Marie-Claude Thomas
Melanie Klein mit Lacan. Eine Anmerkung
Nicholas Wright: Mrs. Klein (1988), Aufführung im Almeida-Theater in London 2009
Claire Higgins (links) als Melanie Klein und Nicola Walker als Paula Heimann
Foto: Tristram Kenton, The Guardian
Als Melanie Klein am 7. Januar 1929 einen kleinen Jungen von vier Jahren empfing, den sie Dick nannte, sah sie keine Notwendigkeit, ihn als „Autisten“ zu bezeichnen, obwohl die klinische Beschreibung, die sie von ihm gab, durchaus an das hätte erinnern können, was der Züricher Psychiater Eugen Bleuler in den Jahren zwischen 1907 und 1912 als Gegenposition zu Freud herausgearbeitet hatte.
Autismus?
Der Terminus „Autismus“ war 1907 von Bleuler eingeführt worden, um den Begriff „Autoerotismus“ zu vermeiden, der nicht zum Sprachschatz von Melanie Klein gehörte.
Sie bezieht sich nicht auf den Autismus, als sie 1930 in der Folge ihrer Mitteilung Die Bedeutung der Symbolbildung für die Ichentwicklung, in der sie den Fall Dick vorstellt, die Diagnose der „Dementia praecox“ zurückweist. Diese hatte Dr. Forsyth gestellt. Melanie Klein spricht auch nicht von „Schizophrenie“. Darüber hinaus weist sie diese medizinische Ebene zurück:
„Ich enthalte mich der Stellungnahme zur Frage der Diagnose vom Standpunkt der klinischen Psychiatrie. Hingegen kann ich, auf meine allgemeinen analytischen Erfahrungen mit Kindern gestützt, einige Bemerkungen genereller Art über die Psychose im Kindesalter machen.“1
Genauso nimmt Melanie Klein selten auf den „Autoerotismus“ Bezug und macht von ihm keinen klinischen Gebrauch. Wenn sie ihn erwähnt, so in Verbindung mit dem Sprechen. In Zur Frühanalyse von 1923 erwähnt sie Bemerkungen von Sabina Spielrein,
„in denen sie in sehr einleuchtender Weise die Entstehung der kindlichen Worte Mama und Papa vom Saugakt ableitet.“2
1930 übernahm Leo Kanner, ein Arzt, der eine kardiologische Doktorarbeit in Berlin verfasst hatte, die Funktion eines Kinderarztes am Johns Hopkins Hospital von Baltimore. Er hatte damals die Diagnose des „frühkindichen infantilen Autismus“ noch nicht geprägt, der 1943/1944 mit Erfolg in die kinderpsychiatrische Nomenklatur Einzug finden sollte. Als Jacques Lacan im Februar 1954 im Laufe zweier Sitzungen seines Seminars Freuds technische Schriften den Bericht der Erfahrung Melanie Kleins mit Dick las, legte er Dick ebenfalls nicht auf die Diagnose des „Autismus“ fest.
Das geschah erst dreißig Jahre später, 1983, durch Frances Tustin, und so wurde er „Dick, das autistische Kind“. Diagnostizieren, Klassifizieren, Benennen, den „Apparat einer unvergleichlichen Beschreibung“ fabrizieren, wie David Halperin es formuliert3, ist eine Entscheidung, die ihre Wirkungen zeitigt, besonders die der Objektivierung: Dick, seine autistischen Schwestern und Brüder werden Objekte eines wissenschaftlichen Wissens, eine Entscheidung, die mit der analytischen Erfahrung überhaupt nicht vereinbar ist. Und die Auswirkungen auf die Verschreibungspraxis hat …
Im Gegensatz zur Objektivierung und Verschreibung legt Melanie Klein die analytische Arbeit mit Dick von Beginn an auf der Ebene der Sprache und des Sprechen dar, weil sie Teil der Symbolbildung und der Symbolisierung ist. Dafür stützt sie sich als Freudianerin auf das, was Sigmund Freud, Sandor Ferenczi und Ernest Jones zuvor als den „wahren“ Symbolismus herausgearbeitet hatten, das heißt als eine Wirkung der Verdrängung. Heute gilt es hervorzuheben, dass Melanie Klein Wort für Wort das Dispositiv der „Schöpfung“ dessen erkundet, was Lacan den „Signifikanten“ nennen wird, in eins mit den Wirkungen der Subjektivierung für diesen kleinen autistischen Jungen. Sie interveniert auf der Ebene der Sprache und der Zeichen, nicht des Verhaltens.
