Der verlorene Name des Vaters, das Erstaunen und das Begehren des Analytikers
Sarah Jones, Colony (Couch) (IV), 2006, von hier
Alain Didier-Weill schreibt über seine Erfahrungen mit Lacan als Analytiker und Lehranalytiker.
„Dadurch, dass ich heute Nacht diese Seiten über Lacan schreibe, hat sich eine Lawine von Erinnerungen gelöst; ihr Verbindungsfaden ist die Intensität. Alles mit Lacan war intensiv, der Moment der Zusammentreffens, der Abschied, die Sitzung. Niemals Trott, niemals die Dimension der Gewohnheit.
Wenn ich meinen Träumen glauben darf, habe ich die Trauer um diese Intensität nie leisten können und nie leisten wollen: Lacan nutzt sie regelmäßig, um mich zu besuchen. Mit diesem Traum-Gesprächspartner setzt der Dialog sich fort; er stellt mir Fragen oder sagt mir Dinge, die bisweilen ganz und gar erstaunlich sind.
Bei seiner Rückkehr zu Freud hat Lacan nichts anderes getan, als die Tragweite der Freudschen Botschaft zu aktualisieren. Er hat, so möchte ich sagen, den grundlegend erstaunlichen Charakter dessen verstärkt, was Freud angekündigt hatte, und zwar dadurch, dass er, Lacan, über die unbewusste Frage nach der sexuellen Identität hinaus – wer bin ich? – diese radikale Frage gestellt hat: ‚Bin ich? Bin ich also ein Sprechwesen?‘
Wie war es Lacan möglich, diese Frage zu übermitteln? Dadurch, dass er Wege fand, einem zu bezeugen, dass diese Sache, das Sprechen, die einem so selbstverständlich erschien wie Jahrtausende lang die Tatsache als selbstverständlich erschienen war, dass ein Apfel zur Erde fallen kann, — dass das Sprechen, einmal seiner Selbstverständlichkeit beraubt, einem als etwas absolut Erstaunliches vorkam. Dieses Vermögen, über das, was einen noch nicht erstaunte, in Erstaunen zu geraten, machte aus diesem erstaunten Menschen einen Menschen, der erstaunlich wurde“1.
Didier-Weill vergleicht Lacans Arbeitsweise mit dem von Freud entdeckten Witzmechanismus: die Lust, die der Witz verschafft, beruht darauf, dass durch eine scheinbar absurde Antwort die Zensur verblüfft wird und so zum Schweigen gebracht wird.
Als Beispiel verweist er auf die Verbindungen, die Lacan zwischen der Intimität des Analysezimmers und der Öffentlichkeit der Analytikergemeinschaft herstellte.
„Ich hatte einmal in einer Analysesitzung meine Verunsicherung darüber zum Ausdruck gebracht, dass der Staatsrat (das oberste Verwaltungsgericht, RN) meinen Antrag, den Vaternamen ‚Weill‘ weder anzunehmen, abgelehnt hatte – zum dritten Mal in fünfzehn Jahren. Ich hatte dieses Patronym verloren, seit mein Vater und eine Reihe anderer Juden, vom Krieg traumatisiert, geglaubt hatten, ihren Familiennamen aufgeben zu müssen, um ihre Nachkommen vor der möglichen Wiederkehr antisemitischer Maßnahmen zu schützen. An diesem Tag, verlassen vom Staat und von seinem Rat, an den ich mich nun nicht mehr wenden konnte, widerfuhr es mir, dass ich auf der Couch sagte, dass mir nichts anders übrig bleibe, als allein zu entscheiden, mich ‚Didier-Weill‘ nennen zu lassen. ‚Es geht darum, es zu sagen!‘ brachte Lacan vor, womit er die Sitzung beendete. Ja, es ging darum, es zu sagen. Aber wie und zu wem?
Drei Tage später an der École freudienne de Paris ein Kolloquium, bei dem ich einen Beitrag halten muss. An diesem Tag fordert Lacan, der Sitzungsleiter, als ich mit dem Sprechen an der Reihe bin, mich auf, das Podium zu besteigen: ‚Didier-Weill, Sie sind dran!‘ Wie er drei Tage zuvor gesagt hatte, ging es darum, es zu sagen, und er tat es. Er nannte einen Namen, der nicht mehr gültig war, und der durch diese Tatsache aufhörte, nicht mehr zu gelten.“2
Der Mann, der von diesem Moment an Didier-Weill heißen würde, fährt fort:
„Wird man sagen, wie einige mir danach gesagt haben, dass Lacan, indem er öffentlich die Zensur des Staatsrats in Frage stellte, nicht Analyse betrieb, sondern Politik? Oder dass er sich in die Position des Gesetzes brachte und damit einen größenwahnsinnigen Platz einnahm? Oder wird man sagen, dass die wahre Berufung der Psychoanalyse darin besteht, eine Ausweitung zu finden, die, wie ein Witz, in Erstaunen versetzt?
Ethik des Erstaunens, die uns zum Anfang meiner Darstellung zurückführt.“3
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