est arrivé à Lol, et qui révèle ce qu’il en est de l’amour ; soit de cette image, image de soi dont l’autre vous revêt et, qui vous habille, et qui vous laisse quand vous en êtes dérobée, quoi être sous ?
Sollte uns das nicht genügen, um zu erkennen, was Lol zugestoßen ist und wodurch enthüllt wird, worum es in der Liebe geht, um dieses Bild nämlich, Bild des Selbst, mit dem der andere Sie bekleidet, und das Sie bekleidet und das Sie, wenn sie seiner entkleidet sind, darunter was sein lässt?
Qu’en dire quand c’était ce soir-là, Lol toute à votre passion de dix-neuf ans, votre prise de robe et que votre nudité était dessus, à lui donner son éclat ?
Was darüber sagen, als dieser Abend war, Lol, Sie mit Ihrer ganzen Leidenschaft von neunzehn Jahren, mit Ihrem Anlegen des Kleides, und als Ihre Nacktheit darunter war, um ihm seinen Glanz zu verleihen?19
Ce qui vous reste alors, c’est ce qu’on disait de vous quand vous étiez petite, que vous n’étiez jamais bien là.
Was Ihnen dann bleibt, ist, was man über Sie sagte, als Sie klein waren: dass Sie niemals wirklich da waren.20
Mais qu’est-ce donc que cette vacuité ?
Was aber ist diese Leere?
Elle prend alors un sens : vous fûtes, oui, pour une nuit jusqu’à l’aurore où quelque chose à cette place a lâché : le centre des regards.
Sie bekommt dann eine Bedeutung: Ja, Sie waren – für eine Nacht bis zur Morgendämmerung, als an diesem Platz etwas nachgab – das Zentrum der Aufmerksamkeit, der Blicke.
Que cache cette locution ?
Was verbirgt diese Redewendung?
Le centre, ce n’est pas pareil sur toutes les surfaces.
Das Zentrum ist nicht auf allen Flächen dasselbe.
Unique sur un plateau, partout sur une sphère, sur une |[194] surface plus complexe ça peut faire un drôle de nœud.
Auf einer Ebene singulär, auf einer Sphäre überall, auf einer komplexeren Fläche kann es einen seltsamen Knoten bilden.21
C’est le nôtre.
Das ist unser eigener.
Car vous sentez qu’il s’agit d’une enveloppe à n’avoir plus ni dedans, ni dehors, et qu’en la couture de son centre se retournent tous les regards dans le vôtre, qu’ils sont le vôtre qui les sature et qu’à jamais, Lol, vous réclamerez à tous les passants.
Denn Sie spüren, dass es um eine Hülle geht, die kein Innen mehr hat und kein Außen22, und dass sich in der Naht ihres Zentrums alle Blicke in den Ihren zurückwenden, dass diese Blicke Ihr Blick sind, der sie sättigt, und den Sie, Lol, auf immer von allen Passanten fordern werden.
Qu’on suive Lol saisissant au passage de l’un à l’autre ce talisman dont chacun se décharge en hâte comme d’un danger : le regard.
Folgen wir Lol, wie sie beim Wechsel vom einen zum andern diesen Talisman ergreift, dessen jeder sich, wie von einer Gefahr, hastig entledigt: den Blick.
Tout regard sera le vôtre Lol, comme Jacques Hold fasciné se dira pour lui-même prêt à aimer « toute Lol ».
Jeder Blick wird der Ihre sein, Lol, wie Jacques Hold, liebesbereit, fasziniert zu sich sagen wird: „ganz Lol“.
Il est une grammaire du sujet où recueillir ce trait génial.
Dieser geniale Zug ist in eine Grammatik des Subjekts einzutragen.23
Il reviendra sous une plume qui l’a pointé pour moi.
Wiederkehren wird er von einer Feder, die ihn für mich gezeigt hat.
Qu’on vérifie, ce regard est partout dans le roman.
Dieser Blick ist im Roman überall, man möge es nachprüfen.
Et la femme de l’événement est bien facile à reconnaître de ce que Marguerite Duras la dépeint comme non-regard.
Und die Frau des Ereignisses ist leicht daran zu erkennen, dass Marguerite Duras sie als Nicht-Blick beschreibt.24
J’enseigne que la vision se scinde entre l’image et le regard, que le premier modèle du regard est la tache d’où dérive le radar qu’offre la coupe de l’œil à l’étendue.
Ich lehre, dass das Sehen sich aufspaltet in das Bild und den Blick, dass das erste Modell des Blicks der Fleck ist25, von wo der Radar kommt, den der Schnitt durch das Auge dem Ausgedehnten anbietet.26
Du regard, ça s’étale au pinceau sur la toile, pour vous faire mettre bas le vôtre devant l’œuvre du peintre.