Kinderanalyse
1929 war Melanie Klein bereits drei Jahre in England, in der Folge von Tagungen in London, dann der Einladung von Ernest Jones, hier zu arbeiten, nachdem ihr Berliner Analytiker Karl Abraham 1925 verstorben war.
Als Tochter von Libussa und Moritz Reizes war sie 1882 in Wien geboren worden und heiratete den Chemie-Ingenieur Arthur Klein, mit dem sie drei Kinder hatte. Die Familie ließ sich 1910 in Budapest nieder, wo Melanie Klein 1914 Freuds Text von 1901 Über den Traum las, eine didaktische Monographie, die die grundlegenden Punkte der Traumdeutung darstellt. Begeistert und in der Überzeugung, dass die Analyse die Lösung ihrer zahlreichen „Depressionen“ sei, begann sie bei Sandor Ferenczi eine Analyse. Er ermunterte sie, Analytikerin zu werden, insbesondere mit Kindern. Bereits 1919 wurde sie nach einem Vortrag Mitglied der Budapester psychoanalytischen Vereinigung, schließlich 1923 der Berliner Vereinigung, wo sie sich 1921 niederließ. Sie nahm seit dieser Zeit an den Kongressen der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung teil, auf denen sie die analytische Praxis mit Kindern erforschende, rechtfertigende und begründende Vorträge hielt. Dabei verlor sie niemals ihre Entschlossenheit, auch gegenüber Freud und besonders seiner Tochter Anna nicht, die beide 1938 in London eingetroffen waren. Dies gilt besonders für die Zeit der controversial discussions. Diese brachten zwischen 1941 und 1946 die britische psychoanalytische Gesellschaft in Aufruhr.
Bereits 1927 hatte Melanie Klein ein Kolloquium über Kinderanalyse in London organisiert, nachdem Anna Freud ein Buch über die Technik der Kinderanalyse veröffentlicht hatte. Dies war ein Kolloquium im eigentlichen Sinne, denn Melanie Klein diskutierte hier Punkt für Punkt die vier wesentlichen „annafreudianischen“ Prinzipien. Es war ein beachtliches Manifest, das bekräftigte, dass ihre Erfahrung der Kinderanalyse ohne ergänzende pädagogischer Eingriffe möglich war, ohne Hinzufügung einer „Dressur“ zur Psychoanalyse. Melanie Klein schreibt zur Technik der Kinderanalyse:
„Vergleichen wir dies mit der Technik der Erwachsenenanalyse: Hier gehen wir ohne jede Einschränkung davon aus, eine wirklich analytische Situation ausschließlich durch analytische Methoden herstellen zu können.“4
Die Übertragung und die so wesentliche, einem frühen Über-Ich und einer frühen ödipalen Situation geschuldete Angst sowie das Schuldgefühl sind, wie sie ab 1924 zeigte, genauso zu behandeln wie in einer Erwachsenenanalyse: Im Dienste der analytischen Arbeit und nicht, um das Kind an die Person des Analytikers zu binden. So präzisiert Klein,
„daß die Einstellung, die innere Überzeugung, den Weg zu der notwendigen Technik weist.“5
Am Ende ihres Beitrags zum Symposium über Kinderanalyse bekräftigt sie diese Position:
„wenn der Kinderanalytiker seine Arbeit zu einem erfolgreichen Abschluß bringen will, muß er zudem über dieselbe ubw Haltung verfügen, die uns auch in der Erwachsenenanalyse unverzichtbar ist“6.
Von ihr wird dabei die dem Kind eigene Betätigung des Spiels einbezogen.
