Nicht wie das Leiden Christi
George Rouault, Le juste comme le bois de santal parfume la hache qui le frappe. Zyklus Miserere. Guerre, Bild XLVI, 1922.
Lacan bezieht sich hierauf in Seminar 11, Version Miller/Haas, S. 1151
Im Christentum zieht das Bild der Kreuzigung insgeheim alle Fäden des Begehrens an sich, sagt Lacan. Das Phantasma, von dem das weibliche Begehren geleitet wird, kann durch das Bild von Christus am Kreuz buchstäblich vergiftet sein. Und anhand dieses Bildes schlägt die Christenheit den Menschen seit Jahrhunderten ans Kreuz.2 In seiner Analyse von Paul Claudels Die Geisel hatte Lacan dies an Sygne gezeigt, die für die Sache des Papstes alles opfert, was ihr teuer ist.3
In Seminar 10 heißt es über den Masochismus im Christentum:
„Ich hatte Ihnen auch angezeigt, welches die christliche Lösung ich wollte sagen die christliche Abmilderung war die diesem irreduziblen Verhältnis zum Objekt des Schnitts gegeben wurde. Dies ist nichts anderes als das Wunder, das mit dem masochistischen Ausweg verbunden ist, insofern der Christ durch die Dialektik der Erlösung gelernt hat, sich ideell mit Dem zu identifizieren, der sich mit diesem Objekt selbst, mit dem von der göttlichen Vergeltung zurückgelassenen Abfall identisch gemacht hat.“4
Kardinal Ratzinger sagte 2005 über den an Parkinson leidenden Johannes Paul II.:
„Ich glaube, wir haben gerade in diesen letzten Jahren gelernt, dass das Zeugnis eines leidenden Papstes eine große Bedeutung hat, dass Leiden eine eigene Art der Verkündigung ist. (…) Wir haben vom Papst sehr viele Worte geschenkt bekommen, eine große Botschaft. Eine andere Botschaft ist, dass er nun in die Passion Jesu Christi mit eintritt.“
Im selben Jahre wurde Kardinal Ratzinger Papst Benedikt XVI.; 2013 trat er zurück. Nach diesem Amtsverzicht äußerte sich der Franziskaner Prof. Dr. Frei Antônio Moser so:
„Er (Johannes Paul II.) wird für immer in Erinnerung bleiben als der Papst, der der ganzen Welt das Bild des gekreuzigten Christus vor Augen führte und den Leidensbecher bis zum letzten Schluck trank. (…) Der freiwillige Rücktritt von Papst Benedikt XVI. scheint das genaue Gegenteil zu sein, doch nur auf den ersten Blick.“
In der Rücktrittserklärung heißt es:
„Ich bin mir sehr bewusst, dass dieser Dienst wegen seines geistlichen Wesens nicht nur durch Taten und Worte ausgeübt werden darf, sondern nicht weniger durch Leiden und durch Gebet. Aber …“
Welche Folgen hat der Rücktritt des Papstes für das Begehren der katholischen Christenheit?
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Anmerkungen
- Vgl. Claudia Blümle, Anne von der Heiden: Einleitung. In: Dies. (Hg.): Blickzähmung und Augentäuschung. Zu Jacques Lacans Bildtheorie. Diaphanes, Zürich u.a. 2005, S. 11 f.
- Seminar 7, Version Miller/Haas, S. 314.- Die Phantasie einer Zwangsneurotikerin über den gekreuzigten Christus findet man in Seminar 5, Version Miller/Gondek, S. 531.
- Vgl. Seminar 8 von 1960/61, Die Übertragung, vor allem die Sitzung vom 3. Mai 1961.
- Seminar 10, Version Miller/Gondek, S. 276.