Vom Blick breitet es sich aus bis zur Pinselführung auf der Leinwand, um Sie den Ihren vor dem Werk des Malers senken zu lassen.
On dit que ça vous regarde, de ce qui requiert votre attention.
Über das, was Ihre Aufmerksamkeit fordert, sagt man, „ça vous regarde“, das blickt Sie an / das geht sie etwas an.
Mais c’est plutôt l’attention de ce qui vous regarde qu’il s’agit d’obtenir.
Es geht jedoch darum, die Aufmerksamkeit dessen zu erlangen, was Sie anblickt.
Car de ce qui vous regarde sans vous regarder, vous ne connaissez pas l’angoisse.
Denn bei dem, was Sie etwas angeht (regarde), ohne Sie zu erblicken (regarder), kennen Sie nicht die Angst.
C’est cette angoisse qui saisit Jacques Hold quand, de la fenêtre de l’hôtel de passe où il attend Tatiana, il découvre, à la lisière du champ de seigle en face, Lol couchée.
Von dieser Angst wird Jacques Hold erfasst, als er vom Fenster des Stundenhotels aus, in dem er auf Tatiana wartet, Lol gegenüber am Rande des Roggenfeldes liegen sieht.27
Son agitation panique, violente ou bien rêvée, aurez-vous le temps de la porter au registre du comique, avant qu’il se rassure significativement, de se dire que Lol le voit sans doute.
Werden Sie Zeit haben, seine panische Erregung, ob heftig oder geträumt, ins Register des Komischen einzutragen, bevor er sich beruhigt, bezeichnenderweise indem er sich sagt, dass Lol ihn sicherlich sieht.
Un peu plus calme seulement, à former ce second temps qu’elle se sache vue de lui.
Nur etwas ruhiger, indem er die zweite Phase bildet, dass sie sich von ihm gesehen weiß.
Encore faudra-t-il qu’il lui montre, propitiatoire à la fenêtre Tatiana, sans plus s’émouvoir de ce que celle-ci n’ait rien remarqué, cynique de l’avoir déjà à la loi de Lol sacrifiée, puisque c’est dans la certitude d’obéir au désir de Lol qu’il va, d’une vigueur décuplée, besogner son amante, la chavirant de ces mots d’amour dont il sait que c’est l’autre qui ouvre les vannes, mais de ces mots lâches dont il sent aussi qu’il n’en voudrait pas pour elle.
Er muss ihr noch Tatiana zeigen, Sühneopfer am Fenster, ohne dass es ihn weiter bewegt, dass diese nichts bemerkt hat, zynisch, da er sie bereits dem Gesetz von Lol geopfert hat, denn in der Gewissheit, das Begehren von Lol zu befolgen, wird er es seine Geliebten mit entfesselter Kraft besorgen und sie mit Liebesworten erregen, von denen er weiß, dass es die andere ist, welche die Schleusen öffnet, mit diesen feigen Worten jedoch, von denen er auch spürt, dass er sie nicht für sie haben möchte.28
[195] Surtout ne vous trompez pas sur la place ici du regard.
Täuschen Sie sich vor allem nicht darüber, welchen Platz hier der Blick hat.
Ce n’est pas Lol qui regarde, ne serait-ce que de ce qu’elle ne voit rien.
Es ist nicht Lol, die blickt, schon deshalb nicht, weil sie nichts sieht.
Elle n’est pas le voyeur.
Sie ist nicht der Voyeur.
Ce qui se passe la réalise.
Durch das, was sich ereignet, wird sie realisiert.29
Là où est le regard, se démontre quand Lol le fait surgir à l’état d’objet pur, avec les mots qu’il faut, pour Jacques Hold, encore innocent.
Wo der Blick ist, zeigt sich, als Lol ihn mit passenden Worten auftauchen lässt, im Zustand des reinen Objekts, für Jacques Hold, der noch unschuldig ist.
« Nue, nue sous ses cheveux noirs », ces mots de la bouche de Lol engendrent le passage de la beauté de Tatiana à la fonction de tache intolérable qui appartient à cet objet.
„Nackt, nackt unter ihrem schwarzen Haar“30, diese Worte aus dem Munde von Lol vollziehen den Übergang von Tatianas Schönheit zur Funktion des unerträglichen Flecks, der zu diesem Objekt gehört.31
Cette fonction est incompatible avec le maintien de l’image narcissique où les amants s’emploient à contenir leur énamoration, et Jacques Hold aussitôt en ressent l’effet.
Diese Funktion ist unvereinbar mit dem Aufrechterhalten des narzisstischen Bildes, in das die Liebenden ihr Verliebtsein einzuschließen suchen, und Jacques Hold spürt ihre Wirkung sofort.