Dieser besondere Punkt der Analyse mit einem Kleinkind, der von Melanie Klein unter dem Namen play technique ausgearbeitet wurde, ist nicht als einfaches Objekt der Beobachtung aufzufassen, sondern als Material im Prozess der Analyse selbst, wann immer sich die Aktivitäten des Spiels in verschiedener Weise wiederholen und von einem manifesten Schuldgefühl oder Angst begleitet werden. Allein auf der Grundlage ihrer Verkettung sollen sie gedeutet werden.
„Was uns das Kind in einer Analysestunde zeigt, wobei es vom Spielen mit dem Spielzeug zur Darstellung durch die eigene Person übergeht, dann wieder zum Spielen mit Wasser, zum Ausschneiden von Papier, zum Zeichnen — wie es das tut, und warum der Wechsel einsetzt und welche Mittel es zur Darstellung wählt, dieses bunte, oft wirr und sinnlos scheinende Durcheinander zeigt sich als wohlgeordnet und verrät uns die ihm zugrunde liegenden Quellen und Gedanken, wenn wir es gleich dem Traume deuten.“7
Dabei unterstreicht Klein:
„Die praktischen und theoretischen Voraussetzungen der Deutung sind genau die gleichen wie in der Erwachsenenanalyse.“8
Warum sollte man deshalb noch von einer „Psychoanalyse des Kindes“ sprechen? Riskiert man dabei nicht, die Frage des Subjekts und des Individuums im zivilrechtlichen Sinn miteinander zu vermischen, was einem Risiko der Vorherrschaft der Entwicklungspsychologie über die Psychoanalyse gleich käme? Dem Spiel selbst – präziser noch als Freud es 1911 tat, als er es als „Denktätigkeit“ auf Grund der Ersetzung des Lustprinzips durch das Realitätsprinzip bestimmte9 – gab Melanie Klein folgenden Stellenwert: da, wo das Kleinkind keine verbalen freien Assoziationen hervorbringen kann, weil die Angst ihnen Widerstand entgegensetzt, spielt es. Das Spiel kann also als Hilfsmittel der Metapher begriffen werden. Genau am Ort von etwas Undurchschaubarem und zuerst nicht Artikulierbarem, was für Melanie Klein die Beziehung zu der Gestalt ist, die sie „Mutterleib“ bzw. „mother’s body“ bzw. „Körper der Mutter“ nennt, wird eine Denktätigkeit implantiert werden und einen Ersatz bilden: das Spiel. Tatsächlich wird die Imago des Mutterleibs als der Ort der Anziehung der ödipalen Triebregung und zugleich als Anderer Schauplatz aufgefasst, als
„Schauplatz aller sexuellen Vorgänge und Entwicklungen“10; „der Körper der Mutter (…) stellt im Unbewussten eine Schatzkammer für alles Wünschenswerte dar, das man nur von dorther bekommen kann“11.
In gewisser Weise präfiguriert dieser Körper eine erste Variante des Anderen, den Lacan zu einem bestimmten Moment seiner Lehre als „Tresor der Signifikanten“ bezeichnet hat.12
1929 hatte Melanie Klein die Entdeckungen ihrer Praxis noch nicht systematisiert. Das sollte sie erst im Lauf der folgenden drei Jahrzehnte tun und zwar auf zweierlei Weise: zum einen durch die wiederholte Darlegung, dass allein die analytische Methode in der Kur mit Kindern wirksam ist. Die aus ihrer Praxis erhaltenen Ergebnisse fasste sie in Die Psychoanalyse des Kindes zusammen, einem Buch, das 1932 deutsch und englisch erschien. Es folgte ein Sammelband mit ihren Schülern, der zwanzig Jahre später veröffentlicht wurde und Ergebnis der controversial discussions war: Developments in psycho-analysis.
Zum anderen erarbeitete Klein eine innovative Systematisierung ihrer Hypothesen; diese
„Hypothesen sind durch Deduktion von Material abgeleitet, das ich in den Analysen von Erwachsenen und Kindern gewonnen habe“13.
Dies vollzog sich in drei Etappen.
Es begann mit dem 1934 erschienenen Beitrag Zur Psychogenese der manisch-depressiven Zustände, wo Klein, ausgehend von einer Auseinandersetzung mit Texten Karl Abrahams und Freuds, aber auch ihrer eigenen analytischen Erfahrung mit Erwachsenen, Kindern und sich selbst, eine zentrale Position entwirft, die sie kindliche depressive Position nennt. Sie situiert diese um den sechsten Monat des Kindes. Er besteht in einer plötzlichen Erfassung der Mutter als Ganzheit, als „totales Objekt“, was dann eine depressive Wirkung haben wird. Lacan verortet genau so in diesem Zeitraum die jubilatorische Aufnahme des Spiegelstadiums. Die Dialektik dieses Kontrastes wird er dann so formulieren:
„Wenn die reflektierte spiegelbildliche Struktur des Spiegelstadiums ins Spiel kommt, wird die mütterliche Allmacht nunmehr in rein depressiver Position reflektiert, und das ist eben das Ohnmachtsgefühl des Kindes.“14
1940 wird die depressive Position klar und deutlich in Die Trauer und ihre Beziehung zu manisch-depressiven Zuständen bestimmt. Hier gewinnt sie nun eher einen strukturalen und organisatorischen als einen psychogenetischen Status. Es handelt sich nämlich um die Wirkungen des Verlustes eines Liebesobjektes und um Trauer, sowie die Abwehrformen, die sich bilden, um die Depression zu bekämpfen. 1945 wird diese Position dann wieder mit Bezug auf die Kur mit Richard im Kontext der ödipalen Problematik umformuliert werden. Diese Kur fand 1941 statt, und der Bericht darüber erschien ein Jahr nach Melanie Kleins Tod.15
Schließlich gibt Melanie Klein 1946 in den Bemerkungen über einige schizoide Mechanismen einer von ihr seit langem bemerkten chaotischen Situation, der schizoiden nämlich, ihre ganze Bedeutung. Lacan wird den Begriff „schizoid“ so interpretieren: „durch den Signifikanten zerstückelt“. Diese schizoide Situation ist durch paranoide Ängste und Sadismus dominiert, durch die Spaltung des ursprünglichen Objekts in ein „gutes“ und ein „böses“, sowie die Mechanismen der Introjektion und Projektion. Die Ausschlachtung der paranoid-schizoiden Phase hat in einer Umschrift des Artikels 1952 zur Einführung eines Konzeptes geführt, das in der kleinianischen Schule allzu bedeutsam werden sollte, des Konzepts der projektiven Identifizierung.16 Klein illustrierte es, indem sie einen Roman von Julien Green analysierte, Si j’etais vous, im Deutschen: Wenn ich du wäre.17
1957 macht die Problematik des Neides die Schwierigkeiten des Konzepts der projektiven Identifizierung klar. Klein verfasst hierzu mit 75 Jahren einen ihrer letzten wichtigen Texte: Neid und Dankbarkeit, eine Hommage an Karl Abraham.18
Das paradigmatische Objekt des Neides ist die Brust, deren besondere Topologie Melanie Klein unterstreicht. Diese mütterliche Brust, die im Ich des Kindes Wurzeln schlägt, kompliziert den Bezug des Objekts zum Subjekt. Wem gehört sie? Der Mutter? Dem Kind? Wer könnte sie für sich beanspruchen? Diese Fragen wird Lacan durch seine Erfindung des Objekts klein a aufgreifen, das er in seiner Extimität beschreibt.
Symbolbildung
Welchen Beitrag verdanken wir nun Melanie Kleins intensiver Beschäftigung mit dem Konzept des Symbols ab 1929? Diese erlaubte ihr, ihren jungen Analysanten Dick dem Sprechen zuzuführen – was Lacan zu lesen wusste.