Dès lors il est lisible que, voués à réaliser le fantasme de Lol, ils seront de moins en moins l’un et l’autre.
Von da an lässt sich lesen, dass beide, dem hingegeben, das Phantasma von Lol zu realisieren, immer weniger der eine und die andere sein werden.32
Ce n’est pas, manifeste dans Jacques Hold, sa division de sujet qui nous retiendra plus longtemps, c’est ce qu’il est dans l’être à trois où Lol se suspend, plaquant sur son vide le « je pense » de mauvais rêve qui fait la matière du livre.
Bei Jacques Hold ist es nicht länger die Subjektspaltung – bei ihm manifest33 –, die uns festhalten wird, sondern, was er in dem Zu-dritt-Sein ist, an das Lol sich klammert, wobei er seine Leere mit dem „ich denke“ eines bösen Traumes überdeckt, der den Stoff des Buches ausmacht.
Mais, ce faisant, il se contente de lui donner une conscience d’être qui se soutient en dehors d’elle, en Tatiana.
Dabei begnügt er sich jedoch damit, ihr ein Bewusstsein des Seins zu geben34, das sich auf etwas stützt, das außerhalb von ihr ist, auf Tatiana.35
Cet être à trois pourtant, c’est bien Lol qui l’arrange.
Dieses Zu-dritt-Sein aber wird von Lol arrangiert.
Et c’est pour ce que le « je pense » de Jacques Hold vient hanter Lol d’un soin trop proche, à la fin du roman sur la route où il l’accompagne d’un pèlerinage au lieu de l’événement, – que Lol devient folle.
Und deshalb, weil Jacques Holds „ich denke“ Lol schließlich mit einer Sorge verfolgt, die allzu nah ist, am Ende des Romans bei der Fahrt, auf der er sie bei einer Wallfahrt zum Ort des Ereignisses begleitet, deshalb wird Lol verrückt.
Dont en effet l’épisode porte des signes, mais dont j’entends faire état ici que je le tiens de Marguerite Duras.
Wovon die Episode tatsächlich Zeichen trägt, wobei ich hier betonen möchte, dass ich es von Marguerite Duras habe.36
.
C’est que la dernière phrase du roman ramenant Lol dans le champ de seigle, me paraît faire une fin moins décisive que cette remarque.
Das heißt, dass der letzte Satz des Romans, indem er Lol in das Roggenfeld zurückbringt, mir einen Schluss zu bilden scheint, der weniger entscheidend ist als diese Bemerkung.37
Où se devine la mise en garde contre le pathétique de la compréhension.
Wo sich die Warnung vor dem Pathos des Verstehens erraten lässt.
Être comprise ne convient pas à Lol, qu’on ne sauve pas du ravissement.
Verstanden zu werden ist nicht etwas, das Lol, die man vor der Verzückung nicht bewahrt, angemessen wäre.
Plus superflu reste mon commentaire de ce que fait Marguerite Duras en donnant existence de discours à sa créature.
Noch überflüssiger bleibt mein Kommentar zu dem, was Marguerite Duras tut, wenn sie ihrem Geschöpf Diskursexistenz verleiht.
Car la pensée même où je lui restituerais son savoir, ne saurait l’encombrer de la conscience d’être dans un objet, puisque cet objet, elle l’a déjà récupéré par son art.
Denn der Gedanke, mit dem ich ihr ihr Wissen zurückgeben würde, könnte sie mit dem Bewusstsein, in einem Objekt zu sein, nicht vollstopfen, da sie durch ihre Kunst dieses Objekt bereits wiedererlangt hat.
C’est là le sens de cette sublimation dont les psychanalystes sont encore étourdis de ce qu’à leur en léguer le terme, Freud soit resté bouche cousue.
Eben das ist der Sinn der Sublimierung, von der die Psychoanalytiker noch benommen sind, da Freuds Lippen, als er Ihnen den Terminus hinterließ, versiegelt geblieben sind.
[196] Seulement les avertissant que la satisfaction qu’elle emporte n’est pas à prendre pour illusoire.
Wobei er sie nur warnte, die Befriedigung, die sie mit sich bringt, für illusorisch zu halten.
Ce n’était pas parler assez fort sans doute, puisque, grâce à eux, le public reste persuadé du contraire.
Das wurde wohl nicht laut genug gesagt, denn dank ihnen bleibt das Publikum vom Gegenteil überzeugt.
Préservé encore, s’ils n’en viennent pas à professer que la sublimation se mesure au nombre d’exemplaires vendus pour l’écrivain.
Das bleibt so, falls sie nicht auch noch verkünden, die Sublimierung werde an der Anzahl der Exemplare gemessen, die für den Autor verkauft werden.
C’est que nous débouchons ici sur l’éthique de la psychanalyse, dont l’introduction dans mon séminaire fut la ligne de partage pour la planche fragile de son parterre.
Was also heißt, dass wir hier bei der Ethik der Psychoanalyse ankommen, deren Einführung in mein Seminar auf den brüchigen Dielen seines Parketts eine Trennlinie zog.38
C’est devant tous pourtant qu’un jour je confessais avoir tenu, toute cette année, la main serrée dans l’invisible, d’une autre Marguerite, celle de l’Heptaméron.
Eines Tages jedoch bekannte ich aber vor allen, dass ich das ganze Jahr über im Unsichtbaren die Hand einer anderen Marguerite gedrückt hielt, der des Heptamerons.39
Il n’est pas vain que je rencontre ici cette éponymie.
Nicht umsonst stoße ich hier auf diese Eponymie.40
C’est qu’il me semble naturel de reconnaître en Marguerite Duras cette charité sévère et militante qui anime les histoires de Marguerite d’Angoulême, quand on peut les lire, décrassé de quelques-uns des préjugés dont le type d’instruction que nous recevons a pour mission expresse de nous faire écran à l’endroit de la vérité.
Denn es scheint mir natürlich zu sein, in Marguerite Duras die strenge und militante Barmherzigkeit wiederzuerkennen, welche die Geschichten der Marguerite d’Angoulême belebt, wenn man sie von einigen der Vorurteile befreit lesen kann, bei denen die Art der Belehrung, die wir erhalten, ausdrücklich das Ziel hat, am Ort der Wahrheit für uns einen Schirm zu errichten.
Ici l’idée de l’histoire « galante ».
Hier die Idee der „galanten“ Geschichte.
Lucien Febvre a tenté dans un ouvrage magistral d’en dénoncer le leurre.
In einem meisterhaften Werk hat Lucien Febvre versucht, deren Täuschungsmanöver aufzudecken.41
Et je m’arrête à ce dont Marguerite Duras me témoigne d’avoir reçu de ses lecteurs, un assentiment qui la frappe unanime à porter sur cette étrange façon d’amour : celle que le personnage dont j’ai marqué qu’il remplit ici la fonction non du récitant, mais du sujet, mène en offrande à Lol, comme tierce assurément loin d’être tierce exclue.
Und ich halte bei dem inne, wovon Marguerite Duras mir bezeugt, dass sie von ihren Lesern eine Zustimmung erhalten hat, die sie überrascht, einhellig darin, dass sie sich auf diese seltsame Art der Liebe bezieht: diejenige, die Lol von der Person – bei der ich vermerkt habe, dass sie die Funktion nicht des Ansagers, sondern des Subjekts wahrnimmt –, die Lol von dieser Person als Opfergabe gereicht wird, Lol sicherlich als Dritte, keineswegs jedoch als ausgeschlossene Dritte.
Je m’en réjouis comme d’une preuve que le sérieux garde encore quelque droit après quatre siècles où la momerie s’est appliquée à faire virer par le roman la convention technique de l’amour courtois à un compte de fiction, et masquer seulement le déficit, à laquelle cette convention parait vraiment, de la promiscuité du mariage.
Das freut mich, als Beweis dafür, dass das Seriöse ein gewisses Recht bewahrt, nach vier Jahrhunderten, in denen das Possenspiel eingesetzt wurde, um die technische Konvention der höfischen Liebe durch den Roman auf ein fiktives Konto zu überweisen und so das Defizit zu verschleiern, vor dem diese Konvention tatsächlich schützte, das Defizit der Promiskuität der Ehe.
Et le style que vous déployez, Marguerite Duras, à travers votre Heptaméron, eût peut-être facilité les voies où le grand historien que j’ai nommé plus haut, s’efforce à comprendre l’une ou l’autre de ces histoires qu’il tient pour ce qu’elles nous sont données ; pour être des histoires vraies.
Und der Stil, den Sie, Marguerite Duras, durch Ihr Heptameron hindurch entfalten, hätte vielleicht die Wege erleichtert, auf denen der großer Historiker, den ich oben genannt habe, sich bemüht, die eine oder andere dieser Geschichten zu begreifen, die er für das hält, als was sie sich ausgeben: dafür, wahre Geschichten zu sein.
Tant de considérations sociologiques qui se réfèrent aux variations d’un temps à l’autre de la peine de vivre sont de peu auprès de |[197] la relation de la structure qu’à être de l’Autre, le désir soutient à l’objet qui le cause.
All die soziologischen Überlegungen zu den Wandlungen der Lebensmühe im Wechsel der Zeiten sind nur wenig, verglichen mit der Struktur, welche das Begehren, da es vom Anderen ist, zu dem Objekt unterhält, durch das es verursacht wird.