Klein führte ein begriffliches Werkzeug ein, das sie sich bereits 1923 zu Beginn ihres Werkes in Zur Frühanalyse zu Nutzen gemacht hatte. Sie sprach dort von „Symbolbildung“, was die Entstehung des Symbols meint.19
Das Konzept des Symbols hat eine Geschichte, um das eine leidenschaftliche Debatte geführt wurde. Freud sprach vom „Schlachtfeld“ zwischen Zürich und Wien.20
Seitens C.G. Jungs und Eugen Bleulers ergab sich als Ausweg der Debatte eine dualistische Konzeption des Denkens. Auf der einen Seite verorteten sie symbolisches Denken und reine Bilder, auf der anderen das rationale und verbale Denken. Dabei nahm die Bedeutung der Macht des Symbolismus bei ihnen zu. Jung spricht von „Symbolen der Libido“, Bleuler vom „autistischen Denken“.21 Bei Freud finden wir die Formulierungen über die zwei Prinzipien des psychischen Geschehens von 1911. Ferenczi folgte 1913 mit Entwicklungsstufen des Wirklichkeitssinnes sowie Zur Ontogenese der Symbole.
Ferenczis Artikeln entnimmt Melanie Klein vor allem den Begriff der Identifikation. Sie schreibt:
„Ferenczi stellt als grundlegend für die Identifikation – also die Vorstufe der Symbolik – fest, dass das Kind in einer frühen Periode seiner Entwicklung in jedem Ding seine Organe und deren Tätigkeiten wiederzufinden sucht.“22
Es ist der Mühe wert, die Sätze ausführlich wiederzugeben, die Ferenczi selber in seinen beiden Texten von 1913 hierzu schreibt:
„Es entstehen so jene innigen, für das ganze Leben bestehen bleibenden Beziehungen zwischen dem menschlichen Körper und der Objektwelt, die wir die symbolischen heißen. Einerseits sieht das Kind in diesem Stadium in der Welt nichts als Abbilder seiner Leiblichkeit, andererseits lernt es, die ganze Mannigfaltigkeit der Außenwelt mit den Mitteln seines Körpers darzustellen.“23
Und:
„Symbole im Sinne der Psychoanalyse sind nur solche Dinge (resp. Vorstellungen), denen im Bewusstsein eine logisch unerklärliche und unbegründete Affektbesetzung zukommt, und von denen analytisch festzustellen ist, dass sie diese affektive Überbetonung der unbewussten Identifizierung mit einem anderen Dinge (Vorstellung) verdanken, dem jener Affektüberschuss eigentlich angehört.“24
So formulierte man es zu dieser Zeit. 1916 wird Ernest Jones es so ausdrücken:
“Nur was verdrängt ist, wird symbolisiert; nur was verdrängt ist, muss symbolisiert werden.“25
Man wird wohl nicht erstaunt sein, die folgende Definition des Signifikanten bei Lacan zu finden:
„Der Signifikant, um ihn beim Namen zu nennen, und wir liefern dazu das Material – das ist eben das, was ich lehre und für was ich meine Zeit einsetze, um Ihnen dazu etwas zu sagen. Mit unseren eigenen Gliedmaßen – genau das ist das Imaginäre – schaffen wir das Alphabet des unbewussten Diskurses, und wohlverstanden ein jeder von uns in seiner verschiedenen Art. Denn wir bedienen uns nicht der gleichen Elemente, um in das Unbewusste eingefügt zu werden.“26
Der Signifikant? Ein Symbol, das in das binäre und mechanische System des Symbolischen eintaucht?
1929 bemühte Melanie Klein sich also, folgende Punkte zu verdeutlichen:
1. Ihre, wie sie klar hervorhebt, „erzwungene“ Lösung angesichts der schwierigen Frage des Schweigens eines Symbols, eines stummen Symbols, wie Freud es nennt, das heißt eines immer erneut wiederholten Spiels ohne Assoziationen bei Dick: daraus ergibt sich für sie ein bestimmter Typ von Deutung, die gerade deshalb bei ihr so gewaltsam war (weil sie sich gegen dies Schweigen des Symbolischen richtet).