Et l’aventure exemplaire qui fait, se vouer jusqu’à la mort l’Amador de la nouvelle X, qui n’est pas un enfant de chœur, à kun amour, pas du tout platonique pour être un amour impossible, lui fût parue une énigme moins opaque à n’être pas vue à travers les idéaux de l’happy end victorien.
Und das exemplarische Abenteuer der zehnten Novelle, das Amador, der kein Chorknabe ist, dazu bringt, sich bis in den Tod einer Liebe zu weihen, die, als unmögliche Liebe, keineswegs platonisch ist, erschien ihm als ein weniger undurchsichtiges Rätsel, da es nicht durch die Ideale des viktorianischen Happy Ends hindurch gesehen wurde.42
Car la limite où le regard se retourne en beauté, je l’ai décrite, c’est le seuil de l’entre-deux-morts, lieu que j’ai défini et qui n’est pas simplement, ce que croient ceux qui en sont loin : le lieu du malheur.
Dann die Grenze, an der sich der Blick wieder zurück in Schönheit wendet, ist, ich habe sie beschrieben, die Schwelle des Zwischen-zwei-Toden, ein Ort, den ich definiert habe und der nicht einfach das ist, was jene glauben, die davon entfernt sind: der Ort des Unglücks.43
C’est autour de ce lieu que gravitent, m’a-t-il semblé pour ce que je connais de votre œuvre Marguerite Duras, les personnages que vous situez dans notre commun pour nous montrer qu’il en est partout d’aussi nobles que gentils hommes et gentes dames le furent aux anciennes parades, aussi vaillants à foncer, et fussent-ils pris dans les ronces de l’amour impossible à domestiquer, vers cette tache, nocturne dans le ciel, d’un être offert à la merci de tous…, à dix heures et demie du soir en été.
Um diesen Ort, so schien es mir, gravitieren in dem, von ich von Ihrem Werk kenne, Marguerite Duras, die Personen, die Sie in unserer Kommune verorten, um uns zu zeigen, dass es überall solche gibt, die ebenso nobel sind wie die edlen Männer und Frauen in den alten Paraden, die ebenso tapfer sind, um sich, auch wenn sie erfasst waren von den Ranken der unmöglich zu zähmenden Liebe, in Richtung auf diesen Fleck zu stürzen, nächtlich am Himmel, eines Seins/Wesens (être), das allen ausgeliefert ist …, im Sommer abends um halb elf.44
Sans doute ne sauriez-vous secourir vos créations, nouvelle Marguerite, du mythe de l’âme personnelle.
Sicherlich wüssten Sie, neue Marguerite, Ihren Geschöpfen nicht mit dem Mythos der persönlichen Seele zu helfen.
Mais la charité sans grandes espérances dont vous les animez n’est-elle pas le fait de la foi dont vous avez à revendre, quand vous célébrez les noces taciturnes de la vie vide avec l’objet indescriptible.
Jedoch, ist die Barmherzigkeit ohne große Hoffnungen, mit der Sie sie beleben, nicht das Faktum des Glaubens, von dem Sie im Überfluss haben, wenn Sie die schweigsame Hochzeit des leeren Lebens mit dem unbeschreiblichen Objekt feiern?45
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Anmerkungen
-
Ravissement bedeutet
(a) Entzücken, religiöse Ekstase, Verzückung,
(b) Raub (le ravissement d’Hélène, „der Raub der Helena“).
Das zugrundeliegende Verb ravir bedeutet sowohl „begeistern“ als auch „rauben“.Porge (a.a.O., S. 65) macht darauf aufmerksam, dass die ersten beiden Silben von du ravissement lautähnlich sind mit Duras (wobei Duras allerdings mit einem s am Ende ausgesprochen wird).
-
Ist der durch das „de“ gebildete Genitiv ein Genitivus objectivus oder ein Genitivus subjectivus – ist Lol V. Stein diejenige, die in Verzückung versetzt wird oder diejenige, die eine Verzückung hervorruft?
-
Anspielung auf Platons Dialog Phaidros: Die Seele wird angetrieben durch das Begehren nach dem Schönen.
-
La ravisseuse meint auch „die Entführerin“ (z.B. eines Kindes).
einer aus den Dingen Verbannten: Von Tatiana Karl, Lols Freundin, wird Lol so beschrieben:
„Schon im Lyzeum, sagt sie [Tatiana] – und sie war nicht die einzige, die so dachte – fehlte Lol V. Stein etwas, um – wie sie sagt – da zu sein. […] Ihre Sanftmut – aber auch ihre Gleichgültigkeit, wie man bald entdeckte – waren ungewöhnlich, niemals schien sie zu leiden oder bekümmert zu sein, niemals hatte man sie Mädchentrännen vergießen sehen. […] Ja, es schien dieser Bereich des Gefühls zu sein, der bei Lol anders war.“ (Die Verzückung, a.a.O., S. 8)
-
Der offizielle Name ist Lola Valerie Stein; sie selbst bezeichnet sich als Lol V. Stein (vgl. Duras, Die Verzückung, a.a.O., S. 17, 26); Stein ist hier das deutsche Wort „Stein“ – ihr Vater war Deutscher.