2. Sie wollte zeigen, dass die genaue Formulierung und Deutung des Symbols, wie sie einem offensichtlich „erloschenen“ Kind mitgeteilt werden kann, Dick zu unterscheiden befähigt und die Dinge zu differenzieren. Das heißt, dass er so Symbole zu verwenden und einen Appell (an den Anderen) richten kann. Dies kann auch angesichts der primären Vorherrschaft symbolischer Äquivalenzen glücken, also einer Form von Identifizierung, wie sie Ferenczi beschrieben hatte. Diese entspricht einer chaotischen Welt, wo alles Bedeutung hat, was jedoch dem Fehlen jeder Bedeutung gleichkommt. Den von Lacan aufgestellten Registern folgend haben wir es hier also mit zwei Weisen zu tun, die Invasion des Imaginären zu beschreiben.
3. Ferner legt sie, anders als die ersten Psychoanalytiker, dar, dass angesichts der Verankerung des Symbols im Körper Identifizierung, Symbolisierung und Sublimierung nicht unterschieden sind und nicht differenziert werden können. Für sie heißt Sublimierung: Gebrauch vom Symbol machen. Symbolisierung und Sublimierung sind die gleiche Operation.
Es bleibt noch eine Frage:
Wie vollzieht sich nun im Spiel der Übergang weg von der symbolischen Äquivalenz – dem Imaginären der Lacansche Dreiheit von Imaginärem, Symbolischen und Realen –, in der Dick stecken blieb, und hin zur Symbolisierung und zu ihrem Gebrauch, d.h. zu einer vokalisierten Versprachlichung des „Zeichens“ der Äquivalenz, durch welche es erst zu einer Adressierung an den Anderen kommen kann?
Wenn Melanie Klein dies auch in Die Bedeutung der Symbolbildung für die Ichentwicklung nicht klarmacht, so kann man dennoch aus den vorhergehenden bereits erwähnten Arbeiten ableiten, dass es sich bei diesem Schritt des Übergangs vom rein Imaginären zum symbolischen Appell an den Anderen um die – nicht pathologische – Wirkung der Verdrängung selbst handelt, um die Substituierung: nicht um die Ersetzung eines Symbols durch ein anderes, sondern um die Substituierung des Genießens des eigenen Körpers durch dessen Begrenzung, also um eine Trennung; Übergang einer der beiden Terme des Symbols, die bislang im Rahmen ihrer Äquivalenz vermischt waren, nach oben: womit der Signifikant über dem Genießen zu stehen kommt; Einpropfung des Todestriebs in den Körper, was einer Auslöschung des Genießens durch den Signifikanten gleichkommt (unterschiedliche Weisen also, diesen inauguralen Punkt der Subjektivierung zu sagen). Eine einzelne Spielsequenz ist eine der Modalitäten für diesen Vorgang. Das gilt aber nur unter der Bedingung, dass der Analytiker sie dazu nutzen kann, die Äquivalenz aufzubrechen, was einem Akt entspricht.
Lacan beginnt in den Seminarsitzungen vom 17. und 24. Februar 1954 im Rahmen seiner Lektüre des Falls Dick, dies mit Hilfe eines „Surrogats des Spiegelstadiums“ begreifbar zu machen, dem Schema vom umgekehrten Blumenstrauß. Es benutzt es, um die Wirkungen der Intervention von Melanie Klein darzulegen: An einen bestimmten Platz im Symbolischen gerufen, wird ein realer Punkt im Imaginären erzeugt und reguliert / eingestellt.