-
Zwei Wortspiele:
Ailes de papier (Flügel aus Papier) ist lautgleich mit L de papier (L aus Papier) – L für „Lol“.
Hinzu kommt die Lautgleichheit von jeu de la mourre (Knobelspiel) und jeu de l’amour (Liebespiel). Das Spiel Schere – Stein – Papier wird auch als „Knobeln“ bezeichnet, im Französischen als mourre.
Im Titel von Seminar 24 (1976/77) wird Lacan das Wortspiel wieder aufnehmen:
„L’insu que sait de l’une-bévue s’aile à mourre“, wörtlich übersetzt: „Das Ungewusste, den von einem Schnitzer weiß, flügelt sich zum Knobeln“, laut gelesen hört man: „L’insuccès de l’Unbewu, c’est l’amour“ – “Der Misserfolg des Unbewu[ssten], das ist die Liebe“. -
Offenbar eine Anspielung auf das Steinehüpfen.
-
Vgl. Marguerite Duras: Die Verzückung der Lol V. Stein. Übersetzt von Katharina Zimmer. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1966, S. 10–16.
Der Name des Verlobten ist Michael Richardson, „entführt“ wird er von Anne-Marie Stretter.
-
Das Verb douloir (leiden) ist veraltet. Die Wendung „je me deux“ findet sich bei Apollinaire in einem Text von 1899 in der Gedichtsammlung Le Guetteur mélancolique (Gallimard, Paris 1952).
-
Der erste Knoten ist der zwischen L.V. Stein, M. Richardson und A.-M. Stretter, der neu geknüpfte Knoten der zwischen L.V. Stein, Jacques Hold und Tatiana Karl.
-
Der Erzähler, Jacques Hold, ist zugleich der Liebhaber von Tatiana Karl.
-
Dies ist, nach der Dreiheit Lol – M. Richardson – A.-M. Stretter, die zweite Dreiheit: Lol – T. Karl – J. Hold.
-
Die dritte Dreiheit ist also der Roman Die Verzückung der Lol V. Stein als Objekt, dann Marguerite Duras und schließlich Jacques Lacan als Subjekt.
-
„Madrigal“ hier wohl im Sinne der Gedichtform: Eine Form der Liebeslyrik, die sich in der Regel an eine Frau wendet, in Frankreich vor allem vom 16. bis zum 18. Jahrhundert verbreitet.
-
In Der Wahn und die Träume in Jensens „Gradiva“ (1907) schreibt Freud über die Dichter:
„In der Seelenkunde gar sind sie uns Alltagsmenschen weit voraus, weil sie da aus Quellen schöpfen, welche wir noch nicht für die Wissenschaft erschlossen haben.“
(In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 10. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 9–85, hier: S. 14)
-
Kritik hier im Sinne von „Beurteilung“, nicht von „Bemängelung“.
-
Lacans Hommage an Duras erschien zuerst in Les Cahiers Renaud-Barrault; in dieser Zeitschrift wurden unter anderem Texte von Marguerite Duras veröffentlicht.
-
Der Hinweis bezieht sich auf: Michèle Montrelay: Sur „Le Ravissement de Lol V. Stein“. In: Dies.: L’Ombre et le nom. Minuit, Paris 1977, S. 7–23.
-
Prise de robe: „Anlegen des Kleides“. Anspielung auf die Wendung prendre la robe, „den Habit anlegen“, für den Wechsel in den Status einer Nonne oder eines Mönchs. Hier ein Hinweis auf den mit dem Ball und dem Ballkleid verbundenen Statuswechsel von Lol (Miller verweist zur Erläuterung auf die Funktion des Debütantinnenballs; vgl. Les us du laps, 14. Juni 2000).
Durch das Spiel mit der Nacktheit ist das Ballkleid eine kulturell verankerte Beziehung zu der Entkleidungsszene, die dann das Phantasma von Lol ausmachen wird.
-
In Die Verzückung heißt es:
„Schon im Lyzeum, sagt sie [Tatiana Karl] – und sie war nicht die einzige, die so dachte – fehlte Lol V. Stein etwas, um – wie sie sagt – da zu sein.“
(A.a.O., S. 8; ähnlich S. 65)
Miller deutet Lacans Hinweis so (Les us du laps, 14. Juni 2000): Lol litt an einem Mangel an narzisstischer Identifizierung, d.h. sie konnte sich nicht direkt in ihrem Körper, ihrem Körperbild wiedererkennen und anerkennen. Aus diesem Grunde brauchte sie, um einen Körper zu erlangen, die Beziehung zu einer anderen Frau (zu Anne-Marie Stretter und Tatiana Karl). Er verweist für diese Struktur auf Lacans folgende Bemerkung über die Hysterikerin:
„Denn diesen realen anderen kann sie nur aus ihrem eigenen Geschlecht finden, weil es in diesem Jenseits, welches sie aufruft, das ist, was ihr Gestalt geben [donner corps] kann, und dies deshalb, weil sie diesseits nicht Gestalt annahmen [prendre corps] konnte. Mangels einer Antwort dieses anderem wird sie ihm eine Erzwingungshaft [contrainte par corps] bescheiden, indem sie ihn durch die Dienste eines Strohmanns, Ersatz des imaginären anderen, ergreifen lässt, in den sie sich weniger entäußert hat als dass sie vor ihm unangekommen geblieben ist.“
(J.L.: Die Psychoanalyse und ihre Lehre (1957). In: J.L.: Schriften. Band I. Vollständiger Text. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien 2016, S. 513–540, hier: S. 532 f.)
Jenseits = Seite des anderen; diesseits = Seite des Subjekts, also von Lol.
Anne-Marie Stretter und Tatiana Karl würden also für Lol die Rolle des „Strohmanns“ spielen, des Ersatzes für den imaginären anderen, wodurch sie selbst, also Lol, einen Körper bekommen kann.
-
Eine Sphäre ist eine Kugeloberfläche.
Mit der komplexeren Fläche ist die Kreuzhaube gemeint (bzw. die projektive Ebene), mit der sich Lacan seit dem Seminar 9, Die Identifizierung (1961/62) intensiv beschäftigt. In Seminar 13 von 1965/66, Das Objekt der Psychoanalyse, das Lacan durchführt, während er die Hommage an Duras schreibt, bringt er die Kreuzhaube mit dem Blick als Objekt a zusammen. Vgl. zur Kreuzhaube auf dieser Website den Artikel Die Kreuzhaube und die Struktur des Phantasmas.
-
Vermutlich eine Anspielung auf Freuds Analyse des Schautriebs in Triebe und Triebschicksale (1915). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 3. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000, S. 75–102, vor allem das Schema S. 93.
Die Triebschicksale (wie Verkehrung ins Gegenteil und Wendung gegen die eigene Person) beruhen, Lacan zufolge, auf der Grammatik. Mit „Grammatik“ dürften hier also die die Triebumwandlungen von Sehen und Gesehenwerden sowie Sehen der eigenen Person und Sehen eines fremden Objekts gemeint sein.
-
Das „Ereignis“ ist die zu Beginn des Romans geschilderte „Entführung“ von M. Richardson durch A.-M. Stretter, die demnach die „Frau des Ereignisses“ ist. Im Roman heißt es über sie
„Hatte sie im Vorbeigehen Michael Richardson angesehen (regardé)? Hatte der leere Blick (non-regard), den sie über den Ballsaal gleiten ließ, ihn gestreift?“ (A.a.O., S. 11)
-
Lacan bezieht sich auf das Seminar 11 von 1964, Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse, und darin auf die vier Sitzungen über die Spaltung von Auge (bzw. Sehen) und Blick.
Zum Fleck vgl. in Seminar 11 die Sitzung vom 19 Februar 1964 (Version Miller/Haas S. 80, 84), vom 4. März 1964 (Version Miller/Haas S. 103) und vom 24. Juni 1964 (Version Miller/Haas S. 287).
An der zuletzt angegebenen Stelle ist die Übersetzung zu korrigieren: „que la fascination de la tache est antérieure à la vue qui la décourvre», meint „dass die Faszination des Flecks dem Sehen, dass ihn entdeckt, vorausgeht“, und nicht „dass sie entdeckt“).
-
Vgl. Duras, Die Verzückung, a.a.O., S. 99–103.
Wie lässt sich die Erregung, von der Jacques Hold erfasst wird, als er aus dem Fenster schaut – seine Angst, wie Lacan sagt – erklären? Auf Lacan’sche Weise wohl damit, dass er in dem Moment, in dem er Lol sieht, wie sie das Hotel beobachtet, mit dem „Begehren des Anderen“ konfrontiert ist, mit einem Begehren, das für ihn insofern rätselhaft ist, als er nicht weiß, welche Rolle er in ihrem Phantasma spielt.
-
Die drei Phasen, die Lacan hier unterscheidet (Sehen – Gesehenwerden – etwas zu Sehen Geben), sind ein Echo auf Freuds Überlegungen zur dreigliedrige Struktur des Schautriebs (vgl. S. Freud: Triebe und Triebschicksale (1915). GW 10, S. 222).