Daraus kann man die Besonderheit ableiten, die dem Signifikanten im Hinblick auf seine Bedeutung in der Analyse zukommt: das heißt nicht als sichtbare Form oder hörbarer Ton, wie ihn die strukturale amerikanische Linguistik definiert, aus der die Verhaltenstherapie hervorging. Sondern vielmehr als eine beseelte Form des Nicht-Sichtbaren, als beseelter Ton des Nicht-Hörbaren, was ihn von der Halluzination unterscheidet. Es geht um eine Art von Subtraktion, die Lacan mit der phallischen Funktion und dem Objekt klein a konzeptualisieren wird. Es ist diese Konstruktion der Dichte des Signifikanten, seiner materiellen Spiritualität, die Lacan in seiner Ausübung der Psychoanalyse nicht ohne Melanie Klein entwickelt hat und die ihn in der Folge behaupten ließ:
„Ein Signifikant ist das, was für einen anderen Signifikanten das Subjekt repräsentiert.“27
Übersetzung eines Vortrags, den die Autorin am 26. September 2015 in der Psychoanalytischen Bibliothek Berlin gehalten hat..
Übersetzung: Michael Meyer zum Wischen und Birgit Pungs, lektoriert von Eva Maria Jobst.
Das Urheberrecht (Copyright) für diesen Text liegt bei Marie-Claude Thomas.
Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung der Autorin.
Über Marie-Claude Thomas
Marie-Claude Thomas ist Psychoanalytikerin in Paris und Mitglied der École lacanienne de psychanalyse.
Zu ihren Veröffentlichungen gehören: L’Autisme et les langues (l’Harmattan, Paris 2011), Lacan, lecteur de Melanie Klein (Érès, Toulouse 2012) und Genèses de l’autismes. Freud, Bleuler, Kanner (Epel, Paris 2014).
Kontakt: mclaudethomas [at] wanadoo.fr
21, rue Clauzel, F-75009 Paris
Verwandte Beiträge
Anmerkungen
- Melanie Klein: Die Bedeutung der Symbolbildung für die Ichentwicklung. In: Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse, 16. Jg. (1930), Heft 1, S. 57-72, hier: S. 69.
- M. Klein: Zur Frühanalyse. In: Imago. Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften, 9. Jg. (1923), Heft 2, S. 222-259, hier: S. 253 Fn. 1.
- David Halperin: La vie descriptible de Michel Foucault. Aus dem Englischen übersetzt von Isabelle Châtelet. L’unebévue-éditeur, Paris 2011, S. 57.
- M. Klein: Symposium zur Kinderanalyse (1927). In: Dies.: Gesammelte Schriften, Band I,1. Schriften 1920-145, Teil 1. Frommann-Holzboog, Stuttgart 1995, S. 211-256, hier S. 220.
- Symposium zur Kinderanalyse, a.a.O., S. 219.
- Symposium zur Kinderanalyse, a.a.O., S. 253.
- M. Klein: Die psychologischen Grundlagen der Frühanalyse (1926). In: Dies.: Gesammelte Schriften, Bd. I,1, a.a.O., S. 195-209, hier: S. 204 Fn. 5.
- Symposium zur Kinderanalyse, a.a.O., S. 226.
- S. Freud: Formulierungen über die zwei Prinzipien des psychischen Geschehens (1911). In: Ders.: Studienausgabe, Bd. 3. Fischer Taschenbuch Verlag 2000, S. 20. – Vgl. Marie-Claude Thomas: „Je joue, pas-je pense“. In: SPY 2014, revue de l’école lacanienne de psychanalyse. Epel, Paris 2014.
- Frühstadien des Ödipuskonfliktes. In: Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse, 1927, Heft 1, S. 65-77, hier: S. 67.
- M. Klein: Ein Beitrag zur Theorie der Lernhemmung (1931). In: Dies.: Frühstadien des Ödipuskomplexes, a.a.O., S. 73-88, hier: 79.
Vgl. hierzu J. Lacan: Seminar 6 von 1958/59. Le désir et son interprétation, Sitzung vom 11. Februar 1959, sowie ders.: Seminar 7 von 1959/60. Die Ethik der Psychoanalyse, Sitzung vom 20. Januar 1960. - J. Lacan: Subversion des Subjekt und Dialektik des Begehrens. In: Ders.: Schriften II. Hg. v. N. Haas. Walter, Olten u.a. 1975, S. 180 und öfter, dort mit „Hort der Signifikanten“ übersetzt.