-
wird sie realisiert – vermutlich im Sinne von „wird ihr Phantasma realisiert“, „wird sie als begehrendes Subjekts realisiert“.
-
Die Nacktheit hat hier demnach die Funktion des Blicks als Objekt a (die Nacktheit von Tatiana Karl in dem Moment, in dem sie von Jacques Hold entkleidet wird).
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Die Struktur des Phantasmas ist, Lacan zufolge, $ ◊ a, im Falle von Lol ist das Objekt a der Blick.
In Lols Phantasma fungiert die Nacktheit von Tatjana (im Moment des Entkleidetwerdens vor dem Sexualakt) als Blick und Jacques Hold als gespaltenes Subjekts.
Lol selbst wäre in der Position des Begehrens. Vgl. die Beziehung zwischen d (désir, Begehren) und $ ◊ a im Graphen des Begehrens:
(Diagramm aus: J. Lacan: Subversion des Subjekts und Dialektik des Begehrens im Freud’schen Unbewussten. In: Ders.: Schriften. Band II. Vollständiger Text. Übersetzt von Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant, Wien 2015, S. 325–368, hier: S. 355; Färbung von mir, RN.)
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Die Subjektspaltung von Jacques Hold ist für Lacan vermutlich insofern manifest, als von ihm zugleich in der dritten Person und in der ersten Person erzählt wird.
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Bewusstsein des Seins: Fortsetzung der Anspielung auf Descartes’ „ich denke, also bin ich“.
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Jacques Hold macht Lol klar, dass sie Tatiana „ist“, anders formuliert, dass sie ihr Sein in Tatiana hat.
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Am Schluss des Romans, nachdem Jacques Hold und Lol in einem Hotel in T. Beach miteinander geschlafen haben, hat Lol paranoide Wahnvorstellungen:
„Der Wahn überkommt sie. Unsere augenblickliche Situation in diesem Zimmer, wo wir allein sind, sie und ich, hat ihn ausgelöst.
– Die Polizei ist unten.
Ich widerspreche ihr nicht.
– Im Treppenhaus werden Leute geschlagen.
Ich widerspreche ihr nicht.
Sie erkennt mich nicht, überhaupt nicht mehr.
– Ich weiß nicht mehr, was ist das?
Dann erkennt sie mich ein wenig“ (A.a.O., S. 155).Im Original findet man hier für „Wahn“ nicht etwa délir, sondern crise („La crise est là.“, S. 187), als Abkürzung für den umgangssprachlichen Ausdruck crise de nerfs, „Nervenkrise“.
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Gemeint ist die Bemerkung „Nackt unter ihren schwarzen Haaren“.
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Vgl. Seminar 7, Die Ethik der Psychoanalyse (1959/60).
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Vgl. Seminar 7, Die Ethik der Psychoanalyse, Sitzung vom 3. Februar 1960, Version Miller/Haas S. 161 f.
Lacan bezieht sich auf Marguerite d’Angoulême (1492–1549), deutscher Name: Magarete von Navarra; ihr Heptameron, ein Sammlung von 72 Erzählungen nach dem Vorbild von Boccaccios Decamerone, erschien 1558.
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Unter Eponymie versteht Lacan hier die Bedeutungsverschiebung vom Namensgeber auf den Namen. (Der Ausdruck beruht auf den griechischen Wörtern epi ‚„nach“, und noma, „Name“.)
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Vgl. Lucien Febvre: Autour de l’Heptaméron. Amour sacré, amour profane. Gallimard, Paris 1944 (im Internet hier); dt.: Margarete von Navarra. Eine Königin der Renaissance zwischen Macht, Liebe und Religion. Aus dem Französischen von Grete Osterwald. Campus Verlag, Frankfurt am Main 1998.
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Die zehnte Novelle wird von Febvre ausführlich analysiert (vgl. Autour de l’Heptaméron, a.a.O., S. 204 bis 250).
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Zur Schönheit an der Schwelle zwischen zwei Toden vgl. Seminar 7, Ethik der Psychoanalyse, vor allem die Sitzungen vom 1. Juni 1960 (Version Miller/Haas, S. 313 f.), vom 8. Juni 1960 (Version Miller/Haas S. 336 f.) und vom 22. Juni 1960 (Version Miller/Haas S. 355–357).
Zum Begriff Zwischen-zwei-Toden vgl. diesen Artikel in Lacan entziffern.
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Dix heures et demie du soir en été ist der Titel eines Romans von Marguerite Duras, erschienen 1960 in Paris bei Gallimard; deutscher Titel Im Sommer abends um halb elf, übersetzt von Katharina Zimmer, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1990.
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Anspielung auf das Neue Testament, 1. Korinther 13, 13, „Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“ Damit zugleich Hinweis auf die sogenannten theologischen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe (Barmherzigkeit).