- M. Klein: Notes on some schizoid mechanisms. In: The International Journal of Psycho-Analysis, 27. Jg. (1946), S. 99-110, Reprint im Journal of Psychotherapy Practice and Research 1996 hier. Auf deutsch: Bemerkungen über einige schizoide Mechanismen. In: Dies., Das Seelenleben des Kleinkindes, a.a.O., S. 131-163, hier: S. 131.
Eine überarbeitete Fassung von Melanie Kleins Beitrag erschien 1952 in den Developments in psycho-analysis, a.a.O. - J. Lacan: Seminar 4 von 1956/57, Die Objektbeziehung. Textherstellung Jacques-Alain Miller, Übersetzung Hans-Dieter Gondek. Turia und Kant Wien 2011, S. 220, Sitzung vom 27. Februar 1957.
Vgl. hierzu auch J. Lacan: Von dem, was uns vorausging (1966). In: Ders.: Schriften III. Hg. v. N. Haas. Walter, Olten u.a. 1980, S. 13. - M. Klein: Narrrative of a child analysis. Hogarth, London 1961. Dt.: Der Fall Richard. Das vollständige Protokoll einer Kinderanalyse, durchgeführt von Melanie Klein. Übersetzt von Wolfgang Wagmuth. Kindler, München 1975. Eine überarbeitete Fassung dieser Übersetzung erschien unter dem neuen Titel Darstellung einer Kinderanalyse in: M. Klein: Gesammelte Schriften. Bände IV/1 und IV/2. Frommann-Holzboog, Stuttgart 2002.
- M. Klein: Über das Seelenleben des Kleinkindes. Einige theoretische Betrachtungen (1952). In: Dies., Das Seelenleben des Kleinkindes, a.a.O., S. 187-224.
- Klein untersucht Greens Roman in: On identification. In: P. Heimann u.a. (Hg.): New directions in pycho-analysis. Tavistock, London 1955, S. 309-345.
- M. Klein: Envy and gratitude. Tavistock, London 1957. Eine gekürzte Fassung dieses Buches ist der 1958 in deutscher Sprache erschienene Artikel von Melanie Klein Neid und Dankbarkeit; vgl. Klein, Das Seelenleben des Kleinkindes, a.a.O., S. 225-244.
- Zur Frühanalyse, a.a.O., S. 234.
- Vgl. Brief von Freud an Ferenczi vom 30. November 1911 in: S. Freud und S. Ferenczi: Briefwechsel. Band 1/1, 1908-1911. Böhlau, Wien u.a. 1993.
Vgl. hierzu Marie-Claude Thomas: Genèses de l’autisme. Freud, Bleuler, Kanner. Epel, Paris 2014, Kapitel III. - C. G. Jung: Wandlungen und Symbole der Libido. Beiträge zur Entwicklungsgeschichte des Denkens. Deuticke, Leipzig u.a. 1912; Eugen Bleuler: Das autistische Denken. In: Jahrbuch für psychoanalytische und psychopathologische Forschungen, 4 (1912), S. 1-39.
- Zur Frühanalyse, a.a.O., S. 233.
- Sandor Ferenczi: Entwicklungsstufen des Wirklichkeitssinnes. In: Ders.: Schriften zur Psychoanalyse, Bd. I. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1982, S. 148-163, hier: S. 157.
- S. Ferenczi: Zur Ontogenese des Symbolischen. In: Ders.: Schriften zur Psychoanalyse, Bd. I, a.a.O., S. 172-175, hier: S. 173; im Internet hier.
- Ernest Jones: Die Theorie der Symbolik. In: Ders.: Die Theorie der Symbolik und andere Aufsätze. Ullstein, Frankfurt am Main u.a. 1978, S. 50-114, hier: S. 82, Übersetzung geändert.
- J. Lacan: Le Séminaire, livre VI. Le désir et son interprétation. 1958-1959. Textherstellung J.-A. Miller. La Martinière, Paris 2013, S. 327 f., Sitzung vom 19. März 1959.
- J. Lacan: Subversion des Subjekts und Dialektik des Begehrens. In: Ders., Schriften II, a.a.O., S. 195, Übersetzung geändert.